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    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
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    Rede von Dr. Paul Mikat


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Begründung, die dem Antrag, für den ich jetzt spreche, gegeben wurde, zeigt, daß dieser Antrag nicht Ausdruck einer neuen rechtspolitischen Diskussion ist, sondern daß mit ihm eine Diskussion fortgesetzt wird, die auch nach der Änderung der Verjährungsfrist für Mord, die im Jahre 1969 das Parlament beschlossen hat, niemals ganz verstummte.
    Die Tatsache, daß sich das Parlament innerhalb kurzer Zeit erneut mit der Frage der Verjährbarkeit oder Unverjährbarkeit von Mord zu beschäftigen hat, mag auch als Indiz dafür gelten, wie schwer die Rechtsgüterabwägung auf diesem Felde ist. Es ist ja keineswegs so, als ginge es hier um eine leichte Entscheidung; davon könnte nur dann die Rede sein, wenn Gründe und Gegengründe in einem krassen Mißverhältnis stünden. Das jedoch trifft nicht zu; auch )diejenigen, die den Antrag hier vorlegen, wissen sehr wohl um 'die Gewichtigkeit der Gegengründe und haben sich mit ihnen auseinandergesetzt. Sie wissen darum, daß auch diejenigen, die anderer Meinung sind, das aus hoher moralischer Überzeugung sind. Weil sie dieses wissen, haben sie die Pflicht, angesichts der zahlreichen Stimmen, 'die insbesondere aus dem interessierten Ausland zu uns dringen, immer wieder Ideutlich zu machen, 'daß der Deutsche Bundestag als Ganzes einmütig in der Ablehnung von NS-Gewalttaten ist, auch wenn in der Frage der Verjährbarkeit oder Unverjährbarkeit von Mord verschiedene Standpunkte bezogen werden.

    (Beifall bei 'der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Aber gerade weil hier nicht Moralität gegen Rechtspolitik steht, aber auch nicht rechtsstaatliches Denken gegen opportunistisches Zweckdenken, haben wir alle die Möglichkeit, in Respekt voreinander diese Debatte zu führen.
    Die Alternativen Sind klar: Entweder wir entschließen uns für 'die generelle Unverjährbarkeit des Mordes oder wir belassen es bei der derzeitigen Regelung. Eine nochmalige Verlängerung der Frist wäre nichts anderes als eine Vertagung der Problemlösung, sie würde 'den Eindruck erwecken müssen, am Recht werde manipuliert. Davon aber kann nicht 'die Rede sein, wenn die Frage nach der generellen Unverjährbarkeit des Mordes gestellt wird,



    Dr. Mikat
    denn dann geht es nicht um ein Hinausschieben der Frist, sondern um das Aufheben der Frist angesichts der Schwere eines Delikts.
    Es liegt nahe, daß, wenn die Schatten unserer Vergangenheit beschworen werden, auch Stimmen laut werden, die auf die Untaten anderer Staaten und Völker verweisen. Mehrere Zuschriften erreichten mich in den letzten Tagen, vorgefertigte Formulare, in denen es unter Hinweis auf die Untaten anderer hieß: „Wahren Sie die Interessen des deutschen Volkes und verteidigen Sie den Rechtsstaat!" Die will ich wahrlich wahren und den will ich wahrlich verteidigen, aber nicht im Sinne dieser Schreiber. In solchen Stimmen, aus welchen Motiven heraus sie auch laut werden mögen, wird eine gefährliche Geisteshaltung deutlich, nämlich die, als gelte es, Unrecht gegen Unrecht aufzuwiegen, als gelte es, die inhaltliche Ausfüllung unseres Rechtsstaates, für den man selbst Verantwortung trägt, vom Tun oder Unterlassen anderer abhängig zu machen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Wir würden das Unrecht nur verfestigen, würden wir so handeln. Wir sind aufgerufen, für unseren Teil und mit unseren Möglichkeiten unsere Rechtsordnung zu bestimmen. Es ist Unrecht, eigenes Unrecht mit fremdem Unrecht verrechnen zu wollen, so wie es ja auch Unrecht ist, das unrechte Tun, anderer mit eigenem unrechten Tun zu beantworten. Weder sittlich noch rechtsdogmatisch trifft das Argument zu, die Unverjährbarkeit des Mordes dürfe so lange nicht eingeführt werden, solange nicht andere Staaten vergleichbare Fälle vergleichbar behandeln würden. Hier gilt: tua res agitur. Sicherlich folgt auch daraus noch nicht, daß wir gezwungen sind, die Unverjährbarkeit des Mordes einzuführen, wohl aber folgt daraus, wenn wir die Unverjährbarkeit des Mordes für notwendig halten sollten, daß wir sie dann auch einführen müssen, ohne danach zu fragen, wie sich andere Staaten verhalten.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Unwürdig diejenigen, die davon reden, wer die Unverjährbarkeit des Mordes fordere, habe die Opfer des eigenen Volkes vergessen. Ganz im Gegenteil: Auch in diesen Opfern begegnet uns Mord als generelle Verneinung des Lebens. Gerade darum aber kann nicht Mord gegen Mord aufgerechnet werden. Wer uns solches ansinnt — und auch noch unter Berufung auf den Rechtsstaat —, der mutet uns die Absage an den Rechtsstaat zu.
    Zu warnen ist auch vor denen, die meinen, jetzt müsse endlich einmal ein „Schlußstrich" unter ein dunkles Kapitel unserer Geschichte gezogen werden. Die so reden, .wollen verdrängen, nicht überwinden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    In der Geschichte wird nicht bilanziert, wird nicht
    Schuld verrechnet, wie uns die Bilanzbuchhalter
    des Unrechts oft vorgaukeln wollen. Die Fehler der
    Vergangenheit, für die ein Volk einzustehen hat, werden überwunden durch die positiven Leistungen. Wir können stolz darauf sein, nach dem Krieg die NS-Zeit durch positive Leistungen überwunden zu haben. Namen wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Schumacher und Theodor Heuss mögen stellvertretend dafür stehen.
    Ich kann es mir versagen, auf die Arbeit der Ludwigsburger Zentralstelle einzugehen. Ich gehe davon aus, daß dem Hohen Hause bekannt ist, wie viele NS-Verfahren noch anhängig sind. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang nicht versäumen, auch für die Antragsteller gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion an alle Staaten zu appellieren, eventuell noch vorhandenes Belastungsmaterial nicht zurückzuhalten, sondern den deutschen Stellen zugänglich zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Staaten, die über belastendes Material verfügen, es aber bewußt zurückhalten, um es erst später zu einem ihrem politischen Kalkül entsprechenden Zeitpunkt vorzulegen, zeigen damit, daß sie nicht an Recht und Gerechtigkeit interessiert sind, sondern belastendes Material als Waffe gegen die Bundesrepublik Deutschland einsetzen wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr!)

