Rede:
ID0815406700

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Herr: 1
    6. Abgeordnete: 1
    7. Dr.: 1
    8. Gruhl.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/154 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 154. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Inhalt: Begrüßung der Präsidentin des Senats von Kanada, Frau Renaude Lapointe . . . . 12266 B Bericht zur Lage der Nation Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . . 12253 A Dr. Kohl CDU/CSU . . . . . . . . . 12266 C Mattick SPD . . . . . . . . . . 12279 C Hoppe FDP 12285 A Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . . 12289 B Friedrich (Würzburg) SPD . . . . . . 12296 C Dr. Wendig FDP 12301 C Franke, Bundesminister BMB . . . . . 12306 A Dr. Barzel CDU/CSU . . . . . . . . 12309 D Dr. Ehmke SPD 12315 D Dr. Abelein CDU/CSU 12322 D Ludewig FDP 12327 C Dr. Gruhl fraktionslos 12329 A Dr. Czaja CDU/CSU 12331 C Hofmann (Kronach) SPD . . . . . . 12335 C Graf Huyn CDU/CSU 12337 C Schulze (Berlin) SPD 12340 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . . 12342 B Büchler (Hof) SPD . . . . . . . . . 12343 C Erklärungen nach § 35 GO Jäger (Wangen) CDU/CSU 12344 D Dr. Ehmke SPD 12345 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Umsatzsteuergesetzes (UStG 1979) — Drucksache 8/1779 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2864 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/2827 — Kühbacher SPD . . . 12345 D, 12347 B, 12353 C Di . Meyer zu Bentrup CDU/CSU . 12346 B, 12347 B Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . . 12347 C Dr. Kreile CDU/CSU 12348 B Frau Funcke FDP 12 357 B Matthöfer, Bundesminister BMF 12360 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jenninger, Dr. Jobst, Röhner, Dr. George, Dr. Friedmann, Schröder (Lüneburg), Carstens (Emstek), Dr. von Wartenberg, Sauter (Epfendorf), Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dregger, Kolb, Broll, Hanz, Spranger, Seiters, Glos, Susset, Dr. Waigel, Dr. Sprung, Dr. Warnke, Gerlach (Obernau), Dr. Miltner und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 8/2780 — 12361 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung — Drucksache 8/2782 — 12362 A Beratung der Sammelübersicht 45 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. März 1979 eingegangenen Petitionen — Drucksache 8/2786 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 46 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2826 — 12362 A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Steuerliche Behandlung der gemeinnützigen Sportvereine — Drucksache 8/2668 — Dr. Schäuble CDU/CSU 12362 C Schirmer SPD 12364 B Mischnick FDP 12365 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Friedmann, Niegel, Dr. Sprung, Dr. Stavenhagen, Damm, Biehle, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) und der Fraktion der CDU/CSU Bessere Bedingungen für den CB-Funk — Drucksache 8/2727 —Dr. Friedmann CDU/CSU . . . . . . 13368 C Wuttke SPD 13370 A Hoffie FDP 12371 B Beratung der Ubersicht 9 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/2800 — 12373 A Nächste Sitzung 12373 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . . 12375*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 12253 154. Sitzung Bonn, den 17. Mai 1979 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams *** 17. 5. Dr. van Aerssen *** 18.5. Dr. Ahrens ** 17. 5. Dr. Aigner *** 18. 5. Alber *** 18. 5. Dr. Bangemann *** 17. 5. Frau Benedix 18. 5. Dr. von Bismarck 18. 5. Dr. Böhme (Freiburg) 18.5. Frau von Bothmer ** 17. 5. Büchner (Speyer) * 18. 5. Dr. Dollinger 18. 5. Fellermaier *** 18. 5. Dr. Fuchs 18.5. Haberl 18. 5. Handlos * 18. 5. von Hassel 17. 5. Dr. Haussmann 18. 5. Frau Hürland 18. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete () entschuldigt bis einschließlich Katzer 18. 5. Dr. Klepsch *** 17. 5. Dr. h. c. Kiesinger 18. 5. Klinker 18.5. Kolb 13. 5. Frau Krone-Appuhn 17. 5. Lange** 13. 5. Lemp *** 18. 5. Dr. Lenz (Bergstraße) 17. 5. Lenzer *** 13.5. Lücker *** 18. 5. Müller (Bayreuth) 18. 5. Müller (Mülheim) *** 18. 5. Müller (Remscheid) 18. 5. Neumann (Bramsche) 17. 5. Offergeld 18.5. Rapp (Göppingen) 18. 5. Frau Dr. Riede (Oeffingen) 18. 5. Frau Schlei 18.5. Schreiber *** 18. 5. Dr. Schwörer'** 18. 5. Seefeld *** 18. 5. Dr. Starke (Franken) *** 18. 5. Frau Dr. Walz *** 17. 5. Wawrzik *** 18. 5. Weber (Heidelberg) 18. 5. Wohlrabe 18. 5. Würtz *** 17. 5. Zeitler 18. 5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Walther Ludewig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Deutschlandpolitik befindet sich wieder einmal in einem Wechselbad. Westdeutsche Korrespondenten werden behindert. Vor einigen Tagen ist wieder einer ausgewiesen worden. Was macht die DDR damit? Sie signalisiert zwanghafte Abgrenzungsmechanik und zeigt sich als verunsichertes System. Die Führung der DDR glaubt offenbar, die Risiken bei der Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten anders nicht beherrschen zu können.
    Ist aber deshalb die bisherige Deutschlandpolitik gescheitert? Nein, meine Damen und Herren, sie ist nicht gescheitert. Gerade für uns kann dieser Vorgang kein Anlaß sein, die Vertragspolitik insgesamt zu verdammen. Schließlich ist bisher viel erreicht worden, wenn auch noch nicht genug auf allen Gebieten. Wir können uns noch nicht zur Ruhe setzen.
    Aber entscheidend hat unsere Vertragspolitik mitgeholfen, das drohende Auseinanderleben der Deutschen zu stoppen, das Zusammengehörigkeitsgefühl durch vielfältige menschliche Begegnungen zu stärken. Die Gräben der Spaltung haben sich nicht vertieft. Der Zusammenhalt der Deutschen seit ihrer Teilung war niemals so stark wie heute.
    Die Lebensbedingungen in der DDR haben sich ohne Zweifel verbessert. Mit Recht hat der Bundeskanzler darauf hingewiesen, welch hohe Aufbauleistung unsere deutschen Landsleute in der DDR vollbracht haben. Der Preis, den die Bevölkerung der DDR dafür zahlen muß, und zwar mit totaler Einsatzbereitschaft, ist hoch. Nach der Sprachregelung der DDR werden „Reserven mobilisiert". In der DDR geht wieder der Geist Adolf Henneckes



