Rede:
ID0814507000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Herr: 1
    6. Abgeordnete: 1
    7. Dr.: 1
    8. Stark.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Christian Schwarz-Schilling


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung: Für einen Abgeordneten, der in dieser Legislaturperiode zum erstenmal diesem Hause angehört und im dritten Jahr hier ist, ist es ein Erlebnis, diesem heutigen Tag in diesem Hause beiwohnen zu können; denn bei allen scharfen Auseinandersetzungen, die wir ansonsten zwischen Fraktionen erleben, kommt hier etwas zum Durchbruch, was sonst oft als der „Konsens der Demokraten" gefeiert wird, nämlich der Respekt vor der Meinung des anderen, der diesmal nicht nur beschworen wird, sondern der bei Respektierung subjektiver Wertungen, Erfahrungen und Erkenntnisse durch gemeinsame Werthaltungen deutlich zum Ausdruck gebracht wird.
    -(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dafür möchte' ich mich bei allen Mitgliedern dieses Hauses bedanken.
    Gerade die letzten Redner haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß das, was in der nationalsozialistischen Zeit an Gewalttaten vorgekommen ist, eine Dimension hat, die über den früher bekannten Mordbegriff hinausgeht. Die geplante, bewußt gesteuerte, den Herrschaftsapparat des Staates miteinsetzende Gewalt zur Tötung von Menschen, denen das Menschsein abgesprochen wird und die dadurch in eine Behandlung geraten, die unterhalb der Tierebene liegt, das ist in seinem qualitativen und quantitativen Ausmaß ein historisch einmaliger Tiefpunkt unserer Geschichte, der gegenüber dem, was sich sonst in Jahrtausenden der Geschichte ab- gespielt hat, eine andere Dimension hat.
    Aus diesem Grunde ist auch die Frage nach der Antwort der Rechtsordnung auf diese Herausforderung mit Sicherheit eine andere, als sie der Normalfall des Mordes beinhaltet. Wenn man im vollen Besitz des Machtapparates des Staates in der Lage ist, kollektiv andere Gruppen zu töten, bewußt zu töten ohne jede individuelle Anklage, nur weil sie irgendwelchen rassischen oder politischen oder nationalen Gruppen angehören, dann erfordert das von der Rechtsordnung eine andere Antwort, als sie 1871 bei Schaffung des Strafgesetzbuches gegeben wurde. Diese Furchtbarkeit der Entmenschlichung, die sich im 20. Jahrhundert herausgestellt hat, konnte damals nicht gesehen werden. Aus diesem Grunde, so möchte ich ganz klar sagen, sollen wir auch gar nicht darum herumreden: Der Anlaß ist heute und hier die Frage der Verjährung der nationalsozialistischen. Verbrechen, die meiner Auffassung nach nicht stattfinden darf.
    Die Wertordnung und die Rechtsordnung dürfen sich im Laufe der Zeit nicht auseinanderentwickeln. Rechtsordnung ist nur solange für die Bevölkerung tragbar und verstehbar, als sie ein Spiegelbild sittlicher Normen und Werte ist. Wenn über zu lange Zeit kulturelle Ordnungsbereiche auseinanderfallen, dann wird die Frage an die Wertordnung gestellt, wieso die Rechtsordnung nicht in entsprechender Weise reagieren kann. Professor Mikat hat in einem anderen Zusammenhang einmal davon gesprochen, „die Rechtsordnung habe einen zeichenhaften Charakter" . Wir sind uns sicherlich darüber im klaren, daß wir hier keinen Gottesstaat im Sinne von Augustinus herstellen können, daß wir uns aber jeden Tag neu bemühen müssen, die Gerechtigkeit auf dieser Welt anzustreben, uhd daß aus diesem Grunde, wenn neue Tatbestände in so massiver Weise eintreten, auch die Rechtsordnung eine entsprechende Antwort finden muß.
