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ID0814505600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Matthäus-Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mord, der zugleich die Voraussetzungen des Völkermords erfüllt, darf nicht verjähren. Ich halte das für diejenige Lösung, die einerseits der besonderen Dimension der Ausrottungsaktionen des Dritten Reiches und den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deuschland entsprechend dafür sorgt, daß auch nach dem 31. Dezember 1979 bisher noch unbekannte NS-Täter verfolgt werden können — der Anlaß für unsere heutige Debatte —, die aber andererseits den schon in unserem' geltenden Recht enthaltenen Wertunterschied zwischen diesen Ausrottungsaktionen und dem sonstigen Mord nicht unzulässig einebnet. Aus diesem Grunde trete ich dafür ein.
    Ich glaube, daß diese Lösung, eine differenzierte Lösung, am ehesten in das geltende Recht hineinpaßt. Sie benötigt auch die geringsten juristischen Änderungen dieses Gesetzes. Herr Vogel hat Verschiedenes gegen diese Lösung eingewandt. Herr Vogel, ich glaube, man kann zu Recht politisch mit unterschiedlicher Argumentation über diese Lösung wie über alle anderen Lösungen auch diskutieren.
    Aber Sie haben auch juristische Bedenken geltend gemacht. Das ist das erste Mal; deswegen muß ich kurz darauf eingehen. Denn juristische Argumente stehen dieser Lösung nicht entgegen.
    Sie haben gesagt, Herr Maihofer habe heute nachmittag hier gesagt, diese Lösung bedürfe keiner Änderung des geltenden Rechts. Dies hat Herr Maihofer nicht gesagt. Dies wäre ein Mißverständnis, denn selbstverständlich haben auch wir einen Gesetzentwurf formuliert, der genau das, was ich eben gesagt habe, vorsieht, nämlich exakt den Satz: „Mord, der zugleich die Voraussetzungen des Völkermordes nach § 220 a StGB erfüllt, wird unverjährbar gestellt". Das Gesetz müßte selbstverständlich geändert werden.
    Sie sagen aber, dagegen spräche aus juristischer Argumentation, daß der heutige Völkermordtatbe-



    Frau Matthäus-Maier
    stand weiter gefaßt sei: er umfasse ja nicht nur Tötungsaktionen, Mordaktionen, sondern z. B. auch die Zwangsadoption von Kindern oder die Zwangssterilisation von bestimmten Bevölkerungsgruppen. Dies ist aber kein Gegenargument. Ich darf für die Zuhörer, die mit der Materie nicht ganz so vertraut sind wie diejenigen, die sich hier seit Wochen damit beschäftigen, darauf hinweisen: Der heutige § 220 a des Strafgesetzbuches, dessen ersten Teil ich auszugsweise zitieren möchte, lautet wie folgt:
    Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,
    1. Mitglieder der Gruppe tötet,
    2. Mitgliedern der Gruppe schwere körperliche ... Schäden ... zufügt, ..., wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
    Wir schlagen vor, daß aus der Menge aller Mordtaten, die es nicht nur im NS-Reich, sondern auch danach gegeben hat, diejenigen unverjährbar gestellt werden, die zugleich den Völkermord-Paragraphen — selbstverständlich nur in seiner ersten Alternative; denn das andere wird hier gar nicht relevant erfüllen. Dies ist juristisch sehr klar und eindeutig.
    Politisch kann man darüber zwar diskutieren, aber ich meine, daß auch rechtspolitisch und politisch sehr viel dafür spricht. Warum? Ich meine, daß wir zu einer Aufhebung der Verjährung für Völkermordverbrechen zunächst auf Grund internationaler Verpflichtungen verpflichtet sind. Nicht nur die UN-Konvention über die Nichtverjährung von Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1968, sondern auch Art. 7 der Menschenrechtskonvention von 1948 sowie das Abkommen des Europarates über die Unverjährbarkeit von Kriegsverbrechen von 1974 verpflichten die Bundesrepublik Deutschland zur Aufhebung der Verjährungsfrist für Morde, soweit sie die Voraussetzung des Völkermordes erfüllen. Ich darf daran erinnern, daß unter dem Tagesordnungspunkt, den wir heute behandeln, auch ein Antrag aus dem Europäischen Parlament angeführt wird, nämlich ein Antrag, den das Europäische Parlament erst vor wenigen Wochen mit der Aufforderung an alle seine Mitgliedstaaten, also auch an uns, verabschiedet hat, nämlich — ich zitiere wörtlich —... alle politischen und juristischen Vorkehrungen zu treffen , um eine Verjährung in diesen Fällen
    — gemeint sind Kriegsverbrechen und Völkermord —
    nicht eintreten zu lassen.
    Wir greifen hier den Völkermord heraus, weil Kriegsverbrechen in unserem Strafgesetzbuch tatbestandsmäßig nicht erfaßt sind.
    Meine Damen und Herren, Herr Wissmann sprach von der mangelnden Glaubwürdigkeit, die bei Aufhebung der Verjährung z. B. gegenüber der
    Jugend eintreten würde. Ich frage umgekehrt: Wie wollen wir glaubwürdig dastehen — nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland —, wenn wir unserer Jugend und auch den übrigen Bevölkerungsgruppen nicht erklären können, warum wir trotz dieser internationalen Verpflichtungen, trotz der Entschließung des Europäischen Parlaments, der Aufforderung nicht nachkommen, die Mordverjährung aufzuheben?

