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    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Olaf Schwencke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Politische und rechtspolitische Überlegungen für oder gegen die Aufhebung der Verjährung von Mord sind hier in großem Umfang und sehr diffizil sowie rechtskundig vorgetragen worden. Ich könnte den Argumentationen für die Aufhebung der Verjährung keine weiteren neuen juristischen oder politischen hinzufügen.
    Und auch das, was in anderen Parlamenten zur Verjährungsproblematik zu sagen notwendig war, wurde, etwa im Januar dieses Jahres in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und dann ein Monat später im Europäischen Parlament, von unseren Kollegen und mir selber vorgetragen in europäischen Parlamenten übrigens, in denen unter den älteren Kollegen noch immer Repräsentanten der Opfer Nazi-Deutschlands sitzen. Diese haben — und das machte die besondere Würde der Debatte im Europarat aus —, wenn sie das Wort ergriffen haben, über Partei- und nationale Grenzen hinaus irgendwie verständliche antideutsche Töne unterdrückt. Sie haben aber mit großem Ernst und in sehr eindringlicher Mahnung uns darum gebeten, die Verjährung von Nazi-Verbrechen aufzuheben.
    Ich sehe auch gar keinen Grund, darin eine Einmischung in unsere ureigensten Dinge zu sehen und ihnen meine — und unsere — Solidarität nicht ausdrücklich zuzusichern. Schon das begründet meines Erachtens die Verneinung der Verjährung von Nazi-Morden.
    Beide europäischen Parlamente forderten, und zwar mit großer Mehrheit, alle Mitgliedsländer auf, das Europäische Übereinkommen über die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1974 endlich zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Das an dieser Stelle bei der Bundesregierung anzumahnen, ist nur ein Punkt, der mich motiviert hat, hier das Wort zu ergreifen.
    Ein anderer Punkt ist mir aber viel wichtiger. Ich möchte dem Bündel von bemerkenswerten und bedenkenswerten Überlegungen, die hier bereits vorgetragen wurden, im Hinblick auf die generelle Aufhebung der Verjährung von Mord noch ein paar theologisch-ethische, vielleicht noch weiter differenzierende Überlegungen hinzufügen.
    Lassen Sie mich meine Argumentation — anders als andere Theologen — mit einem Satz beginnen, der manchem von Ihnen wenig christlich erscheinen mag: Mord ist nicht gleich Mord. Sicher, der Respekt vor dem höchsten Gut, dem menschlichen Le-



    Dr. Schwencke (Nienburg)

    ben, gebietet es, vor allem im Blick auf das eine oder die vielen Opfer, das eine nicht geringer als die vielen Opfer zu achten: den Täter mit Schuld zu belegen und seine Sühne zu fordern. Das ist die „gute Ordnung" des Staates, von der Luther spricht, jeden gleichermaßen betreffend.
    Und der politische Kontext? Ich will literarisch unterstreichen, was unser Freund Erik Blumenfeld über sein Inferno gesagt' hat:
    ... der Tod ist ein Meister aus Deutschland
    wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
    der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
    er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
    ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
    er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
    er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
    dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith
    Auch „nach Auschwitz" wurde gedichtet. Ich zitierte den Schluß von Paul Celans „Todesfuge".
    Mord ist gleich Mord? Die Motive zum Mord müssen doch mindestens für die moralische Dimension des Verbrechens gegen die Menschlichkeit auch in ihrem politischen Kontext gesehen und beurteilt werden: das sogenannte gemeine Verbrechen einerseits und das ideologisch motivierte, zwischen 1933 und 1945 staatlich abgesicherte Massenverbrechen andererseits. Danach gibt es kein Zurück mehr zur Tagesordnung des Alltags.
    Die von den Nationalsozialisten betriebene Politik der Ausrottung der Juden und politischen Feinde — im Schatten dieser Politik, und, mehr noch: im „Dienst" dieser Politik handelten die Nazimörder — hat jedenfalls ethisch und damit meines Erachtens konsequenterweise auch rechtspolitisch einen anderen juridischen Stellenwert als der individuelle Mord. Hierbei zählt selbstverständlich nicht vor allem die Quantität der Mordtaten — diese ist für die ethische Einschätzung von geringerer Bedeutung —, sondern die „Qualität" der Motive: hier die Unmenschideologie und dort die gemeine Individualtat.
