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    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Erhard, dies ist mir keineswegs entgangen. Mir ist aber sehr deutlich bewußt, daß man im Jahre 1969 — vor Eintritt der damals drohenden Verjährung — in Hun-



    Dr. Vogel (München)

    derten, vielleicht in Tausenden von Fällen von der damals bestehenden Möglichkeit der Unterbrechung durch Bestimmung des 'Gerichtsstandes Gebrauch gemacht hat mit der Folge, daß die Frist um 30 Jahre gestreckt worden ist. Außerdem: Auch die heutigen Unterbrechungsmöglichkeiten sind einfach zu nutzen: Eine Durchsuchungsanordnung genügt; die Bekanntmachung, daß ein Ermittlungsverfahren eingeleitet sei — auch wenn sie den Täter nicht erreicht —, genügt. Es sind zwölf Möglichkeiten, die den Bogen so weit wie nur möglich spannen.
    Sie haben indiesem Zusammenhang, Herr Kollege Erhard, gesagt, die Erinnerung sei für die Zeugen quälend.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Das habe ich nicht gesagt!)

    Wird sie weniger quälend, wenn eine Unterbrechung der Verjährung vorangegangen ist?
    Ein anderer Diskussionsredner hat mit großem Ernst vorgetragen, der Täter sei nach 30, 40 Jahren ein anderer Mensch, die Schuld sei durch Zeitablauf vermindert oder erloschen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Wer hat das gesagt? Ich habe das nicht gehört!)

    Ich halte in Form einer Frage dagegen: Gehört nicht die Identität des Menschen für die Dauer seines Lebens zum Begriff der Menschenwürde?

    (Wehner [SPD] : Wenn aber Gras darüber gewachsen ist, Herr Kollege?)

    — Dies ist ein Punkt, Herr Kollege Wehner, auf den ich noch an einer anderen Stelle zurückkomme, an der zu untersuchen ist, wo das Gras nach den verschiedenen Vorschlägen wachsen soll und wo nicht.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Wer hat das denn gesagt? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es dem Ernst unserer Debatte angemessen ist,

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Das sagen Sie einmal Herrn Wehner!)

    mit Zwischenrufen in der Art, wie sie heule morgen — auf die Person gezielt — gemacht worden sind, den großartigen Stil unseres Gesprächs zu gefährden und zu erschweren.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/ CSU]: Das ist die Verdrehung von Ursache und Wirkung!)

    Ich komme zu meiner Frage zurück. Es ist gesagt worden, nach so langer Zeit sei man ein anderer Mensch, die Schuld schwinde mit dem Zeitablauf. Ja, meine Damen und Herren, wird dies denn durch die Unterbrechung der Verjährung verhindert? Gilt dann dieser Gedanke nicht? Die Logik •all der Argumente ist doch, daß man die Unterbrechung abschafft und spätesten nach 30 Jahren alle Verfahren
    beendet. Dies ist doch nicht gewollt, wohl aber die zwangsläufige Folge, zu der diese Argumente führen.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Dann weiß ich nur nicht, warum die alle anders gestimmt haben!)

    Es ist gesagt worden, die Alliierten hätten zum Tode Verurteile begnadigt. Das ist wohl wahr. Die Zahl ist aus dem Bericht von Herrn Rücken zu entnehmen. Aber welche Folgerungen wollen Sie denn aus dieser Tatsache ziehen? Wir haben heute Entscheidungen vorzubereiten, die wir in unserer Verantwortung treffen müssen. Dort waren es aber Entscheidungen, die andere zu verantworten haben.
    Außerdem fürchte ich, auch hier setzen wir eine Automatik der Argumente in Gang, wenn Sie sagen, die Verjährung könne nicht aufgehoben werden, weil es Leute geben, die von den Alliierten zum Tode verurteilt, dann aber im Wege der Begnadigung von ihnen freigesetzt worden seien. Denn welche Folgerung ergibt sich dann nach eingetretener Verjährung für diejenigen, die infolge der Unterbrechung noch im Jahre 1990 oder 1995 zur Verantwortung gezogen werden?

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei der FDP)

    Ich weiß, Sie wollen dies nicht. Aber ich fürchte, diese Argumentation entfaltet einen Selbstlauf.
    Es wird versucht, einen Gegensatz zwischen der Aufhebung der Verjährung und dem vom Verfassungsgericht als verfassungsrechtlich geboten bezeichneten Vorgang der Verrechtlichung der Entscheidung über die Aussetzung lebenslanger Freiheitsstrafen herzustellen. Aber ist es denn nicht so, daß die Frage „Verjährung oder nicht" die Frage des Unrechts und der Tat betrifft, während die Frage, welche Strafe ich verhänge und wie lange ich sie vollstrecke, den konkreten Menschen, den Täter, seine spezielle Situation betrifft? Dies ist doch
    ich glaube, darüber gibt es in der rechtlichen Auseinandersetzung kaum Meinungsverschiedenheiten —die Zuordnung zwischen Unrecht und Schuld, das Unwerturteil über die Tat und die Antwort auf die Frage, welche Strafe den konkreten Menschen treffen soll.
    Ich glaube, der Kernpunkt für die Entscheidung, die hier getroffen werden muß, ist die Auseinandersetzung mit dem von Thomas Dehler im Jahre 1965 in besonders anschaulicher Weise entwickelten Gedanken der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Thomas Dehler hat gesagt, Verjährung sei notwendig, damit das Vertrauen in das Recht nicht leide und nicht geschwächt werde. Manche der Diskussionsredner haben eine Reihe von Erwägungen vorgetragen, aus denen sie ableiten, daß nur der Eintritt der Verjährung dieses Vertrauen in das Recht erhalte.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : „Nur"? Wer hat denn „nur" gesagt?)

