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    Plenarprotokoll 8/154 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 154. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Inhalt: Begrüßung der Präsidentin des Senats von Kanada, Frau Renaude Lapointe . . . . 12266 B Bericht zur Lage der Nation Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . . 12253 A Dr. Kohl CDU/CSU . . . . . . . . . 12266 C Mattick SPD . . . . . . . . . . 12279 C Hoppe FDP 12285 A Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . . 12289 B Friedrich (Würzburg) SPD . . . . . . 12296 C Dr. Wendig FDP 12301 C Franke, Bundesminister BMB . . . . . 12306 A Dr. Barzel CDU/CSU . . . . . . . . 12309 D Dr. Ehmke SPD 12315 D Dr. Abelein CDU/CSU 12322 D Ludewig FDP 12327 C Dr. Gruhl fraktionslos 12329 A Dr. Czaja CDU/CSU 12331 C Hofmann (Kronach) SPD . . . . . . 12335 C Graf Huyn CDU/CSU 12337 C Schulze (Berlin) SPD 12340 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . . 12342 B Büchler (Hof) SPD . . . . . . . . . 12343 C Erklärungen nach § 35 GO Jäger (Wangen) CDU/CSU 12344 D Dr. Ehmke SPD 12345 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Umsatzsteuergesetzes (UStG 1979) — Drucksache 8/1779 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2864 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/2827 — Kühbacher SPD . . . 12345 D, 12347 B, 12353 C Di . Meyer zu Bentrup CDU/CSU . 12346 B, 12347 B Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . . 12347 C Dr. Kreile CDU/CSU 12348 B Frau Funcke FDP 12 357 B Matthöfer, Bundesminister BMF 12360 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jenninger, Dr. Jobst, Röhner, Dr. George, Dr. Friedmann, Schröder (Lüneburg), Carstens (Emstek), Dr. von Wartenberg, Sauter (Epfendorf), Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dregger, Kolb, Broll, Hanz, Spranger, Seiters, Glos, Susset, Dr. Waigel, Dr. Sprung, Dr. Warnke, Gerlach (Obernau), Dr. Miltner und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 8/2780 — 12361 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung — Drucksache 8/2782 — 12362 A Beratung der Sammelübersicht 45 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. März 1979 eingegangenen Petitionen — Drucksache 8/2786 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 46 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2826 — 12362 A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Steuerliche Behandlung der gemeinnützigen Sportvereine — Drucksache 8/2668 — Dr. Schäuble CDU/CSU 12362 C Schirmer SPD 12364 B Mischnick FDP 12365 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Friedmann, Niegel, Dr. Sprung, Dr. Stavenhagen, Damm, Biehle, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) und der Fraktion der CDU/CSU Bessere Bedingungen für den CB-Funk — Drucksache 8/2727 —Dr. Friedmann CDU/CSU . . . . . . 13368 C Wuttke SPD 13370 A Hoffie FDP 12371 B Beratung der Ubersicht 9 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/2800 — 12373 A Nächste Sitzung 12373 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . . 12375*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 12253 154. Sitzung Bonn, den 17. Mai 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams *** 17. 5. Dr. van Aerssen *** 18.5. Dr. Ahrens ** 17. 5. Dr. Aigner *** 18. 5. Alber *** 18. 5. Dr. Bangemann *** 17. 5. Frau Benedix 18. 5. Dr. von Bismarck 18. 5. Dr. Böhme (Freiburg) 18.5. Frau von Bothmer ** 17. 5. Büchner (Speyer) * 18. 5. Dr. Dollinger 18. 5. Fellermaier *** 18. 5. Dr. Fuchs 18.5. Haberl 18. 5. Handlos * 18. 5. von Hassel 17. 5. Dr. Haussmann 18. 5. Frau Hürland 18. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete () entschuldigt bis einschließlich Katzer 18. 5. Dr. Klepsch *** 17. 5. Dr. h. c. Kiesinger 18. 5. Klinker 18.5. Kolb 13. 5. Frau Krone-Appuhn 17. 5. Lange** 13. 5. Lemp *** 18. 5. Dr. Lenz (Bergstraße) 17. 5. Lenzer *** 13.5. Lücker *** 18. 5. Müller (Bayreuth) 18. 5. Müller (Mülheim) *** 18. 5. Müller (Remscheid) 18. 5. Neumann (Bramsche) 17. 5. Offergeld 18.5. Rapp (Göppingen) 18. 5. Frau Dr. Riede (Oeffingen) 18. 5. Frau Schlei 18.5. Schreiber *** 18. 5. Dr. Schwörer'** 18. 5. Seefeld *** 18. 5. Dr. Starke (Franken) *** 18. 5. Frau Dr. Walz *** 17. 5. Wawrzik *** 18. 5. Weber (Heidelberg) 18. 5. Wohlrabe 18. 5. Würtz *** 17. 5. Zeitler 18. 5.
