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ID0815402500

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    Plenarprotokoll 8/154 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 154. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Inhalt: Begrüßung der Präsidentin des Senats von Kanada, Frau Renaude Lapointe . . . . 12266 B Bericht zur Lage der Nation Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . . 12253 A Dr. Kohl CDU/CSU . . . . . . . . . 12266 C Mattick SPD . . . . . . . . . . 12279 C Hoppe FDP 12285 A Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . . 12289 B Friedrich (Würzburg) SPD . . . . . . 12296 C Dr. Wendig FDP 12301 C Franke, Bundesminister BMB . . . . . 12306 A Dr. Barzel CDU/CSU . . . . . . . . 12309 D Dr. Ehmke SPD 12315 D Dr. Abelein CDU/CSU 12322 D Ludewig FDP 12327 C Dr. Gruhl fraktionslos 12329 A Dr. Czaja CDU/CSU 12331 C Hofmann (Kronach) SPD . . . . . . 12335 C Graf Huyn CDU/CSU 12337 C Schulze (Berlin) SPD 12340 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . . 12342 B Büchler (Hof) SPD . . . . . . . . . 12343 C Erklärungen nach § 35 GO Jäger (Wangen) CDU/CSU 12344 D Dr. Ehmke SPD 12345 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Umsatzsteuergesetzes (UStG 1979) — Drucksache 8/1779 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2864 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/2827 — Kühbacher SPD . . . 12345 D, 12347 B, 12353 C Di . Meyer zu Bentrup CDU/CSU . 12346 B, 12347 B Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . . 12347 C Dr. Kreile CDU/CSU 12348 B Frau Funcke FDP 12 357 B Matthöfer, Bundesminister BMF 12360 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jenninger, Dr. Jobst, Röhner, Dr. George, Dr. Friedmann, Schröder (Lüneburg), Carstens (Emstek), Dr. von Wartenberg, Sauter (Epfendorf), Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dregger, Kolb, Broll, Hanz, Spranger, Seiters, Glos, Susset, Dr. Waigel, Dr. Sprung, Dr. Warnke, Gerlach (Obernau), Dr. Miltner und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 8/2780 — 12361 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung — Drucksache 8/2782 — 12362 A Beratung der Sammelübersicht 45 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. März 1979 eingegangenen Petitionen — Drucksache 8/2786 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 46 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2826 — 12362 A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Steuerliche Behandlung der gemeinnützigen Sportvereine — Drucksache 8/2668 — Dr. Schäuble CDU/CSU 12362 C Schirmer SPD 12364 B Mischnick FDP 12365 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Friedmann, Niegel, Dr. Sprung, Dr. Stavenhagen, Damm, Biehle, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) und der Fraktion der CDU/CSU Bessere Bedingungen für den CB-Funk — Drucksache 8/2727 —Dr. Friedmann CDU/CSU . . . . . . 13368 C Wuttke SPD 13370 A Hoffie FDP 12371 B Beratung der Ubersicht 9 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/2800 — 12373 A Nächste Sitzung 12373 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . . 12375*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 12253 154. Sitzung Bonn, den 17. Mai 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams *** 17. 5. Dr. van Aerssen *** 18.5. Dr. Ahrens ** 17. 5. Dr. Aigner *** 18. 5. Alber *** 18. 5. Dr. Bangemann *** 17. 5. Frau Benedix 18. 5. Dr. von Bismarck 18. 5. Dr. Böhme (Freiburg) 18.5. Frau von Bothmer ** 17. 5. Büchner (Speyer) * 18. 5. Dr. Dollinger 18. 5. Fellermaier *** 18. 5. Dr. Fuchs 18.5. Haberl 18. 5. Handlos * 18. 5. von Hassel 17. 5. Dr. Haussmann 18. 5. Frau Hürland 18. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete () entschuldigt bis einschließlich Katzer 18. 5. Dr. Klepsch *** 17. 5. Dr. h. c. Kiesinger 18. 5. Klinker 18.5. Kolb 13. 5. Frau Krone-Appuhn 17. 5. Lange** 13. 5. Lemp *** 18. 5. Dr. Lenz (Bergstraße) 17. 5. Lenzer *** 13.5. Lücker *** 18. 5. Müller (Bayreuth) 18. 5. Müller (Mülheim) *** 18. 5. Müller (Remscheid) 18. 5. Neumann (Bramsche) 17. 5. Offergeld 18.5. Rapp (Göppingen) 18. 5. Frau Dr. Riede (Oeffingen) 18. 5. Frau Schlei 18.5. Schreiber *** 18. 5. Dr. Schwörer'** 18. 5. Seefeld *** 18. 5. Dr. Starke (Franken) *** 18. 5. Frau Dr. Walz *** 17. 5. Wawrzik *** 18. 5. Weber (Heidelberg) 18. 5. Wohlrabe 18. 5. Würtz *** 17. 5. Zeitler 18. 5.
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    Rede von Dr. Friedrich Zimmermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident, ich bedanke mich für diese Mitteilung; aber ich möchte die Frage stellen, warum auch die übrige Kabinettsbank leer ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Als einziger sowjetischer Satellitenstaat hat die DDR ein freiheitliches, nationales und weitaus größeres Gegenstück, nämlich die Bundesrepublik Deutschland. Von dieser Bundesrepublik Deutschland geht eine erhebliche Sogwirkung aus. Das Leitbild der Freiheit, die größere Bevölkerungszahl, die wirtschaftliche Stärke und nicht zuletzt die verwandtschaftlichen Bindungen machen den Sog aus. Überdies hat die Führung der DDR das Trauma des 17. Juni 1953 niemals überwunden. Damals wurde das Regime allein durch die sowjetischen Panzer an der Macht gehalten. Die roten Gardetruppen der Sowjetunion sind auch heute noch der wichtigste innenpolitische Machtpfeiler in der DDR, und deswegen sind auch die führenden Funktionäre der SED Moskaus treueste Bündnisgenossen. Sie müßten ohne die 22 sowjetischen Divisionen wirklich um ihre Positionen, um ihre Macht fürchten.
    Der häufigste Vorwurf von unserer Seite an die Führung der DDR, ihre Schikanen gegen die Menschen seien Ausdruck der Schwäche, ist sicher richtig. Nur gehört diese Schwäche zum System. Es wäre eine Illusion, zu glauben, daran lasse sich von uns aus etwas ändern. Ein Ausfluß der Schwäche ist der Ausbau der Demarkationslinie zu einem immer perfekteren System tötender Maschinen. Mit deutscher Perfektion ist hier ein System geschaffen worden, für dessen Anlagen die nationalsozialistischen Konzentrationslager Pate gestanden haben könnten. Die Zonengrenze und die Mauer sind Bauwerke kommunistischen Selbstverständnisses. Eine