    Das höchste Gut, Leben, zu vernichten, ist die größte Schuld, die ein Mensch auf sich laden kann. Dürfen wir aber Schuld, wie sie aus individueller Tat erwächst oder massenhaft geschieht oder geschah, wie sie herrschende Ideologie a priori ermöglichte — für diejenigen, denen jetzt die Grundlage dafür nicht einfällt, füge ich hinzu: man konnte „Mein Kampf" lesen und daraus lernen —, auf einen gleichen Nenner bringen? Das sollte — auch rechtspolitisch — nicht möglich sein. Wenn das geschähe, würden sich die Opfer des Faschismus
    auf die Ebene der außergesetzlichen Normalitäten gesetzt sehen. Ich glaube, wir müssen achtgeben, damit das nicht eintritt: es würde würdelos sein.
    Mir ist die „Stuttgarter Schulderklärung" meiner Kirche von 1945 noch gut im Ohr und noch besser im Bewußtsein: auch die Angst vor der „billigen Gnade" einer „kollektiven Schuld", derzeit von denen formuliert und öffentlich gesprochen, die — wie namentlich Martin Niemöller — jedenfalls politisch „schuldlos" waren.
    Mord ist gleich Mord? Woraus erwächst Schuld? Schuld erwächst nicht allein aus dem persönlichen Tun des einzelnen, sondern geschieht auf dem Hintergrund existierender Strukturen und gesellschaftlicher Institutionen: Für den millionenfachen Mord zunächst innerhalb der NSDAP — Röhm-Putsch —, dann auf der Straße, dann in den Gestapo-Gefängnissen und schließlich in den KZs haben die faschistische Ideologie die Grundlage und ein kriminell korrumpierter Staat die Voraussetzung geboten. Das minimiert zwar nicht die subjektive Schuld des einzelnen — jedenfalls nicht nach meinem theologischen Verständnis —, läßt jedoch den besonderen Kontext zu einem politischen und moralischen Faktor sui generis werden. Ich glaube, nicht als mildender Umstand, sondern als ein straferschwerender Faktor; und dies muß auch den Gesetzgeber beschäftigen.
    In einer möglichen unterschiedlichen Behandlung von Nazimorden und gemeinen Morden würde ich
    — ebenso wie Professor Eugen Kogon und andere
    — den Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung nicht verletzt sehen. Diese sogenannte Ungleichheit haben wir ja schon — im Laufe der Debatte wurde daran erinnert — in § 220 a des Strafgesetzbuchs, der Unverjährbarkeit von Völkermord, und zwar bereits seit 25 Jahren.
    Gerade wenn wir dabei bleiben wollen und rechtstraditionell wohl auch müssen, daß der Mörder auch unter dem Vorzeichen einer herrschenden Ideologie für seine Tat voll verantwortlich gemacht werden muß, darf dies nicht zu mildernden oder gleichmachenden Umständen führen, sondern muß auch unter Berücksichtigung der „herrschenden Strukturen und politischen Institutionen", wie ich das nennen möchte, grundsätzlich und verschärfend gerichtet werden. Am Rande gefragt: Wie wollen wir einer jungen Generation, einer zeitkritischen, einer wachsend kritischeren Generation, die uns nach unserer politischen Moral fragt, eine Antwort geben, wenn wird Mord gleich Mord behandeln? Ich fürchte, wenn wir „egalisieren", also die Nazimörder wie gemeine Mörder behandeln, wird der Anstoß zum politischen Denken, zum Nachdenken, zum moralischen Handeln, dort, -wo wir sensibilisieren wollen, bei den jungen Leuten durchschlagen. Schon gar nicht dürfen wir es uns einfach leisten, die Verjährung aufzuheben. Das ist ein Appell, der breit genug an uns ergangen ist.
    Ich möchte uns noch einmal einen Schriftsteller in Erinnerung rufen: Der Jude Jean Amery hat vor zehn Jahren über eine Reise durch Deutschland folgendes geschrieben:
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode —145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11641
    Dr. Schwencke (Nienburg)

    Das Reich Hitlers wird zunächst weiter als ein geschiditlicher Betriebsunfall gelten. Sdiließlich aber wird das Geschichte schlechthin sein, nicht besser und nicht übler, als das dramatische und historisdie Epochen nun einmal sind, blutbefleckt vielleicht, aber doch auch ein Reich, das seinen Familienalltag hatte. Das Bild des Urgroßvaters in SS-Uniform wird in der guten Stube hängen, und die Kinder in den Schulen werden weniger von den Selektionsrampen erfahren als von einem erstaunlichen Triumph über allgemeine Arbeitslosigkeit ...
