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    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
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    Rede von Hans A. Engelhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich beginne mit einem Zitat von Thomas Dehler:
    Jeder von uns steht in der Qual seines Gewissens, unter dem Druck einer fürchterlichen Erbschaft dieser verbrecherischen nationalsozialistischen Zeit, die als Schuld und als Scham auf uns allen lastet, und unter der Verantwortung vor dem Recht, vor unserem Recht.
    Müssen wir sagen, daß wir in der Abscheu vor dem Geschehen mit der Welt einig sind?
    Mit diesen Sätzen begann Thomas Dehler seine Rede in der Verjährungsdebatte am 10. März 1965. Aber weil wir so empfinden, wie Thomas Dehler empfand, müssen wir um der moralischen und politischen Hygiene dieser Debatte und unserer Entscheidungen willen etwas anderes sagen. Ich denke, man kann es nicht oft genug wiederholen.
    Niemand, welchen Standpunkt' er auch immer einnimmt, ist davor gefeit, in der Öffentlichkeit Beifall von der falschen Seite zu erhalten. Meine politischen Freunde und ich distanzieren uns jedenfalls mit aller Deutlichkeit und allem Nachdruck von jenen, die vom „Schlußstrich" reden und Generalamnestie meinen oder, was weit schlimmer ist, die ganz einfach ihre Augen verschließen, ihre Ohren verstopfen, das Herz und das Gehirn abschalten und damit glauben, die fürchterliche Erbschaft der Vergangenheit heute noch ausschlagen zu können.
    Wir alle wären heute — ich sage dies, weil es heute häufig auf Widerspruch stieß, in aller Deutlichkeit — zu diesem Thema hier nicht zusammengekommen, wenn uns nicht das Problem der Verjährung von NS-Morden umtriebe. Hätte es die Morde der nationalsozialistischen Zeit nie gegeben, wären die uns vorliegenden Anträge nicht gestellt worden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So ist es!)

    Lieber Herr Kollege Dr. Emmerlich, es erscheint mir nicht unfair, dies zu sagen. Wir sollten darüber auch keinen großen Streit entfesseln; ich wende mich hierbei auch an Herrn Kollegen Dr. Vogel. Aber es ist notwendig, dies zu sagen, weil es so ist.
    Hierzu hat — in allem Respekt gesagt — Herr Professor Mikat eine große Dimension der Argumentation vor uns aufgetan. Aber sie war, so grandios sie erschien, in diesem Punkt nicht überzeugend. Ich gebe ihm recht: Man kann umdenken, und der Feuerschein der Hochöfen aus den Konzentrationslagern kann ein Grund dafür sein, die Dinge generell anders zu sehen, als man sie ehedem gesehen hat. Aber um der Wahrhaftigkeit der Debatte willen — ich fände es nicht gut, wenn man es vertiefen würde —, will ich jetzt keine Rede und Gegenrede darüber entfesseln, warum dies im
    Jahr 1979, 35 Jahre vom Zusammenbruch des Dritten Reichs entfernt, debattiert wird, wenn es nicht eben darum ginge: Werden NS-Gewalttaten am 31. 12. 1979, sofern nicht unterbrochen, verjähren oder nicht?

    (Wehner [SPD]: Ist das kein Grund? Ist das kein Einschnitt?)

    Aber da die Antragsbegründungen auf Mord schlechthin lauten,

    (Wehner [SPD] : Ja!)