    Herr Kollege Erhard, wir reden von Verjährung oder Nichtverjährung von Mord. Es ist vorgetragen



    Dr. Vogel (München)

    worden, daß der Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit die Verjährung auch bei Mord erforderten.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Ich habe nach dem Wörtchen „nur" gefragt!)

    — Ja, sicher; denn die andere Lösung, die Aufhebung der Verjährung, lehnen Sie doch ab. Ich setze gegen die Erwägungen, die Sie angestellt haben, fragend und zur Prüfung ausbreitend folgende Erwägung.
    Wir sprechen von dem Vertrauen dessen, der in dem Verdacht steht, gemordet zu haben. Auch er hat ein Recht darauf, sich auf das Recht verlassen zu können. Aber es gibt doch auch andere Zugänge zur Vertrauensfrage. Wäre es nicht für den Rechtsfrieden und das Vertrauen in das Recht eine schlimme Sache, wenn nach dem Eintritt der Verjährung, also im Jahre 1980, Täter, die wir namentlich nicht kennen, bei denen nicht unterbrochen werden konnte, aus anderen Kontinenten — lesen Sie es bei Herrn Rücken auf Seite 78; er nennt ja die Bereiche und die Länder — Mörder, die sich dorthin geflüchtet hatten und dort untergetaucht sind, zurückkehren, um die letzten Jahre ihres Lebens, wie sie sagen, wieder in ihrem Geburtsland zu verbringen? Wäre dies nicht eine Erschütterung des Vertrauens unserer Gemeinschaft in das Recht? Es geht meistens um den Fall, daß einer sich gar nicht einmal des Mordes rühmt, sondern seine Mordtaten im einzelnen schildert, ohne daß man ihn zur Verantwortung ziehen kann. Ich fürchte, der Versuchung, das zu publizieren, wird jedenfalls dann nicht widerstanden, wenn er es mit halb-heuchlerischem Bedauern verbindet.

    (Wehner [SPD]: Die Illustrierten-Presse!)

    Dann frage ich: Ist das keine Erschütterung des Vertrauens?
    Ich stelle eine weitere Frage. Wir haben den Tatkomplex eines KZ-Mordes an einem bestimmten Tag; hundert sind ermordet worden; den Täter A kennen wir; die Verjährung ist unterbrochen; er wird ausgeliefert und kommt 1981 vors Gericht. Der ebenso Beteiligte, dessen Namen wir nicht kannten, kann nicht zur Verantwortung gezogen werden. Ist dies nicht ein Zustand, der das Vertrauen in das Recht erschüttert?
    Das folgende möchte ich eher zurückgenommen sagen: haben nicht auch die Opfer, auch die Todesopfer und ihre Hinterbliebenen, die ich auch als Opfer bezeichne, haben die nicht auch ein Recht, auf das Recht vertrauen zu können, daß der Staat wenigstens die Antwort gibt und sagt: Dies war Mord?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich lasse mich nicht in eine Debatte verstricken, die rechthaberisch aussieht; das wäre dem Thema wenig angemessen. Ich bitte Sie — ich beschwöre Sie fast —, neben die Argumente und die Fakten, die Sie gesetzt haben, auch die meinen zu setzen, diese einzubeziehen. Jeder sollte an die Prüfung dieser Fakten mit der alten Mahnung herangehen: Bedenke, daß deine eigene Meinung falsch sein könnte!
    Es ist gesagt worden, die staatliche Gewalt müsse Grenzen haben. Es sei ein Kennzeichen des Rechtsstaates, daß er nicht alles könne, daß er sich selber Schranken auferlegen müsse. Das ist wohl wahr. Ich stimme zu. Ich sage es wieder ganz zurückgenommen und eher leise: das wäre wohl ein Gedanke, der bei manchem Vorschlag, die Befugnisse des Staates zu erweitern, seine Eingriffsmöglichkeiten auszudehnen, seine Reaktionen schärfer zu gestalten, auch einen Augenblick durch das Bewußtsein derer hätte ziehen sollen, die diese Vorschläge in großer Zahl gemacht haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Hier frage ich: wo steht denn, bitte, daß die Grenze zwischen Rechts- und Unrechtsstaat dann tangiert ist, wenn für Verbrechen des Mordes die Möglichkeit, den Betreffenden zur Verantwortung zu ziehen, sein Leben lang erhalten bleibt? Für Völkermord haben wir die Verjährung aufgehoben, alle miteinander, einstimmig. Darüber hat Herr Kollege Maihofer Ausführungen gemacht. Das sind nicht nur Tötungsverbrechen. Darunter fällt schön die Zwangsadoption, wenn ich Kinder einer ethnischen Gruppe wegnehme und der anderen einverleiben will.
    Osterreich hat nicht nur für Mord, sondern für alle Taten, die mit „lebenslang" bedroht sind, keine Verjährung. Können wir im ernst sagen: dies ist die Grenze, die sich selbst auf dem Hintergrund des Nationalsozialismus und seiner furchbaren Gewalttaten — ich komme noch darauf — als unübersteigbar erweist? Ich weiß, Thomas Dehler hat es so formuliert. Aber man darf sich doch mit dieser Meinung fragend auseinandersetzen.
    Es ist gesagt worden, die Kontinuität der Rechtsetzung sei in Gefahr. Erstens. Haben wir nicht schon aus geringerem Anlaß als diesem Gesetze oft und oft geändert? Ist die Frage, ob eine Änderung erlaubt ist, nicht auch in der Relation zu den auslösenden Ereignissen und Momenten zu sehen?