    Nun wird gesagt, daß der Rechtsfriede gestört wird, wenn wir die Verjährung für Mord anders beurteilen als bisher. Ich möchte zunächst eins ganz klar sagen: Wenn von den bis 1977 über 84 000 Verdächtigen nur etwa 6 400, also 7,6 %, verurteilt worden sind, und wenn diese Quote heute unter 1 % liegt, dann ist das überhaupt kein Beweismittel dafür, daß damit das Recht, die Rechtssicherheit oder der Rechtsfriede gestört wird. Die Frage ist ja: Wie sähe dieser Rechtsfriede aus, wenn es nicht zu diesen Anstrengungen gekommen wäre? Ganz im Gegenteil, möchte ich sagen, ist der Rechtsstaat hier gerade zu bewundern, daß er bei dieser ungeheuren Schwere der Aufgabe an seinem Prinzip, nämlich „in dubio pro reo" = im Zweifel für den Angeklagten —, eisern festgehalten hat. Er hat sich auch nicht irgendwelchen emotionalen Einflüssen vom Aus-



    Dr. Schwarz-Schilling
    land oder Inland gebeugt, in dem Sinne, daß eine höhere Verurteilungsquote herauskommen sollte. Nein, er muß natürlich individuell, nach den Umständen, gemäß der individuellen Erforschung der Schuld und des Tatbestandes handeln; sonst wäre er kein Rechtsstaat.
    Insofern möchte ich hier das, was Kollege Lenz heute morgen gesagt hat, doch etwas korrigieren. Wenn Freisler die Abschaffung der Verjährung feierte, dann ist das noch kein Grund für oder gegen die Verjährung.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Denn, wie schon Professor Mikat gesagt hat, die Verjährung oder Nicht-Verjährung folgt nicht zwingend aus dem Prinzip des Rechtsstaates. Das Entscheidende ist, was Herr Freisler zur Begründung und als Handlungsmaxime des Staates zur Verjährung gesagt hat: „Der Gedanke, der Verlust der Beweismittel dränge zur Einführung der Verjährung, ist meines Erachtens abwegig. Sind dem Täter die Beweismittel verlorengegangen, durch die er sein Alibi nachweisen könnte, dann muß ich davon ausgehen, daß er der Täter ist, und dann ist er dafür verantwortlich, daß sein Alibi verlorengegangen ist." — Das ist der Unrechtsstaat der Menschenverachtung und Verhöhnung der einzelnen Person, der dem Nationalsozialismus zugrunde lag! Das hat mit Verjährung oder Nicht-Verjährung überhaupt nichts zu tun.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Ganz abgesehen davon — das hat der Justizminister hier gesagt —, was für neue Unsicherheiten im Rechtsfrieden entstehen, wenn dann diejenigen Prozesse weitergeführt werden, die auf Grund der Aussetzung der Verjährung auch in den nächsten Jahrzehnten weiterlaufen werden, währenddessen Mörder, die erst später, nach 1979, erkannt werden, weiter frei herumlaufen. Ich kann das nicht als einen Beitrag zum Rechtsfrieden oder zur Rechtssicherheit sehen.
    Es wurde dann auf die Konvention der Vereinten Nationen hingewiesen. Die Bundesrepublik ist ihr 1954 beigetreten. Im Strafgesetzbuch haben wir im Jahre 1969 eine entsprechende Schlußfolgerung für die Zukunft gezogen, nicht jedoch betreffend die Vergangenheit. Berufungen auf Thomas Dehler, daß wir eine Rückwirkung auf die Nazi-Verbrechen rechtlich in diesem Punkt nicht einwandfrei durchführen können, sind nicht mehr korrekt; denn er ist ja von einer anderen Verfassungslage ausgegangen. Das Verfassungsgericht hat ja am 26. Februar 1969 klar den Weg gewiesen, wie man, ohne das Grundgesetz zu verletzen, diese Frage lösen kann. Ich darf hier zitieren: „Die Aufhebung noch nicht abgelaufener Verjährungsfristen bei Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen den Gleichheitsgrundsatz." — Thomas Dehler ist hier in seiner Rede von einer anderen Voraussetzung ausgegangen.

