Rede:
ID0814505400

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8145

  • date_rangeDatum: 29. März 1979

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Hans Hugo Klein


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Graf Stauffenberg hat heute morgen bereits darauf hingewiesen, daß sich der Deutsche Bundestag, wenn richtig gezählt worden ist, zum vierten Male mit der Frage der Verjährung beschäftigt. Es ist nicht leicht, wenn nicht unmöglich, angesichts der umfassenden Diskussionen, die in den Debatten der 60er Jahre in diesem Hause geführt worden sind — ich erinnere an die heute zum Teil schon erwähnten Reden von Adolf Arndt, Thomas Dehler, Richard Jaeger, um nur einige zu nennen —, den damals genannten neue Argumente hinzuzufügen, ja, es ist schwierig, selbst alte Argumente neu zu akzentuieren.
    Die heute vielleicht ist diese vorläufige Bilanz
    zu diesem Zeitpunkt schon erlaubt — in eindrucksvoller Weise geführte neue Debatte über die Frage der Verjährung von Mord wird dadurch nicht einfacher, daß in den zurückliegenden Jahren oder Monaten in zahllosen Gesprächen und eigenen Überlegungen der Standpunkt eines jeden zu weit-



    Dr. Klein (Göttingen)

    gehender Festigkeit gediehen ist, so daß es kaum noch möglich erscheint, einander zu überzeugen.
    Was bleibt, ist die Darstellung der eigenen Position, deren Redlichkeit wechselseitig nicht in Zweifel gezogen werden darf und heute ja auch nicht bezweifelt worden ist. Auch in der heutigen Diskussion sind bereits fast alle Argumente ausgetauscht worden. Dennoch erscheint es nicht falsch, das eine oder andere zu wiederholen; denn das Problem ist schwierig, die Motive der Entscheidung für die eine oder andere Lösung sind vielschichtig. Es kann daher nicht schaden, den einen oder anderen tragenden Gesichtspunkt neuerlich hervorzuheben.
    Das Problem, mit dem wir uns beschäftigen, ist deshalb ein so ernstes, ein uns alle tief ergreifendes Problem, weil es die Auseinandersetzung mit einem Abschnitt unserer Geschichte bedeutet, an dem wir alle schwer zu tragen haben. Es liegt mir daran, noch einmal zu sagen, daß niemand, auch und gerade diejenigen, die für die Beibehaltung des geltenden Rechts eintreten, mit der vor dem Hohen Hause liegenden Entscheidung, wie immer sie ausfallen möge, einen Schlußstrich unter diese unselige Vergangenheit des deutschen Volkes zu ziehen beabsichtigt.
    Dieses Haus ist sich einig im Abscheu vor dem damals Geschehenen, ist sich aber auch einig in der Einsicht, daß es notwendig ist, alles zu tun, um eine Wiederholung des Geschehenen hier und anderswo zu vermeiden. Denn, meine Damen und Herren, 34 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt uns ja nur die mit Trauer zu treffende Feststellung, daß das Genozid, der Völkermord, keineswegs ein einmaliges historisches Ergebnis war, daß es ihn vor 1933 gegeben hat und daß er sich auch unter unseren Augen, in unserer Gegenwart ereignet.
    Die Frage, mit der wir uns heute und hier zu beschäftigen haben, ist doch die, ob Strafverfahren etwas ,dazu beizutragen vermögen, daß wir der auf uns in besonderem Maße lastenden Verantwortung für das Nicht-sich-Wiederholen dieses Geschehens dadurch gerecht werden können, daß weitere Verfahren gegen die Täter eingeleitet werden, die im Jahre 1980 erstmals bekanntwerden. Denn nur darum geht es.