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    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Bundeskanzlers zur Lage der Nation war eine nüchterne, kritische und auch selbstkritische Gesamtschau der deutschen Situation. Der Bericht hat die notwendigen Orientierungsdaten für das Ringen um die richtigen Entscheidungen der in Deutschland anstehenden Tagesfragen geliefert. Wir danken deshalb für diesen Bericht, der keinen nationalen und internationalen Aspekt vernachlässigt hat. Er hat auch zutreffend gezeigt, wie eng unser Handlungsspielraum in den elementaren nationalen Fragen tatsächlich ist. Diese Erkenntnis, so will mir scheinen, möchte die Opposition einfach nicht akzeptieren. Meine Damen und Herren, aber Pathos hilft hier nicht weiter. Deshalb hat sich die Rede des Bundeskanzlers so wohltuend vom Auftritt des Oppositionsführers unterschieden.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU — Seiters [CDU/CSU] : Die Liberalen können Ihnen leider nicht Beifall klatschen!)

    Helmut Kohl gerät das Thema doch immer wieder zu einer dramatischen Polit-Arie. Dann, meine Damen und Herren, habe ich schon lieber eine Feierstunde! Die schwierigen Fragen der deutschen Politik verlangen gezügelte Emotionen und einen klaren Kopf.
    Nun ist in dem Disput zwischen dem Bundeskanzler und dem Oppostionsführer — jedenfalls Noch-Oppostitionsführer —

    (Seiters [CDU/CSU] : Jetzt kommt der erste von der FDP!)

    die Energiepolitik zu einem wichtigen Aspekt geworden. Ich darf zu dem Gebiet allerdings sagen, daß nach meiner Beurteilung bislang allein die Bundesregierung auf einem klaren Kurs geblieben ist, und das, wie mir scheint, in eindrucksvoller Geschlossenheit. Dagegen hat die Opposition zunächst forsch agiert. Jetzt schwenkt sie auf Besinnlich um. Nun will auch sie diese Politik mit dem Bürger und nicht gegen den Bürger durchsetzen.
    Ein Wort an Sie, Herr Kohl: Wenn Sie in diesem Zusammenhang wieder das Attribut „erbärmlich" benutzen, dann ist es in diesem Augenblick auf Sie selbst zurückgefallen.

    (Mattick [SPD] : Sehr wahr!)

    Denn Hans-Dietrich Genscher in dieser Frage ins Zwielicht ziehen zu wollen ist einfach mies. Seine Haltung war klar und hat keinen Anlaß zu Zweifeln geboten. Gerade die harte, aber demokratisch geführte Auseinandersetzung in der Freien Demokratischen Partei und in unserer Fraktion hat das, wie mir scheint, für jeden, der es sehen wollte, in eindrucksvoller Weise demonstriert. Und im Wahlkampf in Schleswig-Holstein konnte sich Hans-Dietrich Genscher wegen einer Erkrankung leider nicht zu Wort melden. Wir haben das bitter zu spüren bekommen, und Herr Stoltenberg hat es sicher als Erleichterung empfunden. Aber diesen Mann dann dafür zu schmähen, Herr Kohl, ist ein böser Mißgriff.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Und, meine Damen und Herren von der Opposition, Graf Lambsdorff brauchen Sie die Energie-Nische als politisches Betätigungsfeld wahrlich nicht zuzuweisen. Der läßt sich wie Sie genau wissen, bestimmt nicht einsperren und auch ganz bestimmt nicht den Mund verbieten.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Nicht einmal durch die Koalition!)