    (Beifall bei der SPD)

    Ein weiteres, und dies möchte ich eher leise sagen, schon deswegen, weil ich 1965 und 1969 nicht in der Verantwortung stand. Ich hätte wahrscheinlich auch, wenn das eine nicht zu erreichen gewesen wäre, für das andere gestimmt; ich spreche mich da nicht frei. Aber ist denn bezüglich der Kontinuität nicht die Frage erlaubt, ob man in Wahrheit nicht nur 1965 — da liegt es auf der Hand —, sondern auch 1969 die Entscheidung nicht getroffen, sondern im Grunde vertagt hat.

    (Dr. Ehmke [SPD] : Weil es dafür keine Mehrheit gab!)

    — Richtig. Das habe ich gerade ausgeführt. Ich wäre auch dabeigewesen. Ich setze mich nur mit dem Einwand auseinander, hier bestehe eine Kontinuität, die eine neue Entscheidung dieser Frage verbiete. Dem widerspreche ich.
    Es ist gesagt worden — Herr Kollege Vogel, was Sie gesagt haben, hat mich sehr beeindruckt, weil Sie gerade auch als Richter gesprochen haben —, daß diese Prozesse quälend sind. Das empfinden nicht nur diejenigen, die sie führen, diejenigen, die




    Dr. Vogel (München)

    als Zeugen teilnehmen müssen, diejenigen, um deren Anverwandte und Freunde es sich handelt, sondern auch wir, die das beobachten und die Völker, die davon betroffen sind. Das ist quälend.
    Aber jeder, 'der hier an das Pult tritt, weiß doch, daß eine gar nicht abzusehende Anzahl von Prozessen dieser quälenden Art noch kommen wird, weil die Verjährung mit unser aller Zustimmung im weitestmöglichen Umfange unterbrochen wurde. Gerade wenn argumentiert wird, man kenne ja schon alles, dann kann sich ja die Zahl dieser Prozesse nicht mehr wesentlich vermehren. Im übrigen ist es auch nicht so, daß die Staatsanwaltschaft anklagt, ohne die Verdachtsschwelle zu prüfen.
    Aber jetzt komme ich zu einer Frage, die, glaube ich, einen Augenblick über das Juristische hinausführt. Sind denn diese quälenden Prozesse eine Folge unserer Rechtsordnung, oder sind diese quälenden Prozesse eine schreckliche Erbschaft einer furchtbaren Vergangenheit?

    (Beifall bei der SPD)