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Nun ja, dazu fiele mir schon etwas ein!)

    Unabhängig von der völkerrechtlichen Lage wäre es, glaube ich, für das Rechtsempfinden unerträglich, wenn von 1980 an Verbrechen und Verbrecher bekannt würden — und das würde mit Sicherheit der Fall sein —, die ihre Teilnahme an den Massenmordaktionen nicht nur zugäben, sondern die sich — und damit ist angesichts der Uneinsichtigkeit sehr vieler NS-Täter, die wir aus den Prozessen kennen, doch zu rechnen — ihrer Taten auch noch rühmten.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Dazu hat Herr Kollege Kleinert Vorzügliches gesagt!)

    Sie wissen, daß es bestimmte Presseorgane und auch Gruppen in unserem Lande gibt, die dieses begierig aufgreifen würden. Ich glaube, da würde die Glaubwürdigkeit wiederum außerordentlich beeinträchtigt. Mit welchem Recht könnten wir kleine Betrüger, kleine Diebe noch strafrechtlich zur Verantwortung ziehen, wenn wir nicht bereit sind, die Ausrottungsaktionen des Dritten Reiches durch Aufhebung der Verjährung auch über den 31. Dezember dieses Jahres hinaus weiter zu verfolgen? Deshalb muß die Verjährung aufgehoben werden.
    Es gibt meiner Ansicht nach ein einziges gewichtiges Argument gegen diese Argumentation, nämlich die Position, die Thomas Dehler vor mehr als zehn Jahren beeindruckend bezogen hat. Aber dieser Argumentation ist meiner Ansicht nach die Grundlage entzogen: zum eine formell, weil das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1969 eine andere Entscheidung getroffen hat. Zum anderen aber auch, wie ich glaube, materiell: Verjährung ist nämlich nicht ein Kernstück liberaler Rechtspolitik, sondern ein Verfahrensinstrument, das in verschiedenen Ländern, die unserer Rechtsordnung vom Prinzip her sehr nahestehen — ich denke hier nicht etwa an' totalitäre Länder —, aber auch in verschiedenen geschichtlichen Phasen, sehr unterschiedlich oder gar nicht angewandt worden ist.
    Schließlich — drittens — meine ich hinsichtlich der Argumente von Thomas Dehler, daß all die Gesichtspunkte, die man für eine Verjährung üblicherweise heranzieht, in dem vorliegenden Problembereich der NS-Verbrechen nicht zum Tragen kommen. Argumente wie Beweisschwierigkeiten, als unangemessen empfundene Freisprüche, Schutz der Rechtspflege vor Überforderung, mangelndes Bedürfnis nach Verfolgung, Rechtsfrieden und ähnliche Gesichtspunkte ziehen hier doch einfach



    Frau Matthäus-Maier
    nicht. Denn die Alternative ist ja nicht — darauf hat der Justizminister dankenswerterweise hingewiesen —: ab dem 1. Januar 1980 entweder neue Prozesse durch Aufhebung der Verjährung oder keine Prozesse. Das ist nicht die Alternative. Wir werden auch über das Jahr 1979 hinaus noch massenhaft, nämlich in Hunderten von Fällen, Anklagen und Prozesse haben.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Und Freisprüche!)