    Eine solche Haltung könnte nur auf sie selbst zurückschlagen, in ihr würde sich nicht die Achtung vor dem Recht, sondern die Mißachtung des Rechtes manifestieren.
    Wenngleich die von uns zu treffende Entscheidung weder ausschließlich rechtsgeschichtlich noch rechtsvergleichend begründet werden kann, so können doch Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung für die rechtspolitische Entscheidungsfindung wichtige Kriterien liefern. Allerdings: Die bloße Berufung auf die Geschichte kann Ausdruck eines durchaus ungeschichtlichen . Denkens sein, und nicht derjenige zieht Lehren aus der Geschichte, der unreflektiert tradiert, sondern derjenige, der Geschichte als lebendigen Prozeß versteht, in dessen Verlauf wir, in bewußter Anknüpfung an die Überlieferung und die Bedingungen der Gegenwart, gestaltend zu wirken haben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Zu einer Dokumentation „Die Verjährung im Strafrecht — rechtsgeschichtliche Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung" heißt es einleitend, daß der tiefere Sinn der Verjährung insbesondere im rechtsgeschichtlichen Rückblick offenkundig werde. Und dann wörtlich:
    Dabei zeigt sich, daß die Entwicklung der Strafverfolgungsverjährung zu einem umfassenden Rechtsinstitut eng verknüpft ist mit der Verbreitung und Verfestigung rechtsstaatlichen Gedankenguts. Diesen Kontext gilt es in der aktuellen Verjährungsdiskussion nicht aus dem Auge zu verlieren. Lehren aus der Geschichte zu ziehen, heißt auch, an bewährten Institutionen festzuhalten.