    wird es nötig sein, sich zunächst einmal mit der Frage der Unverjährbarkeit von Mord ganz allgemein auseinanderzusetzen. Und erst dann, wenn man eine solche Notwendigkeit verneint, ist zu beurteilen, ob die NS-Morde, vielleicht sogar unter Inkaufnahme von Nachteilen ansonsten, eine andere Regelung gebieten.
    Die Verjährung von 20 Jahren gab es im preußischen Recht — das ist des öfteren gesagt worden
    seit 1851 ; sie wurde 1871 ins Strafgesetzbuch des Deutschen Reichs übernommen.
    Ich habe an den Wissenschaftlichen Dienst dieses Hauses die Frage gerichtet, ob und wann — die Zeit des Dritten Reichs ausgeklammert — jemals relevante Bestrebungen bestanden haben, die Strafverfolgungsverjährung von Mord aufzuheben. Nach der mir erteilten Auskunft war ein solches Bedürfnis weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik vorhanden.
    Die Frage wurde, wie wir wissen, erstmals 1965 auf Grund einer Gesetzesinitiative der Abgeordneten Benda und Genossen diskutiert. Es waren die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, die zu dieser Initiative führten. Vor dem Dritten Reich bestand dafür kein Bedürfnis. Ohne die NS-Morde bestände es angesichts einer sich ständigen verbessernden Kriminaltechnik und der dadurch erzielten höchstmöglichen Aufklärungsquote auch heute nicht.
    Umgekehrt zu argumentieren, daß die gute Kriminaltechnik es ja genau ermögliche, die Verjährung von Mord aufzuheben, erscheint mir nicht schlüssig, weil die hohe Aufklärungsquote auf Grund ausgezeichneter Kriminaltechnik es fast in allen Fällen des Mords allgemein in unserem Land ermöglicht, die Täter längst vor Ablauf der alten Verjährungsfrist von 20 Jahren zu ermitteln und zu überführen.
    Aber selbst — und daran können wir auch bei dieser Debatte nicht vorbeigehen — unter dem Eindruck der fürchterlichen Verbrechen der NS-Zeit hat der Deutsche Bundestag in den letzten 30 Jahren keine Notwendigkeit der Aufhebung der Mordverjährung gesehen.
    Die . Daten sind bekannt: 1965 und 1969. 1960 stand diese Frage überhaupt nicht zur Entscheidung an. Incidenter wurde eine Entscheidung auch mit der Einführung des Völkermordparagraphen getroffen, weil der Gesetzgeber mit seiner Entscheidung zu erkennen gab, daß er im Völkermord das eine und im Mord allgemein das andere sieht. Um hier jetzt in die Details einzutreten, was si-



    Engelhard
    cherlich reizvoll wäre, ist leider nicht genug Zeit vorhanden.
    Heute morgen ist — ich glaube, von dem Herrn Kollegen Erhard — die Entscheidung von 1953 eingeführt worden. Ich halte dies für so wichtig, daß man es noch einmal sagen sollte. Dies war ja bis vor kurzem weithin unbekannt, und davon hat ja niemand gesprochen, daß nur acht Jahre vom Zusammenbruch des Dritten Reichs entfernt im Jahr 1953 der Deutsche Bundestag einmütig bekundet hat, an der Mordverjährung festhalten zu wollen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Eben der Zeitpunkt; er hatte die volle Zuständigkeit der deutschen Strafjustiz gebracht!)