    Wer kann denn glauben — keiner glaubt es; aber ich spreche es aus, weil es in den Zusammenhang gehört —, daß man mit den unsäglichen Verbrechen der Jahre von 1933 bis 1945 innerhalb bestimmter Zeit mit Prozessen normaler Art fertig werden könne? Dies ist doch eine Überforderung dessen, was Gesetze und was Gerichte zu leisten vermögen. Wer dies ernsthaft meint — ich unterstelle es keinem, aber die Argumente führen dahin —, der wird doch zu der Schlußfolgerung getrieben: Wenn er diese quälenden Prozesse nicht haben will, dann muß er alle Prozesse am 31. Dezember 1979 zu einem Ende bringen. Aber das können wir doch nicht. Das will ja hier niemand; das will wohl auch draußen niemand.
    Lassen Sie mich einige abschließende Bemerkungen machen. Ich weiß nicht, wieso sich in dieses Gespräch und in die gute Diskussion in unserem Volk, die meiner Ansicht nach eine sehr positive Seite hat, nämlich daß wir über die Grundfragen einmal ohne Häme im gegenseitigen Verstehen quer durch die Fraktionen — von Banknachbar zu Banknachbar — diskutieren, das Argument eingeschlichen hat, hier werde Falschmünzerei getrieben; man verschweige, daß es um die NS-Zeit und um die NS-Morde geht. Natürlich hat diese Diskussion diesen elementaren Charakter, natürlich fordert sie uns so, nein, ich gehe weiter: Natürlich wird sie geführt, weil wir die Jahre von 1933 bis 1945 hatten und weil es eben in dieser Zeit millionenfache Morde gab, deren Aufklärung besonderen Schwierigkeiten begegnet. Dies bestreitet doch niemand. Rechtspolitik wird doch nicht im luftleeren Raum betrieben. Rechtspolitik muß sich doch auch mit der Geschichte auseinandersetzen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist doch um Gottes willen nicht wahr, daß Recht ein starres Gerüst von Elementen ist, die keiner Entwicklung und keiner Bewegung fähig sind.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Natürlich hat Recht seinen eigenen Wert. Ich werde
    mich immer wieder der Auffassung widersetzen, Recht
    sei nur der Ausdruck irgendwelcher Machtverhältnisse und wandere an der Oberfläche mit. Nein, das hat Wertbezug, aber doch nicht starr, nicht unveränderlich in dem Sinne, daß man blind in der Geschichte lebt!
    Dann frage ich: Liegt denn nicht diese Anknüpfung und Verbindung auf der Hand? Was war denn das Verwerflichste, das Furchtbarste am Nationalsozialismus? Es war schlimm, daß er die Demokratie abgeschafft hat. Es war schlimm, daß er Menschen in ihrem Willen vergewaltigt hat. Es war schlimm, daß Menschen körperlich mißhandelt wurden. Aber das Furchtbarste, was ihn am stärksten brandmarkt, ist doch die massenhafte Vernichtung von menschlichem Leben!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Hätten wir denn diese Diskussion — damit komme ich auch schon ein wenig auf die Argumente von Kollegen Maihofer —, wenn der Nationalsozialismus alles getan hätte, was er getan hat, aber nicht Leben vernichtet hätte, nicht Menschen zu Dingen und Objekten durch Tötung erniedrigt hätte, so, wie man noch nicht einmal mit Tieren umgeht? Dies ist doch ein Anknüpfungspunkt! Das Zeichen, das von uns gefordert wird, ist doch durch die massenhafte Vernichtung dessen, was man nicht wiederherstellen kann, nämlich des Lebens, notwendig geworden!
    Herr Kollege Maihofer hat gemeint, man müsse die Grenze für die Aufhebung der Verjährung enger ziehen. Er hat gesagt, die Grenze „Mord" geht zu weit. Er meint, man solle es einschränken auf einen allerdings von ihm dann ergänzten und abgewandelten Tatbestand des Völkermords. Er hat gesagt, dies sei eigentlich schon geltendes Recht. Er hat aber hinzugefügt, daß dies bestritten ist und daß es jedenfalls von der Rechtspraxis nicht so gesehen wird.
    Ich verweise dazu auf den Ausschußbericht im Jahre 1969. Da heißt es hierzu ausdrücklich:
    Die 30jährige Verjährungsfrist für NS-Mordverbrechen ist also vom Ablauf des 31. Dezember 1949 an zu rechnen.
    Der Ausschuß war sich völlig sicher, daß er nicht rückwirkend die Verjährung für noch nicht abgelaufene Fälle von Völkermord aufheben und beseitigen wollte. Ich fürchte, diese Diskussion führt uns nicht weiter.
    Außerdem muß ich — viele Kolleginnen und Kollegen werden es nicht gegenwärtig haben — ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, daß Völkermord eben nicht nur Tötung von Menschen ist. Dies ist einer von fünf Tatbeständen des Völkermords. Dazu gehören — ich will nicht alle Ziffern aufführen — auch vier Fälle, wo nicht getötet wird. Dazu gehört auch gewaltsames Überführen der Kinder einer Gruppe in eine andere Gruppe, also beispielsweise Zwangsadoptionen in größerem Umfang in der Absicht, eine Volksgruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Niemand ist bisher der Meinung gewesen, daß etwa solche Verbrechen aus der NS-Zeit nicht der Verjährung unterlägen. Diese rechtliche Konsequenz, Herr Kollege Maihofer, fürchte ich, führt uns nicht weiter. Aber dies mag im Ausschuß näher beraten werden.



    Dr. Vogel (München)

    Ich wende mich dem Punkt zu, von dem ich wirklich meine, daß er immer wieder überdacht werden muß. Hier sehe ich ja, daß auch Redner, die sich an sich für das Eintreten der Verjährung ausgesprochen haben, zu erkennen gegeben haben, daß sie darüber noch einmal nachdenken wollen. Aber ich frage: Kann man wirklich sagen, es werde der qualitative Wesensunterschied zwischen Völkermord und Mord durch die Aufhebung der Verjährung für Mord eingeebnet? Tötung ist ja gar nicht das Spezifikum des Völkermordes. Wenn Sie den Tatbestand lesen, gehören ja auch ganz andere Dinge dazu!

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Eben deshalb!)