    Dr. Zimmermann
    Regierung, die solche Mauern und Zäune, Minenfelder und Selbstschußanlagen braucht, .um die Bevölkerung an der Flucht zu hindern, kann keine Souveränität ausstrahlen. Wie sollte sie!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Trotz der beinahe totalen Abschottung gelingt jährlich noch Hunderten auf abenteuerliche Weise und unter Lebensgefahr die Flucht. Manche kommen zu Tode. Es sollte uns und vor allem denen, die im sozialistischen Dasein ein erstrebenswertes Ziel erblicken, zu denken geben, warum jährlich so viele dieser sozialistischen Gegenwart der DDR entfliehen wollen.
    Die Debatten der Vergangenheit über die Lage der Nation und die Diskussion über innerdeutsche Fragen überhaupt waren und sind von zweierlei geprägt: zum ersten von einer gewissen Frustation, über Dinge zu sprechen, deren grundsätzliche Änderung derzeit nicht in unserer Macht liegt, und zweitens von dem vielfältigen Bemühen, einen originellen Gedanken zu finden, den vorher noch niemand hatte und der den Eindruck von Bewegung vermittelt. Auch das ist menschlich und natürlich.
    Am beliebtesten ist die Forderung nach einer Anerkennung der Realitäten oder das Jonglieren mit neuen Formulierungen. Die Diskussion um „Wiedervereinigung" oder „Neuvereinigung" gehört hierher.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Aber gerade diese Formulierungen sind geeignet, neue Rivalitäten zu schaffen und die deutsche Position zu untergraben. Die jetzt aufgebrochene Diskussion um den Begriff Wiedervereinigung ist ein gutes Beispiel dafür, wie durch Worte Statusfragen verändert werden. Das Wort von der Wiedervereinigung ist als Begriff für ein ganzes Programm in den Sprachgebrauch eingegangen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU] : Jeder weiß, was gemeint ist!)

    In dem Wort Wiedervereinigung wird ausgedrückt, daß die deutsche Nation untrennbar ist, daß sie in der Vergangenheit zusammengehört hat und in Zukunft zusammengehören wird. Es umschreibt auch die Dynamik, die auf die Wiedervereinigung hinweist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Worte zur Waffe werden, meine Damen und Herren, dann ist dieses Programm der Wiedervereinigung eine Waffe, die auch in der Wortwahl nicht verändert werden darf, weil das mehr als die Änderung eines Begriffs ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Wortwahl, der Begriff zwingt die SED-Führung in die Defensive. Aber sie ist letztlich hilflos, weil mit der Formulierung Wiedervereinigung auch ein historischer Prozeß angesprochen ist.
    Es ist aufschlußreich, wenn in diesem Zusammenhang die Kollegen Brandt, Wehner und Borm von diesem Begriff abrücken und in der SPD neuerdings von dem „Schlagwort der Wiedervereinigung" gesprochen wird. Als Wortschöpfung wird die „Neuvereinigung" angeboten. Natürlich fehlt auch eine blauäugige Erklärung dazu nicht: Die deutsche Teilung dauere schon so lange, daß das Wort „Wieder" fehl am Platz sei; dagegen drücke das Wort „Neuvereinigung" die Offenheit für neue Modelle aus.
    Es geht jedoch nicht um Worte. Es geht um andere Politik, die hier dahintersteht. Im Gegensatz zum festen Begriff „Wiedervereinigung" sollen durch das Wort „Neuvereinigung" deutsche Rechtspositionen ausgehöhlt werden.
    Das Abrücken von der Wiedervereinigung ist ein Verstoß gegen das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes. Wer das tut, der klammert die bisher von allen Bundesregierungen offengehaltene Frage aus. Das ist nach dem Räumen deutscher Rechts- und Wertpositionen durch die Ostverträge ein erneuter Versuch, das Grundgesetz mindestens zu umgehen. Nicht grundlos wird im Zusammenhang mit dieser Prägung „Neuvereinigung" auch die einheitliche deutsche Staatsbürgerschaft in Frage gestellt.
    Die ganze Diskussion erinnert mich, Herr Kollege Barzel, an die Umbenennung des Gesamtdeutschen Ministeriums in ein Ministerium für innerdeutsche Fragen.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Damit fing die ganze Sache an!)

