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ID0814506000

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    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
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    Rede von Klaus Hartmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Feststellungen möchte ich angesichts des absehbaren Endes dieser Debatte treffen.
    Erstens. Die „FAZ" schreibt heute:
    Man sagt Mord, aber in Wahrheit meint man allein die NS-Morde. Ginge es nicht aufrichtiger?
    Es ist erfreulicherweise im Lauf dieser Debatte hinreichend deutlich zutage getreten, daß diese Debatte hic et nunc nicht stattfände, wenn das Datum des Verjährungseintritts am Ende dieses Jahres nicht in konkretem Bezug zu NS-Verbrechen stünde.
    Zweitens. Auch diese Verjährungsdebatte 1979 wird mit großem Respekt vor der jeweils anderen Meinung geführt. Indessen: Viel Neues außer der Variante des Herrn Kollegen Professor Maihofer habe ich, der ich die Debatten von damals sehr genau nachgelesen und gedanklich nachvollzogen habe, heute nicht gehört. Neu ist allenfalls, daß die Grenzen zwischen den verschiedenen Auffassungen
    heute etwas anders als damals durch dieses Haus verlaufen, und anders als damals ist, so scheint mir, die Argumentation derer, die die Mordverjährung ganz aufheben wollen, heute von mehr Emotionalität geprägt. Vielleicht ist dies eine Folge der unbestreitbaren Tatsache, daß wir Ausmaß und Abscheulichkeit der unter dem Nationalsozialismus begangenen Massenverbrechen heute besser ermessen können als noch vor zehn Jahren. Vielleicht — das sage ich, ohne damit ein Werturteil zu verbinden — soll Emotionalität aber auch bewirken, was strikte Rationalität über die Entscheidungen von 1965 und 1969 hinaus nicht mehr zu begründen vermag.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ist der Deutsche Bundestag, wie heute mehrmals behauptet, der gebotenen letzten Konsequenz nur ausgewichen, als er 1965 das Berechnungsgesetz beschloß und 1969 die 20jährige Verjährungsfrist um zehn Jahre verlängerte? Ich meine: Nein. Denn schon damals stand die Aufhebung der Verjährung von Mord — nicht nur von Völkermord — zur Diskussion. Als einer, der dem Bundestag damals noch nicht angehört hat, glaube ich vielmehr, daß der Gesetzgeber es seinerzeit bei einer Grundentscheidung unseres Strafrechts bewußt und abschließend hat bewenden lassen wollen,

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    die lautet: Auch Mord verjährt.
    Ich habe nach gewichtigen Stimmen gesucht,. die die Entscheidung von 1969 damals kommentiert haben. Gewichtig erscheint mir die Stellungnahme des ehemaligen stellvertretenden US-Hauptanklägers in den Nürnberger Prozessen, Dr. -Robert Kempner. Ich zitiere:
    Das Neunte Strafrechtsänderungsgesetz über die Aufhebung der Verjährung für Völkermord und die Verlängerung der Verjährungsfristen für Mord auf 30 Jahre ist eine Art Rahmenordnung. Dieser Rahmen ist von verschiedenen Parteien gezimmert und gebaut worden. Darüber hinaus ist er aber nicht allein im deutschen Raum errichtet worden; diese Gesetzgebung hat selbstverständlich frühere Gesetze verschiedenster Grundhaltungen berücksichtigen müssen, die im Laufe der Zeit über die Verfolgung der NS-Verbrechen verkündet worden sind. Da sind deutsche Gesetze und alliierte Gesetze noch aus der früheren Besatzungszeit. Mit dem Neunten Strafrechtsänderungsgesetz wurde gleichsam ein Verjährungs-Schlußgesetz geschaffen. Dieser Schlußstein der Verjährungsgesetzgebung enthält viele Elemente des Ausgleichs. Auf der einen Seite werden Forderungen an die Justiz gestellt, die in Wirklichkeit überirdisch sind, Forderungen, die nicht erfüllt werden können, und auf der anderen Seite solche, die eine Justiz wirklich leisten kann.
    Das Ergebnis ist — ich möchte es mit einem Wort sagen — befriedigend. Diese Lösung kann nicht alle zufriedenstellen, aber sie genügt der Mehrzahl aller gut und gerecht denkenden
    11634 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag,, den 29. März 1979
    Hartmann
    Menschen nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Kulturwelt.
    Die früheren Besatzungsmächte, aber auch darüber hinaus die verschiedenen anderen alliierten Mächte haben, jede für sich und ganz und gar nicht übereinstimmend, in der Frage der Verjährung und der Verfolgung von NS-Verbrechen besondere Bestimmungen geschaffen, die heute noch fortwirken. Ich muß allerdings sagen, daß die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit dadurch alles andere als positiv beeinflußt worden sind. Die heute mehrfach dargestellten praktischen Konsequenzen der bis 1969 getroffenen Verjährungsentscheidungen hat Robert Kempner nach 1969 für hinnehmbar und befriedigend gehalten, und ich meine, dabei kann man es bewenden lassen.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Da waren noch andere, die haben das getan, die wollen heute nichts mehr davon wissen!)