    Denn er ist nun einmal kein Schmalspurpolitiker. Er hat sich ja denn auch — und Sie, Herr Kohl, mußten das hier bestätigen — in Schleswig-Holstein für die Partei unmißverständlich zu Wort gemeldet.

    (Kittelmann [CDU/CSU] : Nicht für die Parteimehrheit!)

    Lassen Sie deshalb doch diese Anrempeleien!
    Energiepolitik wird uns Tag für Tag und Woche für Woche beschäftigen. Dieses Thema läßt uns nicht mehr los. Ich kann nur hoffen, daß wir diese Aufgabe mit Anstand bewältigen.
    Heute möchte ich meine Energien gern bevorzugt für die Auseinandersetzung mit den deutschlandpolitischen Problemen im engeren Sinn einsetzen. Die deutsche Frage ist, meine ich, in jüngster Zeit zunehmend aktuell, ja virulent geworden. Ich denke dabei nicht so sehr an die etwas zwirnsfädige Diskussion über das Wort Wiedervereinigung. Der praktische Nutzen dieser Diskussion ist gleich Null.
    Nein; weit, interessanter ist da schon zu sehen, wie dieses Thema von Künstlern, besonders Schriftstellern, in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland angepackt wird. Wo in den 50er und 60er Jahren eher ein Auseinanderdriften zu bemerken war — der Herr Bundeskanzler hat in seinem Bericht davon gesprochen —, damals besorgt als Erscheinung zweier deutscher Literaturen beschrieben, hat sich in den letzten Jahren eine geradezu sensationelle Umkehrung vollzogen. Oder ist diese Entscheidung vielleicht doch gar nicht so sensationell? Es gibt — um Professor Hans Maier zu zitieren — hier eine neue Konvergenz. Hier wie dort




    Hoppe
    wird das sensibilisierte Ich gepflegt, hat die Auseinandersetzung mit Dogmen und Ismen eingesetzt; das Individuum wird gegen das Kollektiv gestellt, und die subjektiven Empfindungen von der deutschen Gegenwart gewinnen allmählich politische Dimension.
    Niemand wird behaupten, daß solche Geistesströmungen nicht weiter wichtig zu nehmen wären. Sie sind es, wie mir scheint, sehr wohl, und sie sind um so wirkungsvoller, je stärker sie das Bewußtsein und das Gefühl der Deutschen in Ost und West ansprechen. Es ist ja kein Zufall, daß wir besonders in den letzten Jahren eine so allergische Abwehrreaktion der DDR-Führung gegen diese neuen Tendenzen erleben. Gerade in autoritären und totalitären Staaten wird rigoros jede Regung erstickt, die von den Herrschenden als bedrohlich empfunden wird. Insofern zieht sich ein roter Faden von Heine und Börne bis Havemann, Biermann und Bahro; und diese drei Letztgenannten stehen stellvertretend für viele, auch für viele Namenlose, in der DDR. Nun nenne ich noch Stefan Heym, der „des ewigen Rundlaufs um den heißen Brei müde" ist und offen -von dem „erstickenden Ring" redet, den die Vergangenheit der DDR um die Gegenwart spannt.
    Es reicht nicht, über solche mutigen Worte zu frohlocken. Was von den Literaten hierzulande zur deutschen Gegenwart angemerkt wird, muß uns genauso nachdenklich machen. Auch in diesem Teil Deutschlands dominiert nach dem Enthusiasmus der späten 60er Jahre nun der Zungenschlag der Resignation. Es wird viel von Ängsten geschrieben, von den Gefühlen der Beziehungslosigkeit und des Kommunikationsmangels; Irritation ist die Antwort auf die Folgen sogenannter technischer und wirtschaftlicher Zwänge.