    — Völlig richtig: auch Freisprüche! - Das heißt: All die genannten Gesichtspunkte, die üblicherweise zu Recht für eine Verjährung sprechen, ziehen in dem vorliegenden Problembereich nicht, da die ohnehin bis zum Jahr 2000 zu führenden Prozesse mit diesen Problemen werden kämpfen müssen.
    Im Gegenteil! Ich denke da an das Argument des Rechtsfriedens. Abgesehen davon, daß es Rechtsfrieden im Sinne eines abnehmenden Bedürfnisses nach strafrechtlicher Verfolgung solcher Taten wie in Auschwitz nicht geben darf,

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Gibt es denn jemanden von den Auschwitz-Leuten?)

    tut die Justiz doch alles, keinen Rechtsfrieden eintreten zu lassen, indem sie sich in dem uns verbleibenden letzten halben Jahr ernsthaft bemüht, durch Verjährungsunterbrechung dafür zu sorgen, daß wir auch noch nach 1980 zusätzliche Prozesse durchführen können.
    Es läuft also alles darauf hinaus, daß wir einen Rest von einigen wenigen NS-Verbrechern haben werden — wahrscheinlich 4 oder 5 oder auch 10 % —, bei denen eine Verjährung eintritt, während in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle eine Strafverfolgung auch nach 1980 erfolgt. Ich halte dies aber für eine durch den puren Zufall entstandene Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte und gleicher Täter. Ich glaube, daß die Öffentlichkeit diese willkürliche Ungleichbehandlung auch als solche empfinden würde.
    Diese willkürliche Ungleichbehandlung würde unter Umständen bis in einen konkreten Prozeß hineinwirken. Ich darf daran erinnern, daß Völkermord ein kollektives Verbrechen ist. Nicht einzelne können aus eigenem Antrieb Völkermord begehen, sondern nur kriminelle Herrschaftssysteme, an deren Aktionen sich einzelne als Initiatoren, eigenmächtig Handelnde oder Befehlsempfänger beteiligt haben, sind dazu imstande.
    Wegen dieser organisatorischen und ideologischen Verflechtungen der einzelnen Taten miteinander kann Völkermord nur als einheitliches Geschehen beurteilt und abgeurteilt werden.
    Nun kann es passieren, daß in einem Prozeß, der einen Tatkomplex betrifft, einige Täter auf der Anklagebank sitzen, deren Taten behandelt werden, aber auf der anderen Seite — dies hat uns Herr Rückerl in der Anhörung der FDP-Fraktion deutlich gesagt — in dem gleichen Komplex 12 oder 15 Täter vorhanden sind, von denen man weiß, daß es sie gibt, deren Taten man kennt, deren Namen man
    jedoch nicht kennt. Diese Namen könnten ja ab 1980 bekanntwerden. Dann führen wir den Prozeß gegen die angeklagten Täter zu Ende, während die anderen, vielleicht 12 oder 15 Täter, die wir dann nicht nur kennen, sondern derer wir dann habhaft werden • können, frei davonkommen. Meine Damen und Herren, ich glaube, das wäre eine unerträgliche Belastung für die noch laufenden NS-Prozesse.
    Dies erfordert, wie ich finde, aber nicht eine generelle Aufhebung der Verjährung von Mord. Organisierte Massenmordaktionen, die unter Ausnutzung des staatlichen Herrschaftsapparats an ganzen Bevölkerungsgruppen begangen worden sind, haben eine andere Qualität als sonstige Mordtaten. Bereits die Zerstörungsdimension, die Größenordnung der Verbrechen, ist mit derjenigen anderer Straftaten nicht vergleichbar. Nicht einzelne sind ihre Opfer, sondern die Existenz ganzer Bevölkerungsgruppen ist bedroht. Das verleiht solchen Verbrechen für die Völkergemeinschaft insgesamt, nicht etwa nur für uns, eine Bedeutung, die individuelle Straftaten nicht haben.
    Genau das war es, Herr Kollege Wehner, was Herr Kollege Maihofer mit seinem Satz meinte: Über Auschwitz darf kein Gras wachsen.
    Dem entspricht es im übrigen, daß Völkermord in unserem Strafgesetzbuch schon heute eine Sonderstellung einnimmt. Wir greifen also mit unserem Entwurf nur die heute schon vorhandene Sonderstellung des Völkermordes auf und knüpfen daran die Tatsache der Unverjährbarkeit. Es ist eine Sonderstellung in zwei Punkten: Der Völkermord ist nicht nur in einem speziellen Tatbestand außerhalb des Mordparagraphen geregelt, nämlich in § 220 a, er ist außerdem das einzige Delikt, für das heute bereits für zukünftige Taten die Unverjährbarkeit durch dieses Parlament festgeschrieben worden ist. Es geht also nach unserem Entwurf einfach darum, diese ohnehin vorhandene Unverjährbarkeit auch rückwirkend festzuschreiben, und zwar für Mordtaten, die zugleich den Völkermordtatbestand erfüllen. Dies ist weder eine unzulässige Rückwirkung noch eine unangemessene Ausweitung.
    Wir glauben, die generelle Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord würde diese Sonderstellung, die Ausdruck der ganz besonderen, andersartigen kriminellen Qualität und der internationalen Dimension des Völkermordes ist, nachträglich wieder einebnen.
    Nun wird eingewandt — das wäre, falls zutreffend, sicher ein schwerwiegendes Argument —, gegen die Aufhebung der Verjährung spreche das gerade von Liberalen als Zweck des Strafrechts immer wieder genannte Resozialisierungsprinzip. Dem ist zweierlei entgegenzuhalten. Zum einen sind die meisten NS-Täter nicht im echten Sinne resozialisiert. Das möchte ich klar und deutlich sagen. Wenn sie, ohne neue Straftaten zu begehen, unter uns leben, ist das allein ja noch keine Resozialisierung.