    Einen „Schlußstrich unter die Vergangenheit" ziehen: Nein, um der Zukunft unseres Volkes, unserer Kinder und Kindeskinder willen. Nein
    Nachdem von Deutschland aus die Welt zertrümmert wurde und audi die „Ordnung", haben unsere Väter mit dem Grundgesetz Konsequenzen aus den Lehren der Vergangenheit gezogen; das ist auch für diese Debatte von Relevanz. Sie haben Konsequenzen daraus gezogen, daß es einen, wenngleich nur kleinen, Bevölkerungsteil gab, der Widerstand leistete. Heute steht, nicht zuerst, der andere weitaus größere Teil zur Debatte, der sich in den „Dienst" des Mörderstaates stellte. Auf das eine wurde im Grundgesetz recht sensibel reagiert; wir haben das Widerstandsrecht — so etwas hat es vorher in einer Verfassung nicht gegeben — in Artikel 20 Art. 4 des Grundgesetzes festgeschrieben.
    Aus. theologischer Erkenntnis ist eine Rechtsposition geworden. Die Banner Thelogisdie Erklärung von 1934, insbesondere in ihrer wichtigen These 5, wurde in Verbindung mit den Bonhoefferschen Widerstandstheorien zum politischen Ergebnis eines theologischen Erkenntnisprozesses. In dieser Debatte muß das seinen Stellenwert haben.
    Männer und Frauen haben durch die Arbeit der Bekennenden Kirche den weitgehend demokratiefeindlichen Entwicklungsprozeß der zwanziger Jahre innerhalb der Kirche korrigiert. Für den Protestantismus in Deutschland war die These 5 von Barmen ein unerhörtes Novum und eine Wende im gesellschaftlichen Selbstverständnis der Kirche; das, nachdem Christengemeinden noch 1927 deutsch-christlich z. B. so sangen:
    Wir heben unsere Hände aus tiefster bittrer Not, Herrgott, den Führer sende, der unseren Kummer wende mit mächtigem Gebot.
    Jetzt hieß es über Staat und Kirche bzw. Kirche und Staatsaufgaben in „Bannen" :
    Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt ... nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens
    . unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohlfahrt dieser seiner Anordnung an._ Sie erinnert an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.
    Und dann folgt ein Satz, der mir für diese Debatte wichtig ist, der Verwerfungssatz:
    Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden.
    Das war nicht bloß eine innerkirchliche Formulierung. Sondern dieser Satz regelte verbindlich das Christ-Sein -- wollte es jedenfalls in jenen Jahren — und definierte das Verhältnis zwischen dem christlichen Bürger und seinem Staat. Wer davon abwich — die „Deutschen Christen" beispielsweise —, hing, von der Kirche her gesehen, einer Irrlehre an; das galt, auch wenn das nur wenige so deutlich gesagt und noch wenigere begriffen hatten, aber einige danach and' gehandelt haben.
    Der ,totale Staat des Nationalsozialismus war die Inkarnation dieser falschen Lehre. Er hat nicht nur ignoriert, was christlich überliefert wurde, sondern pervertiert, was vergangene Jahrhunderte an humanen Erkenntnissen gewonnen haben.
    Unser Grundgesetz hat, um solche Gefahren ein für allemal bekämpfen zu können -. ich .hebe das noch einmal hervor —, nicht nur den Grundwertekatalog aufgestellt, sondern in Art. 20 festgestellt:
    Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
    Da diese Konsequenz verfassungsrechtlich gezogen wurde — offensichtlich nicht allein auf der Grundlage des politischen Widerstands, sondern auch des evangelisch-theologischen Widerstands, insbesondere auf Grund der Erkenntnisse Bonhoeffers - frage ich heute mich und uns, ob daraus nicht - wenn auch spät — die Konklusion zu ziehen wäre, daß Individualmord und der ideologische Massenmord der Nazis auch rechtlich nicht gleich behandelt werden sollten.
    Ich kann nicht verhehlen, daß mir gegenwärtig theologische Überlegungen in diesem Zusammenhang wichtiger als rechtliche sind. Diese Gesellschaft ist eine offene, plurale; aber keine „moralisch" neutrale. Ich verweise auf Karl Jaspers, der mit großem Ernst die deutsche Situation so analysierte:
    Die Pflicht gegen das Vaterland geht viel tiefer, als ein blinder Gehorsam gegen jeweilige Herrschaft reicht. Das Vaterland ist nicht mehr Vaterland, wenn seine Seele zerstört wird.
    Widerstand, so gesehen, muß heißen: auch das. Instrument der. Verjährung von Mord muß als ein sehr viel mehr zu differenzierendes Rechtsinstrument behandelt werden. Ob aus dieser. „Erkenntnis" Konsequenzen rechtstechnischer Art gezogen werden können, weiß ich nicht. Professor Maihofer und seine Freunde haben dazu ein paar Hinweise gegeben.