    In einem Memorandum, das am 31. Dezember des vergangenen Jahres vom Internationalen Auschwitz-Komitee publiziert worden ist, heißt es -ich zitiere aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" —, es gehe nicht so sehr darum, einzelne Personen, die an diesen Verbrechen beteiligt waren, zu verfolgen, zu ergreifen und zu bestrafen, sondern in erster Linie darum, daß das politischmoralische Prinzip, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit verbietet, allseits erfüllt und durchgesetzt wird. — In der Tat! Aber der Zweck des Strafverfahrens ist es — um den Herrn Bundeskanzler von heute morgen zu zitieren —, der irdischen Gerechtigkeit zu genügen, ein Tatgeschehen zu rekonstruieren und die Verantwortlichkeit einzelner für dieses Tatgeschehen nachzuweisen.
    Eben dies erweist sich — es ist heute vielfach dargetan worden — in zunehmendem Maße als unmöglich. Im Jahre 1978 hat die Zahl der Verurteilungen im Vergleich zur Zahl der eingeleiteten Verfahren 0,3 % betragen. Die Verjährungsfrist, die Frist der Verfolgungsverjährung auf 10 Jahre, 20 Jahre oder 30 Jahre zu bemessen, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Aber daß den Bemühungen um irdische Gerechtigkeit Grenzen gesetzt sind, ist unbestreitbar. Jede humanen Grundsätzen verpflichtete, jede liberale Rechtsordnung hat ihre Folgerungen daraus gezogen, auch diejenigen, die das Institut der Verjährung nicht kennen.
    Herr Kollege Mikat hat recht, wenn er sagt, daß sich vom Gedanken des Rechtsstaates her kein zwingendes Argument für die Verjährung in der unserer Rechtsordnung bekannten Form ergibt. Das ist zuzugeben. Aber ein anderer Schluß ergibt sich in der Tat, wie ich meine, zwingend aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, nämlich daß ein der Rechtsstaatlichkeit verpflichtetes Recht anzuerkennen hat, daß menschliches Bemühen um Gerechtigkeit endlich und von einem' gewissen Zeitpunkt an letztlich wohl auch vergeblich ist. Die Rechtsordnungen, die das Institut der Verjährung in unserem Sinne nicht kennen, haben aus dieser Erkenntnis zwar andere, aber zum gleichen Ergebnis führende Konsequenzen gezogen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es geht um die Anerkennung der Fehlbarkeit menschlichen Richtens, wie es Herr Mikat formuliert hat.
    Ich kann Herrn Mikat auch darin nicht zustimmen, daß er — so habe ich ihn verstanden, auch in seinen früheren Äußerungen — die Unverjährbarkeit offensichtlich als ein tatbestandsqualifizierendes Merkmal ansieht. Die Verjährung ist weder ein täter- noch ein tatbezogenes Merkmal. Ihr Zweck ist der Schutz des Unschuldigen — um mit Adolf Arndt zu formulieren — und der Schutz der Allgemeinheit davor, daß eine von Menschen verspätet geübte Justiz um jede Glaubwürdigkeit gebracht wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Die deutsche Gerichtsbarkeit hatte es, was die Verwirklichung von Gerechtigkeit in diesem Bereich angeht, von allem Anfang an schwer, . um nicht zu sagen: es war von allem Anfang an unmöglich, in diesem Bereich Gerechtigkeit zu üben, jedenfalls dann, wenn man Gerechtigkeit in jenem umfassenden, hier von Herrn Mikat definierten Sinn versteht, nämlich sowohl als .Einzelfallgerechtigkeit als auch als Gerechtigkeit' im System des Rechts, als Gerechtigkeit des Gesetzes, wie er formulierte. Insbesondere die Gerechtigkeit im letztgenannten Sinn des Wortes ist — schon Adolf Arndt hat es festgestellt — unheilbar zerstört sowohl durch den Überleitungsvertrag, dessen Folgen mehrfach beschrieben worden sind, als auch — und das liegt in unserer sehr eigenen Verantwor-



    Dr. Klein (Göttingen)

    tung — durch § 50 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs in der Fassung von 1968,