    (Kleinert [FDP]: Das waren mehrere!)

    — Ich war ja nicht dabei. Ich spreche nur davon, weil diese Rede als eines der Beweismittel zitiert worden ist.
    Es sollte kein Sondergesetz gemacht werden. Ich glaube, das ist ein guter Satz unserer Rechtstradition. Wenn die Verfasser des Strafgesetzbuches von 1871 jedoch gewußt hätten, wie die gesamte Entwicklung unserer Geschichte weiterlaufen würde, hätte man sich wahrscheinlich anders entschieden. Mord ist heute ein Delikt, dessen Zahl laufend gestiegen ist. Die Versuchung scheint um so größer, je freier Gesellschaften organisiert sind. Ich glaube, daß man damals in zu starkem Maße an den moralischen Fortschritt der Menschheit geglaubt hat. Man meinte, daß die Menschen nach einer bestimmten Zeit eines freien Rechtsstaats immer besser würden. Tatsächlich ist eine völlig andere Entwicklung eingetreten, als man damals im 19. Jahrhundert vorhergesehen hat. Das gilt seit der Aufklärung, als man meinte, Menschen seien rationale Wesen, die das Leben durch zunehmende Erkenntnis immer besser gestalten könnten. Von dieser Warte her gesehen, aber auch unter dem Gesichtspunkt, daß in einem Rechtsstaat, wenn es um die Strafzumessung geht, nur die einzelne Person und nicht irgendeine Gruppe kollektiv zur Verantwortung gezogen werden kann, ist das Problem eben doch wieder auf den Kern zurückzuführen: Mord des einzelnen, d. h. Mord als Verbrechen schlechthin.
    Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß die allgemeine Mordverjährung heute zwar nicht akut zu unserer Aussprache geführt hat — wir hätten dieses Problem auch gestern lösen können, und wir könnten es auch im Jahre 1980 oder 1981 lösen —; aber hinsichtlich der Verjährung der Nazi-Verbrechen geht es tatsächlich akut um die rechtsstaatlich einwandfreie Problemlösung, wobei wir eine Lösung finden müssen, die im Gesamtkontext unserer Rechtsordnung steht. Und auf Grund der Entwicklung halte ich es eben für einen Irrtum — insoweit muß ich Herrn Kollegen Gradl voll zustimmen —, wenn gesagt wird, daß die Frage des Mordes um so geringer zu veranschlagen ist, je weiter entwickelt, je freier die Gesellschaft ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Im Gegenteil: Ich glaube, das diese Frage in Zukunft in dieser Welt ganz allgemein von einer Dimension sein wird, die andere Staaten sehr, sehr schnell veranlassen wird, auf das Problem zurückzukommen, das wir heute erörtern.
    Lassen Sie mich aber noch einen weiteren Punkt anschneiden. Im Zusammenhang mit der Tatbestandserfassung des Völkermords hat Professor Maihofer, wie ich finde, sehr interessante und auch überzeugende Ausführungen gemacht. Über die Entstehung der Deklaration der UNO ist schon gesprochen worden. Im Entwurf ist sie ja viel weitergehender gewesen. Er sprach nämlich nicht nur von „religiösen", „rassischen" oder „nationalen" Gruppen, sondern auch von „politischen" Gruppen, die jedoch auf Grund der Intervention der Sowjetunion wieder gestrichen worden sind. Die Abgrenzungsschwierigkeiten sind hier sehr, sehr groß.



    Dr. Schwarz-Schilling
    Ich möchte sagen: Selbst wenn in die Deklaration der UNO „politische" Gruppen aufgenommen würden, hielte ich das für nicht ausreichend, um das abzudecken, was heute jeden Tag geschieht. Ich spreche jetzt nicht von der Sowjetunion, von China, von dem, was dort in den letzten Jahrzehnten millionenfach an Morden geschehen ist. Wie wollen Sie mit dieser Deklaration z. B. die Vorgänge in Kambodscha erfassen, wo eine ganze kulturtragende Schicht liquidiert und ausgerottet wurde, und zwar vor dem Hintergrund der ideologisch fixen Idee, man könne dann eine „neue Gesellschaft" aufbauen? Eben das haben die dortigen Kommunisten auf Grund einer Wahnidee, die wiederum ganz allgemein auf kommunistisches Ideengut zurückgeht, praktiziert. Man sollte ja geglaubt haben, so etwas könne in Zukunft gar nicht mehr geschehen!