    Dies ist furchtbar genug, aber dies ist nicht der Zugang.
    Dann frage ich: Gibt es eine Abgrenzung, die uns die Überlegungen, die ich für noch viel quälender halte, erspart? Euthanasie ist schon erwähnt. Ist das Völkermord? Die Gerichte haben gesagt: Nein! In den Konzentrationslagern gab es zu Tausenden Menschen, die man als sogenannte Asoziale mit einem bestimmten Winkel versehen hat. Asoziale, Berufsverbrecher nannte man sie. Die fallen nicht unter den Völkermord-Tatbestand, sie sind auch keine politische Gruppe. Man hat auch Schwierigkeiten zu sagen: Wer zehn oder 20 Priester ermordet hat, habe dies in der Absicht getan, die katholische Glaubensgemeinschaft zu zerstören. Vergessen Sie bitte nicht, daß zum Völkermord die Absicht gehört; Sie müssen dem einzelnen nachweisen, daß er deswegen gehandelt hat.
    Ich fürchte, jede Grenzziehung, die nach solchen Elementen sucht, wird auf große Schwierigkeiten stoßen. Ich füge freimütig als meine Meinung hinzu: Ich finde den Einzelmord im Konzentrationslager ohne jede Absicht dieser Art, einfach weil der Betreffende jemanden auf Grund seiner Mordgelüste umgebracht hat, genauso verwerflich und bin nicht bereit zu sagen: darüber soll Gras wachsen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Das Opfer hatte auch eine Mutter, hatte Eltern und wollte wieder nach Hause.
    Darum bitte ich, darüber nachzudenken, ob nicht der wirkliche Anknüpfungspunkt das Leben ist. Mord und Totschlag sind überkommene, wirklich weit in die Vergangenheit zurückreichende Unterscheidungen. Darum drückt das Wort „Mord ist gleich Mord" das Empfinden der Menschen nicht nur besser aus als manche juristische Darstellung, sondern ist auch vom Unrechts- und .Schuldgehalt her zu bejahen.
    Schließlich ist gesagt worden — das ist meine letzte Bemerkung —, die Aufhebung der Verjährung bedeute, daß man die Bewältigung unserer Vergangenheit an die Justiz verweise und ihr etwas aufbürde, was sie nicht leisten könne. Verehrte Anwesende — ich wende micht vor allem auch an den Kollegen Erhard, der dieses Argument ebenso wie der Kollege Lenz vorgetragen hat —, ist es denn richtig, hier von einem Entweder-Oder
    zu sprechen? Selbstverständlich haben wir noch sehr viel nachzuholen, um den Jungen unsere Vergangenheit darzustellen, aber mehr noch, um ihnen zu erklären, wieso es dahin gekommen ist. Denn die Darstellung der Verbrechen — das merke ich selber bei jungen Menschen, mit denen ich spreche
    — ist erst eine Seite. Die eigentliche Aufgabe ist, ihnen zu erklären, warum das mitten in diesem Jahrhundert in unserem Land möglich war.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist richtig!)

    Nur, wird denn diese Aufgabe erschwert oder ihre Erfüllung verhindert, wenn wir sagen: Mord soll nicht verjähren?

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Sie wird dadurch nicht berührt!)

    Ich habe eine ganz andere Meinung. Ich glaube, es wird schwieriger, den jungen Menschen, der jungen Generation, das Furchtbare dessen, was damals geschehen ist, nahezubringen und zu erklären, wenn wir gleichzeitig sagen: am 1. Januar 1980 tritt aber die Verjährung ein.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dies ist ein Widerspruch, auf den junge Menschen uns mehr als einmal anreden.
    Ich möchte mit einem Zitat von Fritz Erler aus der Debatte des Jahres 1965 schließen, das in der präzisen Art, die ihm eigen war, den Kern der Sache trifft. Er hat, nicht allzuweit von seinem Tod entfernt, in seinem Debattenbeitrag am Schluß gesagt:
    Wir alle
    — dieses „wir" ist weiß Gott Wahrheit; wir alle —
    gehören zur ganzen deutschen Geschichte und bemühen uns darum, daß unser Volk mit sich selbst ins reine kommt, sich mit sich selbst aussöhnt. Daher spüren wir die Verantwortung dafür, daß die Schrecken der Vergangenheit sich nicht wiederholen dürfen, daß nicht vom deutschen Boden einen neue Drachensaat gesät werden kann. Da gilt es, Zeichen aufzurichten. Eines dieser Zeichen ist, daß Morde nicht verjähren.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Abschaffung der Todesstrafe — darin stimme ich Herrn Kollegen Mikat ausdrücklich zu — war eines dieser Zeichen, die Fritz Erler in Erinnerung hatte, als er dies sagte. Die Aufhebung der Verjährung, um den Wert des Lebens nach dieser geschichtlichen Epoche deutlich zu machen, ist ein anderes Zeichen.

    (Beifall bei der SPD)

    Lassen Sie uns darüber diskutieren, ob wir dieses Zeichen nicht in möglichst großer Gemeinsamkeit, aber mit ungebrochenem Respekt vor dem, der ein non possumus — ich kann nicht, wir können nicht
    — spricht, bis zur Entscheidung führen!