    — So ist es. Ich könnte eine ganze Reihe anderer Zitate aus der damaligen Zeit anfügen. Ich muß dies leider aus Gründen der Zeit unterlassen.
    Im Falle der Einstellung eines Verfahrens wegen Verjährung, so meinte Kempner, müßten und könnten die Entscheidungen der Justiz so begründet werden, daß die Öffentlichkeit im In- und Ausland sehen werde, daß die Justiz das Mögliche an Verfolgungshandlungen getan und gute Arbeit geleistet habe, auch wenn eine mit einem Urteil endende Hauptverhandlung gegen den Täter nicht mehr stattfinden kann.
    Meine Damen und Herren, die Verjährung ist kein Rechtsinstitut ad favorem rei — zur Begünstigung eines Missetäters durch Zeitablauf, durch zufälligen Zeitablauf. Sie soll vielmehr für die Justiz die Grenzen der Sühnbarkeit individueller Schuld markieren. Die Frage, wo diese Grenze zeitlich zu ziehen ist, kann keineswegs allgemeingültig beantwortet werden, aber irgendwo muß sie gezogen werden, und der Bundestag hat sie • nach Maßgabe seiner Entscheidungen von 1965 und 1969 gezogen.
    An dieser Stelle möchte ich erwähnen, daß das Rechtsinstitut der Verjährungsunterbrechung in der gesamten Verjährungsdiskussion meines Erachtens nicht ausreichend in Rechnung gestellt, sondern unterschätzt wird. Es handelt sich dabei durchaus um ein Instrument, mit welchem einer möglichen unbilligen Begünstigungswirkung der Verjährung wirksam entgegengetreten werden kann.
    „Wehe dem Staat, der nicht genügend von seinen Mördern abrückt", hat der Schriftsteller Maximilian Harden in den 20er Jahren gesagt. Professor Süsterhenn hat 1969 von dieser Stelle aus festgestellt, daß es für unser Volk unerträglich wäre, mit erkannten, überführten, für verantwortlich erklärten Massenmördern auf rechtsgleicher Basis innerhalb unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates zusammen zu leben. Auf der anderen Seite aber sind der tatsächlich zu verwirklichenden Gerechtigkeit gewissermaßen biologische Schranken gesetzt. Darin liegt ein Zielkonflikt. Verfolgt, gerecht verurteilt kann eben nur werden, wenn dies entsprechend den rechtsstaatlichen Prinzipien unserer Rechtsordnung
    eben noch möglich ist. Es geht nicht um die Durchführung eines Strafverfahrens unter jedweden. Umständen, sondern um gerechte Sühne für das schwerste aller Verbrechen, für Mord. Dies steht bei Abschaffung der Verjährung in Frage.
    Dabei kann nach meinem Dafürhalten auch kein Unterschied gemacht werden zwischen der Verjährung von NS-Morden und anderen Morden, so wie es Herr Kollege Professor Maihofer vorschlägt. So immens die Unterschiede im Tatbestand und im Unrechtsgehalt auch sein mögen, die Erkenntnisfähigkeit der Gerichte ist nicht um so größer, je scheußlicher die zu verfolgende Tat ist.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Ich meine auch, daß der Gleichheitssatz unserer Verfassung dem Vorschlag des Herrn Kollegen Professor Maihofer entgegensteht.
    Mit allen Vorrednern stimme ich darin überein, daß der Eintritt der Strafverfolgungsverjährung weder mit Tabula rasa oder Schlußstrich oder Amnestie noch mit Begnadigung oder Verzeihung oder gar Heilung begangenen Unrechts zu tun hat. Wir sollten es uns auch nicht so einfach machen, die Bewältigung unserer Vergangenheit den zuständigen Staatsorganen, nämlich der Justiz zu überbürden, denn dies würde im Endeffekt möglicherweise, wahrscheinlicherweise dazu , führen, daß die Bewältigung der Vergangenheit letztlich als eine Staatsangelegenheit angesehen wird und nicht mehr als eine Last, die unser ganzes Volk zu tragen und aus der jeder von uns seine eigenen Konsequenzen zu ziehen hat. Jeder Deutsche muß von sich sagen können: Ich, ganz persönlich, stehe in meinem Lebenskreis dafür, daß in Deutschland Unrecht wie unter dem Nationalsozialismus nie mehr begangen wird. Und niemand soll sagen: Die Bewältigung der Vergangenheit ist Sache der Justiz und geht mich persönlich nichts an.
    Unsere letztgültige Antwort auf das Unrechtsregime des Dritten Reiches ist der freiheitliche demokratische Rechtsstaat. Es war Ewald Bucher, Freier Demokrat und ehemaliger Justizminister unseres Landes, der sagte, daß gerade diejenigen ausländischen Staaten, die durch ihren militärischen Sieg über den Nationalsozialismus es erst ermöglicht haben, daß bei uns ein freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat entsteht, es uns nicht ansinnen sollten, bewährte Prinzipien unserer Rechtsordnung zur Disposition zu stellen.
    Blättert man in den alten Protokollen von 1965 und 1969, so findet man Sätze, wie diese — ich mache sie mir vollinhaltlich zu eigen —:
    Wir sind uns einig im Abscheu vor den vom NS-Regime veranlaßten und unter ihm begangenen Untaten; wir sind uns einig in dem gemeinsamen Bestreben, durch Entwicklung des Rechtsstaates ähnliche unheilvolle Entwicklungen auch für die Zukunft unmöglich zu machen. Wir bekennen uns zu der moralisch wie rechtlich begründeten Wiedergutmachung an den Opfern des NS-Regimes, soweit dies überhaupt möglich ist. Daß das nicht nur schöne Worte