    Was in Kambodscha geschehen ist und noch geschieht, genauso in afrikanischen Staaten, wird von dieser Deklaration überhaupt nicht erfaßt. Es handelt sich um keine „religiöse" Gruppe, um keine „nationale" Gruppe, um keine „rassische" Gruppe, sondern um eine kulturtragende Schicht. Ebenso fanden sich am Anfang des Vietnamkrieges in bestimmten Dörfern der Lehrer und der Bürgermeister am nächsten Morgen am Baume erhängt wieder. Das wurde systematisch gemacht, um eine bestimmte Schicht zu verunsichern und eine entsprechende Wirkung politischer Art zu erzielen. Es war nicht dieser Lehrer und dieser Bürgermeister , sondern es waren d i e Lehrer des Dorfes und d i e Bürgermeister, die erhängt wurden. In dieser Frage wird die Deklaration in keiner Weise ausreichend sein, um diese unmenschlichen brutalen Verbrechen zu erfassen.
    Ich sage deswegen: Die Liquidierung von Klassen — wir wollen auch das einmal sagen; ich beziehe das jetzt nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Zukunft — steht auf Programmen politischer Kräfte auf dieser Welt. Wenn das der Fall ist, dann sage ich: Das ist über diese Konvention nicht abdeckbar, weil sie schon damals auf Intervention der Sowjetunion eingeschränkt wurde. Selbst wenn der Begriff „politische Gruppe" enthalten wäre, wäre eine bestimmte Kulturschicht davon gar nicht erfaßt, weil sie gar nicht „politisch" handelt. Denn die Ermordeten waren nur normale Bürger in einer bestimmten Schicht — manche mögen auch „Elite" oder etwas anderes dazu sagen — einer Kultur, die sie getragen haben und die sie verkörpert haben.
    Wahnsinnstaten, die ideologisch begründet sind, sind so vielfältig, daß man sie gar nicht speziell unter „Völkermord" definieren kann. Aber das führt im letzten wieder auf die einzig klare Tatbestandserfassung, nämlich des Mordes schlechthin. Aus diesem Grunde ist heufite die rechtsstaatliche und moralische Antwort, den Mord nicht verjähren zu lassen.
    Lassen Sie mich zum Schluß in fünf Punkten meine Auffassung klarstellen.
    Erstens. Für unsere moralische Wertordnung ist die Verjährung von Naziverbrechen unerträglich. Das mag jeder mehr oder weniger aus eigener Erfahrung, aus eigenem Erleben oder aus eigenem
    Denken wissen. Der bewußt organisierten, ideologisch bestimmten Tötung liegt ein unmenschliches Menschenbild zugrunde. Das ist eine Frage, die gerade für uns in Europa, die wir uns bemüht haben, ein anderes Menschenbild zu entfalten, zur größten Tragödie geworden ist.
    Zweitens. Das philosophische und . religiöse Gegenbild gegen diese Unmenschlichkeit ist die unantastbare Würde des Menschen in der Einzelperson. Deswegen ist es eben keine Unehrlichkeit, wie in manchen Zeitungen steht, wenn im Zusammenhang mit dem Nazi-Mord auch der Mord schlechthin diskutiert wird; denn die Antwort auf alle ideologisch-kollektiv verübten Taten gegen irgendwelche Gruppen — gar nicht gegen Individuen — ist die Würde des einzelnen Menschen, die in allen Dingen zú beachten ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Aus diesem Grunde ist der Ansatzpunkt für unsere Rechtsordnung die Frage des Mordes schlechthin; und daher eben auch keine Verjährung für den Mord. Das ist der richtige Weg und meines Erachtens die notwendige Korrektur der Rechtsordnung, wenn sie nicht mit unserer moralischen Wertordnung auseinanderfallen will.