    Ludewig
    um. Kein Wunder, daß sich keine Begeisterung für dieses System breitmacht.
    Bei uns fordert nun die CDU immer wieder Sanktionen. Wo können Sanktionen sein? Insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, im Warenaustausch, aber auch bei Zuwendungen für Autobahnbenutzung, für Autobahnbau, für die Benutzung der Wasserstraßen usw. Liebe Kollegen, wen sollen die Sanktionen denn treffen? Sanktionen sind kein wirksames Mittel. Sie treffen immer die Falschen, die Bevölkerung, deren Lebensverhältnisse wir verbessern wollen und die sich im Zuge der ständig steigenden Wirtschaftsbeziehungen, auch durch den innerdeutschen Handel, stark angehoben haben.
    An dieser Stelle noch ein Wort zu dem immer wieder erhobenen Vorwurf, unsere Zahlungen insgesamt seien zu hoch. Setzen wir den Gesamtbetrag aller unserer Zahlungen an die DDR doch einmal in Bezug zu unserem Bundeshaushalt. Wollen Sie das mal nachrechnen? Es sind 0,04 % des Bundeshaushalts.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Herr Kohl, Sie monieren, daß der Bundeskanzler über die Behandlung der deutsch-deutschen Frage hinaus noch viele weitere Bereiche der Politik und Lebensbereiche angesprochen hat. Ich fand das gut. Sie selbst sind ja auf fast alle Bereiche eingegangen. Ich tue das auch. Man kann z. B. überhaupt nicht genug wiederholen, daß die Bundesrepublik Deutschland schon länger besteht als die Weimarer Republik und das sogenannte tausendjährige Reich zusammengenommen.
    Es lohnt sich, darüber zu sprechen, wer sich auch der jüngsten deutschen Geschichte gestellt hat und wer nicht. Für mich war es der Durchbruch eines Gedankens, als das Kuratorium Unteilbares Deutschland 1967 in Berlin eine große Jahrestagung unter das Motto „Geschichtsbewußtsein in Deutschland" gestellt hat. Es war sehr beeindruckend, was damals schon zu diesem Thema gesagt wurde. Es ist eine Forderung, die gar nicht oft genug und laut genug wiederholt werden kann, daß wir ein verstärktes Geschichtsbewußtsein brauchen. Wir und insbesondere die Jugend kann die Zukunft nicht gestalten, wenn sie von der Vergangenheit nichts weiß.
    Der Beschluß der Kultusministerkonferenz zur Behandlung der deutschen Frage im Unterricht ist deshalb zu begrüßen. Das wurde hier auch getan. Es ist nur zu hoffen, daß die entstandene Lücke bald geschlossen wird und daß nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer wieder lernen, sich mit der deutschen Geschichte zu beschäftigen. Das gleiche gilt nebenbei auch für Fragen der Sicherheit und Verteidigung, die auf der Kultusministerkonferenz ebenfalls behandelt worden sind, aber bei weitem noch nicht ausreichend in den Unterricht sämtlicher Schulen und Hochschulen eingegangen sind.
    Selbstzufriedenheit ist in weiten Bereichen wahrlich nicht am Platz, aber auch keine gegenseitigen Vorwürfe. Ich denke, hier haben Lernprozesse an allen Ecken und Enden eingesetzt, nicht zuletzt auch in allen Parteien.