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    der zur Folge hatte, daß insbesondere hoch angesiedelte Täter — Schreibtischtäter, wie man sie oft genannt hat — nicht mehr verfolgt werden konnten.
    Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr wird der Zufall zum entscheidenden Moment. Zufall kann kein Prinzip des Rechts, der Gerechtigkeit sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum nehmen wir diese Fragen so ernst? Weil sich dieser Staat auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, aber auch auf dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir bis zum heutigen Tage im anderen Teil unseres Vaterlandes machen, dafür entschieden hat, sich der Gerechtigkeit zu verpflichten und sich damit auch jenen strengen Prinzipien des Rechtsstaats, seinen Verfahrensgrundsätzen zu unterwerfen, die uns Beschränkungen auferlegen, die wir gelegentlich als sehr schmerzlich empfinden. Das gilt besonders für den Fall, der immer wieder beschworen worden ist, ein neuer Täter könne bekanntwerden und lasse sich dann nicht mehr verfolgen.
    In der Tat, dieser Gedanke ist schwer erträglich, wenngleich natürlich zu bedenken ist — daran sei einmal erinnert —, daß wir es vor der rechtskräftigen Verurteilung nie mit Schuldigen, sondern immer nur mit Verdächtigen zu tun haben. Dennoch bleibt der Tatbestand. Aber es bleibt auch abzuwägen, daß auf der anderen Seite in die Strafverfolgung unabdingbar jenes unerträgliche Element der Zufälligkeit gerät, und zwar mit wachsendem Abstand zur Tatzeit in immer stärkerem Maße.
    Die Verjährung erspart dem Tatverdächtigen, d.h. demjenigen, dem bis zur Verurteilung die Vermutung der Unschuld zur Seite steht, den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten, vor allem aber den Zeugen — gerade auch den Zeugen aus der Reihe der Opfer — die Qual eines jahrzehntelangen, meist zur Erfolglosigkeit verurteilten Verfahrens. Die Verjährung bewahrt sie darüber hinaus vor der proportional zum Zeitablauf wachsenden 'Gefahr des Irrtums, eines Irrtums, der ja gleichermaßen fatal ist, gleichgültig ob er sich zuungunsten oder zugunsten des Täters auswirkt. Das gilt jedenfalls in diesem Falle.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In eben diesem Sinne — ich kann es leider nicht mehr länger ausführen — ist natürlich auch der Hinweis auf die Störung des Rechtsfriedens ein ambivalentes Argument.
    In die Diskussion des Jahres 1965 hat der heutige Präsident des Bundesverfassungsgerichts ein Wort eingeführt, das in der Gedenkstätte Yad Waschem in Jerusalem zu lesen ist, in einer Gedenkstätte, angesichts deren jedermann von uns Gefühle beschleichen, überfallen, die sich in Worte nicht fassen lassen. Scham, Trauer, Zorn, das Gefühl der Hilflosigkeit, der Ohnmacht — dies alles sind nur sehr unzureichende Beschreibungen dessen, was gerade den deutschen Besucher dieser Gedenkstätte bewegt. Das Wort heißt „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung".
    Wenn wir dafür eintreten, daß die Verjährung nach fast 35 Jahren eintritt, dann hat das mit Vergessenwollen nichts zu tun. Die Erinnerung aber, die Erlösung verheißt, muß so lange Zeit nach dem Ende des nationalsozialistischen Verbrecherregimes vorzüglich auf andere Weise als durch Strafverfahren, die zur Gerechtigkeit immer weniger beizutragen vermögen, ja in der Gefahr sind, die Ungerechtigkeit zu vermehren, wachgehalten und weitergereicht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Matthäus-Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mord, der zugleich die Voraussetzungen des Völkermords erfüllt, darf nicht verjähren. Ich halte das für diejenige Lösung, die einerseits der besonderen Dimension der Ausrottungsaktionen des Dritten Reiches und den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deuschland entsprechend dafür sorgt, daß auch nach dem 31. Dezember 1979 bisher noch unbekannte NS-Täter verfolgt werden können — der Anlaß für unsere heutige Debatte —, die aber andererseits den schon in unserem' geltenden Recht enthaltenen Wertunterschied zwischen diesen Ausrottungsaktionen und dem sonstigen Mord nicht unzulässig einebnet. Aus diesem Grunde trete ich dafür ein.
    Ich glaube, daß diese Lösung, eine differenzierte Lösung, am ehesten in das geltende Recht hineinpaßt. Sie benötigt auch die geringsten juristischen Änderungen dieses Gesetzes. Herr Vogel hat Verschiedenes gegen diese Lösung eingewandt. Herr Vogel, ich glaube, man kann zu Recht politisch mit unterschiedlicher Argumentation über diese Lösung wie über alle anderen Lösungen auch diskutieren.
    Aber Sie haben auch juristische Bedenken geltend gemacht. Das ist das erste Mal; deswegen muß ich kurz darauf eingehen. Denn juristische Argumente stehen dieser Lösung nicht entgegen.
    Sie haben gesagt, Herr Maihofer habe heute nachmittag hier gesagt, diese Lösung bedürfe keiner Änderung des geltenden Rechts. Dies hat Herr Maihofer nicht gesagt. Dies wäre ein Mißverständnis, denn selbstverständlich haben auch wir einen Gesetzentwurf formuliert, der genau das, was ich eben gesagt habe, vorsieht, nämlich exakt den Satz: „Mord, der zugleich die Voraussetzungen des Völkermordes nach § 220 a StGB erfüllt, wird unverjährbar gestellt". Das Gesetz müßte selbstverständlich geändert werden.
    Sie sagen aber, dagegen spräche aus juristischer Argumentation, daß der heutige Völkermordtatbe-