    Im Jahre 1943 hatten die Nationalsozialisten im Zuge der Rechtsvereinheitlichung zwischen dem Deutschen Reich und Osterreich, das die Mordverjährung nicht kannte, einen Absatz 2 an die entsprechende Bestimmung angefügt, die neben der Zufügung typisch nationalsozialistischen Gedankenguts die Verjährung aufgehoben hat. Der Deutsche Bundestag hatte mehrere Möglichkeiten. Selbstverständlich mußte nationalsozialistisches Gedankengut aus unserem Strafgesetzbuch entfernt werden; aber niemand, nicht die Verfassung, nichts stand entgegen, die einmal beseitigte Mordverjährung beizubehalten.
    Ich habe mir aus dem Archiv die Unterlagen kommen lassen, um dieses einmal nachzulesen. Es ist interessant, daß damals schon der Bundesrat den Vorschlag unterbreitet hatte, daß man nach Abschaffung der Todesstrafe doch eine Verjährung von 30 Jahren vorsehen solle. Die Bundesregierung ist diesem Vorschlag des Bundesrates damals nicht entgegengetreten, trotzdem hat das Parlament einmütig im Plenum ohne Aussprache beschlossen, wie geschehen, und damit an der Mordverjährung von damals 20 Jahren festgehalten.
    Ich weiß, daß dieser historische Abriß der Verjährungsentscheidungen von manchem heute als eine Kette versäumter Gelegenheiten gesehen wird, zur Unverjährbarkeit von Mord zu kommen. Wir — und ich spreche hier auch für die Mehrheit meiner Fraktionskollegen — sehen dies ganz anders: Alle diese Entscheidungen waren ein ganz bewußtes Votum für das Rechtsinstitut der Verjährung auch bei Mord.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Niemand hier im Hause ist rechtlich an seine Vorentscheidungen gebunden. Ich sage deutlich, es wäre unfair, und ich beabsichtige dies nicht, auch nur den Versuch zu unternehmen, hier jemand festnageln zu wollen. Aber diese Chronik der Vorentscheidungen, die wir, wenn wir demnächst wieder zu entscheiden haben werden, heute vorfinden, muß aufgeblättert werden.
    Es ist die Kontinuität angesprochen worden. Trotz ihrer Bemerkungen, Herr Dr. Vogel, sage ich bewußt: Kontinuität wohl erwogener politischer Entscheidungen ist nicht alles, aber gerade in der
    Rechtspolitik bedeutet Kontinuität sehr viel. Ob wir jetzt, 1979, den Boden bisheriger Überzeugungen verlassen und die Aufhebung der Verfolgungsverjährung von Mord beschließen wollen, das ist im Grunde genau der Punkt, um den es in unserer Entscheidung geht, um sonst nichts.
    Diese Beratung werden wir auch in den folgenden Wochen führen müssen, mit Leidenschaft, mit Verantwortungsbewußtsein, mit Augenmaß, mit jenen drei vornehmlichen Eigenschaften und Qualitäten, die Max Weber in seinem „Der Beruf zur Politik" dem politisch Handelnden abverlangt. Von uns wird eine politische Entscheidung gefordert, aber wir wissen, was wir hier beraten und was wir dann verabschieden werden, das ist nicht Rechtstechnik, das ist auch kein Votum beliebiger Opportunität, sondern es ist vor allem und zutiefst eine moralische Entscheidung.
    . Nun werden viele Menschen draußen im Inland wie im Ausland überhaupt nicht verstehen können, wie denn eine moralische Entscheidung, um die insgesamt ja nur Gutwillige hier ringen, in dieser oder jener Richtung überhaupt streitig sein kann. Die Menschen verstehen dies nicht. Ich will versuchen, einen kleinen Hinweis zu geben. Ich weiß nicht, ob dies sticht, ob dies zutrifft. Vielleicht liefert uns auch hier Max Weber einen kleinen Schlüssel zum großen Schloß der Antwort auf diese ungeklärte Frage, warum es so schwierig ist, in der Verjährungsfrage miteinander einig zu werden. Weber sagt uns, daß alles ethisch orientierte Handeln des Politikers unter zwei voneinander grundverschiedenen Maximen möglich ist. Es kann gesinnungsethisch oder es kann verantwortungsethisch orientiert sein.
    Um Mißdeutungen vorzubeugen: ich sage dies nicht rechthaberisch oder gar polarisierend. Ich merke auch gleich mit Webers eigenen Worten an:
    Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit oder Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede.
    Beide handeln also ethisch orientiert, aber bei dem einen steht der unbedingte Wille, das Gute durchzusetzen, im Vordergrund, während bei dem anderen dieser Wille stärker eingebettet ist in die bedenkende Frage nach den voraussehbaren Folgen seines Handelns.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Hervorragend!)

    Nun wird hier gar niemand bestreiten wollen, daß ein jeder von uns die Folgen seines Tuns nach eben seiner Einsicht bedenkt. Ich kann hier für meine Freunde und mich nur aus unserer Sicht deutlich machen, welche Erwägungen im Kern unsere Absicht — so und nicht anders zu handeln — bestimmen.
    Ich brauche die Zahlen, die genannt worden sind, nicht zu wiederholen, die große Zahl der Ermittlungsverfahren und die beträchtlichen, aber in der Relation nicht so zahlreichen Verurteilungen. Im Jahre 1977 betrug das Durchschnittsalter der Ange-