    (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Leider nicht!)

    Die Gewerkschaften werden zu Recht für ihre maßvolle Lohnpolitik gelobt. Niemand hat dem Bundeskanzler widersprochen. Wir sollten auch den Unternehmern für ihre Aufbauleistung und ihren Wagemut danken.
    Zu Recht hat der Bundeskanzler auf den verhältnismäßig großen Arbeitsfrieden in Deutschland hingewiesen. Ich würde es aber dem Begriff der Waffengleichheit zurechnen, wenn ich den Gewerkschaften das Streikrecht und den Unternehmern das Recht auf Aussperrung einräume.

    (Beifall des Abg. Cronenberg [FDP])

    Aber immer dort, wo von diesen beiden Gruppen gesprochen wird, einerseits von den Gewerkschaften und andererseits von den Unternehmern, werde ich nicht müde, Ihnen eine dritte Gruppe zu nennen, von der heute noch nicht die Rede war, und das ist der Mittelstand. Alles das, was hier lobend gesagt worden ist, trifft auch auf den Mittelstand zu, und zwar in nicht unerheblichem Ausmaß. Unser Sozialprodukt wird zu großen Teilen vom Mittelstand erwirtschaftet, die große Mehrheit der Arbeitnehmer arbeitet in mittelständischen Betrieben.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU] : • Wir haben doch keine Mittelstandsdebatte!)