    Dr. Mikat
    Der Rechtshistoriker — und ich bin das nicht nur aus Neigung, sondern auch aus Profession — wird sich über das hier versuchte Lob seiner Disziplin freuen, aber er wird zugleich davor warnen müssen, rechtshistorische Befunde im Interesse eines gewünschten Ergebnisses zu verkürzen und somit ungeschichtlich zur Geltung zu bringen. Es ist wenig sinnvoll, auf die Geschichte zu verweisen, ohne im einzelnen darzutun, unter welchen Bedingungen und von welchen Voraussetzungen her eine rechtliche Norm zu einer bestimmten Zeit in Geltung war.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Auf die Verjährungsfrage bezogen: Wer in aller Welt gibt nun schon „eine bewährte Institution" preis, wenn er die generelle Unverjährbarkeit des Mordes postuliert? Steht und fällt dann das Institut der Verjährung mit der Verjährbarkeit oder Unverjährbarkeit eines bestimmten Deliktes? Auf die zwingende Verjährbarkeit aller Delikte wird sich wohl niemand, der die Geschichte bemüht, berufen wollen, denn dann wären die Einführung der Unverjährbarkeit des Völkermordes ja zugleich auch die Preisgabe des Rechtsinstituts der Verjährung gewesen.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Wer im Zusammenhang mit der Verjährungsfrage die rechtshistorische Kontinuität bemüht, muß zunächst einmal angeben, welche Zeitspanne er meint. Legt man die Zeitspanne zugrunde, die wir gewöhnlich als „deutsche Rechtsgeschichte" bezeichnen, also einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren, so wird man schwerlich davon sprechen können, die Verjährung des Morddeliktes gehöre zur ungebrochenen rechtsgeschichtlichen Tradition. Noch das 19. Jahrhundert bietet zunächst entsprechend der territorialen Gliederung ein unterschiedliches Bild, erst mit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 erfährt das strafrechtliche Verjährungsrecht für Deutschland eine Vereinheitlichung. Wer also die Rechtstradition mit 1871 beginnen läßt, kann dann von „bewährter deutscher Rechtstradition" sprechen.
    Dem differenzierten rechtshistorischen Befund entspricht der ebenfalls differenzierte rechtsvergleichende Befund. Von einer einheitlichen Praxis der Staaten kann nicht die Rede sein. Nicht einmal eine einheitliche kontinentaleuropäische Praxis läßt sich für die Strafverfolgungsverjährung bei Mord feststellen. Hier im einzelnen die verschiedenen staatlichen Regelungen darzulegen, ist nicht notwendig. Es mag genügen, wenn festgestellt wird, daß z. B. in allen Staaten des Common-lawGebietes Mord nicht verjährt. Andere Staaten wiederum kennen eine Verjährung des Morddelikts ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland, in der freilich Völkermord nicht verjähren kann. Wiederum andere Staaten haben nach dem letzten Kriege die Unverjährbarkeit nur für bestimmte Delikte, z. B. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit, gesetzlich verankert.
    Gerade weil die rechtsvergleichende Betrachtung ein so unterschiedliches Bild bietet, vermag sie deutlich zu machen, daß vom Gedanken des Rechtsstaates her verschiedene Antworten auf die Frage, ob Mord verjähren soll oder nicht, möglich sind. Aus dem Rechtsstaatsgedanken kann keineswegs zwingend gefolgert werden, Mordtaten müßten unverjährbar sein.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD])

    Die derzeit geltende Regelung unseres Strafrechts, wonach die Verjährungsfrist bei Mord 30 Jahre beträgt, steht also nicht im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip. Aber andererseits gilt ebenso, daß aus dem Rechtsstaatsgebot nicht zwingend folgt, daß alle Straftaten verjähren müssen. Wäre dem so, dann hätte die Regierung Kiesinger im Jahre 1969 einen Antrag eingebracht, der dem Rechtsstaatsgedanken zuwiderlief, ja, dann wäre schließlich sogar die Unverjährbarkeit des Völkermordes, die in der Bundesrepublik Deutschland Bestandteil des geltenden Rechts ist, mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar. — Der Rekurs auf den Rechtsstaat entfällt.
    Wenngleich der Forderung nach Unverjährbarkeit des Mordes nicht jene rechtsstaatliche Notwendigkeit eignet, wie z. B. dem Gebot des rechtlichen Gehörs oder dem Grundsatz „Nulla poena sine lege" — keine Strafe ohne Gesetz —, so eignet ihr doch eine von der Wertordnung unserer Verfassung her sinnvolle Angemessenheit, die sich aus der Tatsache ergibt, daß das Rechtsgut „Leben" so elementar ist, daß es von der Rechtsordnung umfassend geschützt werden muß.
    Im Rahmen eines umfassenden Schutzes kommt auch der Unverjährbarkeit des Morddeliktes eine nicht geringe Bedeutung zu. Mit der Unverjährbarkeit des Morddeliktes unterstreicht dann die staatliche Rechtsordnung den hohen Rang des Wertes Leben, den der Mörder mit seiner Tat bewußt verneint.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Sollte der Deutsche Bundestag die Abschaffung der Mordverjährung beschließen, dann mag es durchaus sein, daß in Zukunft einmal Kinder ihre Eltern, Schüler ihre Lehrer oder Studenten ihre Professoren fragen, warum nach deutschem Recht Mord nicht verjährt. Ich hoffe, ihnen wird dann als Antwort nicht nur der Hinweis auf die Schwere des Morddeliktes gegeben, sondern es wird ihnen auch gesagt, daß die Unverjährbarkeit des Mordes im deutschen Strafrecht zugleich eine bleibende Erinnerung daran ist, daß es in Deutschland einmal eine Zeit gab, in der Mord und Mordlust, Rassenwahn und Herrenmenschentum zu den Maximen eines Staates gehörten, der Recht in Unrecht verkehrt hatte.

    (Lebhafter Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Die Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord soll auch das Bewußtsein im Volke dafür wachhalten, daß es schwerste Schuld gibt.
    Nun könnten aber diejenigen, denen solche Antwort gegeben wird, fragen: Warum gibt es denn für die schwerste Schuld nicht auch die schwerste Strafe, die Todesstrafe, warum hat man zu einer Zeit, als