    Diese vielfältig dargebotene Momentaufnahme eines Lebensgefühls geht uns Politiker doch wohl auch sehr an. Man muß fragen: Hat sich die Politik etwa zu weit entfernt von den alltäglichen Sorgen, Freuden und Fragen der Bürger, gerade von jenen der heranwachsenden Generation? Machen wir uns überhaupt noch richtig verständlich? Und vor allem: Sind wir wach und aufgeschlossen für allmählich aufkeimende Probleme in der Gesellschaft, für Neues, für Gärendes und auch für Bedrückendes?
    Hierfür ein Beispiel: Wie konnte es eigentlich zu dem „Klima der Ressentiments" kommen, von dem Max Frisch einmal gesprochen hat, und was haben wir — auch wir hier im Parlament — getan, um den Zustand zu überwinden, um diese Zustandsbeschreibung als falsch darzutun? Mir scheint, verteifelt wenig. Nicht auf Abbau von Ressentiments, sondern eher auf ihre weitere Verstärkung schienen häufig unsere Aktionen gerichtet. Immer weniger wird um das gesicherte Urteil gerungen; vielmehr bestimmen die grobklotzigen Vorurteile unsere Debatten. Die familienpolitische Aussprache am vergangene Donnerstag steht hier für eine große Zahl ähnlicher Fehlleistungen. Sie alle zeugen eher von der Absicht, Andersdenkende zu verteufeln, als von dem Bemühen, vernünftige Lösungen im Disput miteinander zu finden.
    Das gleiche gilt für die Auseinandersetzungen in der Deutschlandpolitik. In Wahrheit sind die Gegensätze gar nicht so abgrundtief, wie das laute Geschrei und die harten Vorwürfe vermuten lassen. Verlangen denn die eingeschliffenen Mechanismen wirklich danach, um so mehr zu schimpfen und zu verunglimpfen, je geringer die tatsächlichen Alternativen und Hand lungsspielräume in unserer Politik sind? Es wäre gut — gewiß nicht zu unserem Schaden, aber auch bestimmt nicht zum Schaden der Oppostion —, wenn die jüngste Äußerung ihres Parteifreundes Rommel zu Herzen genommen würde. Er kommt nämlich zu dem Schluß, daß der Bürger dieses übersteigerte parteipolitische Gegeneinander satt habe und daß um so mehr wieder liberale Positionen gefragt seien.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sie meinen Wehner?)

    — Halten wir uns also an Fakten und Sie sich, verehrter Herr Jäger, ganz eng an Herrn Rommel.
    Wir stellen fest: In den 50er und 60er Jahren wurde die Deutschlandpolitik von dem politischen Standpunkt des Alles-oder-Nichts bestimmt — mit dem Ergebnis, daß der Graben der Teilung tiefer und tiefer wurde. Ich will die Einzelheiten dieses Prozesses nicht nachzeichnen, aber jeder sollte sie in Erinnerung haben, wenn er vergleichen will — und er muß vergleichen, wenn er den jetzigen Zustand und Sinn und Erfolg der Politik werten will.
    Meine Damen und Herren, der Prozeß der Spaltung wurde damals von den Kommunisten in Ost-Berlin forciert. Wir hatten uns aus der Auseinandersetzung um die Zukunft der Nation fast abgemeldet. Das rufe ich besonders jenen in Erinnerung, die heutzutage so schnell mit dem Wort Gegenmaßnahmen zur Hand sind, wenn im deutsch-deutschen Verhältnis Störungen und Belastungen auftreten.