    Daß unsere Umwelt längst nicht mehr kinderfreundlich ist und daß wir überhaupt ein Jahr des Kindes veranstalten müssen, zeigt eine Misere auf, die in unseren Häusern und in den Stadtvierteln anfängt.
    Jugendprobleme sind Erwachsenenprobleme — ein gutes und sehr wahres Wort. Wir können in den Kreis dieser Probleme auch getrost den Schulsport einbeziehen, der in vielen Grundschulen und in unserem ach so fortschrittlichen Land in fast allen Gewerbeschulen fast völlig ausfällt und der immer noch nicht die Mindestzahl von drei Wochenstunden erreicht hat, geschweige denn die von vielen für richtig gehaltene Stunde pro Tag.
    Alle — auch heute hier in der Debatte — distanzieren sich von den Neu- und Hochbauten in den deutschen Städten. Ich frage mich nur: Wer hat denn diese Städte gebaut? Wo sind wir denn alle gewesen? Ist es denn richtig, nun das zu verteufeln, was wir jahrelang als das Symbol des Fortschritts gesehen haben? Hat jemand Grund dazu, einzelne Menschen oder Parteien? Wir alle haben doch diese Städte abwechselnd regiert und die Baupläne genehmigt! Ich glaube, daß wir alle zusammen jetzt auch gelernt haben.
    Ich will eine Schlußbemerkung machen: Wir sprechen heute von den beiden deutschen Staaten, wir sprechen vom Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU] : Davon sprechen Sie, von den beiden deutschen Staaten!)




    Ludewig
    — Davon haben andere auch schon gesprochen, Herr Hennig, von zwei Staaten auf deutschem Boden. Auch ich füge das gern noch hinzu. — Die nächste Wahl in Deutschland ist zwar eine Europawahl, aber es besteht hier kein Gegensatz: Unser Eintreten für Europa bringt uns die Unterstützung unserer westlichen Nachbarvölker und ihr Verständnis für unser Anliegen. Unterstützung des Westens brauchen wir für die Wiedervereinigung ebenso wie die Toleranz unserer östlichen Nachbarn. Das eine geht nicht ohne das andere. Wir wissen, daß dies ein langwieriger Prozeß ist, ein langer Weg, den wir mit Beharrlichkeit gehen wollen, ja gehen müssen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gruhl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herbert Gruhl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da mir nur 15 Minuten zur Verfügung stehen, kann ich nur einige Punkte des Berichts zur Lage der Nation aufgreifen, vor allen Dingen die Zukunftsaspekte. Auf diese wollte der Herr Bundeskanzler am Schluß seiner Rede zwar eingehen, aber ich habe dann nur wenig darüber gehört.
    Die Zukunftsfragen werden nicht von den hier vertretenen Parteien aufgegriffen, dafür um so entschiedener von Bürgern dieses Landes. Diese haben sich in vielen Bürgerinitiativen zusammengefunden, weil sie die wichtigsten Probleme von den drei Parteien seit langem ausgeklammert sehen. Der Herr Bundeskanzler muß sehr wenig von den Beweggründen der Bürger wissen, wenn er ihnen vor wenigen Tagen den Vorwurf machte, daß sie nur kurzsichtige, egoistische Interessen verträten. Diese besorgten Bürger vertreten am allerwenigsten ihre eigenen Interessen, sondern die Interessen der künftigen Generationen, die der Ungeborenen. Dafür opfern viele ihre Zeit und auch Geld. Dies ist ein echtes soziales Engagement, denn eine Politik kann nur dann sozial genannt werden, wenn sie in die Solidarität auch die künftigen Generationen mit einbezieht.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist ja unbestritten!)

    — Aber davon weiß der Herr Bundeskanzler nichts, wohl auch deshalb, weil er noch nie in seiner Amtszeit Frauen und Männer der Bürgerinitiativen empfangen und gesprochen hat. Die Personen und Vertreter von Verbänden, mit denen er täglich spricht und verkehrt, vertreten in der Tat Interessen kurzfristiger Art, vor allen Dingen wirtschaftliche. Diese Art von Interessenvertretung hält der Bundeskanzler offensichtlich für legitim. Aber der Einsatz für Kinder und Enkel wird mißachtet oder auch heute noch nicht zur Kenntnis genommen. Diese Bürger müssen sich sogar Beschimpfungen gefallen lassen, während andere gesellschaftliche Gruppen in unserem Lande heute vom Bundeskanzler ausdrücklich gelobt worden sind.
    Die Mitbestimmung wurde heute von ihm als ein wertvoller Bestandteil unserer Gesellschaft hervorgehoben. Warum sollen Bürger nicht mitbestimmen, wo eine Straße, ein Flugplatz oder ein Atomkraftwerk gebaut werden soll?
    Die Bürgerinitiativen sind eine übergreifende gesellschaftliche Gruppe, die in allen Teilen des Volkes verwurzelt ist.