    Dr. Mikat
    die Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord beschlossen wurde, in der Verfassung festgeschrieben: „Die Todesstrafe ist abgeschafft", warum hat man damit eine Strafe verneint, die als Ausdruck schwerster Schuld in unserem Strafrecht geschichtlich tief verankert war?
    Und ich hoffe, in der Antwort auf diese Frage wird dann nicht nur auf die Fehlbarkeit menschlichen Richteng und die Irreversibilität der Todesstrafe hingewiesen, sondern auch gesagt, daß die Aufhebung der Todesstrafe im deutschen Strafrecht zugleich eine bleibende Erinnerung daran ist, daß es in Deutschland einmal eine Zeit gab, in der die staatlichen Mörder die Todesstrafe verhängten, in der die Todesstrafe selbst zum Mord wurde.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Die Abschaffung der Verjährung von Völkermord und Mord sowie die Abschaffung der Todesstrafe schließen einander nicht aus, in rechtsgeschichtlicher Sicht korrespondieren sie miteinander, drückt sich in ihnen auch das Fortwirken, das notwendige Fortwirken der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft aus.
    Auch wenn für die Rechtsprechung die Auswirkungen der Aufhebung der Mordverjährung in der Gegenwart gering und in der Zukunft noch geringer sein sollten, so wird doch die Aufhebung der Mordverjährung in Gegenwart und Zukunft von großer Bedeutung sein können, wenn sie von unserem Volke nicht nur im Hinblick auf Zahl und Durchführung einzelner Verfahren gesehen wird.
    Schon nach geltendem Recht verjährt Völkermord nicht, und es wird niemand unter uns sein, der diese Bestimmung unseres Strafrechts nur unter dem Gesichtspunkt künftig möglicher Verfahren würdigt. Unerträglich die Vorstellung, daß es einmal notwendig werden sollte, vor einem deutschen Gericht ein Verfahren wegen Völkermord durchführen zu müssen. Ist der Straftatbestand des Völkermordes aber darum in unserem Strafgesetzbuch überflüssig? Ist die Bestimmung überflüssig, daß das Verbrechen des Völkermordes nicht verjährt' Keineswegs! Im Straftatbestand eines unverjährbaren Völkermordes drückt sich der Abscheu vor einem grausigen Verbrechen aus, das die Gerichte in unserem Volke hoffentlich niemals beschäftigen wird, das es aber in der Geschichte unseres Volkes als grausige Realität gegeben hat, als Realität der, Vergangenheit, die wir niemals vergessen dürfen, soll sie nicht doch wieder einmal unfaßbare, aber mögliche Realität der Zukunft werden, eine Realität, die wir nicht vergessen dürfen, damit uns bewußt bleibt, welche furchtbaren Möglichkeiten des Bösen es geben kann.
    Daß wir in der Gegenwart bestimmte NS-Verbrechenskomplexe nicht wegen Völkermord ahnden können, ist durch das im Grundgesetz verankerte Rückwirkungsverbot bedingt, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbestimmung gesetzlich normiert war, bevor die Tat begangen wurde.
    Gegen die Unverjährbarkeit von Mord wird insbesondere geltend gemacht, das Interesse der Rechtssicherheit gebiete den Eintritt der Verjährung; Beweisschwierigkeiten in bezug auf persönliche Beweismittel wie Zeugenaussagen und möglicherweise auch in bezug auf sachliche Beweismittel erschwerten eine reibungslose Prozeßführung, ja machten sie teilweise sogar unmöglich.
    Der Einwand ist in der Tat schwerwiegend. So hat auch der Deutsche Richterbund erst kürzlich zu Recht noch einmal darauf hingewiesen, daß die Beweisschwierigkeiten, insbesondere bei NS-Verfahren, in Zukunft noch erheblich größer würden. Aber diese Schwierigkeiten — es ist schon darauf aufmerksam gemacht worden — bestehen bereits nach geltendem Recht. Denn in dem Fall, daß die Verjährung einer Mordtat nach 29 Jahren unterbrochen wird, müssen unter Umständen weitere 29 Jahre in Kauf genommen werden, und' das Verfahren müßte auch noch nach 58 oder 59 Jahren durchgeführt werden. Wer also auf den Beweisnotstand hinweist, müßte sich zunächst einmal Gedanken über die Probleme der Verjährungsunterbrechung machen. Darüber hinaus muß auch gesehen werden, daß der Angeklagte in zahlreichen Fällen lange Zeit nach seiner Straftat — sei es aus körperlichen oder geistigen Gründen — gar nicht mehr verhandlungsfähig ist. Gegen diese Angeklagten darf dann ohnehin kein Verfahren durchgeführt werden. Denn die Verhandlungsfähigkeit ist ja eine Prozeßvoraussetzung. Infolgedessen fällt auch das nicht unter den Problemkreis Verjährung.
    Durch die Abschaffung der Todesstrafe als zwingende staatliche Reaktion auf die Begehung von Mord hat die Frage, ob Mord der Verjährung unterliegen soll, eine andere Bedeutung erhalten. Eine Rechtsordnung, die bei dem Morddelikt die Verhängung der Todesstrafe zwingend vorsieht, benötigt das Rechtsinstitut der Verjährung als Korrektiv zur Verhinderung irreversibler Entscheidungen.
    Wir haben die Todesstrafe abgeschafft, und ich bejahe das. Wir werden uns auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts demnächst mit der Frage beschäftigen müssen, wie und wann lebenslängliche Freiheitsstrafen in faktisch begrenzte Zeitstrafen umzuwandeln sind. Auch das bejahe ich dem Grunde nach. Aber dann taucht doch die Frage auf Welcher Stellenwert kommt dann noch dem Morddelikt als dem schwersten Delikt unter allen Delikten zu?