    Hartmann
    sind, hat die Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren durch praktisches Handeln bewiesen. Dies ist auch von den Betroffenen anerkannt worden. Ebenso entschieden wenden wir uns aber auch gegen jedes Unrecht ähnlicher Art, mag es begangen worden sein oder noch begangen werden, durch wen immer und an wem immer. Ich glaube
    — so sagte Professor Süsterhenn 1969 weiter —,
    daß wir uns zu dem Gedanken von der unteilbaren Gerechtigkeit bekennen müssen. Man kann nicht die Gerechtigkeit partiell sehen und die Gerechtigkeit — oder auch die Ungerechtigkeit — nur für ein Volk konstatieren und dieses Problem im übrigen für die Gesamtheit der Völker innerhalb der Völkerrechtsgemeinschaft als nicht existent betrachten. Das hat mit Aufrechnung nichts zu tun, sondern es ist eine Forderung der objektiven, unteilbaren Gerechtigkeit, daß man schuldhaftem Handeln in aller Welt gleiche Beachtung schenken sollte.
    Meine Damen und Herren, niemand in unserem Lande, niemand unter denjenigen, die die Mordverjährung nicht abschaffen wollen, denkt daran, einen Mörder seiner verdienten Strafe zu entziehen. Aber — dieser Satz von Rainer Barzel wurde heute bereits zitiert — wir sind nicht das Jüngste Gericht. Die Forderung nach absoluter und letzter Gerechtigkeit gegenüber irdischer Justiz oder die Anmaßung der Justiz, noch jenseits aller zeitlichen und biologischen Grenzen gerecht urteilen zu können, wäre Hybris.
    Lassen Sie mich schließen mit einem Wort von Friedrich Zimmermann, ebenfalls aus der Verjährungsdebatte 1969:
    Wir hoffen auf den freien und souveränen Spruch der Geschichte, die nicht nach einer fast mechanisch gewordenen Abwicklung von Prozessen fragt, sondern die einem Volk, das sich von einer bösen Vergangenheit abkehrt, und einer neuen Generation, die entschlossen den Weg des Friedens geht, auch die Chance gibt, ohne verewigte Demütigung seine Aufgaben in dieser Welt zu erfüllen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hansen.