    Frau Matthäus-Maier
    stand weiter gefaßt sei: er umfasse ja nicht nur Tötungsaktionen, Mordaktionen, sondern z. B. auch die Zwangsadoption von Kindern oder die Zwangssterilisation von bestimmten Bevölkerungsgruppen. Dies ist aber kein Gegenargument. Ich darf für die Zuhörer, die mit der Materie nicht ganz so vertraut sind wie diejenigen, die sich hier seit Wochen damit beschäftigen, darauf hinweisen: Der heutige § 220 a des Strafgesetzbuches, dessen ersten Teil ich auszugsweise zitieren möchte, lautet wie folgt:
    Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,
    1. Mitglieder der Gruppe tötet,
    2. Mitgliedern der Gruppe schwere körperliche ... Schäden ... zufügt, ..., wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
    Wir schlagen vor, daß aus der Menge aller Mordtaten, die es nicht nur im NS-Reich, sondern auch danach gegeben hat, diejenigen unverjährbar gestellt werden, die zugleich den Völkermord-Paragraphen — selbstverständlich nur in seiner ersten Alternative; denn das andere wird hier gar nicht relevant erfüllen. Dies ist juristisch sehr klar und eindeutig.
    Politisch kann man darüber zwar diskutieren, aber ich meine, daß auch rechtspolitisch und politisch sehr viel dafür spricht. Warum? Ich meine, daß wir zu einer Aufhebung der Verjährung für Völkermordverbrechen zunächst auf Grund internationaler Verpflichtungen verpflichtet sind. Nicht nur die UN-Konvention über die Nichtverjährung von Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1968, sondern auch Art. 7 der Menschenrechtskonvention von 1948 sowie das Abkommen des Europarates über die Unverjährbarkeit von Kriegsverbrechen von 1974 verpflichten die Bundesrepublik Deutschland zur Aufhebung der Verjährungsfrist für Morde, soweit sie die Voraussetzung des Völkermordes erfüllen. Ich darf daran erinnern, daß unter dem Tagesordnungspunkt, den wir heute behandeln, auch ein Antrag aus dem Europäischen Parlament angeführt wird, nämlich ein Antrag, den das Europäische Parlament erst vor wenigen Wochen mit der Aufforderung an alle seine Mitgliedstaaten, also auch an uns, verabschiedet hat, nämlich — ich zitiere wörtlich —... alle politischen und juristischen Vorkehrungen zu treffen , um eine Verjährung in diesen Fällen
    — gemeint sind Kriegsverbrechen und Völkermord —
    nicht eintreten zu lassen.
    Wir greifen hier den Völkermord heraus, weil Kriegsverbrechen in unserem Strafgesetzbuch tatbestandsmäßig nicht erfaßt sind.
    Meine Damen und Herren, Herr Wissmann sprach von der mangelnden Glaubwürdigkeit, die bei Aufhebung der Verjährung z. B. gegenüber der
    Jugend eintreten würde. Ich frage umgekehrt: Wie wollen wir glaubwürdig dastehen — nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland —, wenn wir unserer Jugend und auch den übrigen Bevölkerungsgruppen nicht erklären können, warum wir trotz dieser internationalen Verpflichtungen, trotz der Entschließung des Europäischen Parlaments, der Aufforderung nicht nachkommen, die Mordverjährung aufzuheben?