    Auch das war eine Aushöhlung der Zielprojektion, obwohl es damals anders interpretiert wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wären dankbar, wenn die Bundesregierung zu den Vorstößen der von mir genannten Koalitionspolitiker heute klipp und klar Stellung beziehen würde. Es reicht nicht, sich mit dem Hinweis auf Aussagen des Kollegen Kiesinger oder gar Konrad Adenauers aus der Affäre ziehen zu wollen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Kiesinger obendrein falsch zitiert!)

    — Und noch falsch zitiert! — Denn in dieser Zeit waren Regierung, Opposition und Bundesverfassungsgericht einig und hatten keinen Anlaß, die Politik der Bundesregierung kritisch unter die Lupe zu nehmen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Was hat sich also geändert, und durch wen?!)

    Auch Sie, Herr Kollege Wehner, haben in der Zeit der Großen Koalition am 5. April 1968 in Ihrer Amtszeit als Gesamtdeutscher Minister völlig anders als heute formuliert. Sie haben sich damals gegenüber dem damaligen Oppositionsführer Walter Scheel in ganz anderer Weise als gegenüber dem heutigen Bundespräsidenten eingelassen, zu dessen Ausführungen Sie eine sehr eigenwillige Interpretation gegeben haben. Sie haben damals zur Wiedervereinigung gesagt:
    Die Behörden oder die Parteispitzen der DDR werden den Lauf der Ströme nicht umkehren können, weder den der Elbe noch den des Geistes. Wir bleiben Angehörige des einen deutschen Volkes und bleiben in der Verpflich-



    Dr. Zimmermann
    tung, die Einheit unserer Nation mit friedlichen Mitteln zu erringen.
    Das Bundestagsprotokoll verzeichnet an dieser Stelle „Beifall bei allen Fraktionen".

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

    Das scheint mir heute nicht mehr so zu sein. Auch das ist beachtenswert.
    Bundespräsident Scheel hat 1978 zur 25. Wiederkehr des Volksaufstands in der DDR ein Bekenntnis zur einen deutschen Nation abgelegt. Ich zitiere einige Kernsätze. Er sagte:
    Unser Streben nach Einheit ist ein Streben nach Freiheit für das ganze deutsche Volk. Die Einheit ist ein in die Zukunft gerichtetes europäisches Friedensziel. Der Nationalstaat alter Prägung ist nicht das Ziel unseres Einheitsstrebens. Die Einheit Deutschlands wird das Ergebnis eines langen historischen Prozesses sein. Der friedliche Wunsch eines großen Volkes, in Einheit und Freiheit zusammenzuleben, ist eine große geschichtsbildende Macht.
    Diese Worte zu zitieren, Herr Wehner, haben Sie vergessen, als Sie den Bundespräsidenten in Ihre politischen Winkelzüge einzubeziehen suchten. Der Bundespräsident kann hier nicht als Kronzeuge herhalten,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr richtig! — Dr. Ehmke [SPD] : Zimmermann steht vor ihm!)

    auch nicht Kurt Georg Kiesinger, der am 17. Juni 1967 sagte, daß Europa nicht verzichten kann, eine seine politische Spaltung überwindende zukünftige Friedensordnung zu entwerfen, in welcher auch die deutsche Frage ihre gerechte Lösung finden kann. Und Franz Josef Strauß sagte. vor wenigen Wochen, am 25. April 1979:
    Ich glaube nicht an eine Wiedervereinigung im Sinne der Wiederherstellung des alten Deutschen Reiches. Das wiedervereinigte Deutschland muß eingebettet werden in eine Architektur der europäischen Einigung und kann nicht mit Gewalt hergestellt werden.
    Ich , glaube, dem braucht man nichts hinzuzufügen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So steht es auch im Deutschlandvertrag!)