    Fragen über Fragen schon in der ersten Lesung: Ist es politisch richtig, um der Nichtverjährung der Nazi-Morde willen generell Mord nicht verjähren zu lassen? Ich frage mich das, bin aber wie viele andere mit meinem Nachdenken noch nicht zum Schluß gekommen.



    Dr. Schwencke (Nienburg)

    Die Verjährung der Nazi-Morde wäre nach meiner Einschätzung ein zutiefst amoralischer Akt. Die Verjährung wäre eine Verhöhnung der Opfer: der Toten und der Lebenden, die jedenfalls in ihren Träumen — wie wir lesen — von ihrer Vergangenheit immer wieder eingeholt werden. Sie wäre auch unhistorisch: mit Blick auf den Widerstand von Sozialdemokraten und Kommunisten in der Nazi-Zeit, von Bekennenden Christen und anderen im Kampf gegen den Faschismus. Ich hoffe, daß die Verjährung nicht ohne Differenzierung eintritt. Da — weiß Gott: nicht ohne Grund — das Widerstandsrecht in unserem Grundgesetz steht, also Verfassungsqualität erlangt hat, darf nach meiner Einschätzung heute nicht resümiert werden: Mord ist gleich Mord.
    „Holocaust" hat viele sensibilisiert, vor allem junge Menschen, die in diesem 30. Jahr der Existenz unserer Republik auf eine Antwort zur „Vergangenheitsbewältigung" von uns warten. Ich glaube, daß diese Stunde der Verjährungsdebatte ein Beispiel dafür sein könnte, daß wir diese Herausforderung für andere und für uns selber begriffen haben. Wir sind, denke ich, miteinander der Auffassung, daß diese Stunde zu den ganz wesentlichen für das Parlament zählt, da sie unsere Dialogfähigkeit gezeigt hat.
    Lassen Sie mich meinen Schlußsatz so formulieren: Es bleibt die Erkenntnis, daß Schuld individuell und kollektiv der lebenslangen Sühne bedarf — dieses im Sinne des Bibelwortes: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk, die Sünde ist der Leute Verderben." Aber „Gerechtigkeit" kann nicht ohne Gnade geschehen. Aber die „Gnade" Ist nicht unsere Sache.

    (Beifall bei allen Fraktionen)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwarz-Schilling.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Christian Schwarz-Schilling


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung: Für einen Abgeordneten, der in dieser Legislaturperiode zum erstenmal diesem Hause angehört und im dritten Jahr hier ist, ist es ein Erlebnis, diesem heutigen Tag in diesem Hause beiwohnen zu können; denn bei allen scharfen Auseinandersetzungen, die wir ansonsten zwischen Fraktionen erleben, kommt hier etwas zum Durchbruch, was sonst oft als der „Konsens der Demokraten" gefeiert wird, nämlich der Respekt vor der Meinung des anderen, der diesmal nicht nur beschworen wird, sondern der bei Respektierung subjektiver Wertungen, Erfahrungen und Erkenntnisse durch gemeinsame Werthaltungen deutlich zum Ausdruck gebracht wird.
    -(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dafür möchte' ich mich bei allen Mitgliedern dieses Hauses bedanken.
    Gerade die letzten Redner haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß das, was in der nationalsozialistischen Zeit an Gewalttaten vorgekommen ist, eine Dimension hat, die über den früher bekannten Mordbegriff hinausgeht. Die geplante, bewußt gesteuerte, den Herrschaftsapparat des Staates miteinsetzende Gewalt zur Tötung von Menschen, denen das Menschsein abgesprochen wird und die dadurch in eine Behandlung geraten, die unterhalb der Tierebene liegt, das ist in seinem qualitativen und quantitativen Ausmaß ein historisch einmaliger Tiefpunkt unserer Geschichte, der gegenüber dem, was sich sonst in Jahrtausenden der Geschichte ab- gespielt hat, eine andere Dimension hat.
    Aus diesem Grunde ist auch die Frage nach der Antwort der Rechtsordnung auf diese Herausforderung mit Sicherheit eine andere, als sie der Normalfall des Mordes beinhaltet. Wenn man im vollen Besitz des Machtapparates des Staates in der Lage ist, kollektiv andere Gruppen zu töten, bewußt zu töten ohne jede individuelle Anklage, nur weil sie irgendwelchen rassischen oder politischen oder nationalen Gruppen angehören, dann erfordert das von der Rechtsordnung eine andere Antwort, als sie 1871 bei Schaffung des Strafgesetzbuches gegeben wurde. Diese Furchtbarkeit der Entmenschlichung, die sich im 20. Jahrhundert herausgestellt hat, konnte damals nicht gesehen werden. Aus diesem Grunde, so möchte ich ganz klar sagen, sollen wir auch gar nicht darum herumreden: Der Anlaß ist heute und hier die Frage der Verjährung der nationalsozialistischen. Verbrechen, die meiner Auffassung nach nicht stattfinden darf.