    (Katzer [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Der Wegfall der Todesstrafe und die faktisch begrenzte Zeitstrafe werden dann dazu führen, daß Mord innerhalb der Delikte „eingeebnet" wird. Die rechtsgeschichtliche und auch die ethisch begründete Sonderstellung, die Mord unter den verschiedenen Delikten immer gehabt hat, wird, wie gesagt, „eingeebnet". Es darf nicht übersehen werden, daß die Strafe innerhalb der Rechtsordnung eines Volkes auch einen zeichenhaften Charakter besitzt. Das halte ich im Hinblick auf die strafrechtliche Bewußtseinsbildung in unserem Volk für wichtig.



    Dr. Mikat
    Hermann Lübbe hat sich in einem Beitrag „Gründe, über die man nicht spricht — wohlgemeinte Unglaubwürdigkeiten" in der ihm eigenen konsequenten Art mit den Gründen auseinandergesetzt, die für die Aufhebung der Mordverjährung angeführt werden. Lübbes Stimme, die Stimme eines politisch engagierten und problembewußten Philosophen, der zu den scharfsinnigen Kritikern unserer Zeit gehört, verdient Beachtung und hat Anspruch auf Auseinandersetzung.
    Lübbe geht es um Ehrlichkeit. Sein Kampf gilt Scheinbegründungen. Er will juristische Finessen entlarven, will die Diskussion auf den Kern zurückführen und auf ihn begrenzen: auf die Behandlung der NS-Morde.
    „Glaubwürdig" sind für Lübbe in der Verjährungsfrage „allein nicht-opportunistische Gründe, die sagen, warum wir, mit welchen allenfalls akzeptablen generellen gesetzlichen Folgen auch immer, speziell die Verjährung der NS-Morde verhindern sollten". Als einziger glaubwürdig vertretbarer Grund gilt für Lübbe die Berufung auf den durch die NS-Morde gestörten Rechtsfrieden. Er meint:
    Das Rechtsinstitut der Verjährung setzt voraus, daß durch den Ablauf langer Zeit der durch ungesühnte Verbrechen gestörte Rechtsfriede auch ohne Bestrafung nicht greifbarer Schuldiger schließlich sich wiederherstellt, und eben diese Voraussetzung ist speziell bei den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nicht erfüllt.
    Dem stimme ich ohne Einschränkung zu, und ich will auch seine nähere Begründung, der ich ebenfalls noch zustimme, ausdrücklich zitieren. Um zu erkennen, daß im Hinblick auf die NS-Gewalttaten der Rechtsfrieden noch nicht wiederhergestellt ist, darf man nach Lübbe nicht auf die Kräfte und Gruppierungen hören, die in dieser Frage ganz andere Interessen als die der Wiederherstellung des Reditsfriedens haben und denen zu folgen tatsächlich Opportunismus wäre.
    Wohl aber hält Lübbe es für notwendig, im In-und Ausland auf die Betroffenen, die Hinterbliebenen der Opfer, die Entkommenen zu hören. Es heißt bei ihm:
    Dann weiß man, daß von der Einkehr eines Rechtsfriedens, in den die Verfolgten auch noch ihre unentdeckten Verfolger eingeschlossen wissen könnten, nicht die Rede sein kann. Das liegt nicht an der herrschenden Rachsucht, sondern an der ununterdrückbaren Gegenwart einer Vergangenheit, deren besondere Verbrechen eben längere Zeit als Verbrechen der gewöhnlichen Art die Wiederkehr eines Zustands hindern, in welchem die straflosen Täter als Rechtsfriedensgenossen von jedermann anerkannt zu werden vermöchten.
    Die Folgerung, die Lübbe dann zieht, liegt auf der Hand, auch wenn er sie nicht mehr so unmittelbar ausspricht: Entweder wird die Mordverjährung nur für NS-Morde aufgehoben, weil. hier und nur hier der Rechtsfrieden noch nicht wiederhergestellt ist, oder man verzichtet, da es gesetzlich verwehrt ist,
    ein Sonderrecht für die Aufhebung der Verjährung von NS-Mord zu schaffen, auf die Aufhebung der Mordverjährung überhaupt. Ein anderer Weg ist nach ihm nicht gangbar, nicht ehrlich, und es bleibt, um die NS-Mörder zu strafen, „wirklich nichts als ihre Schuld".
    Abschließend fügt er den Satz hinzu:
    Das mag einigen orientierungslosen Progressisten unter unseren Strafrechtspolitikern zu denken geben.
    Alle anderen Gründe für die Abschaffung der Mordverjährung verwirft er als Scheingründe, bestenfalls als „wohlgemeinte Unglaubwürdigkeiten". Besonders suspekt ist ihm der Hinweis darauf, daß Mord die Vernichtung des menschlichen Lebens aus besonders verabscheuungswürdigen Motiven sei und deshalb die Rechtsordnung auf diese schwerste Rechtsgutverletzung entsprechend reagieren müsse, indem sie die Verjährung ausschließe.
    Um nicht mißverstanden zu werden: Lübbe will keineswegs die Schwere des Morddelikts relativieren. Aber er hält die Berufung darauf im Zusammenhang mit der Verjährungsfrage für eine Hilfskonstruktion, für unehrlich, da doch allein die Absicht, die NS-Mordtaten auch künftig verfolgen zu können, der eigentliche, wenngleich verschleierte Grund für diese Argumentation sei. Hier aber setzt mein Widerspruch ein.
    Lübbe bedient sich zur Stützung seines Beweisgangs einer zunächst — aber eben doch nur zunächst — bestechenden Fiktion. Er stellt die Frage, wie es denn wohl um die Mordverjährung bestellt wäre, hätte es die nationalsozialistische Unrechtszeit nicht gegeben.
    Es genügt, zu fingieren, — so heißt es bei ihm —
    die politische Erbschaft nationalsozialistischer Verbrechen wäre nicht unsere Erbschaft. Keine Partei, keine Fraktion, kein Abgeordneter käme alsdann auf den Gedanken, in der zitierten Weise generell gegen Mordverjährung zu argumentieren.
    Er fährt fort:
    Im Gegenteil: Hätten wir diese Verjährung nicht, würde man eher fordern, sie endlich einzuführen. Man würde geltend machen, daß die Verjährung ein Institut aus der Tradition aufgeklärter Rechtspolitik ist. Man würde in Erinnerung rufen, daß gerade die Nationalsozialisten, und zwar auf dem Höhepunkt ihrer Gewaltherr schaft, die Verfolgbarkeit gesetzlich verjährter Verbrechen wiederhergestellt haben.
    Sieht man einmal davon ab, daß hier einem ansonsten so streng logisch argumentierenden Denker der fundamentale Fehler unterläuft, seine Fiktion selbst dadurch aufzuheben, daß er bei der Frage, wie Wir uns wohl ohne vorausgegangene nationalsozialistische Erbschaft verhielten, just den Hinweis auf die NS-Praxis wieder einführt, wo doch gerade gedanklich von der NS-Zeit einmal abgese-