    Als vor eineinhalb Jahren ein deutsches Nachrichtenmagazin ein Papier einer angeblichen Oppositionsgruppe in der SED veröffentlichte und die wütende Führung der DDR aus Rache das Ost-Berliner Büro dieses Nachrichtenmagazins schloß, war dies in der Bundesrepublik eine Sensation. Unabhängig davon, ob es dieses Papier wirklich gab oder ob es nur eine Zusammenfassung von Einzelaussagen war, eines wurde deutlich: Der Wiedervereinigungsgedanke lebt, und er lebt in der DDR notwendigerweise stärker als bei uns.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Das genannte Papier wurde in späteren Einzelaussagen vielfach bestätigt, und auch die panischen
    Reaktionen der DDR sprachen für seinen Wahrheitsgehalt.
    Die CSU hat die zum Teil widersprüchlichen Thesen aufgearbeitet und zur Klarstellung der Positionen ein eigenes deutschlandpolitisches Grundsatzpapier verabschiedet. Wir beschäftigen uns in einer Kernaussage mit dem Prozeß der Wiedervereinigung. Wir gehen davon aus, daß es einen historischen zwangsläufigen. Prozeß der Wiedervereinigung gibt und daß keine Politik der Welt diesen Prozeß aufhalten kann.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Die Politik hat lediglich die Möglichkeit, den Prozeß zu beschleunigen oder zu verlangsamen, und die jetzige Regierung tut das letztere.
    Auch nach marxistischer und leninistischer Lehre ist die Einheit der Nation historisch notwendig. Die These der DDR-Kommunisten von der Herausbildung zweier deutscher Nationen, einer bürgerlichen und einer sozialistischen, steht daher nicht einmal mit der eigenen Ideologie im Einklang, geschweige denn mit der Wirklichkeit. Interessanterweise haben sich die deutschen Kommunisten gegenüber diesem CSU-Papier merkwürdig zurückgehalten, obwohl sie sonst wegen jeder Äußerung ein großes Geschrei erheben. Der Grund ist in der ideologischen Schwäche der eigenen Position zu suchen.
    Eine Lösung der deutschen Frage ist, meine Damen und Herren, nur im Zusammenhang mit einer Veränderung der sowjetischen Haltung vorstellbar. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder die innenpolitischen Verhältnisse in der Sowjetunion ändern sich so, daß dies Auswirkungen auf das Machtimperium hat, oder die Sowjetunion gerät in eine Situation, in der die Einheit Deutschlands für sie wünschenswert ist. Beide Entwicklungen sind möglich.
    Es gibt allerdings auch Überlegungen in der Bundesrepublik, die von einem dritten Weg träumen. Es gibt Tendenzen, die meinen, die Wiedervereinigung sei über eine Neutralisierung der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Das ist ein gefährlicher Irrweg. Für Deutschland gibt es weder eine finnische noch eine österreichische Lösung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Mattick glaubte uns heute einen in der politischen Diskussion' in der Bundesrepublik Deutschland mehr und mehr gebrauchten Begriff, den der Finnlandisierung, vorhalten zu müssen und beklagte wortreich, beinahe tränenreich, wie fahrlässig, ja wie gemein wir mit diesem Begriff gegenüber der Republik Finnland umgingen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Wir haben uns hier darüber schon ganz klar ausgesprochen!)

    Nun, hier darf ich für Sie Professor Richard Löwenthal, Berater von Willy Brandt, Mitglied der SPD, aus einem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtenmagazin „Time" vom 30. Dezember 1974 wörtlich zitieren. Richard Löwenthal sagte:



    Dr. Zimmermann
    Ich denke, daß die Russen einen Kontinent nach dem Modell Finnlands wollen, und den würden sie gestalten, wenn die NATO auseinanderbrechen und die amerikanischen Truppen aus Europa abgezogen werden sollten.
    Wörtlich hieß es weiter:
    Ich glaube — sagt Richard Löwenthal — den Begriff „Finnlandisierung" geprägt zu haben, als 1966 in der Bukarester Konferenz des Warschauer Paktes erstmals die Auflösung der Militärblöcke vorgeschlagen wurde.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So wahr es!)

    Hier, Herr Mattick, haben Sie Ihren Urheber und Ihren Kronzeugen — alles in einem.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU]: Der redet kaum mit ihm!)

    Für Deutschland — ich wiederhole — gibt es weder eine , finnische noch eine österreichische Lösung.
    Auch hier hat Kurt Georg Kiesinger 1967 — dazu bedurfte es nicht der Worte in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers von heute — gesagt:
    Deutschland ist zu groß, um in der Balance der Kräfte keine Rolle zu spielen, und zu klein, um die Kräfte um sich herum selbst im Gleichgewicht zu halten. Eine Lösung ist für uns nur im europäischen Rahmen denkbar.
    Also, meine Damen und Herren und auch meine Herren von der Bundesregierung: In dieser Sache liegt das Erstgeburtsrecht in bezug auf das Abschwören von nationalstaatlichen, reichsstaatlichen Lösungen, für das Hinführen der Wiedervereinigung in den europäischen Gedanken bei uns und nicht bei Ihnen. Das sollten Sie endlich einmal zugeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Natürlich ist die deutsche Wiedervereinigung keine Frage des Heute oder Morgen. Sie ist eine langfristige Perspektive, die wir aber schon heute mit Entschiedenheit vertreten müssen, damit sie einmal Wirklichkeit wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Wiedervereinigung ist das Ende eines Prozesses, nicht sein Anfang. Das Ergebnis kann, ja wird vielleicht anders aussehen, als wir es uns heute überhaupt vorzustellen vermögen. Gerade weil die deutsche Wiedervereinigung ein historisch zwangsläufiger Prozeß ist, darf sie den demokratischen Kräften nicht aus der Hand gleiten. Es wäre eine verhängnisvolle Entwicklung, wenn die deutschen Demokraten die Identifikation mit der nationalen Idee aufgäben, weil das entstehende Vakuum geradezu eine Einladung an nationalistische Kräfte wäre, sich dieser Frage anzunehmen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Oder an kommunistische!)