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    Rede von Karl-Heinz Hansen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte über die Verjährung von Mord darf nicht beim Austausch vorwiegend juristischer Argumente stehenbleiben. Vielleicht ist dies die letzte Gelegenheit, endlich Schluß zu machen mit der individuellen und kollektiven Verharmlosung und Verleugnung unserer nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Reaktionen auf Holocaust haben bewiesen,wie diese Vergangenheit verdrängt ja, mehr noch, weggelogen sein muß, wenn ein eher banaler, den tatsächlichen faschistischen Terror und seine Ursachen untertreibender Film so viel Betroffenheit auslösen konnte und so viele Fragen, vor
    allem der jüngeren Generation: Warum haben wir das alles nicht gewußt? Es stimmt ja: Die Bundesregierung, der Bundestag, die Parteien, die Kirchen — sie alle haben sich immer wieder heftig vom Nationalsozialismus distanziert. Und doch haben gerade diejenigen, die sich mit moralischer Verve distanzierten, oft so getan, als sei da 1933 ein Irrer namens Hitler durch unglückliche Unistände an die Macht gekommen, habe 12 Jahre lang das deutsche Volk und ein paar andere Völker tyrannisiert, terrorisiert und sei 1945 samt seinem kleinen brutalen Anhang vom Erdboden verschwunden. Wenn man uns selbst glauben wollte, so hat es seit 1945 in Westdeutschland und später in der Bundesrepublik lauter aufrechte Demokraten gegeben, von denen alle anderen europäischen Staaten nur lernen könnten.
    Wer bei uns allerdings daran erinnert, daß es in weiten Bereichen des öffentlichen Lebens nach 1945 keine einschneidenden Veränderungen und fast gar keinen moralischen Neubeginn gegeben hat, für den wurde ein reibungslos funktionierendes Ritual des Rufmords eingeführt: Er ist Kommunist, Kommunistenfreund, Linksradikaler, inzwischen Sympathisant. Eine ehrliche, umfassende und kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hat niemals stattgèfunden, weil sie nicht stattfinden durfte.

    (Zurufe bei der CDU/CSU)

    Die ehemaligen Nazis wurden nach dem Krieg für den Wiederaufbau gebraucht. Sollte sich noch einer schuldig gefühlt haben, so wurde ihm beim Nachweis seines aufrechten Antikommunismus der Ablaß erteilt.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Für welche Gruppe sprechen Sie?)

    Mitscherlich beschreibt diesen, wie er ihn nennt, „emotionellen Antikommunismus" so:
    Er ist die offizielle staatsbürgerliche Haltung, und in ihm haben sich ideologische Elemente des Nazismus mit denen des kapitalitschen Westens amalgamiert.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist ja ungeheuerlich!)

    Und er schreibt weiter:
    Mindestens, was den Bolschewisten betrifft, ist das Bild, das von ihm im Dritten Reich entworfen wurde, in den folgenden beiden Jahrzehnten kaum korrigiert worden.
    Aber das faschistische Axiom „Der Feind steht links", das von der bundesdeutschen Rechten wiederbelebt wurde, wirkt bis heute nach, wenn mit der Formel „Freiheit oder Sozialismus" demokratische Sozialisten aus dem Staat ausgruppiert werden.
    Man muß schon mehrfach lesen, was Konrad Adenauer auf dem CDU-Bundesparteitag 1950 in Goslar gesagt hat, um es wirklich zu glauben.

    (Zuruf von der FDP)

    — Ich tue eigentlich nur das, werter Kollege, was
    der Herr Kollege Wissmann -eben anempfohlen hat,
    11636 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode —145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979
    Hansen
    nämlich waches Geschichtsbewußtsein herzustellen und den geschichtlichen Ursachen näherzukommen, die die Gegenwart bestimmen, aus der wir die Zukunft zu bauen haben!

    (Beifall bei der SPD)

    Nur ich ende nicht bei den Leerformeln eines irgendwie gearteten Gesamtgefühls von Demokraten. Meine Antwort darauf heißt, und die kann angesichts des Themas, das wir diskutieren, nur heißen: Solidarität der Antifaschisten! Das ist mein Standpunkt — weil Sie mich eben gefragt haben.