    Dr. Mikat
    hen wenden soll, sieht man also von diesem Lapsus des Philosophen einmal ab und kehrt zu seiner gedanklichen Strenge zurück, dann erweist sich doch seine Argumentation als ungeschichtlich — erstaunlich bei einem so geschichtsbewußten Denker.
    Ist denn 'die Fiktion, die er voranstellt, überhaupt zulässig? Unterstellen wir einmal, es hätte die NS-Zeit nicht gegeben, so könnte auch nicht ausgeschlossen werden, daß es heute bei uns noch die Todesstrafe gäbe, deren Abschaffung ja auch auf dem Hintergrund der NS-Zeit zu sehen ist. Lübbes Fiktion hilft nicht weiter. Sie schärft nicht den Blick, sie verstellt ihn. Niemand wird bestreiten, daß die Verjährungsfrage mit der Frage der NS-Mordtaten in einem besonderen Zusammenhang steht. Das war 1965 so, 1969 so, und es ist auch 1979 so. Aber ist deshalb eine Ausweitung der Problemstellung unglaubwürdig? Darf deshalb nicht generell nach der Angemessenheit der Abschaffung der Mordverjährung gefragt werden?
    Lübbe übersieht, daß ein geschichtlicher Anlaß sehr wohl dazu führen kann, über den eigentlichen Anlaß hinaus rechtspolitische Überlegungen grundsätzlicher Art anzustellen. Es mag durchaus sein, daß uns ohne die NS-Zeit und dieschrecklichen Erfahrungen dieser Zeit die Problematik der Verjährung von Morddelikten nicht so scharf bewußt wäre, wie sie es heute ist. Aber es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß gerade im Zuge einer Liberalisierung des Strafrechts auch ohne die NS-Erbschaft die Frage nach der Stellung .des Morddelikts im Kanon der Delikte aufgetaucht wäre, und damit die Frage, was die Rechtsordnung tun muß, damit auch vom Strafrecht her deutlich bleibt, 'daß es sich beim Morddelikt nicht um irgendein Delikt handelt, sondern um den schwersten Angriff auf das Rechtsgut Leben. Diese Frage stellt sich besonders dann, wenn die Todesstrafe generell abgeschafft worden ist und wenn die lebenslange 'Freiheitsstrafe auch bei Morddelikten faktisch in eine begrenzte Zeitstrafe gewandelt werden sollte.
    Wer die Frage der Verjährbarkeit oder Unverjährbarkeit des Mordes nur im Zusammenhang mit der Strafverfolgung von NS-Verbrechen sieht, der richtet .den Blick ausschließlich in 'die Vergangenheit — sicherlich eine höchst gegenwärtige Vergangenheit —, aber er übersieht dann zugleich die Tatsache, daß, Mord auch in unseren Tagen als Ausdruck einer radikalen Lebensverneinung ein Delikt von besonderer Aktualität und gemeinwohlgefährdender Kriminalität ist, wie es die Terrormorde zeigen.
    Will jemand 'ausschließen, daß 'bei diesen Mordfällen der Rechtsfriede in 30 Jahren nicht mehr als gestört empfunden werden kann? Gilt nicht auch hier, daß von der Einkehr eines Rechtsfriedens, in den die Verfolgten auch noch ihre unentdeckten Verfolger eingeschlossen wissen könnten, keine Rede sein 'kann? Gilt nicht auch hier, daß die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, daß nach Fristablauf der Täter sich seiner Tat rühmt?