    Drittens. Die Verpflichtung des Rechtsstaates ist es nunmehr, die individuelle Strafzumessung nach dem Grundsatz „in dubio pro reo" vorzunehmen. Da müssen wir eben ertragen, daß wir nur noch weniger als 1 % Verurteilungen haben. Meine Damen und Herren, wie wenig bedeutet dieses Ertragen, gegenüber dem, was die Opfer ertragen haben! Wollen wir doch bitte nicht die Wertmaßstäbe verlieren.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Wir werden daran erinnert, was Furchtbares passiert ist und wie unzulänglich menschliches Tun, auch menschliches Richten ist. Jetzt trifft es eben einmal die Justiz, das zu ertragen. Zu anderen Zeiten gibt es andere Berufsgruppen, die anderes ertragen müssen. Ich meine also: Für unser Recht, unseren Staat und unsere Freiheit müssen wir das ertragen können. Wir dürfen keinem Druck in irgendeiner Weise weichen, auch wenn er vom Ausland kommt, etwa in dem Sinne: Warum gibt es nur so wenig Verurteilte? Da müssen wir den Rechtsstaat verteidigen, mit allen Konsequenzen, die damit verbunden sind.
    Viertens. Der Tatbestand des Völkermords ist nach der hiesigen Definition zu unscharf und meines Erachtens auch nicht ausreichend, um das zu erfassen, was heute in anderen Teilen der Welt geschieht. Ich möchte etwas sehr Schlimmes sagen: Ich glaube, daß der Gesetzgeber gar nicht genug Phantasie hat, um sich das Böse in den verschiedenen Menschen so vorstellen zu können, daß er es durch eine Definition erfassen könnte. Der einzige Orientierungspunkt ist der Mord selbst. Wenn Sie hier anfangen zu definieren „bei einer solchen Gruppe so, bei der anderen so", dann glaube ich,



    Dr. Schwarz-Schilling
    daß bestimmte Tatbestände einfach durch das Netz fallen. Aus diesem Grunde gibt es nur den individuellen Ansatz des Mordes.
    Fünftens : die Glaubwürdigkeit. Meine Damen und Herren, Versöhnung ist ein individueller Gesinnungsakt. Den Christen steht dieser Akt gut an. Aber es gibt die gesellschaftliche Gerechtigkeit, die der Staat herstellen muß. Das ist der Verantwortungsakt der Gemeinschaft durch eine entsprechende Rechtsordnung. Versöhnung kann nur der einzelne aussprechen. Das ist keine Frage des Rechtsschemas, das ist keine Frage von Jahren oder eines Datums. Man kann nicht sagen: nach 30 Jahren bin ich versöhnt. Das kann auch •schon nach Tagen sein, selbst wenn mir der Täter gegenübersteht. Das ist keine Frage eines Datums.
    Die Verantwortung für die Herstellung von Gerechtigkeit ist um so größer, je kollektiver geplant Ungerechtigkeit in der Weise hergestellt werden kann, wie das in der Nazi-Zeit geschehen ist. Aus diesem Grunde muß die Anforderung, die wir an unsere Rechtsordnung stellen, um so größer sein. Deswegen kann Mord in unserer Zeit nicht mehr so behandelt werden, daß er verjährt.
    Es ist jedoch nicht nur die Vergangenheitsbewältigung, die hier mit zur Debatte steht. Wenn wir heute die Frage der Menschenrechte sehen, dann ist das nicht eine Frage der Opportunität. Wir Deutschen können uns in Gegenwart und Zukunft nur dann überall unteilbar für Menschenrechte einsetzen, wenn wir für unsere eigene Vergangenheit bis zu dem bitteren Ende, das wir heute gerichtlich durchführen müssen, und für unsere Geschichte einstehen. Dann darf es dort auch keine Selektionen in der Art geben, daß ich die Verletzung der Menschenrechte dort beklage, wo es aus Gründen der Opportunität einfach ist, weil alle draufhauen, während ich dort, wo man meint, es könnte gefährlich sein, weil hier wichtige Interessen von Großmächten auf dem Spiele stehen, eine andere moralische Dimension habe. Das kann nicht sein. Politisch kann ich anders handeln, aber bitte dann nicht mit moralischen Ansprüchen!