    Die Wertordnung und die Rechtsordnung dürfen sich im Laufe der Zeit nicht auseinanderentwickeln. Rechtsordnung ist nur solange für die Bevölkerung tragbar und verstehbar, als sie ein Spiegelbild sittlicher Normen und Werte ist. Wenn über zu lange Zeit kulturelle Ordnungsbereiche auseinanderfallen, dann wird die Frage an die Wertordnung gestellt, wieso die Rechtsordnung nicht in entsprechender Weise reagieren kann. Professor Mikat hat in einem anderen Zusammenhang einmal davon gesprochen, „die Rechtsordnung habe einen zeichenhaften Charakter" . Wir sind uns sicherlich darüber im klaren, daß wir hier keinen Gottesstaat im Sinne von Augustinus herstellen können, daß wir uns aber jeden Tag neu bemühen müssen, die Gerechtigkeit auf dieser Welt anzustreben, uhd daß aus diesem Grunde, wenn neue Tatbestände in so massiver Weise eintreten, auch die Rechtsordnung eine entsprechende Antwort finden muß.
    Nun wird gesagt, daß der Rechtsfriede gestört wird, wenn wir die Verjährung für Mord anders beurteilen als bisher. Ich möchte zunächst eins ganz klar sagen: Wenn von den bis 1977 über 84 000 Verdächtigen nur etwa 6 400, also 7,6 %, verurteilt worden sind, und wenn diese Quote heute unter 1 % liegt, dann ist das überhaupt kein Beweismittel dafür, daß damit das Recht, die Rechtssicherheit oder der Rechtsfriede gestört wird. Die Frage ist ja: Wie sähe dieser Rechtsfriede aus, wenn es nicht zu diesen Anstrengungen gekommen wäre? Ganz im Gegenteil, möchte ich sagen, ist der Rechtsstaat hier gerade zu bewundern, daß er bei dieser ungeheuren Schwere der Aufgabe an seinem Prinzip, nämlich „in dubio pro reo" = im Zweifel für den Angeklagten —, eisern festgehalten hat. Er hat sich auch nicht irgendwelchen emotionalen Einflüssen vom Aus-



    Dr. Schwarz-Schilling
    land oder Inland gebeugt, in dem Sinne, daß eine höhere Verurteilungsquote herauskommen sollte. Nein, er muß natürlich individuell, nach den Umständen, gemäß der individuellen Erforschung der Schuld und des Tatbestandes handeln; sonst wäre er kein Rechtsstaat.
    Insofern möchte ich hier das, was Kollege Lenz heute morgen gesagt hat, doch etwas korrigieren. Wenn Freisler die Abschaffung der Verjährung feierte, dann ist das noch kein Grund für oder gegen die Verjährung.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Denn, wie schon Professor Mikat gesagt hat, die Verjährung oder Nicht-Verjährung folgt nicht zwingend aus dem Prinzip des Rechtsstaates. Das Entscheidende ist, was Herr Freisler zur Begründung und als Handlungsmaxime des Staates zur Verjährung gesagt hat: „Der Gedanke, der Verlust der Beweismittel dränge zur Einführung der Verjährung, ist meines Erachtens abwegig. Sind dem Täter die Beweismittel verlorengegangen, durch die er sein Alibi nachweisen könnte, dann muß ich davon ausgehen, daß er der Täter ist, und dann ist er dafür verantwortlich, daß sein Alibi verlorengegangen ist." — Das ist der Unrechtsstaat der Menschenverachtung und Verhöhnung der einzelnen Person, der dem Nationalsozialismus zugrunde lag! Das hat mit Verjährung oder Nicht-Verjährung überhaupt nichts zu tun.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Ganz abgesehen davon — das hat der Justizminister hier gesagt —, was für neue Unsicherheiten im Rechtsfrieden entstehen, wenn dann diejenigen Prozesse weitergeführt werden, die auf Grund der Aussetzung der Verjährung auch in den nächsten Jahrzehnten weiterlaufen werden, währenddessen Mörder, die erst später, nach 1979, erkannt werden, weiter frei herumlaufen. Ich kann das nicht als einen Beitrag zum Rechtsfrieden oder zur Rechtssicherheit sehen.