    Der nationale Gedanke, Herr Kollege Mertes, ist
    auch in der kommunistischen Ideologie zu Hause.
    Die DDR-Führung würde sofort die nationale Führungsrolle übernehmen, wenn wir sie aufgäben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Drüben legt man großen Wert darauf, sich als Hüter deutscher Tradition darzustellen. Friedrich der Große, Bismarck, erst recht nicht Freiherr vom Stein, Scharnhorst, Gneisenau, keiner von denen ist in der DDR eine „Unperson". Durch eine Preisgabe des nationalen Gedankens durch den Westen erhielte die DDR-Führung die einmalige Chance, die im deutschen Volk zutiefst abgelehnte kommunistische Ideologie mit der nationalen Idee zu verbinden und damit erst hoffähig zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es würde der SED nicht die geringsten Schwierigkeiten machen, den alten Kurs der 50er Jahre wieder einzuschlagen — ganz im Gegenteil. Es wäre für sie eine Erleichterung, das theoretische Kunstgebilde von den zwei Nationen fallenlassen zu können, um hier die nationale Führungsposition zu übernehmen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So ist es!)

    Schon deshalb, meine Damen und Herren, wird die CDU/CSU den Gedanken der deutschen Wiedervereinigung lebendig halten. Er entspricht der Tradition der Union und steht im Einklang mit den historischen Notwendigkeiten.
    Das Grundgesetz ist in der Frage der deutschen Wiedervereinigung eindeutig und läßt keinen Raum für Absetzungsmanöver. Das ist gut so.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Als die Bundesregierung mit den Ostverträgen, mit dem Grundvertrag zu einem Kurswechsel ansetzte, hat das Bundesverfassungsgericht die Aussagen des Grundgesetzes noch einmal interpretiert. Das wäre nicht möglich gewesen ohne die Klage der bayerischen Staatsregierung und ohne die Initiative des Mannes, der heute bayerischer Ministerpräsident ist. Das möchte ich hier auch einmal sagen dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen — es tut mir leid, daß er nicht da ist — muß ich den Bundeskanzler jetzt ganz direkt ansprechen. Er hat nach einer dpa-Meldung — Nummer 318 vom 15. Mai — vor der SPD-Fraktion gesagt, wenn Franz Josef Strauß im Falle des Regierungswechsels Bundeskanzler würde, dann gäbe das schwere Spannungen im Ost-West-Verhältnis, und in der Deutschlandpolitik würde das die Rückführung in den Kalten Krieg bewirken.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Ein lächerlicher Angstmacher ist das!)

    Nun, in Finnland war es Moskau, das die Konservativen dort diffamiert hat, in Deutschland macht es der Regierungschef selbst. Das ist der Unterschied. Wenn er schon glaubt, als Pflichtübung und Hausaufgabe vor der SPD-Fraktion Entlastungsangriffe dieser Art starten zu müssen — so miserabler Art, weil er sonst bei den Linken in der eigenen Frak-



    Dr. Zimmermann
    tion gar keine Mehrheit mehr hat —, dann sollte er, der heute zu uns an das Pult kam, um sich über manche Entgleisung zu beschweren, wo er sagen wollte, daß er immer mit einer Zunge spricht, selber einmal von diesem Tisch aus sagen, daß diese Verdächtigungen infam, unhaltbar sind und daß er selbst es weiß, daß sie unhaltbar sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Man mag über diesen Franz Josef Strauß denken, wie man will, eines ist sicher: Auch in den zehn Jahren ohne Amt war er als Ratgeber weltweit gesucht. Niemand, der in die Bundesrepublik kam, hat versäumt, mit ihm zu reden. Ergebnisse, Ablauf und Erscheinungsbild des Breschnew-Strauß-Gespräches lassen mich sagen: Herr Bundeskanzler, da fällt jeder Vergleich mit ihrem Verhalten beschälend aus, für Sie beschämend.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bezüglich des Ost-West-Verhältnisses habe ich mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, dem Kollegen Jahn, neulich eine öffentlich ausgetragene Kontroverse gehabt. Es war am 20. April. Herr Kollege Jahn wollte micht in einen Gegensatz zu Franz Josef Strauß bringen — Wiedervereinigung und Europa —, und er hat bei dieser Gelegenheit — Kollege Mattick hat das heute bereits zitiert — Franz Josef Strauß geradezu als Muster eines konstruktiven Deutschlandpolitikers herausgestellt. Dies verträgt sich eigentlich schlecht mit jener miserablen Polemik.
    Wenn sich der Bundeskanzler heute über Polemik beklagte, dann muß ich sagen: Wie steht es eigentlich mit der Polemik um das Amt des Staatsoberhauptes und den Kandidaten, den die stärkste Fraktion der Bundesversammlung einstimmig präsentiert hat? Wo ist der Gegenkandidat? — wenn Sie hier schon die Frage stellen, wen wir für die Bundestagswahl 1980 nominieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Noch eines ist sonderbar, das gehört allerdings in den Bereich des Lächelns und der Ironie. Ein paar Wochen ist es her, da hat der Herr Bundeskanzler gesagt, der Vorsitzende der CSU sei sein Traumgegenkandidat. Nun hat ihn Herbert Wehner vielleicht in seiner berühmten Pressekonferenz eines besseren belehrt. Oder was ist der Grund überhaupt für das Umschwenken in dieser Frage? Hier ist also viel Widersprüchliches, hier ist viel Polemik.

    (Wehner [SPD]: Da haben Sie wenigstens was auszudeuten! Der Ehrenmann Zimmermann!)