    Jedermann weiß, daß wir zu den Verstößen gegen die Verträge nicht schweigen. Wenn jetzt in Ost-Berlin auf dem Weg zu gutnachbarlichen Beziehungen eine Übungsstunde für Abgrenzungsartisten an der Eskaladierwand eingelegt werden soll, dann können dabei schnell jene Prinzipien über Bord gehen, die Erich Honecker für die Fortsetzung einer auf Ausgleich gerichteten Politik der Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten anläßlich der 10. Tagung des Zentralkomitees der SED noch einmal bekräftigt hat. Die DDR muß wissen, daß sie drauf und dran ist, sich um jeden Kredit zu bringen, .und ich meine das im ökonomischen wie im politischen Sinne.
    Wir werden der DDR-Führung weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene das erbärmliche Doppelspiel durchgehen lassen. Wie werden den Widerspruch anprangern, einerseits den westlichen Journalisten in Ost-Berlin die Arbeitsmöglichkeiten zu beschneiden und andererseits lauthals zu verkünden — so Honecker Ende April —: „Wir bauen die sozialistische Gesellschaftsordnung unter



    Hoppe
    weltoffenen Bedingungen auf". Meine Damen und Herren, im nachhinein wirkt dieser Ausspruch wie eine satirische Kommentierung der Ausweisung des ZDF-Korrespondenten Peter van Loyen — hat er doch die Kühnheit besessen, eine Probe auf die Weltoffenheit der DDR-Führung dadurch zu wagen, daß er Stefan Heym nicht den Mund zuhielt, als dieser ein Statement zu der versuchten Kriminalisierung von DDR-Schriftstellern über das Devisengesetz abgab.
    Die Reaktion der DDR-Regierung zeigt, wie sehr sie das freie Wort fürchtet. Aber sie kann es auch durch die Verletzung der Grundsätze und Vereinbarungen, wie sie in Helsinki und im Zusammenhang mit dem Grundlagenvertrag getroffen wurden, nicht niederdrücken. Sie provoziert vielmehr den Widerspruch im eigenen Staat und reduziert ihr Ansehen im internationalen Bereich.
    Meine Damen und Herren, aber auch die Sowjetführung wird der DDR mit einer eher peinlich wirkenden Parallelaktion gegen das ZDF-Team kaum erfolgreichen Flankenschutz geben können.
    Die DDR jedenfalls muß bei jedem ihrer Schritte die Rückwirkung auf den eigenen Staat bedenken, denn die Rahmenbedingungen für die Politik haben sich nun einmal auf eine ganz entscheidende Weise geändert. Unsere Politik der vertraglichen Regelungen hat ja nicht nur die millionenfachen Begegnungen der Menschen über die Grenzen hinweg möglich gemacht und somit Unschätzbares zum Zusammenhalt der Nation beigetragen. Unsere Politik hat auch Ost-Berlin dazu gezwungen, auf dem internationalen Parkett Farbe zu bekennen. Die Zeiten sind vorbei, da sich mit — unfreiwilliger Hilfe der Hallstein-Doktrin — die Herrschaftsverhältnisse in der DDR in einer Art „splendid Isolation" konsolidieren konnten, unangefochten von internationalen Bindungen und Verpflichtungen. Heute muß sich die DDR-Führung bisweilen in einer für sie schmerzhaften Konkurrenzsituation darstellen und damit auseinandersetzen.
    Vor den Vereinten Nationen sah sie sich genötigt, zu unserer festen Haltung zur deutschen Frage Position zu beziehen. Ich nehme an, Sie haben den Vorgang auf der letzten Generalversammlung alle beobachtet. Der Bundesaußenminister, Hans-Dietrich Genscher, wiederholte dort unsere politische Maxime, wonach wir auf einen Zustand des Friedens in Europa hinwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. DDR-Außenminister Oskar Fischer replizierte wie gewohnt, aber er wählte dabei eine Formulierung, die nicht nur wegen ihrer Lautmalerei aufhorchen ließ. Seine Antwort lautete:
    . Es bleibt das erklärte Ziel der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, auf einen Zustand in Europa hinzuwirken, in dem der Frieden auf der Grundlage der unumstößlichen Realitäten der Nachkriegsentwicklung dauerhaft gesichert, die friedliche Koexistenz Lebens- und Umgangsformen der Staaten unterschiedlicher sozialer Ordnung ist und das Volk der Deutschen Demokratischen Republik frei
    von äußerer Einmischung sein friedliches sozialistisches Aufbauwerk fortsetzen kann.