    Frau Matthäus-Maier

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Was verlangen Sie denn eigentlich?)

    — Wie das Verhalten der meisten Angeklagten in zahlreichen Prozessen zeigt, haben sie doch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht einmal bei den erschütterndsten Schilderungen von Vorgängen, z. B. im KZ, so etwas wie Betroffenheit oder Distanzierung von der Tat oder auch nur Mitgefühl oder Reue oder eine sonstige menschliche Regung zum Ausdruck gebracht.
    Zum anderen aber muß bei der Strafbarkeit des Völkermordes meiner Ansicht nach die Generalpräventive, d. h. die abschreckende Wirkung, im Vordergrund stehen. Um es ganz deutlich zu sagen: niemand, der sich in welchem Land auch immer und mit welcher Ideologie auch immer unter Ausnutzung des staatlichen Machtapparates an Verbrechen des Völkermordes beteiligt, darf darauf hoffen können, daß er, wenn er sich nur erfolgreich 20 oder 30 Jahre lang im Ausland verborgen hält, danach wieder auftauchen kann, ohne für seine Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Herr Erhard hat heute Eugen Kogon mit dem Satz zitiert: „Totalitäre Regime können nur so 'lange bekämpft werden, solange sie nicht etabliert sind." Ich finde es sehr gut, daß dies hier zitiert worden ist. Ich meine aber, es spricht gerade auch für diese Lösung, nämlich für die negative Heraushebung des Völkermordes. Wir müssen für die Zeit, die vor der Etablierung eines solchen Regimes liegt, bei. allen potentiellen Tätern das Bewußtsein wachhalten: Auch wenn sich dieses Regime, z. B. das NS-Regime, hier etabliert, dann kann ich nicht unter dem Schutz dieser Ideologie Verbrechen begehen, die irgendwann einmal der Verjährung anheimfallen. Vielmehr muß die internationale Achtung solche Verbrechen ohne zeitliche Begrenzung verfolgen.
    Nun wird von Herrn Vogel entgegengehalten — das 'greife ich als letzten Punkt noch auf —, nicht alle Gruppen von NS-Morden würden durch die Aufhebung der Verjährungsfrist für Völkermord erfaßt. Dies ist richtig. Allerdings stehen nicht alle von Ihnen genannten Beispiele hier entgegen. Sie nennen z. B. Priester. Diese kann man durch die „Absicht der Vernichtung religiöser Gruppen" einbeziehen. Oder nehmen sie z. B. die Euthanasie-Fälle! Diese fallen zwar 'in der Tat nicht unter den Tatbestand des Völkermordes, aber ich darf darauf verweisen, daß Herr Rückerl in der Anhörung in unserer Fraktion gesagt hat: Die Euthanasiefälle sind praktisch abgeschlossen — ich zitiere nur Herrn Rückerl —, so daß dort faktisch keine Probleme mehr liegen. Es gibt sicher noch andere NS-Morde, die nicht unter § 220 a fallen.
    Ich darf hier ein Beispiel nennen - ich habe lange darüber nachgedacht, wie man dieses Problem lösen könnte —, nämlich die Homosexuellen, die das NS-Regime ja auch zu Zigtausenden in die KZs gesperrt und zu Tode gebracht hat.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Und die keine Entschädigung kriegen!)