    Eine miserable Wortwahl ist das vor der SPD-Fraktion gewesen. Der Bundeskanzler, der selber immer wieder einen so hohen Maßstab an die Wortwahl in diesem Hause anlegt, sollte sich davon heute und hier distanzieren.
    Das Bundesverfassungsgericht läßt keine Manipulationen an der einheitlichen deutschen Staatsbürgerschaft zu. Sonst kämen Politiker wie Herr Borm in die Versuchung, eine zweite Staatsbürgerschaft zu postulieren. Das ist nicht erlaubt. Ich hätte eigentlich erwartet, daß der Kollege Hoppe auch ein Wort zu William Borm gesagt hätte. Denn das ist schon wichtig, wie er sich hier eingelassen hat.
    Die Bundesregierung hat der DDR gegeben, was sich rückschauend nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes gerade noch als vereinbar mit dem Grundgesetz erwiesen hat. Jetzt hat sie nur mehr die Möglichkeit, ihre Finanzkraft einzusetzen. Es war der Fehler der Bundesregierung, die Beziehungen zur DDR auf jeder Ebene isoliert zu betrachten. Man muß sie als Ganzes sehen.
    Es ist kein Geheimnis, daß es in der DDR wirtschaftlich nicht gut geht, daß der DDR-Führung an finanzieller Hilfe, wirtschaftlicher Kooperation und an Forschungsförderung gelegen ist. Ihre immensen Spionagebemühungen gehen ja bekanntlich auch in diese Richtung.
    Wir sind an den menschlichen Beziehungen, am Austausch von Informationen interessiert, wie es KSZE und innerdeutsche Abmachungen vorschreiben. Beide sind durch das verletzt worden, was in den letzten Wochen geschehen ist. Die Bundesregierung hat nur mit sanften Mahnungen und Hoffnungen reagiert.
    Statt auf die DDR einzuwirken, haben Bundesregierung und Koalition ihre Angriffe auf die CDU/CSU-Fraktion gerichtet, die es gewagt hat, diese ständigen Vertragsverletzungen beim Namen zu nennen. Unsere Forderungen wurden mit der alten Leier beantwortet, erstens gäbe es keine Alternative zur Entspannung, und zweitens solle die Opposition sagen, was zu tun sei. Wer es ablehnt, über Gegenmaßnahmen auch nur nachzudenken, der provoziert die weiteren Vertragsverletzungen von selbst.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die CDU/CSU würde eine Politik der Bundesregierung unterstützen, die geeignet ist, die DDR-Führung zu einer Einhaltung der geschlossenen Verträge zu veranlassen. Zu einem Gespräch stehen wir jederzeit zur Verfügung. Wir sind nur noch nie zu einem Gespräch darüber gebeten worden.
    Ein weiterer Vorwand der Bundesregierung ist der Hinweis auf die Bevölkerung in der DDR, die man nicht mit Gegenmaßnahmen treffen wolle. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, Kontakt mit den Menschen in der DDR haben, dann werden Sie wissen, daß dort eine andere Meinung vorherrscht. Von den Millionen Markzahlungen an die DDR spürt der Bürger herzlich wenig.

    (Graf Huyn [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Höchstens sieht er, daß die Grenzbefestigungen noch perfekter geworden sind.
    Und es muß die Menschen in der DDR eigentlich seltsam berühren, wenn im Westen die neue Autobahn Berlin–Hamburg mit dem Hinweis auf eine nach Minuten zählende Fahrverkürzung begründet worden ist.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: So ist es!)




    Dr. Zimmermann
    Wie muß sich angesichts dieser Begründung jemand fühlen, für den stundenlanges Anstehen vor Geschäften zum täglichen Alltag gehört? Und wie fühlt sich jemand, der den Westen von Entspannung und Millionenzahlungen reden hört, dem aber der Intershop in Zukunft verwehrt ist?

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Also die Autobahn nicht bauen?!)

    Ich glaube, wir denken manchmal zuviel — so sagen die es drüben — an Vorteil und Bequemlichkeit. Hier schwingt in den Äußerungen der Bürger von drüben auch ein Maß an Verbitterung mit, das leicht zur Entfremdung führen kann. Die SED-Spitze tut ein übriges, der Bevölkerung zu suggerieren, sie sei vom Westen aufgegeben, um sie wenigstens auf diesem Weg zu einem Arrangieren mit dem Kommunismus zu bringen.
    Für uns, die CDU/CSU, bleibt es das Ziel deutscher Politik, über den Weg der Selbstbestimmung des deutschen Volkes die Einheit der Nation wiederherzustellen. Um diesem Ziel näher zu kommen, sind wir auch zu einer Zusammenarbeit mit der heutigen Führung der DDR bereit. Natürlich wissen wir, daß die Sowjetunion dabei eine beherrschende Rolle spielt. Wir werden keine Kompromisse eingehen, die der Erreichung dieses Ziels entgegenstehen. Mit der totalitären kommunistischen Ideologie kann es keinen Ausgleich geben. Kommunismus ist mit freiheitlicher Demokratie unvereinbar.
    Wenn ich zu Beginn feststelle, daß die deutsche Frage im europäischen Rahmen zu lösen ist, so ist das auch im Zusammenhang mit den ersten Direktwahlen zum Europaparlament zu sehen. Wir werden die ungelöste deutsche Frage dort zur Sprache bringen.
    Wir müssen unsere westeuropäischen Partner davon überzeugen, daß ein wiedervereinigtes Deutschland nicht eine Gefahr bedeutet, sondern im Gegenteil einen Spannungsherd beseitigt. Gerade bei Vertretern traditionsreicher Nationalstaaten habe ich stets Verständnis für diese Position gefunden. Für einen Franzosen oder Polen wäre die Teilung seines Landes ein unerträglicher Gedanke. Deutsche, die sich nicht zur nationalen Einheit bekennen, werden in diesen Ländern nicht mit Freude, sondern mit einer Mischung aus Mißtrauen und Verachtung behandelt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In diesem Zusammenhang sehe ich die europäische Direktwahl als eine Chance für uns an, unseren Nachbarn zu zeigen, daß wir es ernst meinen mit der europäischen Integration und daß wir gewillt sind, ein geeintes Deutschland als integrativen Bestandteil Europas zu verstehen. Das entspricht, wie ich meine, dem Willen des deutschen Volkes und den Zielen des Grundgesetzes.
    Herr Wehner, die CDU/CSU steht zu beidem!