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Nun ja, dazu fiele mir schon etwas ein!)

    Unabhängig von der völkerrechtlichen Lage wäre es, glaube ich, für das Rechtsempfinden unerträglich, wenn von 1980 an Verbrechen und Verbrecher bekannt würden — und das würde mit Sicherheit der Fall sein —, die ihre Teilnahme an den Massenmordaktionen nicht nur zugäben, sondern die sich — und damit ist angesichts der Uneinsichtigkeit sehr vieler NS-Täter, die wir aus den Prozessen kennen, doch zu rechnen — ihrer Taten auch noch rühmten.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Dazu hat Herr Kollege Kleinert Vorzügliches gesagt!)

    Sie wissen, daß es bestimmte Presseorgane und auch Gruppen in unserem Lande gibt, die dieses begierig aufgreifen würden. Ich glaube, da würde die Glaubwürdigkeit wiederum außerordentlich beeinträchtigt. Mit welchem Recht könnten wir kleine Betrüger, kleine Diebe noch strafrechtlich zur Verantwortung ziehen, wenn wir nicht bereit sind, die Ausrottungsaktionen des Dritten Reiches durch Aufhebung der Verjährung auch über den 31. Dezember dieses Jahres hinaus weiter zu verfolgen? Deshalb muß die Verjährung aufgehoben werden.
    Es gibt meiner Ansicht nach ein einziges gewichtiges Argument gegen diese Argumentation, nämlich die Position, die Thomas Dehler vor mehr als zehn Jahren beeindruckend bezogen hat. Aber dieser Argumentation ist meiner Ansicht nach die Grundlage entzogen: zum eine formell, weil das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1969 eine andere Entscheidung getroffen hat. Zum anderen aber auch, wie ich glaube, materiell: Verjährung ist nämlich nicht ein Kernstück liberaler Rechtspolitik, sondern ein Verfahrensinstrument, das in verschiedenen Ländern, die unserer Rechtsordnung vom Prinzip her sehr nahestehen — ich denke hier nicht etwa an' totalitäre Länder —, aber auch in verschiedenen geschichtlichen Phasen, sehr unterschiedlich oder gar nicht angewandt worden ist.
    Schließlich — drittens — meine ich hinsichtlich der Argumente von Thomas Dehler, daß all die Gesichtspunkte, die man für eine Verjährung üblicherweise heranzieht, in dem vorliegenden Problembereich der NS-Verbrechen nicht zum Tragen kommen. Argumente wie Beweisschwierigkeiten, als unangemessen empfundene Freisprüche, Schutz der Rechtspflege vor Überforderung, mangelndes Bedürfnis nach Verfolgung, Rechtsfrieden und ähnliche Gesichtspunkte ziehen hier doch einfach



    Frau Matthäus-Maier
    nicht. Denn die Alternative ist ja nicht — darauf hat der Justizminister dankenswerterweise hingewiesen —: ab dem 1. Januar 1980 entweder neue Prozesse durch Aufhebung der Verjährung oder keine Prozesse. Das ist nicht die Alternative. Wir werden auch über das Jahr 1979 hinaus noch massenhaft, nämlich in Hunderten von Fällen, Anklagen und Prozesse haben.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Und Freisprüche!)