    Aus diesem Grunde glaube ich, daß Deutschland nur glaubhaft sein kann, wenn es zu seiner eigenen Geschichte steht, auch zu den dunkelsten Zeiten, die es durchlebt hat. Wenn wir dann auch die entsprechende Konsequenz bis zur Korrektur, d. h. der Annäherung unserer Rechtsordnung an unsere Wertordnung, daraus ziehen, werden wir in der Lage sein, Menschenrechte unteilbar auch in allen anderen Gegenden und für alle Zukunft zu verteidigen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stark.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Anton Stark


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offenbar braucht dieses Parlament Verjährungsdebatten, uni in Sachlichkeit und Ruhe quer durch alle Fraktionen diskutieren zu
    können, wie das jetzt mehrmals bei den Debatten über dieses uns alle bedrängende Problem geschehen ist.
    Im Gegensatz zum Kollegen Schwarz-Schilling war ich 1969 dabei. Ich habe auch 1965, obwohl ich erst danach in den Bundestag kam, die Debatte sehr aufmerksam verfolgt. Es gibt Dinge, sagt ein Philosoph, wenn man über die nachdenkt, könnte man den Verstand verlieren, soweit man einen hat. Ich glaube, das spüren wir alle, wenn wir uns diese Zeit vor Augen führen, in der Dinge geschehen sind, die wir, die relativ jüngeren, die nicht mehr unmittelbar den Anfechtungen ausgesetzt waren, uns kaum mehr vorstellen können. Trotzdem lassen Sie mich einiges sagen, was mich in dieser Debatte bedrängt: nämlich mit welcher Selbstgerechtigkeit und Selbstsicherheit einige jüngere Kollegen, die in dieser Zeit nicht Verantwortung trugen, die nicht den Anfechtungen dieses Systems ausgesetzt waren, heute hier auftreten und sagen, was jetzt zu geschehen habe.

    (Frau Matthäus-Maier [FDP]: Beispiele!)

    Ausgangspunkt unserer Debatte — das wurde heute klar, ich freue mich darüber; daran wurde kaum vorbeigeredet — ist die Frage, ob die schrecklichen Verbrechen der NS-Zeit so, wie es das Parlament dreimal beschlossen hat, am 1. Januar 1980 -verjähren sollen und damit nicht mehr verfolgt werden können. Die Frage, ob der gemeine Mord verjähren soll, wurde von manchem bewußt mit hereingenommen, um besser ihre Argumente vertreten zu können. Von anderen wurde ganz offen gesagt: Darauf käme es Ihnen nicht an, da würden sie eventuell eine andere Meinung vertreten. Hier setzen meine Bedenken ein; hier fühle ich mich beschwert. Ich glaube, ich bin der erste, der sich dazu äußert; sonst hätte ich gar nicht gesprochen, weil zu den Argumenten rechtspolitischer und allgemeiner Art gar nicht mehr viel Besseres gesagt werden kann, als heute hier geäußert wurde.
    Ich bin der Meinung, daß, wenn wir heute darüber abstimmen würden oder darüber entscheiden müßten, ob Verjährung für gemeinen Mord abgeschafft werden soll, 70 bis 80°10 dieses Parlaments — ich weiß es nicht genau — nicht dafür wären. Davon gehe ich aus. Damit würden diese Kolleginnen und Kollegen anerkennen, daß die Verjährung ein Institut nicht des Mittelalters oder sonst eine veraltete Einrichtung, sondern ein Institut des aufgeklärten, sich seiner Grenzen bewußten modernen Rechtsstaats ist, ein durchaus liberales Institut, das es in einem totalen oder absoluten Staat nicht geben kann, weil diese Staaten sich alles zutrauen.