    Engelhard
    klagten zur Zeit der Hauptverhandlung in NS-Verfahren 64,8 Jahre. Wären diejenigen Angeklagten, gegen die aus Krankheitsgründen nicht mehr verhandelt werden konnte, in die Statistik mit einbezogen worden, so läge, teilt uns Dr. Rückerl mit, das Durchschnittsalter erheblich höher. Diesem Altersschnitt korrespondiert naturgemäß das Lebensalter der in den Verfahren auftretenden Zeugen. Es wächst von Jahr zu Jahr und von Tag zu Tag beinahe galoppierend die Zahl der ohne Bestrafung abgeschlossenen Verfahren. Immer weniger Verurteilungen sind möglich.
    Um dies ganz klarzumachen: Wir sehen dies keineswegs unter irgendwelchen vordergründigen Gesichtspunkten. Dies wird auch niemand unterstellen wollen. Die zuweilen draußen gehörte Frage, ob sich denn der Aufwand an Zeit und Geld angesichts solcher Ergebnisse überhaupt lohne, richtet sich selbst und verbietet sich schlechthin. Ich bin im Gegenteil der Meinung: Wenn eines Tages Verfahren überhaupt nicht mehr möglich sein sollten — unabhängig von der Frage, die wir hier zu entscheiden haben werden —, dann werden wir darangehen müssen, über das bisher Geschehene hinaus, etwa durch eine Stiftung, die zeithistorische Aufarbeitung und Forschung noch stärker als bisher zu ermöglichen und zu fördern.
    Ich sehe die Entwicklung der Verfahren gegen NS-Täter in der Gegenwart und die voraussehbare Entwicklung in der Zukunft einzig und allein qualitativ von ihren Folgen her. Was immer — und das ist ja ein Hauptpunkt der Debatte — die Strafverfolgungsverjährung bezwecken und bewirken mag — ich rechte da nicht mehr; mag dies alles sinnlos sein —, ein Punkt aber bleibt, den man nicht wird leugnen können: daß die Verjährung der Endlichkeit und der Grenze irdischer Gerechtigkeit Rechnung trägt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das dürfen wir nicht übersehen. Hier scheint mir ein Bruch vorzuliegen, und darüber sollte noch einmal nachgedacht werden.
    Das Ziel materieller Gerechtigkeit kann sich auf Dauer ja niemals in der Abstraktion verwirklichen, auch nicht in der Abstraktion des guten Willens. Das ist nicht möglich. So wie der Unschuldige vor Gericht die Gewißtheit haben muß, in einem Rechtsstaat mit Sicherheit freigesprochen zu werden, so muß gegenüber dem schuldigen Täter und zur Genugtuung seiner Opfer und dessen überlebenden Angehörigen zwar nicht die Sicherheit, ja nicht einmal die Wahrscheinlichkeit, stets aber zumindest die reale Chance einer Verurteilung gegeben sein. Wo auch die Chance, die geringe Chance für eine Verurteilung fehlt und immer wieder fehlt, da zerstört sich die Justiz als die Hüterin der Gerechtigkeit selbst. Daraus folgend nimmt dann der Staat Schaden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Summum jus, summa injuria!)

    Schon immer konnten doch Verurteilungen in Verfahren gegen NS-Täter angesichts der ungeheuren Zahl der Opfer, angesichts der Vielzahl der eingestellten Verfahren nur beispielhaften und symbolischen Charakter haben. Wo aber jetzt zunehmend der Freispruch zwingend zum Symbol dieser Prozesse wird, da ist die Bewältigung einer schrecklichen Vergangenheit mit den Mitteln des Rechts eben nicht mehr möglich.
    Man wird fragen, ob das Resignation sei. Ich bestreite das nicht und sage: Sicher, es ist Resignation. Es ist die Resignation des Juristen, der um die Grenzen des Rechts und seiner Möglichkeiten weiß. Aber die Politik ist damit nicht in die Resignation entlassen. Politik in der Bewältigung des Gestern und in der Gestaltung des Morgen ist mehr, als die Justiz in feststellender Rückschau zu geben und zu leisten vermag.