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Ich stelle mir nur vor, wie Sie die Leute überzeugen: zack, zack!)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Friedrich.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Bruno Friedrich


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Zimmermann hat das hübsch genannt, als er mit einer gewissen Sozialnostalgie für Zechenherren begonnen hat. Kollege Zimmermann, ich wundere mich nur, warum im Ruhrgebiet dann die Arbeiter so stark sozialdemokratisch und Zentrum gewählt haben.
    Ich erinnere mich an einen Satz von Zille: Man kann einen Menschen mit einer Wohnung genauso erschlagen wie mit einer Axt. Ich halte es für gut, daß der Bundeskanzler heute im Bericht zur Lage der Nation gegenüber einem Volk, das große Aufbauleistungen hat erbringen müssen, darauf hingewiesen hat, daß wir heute in einer Situation sind, in der wir eben nicht nur an das Produktionswachstum, sondern auch an die Lebensqualität denken können, und das ist gut.
    Etwas mehr jonglieren mußten Sie schon, Kollege Zimmermann, als es um die Fragen ging, die Herr Stoiber mit Herrn Geißler besprochen hat. Ich würde ein Parteiensystem in einem Land, das die Weimarer Republik erlebt hat, das ein stabiles Parteiensystem ist, nicht ein „zementiertes Parteiensystem" nennen. Viele Länder Europas beneiden uns um die Stabilität unseres Parteiensystems.

    (Beifall bei der SPD)

    Leider haben Sie bei diesem Parteiensystem einige Veränderungen erreicht. In den 60er Jahren konnten wir — und zwar auf beiden Seiten des Hauses — davon ausgehen, daß große Parteien in den Positionen der Mitte austauschfähig sein müssen. Sie haben nach dem Regierungswechsel diesen Konsens der großen Volksparteien im annähernd vorhandenen Zweiparteiensystem nicht durchgehalten. Wenn Sie heute eine Strategie suchen, dann doch deshalb, weil Sie keine politische Antwort gefunden haben. Das ist Ihr Problem.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Herr Bundeskanzler hätte es ja heute morgen leicht gehabt, wenn er den Wirtschaftssprecher und früheren Generalsekretär der Union zitiert hätte. In der „Welt" vom 16. Januar schrieb dieser:
    Die wirtschaftliche Entwicklung im Inneren hat sich entspannt. Die Wirtschaft beginnt wieder zu investieren.
    In der Tat: Die „Süddeutsche Zeitung" berichtete am letzten Samstag, daß die Investitionen in der Maschinenbauindustrie im März 41 % höher lagen als vor einem Jahr.
    Dann sagt Herr Biedenkopf:
    Die Arbeitslosigkeit hat ihre singuläre Bedeutung als Bedrohung verloren. Die Rentenfinanzierung stabilisiert sich.
    Weiter sagt Herr Biedenkopf:
    Die europa- und außenpolitische Lage scheint
    relativ stabil. Im ostpolitischen Bereich sind in



    Friedrich (Würzburg)