    Es wurde dann auf die Konvention der Vereinten Nationen hingewiesen. Die Bundesrepublik ist ihr 1954 beigetreten. Im Strafgesetzbuch haben wir im Jahre 1969 eine entsprechende Schlußfolgerung für die Zukunft gezogen, nicht jedoch betreffend die Vergangenheit. Berufungen auf Thomas Dehler, daß wir eine Rückwirkung auf die Nazi-Verbrechen rechtlich in diesem Punkt nicht einwandfrei durchführen können, sind nicht mehr korrekt; denn er ist ja von einer anderen Verfassungslage ausgegangen. Das Verfassungsgericht hat ja am 26. Februar 1969 klar den Weg gewiesen, wie man, ohne das Grundgesetz zu verletzen, diese Frage lösen kann. Ich darf hier zitieren: „Die Aufhebung noch nicht abgelaufener Verjährungsfristen bei Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen den Gleichheitsgrundsatz." — Thomas Dehler ist hier in seiner Rede von einer anderen Voraussetzung ausgegangen.

    (Kleinert [FDP]: Das waren mehrere!)

    — Ich war ja nicht dabei. Ich spreche nur davon, weil diese Rede als eines der Beweismittel zitiert worden ist.
    Es sollte kein Sondergesetz gemacht werden. Ich glaube, das ist ein guter Satz unserer Rechtstradition. Wenn die Verfasser des Strafgesetzbuches von 1871 jedoch gewußt hätten, wie die gesamte Entwicklung unserer Geschichte weiterlaufen würde, hätte man sich wahrscheinlich anders entschieden. Mord ist heute ein Delikt, dessen Zahl laufend gestiegen ist. Die Versuchung scheint um so größer, je freier Gesellschaften organisiert sind. Ich glaube, daß man damals in zu starkem Maße an den moralischen Fortschritt der Menschheit geglaubt hat. Man meinte, daß die Menschen nach einer bestimmten Zeit eines freien Rechtsstaats immer besser würden. Tatsächlich ist eine völlig andere Entwicklung eingetreten, als man damals im 19. Jahrhundert vorhergesehen hat. Das gilt seit der Aufklärung, als man meinte, Menschen seien rationale Wesen, die das Leben durch zunehmende Erkenntnis immer besser gestalten könnten. Von dieser Warte her gesehen, aber auch unter dem Gesichtspunkt, daß in einem Rechtsstaat, wenn es um die Strafzumessung geht, nur die einzelne Person und nicht irgendeine Gruppe kollektiv zur Verantwortung gezogen werden kann, ist das Problem eben doch wieder auf den Kern zurückzuführen: Mord des einzelnen, d. h. Mord als Verbrechen schlechthin.
    Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß die allgemeine Mordverjährung heute zwar nicht akut zu unserer Aussprache geführt hat — wir hätten dieses Problem auch gestern lösen können, und wir könnten es auch im Jahre 1980 oder 1981 lösen —; aber hinsichtlich der Verjährung der Nazi-Verbrechen geht es tatsächlich akut um die rechtsstaatlich einwandfreie Problemlösung, wobei wir eine Lösung finden müssen, die im Gesamtkontext unserer Rechtsordnung steht. Und auf Grund der Entwicklung halte ich es eben für einen Irrtum — insoweit muß ich Herrn Kollegen Gradl voll zustimmen —, wenn gesagt wird, daß die Frage des Mordes um so geringer zu veranschlagen ist, je weiter entwickelt, je freier die Gesellschaft ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Im Gegenteil: Ich glaube, das diese Frage in Zukunft in dieser Welt ganz allgemein von einer Dimension sein wird, die andere Staaten sehr, sehr schnell veranlassen wird, auf das Problem zurückzukommen, das wir heute erörtern.
    Lassen Sie mich aber noch einen weiteren Punkt anschneiden. Im Zusammenhang mit der Tatbestandserfassung des Völkermords hat Professor Maihofer, wie ich finde, sehr interessante und auch überzeugende Ausführungen gemacht. Über die Entstehung der Deklaration der UNO ist schon gesprochen worden. Im Entwurf ist sie ja viel weitergehender gewesen. Er sprach nämlich nicht nur von „religiösen", „rassischen" oder „nationalen" Gruppen, sondern auch von „politischen" Gruppen, die jedoch auf Grund der Intervention der Sowjetunion wieder gestrichen worden sind. Die Abgrenzungsschwierigkeiten sind hier sehr, sehr groß.