    Die Verjährung erfolgt nicht im Interesse des Verbrechers. Das sollten wir bei aller Erregung und Emotion über die schrecklichen Taten des Dritten Reiches nicht vergessen, und ganz nüchtern fragen: Was ist der Sinn der Verjährung? Die Verjährung ist, wie Adolf Arndt und Thomas Dehler in hervorragender Weise gesagt haben, ein Institut, um den Staat vor der Hybris zu bewahren, durch verspätete, von Menschen getätigte Rechtsprechung Fehlurteile, Falschurteile zu fällen, Justizirrtümer zu begehen und zu glauben, er könnte wie das jüngste Gericht



    Dr. Stark (Nürtingen)

    sozusagen die letzte Gerechtigkeit verwirklichen. Das zu vermeiden, ist der Sinn: der Verjährung die Justiz vor der Unglaubwürdigkeit zu schützen. Dazu wurden Zahlen und Daten vorgetragen, die meines Erachtens unwiderlegbar sind.
    Jetzt kommt aber für mich der entscheidende Punkt. Während das also für gemeinen Mord weithin anerkannt wird, wird hier von vielen Kollegen — auch meiner Fraktion — mit Überzeugung, mit guter Absicht und aus ehrlichen Motiven gesagt: Ja, aber die NS-Taten — das ist etwas ganz anderes, das ist so exorbitant, da darf das nicht gelten! Hier stocke ich. Wenn wir ehrlich sind, meine Damen und Herren, wenn wir nicht selbstgerecht sind, dann müssen wir hier nachdenken. Strafrecht hat nur über individuelle Schuld des einzelnen zu urteilen und nicht kollektiv über die Verurteilung des Nationalsozialismus, dieses Teufelsstaates und dieser Maschinerie — da sind wir uns doch alle einig! Ich glaube, keiner wird hier im Hause behaupten, er sei mehr dagegen gewesen und jener weniger. Das sollten wir uns alle zubilligen, ganz gleich, wie wir in dieser Frage denken. Aber es geht jetzt um die individuelle Schuld — verstehen Sie das nicht falsch! — eines Menschen, der von 14 an im Elternhaus ideologisch getrimmt wurde, mit 17 in der Napola war — ich war es nicht; zu Ihrer Beruhigung! —, dann beeinflußt wurde von morgens bis abends im Freundeskreis mit Rassenwahn, mit Ideologie, mit „Führer befiehl, wir folgen", der gar nichts anderes mehr gehört hat und dann in die Maschinerie des Dritten Reiches geriet: Er ging zum SS-Reiterverein, weil er reiten wollte, oder er ging zum NSKK, weil er Motorrad fahren wollte, und plötzlich wurde er abgeordnet — das ist geschehen, wie mir heute ein Kollege gesagt hat — als KZ-Wächter. Dann war er in der Maschine drin, und er hat unter Umständen schreckliche Taten begangen.
    Jetzt aber zur individuellen Schuld! Ist diese Schuld individuell, nicht kollektiv, und ethisch gesehen größer als diejenige eines Menschen, der hier in einer freiheitlichen Demokratie in Frieden und Freiheit, durch gute Schulen ging und dann zum Mörder wird wegen 50 DM oder auch aus ideologischer Verblendung, als Terrorist? Warum sollten wir hier die Dinge anders behandeln? Ich frage das, und darauf möchte ich eine Antwort: ob hier die individuelle Schuld eines einzelnen etwas völlig anderes ist und ob man deshalb NS-Taten und gemeine Mordtaten verschieden behandeln kann. Ich persönlich bin der Überzeugung: Wenn man ehrlich ist, kann man das nicht.