    absehbarer Zeit keine nachhaltigen Irritationen zu erwarten.
    Er kommt schließlich zu dem Ergebnis: Die Bevölkerung selbst ist zufrieden. Er schreibt:
    Die Zufriedenheit der Bevölkerung mit ihren gegenwärtigen Lebensbedingungen spiegelt sich wider in der Bewertung der Bundesregierung und des Bundeskanzlers: Mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden und sehr zufrieden sind fast 60 % der Wahlbevölkerung.
    Wenn Sie den Konsens der Volkspartei durchgehalten hätten, dann wären Sie auch fähig, in Ihrer Politik von der Einschätzung unserer Lage durch die Bevölkerung auszugehen. Das ist Ihre Sache.
    Herr Kollege Kohl — der Herr Kollege Barzel ist leider nicht hier —, wenn man das in den letzten Tagen so verfolgt — der Herr Zimmermann spricht hier für einen, der Sie beerben möchte, weil Sie, wie die „Welt" heute schreibt, zu schade für eine neue Niederlage seien —, so muß man sagen, sicher wäre der Herr Kollege Barzel von Herrn Zimmermann und Herrn Strauß genauso behämmert worden, wie Sie behämmert worden sind, wenn er 1973 den Versuch durchgeführt hätte, über den Eintritt in die UNO eine Annäherung an die Außenpolitik der Bundesregierung zu erreichen. Das ist das, was Kurt Mattick heute morgen in einer sehr kühlen Rede angesprochen hat und was nach sechs Jahren dennoch nicht geschehen ist.
    Ich bin sehr froh, daß der Kollege Hoppe heute morgen einen Ansatz eingebracht hat, der uns wichtig erscheint, weil die Bundesrepublik nicht nach dem Schema einer schwarzweißgemalten Schablonenlandschaft beschrieben werden kann, wie Sie sie hier ausrollen.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU] : Da sind Sie doch gerade dabei Ich bin sehr froh, daß der Kollege Hoppe heute eine Realität der deutschen Nation angesprochen hat, die herüberund hinübergreift und ohne Zutun der politischen Parteien entstanden ist, nämlich eine deutsche Nationalliteratur, wie ich sagen möchte. Manchmal frage ich mich, warum wir als Bundestag einen so großen Bogen um die deutschen Realitäten schlagen, die die Schriftsteller beschreiben. Ein deutscher Journalist hat die DDR verlassen müssen. Er ist ZDF-Korrespondent. Wir sind alle empört. Diese Empörung ist uns allen gemeinsam. Wir protestieren ebenfalls alle und sicher auch berechtigt. Dann aber bricht diese Gemeinsamkeit ab, und wir kehren in die Kampfschablonen zurück. Wenn wir hier den Schriftsteller Stefan Heym und andere Namen nennen, dann hat man ja fast schon die Befürchtung, daß wir sie beinahe nur noch als Alibi gebrauchen, uns aber nicht mehr mit der Realität auseinandersetzen, die sie als deutsche Realität beschreiben. So ist die Romanfigur des Stefan Heym mit dem Namen Collin auch eine Herausforderung unserer eigenen Vorurteile. Dieser Collin ist ein Kommunist, der in seinem Leben als Kommunist die Menschlichkeit gesucht hat wie andere, die für ihre Idee von Menschlichkeit als Kommunisten gegen Franco und Hitler gekämpft haben und dann von Stalin und seinen Epigonen zerbrochen worden sind und die nun in einer Welt leben müssen, in der die Idee von der Menschlichkeit zur bloßen funktionalen Macht degeneriert. Das ist allerdings nicht nur in kommunistischen Staaten möglich. Stefan Heym beschreibt in seinem Buch, wie die Autorität des Systems zerbröselt, aber sich dennoch — und damit müssen wir uns auseinandersetzen — als Macht realisiert, und wie sich die Menschen in der DDR einrichten müssen, weil sie, 17 Millionen, nämlich nicht davonlaufen können. Freilich, wer dies allein nur aus „Collin", aus Heyms Buch herausliest, der kann sehr rasch das deutsche Elend als Ruhekissen bundesrepublikanischer Selbstgefälligkeit benutzen. Da gibt es Sätze bei Heym, der ja in der DDR bleiben will — wobei man sich auch fragen muß, warum —, die auch für uns in der Bundesrepublik gelten, die für tins wichtig sind, über die wir nachdenken müssen und an denen wir uns nicht vorbeimogeln können. Ich meine z. B. den Satz des deutschen Schriftstellers Stefan Heym, in dem er sagt: „Wozu deine Mühe ... , wenn die Söhne uns den Rücken kehren?" Wozu deine Mühe, wenn die Söhne uns den Rücken kehren! Wollen wir nicht vergessen, daß auch schon in der Bundesrepublik einmal, 1968, die Söhne dabei waren, uns den Rücken zu kehren. Ich denke an viele Debatten in diesem Hause, die von Unverständlichkeit gegenüber den jungen Menschen strotzten, die in einer kritischen Ratlosigkeit mit der deutschen Geschichte nicht fertig werden konnten. (Dr. Hennig [CDU/CSU] : Es hat sich nicht viel daran geändert!)

    — Daran hat sich in der Tat nichts geändert.
    Ich denke an einen anderen Satz von Stefan Heym: „Die Sünden der Väter waren nicht getilgt, und der biblische Fluch galt noch." Können wir van der Bundesrepublik aus der DDR und dem Schriftsteller Heym im Jahr von Holocaust zurufen, wir hätten die Sünden der Väter getilgt? Ich denke daran, mit welch kühler, nüchterner Machtpragmatik man die deutsch-polnischen Schulbuchvereinbarungen in einigen Bundesländern aus dem Schulunterricht systematisch herauszudrängen versucht.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Als wenn das damit etwas zu tun hätte! — Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Gott sei Dank, weil es Geschichtsfälschung ist! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich denke daran, was ein Mann wie Hans Mayer heute in der „Zeit" schreibt, wie dieses Land mit seinen Emigranten umgegangen ist. Ich denke daran, wie Frankreich mit de Gaulle umgegangen ist, weil er für das bessere Frankreich stand, wie Italien Nenni ehrt, weil er für das bessere Italien stand, aber wie ungeheuerlich durch die CDU/CSU von 1960 bis heute Emigranten wie Willy Brandt und



    Friedrich (Würzburg)

    Herbert Wehner, die das bessere Deutschland vertreten haben, bezichtigt und beleidigt werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Dies ist der Unterschied zwischen uns und Europa.