    — Und die auch keine Entschädigung kriegen, höre ich gerade. Das ist noch ein Sonderproblem, das sehr viel Unverständnis gegenüber dieser Bundesrepublik Deutschland hervorruft.
    Ich darf Ihnen sagen: Dies ist zweifellos etwas, was an unserem Entwurf ungenügend ist. Da gebe ich Ihnen recht. Doch wenn man die Alternativen abwägt, einerseits einen vorhandenen, in unserem Strafgesetzbuch schon existierenden Tatbestand, nämlich .den des Völkermordes, als Anknüpfungspunkt für die Aufhebung der Verjährung aufzugreifen, andererseits sich aber in die Gefahr zu begeben, daß man, wenn man die Verjährung generell aufhebt, den Unterschied im Unwertgehalt zwischen Völkermord und sonstigen Mord einebnet, halte ich diesen Nachteil für eher hinnehmbar als die generelle Lösung, die da sagt, wir heben die Verjährung generell auf. •

    ( V o r si t z : Vizepräsident Stücklen)

    Sie, Herr Vogel, sagen: Wer ein Exzeßtäter ist, wer also nicht selber in der Absicht des Völkermordes gehandelt hat, kann nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Dies ist nicht richtig. Es ist anerkannt und ausdiskutiert, daß ein Exzeßtäter, der einen Mord begeht, gleichzeitig Gehilfe im Sinne des Völkermordtatbestandes sein kann, wenn er zwar nicht in eigener Absicht der Vernichtung 'einer bestimmten religiösen oder ethnischen Gruppe gehandelt hat, die Völkermordabsicht eines anderen aber unterstützt hat; er ist dann Gehilfe des Völkermordes, würde also nach unserer Lösung materiell als Mordtäter verurteilt werden und formell als Gehilfe des Völkermordes unverjährbar stehen.
    Ein letztes, was Herr Professor Maihofer schon ansprach: Mit Sicherheit wäre der Völkermordtatbestand dann als unzureichend anzusehen, wenn er nicht, wie wir es ja vorsehen, um ein Tatbestandsmerkmal erweitet würde, nämlich um das Tatbestandsmerkmal der Vernichtung politischer Gruppen. Der Anwendungsbereich des Völkermordtatbestandes hat nämlich heute eine Lücke, eine Lücke übrigens, die er bei der Schaffung dieses Tatbestandes international nicht hatte. Ursprünglich war in der Genozid-Konvention nämlich vorgesehen, daß auch die Absicht der Vernichtung politischer Gruppen unter „Völkermord" einzuordnen ist, und es war — das zitiere ich hier ausdrücklich — die UdSSR, die darauf gedrungen hat, daß diese Einbeziehung politischer Gruppen nicht in die endgültige Fassung der Genozid-Konvention aufgenommen worden ist.
    Wir meinen, es steht der Bundesrepublik Deutschland gut an, diesen seit langem als eine erhebliche Lücke in der Genozid-Konvention empfundenen Mangel zu beseitigen. Die Bundesrepublik Deutschland würde damit zugleich über den Tag hinaus ein Zeichen setzen, ein Zeichen ihres unbedingten Willens, jeden, auch den gegen politische Gruppen gerichteten Völkermord nach ihrem Völkermordtatbestand zu ahnden und unverjährbar zu stellen.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD)






Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blumenfeld.

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    Rede von Erik Bernhard Blumenfeld