    (Katzer [CDU/CSU] : Leider wahr!)

    Gilt nicht auch hier, daß wir mit einer ununterdrückbaren Gegenwart einer Vergangenheit rechnen müssen, deren besondere Verbrechen eben längere Zeit als Verbrechen der gewöhnlichen Art die Wiederkehr eines Zustandes hindern, in welchem die straflosen Täter als Rechtsfriedensgenossen von jedermann anerkannt zu werden vermöchten? Wird das Rechtsfriedensargument nicht nur auf die NS-Mordtaten bezogen, sondern auch auf die Mordtaten der Gegenwart, 'so erweist es sich als wichtige Mahnung an den Gesetzgeber, die Verjährbarkeit von Mord generell aufzuheben.
    Im Gegensatz zu Lübbe gelange ich zu folgendem Schluß: Selbst wenn es nach unserer Rechtsordnung möglich wäre, mit einem Sondergesetz nur die Unverjährbarkeit von NS-Mordtaten zu dekretieren, so sollte doch die Verjährbarkeit von Mord generell aufgehoben werden — wegen einer neuen Dimension.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zum Schluß: Es wird nun eingewandt, die Aufhebung der Mordverjährung vergrößere nicht „die Gerechtigkeit", und eine Aufhebung der Verfolgungsverjährung für Mord wäre nur dann sinnvoll, wenn sie auf Dauer ein Mehr an Gerechtigkeit böte, dafür aber seien Anhaltspunkte nicht zu erkennen.
    Ich will diesem Einwand nicht dadurch begegnen, daß ich mich mit 'der Feststellung begnüge, die Aufhebung der Mordverjährung werde aber wohl auch die Gerechtigkeit nicht verringern. Ich will vielmehr zurückfragen, in welchem Sinne hier von „der Gerechtigkeit" gesprochen wind. Wird unter „Gerechtigkeit" die gerechte Entscheidung in Strafverfahren wegen Mordes verstanden, so will ich nicht lange rechten, ob die Aufhebung der Mordverjährung „die Gerechtigkeit" nun vergrößert oder nicht. Aber geht es nur um gerechte Fallentscheidungen, wenn wir von „der Gerechtigkeit" sprechen? Die Hinordnung des Strafrechts auf die Gerechtigkeit erschöpft sich ja keineswegs in den gerechten Urteilen. Die Strafrechtsordnung als Ganzes soll auf Gerechtigkeit hin angelegt sein, und dazu gehört auch, daß sie auf entsprechend schwere Delikte adäquat reagiert. Im staatlichen Gesetz selbst muß sich die staatliche Gemeinschaft zur Gerechtigkeit bekennen, und die Aufhebung der Mordverjährung kann durchaus geeignet sein, in der staatlichen Gemeinschaft die Gewissen zu schärfen und insofern zu einem Mehr an Gerechtigkeit zu führen. In einer Zeit, in der das Rechtsgut „Leben" besonders bedroht ist, bedarf es gerade auch unter dem Gesichtspunkt 'des Gerechtigkeitsgedankens einer Überprüfung und Fortentwicklung überkommener Strafrechtsnormen.
    Wer also unter „Mehr an Gerechtigkeit" nur die — ohne Zweifel wichtige — Gerechtigkeit des Richters versteht, nicht aber auch die Gerechtigkeit des Gesetzes, verfehlt letzten Endes das Wesen der Gerechtigkeit. Der Strafrichter wendet das Recht an, das über das Gerechte entscheidet. Wer im Zusammenhang mit unserem Thema von Gerechtigkeit spricht, sei an die Weisheit des Aristoteles erinnert, für den die Gerechtigkeit die gesam-