    — Völlig richtig: auch Freisprüche! - Das heißt: All die genannten Gesichtspunkte, die üblicherweise zu Recht für eine Verjährung sprechen, ziehen in dem vorliegenden Problembereich nicht, da die ohnehin bis zum Jahr 2000 zu führenden Prozesse mit diesen Problemen werden kämpfen müssen.
    Im Gegenteil! Ich denke da an das Argument des Rechtsfriedens. Abgesehen davon, daß es Rechtsfrieden im Sinne eines abnehmenden Bedürfnisses nach strafrechtlicher Verfolgung solcher Taten wie in Auschwitz nicht geben darf,

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Gibt es denn jemanden von den Auschwitz-Leuten?)

    tut die Justiz doch alles, keinen Rechtsfrieden eintreten zu lassen, indem sie sich in dem uns verbleibenden letzten halben Jahr ernsthaft bemüht, durch Verjährungsunterbrechung dafür zu sorgen, daß wir auch noch nach 1980 zusätzliche Prozesse durchführen können.
    Es läuft also alles darauf hinaus, daß wir einen Rest von einigen wenigen NS-Verbrechern haben werden — wahrscheinlich 4 oder 5 oder auch 10 % —, bei denen eine Verjährung eintritt, während in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle eine Strafverfolgung auch nach 1980 erfolgt. Ich halte dies aber für eine durch den puren Zufall entstandene Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte und gleicher Täter. Ich glaube, daß die Öffentlichkeit diese willkürliche Ungleichbehandlung auch als solche empfinden würde.
    Diese willkürliche Ungleichbehandlung würde unter Umständen bis in einen konkreten Prozeß hineinwirken. Ich darf daran erinnern, daß Völkermord ein kollektives Verbrechen ist. Nicht einzelne können aus eigenem Antrieb Völkermord begehen, sondern nur kriminelle Herrschaftssysteme, an deren Aktionen sich einzelne als Initiatoren, eigenmächtig Handelnde oder Befehlsempfänger beteiligt haben, sind dazu imstande.
    Wegen dieser organisatorischen und ideologischen Verflechtungen der einzelnen Taten miteinander kann Völkermord nur als einheitliches Geschehen beurteilt und abgeurteilt werden.
    Nun kann es passieren, daß in einem Prozeß, der einen Tatkomplex betrifft, einige Täter auf der Anklagebank sitzen, deren Taten behandelt werden, aber auf der anderen Seite — dies hat uns Herr Rückerl in der Anhörung der FDP-Fraktion deutlich gesagt — in dem gleichen Komplex 12 oder 15 Täter vorhanden sind, von denen man weiß, daß es sie gibt, deren Taten man kennt, deren Namen man
    jedoch nicht kennt. Diese Namen könnten ja ab 1980 bekanntwerden. Dann führen wir den Prozeß gegen die angeklagten Täter zu Ende, während die anderen, vielleicht 12 oder 15 Täter, die wir dann nicht nur kennen, sondern derer wir dann habhaft werden • können, frei davonkommen. Meine Damen und Herren, ich glaube, das wäre eine unerträgliche Belastung für die noch laufenden NS-Prozesse.
    Dies erfordert, wie ich finde, aber nicht eine generelle Aufhebung der Verjährung von Mord. Organisierte Massenmordaktionen, die unter Ausnutzung des staatlichen Herrschaftsapparats an ganzen Bevölkerungsgruppen begangen worden sind, haben eine andere Qualität als sonstige Mordtaten. Bereits die Zerstörungsdimension, die Größenordnung der Verbrechen, ist mit derjenigen anderer Straftaten nicht vergleichbar. Nicht einzelne sind ihre Opfer, sondern die Existenz ganzer Bevölkerungsgruppen ist bedroht. Das verleiht solchen Verbrechen für die Völkergemeinschaft insgesamt, nicht etwa nur für uns, eine Bedeutung, die individuelle Straftaten nicht haben.
    Genau das war es, Herr Kollege Wehner, was Herr Kollege Maihofer mit seinem Satz meinte: Über Auschwitz darf kein Gras wachsen.
    Dem entspricht es im übrigen, daß Völkermord in unserem Strafgesetzbuch schon heute eine Sonderstellung einnimmt. Wir greifen also mit unserem Entwurf nur die heute schon vorhandene Sonderstellung des Völkermordes auf und knüpfen daran die Tatsache der Unverjährbarkeit. Es ist eine Sonderstellung in zwei Punkten: Der Völkermord ist nicht nur in einem speziellen Tatbestand außerhalb des Mordparagraphen geregelt, nämlich in § 220 a, er ist außerdem das einzige Delikt, für das heute bereits für zukünftige Taten die Unverjährbarkeit durch dieses Parlament festgeschrieben worden ist. Es geht also nach unserem Entwurf einfach darum, diese ohnehin vorhandene Unverjährbarkeit auch rückwirkend festzuschreiben, und zwar für Mordtaten, die zugleich den Völkermordtatbestand erfüllen. Dies ist weder eine unzulässige Rückwirkung noch eine unangemessene Ausweitung.
    Wir glauben, die generelle Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord würde diese Sonderstellung, die Ausdruck der ganz besonderen, andersartigen kriminellen Qualität und der internationalen Dimension des Völkermordes ist, nachträglich wieder einebnen.
    Nun wird eingewandt — das wäre, falls zutreffend, sicher ein schwerwiegendes Argument —, gegen die Aufhebung der Verjährung spreche das gerade von Liberalen als Zweck des Strafrechts immer wieder genannte Resozialisierungsprinzip. Dem ist zweierlei entgegenzuhalten. Zum einen sind die meisten NS-Täter nicht im echten Sinne resozialisiert. Das möchte ich klar und deutlich sagen. Wenn sie, ohne neue Straftaten zu begehen, unter uns leben, ist das allein ja noch keine Resozialisierung.