    (Beifall bei der FDP, bei der CDU/CSU und vereinzelt bei der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber (Köln).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hubert Weber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte hat mir einen Auspruch, den der Sprecher der jüdischen Gemeinde zu Berlin, Herr Galinski, vor wenigen Tagen getan hat, ins Gedächtnis zurückgerufen: daß es in der fast 30jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nur wenige Probleme gegeben habe, die so viele kontroverse Diskussionen hervorgerufen hätten wie jetzt die Frage der Verjährung nationalsozialistischer Mordtaten. Gleichwohl, meine ich, wäre es falsch, unsere Entscheidung nur unter diesen Gesichtspunkt zu stellen. Müssen wir nicht vielmehr fragen — und zwar aus dem Verständnis unseres Grundgesetzes heraus —, ob uns das Leben nicht so heilig ist, daß Mord — gleichgültig ob es sich um den Kindermörder oder um den Mörder eines Taxifahrers oder um den terroristischen Mörder oder um den Nazi-Mörder handelt —, durch Berufung auf Verjährungsvorschriften nicht einfach ungesühnt bleiben darf?
    Wir können rechtlich nicht unterscheiden — damit komme ich gleich zu Ihnen, Herr Professor Maihofer — zwischen Mord, begangen durch Nationalsozialisten, und Mord, begangen von anderen. Es geht uns doch nicht um Rache, sondern es geht darum, daß wir das höchste Rechtsgut des Menschen, nämlich das Leben, entsprechend diesem Rang auch in das Bewußtsein unseres Volkes hineintragen.
    Deswegen, Herr Kollege Lenz, möchte ich Sie bitten, einmal Ihre Frage von vorhin zu überlegen, ob es in unserer Rechtsordnung noch höhere Rechtsgüter als das Leben gibt. Sie haben die Freiheit des einzelnen, die Freiheit der Religion erwähnt. Aber ist denn diese Freiheit nicht überhaupt erst dann möglich, wenn es die Freiheit des Menschen gibt?
    Herr Kollege Engelhard, wenn wir schon die absolute Gerechtigkeit nicht erreichen können, wie Sie eben betont haben, müssen wir dann nicht wenigstens danach streben, die größtmögliche Gerechtigkeit zu erreichen? Dürfen wir denn bei dem Streben nach diesem Ziel resignieren, wenn wir das Ziel einer größtmöglichen Gerechtigkeit z. B. durch dieses Gesetz jetzt wenigstens mitgestalten können?



    Dr. Weber (Köln)