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ergreife zu dieser Stunde nur sehr zögernd das Wort, erstens deshalb, weil ich am heutigen Tage zu den wenigen gehöre, die
    neben unseren hochrangigen Juristen, deren hochqualifizierte Beiträge wir gehört haben — als Nichtjuristen hier sprechen, zweitens deswegen, weil ich eigentlich der Auffassung bin, daß es, wie vorhin auch von meinem Kollegen Klein vermerkt wurde, kaum noch ein neues Argument gibt, das in die Debatte eingeführt werden kann. Gleichwohl stehe ich hier, well ich eine Berechtigung verspüre, doch noch etwas beizutragen, und zwar nicht nur als Unterzeichner unseres Gruppenantrages, sondern auch weil ich im September des vergangenen Jahres nach einer mich und meine Kollegen aus dem Bundestag tief bewegenden Aussprache mit Mitgliedern der Knesset und mit israelischen Bürgern, die zu einem deutsch-israelischen Symposium zu uns nach Bonn gekommen waren, die Notwendigkeit verspürte, den Herrn Bundestagspräsidenten über unsere Beratungen und das Ergebnis unserer Aussprache zu informieren und dann auch die Herren Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen entsprechend zu unterrichten. Daraus ergab sich ja auch eine Initiative des Herrn Kollegen Wehner. Ich stehe nicht an, zu sagen, daß ich froh bin, daß wir so frühzeitig diese Diskussion begonnen haben; denn unsere Debatte heute — wie auch in den vergangenen und in den kommenden Wochen — erfährt ihre besondere Bedeutung vor dem Hintergrund, daß Mordtaten aus der nationalsozialistischen Vergangenheit, soweit die Verjährung noch nicht unterbrochen ist, nach dem 31. Dezember dieses Jahres strafrechtlich nicht mehr verfolgbar wären, falls es bei der derzeitigen gesetzlichen Frist bleiben sollte.
    Viele Menschen in unserem Lande, insbesondere aber auch diejenigen, die politische Verantwortung tragen, sind darüber mit Recht — und nicht erst seit der Fernsehsendung „Holocaust" — nachdenklich geworden. Dies ist gut so, weil sich zeigt, daß das Gewissen im freien Teil Deutschlands heute lebendig ist und nicht nur eine schöne politisch-moralische Vokabel.

    (Zustimmung des Abg. Wehner [SPD])

    Die Diskussion um das Für und Wider der Verjährung bei der schlimmsten Verbrechensart, die unser Recht kennt, der brutalen Mißachtung allen menschlichen Lebens, wird hier im Hause zwar kontrovers, aber mit großem Ernst und auf einem rechtspolitisch wie moralpolitisch hohen Niveau geführt. Jeder in diesem Hause, gleich auf welcher Seite er bei der Entscheidung, die wir zu treffen haben, stehen wird, ist sich mit mir in der Verurteilung der Verbrechen der Nazi-Zeit und der Notwendigkeit der Sühne dieser schwersten Mord- und Gewalttaten unserer Geschichte einig.
    Auch wenn die Lösung dieses speziellen Problems eine Frage — wenn man sie rein formal betrachtet — des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung ist, hat die Aufhebung der Verjährung einen noch wesentlich höheren Rang als etwa nur — und ich sage das „nur" nicht abqualifizierend — rechtspolitische Bedeutung.
    Ausgelöst — ich wiederhole es — und überlagert werden unsere heutige Debatte und die Entscheidung durch die NS-Verbrechen, die keinen historischen Vergleich in bezug auf die Einmaligkeit ihrer verbrecherischen Tragweite und deren Unerträglichkeit und Grausamkeit kennen.
    Ich stehe sicherlich nicht alleine, sondern wohl in der Reihe aller Mitglieder dieses Hohen Hauses, wenn ich erkläre, daß es für uns unvorstellbar wäre, wenn Verbrecher aus der NS-Zeit, Menschen, die schwere Schuld auf sich geladen haben und die nach dem Stichtag am 31. Dezember 1979 auftauchen, ungeschoren und unbestraft davonkämen, nur weil ein bestimmtes Datum maßgeblich gewesen wäre.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich sage das als einer der wenigen, die heute noch diesem Hause als Abgeordnete angehören und die die NS-Zeit als Verfolgte überlebt haben, als Insasse des Konzentrationslagers Auschwitz und des Konzentrationslagers Buchenwald und von Gestapo-Gefängnissen, Prinz-Albrecht-Straße und anderen, als einer, der das Inferno Auschwitz durch Glück und Zufall überlebt hat. Da ein Teil meiner Familie und meiner Freunde ausgerottet worden ist, weiß zumindest ich, wovon ich spreche, wenn ich von den Opfern spreche, die hier heute so beredt beschworen worden sind. Deswegen kann auch ich nicht anders, als hier eine sehr klare Position zu beziehen.
    Meine Damen und Herren, diese Freveltaten wider die Menschlichkeit haben — und das sage ich als ein Betroffener — schwere Schatten auf unser Land geworfen. Und ich stehe mit Ihnen allen in derselben Verantwortung unserer Geschichte und stehle mich nicht aus dieser Verantwortung hinaus.
    Es ist von niemandem in dieser Debatte — und ich vermerke das mit großer Genugtuung — verschwiegen worden, daß wir für diese Freveltaten geradezustehen haben. Deswegen kommt auch unserer Debatte ein so stark zu beachtendes politisches Moment zu.
    Mein Kollege Gradl und die übrigen Freunde, die mit mir zusammen den Gruppenantrag eingebracht haben, haben aber nicht nur auf die Vergangenheit abgestellt,