    (Beifall bei der SPD — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Ich würde sagen: Beziehen Sie die Antikommunisten mit ein! Dann geht es!)

    Ich zitiere, was Adenauer 1950 in Goslar gesagt hat:
    Ich wollte, die Bewohner der Ostzonen-Republik könnten einmal offen schildern, wie es bei ihnen aussieht. Unsere Leute würden hören, daß der Druck, den der Nationalsozialismus durch Gestapo, durch Konzentrationslager, durch Verurteilungen ausgeübt hat, mäßig war gegenüber dem, was jetzt in der Ostzone geschieht.
    Maidanek war mäßig. Treblinka war mäßig. Auschwitz war mäßig. Und der ist ein Bolschewist, der daran erinnert, daß etwa im Freundeskreis des Reichsführers SS, dessen Kontrolle die Vernichtungslager unterstanden, die Creme der deutschen Industrie saß, der an die Filialen erinnert, die führende — noch heute führende — Unternehmen rund um Auschwitz betrieben mit Häftlingen, die man dort ausbeutete, bis sie reif waren für die Gaskammern und durch neues „Menschenmaterial" — wie es im Wörterbuch des Unmenschen hieß — aus den KZs ersetzt werden konnten. Wer sich bei uns nicht damit abfinden kann, daß in den Generalsrängen der Bundeswehr, in den Chefetagen großer Konzerne, in Landes-, Oberlandes-, Bundesgerichtssenaten, in Parteien, Kabinetten der Länder und des Bundes, in der Villa Hammerschmidt und im Palais Schaumburg Leute saßen, sitzen und sitzen werden, die nationalsozialistischen Organisationen angehörten, der ist Kommunist, Sympathisant oder Einflußagent Moskaus.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wen meint er denn jetzt?)

    So einfach war das für Adenauer, und so einfach ist das heute noch.

    (Zuruf des Abg. Kleinert [FDP])

    Die Tochter eines kommunistischen von der Französischen Republik ausgezeichneten Widerstandskämpfers darf in der Bundesrepublik ihren Beruf als Lehrerin nicht ausüben. Ein Postbote soll nach 25 Jahren untadeliger Arbeit aus seinem Beruf geworfen werden, weil er der DKP angehört. Doch ein NPD-Mitglied darf in Schleswig-Holstein Schulleiter sein. Der Vorsitzende des Kampfbundes Deutscher Soldaten behauptet in Flugblätern, das „Tagebuch" der Anne Frank sei eine „Fälschung" — so wörtlich — und das „Produkt einer jüdischen antideutschen Greuelpropaganda, um die Lüge von den sechs Millionen Juden zu stützen".

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Wann gründen Sie eine neue Partei?)

    Er wird von der Anklage der Volksverhetzung von einem bundesdeutschen Gericht im März 1979 freigesprochen. In der Urteilsbegründung heißt es, er hätte wegen Beleidigung nur dann verurteilt werden können, wenn die betroffenen Personen Strafanzeige gestellt hätten. So bewältigen wir juristisch unsere Vergangenheit. Was wir moralisch, politisch und historisch niemals aufgearbeitet haben, erledigen wir juristisch korrekt und dabei mit einem Zynismus, der die Opfer noch nachträglich verhöhnt.
    Wir debattieren heute zum vierten Male im Deutschen Bundestag darüber, ob es juristisch vertretbar ist, die unbeschreiblichen, weil jede menschliche Vorstellungskraft übersteigenden Verbrechen der Nationalsozialisten weiterhin zu verfolgen oder für alle Zeiten verjähren zu lassen. Wir sind der UNO-Konvention von 1968 über die Nichtanwendbarkeit gesetzlicher Verjährungsfristen auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht beigetreten.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Dann müssen Sie natürlich auch sagen, warum nicht!)

    Die Bestimmungen dieser Konvention sollten auch für „Repräsentanten der staatlichen Macht" gelten, die diese Verbrechen „dulden". Nur, in der Bundesrepublik ist die Verjährungsfrist für darin aufgeführte Taten bereits abgelaufen.
    Wir haben mit dem 1968 in Kraft getretenen § 50 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs die Verfolgung von NS-
    Verbrechen weiter erschwert. Begünstigt wurden durch rückwirkende Verjährung die an NS-Mordtaten beteiligten Angehörigen des Reichssicherheitshauptamtes und anderer oberster Reichsbehörden.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Wer war wohl damals Justizminister?)