    Meine Damen und Herren, ich habe die Debatten vor 15 Jahren hier in diesem Hause nicht miterleben können. Aber ich war entsetzt über ein Wort des damaligen Justizministers Dr. Ewald Bucher, der gesagt hat: „Wir müssen uns daran gewöhnen, mit Mördern zu leben." Ich fand das ein schreckliches Wort, weil dieser Zustand unerträglich war und ist.
    Deshalb, Herr Kollege Erhard, ist es für mich genauso erschreckend, daß Sie heute vormittag gesagt haben: besser ein Schuldiger, der frei herumläuft, als 50 Freisprüche. Nein, und wenn nur ein Schuldiger nach Ablauf der Verjährungsfrist sich hier frei bewegen und sich vielleicht noch seiner Taten rühmen könnte, wäre es für unser Land eine Schande und für uns alle eine defätistische Einstellung, wenn wir glaubten, wir könnten nicht mehr tun und einfach einen Schlußstrich darunter ziehen.
    Kurt Schumacher hat — in völlig anderem Zusammenhang — auf dem zweiten Parteitag nach der Wiederbegründung der Sozialdemokratischen Partei gesagt — ich zitiere —:
    Demokratie beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und Ehrlichkeit. Aber die technokratische und geradezu kriegswissenschaftliche Handhabung der politischen Mittel führt zum Gegenteil.
    Ich will damit sagen, daß wir uns in dieser Verjährungsfrage doch nicht im kriegswissenschaftlichen Stil auf formale oder vermeintliche rechtsstaatliche Positionen zurückziehen sollten, daß wir nicht sagen dürfen: Es gibt ein Rechtsinstitut der Verjährung seit 100 Jahren, das ist für uns unantastbar, wenn wir davon überzeugt sind, daß unser Grundgesetz und unser Gewissen eine andere Regelung von uns fordern.
    Was soll denn der Hinweis — wiederum von Herrn Kollegen Erhard — auf die Zahl der Verurteilungen und die unterschiedliche Rechtsanwendung zwischen deutschen Gerichten und früheren Besatzungsgerichten? Darum geht es doch nicht. Wir können doch nicht sehenden Auges Unrecht ungesühnt lassen, bloß weil andere etwas anderes oder, Falsches getan haben.
    Es geht doch auch nicht darum, Herr Kollege Engelhard, ob die Angeklagten 64 oder 65 Jahre alt sind, sondern es geht einfach darum, Schuld festzustellen und Schuld zu sühnen. Es geht darum, daß wir uns nicht auf vermeintliche Rechtspositionen zurückziehen dürfen, wenn wir davon überzeugt sind daß unser Grundgesetz, daß unser Gewissen, unser Gerechtigkeitssinn von uns eine Regelung erfordern, die dem unsäglichen Leid auch heute noch, soweit das mit irdischen Mitteln möglich ist, den Schuldigen eine Sühne angedeihen läßt.
    Meine Damen und Herren vom Rechtsausschuß: Vor wenigen Tagen hatten wir eine Diskussion mit einer Gruppe jüdischer Mitbürger, die zum größten Teil aus den Vereinigten Staaten auf eigene Kosten hier in die Bundesrepublik gekommen sind. Die haben uns nicht haßerfüllt angesehen, die haben auch keinen kollektiven Schuldvorwurf gegen uns erhoben. Im Gegenteil, sie haben den Willen zur Aussöhnung beschworen, dabei aber auch ein sichtbares Zeichen für unseren Aussöhnungswillen, nämlich den Verzicht auf die Verjährung, gefordert. Deswegen ist Ihre Schlußfolgerung falsch, daß das Ausland eine Nichtaufhebung der Verjährung möglicherweise mißverstehen könne. Nein, das Ausland muß eine solche Entscheidung von uns, wenn sie anders ausfallen würde, als der Antrag meiner politischen Freunde es fordert, mißverstehen. Es muß davon ausgehen, wir wollten das, was man als Vergangenheit bezeichnet, nicht bewältigen.
    Meine Damen und Herren, weil Sie gesagt haben, dieses Gesetz berühre Rechtstraditionen, an denen nicht gerüttelt werden sollte, möchte ich ein Wort des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann anführen, das dieser am. 24. Mai 1974 anläßlich des 25jährigen Bestehens des Grundgesetzes gesagt hat. Er sagte:
    Es wäre das Ende aller Politik, wenn Bestehendes nur noch verwaltet, aber nicht mehr verbessert würde.
    Deshalb sind auch diese amerikanisch-jüdischen Bürger zu uns gekommen: um uns zu sagen, daß wir unsere Gesetze notfalls auch ändern müssen, um dem außerordentlichen Charakter dieser Verbrechen Rechnung zu tragen, wenn die Rechtsordnung ihre zentrale Funktion nicht verlieren soll. Die Ansicht, Herr Kollege Vogel von der Opposition, 1965 und 1969 seien alle Argumente ausgetauscht worden und wir könnten das Ergebnis von damals heute nicht mehr ändern, ist doch nicht, wie Sie es bezeichnet haben, der Weisheit letzter Schluß. Wir haben uns in anderen Fällen, in denen uns das Handeln von außen, von Terroristen in viel stärkerem Maße aufgezwungen worden ist, ja auch nicht gescheut, mit strafrechtlichen und strafprozessualen Sanktionen zu reagieren.
    Lassen Sie mich aus der Enzyklika von Papst Johannes Paul II. „Redemptor hominis" einen Satz zitieren. Es heißt da:
    Die Menschenrechtserklärung hat gewiß nicht nur das Ziel, sich von den furchtbaren Erfahrungen des letzten Weltkrieges zu distanzieren, sondern sollte auch eine Grundlage für eine solche ständige Revision der Programme, Systeme und Regime schaffen, die unter diesem einzigen grundlegenden Gesichtspunkt zu geschehen hat: dem Wohl des Menschen, d. h. der Person in der Gesellschaft.
    Aber, meine Damen und Herren, wie wollen wir denn zu dieser Revision kommen, wenn wir nicht bereit sind, diese Person in der Gesellschaft als oberstes Gut zu schützen? Wollen wir denn, weil es Morde, auch politische Morde auch in anderen Ländern heute noch gibt, nicht sagen, daß wir die menschliche Würde bei allem unserem Handeln obenanstellen? Wollen wir das nicht durch ein sichtbares Zeichen zum Ausdruck bringen?
    Ich meine, wir sind verpflichtet, einen Beitrag zu leisten, damit sich solche entsetzlichen Vorgänge und Zeiten, in denen Menschen nur noch als verwert-