    (Beifall bei allen Fraktionen)






Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans A. Engelhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich beginne mit einem Zitat von Thomas Dehler:
    Jeder von uns steht in der Qual seines Gewissens, unter dem Druck einer fürchterlichen Erbschaft dieser verbrecherischen nationalsozialistischen Zeit, die als Schuld und als Scham auf uns allen lastet, und unter der Verantwortung vor dem Recht, vor unserem Recht.
    Müssen wir sagen, daß wir in der Abscheu vor dem Geschehen mit der Welt einig sind?
    Mit diesen Sätzen begann Thomas Dehler seine Rede in der Verjährungsdebatte am 10. März 1965. Aber weil wir so empfinden, wie Thomas Dehler empfand, müssen wir um der moralischen und politischen Hygiene dieser Debatte und unserer Entscheidungen willen etwas anderes sagen. Ich denke, man kann es nicht oft genug wiederholen.
    Niemand, welchen Standpunkt' er auch immer einnimmt, ist davor gefeit, in der Öffentlichkeit Beifall von der falschen Seite zu erhalten. Meine politischen Freunde und ich distanzieren uns jedenfalls mit aller Deutlichkeit und allem Nachdruck von jenen, die vom „Schlußstrich" reden und Generalamnestie meinen oder, was weit schlimmer ist, die ganz einfach ihre Augen verschließen, ihre Ohren verstopfen, das Herz und das Gehirn abschalten und damit glauben, die fürchterliche Erbschaft der Vergangenheit heute noch ausschlagen zu können.
    Wir alle wären heute — ich sage dies, weil es heute häufig auf Widerspruch stieß, in aller Deutlichkeit — zu diesem Thema hier nicht zusammengekommen, wenn uns nicht das Problem der Verjährung von NS-Morden umtriebe. Hätte es die Morde der nationalsozialistischen Zeit nie gegeben, wären die uns vorliegenden Anträge nicht gestellt worden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So ist es!)

    Lieber Herr Kollege Dr. Emmerlich, es erscheint mir nicht unfair, dies zu sagen. Wir sollten darüber auch keinen großen Streit entfesseln; ich wende mich hierbei auch an Herrn Kollegen Dr. Vogel. Aber es ist notwendig, dies zu sagen, weil es so ist.
    Hierzu hat — in allem Respekt gesagt — Herr Professor Mikat eine große Dimension der Argumentation vor uns aufgetan. Aber sie war, so grandios sie erschien, in diesem Punkt nicht überzeugend. Ich gebe ihm recht: Man kann umdenken, und der Feuerschein der Hochöfen aus den Konzentrationslagern kann ein Grund dafür sein, die Dinge generell anders zu sehen, als man sie ehedem gesehen hat. Aber um der Wahrhaftigkeit der Debatte willen — ich fände es nicht gut, wenn man es vertiefen würde —, will ich jetzt keine Rede und Gegenrede darüber entfesseln, warum dies im
    Jahr 1979, 35 Jahre vom Zusammenbruch des Dritten Reichs entfernt, debattiert wird, wenn es nicht eben darum ginge: Werden NS-Gewalttaten am 31. 12. 1979, sofern nicht unterbrochen, verjähren oder nicht?

    (Wehner [SPD]: Ist das kein Grund? Ist das kein Einschnitt?)

    Aber da die Antragsbegründungen auf Mord schlechthin lauten,

    (Wehner [SPD] : Ja!)

    wird es nötig sein, sich zunächst einmal mit der Frage der Unverjährbarkeit von Mord ganz allgemein auseinanderzusetzen. Und erst dann, wenn man eine solche Notwendigkeit verneint, ist zu beurteilen, ob die NS-Morde, vielleicht sogar unter Inkaufnahme von Nachteilen ansonsten, eine andere Regelung gebieten.
    Die Verjährung von 20 Jahren gab es im preußischen Recht — das ist des öfteren gesagt worden
    seit 1851 ; sie wurde 1871 ins Strafgesetzbuch des Deutschen Reichs übernommen.
    Ich habe an den Wissenschaftlichen Dienst dieses Hauses die Frage gerichtet, ob und wann — die Zeit des Dritten Reichs ausgeklammert — jemals relevante Bestrebungen bestanden haben, die Strafverfolgungsverjährung von Mord aufzuheben. Nach der mir erteilten Auskunft war ein solches Bedürfnis weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik vorhanden.
    Die Frage wurde, wie wir wissen, erstmals 1965 auf Grund einer Gesetzesinitiative der Abgeordneten Benda und Genossen diskutiert. Es waren die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, die zu dieser Initiative führten. Vor dem Dritten Reich bestand dafür kein Bedürfnis. Ohne die NS-Morde bestände es angesichts einer sich ständigen verbessernden Kriminaltechnik und der dadurch erzielten höchstmöglichen Aufklärungsquote auch heute nicht.
    Umgekehrt zu argumentieren, daß die gute Kriminaltechnik es ja genau ermögliche, die Verjährung von Mord aufzuheben, erscheint mir nicht schlüssig, weil die hohe Aufklärungsquote auf Grund ausgezeichneter Kriminaltechnik es fast in allen Fällen des Mords allgemein in unserem Land ermöglicht, die Täter längst vor Ablauf der alten Verjährungsfrist von 20 Jahren zu ermitteln und zu überführen.
    Aber selbst — und daran können wir auch bei dieser Debatte nicht vorbeigehen — unter dem Eindruck der fürchterlichen Verbrechen der NS-Zeit hat der Deutsche Bundestag in den letzten 30 Jahren keine Notwendigkeit der Aufhebung der Mordverjährung gesehen.
    Die . Daten sind bekannt: 1965 und 1969. 1960 stand diese Frage überhaupt nicht zur Entscheidung an. Incidenter wurde eine Entscheidung auch mit der Einführung des Völkermordparagraphen getroffen, weil der Gesetzgeber mit seiner Entscheidung zu erkennen gab, daß er im Völkermord das eine und im Mord allgemein das andere sieht. Um hier jetzt in die Details einzutreten, was si-