    Sie können nur noch verurteilt werden, wenn ihnen auch persönlich Rassenhaß als Tatmotiv nachzuweisen ist. Dabei haben wir noch niemals den Versuch gemacht, die intellektuellen Wegbereiter, die Ideologen des Rassenhasses, die Ideologen des Freund-Feind-Schemas zur Rechenschaft zu ziehen, alle diejenigen, die mit oft verbrecherischen Thesen und Theorien in Doktorarbeiten, Aufsätzen und Vorträgen den millionenfachen Mord an Völkern und Volksminderheiten „geistig" vorbereitet haben.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Wen meinen Sie denn?)

    Wenn es richtig ist, daß mit steigender Einsichtsfähigkeit auf Grund von Herkunft, Bildung und Beruf die Widerstandspflicht gegenüber Unrecht und Gewalt wächst, dann verhalten sich Sühne und Strafe für die Beteiligten an den NS-Verbrechen umgekehrt .zum Ausmaß von Schuld und Verantwortung. Wo sind diejenigen bestraft worden, die vom Schreibtisch aus die Mordmaschinerie erst organisiert und den Massenmord dann verwaltet haben?
    Wenn wir einerseits beklagen, daß wir unsere Vergangenheit weitgehend juristisch bewältigen
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung: Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11637
    Hansen
    wollen, dann müssen wir uns auch fragen, was wir denn eigentlich nach 1945 juristisch getan haben, un den Verantwortlichen der NS-Verbrechen rechtzeitig und gründlich den Prozeß zu machen.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Das können Sie bei Herrn Rückerl nachlesen!)