    Dr. Schwarz-Schilling
    Ich möchte sagen: Selbst wenn in die Deklaration der UNO „politische" Gruppen aufgenommen würden, hielte ich das für nicht ausreichend, um das abzudecken, was heute jeden Tag geschieht. Ich spreche jetzt nicht von der Sowjetunion, von China, von dem, was dort in den letzten Jahrzehnten millionenfach an Morden geschehen ist. Wie wollen Sie mit dieser Deklaration z. B. die Vorgänge in Kambodscha erfassen, wo eine ganze kulturtragende Schicht liquidiert und ausgerottet wurde, und zwar vor dem Hintergrund der ideologisch fixen Idee, man könne dann eine „neue Gesellschaft" aufbauen? Eben das haben die dortigen Kommunisten auf Grund einer Wahnidee, die wiederum ganz allgemein auf kommunistisches Ideengut zurückgeht, praktiziert. Man sollte ja geglaubt haben, so etwas könne in Zukunft gar nicht mehr geschehen!
    Was in Kambodscha geschehen ist und noch geschieht, genauso in afrikanischen Staaten, wird von dieser Deklaration überhaupt nicht erfaßt. Es handelt sich um keine „religiöse" Gruppe, um keine „nationale" Gruppe, um keine „rassische" Gruppe, sondern um eine kulturtragende Schicht. Ebenso fanden sich am Anfang des Vietnamkrieges in bestimmten Dörfern der Lehrer und der Bürgermeister am nächsten Morgen am Baume erhängt wieder. Das wurde systematisch gemacht, um eine bestimmte Schicht zu verunsichern und eine entsprechende Wirkung politischer Art zu erzielen. Es war nicht dieser Lehrer und dieser Bürgermeister , sondern es waren d i e Lehrer des Dorfes und d i e Bürgermeister, die erhängt wurden. In dieser Frage wird die Deklaration in keiner Weise ausreichend sein, um diese unmenschlichen brutalen Verbrechen zu erfassen.
    Ich sage deswegen: Die Liquidierung von Klassen — wir wollen auch das einmal sagen; ich beziehe das jetzt nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Zukunft — steht auf Programmen politischer Kräfte auf dieser Welt. Wenn das der Fall ist, dann sage ich: Das ist über diese Konvention nicht abdeckbar, weil sie schon damals auf Intervention der Sowjetunion eingeschränkt wurde. Selbst wenn der Begriff „politische Gruppe" enthalten wäre, wäre eine bestimmte Kulturschicht davon gar nicht erfaßt, weil sie gar nicht „politisch" handelt. Denn die Ermordeten waren nur normale Bürger in einer bestimmten Schicht — manche mögen auch „Elite" oder etwas anderes dazu sagen — einer Kultur, die sie getragen haben und die sie verkörpert haben.
    Wahnsinnstaten, die ideologisch begründet sind, sind so vielfältig, daß man sie gar nicht speziell unter „Völkermord" definieren kann. Aber das führt im letzten wieder auf die einzig klare Tatbestandserfassung, nämlich des Mordes schlechthin. Aus diesem Grunde ist heufite die rechtsstaatliche und moralische Antwort, den Mord nicht verjähren zu lassen.
    Lassen Sie mich zum Schluß in fünf Punkten meine Auffassung klarstellen.
    Erstens. Für unsere moralische Wertordnung ist die Verjährung von Naziverbrechen unerträglich. Das mag jeder mehr oder weniger aus eigener Erfahrung, aus eigenem Erleben oder aus eigenem
    Denken wissen. Der bewußt organisierten, ideologisch bestimmten Tötung liegt ein unmenschliches Menschenbild zugrunde. Das ist eine Frage, die gerade für uns in Europa, die wir uns bemüht haben, ein anderes Menschenbild zu entfalten, zur größten Tragödie geworden ist.
    Zweitens. Das philosophische und . religiöse Gegenbild gegen diese Unmenschlichkeit ist die unantastbare Würde des Menschen in der Einzelperson. Deswegen ist es eben keine Unehrlichkeit, wie in manchen Zeitungen steht, wenn im Zusammenhang mit dem Nazi-Mord auch der Mord schlechthin diskutiert wird; denn die Antwort auf alle ideologisch-kollektiv verübten Taten gegen irgendwelche Gruppen — gar nicht gegen Individuen — ist die Würde des einzelnen Menschen, die in allen Dingen zú beachten ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Aus diesem Grunde ist der Ansatzpunkt für unsere Rechtsordnung die Frage des Mordes schlechthin; und daher eben auch keine Verjährung für den Mord. Das ist der richtige Weg und meines Erachtens die notwendige Korrektur der Rechtsordnung, wenn sie nicht mit unserer moralischen Wertordnung auseinanderfallen will.