    Frau Matthäus-Maier

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Was verlangen Sie denn eigentlich?)

    — Wie das Verhalten der meisten Angeklagten in zahlreichen Prozessen zeigt, haben sie doch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht einmal bei den erschütterndsten Schilderungen von Vorgängen, z. B. im KZ, so etwas wie Betroffenheit oder Distanzierung von der Tat oder auch nur Mitgefühl oder Reue oder eine sonstige menschliche Regung zum Ausdruck gebracht.
    Zum anderen aber muß bei der Strafbarkeit des Völkermordes meiner Ansicht nach die Generalpräventive, d. h. die abschreckende Wirkung, im Vordergrund stehen. Um es ganz deutlich zu sagen: niemand, der sich in welchem Land auch immer und mit welcher Ideologie auch immer unter Ausnutzung des staatlichen Machtapparates an Verbrechen des Völkermordes beteiligt, darf darauf hoffen können, daß er, wenn er sich nur erfolgreich 20 oder 30 Jahre lang im Ausland verborgen hält, danach wieder auftauchen kann, ohne für seine Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Herr Erhard hat heute Eugen Kogon mit dem Satz zitiert: „Totalitäre Regime können nur so 'lange bekämpft werden, solange sie nicht etabliert sind." Ich finde es sehr gut, daß dies hier zitiert worden ist. Ich meine aber, es spricht gerade auch für diese Lösung, nämlich für die negative Heraushebung des Völkermordes. Wir müssen für die Zeit, die vor der Etablierung eines solchen Regimes liegt, bei. allen potentiellen Tätern das Bewußtsein wachhalten: Auch wenn sich dieses Regime, z. B. das NS-Regime, hier etabliert, dann kann ich nicht unter dem Schutz dieser Ideologie Verbrechen begehen, die irgendwann einmal der Verjährung anheimfallen. Vielmehr muß die internationale Achtung solche Verbrechen ohne zeitliche Begrenzung verfolgen.
    Nun wird von Herrn Vogel entgegengehalten — das 'greife ich als letzten Punkt noch auf —, nicht alle Gruppen von NS-Morden würden durch die Aufhebung der Verjährungsfrist für Völkermord erfaßt. Dies ist richtig. Allerdings stehen nicht alle von Ihnen genannten Beispiele hier entgegen. Sie nennen z. B. Priester. Diese kann man durch die „Absicht der Vernichtung religiöser Gruppen" einbeziehen. Oder nehmen sie z. B. die Euthanasie-Fälle! Diese fallen zwar 'in der Tat nicht unter den Tatbestand des Völkermordes, aber ich darf darauf verweisen, daß Herr Rückerl in der Anhörung in unserer Fraktion gesagt hat: Die Euthanasiefälle sind praktisch abgeschlossen — ich zitiere nur Herrn Rückerl —, so daß dort faktisch keine Probleme mehr liegen. Es gibt sicher noch andere NS-Morde, die nicht unter § 220 a fallen.
    Ich darf hier ein Beispiel nennen - ich habe lange darüber nachgedacht, wie man dieses Problem lösen könnte —, nämlich die Homosexuellen, die das NS-Regime ja auch zu Zigtausenden in die KZs gesperrt und zu Tode gebracht hat.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Und die keine Entschädigung kriegen!)