    Engelhard
    cherlich reizvoll wäre, ist leider nicht genug Zeit vorhanden.
    Heute morgen ist — ich glaube, von dem Herrn Kollegen Erhard — die Entscheidung von 1953 eingeführt worden. Ich halte dies für so wichtig, daß man es noch einmal sagen sollte. Dies war ja bis vor kurzem weithin unbekannt, und davon hat ja niemand gesprochen, daß nur acht Jahre vom Zusammenbruch des Dritten Reichs entfernt im Jahr 1953 der Deutsche Bundestag einmütig bekundet hat, an der Mordverjährung festhalten zu wollen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Eben der Zeitpunkt; er hatte die volle Zuständigkeit der deutschen Strafjustiz gebracht!)

    Im Jahre 1943 hatten die Nationalsozialisten im Zuge der Rechtsvereinheitlichung zwischen dem Deutschen Reich und Osterreich, das die Mordverjährung nicht kannte, einen Absatz 2 an die entsprechende Bestimmung angefügt, die neben der Zufügung typisch nationalsozialistischen Gedankenguts die Verjährung aufgehoben hat. Der Deutsche Bundestag hatte mehrere Möglichkeiten. Selbstverständlich mußte nationalsozialistisches Gedankengut aus unserem Strafgesetzbuch entfernt werden; aber niemand, nicht die Verfassung, nichts stand entgegen, die einmal beseitigte Mordverjährung beizubehalten.
    Ich habe mir aus dem Archiv die Unterlagen kommen lassen, um dieses einmal nachzulesen. Es ist interessant, daß damals schon der Bundesrat den Vorschlag unterbreitet hatte, daß man nach Abschaffung der Todesstrafe doch eine Verjährung von 30 Jahren vorsehen solle. Die Bundesregierung ist diesem Vorschlag des Bundesrates damals nicht entgegengetreten, trotzdem hat das Parlament einmütig im Plenum ohne Aussprache beschlossen, wie geschehen, und damit an der Mordverjährung von damals 20 Jahren festgehalten.
    Ich weiß, daß dieser historische Abriß der Verjährungsentscheidungen von manchem heute als eine Kette versäumter Gelegenheiten gesehen wird, zur Unverjährbarkeit von Mord zu kommen. Wir — und ich spreche hier auch für die Mehrheit meiner Fraktionskollegen — sehen dies ganz anders: Alle diese Entscheidungen waren ein ganz bewußtes Votum für das Rechtsinstitut der Verjährung auch bei Mord.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Niemand hier im Hause ist rechtlich an seine Vorentscheidungen gebunden. Ich sage deutlich, es wäre unfair, und ich beabsichtige dies nicht, auch nur den Versuch zu unternehmen, hier jemand festnageln zu wollen. Aber diese Chronik der Vorentscheidungen, die wir, wenn wir demnächst wieder zu entscheiden haben werden, heute vorfinden, muß aufgeblättert werden.
    Es ist die Kontinuität angesprochen worden. Trotz ihrer Bemerkungen, Herr Dr. Vogel, sage ich bewußt: Kontinuität wohl erwogener politischer Entscheidungen ist nicht alles, aber gerade in der
    Rechtspolitik bedeutet Kontinuität sehr viel. Ob wir jetzt, 1979, den Boden bisheriger Überzeugungen verlassen und die Aufhebung der Verfolgungsverjährung von Mord beschließen wollen, das ist im Grunde genau der Punkt, um den es in unserer Entscheidung geht, um sonst nichts.
    Diese Beratung werden wir auch in den folgenden Wochen führen müssen, mit Leidenschaft, mit Verantwortungsbewußtsein, mit Augenmaß, mit jenen drei vornehmlichen Eigenschaften und Qualitäten, die Max Weber in seinem „Der Beruf zur Politik" dem politisch Handelnden abverlangt. Von uns wird eine politische Entscheidung gefordert, aber wir wissen, was wir hier beraten und was wir dann verabschieden werden, das ist nicht Rechtstechnik, das ist auch kein Votum beliebiger Opportunität, sondern es ist vor allem und zutiefst eine moralische Entscheidung.
    . Nun werden viele Menschen draußen im Inland wie im Ausland überhaupt nicht verstehen können, wie denn eine moralische Entscheidung, um die insgesamt ja nur Gutwillige hier ringen, in dieser oder jener Richtung überhaupt streitig sein kann. Die Menschen verstehen dies nicht. Ich will versuchen, einen kleinen Hinweis zu geben. Ich weiß nicht, ob dies sticht, ob dies zutrifft. Vielleicht liefert uns auch hier Max Weber einen kleinen Schlüssel zum großen Schloß der Antwort auf diese ungeklärte Frage, warum es so schwierig ist, in der Verjährungsfrage miteinander einig zu werden. Weber sagt uns, daß alles ethisch orientierte Handeln des Politikers unter zwei voneinander grundverschiedenen Maximen möglich ist. Es kann gesinnungsethisch oder es kann verantwortungsethisch orientiert sein.
    Um Mißdeutungen vorzubeugen: ich sage dies nicht rechthaberisch oder gar polarisierend. Ich merke auch gleich mit Webers eigenen Worten an:
    Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit oder Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede.
    Beide handeln also ethisch orientiert, aber bei dem einen steht der unbedingte Wille, das Gute durchzusetzen, im Vordergrund, während bei dem anderen dieser Wille stärker eingebettet ist in die bedenkende Frage nach den voraussehbaren Folgen seines Handelns.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Hervorragend!)