    (Hasinger [CDU/CSU] : Was heißt übergreifend?)

    — Darin sind alle anderen Interessengruppen durch Personen vertreten. Im anderen Teil Deutschlands gibt es keine Bürgerinitiativen, weil es dort die Freiheit der öffentlichen Meinung nicht gibt.

    (Hasinger [CDU/CSU]: Richtig!)

    Nur weil die Parteien auch hier die Zukunftsfragen vernachlässigt haben, ist diese Bewegung entstanden und zu einer — auch politischen — Macht geworden. Warum hat der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht den Bau der Wiederaufbereitungsanlage zurückgestellt? Aus politischen Gründen, wie er selbst sagt. Nachdem in Österreich und in der Schweiz eine knappe Mehrheit für bzw. gegen die Kernenergie zustande gekommen ist, würde eine Abstimmung in Deutschland zur Zeit mit großer Mehrheit zu einer Ablehnung führen — und dies nicht etwa auf Grund von Emotionen, wie oft behauptet wird, sondern infolge langjähriger Aufklärungsarbeit besorgter Bürger. Diese hatten Erfolg, obgleich Millionen Deutsche Mark sowohl von der Bundesregierung als auch von der Atomindustrie ausgegeben worden sind und unnötigerweise noch weiter ausgegeben werden sollen. Diese Bürger haben auch Erfolg, weil die Logik auf ihrer Seite steht.
    Alle drei Parteien und besonders der Bundeskanzler gingen bisher von der Prämisse aus, auf Kernenergie könne nicht verzichtet werden. Danach kamen dann diverse Erklärungen, daß man weitere Atomkraftwerke nur bauen würde, wenn die Sicherheit voll gewährleistet sei. Wenn man aber davon ausgeht, daß Atomenergie unabdingbar sei, wie ein. anderer dieser absoluten Ausdrücke lautet, so kann dies doch nur heißen, daß eben der Ausbau auch dann weitergehen müsse, wenn sich die Sicherheit als unvollkommen erweise.
    Ehrliche Wissenschaftler und Techniker haben schon immer gewußt, daß es in keiner Technik eine 100%ige Sicherheit gibt. Die Vertreter der Atomindustrie haben dies in der Vergangenheit aber nie zugeben wollen. Harrisburg hat nun ein drastisches Beispiel dafür geliefert, daß nicht nur Unfälle eintreten können, sondern gerade auch solche, an die man vorher nie gedacht hat.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist es eben!)

    — Eben. Man ist aber in den Berechnungen immer davon ausgegangen, daß bei den Planungen alle Möglichkeiten erfaßt worden seien, Herr Mertes. Nun stellt sich heraus, daß das nie der Fall sein kann und auch nie der Fall war.

    (Dr. Mertes [CDU/CSU] : Das habe ich nie so gesehen!)




    Dr. Gruhl
    — Es geht um die Fachleute, um die sogenannten Experten. Eine Katastrophe, an der man dort gerade noch mit knapper Not vorbeigekommen ist, hätte zur Evakuierung eines großen Gebietes geführt. Man muß sich einmal vorstellen, .was dies in unserem kleinen und dicht besiedelten Land bedeutet hätte. Ganze Landstriche müßten auf unbestimmte Zeit geräumt werden. In den übrigen Landesteilen müßte die Bevölkerung zusammenrücken und Einschränkungen in einem Ausmaß hinnehmen, im Vergleich zu dem ein vorsorglicher sparsamer Umgang mit Energie eine Lappalie wäre.
    Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß der Fortschritt im menschlichen Rahmen erfolgen solle; aber die Kernenergie hat viele Aspekte der Unmenschlichkeit. Ein unmenschlicher Aspekt ist es, daß wir künftigen Generationen den atomaren Müll, also die Nachteile vererben wollen, während wir die Vorteile der Energie heute bei einem ständig höheren Verbrauch — und damit auch unter Verschwendung — für uns in Anspruch nehmen.
    Ein weiterer unmenschlicher Aspekt ist die weitere totale Industrialisierung unseres Landes. Denn wer soll die zusätzliche Energie verbrauchen wenn nicht neue riesige Fabriken, die ihrerseits unsere Umwelt wieder weiter großflächig zerstören?
    Der Bundeskanzler hat eindringlich davon gesprochen, daß das Leben in unserem Lande immer inhumaner wird und daß es keine Räume für die Kinder mehr gebe. Das ist so, weil ständig neue Fabriken, Straßen, Wohnsilos und vor allem Autos gebaut werden. Man nennt das dann zukunftsträchtige Investitionen. Aber gerade dabei wird das Land immer unmenschlicher.
    Die Wachstumstheorie sieht eine Verdoppelung der derzeitigen materiellen Quantitäten spätestens bis zum Jahr 2000 vor. Auf diesem Weg können die Straßen gar nicht „leerer" werden, wie der Bundeskanzler meinte. Ich bin in der Tat der Meinung, daß leerere Straßen menschenwürdiger wären, daß Kinder die Straßen dann wieder kreuzen könnten und daß es nicht 15 000 Tote jährlich geben müßte.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Was hat er eigentlich gegen die Lehrer?)