    Dr. Weber (Köln)

    bare oder vernichtbare Masse angesehen wurden, nicht wiederholen. Wir würden eine Chance versäumen, wenn wir nicht den Mut hätten, eine Lösung anzustreben, die unsere Vorstellungen von der Würde des Menschen dauerhaft schützt und diese Würde auch nicht durch Zeitablauf weniger wert sein läßt. Es geht also nicht um die Bewältigung der Vergangenheit, sondern darum, wie dieses Volk, wie wir alle zu uns selbst stehen.
    Meine Damen und Herren, es ist angeführt worden, es sei mit unserer Rechtsordnung, mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar, die Verjährungsvorschriften für Mord in Wegfall kommen zu lassen. Darf ich Sie fragen, ob es für den Mörder einen Vertrauensgrundsatz gibt, ob der Mörder, der auf die Verjährung vertraut, ein Recht darauf hat, in seiner Kalkulation nicht enttäuscht zu werden? Eine solche Kalkulation kann doch nicht schutzwürdig sein, wenn jemand für 20 oder 30 Jahre untertaucht, außer Landes geht, in der Erwartung, der Strafverfolgung zu entkommen. Am allerwenigsten aber verdient dieser Mörder den Schutz der Verfassung.
    Deswegen hat der Bundesgerichtshof völlig zu Recht ausgeführt — ich darf hierzu zitieren —:
    Die Länge der gesetzlichen Verjährungsfrist ist nichts, worauf der Täter, der das Strafgesetz verletzt, einen unabänderlich verfechtbaren Anspruch gegen den Staat besäße. Ihre spätere gesetzliche Verlängerung verletzt das Gebot rückwirkender Bestrafung nicht.
    An anderer Stelle heißt es:
    Durch eine Verlängerung der Verjährungsfrist würde die Strafbarkeit nicht neu begründet, sondern nur ein der Durchsetzung des fortbestehenden Strafanspruchs entgegenstehendes Hindernis beseitigt.
    Hier geht es also gar nicht um ein unzulässiges Rückwirkungsverbot, sondern lediglich um die Beseitigung eines Prozeßhindernisses.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das ist unbestritten, Herr Kollege!)