    Als sehr geglückt kann man diesen Versuch wahrlich nicht bezeichnen. Er drückt mehr die Unfähigkeit der DDR aus, mit der nationalen Frage fertig. zu werden.
    Die Flucht in die sozialistische Völkergemeinschaft war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aus der Geschichte und in der sich stündlich lebendig erweisenden Nation kann man sich nicht mit einem ideologischen Kündigungsgrund abmelden. Es ist die Wirklichkeit, die der DDR zu schaffen macht. Hans-Dietrich Genscher hat sie vor der UNO treffend beschrieben:
    Den Gang der Geschichte kann niemand aufhalten. Er bewegt sich in Richtung auf Einheit und nicht 'Trennung, auf Fortschritt und nicht Abgrenzung.
    Das gilt übrigens um so mehr, je stärker das Abgrenzungsbedürfnis der Verantwortlichen in der DDR vorherrscht. Es entwickelt sich nicht nur international zu einem Bumerang, sondern hält in der DDR selbst kritisches Bewußtsein wach, provoziert gegenläufige Tendenzen, und das nicht nur bei Schriftstellern.
    Richtig ist deshalb auch die Betrachtung, daß unsere Politik der vertraglichen Abmachungen die Gründe geliefert hat, die dort jetzt diese Wirkungen zeigen. Deshalb ist es ganz besonders töricht, in diesem Zusammenhang über angeblich einseitige Leistungen zu klagen. Haben diejenigen, die da über die zweifellos beträchtlichen Summen für den Ausbau der Verkehrsverbindungen oder über die Antriebsmittel für den innerdeutschen Handel zetern, immer noch nicht begriffen, daß es sich hier um gesamtdeutsche Investitionen handelt? Es ist, wie mir scheint, eine krause Logik, von der Einheit und von einer gemeinsamen Zukunft der Deutschen zu reden und sich gleichzeitig den Weg dorthin selbst zu verbauen. Denn nichts anderes würde es bedeuten, wenn wir aus einer temporären Verärgerung oder Enttäuschung heraus die Finanzierung gemeinsamer Projekte in Frage stellten.
    Noch deutlicher: Die Milliarden, die wir im Laufe der Jahre in deutsch-deutsche Maßnahmen stecken, sind ja vor unseren Bürgern, sind ja vor den Steuerzahlern der Bundesrepublik Deutschland nur deshalb zu verantworten, weil sie Bausteine für den Zusammenhalt der Nation sind und mithelfen, die Chance zur Überwindung des staatlichen Nebeneinanders aufrechtzuerhalten.
    Auch den Bürgern in der DDR wollen und sollten wir bestätigen, daß ihr Gefühl der Zusammengehörigkeit mit uns nicht nostalgisch, sondern zukunftsorientiert ist. Ihr Wunsch nach Wiedervereinigung — in welcher Form auch immer — ist gleichbedeutend mit dem Verlangen nach Freiheit. Dieses Verlangen ist im übrigen so dominierend, daß es dem Wunsch nach spezifischem Staatsbewußtsein sichtbar entgegenwirkt — nicht zuletzt deshalb, weil die dort propagierte sozialistische Alternative zum Westen in wesentlichen Teilen nichts anderes als ein verformtes Plagiat ist.



    Hoppe
    Die Abgrenzungsstrategen in der DDR und die ewigen Neinsager hierzulande müssen doch wohl mehr Gemeinsamkeiten haben, als ihnen eigentlich lieb sein kann. Wie sonst ist es zu erklären, daß der „Rheinische Merkur" vor kurzem auf die Idee verfallen konnte, beide in einer Anzeige mit Balkenüberschrift „Zur Lage der Nation" in ein Boot zu setzen? In dieser Anzeige, in der für die Abnahme der Zeitung geworben wurde, heißt es dann so:
    Beginnen wir links, dann sehen wir nichts Neues: die alten Posen, die alte Verkrampfung, das alte Sektierertum. Und rechts? Auch der deutsche Konservatismus ist der Langeweile und Verbissenheit verdächtig: ewig nörgelnd, ewig defensiv und so mitreißend wie die Debatte zweier Ohrensessel vor dem Kamin.