    — Herr Mertes, warum ärgern Sie mich heute so? Sie sind doch sonst so nett.
    Aber weil die Politik aller drei Parteien vor allem eine weitere ständige Betonierung unseres Landes zum Ziel hat, glaubt ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr an die lebenswerte Zukunft. Besonders viele Frauen glauben wohl nicht mehr daran; sie möchten ihre Kinder nicht einem derart urigewissen Schicksal überlassen, und darum kam auch in der Debatte heute wieder die Verminderung der Bevölkerungszahl zur Sprache.
    Die Zukunft hängt angeblich davon ab, daß wir möglichst viele Kernkraftwerke bauen, und Herr Kohl verlangte heute wieder 16 000 Megawatt bis 1985. Wenn eine solche Frage zur „nationalen Schicksalsfrage" hochstilisiert wird, dann ist das die Art von Zukunft, an die viele nicht mehr glauben. Herr Kohl sollte einmal den niedersächsischen Minister Professor Pestel fragen, was dieser von den hochgerechneten Energieprognosen hält. Er ist vor einem Jahr in die CDU eingetreten, während ich austrat. Dort müßte wohl eine Auskunft zu bekommen sein.
    Es wird selbst dann zu keiner Energielücke kommen, wenn wir kein einziges Kernkraftwerk mehr bauen; denn nirgendwo ist überzeugend dargelegt worden, an welchen Stellen der deutschen Wirtschaft ständig mehr Energie eingesetzt werden könnte. Der Erdölmangel wird sich nicht durch Atomenergie beseitigen lassen, weil Elektrizität z. B. keine Autos antreibt. Schienenfahrzeuge könnte man allerdings mit ihr antreiben; aber das Strekkennetz der Deutschen Bundesbahn wird ständig weiter verkleinert.
    Der Bundeskanzler hat sich gegen die „allgemeine Verdammung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts" gewandt. Wir verdammen diesen Fortschritt nicht. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt muß künftig aber ganz neue Wege beschreiten: auf der Grundlage des sparsamen Umgangs mit Energie und Rohstoffen.

    (Hasinger [CDU/CSU] : Aber konkret tragen Sie dazu wenig bei!)

    — Sie müssen mir eine Stunde Redezeit geben, dann sage ich Ihnen all das Konkrete.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU] : Das ist hier eine innerdeutsche Debatte, Herr Gruhl!)

    — Ja, es ist eine Debatte zur Lage der Nation. Nicht ich habe die Kernenergie eingeführt, sondern die großen Herren Vorredner. Deshalb darf auch ich etwas darüber sagen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Die Deutschlandfrage als grünes Problem!)