    Ich verstehe Sie, die Sie die Verjährung abschaffen wollen, so: Sie wollen — das habe ich aus dieser Debatte entnommen; insofern war die Debatte wirklich nicht umsonst, wie man zunächst vielleicht gemeint hat: warum noch einmal über alles das diskutieren?
    noch einmal zum Ausdruck bringen, daß wir das, was da alles geschehen ist, zutiefst verurteilen, daß wir das nicht vergessen wollen und nicht — wie es manchmal heißt — einfach Schluß machen und nichts mehr davon wissen wollen. Das unterstelle ich Ihnen, und dabei stehe ich voll zu Ihnen. Jüngste Ereignisse, „Holocaust" und andere Dinge, haben uns gezeigt, daß sich unsere Bürger draußen — ich hoffe, nicht wir, die Abgeordneten; ich war etwas betrübt, als ich von einem Abgeordneten hörte, ihm sei erst jetzt aufgegangen, was im Dritten Reich passiert sei; das fand ich etwas bedenklich, weil er seine Informations- und Sorgfaltspflicht dann vernachlässigt hat — auf Grund dieses Films, der offenbar in der modernen Art an die Seele der Menschen herangekommen ist, trotz Tausender von Prozessen vorher mit diesem Problem auf einmal anders beschäftigen.
    Jetzt dürfen wir keinem Trugschluß und keinem Kurzschluß erliegen, indem wir sagen: wir dürfen die Verjährung unter keinen Umständen beibehalten. Wir stehen vor einer rechtspolitischen Frage grundsätzlicher Art, die man so oder so lösen kann. Ich arbeite hier gar nicht mit verfassungsrechtlichen Argumenten. Aber wir sollten nicht aus einer Stimmung heraus ein Institut abschaffen, mit dem wir 150 Jahre, d. h. in der Neuzeit, meine Damen und Herren, gelebt haben. Heute hat mein Kollege Mikat gesagt: Das ist ja noch nicht tausend Jahre alt. Sonst argumentieren wir immer: das, was tausend Jahre alt ist, muß abgeschafft werden. Wir schaffen jetzt Rechtsinstitute ab, die noch keine 50 Jahre alt sind. Hier ist also ein Bruch in der Argumentation, wobei ich allen Kollegen guten Willen unterstelle.
    Es geht allein darum, ob wir das, was wir gemeinsam wollen, mit der Abschaffung der Verjährung erreichen können. Ich bin nach reiflicher Prüfung — ich habe mich in dieser Sache sehr engagiert, ich habe versucht, alles zu lesen, und habe die Debatten verfolgt -- der festen Überzeugung: Es wäre nicht die richtige Entscheidung, weder im Hinblick auf das, was wir alle wollen, noch auf das, was diejenigen wollen, die noch einmal klar zu dokumentieren wünschen, daß wir das Dritte Reich nicht vergessen und darüber nicht zur Tagesordnung übergehen wollen.

    (Wehner [SPD] : Es geht nicht um das Vergessen! Es geht darum, die Größenordnung des Problems klarzumachen!)

    — Wir wollen es bewältigen, Herr Wehner. Aber der Weg dahin ist ganz bestimmt falsch, wenn man 10000 Verfahren durchführen muß, die acht bis zwölf Jahre dauern, und dann 0,3 % der Beschuldigten verurteilt werden. Das ergibt keinen Sinn mehr. Damit bewältigen Sie nicht die Vergangenheit, sondern damit zerstören Sie das Vertrauen in den Rechtsstaat, in unsere Zuverlässigkeit.
    Dieses Parlament hat hier dreimal in aller Sachlichkeit und Ruhe, mit Engagement und unter Abwägung aller Argumente diese Frage entschieden. Herr Dr. Schwarz-Schilling, lieber Kollege, lesen Sie es doch bitte einmal nach. Damals wurde mindestens so ernsthaft, so ausführlich und so gut argumentiert wie heute. Der Bundestag kann doch in einer so entscheidenden Frage nicht alle paar Jahre so oder so beschließen. Das wollte ich noch sagen.
    Wenn ich Ihre Geduld zu lange . in Anspruch genommen habe, bitte ich um Verzeihung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)