    Wer sich von diesem Text der Anzeige getroffen fühlt, tut gut daran, über Korrekturen an seinem Image nachzudenken.
    Meine Damen und Herren, gefragt sind Ideen. Nicht Formelbeschwörung hält die deutsche Frage offen, sondern Kreativität und prinzipienfestes Handeln. Und wenn es auch schon hundertmal gesagt wurde: Wir brauchen für diese Politik einen langen Atem. Das ferne Ziel der Einheit aber bleibt für uns eine Realität. Wir halten in unbeugsamer Entschlossenheit daran fest. Kein Realist — und der Realist muß zugleich auch Patriot sein — wird diese Aufgabe als unerreichbar vom Horizont seines politischen Bewußtseins wischen.
    Doch er wird zugleich bedenken, daß das Verlangen nach der Einheit der Nation noch immer Mißtrauen und Vorbehalte auslöst; nicht nur in Osteuropa, auch in den westlichen Partnerländern, dort zwar nicht regierungsamtlich, aber doch in der öffentlichen Meinung. Ist dieses Mißtrauen unüberwindbar? Bundespräsident Walter Scheel gab darauf am 17. Juni vergangenen Jahres eine überzeugende Antwort: „Wenn dieser Staat beharrlich der Freiheit nach innen und außen dient, wenn er seine geistigen, politischen und wirtschaftlichen Mittel einsetzt, nicht um zu herrschen, sondern um zu helfen, wenn er konsequent auf der Seite der Gerechtigkeit gegen die Ungerechtigkeit steht, dann wird sich auch die Angst vor einem vereinigten Deutschland verlieren. Dann könnte es sein, daß eines Tages unsere Nachbarn ein vereinigtes Deutschland wünschen, weil es auch in ihrem Interesse sein größeres Gewicht auf die Waagschale des Friedens legen könnte."
    Macht es viel Sinn, heute über Modelle nachzudenken, wie die Deutschen zusammenfinden, unter welcher Dachkonstruktion dies zu guter Letzt sein könnte? Ich meine nicht. Hilfreicher und für die Politik allein erfolgversprechend ist die Fortsetzung einer bewußtseinsbildenden, Fakten schaffenden Politik der kleinen Schritte. Nützlich ist dabei auch die Klarstellung, daß unser Wille, das politische Europa zustande zu bringen, nicht im Widerspruch zu unserem nationalen Anliegen steht, das heute nur im Rahmen einer europäischen Lösung richtig aufgehoben ist.
    Konkret heißt das erstens: Eine Politik in Richtung auf eine gemeinsame deutsche Zukunft läßt sich nur fortsetzen, wenn wir weiter in einem engen, vertrauensvollen Verhältnis mit unseren westlichen Partnern leben.
    Zweitens: Wir wissen um die Wechselwirkung von Westintegration und nationaler Frage. Die in den 50er Jahren hier und da aufgebaute Frontstellung ist überwunden. Es gilt jetzt, das scheinbar Widersprüchliche kongruent zu machen. Eine auf eine gesamteuropäische Politik angelegte Entwicklung und eine wachsende enge Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten lassen sich sehr wohl miteinander vereinbaren.
    Drittens: Eine Annäherung kann nur stattfinden, wenn in Ost und West die Bereitschaft besteht, diese Politik zu tolerieren. Das setzt voraus, daß das Klima zwischen den Machtblöcken weiter verbessert wird und in Osteuropa selbst eine qualitativ wesentliche Veränderung zu mehr Freizügigkeit und Selbstsicherheit eintritt.