    Darum müssen neue Technologien' entwickelt werden, die auf eine Produktion langlebiger Güter und deren Wiederverwendung hinauslaufen. Ein weiteres Ziel dieser neuen Technologien muß die umweltschonende und dezentralisierte Produktion sein. Nur ein solches qualitatives Wachstum können wir als Fortschritt in menschlichen Bahnen ansehen.
    Die derzeitige quantitative Gigantomanie, die in der Politik aller hier vertretenen drei Parteien zum Ausdruck kommt,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

    hat ihren sichtbaren Höhepunkt in dem Atomprogramm. Darum kann man an diesem Programm so gut darstellen, was hier vor sich geht. Darüber sagt der als Richter tätige Helmut Ostermeyer, einer unserer Kandidaten für das Europäische Parlament:
    Das Industriesystem geht an seiner Überproduktion zugrunde. Die Kernkrafttechnologie ist der letzte verzweifelte Ausweg des systemimmanenten Wachstumszwangs. Sie ist die letzte Wachstums- und Exportbranche. Die Deutschen sind vom Großmachttraum umgestiegen auf den Nimbus der führenden Industrienation. Am Größenwahn hat sich dabei nichts geändert und auch nichts an der Gleichgültigkeit gegen den



    Dr. Gruhl
    Untergang. Mit dem Großmachttraum haben die Deutschen in zwei Weltkriegen die Hälfte ihres Landes verspielt.
    — Das war auch Gegenstand der heutigen Debatte. —
    Mit dem Industriewahn schicken sie sich an, die
    verbliebene Hälfte unbewohnbar zu machen.
    Durch den Verkauf von Atomkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen werden auch Atombombenproduktionen in vielen Ländern möglich,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : In Deutschland nicht!)

    so z. B. Brasilien. Die Unsicherheit in aller Welt erhöht sich, wie der amerikanische Präsident Carter längst erkannt hat. Wir müssen uns auch gegen die Eskalation der atomaren Waffen wenden, weil auch diese unsere Zukunft bedroht. Dies ist keine geeignete Entwicklungshilfe.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Der Bundeskanzler hat heute morgen mit Befriedigung festgestellt: Wir haben Freunde in der ganzen Welt gewonnen. Die Freundschaft mit unseren östlichen Nachbarn scheint aber, wie man fast täglich wieder hört, nicht sehr groß zu sein. Überhaupt ist dieser Punkt in dem Bericht zur Lage der Nation zu kurz gekommen. Ich habe aber nicht so viel Redezeit, daß es mir möglich wäre, darauf einzugehen.
    Ich glaube auch nicht, daß wir in den Entwicklungsländern neue Freunde gewonnen haben, wenn ich die Politik betrachte, die gerade der Bundeskanzler gegenüber diesen Ländern verfolgt. Das beweist die gegenwärtige fünfte UNCTAD-Konferenz in Manila. Obwohl die Bundesrepublik Deutschland eines der reichsten Länder der Erde ist, sieht sie sich zu einer Entwicklungshilfe von nur 0,3 % des Bruttosozialprodukts veranlaßt, also dem dreihundertsten Teil. Das bedeutet, daß auch von jeder Steigerung des Bruttosozialprodukts bisher nur ein Dreihundertstel für die Entwicklungshilfe abgezweigt wurde, während wir 299 Teile für uns beanspruchen. Damit begründet man dann auch noch die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Wachstums bei uns, um den betreffenden Völkern angeblich helfen zu können.
    Diese Politik wird zu neuen Spannungen führen, ja, in Zukunft vielleicht sogar verheerende Folgen haben. Denn das sind einmal die Partner, die wir immer brauchen werden, auch für unsere künftige Wirtschaft und Industrie, selbst dann, wenn sie nicht weiter steigert.
    Einen Fortschritt in menschlichen Bahnen wollen auch die Bürgerinitiativen, die ökologisch Denkenden in unserem Land. Das wollen wir auch in einer neuen politischen Partei. Wir stehen nicht rechts und nicht links, sondern vorn, dort, wo unweigerlich unsere Zukunft liegt, deren Probleme wir heute erkennen und anpacken müssen. Leider ist hier heute wieder viel Vergangenheitsbewältigung betrieben worden, ohne daß man auch darin einen Schritt weitergekommen ist. Wir müssen uns in viel stärkerem Maße mit der Zukunft befassen, und zwar längerfristig.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und der FDP)