    (Katzer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    sondern auch auf die Gegenwart und die Zukunft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben etwa auf die brutalen Gewalttaten sogenannter politischer Terroristen und auch auf die Gewalt- und Mordtaten abgestellt, mit denen die Deutschen jenseits der Grenze überzogen werden,



    Blumenfeld
    Auch für diese Taten gilt, daß es keine Verjährung geben darf.
    Wenn die Todesstrafe bei uns aus guten Gründen abgeschafft worden ist, gibt es für mich — Herr Kollege Mikat hat das gesagt — umgekehrt auch keinen durchschlagenden Grund, die Strafverfolgbarkeit von Schwerstverbrechen, d. h. Mord, zu beschränken, also eine Verjährung zuzulassen. Die von meinen Kollegen und mir bejahte Aufhebung der Verjährung von Mord hat nichts mit dem Strafmaß, nichts mit dem Strafvollzug im Einzelfall zu tun. Es geht mir und den Kollegen, die für die Aufhebung der Verjährung plädieren, darum, eine einmal ermittelte Mordstraftat grundsätzlich noch ahnden zu können, gleichgültig, wann sie begangen worden ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Der Herr Kollege Kleinert und, wie ich glaube, auch der Kollege Erhard haben heute früh in ihren Darlegungen die auch von mir respektierte Konsequenz angesprochen, daß das menschliche Streben nach Gerechtigkeit nicht nur im Irdischen allgemein, sondern auch im strafrechtlichen Bereich irgendwo eine Grenze haben müsse. Meine Antwort darauf ist, daß wir mit der Aufhebung der Verjährung eben den Weg zum ordentlichen Gerichtsverfahren offenhalten wollen, um dann im demokratischen Rechtsstaat im Gerichtsverfahren ein Urteil sprechen zu lassen, und zwar mit all den Schwierigkeiten, die hier vorgetragen worden sind und die ich nicht klein ansetze.
    Die Frage einer etwaigen Begnadigung ist ein anderes Kapitel, das mit der Vorfrage der Verjährbarkeit von Mord nach meiner persönlichen Auffassung wenig zu tun hat. Ich halte es nicht für zweckmäßig, diese Frage mit der Verjährbarkeit zu verknüpfen. Der Gnadenerlaß und die Frage des Rechtsfriedens müsse hiervon gesondert erörtert und entschieden werden.
    Der Herr Kollege Stauffenberg hat heute in seiner beachtlichen Rede dargetan, daß wir der Justiz zuviel an Aufgaben aufbürden und damit ihre eigentliche Position schwächen, daß wir, wenn ich es richtig verstanden habe, die Rechtsautorität und den Rechtsfrieden schwächen, wenn wir immer weitere Prozesse anlaufen lassen, die dann mit einem Freispruch enden. Dazu muß ich Ihnen sagen, daß es heute schon — bei der Unterbrechung der Verjährung — zu Freisprüchen kommt und diese Unterbrechung der Verjährung durch richterliche Verfügung schon besteht. Nach meiner Auffassung wird sich also bei einer Aufhebung der Verjährung überhaupt kein qualitativer Unterschied im Hinblick auf die Autorität, die Sie angesprochen haben, ergeben.
    Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang bitte einige wenige Anmerkungen zu dem Spannungsverhältnis von Recht und Gnade. Ich erlaube mir, dies als jemand zu sagen, der zu der Kategorie der Menschen gehört, die so etwas unwidersprochen aussprechen dürfen, weil sie zu den Opfern gehören. Diejenigen unter uns, die Opfer zu beklagen haben, wissen, .was ich damit sagen will. Ebensowenig wie schlechthin Gnade vor Recht gehen kann, weil damit unser gesamtes Rechtssystem entscheidend beeinträchtigt würde, kann und darf gelten, daß sich Lebensläufe im Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat ausschließlich nach strengen rechtlichen Maßstäben zu richten haben. Dies wäre zu schroff, zu kalt, zu schematisch. Gerade um unsere Rechtsordnung voll zur Wirkung kommen zu lassen und dafür zu sorgen und von staatlicher Seite aus mit dazu beizutragen, daß die Bürger die Rechtsordnung als ihre eigene anerkennen, müssen sich die Kanten und Eckén des Rechts durch Gnade, allerdings zur rechten Zeit und am richtigen Ort, abschleifen lassen. Recht ohne Gnade wäre kein menschenwürdiges Recht, auf das letztlich alle Rechtsordnungen in den meisten europäischen Ländern aufgebaut sind. Aber die Mörder, die unter uns sind, dürfen niemals, solange sie noch unter uns sind, in diesem Sinne hoffen. Sie müssen der Gemeinschaft gegenüber für schwerstes kriminelles Unrecht verantwortlich bleiben. Darum geht es.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie bei der SPD)