    Diese Chance erhalten wir nur, wenn ein Rückfall in die Zeiten der Konfrontation vermieden wird. Niemand in Europa wird unter Spannungen zwischen den Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung mehr zu leiden haben als die Deutschen. Keine Nation sonst ist zur Wahrung ihrer Einheit so sehr auf strikt vernunftorientiertes Handeln angewiesen wie wir.
    Dabei werden wir stets Berlin im Blick haben; denn die Zukunft dieser Stadt ist wie bei keinem zweiten Ort sonst in der Welt abhängig vom weiteren Fortgang der Entspannungspolitik. Vieles ist in den letzten Jahren geschehen, um die Lebensgrundlagen Berlins sicherer zu machen. Vom Viermächteabkommen bis zu den jüngsten Verkehrsvereinbarungen wurde ein Geflecht praktischer Verbesserungen erstellt, das auch die subjektive Lebenserfahrung in der geteilten Stadt erfreulich beeinflußt hat. Die Krisen und Bedrohungen, die Berlin in den 50er und 60er Jahren immer wieder heimgesucht haben, liegen nicht mehr wie drohende Schatten auf dem Bewußtsein der Bürger. Nicht der Wechsel von Beklemmung und Aufatmen prägt heute das Leben in Berlin; der Lebensrhythmus ist ruhiger geworden, von mehr Vertrauen getragen als in den früheren Jahren.
    Die Berliner wissen um die Zusammenhänge zwischen ihren Möglichkeiten und dem Stand der Ost-West-Beziehungen. So gibt die jeweilige Lage Berlins denn auch treffsicher Aufschluß über die Lage der Nation. Berlin in seiner zwar stabilisierten, aber doch widernatürlichen Lage ist nicht nur ein Barometer der Entspannungspolitik, sondern bleibt ein Symbol der ungelösten deutschen Frage. Allein das Schicksal Berlins muß uns dazu anhalten, den Gang der Geschichte nicht einfach hinzunehmen, sondern im Geiste guter Nachbarschaft, Toleranz und gelebter Freiheit gestaltend einzugreifen. Es wäre gut, wenn wir im Deutschen Bundestag beim Ringen um den richtigen Weg diese Eigenschaften überzeugend verkörperten.



    Hoppe
    Meine Damen und Herren, die Lage der Nation
    ist insgesamt nicht komfortabler geworden, aber allen offenen Fragen und allen Störmanövern zum Trotz überschaubarer und kalkulierbarer als in den vergangenen Jahrzehnten. Wir haben auf schwierigem Gelände Schienen gelegt, auf denen der Zug der deutsch-deutschen Entwicklung in die richtige Richtung rollt. Es ist kein Schnellzug, und die Strecke kann immer wieder durch neue Hindernisse blockiert werden. Dies wird aber keine Umkehr erzwingen, sondern nur Vorübergehendes halten. Wir werden uns deshalb weder von Bremsern und Bremsklötzen drüben noch hier von einer Opposition irremachen lassen, die in der Deutschlandpolitik die Schlachten von gestern schlägt und deren programmatische Aussagen zwischen Beliebigkeit und Belanglosigkeit angesiedelt sind.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Unermüdlich werden wir uns für weitere praktische Fortschritte in Deutschland einsetzen. Diese Arbeit wollen wir in Frieden und zur Bewahrung des Friedens leisten. Ich greife jetzt das Wort des Bundeskanzlers auf, in dem er festgestellt hat: „Nur in einem politisch und vertraglich organisierten Frieden ist es möglich, daß Europa wirtschaftlich, kulturell und menschlich wieder zusammenwächst. Nur nach langem Frieden ist Einheit denkbar."

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, wir fahren um 14 Uhr mit der Beratung fort.
Ich unterbreche die Sitzung. (Unterbrechung von 13.13 bis 14.00 Uhr)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Schmitt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine
    Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Aussprache zu Punkt 2 der Tagesordnung, Bericht zur Lage der Nation, fort.
    Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zimmermann.