    Drittens. Die Verpflichtung des Rechtsstaates ist es nunmehr, die individuelle Strafzumessung nach dem Grundsatz „in dubio pro reo" vorzunehmen. Da müssen wir eben ertragen, daß wir nur noch weniger als 1 % Verurteilungen haben. Meine Damen und Herren, wie wenig bedeutet dieses Ertragen, gegenüber dem, was die Opfer ertragen haben! Wollen wir doch bitte nicht die Wertmaßstäbe verlieren.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Wir werden daran erinnert, was Furchtbares passiert ist und wie unzulänglich menschliches Tun, auch menschliches Richten ist. Jetzt trifft es eben einmal die Justiz, das zu ertragen. Zu anderen Zeiten gibt es andere Berufsgruppen, die anderes ertragen müssen. Ich meine also: Für unser Recht, unseren Staat und unsere Freiheit müssen wir das ertragen können. Wir dürfen keinem Druck in irgendeiner Weise weichen, auch wenn er vom Ausland kommt, etwa in dem Sinne: Warum gibt es nur so wenig Verurteilte? Da müssen wir den Rechtsstaat verteidigen, mit allen Konsequenzen, die damit verbunden sind.
    Viertens. Der Tatbestand des Völkermords ist nach der hiesigen Definition zu unscharf und meines Erachtens auch nicht ausreichend, um das zu erfassen, was heute in anderen Teilen der Welt geschieht. Ich möchte etwas sehr Schlimmes sagen: Ich glaube, daß der Gesetzgeber gar nicht genug Phantasie hat, um sich das Böse in den verschiedenen Menschen so vorstellen zu können, daß er es durch eine Definition erfassen könnte. Der einzige Orientierungspunkt ist der Mord selbst. Wenn Sie hier anfangen zu definieren „bei einer solchen Gruppe so, bei der anderen so", dann glaube ich,



    Dr. Schwarz-Schilling
    daß bestimmte Tatbestände einfach durch das Netz fallen. Aus diesem Grunde gibt es nur den individuellen Ansatz des Mordes.
    Fünftens : die Glaubwürdigkeit. Meine Damen und Herren, Versöhnung ist ein individueller Gesinnungsakt. Den Christen steht dieser Akt gut an. Aber es gibt die gesellschaftliche Gerechtigkeit, die der Staat herstellen muß. Das ist der Verantwortungsakt der Gemeinschaft durch eine entsprechende Rechtsordnung. Versöhnung kann nur der einzelne aussprechen. Das ist keine Frage des Rechtsschemas, das ist keine Frage von Jahren oder eines Datums. Man kann nicht sagen: nach 30 Jahren bin ich versöhnt. Das kann auch •schon nach Tagen sein, selbst wenn mir der Täter gegenübersteht. Das ist keine Frage eines Datums.
    Die Verantwortung für die Herstellung von Gerechtigkeit ist um so größer, je kollektiver geplant Ungerechtigkeit in der Weise hergestellt werden kann, wie das in der Nazi-Zeit geschehen ist. Aus diesem Grunde muß die Anforderung, die wir an unsere Rechtsordnung stellen, um so größer sein. Deswegen kann Mord in unserer Zeit nicht mehr so behandelt werden, daß er verjährt.
    Es ist jedoch nicht nur die Vergangenheitsbewältigung, die hier mit zur Debatte steht. Wenn wir heute die Frage der Menschenrechte sehen, dann ist das nicht eine Frage der Opportunität. Wir Deutschen können uns in Gegenwart und Zukunft nur dann überall unteilbar für Menschenrechte einsetzen, wenn wir für unsere eigene Vergangenheit bis zu dem bitteren Ende, das wir heute gerichtlich durchführen müssen, und für unsere Geschichte einstehen. Dann darf es dort auch keine Selektionen in der Art geben, daß ich die Verletzung der Menschenrechte dort beklage, wo es aus Gründen der Opportunität einfach ist, weil alle draufhauen, während ich dort, wo man meint, es könnte gefährlich sein, weil hier wichtige Interessen von Großmächten auf dem Spiele stehen, eine andere moralische Dimension habe. Das kann nicht sein. Politisch kann ich anders handeln, aber bitte dann nicht mit moralischen Ansprüchen!
    Aus diesem Grunde glaube ich, daß Deutschland nur glaubhaft sein kann, wenn es zu seiner eigenen Geschichte steht, auch zu den dunkelsten Zeiten, die es durchlebt hat. Wenn wir dann auch die entsprechende Konsequenz bis zur Korrektur, d. h. der Annäherung unserer Rechtsordnung an unsere Wertordnung, daraus ziehen, werden wir in der Lage sein, Menschenrechte unteilbar auch in allen anderen Gegenden und für alle Zukunft zu verteidigen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)