    Das ist der Unterschied zu dem meiner Meinung nach nicht statthaften Vergleich, der heute von einem Redner im Hinblick auf den Freislerschen Volksgerichtshof zur Nazizeit gezogen wurde.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Das geht nicht, hier leben wir im Rechtsstaat, dort war das Sonderrecht, das Gewaltrecht der Nazis, wo niemand, der angeklagt war, das Recht finden konnte.
    Jeder einzelne von uns wird nach seinem Gewissen entscheiden. Hierbei ist es für mich besonders wichtig, daß unsere Verfassung, unser Grundgesetz kein anderes Rechtsgut so hoch wie das menschliche Leben einschätzt und es allen anderen Gütern deutlich voranstellt. Mord darf deswegen keinen Verjährungsschranken unterworfen sein, das Strafrecht darf den Schutz des menschlichen Lebens unter keine wie auch immer geartete Zeitgrenze stellen. Leben ist unteilbar, und Mord ist unverjährbar.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    Schon 1965 und 1969 — ich habe in diesem Hohen Hause an den Beratungen teilgenommen — galt für uns, daß einmal begangener Mord seinen Unrechtscharakter nicht verliert, wenn er aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr verfolgt wird oder nicht mehr verfolgt werden kann. Eine mögliche Verjährung macht eine einmal begangene Mordtat nicht ungeschehen, lediglich ungesühnt. Mord ist keine von vielen Straftaten im Katalog der tausend Straftatbestände, sondern das schwerste Unrecht überhaupt. Deswegen hatte die Bundesregierung schon 1969 vorgeschlagen, Mordverjährung gänzlich aufzuheben. Der Bundeskanzler hat heute früh gesagt, wir kennten ja das Schicksal dieser Bundesregierungsvorlage. Wir kennen sie, und wir wissen auch, warum wir damals anders entschieden



    Blumenfeld
    haben. Ich bedaure, daß wir damals so entschieden haben.
    Ich will dem Bundeskanzler eine Antwort auf die Frage geben, die er an den Kollegen Gradl, mich und andere gerichtet hat. Für uns ist der erste Satz unseres Antrages entscheidend: „Die Strafverfolgung von Mord unterliegt nicht der Verjährung." Wie dies im parlamentarischen Verfahren verläuft, ist für mich jedenfalls im Moment nicht vorrangig.
    Zum Abschluß möchte ich noch ein ganz kurzes Wort zu den Reaktionen im Ausland anfügen. Ich habe sowohl im Europäischen Parlament als auch in Israel, in Osteuropa, in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren und Monaten immer wieder erklärt, daß diese von uns hier im Bundestag zu treffende Entscheidung nicht durch irgendwelchen politischen Druck oder durch irgendwelche Pressionen seitens des Auslandes beeinflußt oder gar bestimmt werden kann und wird. Es geht hier ausschließlich um die eigenverantwortliche Entscheidung jedes einzelnen von uns, um die freie Gewissensentscheidung des politisch Verantwortlichen. Wenn dabei Stimmen des Auslandes mit der Mehrheit der deutschen Entscheidungsträger übereinstimmen, können wir dies freilich nur begrüßen.
    Die Resolution des Europäischen Parlaments, dem ich angehöre, zwingt uns aber, uns mit dieser Meinung der großen Mehrheit des europäischen und des außereuropäischen demokratischen Auslandes nicht nur auseinanderzusetzen, sondern darauf zu hören; denn die Verbrechen von damals sind in Europa begangen worden, und auch heute schaut Europa auf uns, wie wir uns beim Ende der Beratungen entscheiden werden. Ich hoffe, die Entscheidung wird richtig und vertretbar sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie bei der SPD)