    Von einer systematischen Verfolgung kann überhaupt erst seit 1958 gesprochen werden.
    Ich will hier gar nicht ausführlich auf das traurige Kapitel eingehen, das unverhältnismäßig wenige Naziverbrecher in den letzten 20 Jahren effektiv angeklagt und verurteilt wurden. Ich will mich auf die Kritik beschränken, die der 46. Juristentag 1966 geübt hat. Er hat u. a. bemängelt: die häufigen Verurteilungen wegen Beihilfe zum Mord statt wegen Täterschaft, die auch dann noch milden Strafen und die Tatsache, daß sich gegenüber der sonst üblichen Strafrechtspraxis unverhältnismäßig viele Beklagte und Verurteilte auf freiem Fuß befinden. Wer glaubt, sich dieser Kritik nicht anschließen zu können, den möchte ich auffordern, sich über den Verlauf und die beschämenden Vorgänge während des Majdanek-Prozesses zu informieren.
    Wir werden demnächst den 30. Geburtstag unseres Grundgesetzes feiern, unseres auf Antifaschismus angelegten Verfassungstextes. Aber wie sieht denn die politische Wirklichkeit noch aus? „Der Feind steht links" bei uns — wie eh und je. Trotz des Rituals, von ,dem ich zu Anfang gesprochen habe, möchte ich ganz deutlich sagen: Demokratische Sozialisten haben die Pflicht, sich mit Kommunisten klar und unmißverständlich auseinanderzusetzen. Doch Sie haben, gerade weil sie Demokraten sind, gerade in Deutschland eine weitere Pflicht, nämlich jeder Politik entgegenzutreten, die den politischen Söhnen und Töchtern der von den Nazis abgeschlachteten Kommunisten wieder mit gesellschaftlicher Ächtung und Vernichtung ihrer bürgerlichen Existenz droht. Wir haben außerdem die Pflicht, alle neonazistischen Tendenzen in unserem Land entschieden und mit allen Möglichkeiten unseres Rechtsstaates zu bekämpfen und die in weiten Bereichen unseres öffentlichen Lebens noch ungebrochene nationalsozialistische Kontinuität aufzudecken. Da erscheint Woche für Woche die „Deutsche Nationalzeitung", über die Adolf Arndt in der Verjährungsdebatte 1965 sagte:
    Wenn es je etwas Ehrenloses gab, etwas bis in den letzten Winkel des Schmutzes der eigenen Seele Verlumptes, dann ist das diese ehrlose Haltung solcher Blätter.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Aber es sind ja nicht nur solche alt- und neufaschistischen Produkte. In der „Welt", die die Ausgliederung per Anführungszeichen betreibt, karikiert der Pseudonym-Zeichner Hicks linke Politiker mit einem Strich, den er unter den Nazis an der Produktion von Judenfratzen geübt hat. Da gibt es das „Deutschland-Magazin", dessen Spiritus Rector in der NS-Zeit seine Köchin ins KZ bringen wollte, weil sie etwas gegen die Nazis gesagt hatte. An den Preisverleihungen dieses Herrn nehmen Leute teil,
    die gern die Hüter der Demokratie spielen, darunter einer, der damals die „Entjudung" der deutschen Wirtschaft lobte. Aus der gleichen Ecke ertönt heute wieder der Ruf nach Aufrechnung der NS-Morde mit den Opfern der Vertreibungen — in konsequenter Verleugnung der Ursachen dieser Vertreibungen. So sehr wir alle Opfer des Krieges betrauern, so sehr sind wir als Volk für unsere Taten verantwortlich. Das nimmt den anderen ihre Verantwortung für ihre Taten nicht ab.
    Warum sind bei uns immer noch Schulen nach Nazi-Dichtern, Kasernen nach Steigbügelhaltern Hitlers benannt? Warum ist es bei uns dagegen nicht möglich, einer Universität den Namen Heinrich Heines oder Carl von Ossietzkys zu geben?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Wenn man die Liste der durch Bundesverdienstkreuze ausgezeichneten Bürger durchsieht, wird man auf Hunderte alter Nazis, aber auf kaum einen Verfolgten des NS-Regimes stoßen. Ich denke dabei weniger an die vielen, die ihren Widerstand so sehr im Stillen übten, daß nur sie selbst davon Kenntnis nehmen konnten, oder an diejenigen, denen erst die drohende militärische Niederlage die Augen geöffnet hat, sondern an alle, die den Faschismus von 1933 an oder schon vorher bekämpften und die, wenn sie nicht in den KZs starben, ihre Gesundheit verloren. Ich denke an die Überlebenden, in denen das Lager weiterlebt. Ich denke an die Verfolgten des Nazi-Regimes, die heute unter uns leben und denen wir, weil uns ihre mahnende Existens eher lästig ist, nicht nur die gebotene Achtung versagen, sondern die unser Staat schäbig und oft gar nicht entschädigt — etwa deshalb, weil ihr Lager vor der Ausschlußfrist noch nicht auf der Liste stand. Für eine Wiedergutmachung dieser Fehler ist es nicht zu spät.
    Zu spät scheint es allerdings inzwischen für eine Regelung zu sein, die die Verjährung für die vom NS-Staat angeordneten und organisierten Mordtaten endgültig und eindeutig aufhebt. Weil politische Versäumnisse auch juristische Folgen haben, wird nun zu dem Hilfsmittel der allgemeinen Verjährung von Mord gegriffen. Dabei unterscheidet sich der eine Komplex von dem anderen. Ich nenne nur ein Beispiel. NS-Verbrecher hatten nach 1945 mindestens über ein Jahrzehnt genügend Gelegenheit, unterzutauchen und unbehelligt zu bleiben, während 'Gewaltverbrecher damals wie heute in der Regel gefaßt und verurteilt wurden.
    Noch einmal: Trotz der Versäumnisse, die Urheber, Befehlsgeber, Verwalter und Nutznießer der Untaten des NS-Systems rechtzeitig aufzuspüren und zu bestrafen, und trotz der zunehmend schwierigeren Beweisführung muß die Strafandrohung für die Ausführer von Mordbefehlen bestehen 'bleiben. Die Vorstellung ist, unerträglich, daß sich nach dem 31. Dezember dieses Jahres bislang unentdeckte NS-Mörder ohne Furcht vor Strafe ihrer Verbrechen rühmen dürften, wie das schon zu Zeiten galt, als die Verjährung noch nicht aufgehoben war und sich Herr Studienrat Zind, der sich später ins Ausland absetzte, rühmte, Juden mit dem Spaten erschlagen



    Hansen
    4 zu haben, und ihn der ihm vorgesetzte Oberstudiendirektor später damit entschuldigte, er habe nur Russen gemeint.
    Die Aufhebung der Strafverfolgungsverjährung von NS-Verbrechen ist nicht nur eine juristische, sondern auch eine historisch-politische Notwendigkeit.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)