    — Und die auch keine Entschädigung kriegen, höre ich gerade. Das ist noch ein Sonderproblem, das sehr viel Unverständnis gegenüber dieser Bundesrepublik Deutschland hervorruft.
    Ich darf Ihnen sagen: Dies ist zweifellos etwas, was an unserem Entwurf ungenügend ist. Da gebe ich Ihnen recht. Doch wenn man die Alternativen abwägt, einerseits einen vorhandenen, in unserem Strafgesetzbuch schon existierenden Tatbestand, nämlich .den des Völkermordes, als Anknüpfungspunkt für die Aufhebung der Verjährung aufzugreifen, andererseits sich aber in die Gefahr zu begeben, daß man, wenn man die Verjährung generell aufhebt, den Unterschied im Unwertgehalt zwischen Völkermord und sonstigen Mord einebnet, halte ich diesen Nachteil für eher hinnehmbar als die generelle Lösung, die da sagt, wir heben die Verjährung generell auf. •

    ( V o r si t z : Vizepräsident Stücklen)

    Sie, Herr Vogel, sagen: Wer ein Exzeßtäter ist, wer also nicht selber in der Absicht des Völkermordes gehandelt hat, kann nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Dies ist nicht richtig. Es ist anerkannt und ausdiskutiert, daß ein Exzeßtäter, der einen Mord begeht, gleichzeitig Gehilfe im Sinne des Völkermordtatbestandes sein kann, wenn er zwar nicht in eigener Absicht der Vernichtung 'einer bestimmten religiösen oder ethnischen Gruppe gehandelt hat, die Völkermordabsicht eines anderen aber unterstützt hat; er ist dann Gehilfe des Völkermordes, würde also nach unserer Lösung materiell als Mordtäter verurteilt werden und formell als Gehilfe des Völkermordes unverjährbar stehen.
    Ein letztes, was Herr Professor Maihofer schon ansprach: Mit Sicherheit wäre der Völkermordtatbestand dann als unzureichend anzusehen, wenn er nicht, wie wir es ja vorsehen, um ein Tatbestandsmerkmal erweitet würde, nämlich um das Tatbestandsmerkmal der Vernichtung politischer Gruppen. Der Anwendungsbereich des Völkermordtatbestandes hat nämlich heute eine Lücke, eine Lücke übrigens, die er bei der Schaffung dieses Tatbestandes international nicht hatte. Ursprünglich war in der Genozid-Konvention nämlich vorgesehen, daß auch die Absicht der Vernichtung politischer Gruppen unter „Völkermord" einzuordnen ist, und es war — das zitiere ich hier ausdrücklich — die UdSSR, die darauf gedrungen hat, daß diese Einbeziehung politischer Gruppen nicht in die endgültige Fassung der Genozid-Konvention aufgenommen worden ist.
    Wir meinen, es steht der Bundesrepublik Deutschland gut an, diesen seit langem als eine erhebliche Lücke in der Genozid-Konvention empfundenen Mangel zu beseitigen. Die Bundesrepublik Deutschland würde damit zugleich über den Tag hinaus ein Zeichen setzen, ein Zeichen ihres unbedingten Willens, jeden, auch den gegen politische Gruppen gerichteten Völkermord nach ihrem Völkermordtatbestand zu ahnden und unverjährbar zu stellen.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD)