Rede von
Heinz
Westphal
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen von SPD und FDP legen Ihnen einen Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses vor, mit dem wir erreichen wollen, daß endlich das vom Deutschen Bundestag bereits am 3. Juli 1979 verabschiedete Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuerrechtes auf der Grundlage der 6. Harmonisierungsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaften abschließend behandelt wird.
Es geht dabei, wie inzwischen in diesem Hause jedermann und darüber hinaus in einer breiten Öffentlichkeit, die weit über unsere Grenzen hinaus nach West und nach Ost reicht, bekannt ist, um die Formulierung des sogenannten Inlandbegriffs. Durch diesen Inlandbegriff soll das Erhebungsgebiet für die Umsatzsteuer abgegrenzt werden.
Die Bundesregierung hatte dem Deutschen Bundestag bei dieser auf Grund der europäischen Steuerharmonisierungsbemühungen erstmalig nach vielen Jahren erforderlich gewordenen Gesamtneugestaltung des Umsatzsteuerrechts für die Abgrenzung des Erhebungsgebietes eine Definition vorgeschlagen, die, wie das eigentlich selbstverständlich sein müßte, auf inzwischen abgeschlossene und gültig gewordene internationale Verträge der Bundesrepublik Deutschland Rücksicht nimmt und keine Zweifel daran läßt, daß wir uns vertragstreu verhalten.
Zweimal, meine Damen und Herren, hat inzwischen der Vermittlungsausschuß die vom Bundestag auf der Grundlage des Regierungsentwurfes beschlossene Fassung des Inlandbegriffs bestätigt und damit seinerseits die Notwendigkeit bejaht, daß Klarheit und Verständlichkeit darüber herrschen muß, wo ein im Jahre 1979 beschlossenes Gesetz gilt und wo nicht. Zweimal aber, meine Damen und Herren, hat die Mehrheit des Bundesrates, gebildet aus den CDU/CSU-geführten Ländern — mit Ausnahme des Saarlandes —, dagegen votiert, weil sie sieben Jahre nach Inkrafttreten des Grundlagenvertrages und neun Jahre nach dem Warschauer Vertrag mit Polen immer noch und für die Zukunft den Geltungsbereich eines Bundesgesetzes auf das Reichsgebiet von 1937 erstrecken will.
An falscher Stelle und ohne Rücksicht auf die außenpolitische Brisanz dieser Frage sucht die Opposition über den Weg der Bundesratsmehrheit bei einem Steuergesetz einen Grundsatzstreit mit uns und mit der Bundesregierung über eine entscheidende außenpolitische Frage, obwohl es auch ihr — das nehme ich zugunsten der Opposition an — nicht darum geht, die bundesrepublikanische Umsatzsteuer in Breslau oder in Dresden erheben zu wollen.
Wenn der Deutsche Bundestag dies hinnähme, würde er sich nicht nur von dem von ihm selbst beschlossenen Gesetz entfernen, sondern er würde
zugleich mitschuldig werden an einer Gefährdung unserer weltweit anerkannten Friedens- und Entspannungspolitik. Das gilt im übrigen für West und Ost. Denn niemand draußen — das zeigt die inzwischen geführte öffentliche Diskussion in all den Ländern um uns herum — hätte Verständnis dafür, wenn in einem deutschen Steuergesetz die Grenzen des Reichsgebiets vom 31. Dezember 1937 expressis verbis aufgenommen würden, obwohl sich unser Land in internationalen Verträgen ausdrücklich verpflichtet hat, seine Hoheitsrechte nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auszuüben.
Darüber hinaus würden bei Aufrechterhaltung der rückwärts gerichteten Position der Bundesratsmehrheit der Hohen Kommission der Europäischen Gemeinschaft Gründe frei Haus geliefert, um ihre beim Europäischen Gerichtshof eingereichte Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen, die uns vorwirft, europäische Verpflichtungen nicht einzuhalten.
Es kommt hinzu, daß unsere Wirtschaft im Wissen um die Notwendigkeit der europäischen Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts sich auf dessen Inkrafttreten vorbereiten will, dies aber nicht kann, weil das Gesetzgebungsverfahren durch den für Steuergesetze mitverantwortlichen und mit zuständigen . Bundesrat nicht nur über Monate gebremst und verzögert worden ist, sondern auch blockiert zu werden droht.
Die Opposition und die Offentlichkeit sollten zusätzlich wissen — dies ist vielleicht gerade im Zusammenhang mit der soeben abgeschlossenen Dehatte über den Nachtragshaushalt ganz interessant—, daß dann, wenn dieses Umsatzsteuergesetz 1980 nicht am 1. Januar 1980 in Kraft tritt, in dem von uns zur Zeit beratenen Haushalt für das Jahr 1980 nicht weniger als 1,7 Milliarden DM an Einnahmen fehlen würden, die durch Ausgabenkürzungen nicht hereingeholt werden können. Das würde also eine höhere Nettoneuverschuldung des Bundes um diesen Betrag bewirken. Die Opposition würde damit nicht nur unser Konzept der Herabsetzung der Neuverschuldung bremsen, sondern auch ihre eigenen Ankündigungen in diesem Bereich konterkarieren.
Ich höre schon den Vorwurf, der frühere Inlandbegriff im Umsatzsteuergesetz sei von der Bundesregierung bei der Novellierung des Umsatzsteuerrechts in den Jahren nach dem Inkrafttreten des Grundlagenvertrags und des Warschauer Vertrags nicht zur Änderung vorgeschlagen worden. Dem kann nüchtern entgegengehalten werden, daß wir in den vergangenen Jahren nicht vor dieser Frage gestanden haben, weil es lediglich um gezielte Teiländerungen des Umsatzsteuergesetzes gegangen ist. Jetzt aber steht erstmals eine Neugestaltung des gesamten Gesetzes an, und sie muß selbstverständlich auch die hier anstehende Problematik einer zeitgerechten Lösung zuführen.
In der Sache geht es bei der Formulierung des Inlandbegriffs darum, eine Definition zu finden, in der das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik für uns nicht zum Ausland erklärt wird. Vor dieser Aufgabe hat der Bundesgesetzgeber schon
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979 13917
Westphal
des öfteren gestanden. Er hat zum Beispiel im deutschen Weingesetz eine Formulierung gewählt, die fast wortidentisch mit dem ist, was der Deutsche Bundestag im Umsatzsteuergesetz 1980 am 3. Juli 1979 beschlossen hat. Gerade deshalb erscheint vielen und auch mir der Streit so unverständlich, den die Bundesratsmehrheit eingeleitet hat.
Die im Bundesrat vorgetragene Argumentation, es müsse das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag vom 31. März 1973 beachtet werden, bringt mich nur zu der Feststellung, daß dem nichts im Wege steht. Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts stand am Ende eines Prozesses, in dem die Bayerische Staatsregierung die Bundesregierung verklagt und ihr vorgeworfen hatte, mit dem Abschluß des Grundlagenvertrages das Grundgesetz nicht eingehalten zu haben. Die Bayerische Staatsregierung hat diesen Prozeß verloren; der Grundlagenvertrag wurde als verfassungsgemäß festgestellt. Wir sind verpflichtet, uns an das zu halten, was wir in internationalen Verträgen und im Grundlagenvertrag vereinbart und ratifiziert haben.
Spätestens hier, meine Damen und Herren, muß darauf hingewiesen werden, daß der von einigen Herren — und von einem ganz bestimmten Herrn ganz besonders oft — im Munde geführte lateinische Satz „Pacta sunt servanda" eben keine Leerformel für Sonntagsreden sein darf,
sondern in diesem konkreten Fall für uns alle zur Anwendung kommen muß. Wir jedenfalls stehen dazu und fordern hier die Mehrheit des Bundesrates — im Interesse der Sache und im Interesse unserer Glaubwürdigkeit in der Welt draußen auf, ihre unhaltbare Position aufzugeben.
Man kann sich durchaus vorstellen, daß es andere Formulierungen — nicht andere Inhalte, andere Formulierungen! — des Inlandbegriffs im Umsatzsteuergesetz gibt als die, die wir durch unseren Beschluß vom 3. Juli 1979 gewählt haben. Was nicht vorstellbar ist, ist die Annahme einer Formulierung im Umsatzsteuergesetz, mit der die Grenzen vom 31. Dezember 1937 für die Zukunft festgeschrieben werden.
Der einzige Weg, meine Damen und Herren, dies zu bewirken, ist die erneute Anrufung des Vermittlungsausschusses, diesmal durch uns, durch den Deutschen Bundestag. Wenn die Opposition mit uns will, daß das neue Umsatzsteuerrecht, eingeordnet in die europäische Harmonisierung, am 1. Januar 1980 in Kraft treten soll und daß sich die Wirtschaft auf diesen Vorgang vorbereiten kann, dann müßte sie unserem Antrag zustimmen und darüber hinaus mithelfen, die Mehrheit des Bundesrates von ihrer unvertretbaren Position herunterzuholen.
Ich bitte namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion um Annahme dieses Antrags.