    Nun wird hier gar niemand bestreiten wollen, daß ein jeder von uns die Folgen seines Tuns nach eben seiner Einsicht bedenkt. Ich kann hier für meine Freunde und mich nur aus unserer Sicht deutlich machen, welche Erwägungen im Kern unsere Absicht — so und nicht anders zu handeln — bestimmen.
    Ich brauche die Zahlen, die genannt worden sind, nicht zu wiederholen, die große Zahl der Ermittlungsverfahren und die beträchtlichen, aber in der Relation nicht so zahlreichen Verurteilungen. Im Jahre 1977 betrug das Durchschnittsalter der Ange-



    Engelhard
    klagten zur Zeit der Hauptverhandlung in NS-Verfahren 64,8 Jahre. Wären diejenigen Angeklagten, gegen die aus Krankheitsgründen nicht mehr verhandelt werden konnte, in die Statistik mit einbezogen worden, so läge, teilt uns Dr. Rückerl mit, das Durchschnittsalter erheblich höher. Diesem Altersschnitt korrespondiert naturgemäß das Lebensalter der in den Verfahren auftretenden Zeugen. Es wächst von Jahr zu Jahr und von Tag zu Tag beinahe galoppierend die Zahl der ohne Bestrafung abgeschlossenen Verfahren. Immer weniger Verurteilungen sind möglich.
    Um dies ganz klarzumachen: Wir sehen dies keineswegs unter irgendwelchen vordergründigen Gesichtspunkten. Dies wird auch niemand unterstellen wollen. Die zuweilen draußen gehörte Frage, ob sich denn der Aufwand an Zeit und Geld angesichts solcher Ergebnisse überhaupt lohne, richtet sich selbst und verbietet sich schlechthin. Ich bin im Gegenteil der Meinung: Wenn eines Tages Verfahren überhaupt nicht mehr möglich sein sollten — unabhängig von der Frage, die wir hier zu entscheiden haben werden —, dann werden wir darangehen müssen, über das bisher Geschehene hinaus, etwa durch eine Stiftung, die zeithistorische Aufarbeitung und Forschung noch stärker als bisher zu ermöglichen und zu fördern.
    Ich sehe die Entwicklung der Verfahren gegen NS-Täter in der Gegenwart und die voraussehbare Entwicklung in der Zukunft einzig und allein qualitativ von ihren Folgen her. Was immer — und das ist ja ein Hauptpunkt der Debatte — die Strafverfolgungsverjährung bezwecken und bewirken mag — ich rechte da nicht mehr; mag dies alles sinnlos sein —, ein Punkt aber bleibt, den man nicht wird leugnen können: daß die Verjährung der Endlichkeit und der Grenze irdischer Gerechtigkeit Rechnung trägt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das dürfen wir nicht übersehen. Hier scheint mir ein Bruch vorzuliegen, und darüber sollte noch einmal nachgedacht werden.
    Das Ziel materieller Gerechtigkeit kann sich auf Dauer ja niemals in der Abstraktion verwirklichen, auch nicht in der Abstraktion des guten Willens. Das ist nicht möglich. So wie der Unschuldige vor Gericht die Gewißtheit haben muß, in einem Rechtsstaat mit Sicherheit freigesprochen zu werden, so muß gegenüber dem schuldigen Täter und zur Genugtuung seiner Opfer und dessen überlebenden Angehörigen zwar nicht die Sicherheit, ja nicht einmal die Wahrscheinlichkeit, stets aber zumindest die reale Chance einer Verurteilung gegeben sein. Wo auch die Chance, die geringe Chance für eine Verurteilung fehlt und immer wieder fehlt, da zerstört sich die Justiz als die Hüterin der Gerechtigkeit selbst. Daraus folgend nimmt dann der Staat Schaden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Summum jus, summa injuria!)

    Schon immer konnten doch Verurteilungen in Verfahren gegen NS-Täter angesichts der ungeheuren Zahl der Opfer, angesichts der Vielzahl der eingestellten Verfahren nur beispielhaften und symbolischen Charakter haben. Wo aber jetzt zunehmend der Freispruch zwingend zum Symbol dieser Prozesse wird, da ist die Bewältigung einer schrecklichen Vergangenheit mit den Mitteln des Rechts eben nicht mehr möglich.
    Man wird fragen, ob das Resignation sei. Ich bestreite das nicht und sage: Sicher, es ist Resignation. Es ist die Resignation des Juristen, der um die Grenzen des Rechts und seiner Möglichkeiten weiß. Aber die Politik ist damit nicht in die Resignation entlassen. Politik in der Bewältigung des Gestern und in der Gestaltung des Morgen ist mehr, als die Justiz in feststellender Rückschau zu geben und zu leisten vermag.

    (Beifall bei der FDP, bei der CDU/CSU und vereinzelt bei der SPD)