    Wenn wir die Verjährungsvorschriften bei Mord aufheben, dann nutzen wir nur den Spielraum aus, den uns das oberste Gericht in Strafsachen selber aufgezeigt hat.
    Es wäre falsch, meine Damen und Herren, wenn wir leugneten, daß bei unserem Gesetzentwurf auch weltanschauliche oder moralische Vorstellungen Einfluß nehmen konnten. Dürfen wir uns denn aber wundern, wenn der polnische Justizminister noch am Tag vor dieser Debatte auf die Leiden seines Volkes hingewiesen hat? Und dürfen wir uns wundern, daß er die unbefristete Verfolgung der hitlerfaschistischen Verbrechen verlangt? Ich meine, nicht. Vielmehr haben all diese Menschen bei uns und im Ausland einen Anspruch darauf, daß wir nicht ermüden, Mörder zu verfolgen und als den Mittelpunkt unserer Rechtsordnung diese Gerechtigkeit auszubilden versuchen.
    Meine Damen und Herren, wenn wir die Verjährung für Mord aufheben, dann deckt sich die rechtsstaatliche Betrachtungsweise, wie sie von den obersten Bundesgerichten für zulässig erachtet worden ist, mit den Anforderungen der Gerechtigkeit, mit der das Recht só weit wie möglich in Einklang gebracht werden muß.
    Diejenigen, die sagen, die Aufhebung • der Verjährung für Mord störe den Rechtsfrieden, müssen doch umgekehrt fragen, ob wir selber und besonders die Opfer von Mördern in Frieden leben können, wenn sie wissen, daß die Mörder noch unter uns sind. Das bedeutet nicht, daß wir den Resozialisierungsgedanken aus dem Strafrecht verdrängen. Aber die Strafe verfolgt auch den Zweck, die Rechtsordnung, die wir uns durch das Grundgesetz selber gegeben haben, zu verteidigen und allgemein der Begehung von Straftaten entgegenzutreten.
    Auch der Zeitablauf darf entgegen der Meinung der Opposition kein Hinderungsgrund sein, Verfahren gegen Mörder durchzuführen. Die Zeit zwischen Tat und Verurteilung steht vor allem der Sühne nicht entgegen. Auch Dauer und Umfang der Verfahren dürfen keinen Hinderungsgrund für die Abwicklung von NS-Verfahren sein. Wir haben auch in anderen Bereichen Mammutverfahren. Wollen wir davor denn kapitulieren? Wir wissen genau, daß den wegen Zeitablaufs manchmal' schwer aufklärbaren Verbrechen zahlreiche andere, sehr gut aufklärbare gegenüberstehen, zumal durch Fortschritte in der Technik in den letzten Jahrzehnten die Methoden der Kriminalistik ständig verbessert worden sind. Gerade die großen Prozesse der letzten Jahre zeigen, daß Zeugenaussagen auch nach langer Zeit noch durchaus verläßlich erscheinen. Umgekehrt können Straftaten schon nach kurzer Zeit völlig unaufklärbar sein. Alle denkbaren Fälle liegen zu verschieden, als daß die Frage der Aufklärbarkeit im Einzelfall zu einer allgemeinen, vernünftigen Bestimmung der Verjährungsfrist auch nur einen entscheidenden Punkt beitragen. könnte.
    Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf zwei Punkte eingehen. Unser Staat hat eine Verpflichtung, auch die Opfer und Hinterbliebenen zu schützen, die gebrandmarkt von dieser Verfolgung leben. Der Hinweis, sie wollten sich nicht mehr als Zeugen zur Verfügung stellen, um das Unrecht zu sühnen, ist falsch. Für jeden Betroffenen, auch für das Mädchen, das geschändet worden ist, ist es natürlich eine Qual, im Strafverfahren seinem Täter gegenüberzutreten und das Schreckliche erneut zu erleben. Genauso ist es für diese Zeugen in NS-Verfahren auch. Deswegen können wir auf die Durchführung dieser Verfahren nicht verzichten.
    Ein Wort noch zu Herrn Professor Maihofer! Herr Professor Maihofer, Ihr Vorschlag — ich bitte Sie, das zu überlegen —, zu einer differenzierten Verjährungsregelung zu kommen, wirft erhebliche Bedenken auf, nicht nur bezüglich des Art. 3 des Grundgesetzes. Denn die Ahndung des Mordtatbestandes schützt das Leben schlechthin. Der Rechtsgüterschutz ist doch qualitativ und nicht quantitativ. Auch eine Häufigkeit von Rechtsgutverletzungen in der NS-
    Zeit kann nicht zu einer unterschiedlichen Schwere



    Dr. Weber (Köln)

    einer Mordtat führen. Die Häufigkeit mag ein Argument für die Verfolgungsintensität und die Verfolgungsfrist sein, sie kann aber kein Argument für den Tatbestand selber sein. Hier gilt: Mord ist Mord. Mord kann nach der Tendenz unseres Grundgesetzes nicht verjähren, wenn wir den Menschen als den Mittelpunkt ansehen.

    (Beifall bei der SPD)