    Dr. Mikat
    te staatliche Rechtsordnung umgreift und der in seiner „Politik" schreibt:
    Die Gerechtigkeit aber, der Inbegriff aller Moralität, ist ein staatliches Ding. Denn das Recht ist nichts anderes als die in der staatlichen Gemeinschaft herrschende Ordnung, und eben dieses Recht ist es auch, das über das Gerechte entscheidet.
    Meine Damen und Herren, eine höchst persönliche Bemerkung sei mir am Schluß nun noch gestattet. Ich 'bin in den letzten Tagen gefragt worden, ob ich idenn nicht als Christ verpflichtet sei, für die Verjährbarkeit selbst der schlimmsten Mordtat einzutreten, seien doch Vergebung und Versöhnung dem Christen aufgegeben.
    Die Frage läßt sich nicht mit einer Handbewegung abtun; sie hat Anspruch auf Antwort, die sich am Neuen Testament muß messen lassen. Das Ethos des Neuen Testamentes wird nicht von dem Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn" bestimmt, es verweist vielmehr den einzelnen auf das Gebot der Liebe, auf die schöpferische Kraft der Liebe, auf die Agape des Neuen Testamentes. Da gilt es, alles zu vergeben, alles zu verzeihen, aber nicht vergeben und verzeihen in 20 oder 30 Jahren, sondern: sofort. Da gilt für den einzelnen die Mahnung des Römerbriefes: „Schafft euch nicht selbst Recht." Und auf die Frage, wie oft dem schuldig gewordenen Bruder zu vergeben ist, ergeht die Antwort: „Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal."
    Gilt das aber auch für die staatliche Rechtsordnung? Paulus selbst gibt im Römerbrief die überzeugende Antwort, wenn er die staatliche Rechtsordnung eben nicht auf den Weg der den einzelnen verpflichtenden Liebe verweist, sondern sie als Ordnung der Gerechtigkeit bejaht. Da die staatliche Rechtsordnung den Schutz des Nächsten und die Verwirklichung der Gerechtigkeit zum Ziele hat, kann sie nicht dem Satz unterstellt werden: „Schafft euch nicht selbst Recht."
    Eindrucksvoll hat der Bonner Moraltheologe Werner Schöllgen gezeigt, daß das Neue Testament, wenn es den einzelnen auf die Macht überwindender Liebe hinweist, das staatliche Strafrecht nicht verwirft, sondern daß gerade vom christlichen Liebesgebot her das staatliche Strafrecht als Element der Mitverantwortung gegenüber dem Nächsten verpflichtend gefordert ist. Zutreffend meint er:
    Insofern staatliche Gerichtsgewalt den Schutz des Nächsten gegen Verbrechen verantwortlich trägt, wird auch sie von dieser Solidarität wirksamer und nicht etwa bloß sentimentaler Liebe legitimiert.
    Ichglaube, meine Damen und Herren, das noch gesagt zu haben, war ich Ihnen schuldig. Und es hier an dieser Stelle gesagt zu haben, halte ich nicht für unpolitisch, sondern ganz im Gegenteil für sehr politisch, gilt es doch, anderen — aber auch sich selbst —, Klarheit zu verschaffen über den eigenen Standpunkt, also über jenes Fundament von ,dem her ich denke.
    Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, jemanden zu überzeugen. Aber ich bin der Meinung, es ist schon viel gewonnen, einigen die Entscheidung nicht leichter, sondern schwerer gemacht zu haben, selbst wenn dann letztendlich ihre Entscheidung anders ausfällt als meine Entscheidung. Machen wir uns jedenfalls die Entscheidung nicht leicht. Dafür wiegt die Sache, um die es geht, zu schwer.

    (Beifall bei allen Fraktionen)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Herr Abgeordnete Dr. Lenz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carl Otto Lenz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will auf den Ursprung der jetzigen Debatte zurückkommen. Diese Debatte wurde von dem Kollegen Wehner ausgelöst. Er hat sie etwa wie folgt begründet: Mord ist Mord; das Leben ist das höchste Rechtsgut; deswegen sollte Mord nicht verjähren.
    Meine Damen und Herren, ich will mich mit dieser Argumentation auseinandersetzen. Herr Wehner sagt: Das Leben ist das höchste Rechtsgut. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich ihm da folgen kann. Millionen von Menschen haben ihr Leben für andere Rechtsgüter eingesetzt: Freiheit des einzelnen, Freiheit des Vaterlandes, Freiheit der Religion. Millionen haben ihr Leben dafür verloren. Die Existenz der allgemeinen Wehrpflicht und die Existenz der Bundeswehr, meine Damen und Herren, sind der Ausdruck dafür, daß es in unserer Rechtsordnung jedenfalls auch andere, mindestens gleichwertige, wenn nicht höhere Rechtsgüter gibt.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das ist wohl auch das, was der Dichter meint, wenn er sagt: „Das Leben ist der Güter höchstes nicht."
    Aber ohne Zweifel können wir alle dem zweiten Teil seines Ausspruches zustimmen: „Der Übel größtes aber ist die Schuld." Mord ist schwerste Schuld. Wer menschliches Leben unter den erschwerenden Bedingungen des Mordes vernichtet, lädt schwerste Schuld auf sich, weil er unwiderruflich menschliches Leben vernichtet.
    Durch den millionenfachen Mord an Deutschen, • Juden, Polen, Russen, Zigeunern und Angehörigen anderer Nationalitäten zwischen 1933 und 1945 haben Deutsche millionenfach schwerste Schuld auf sich geladen. Dabei spreche ich nicht von Kriegsverbrechen, wie sie in jedem Krieg passieren, sondern ich spreche von Hitlers Massenmorden. Und diese erkennt man gerade daran, daß sie keine Kriegsverbrechen waren, sondern Massenmord, planmäßige Ausrottung ganzer Bevölkerungsgruppen, „Ungeziefervertilgung", wie die damaligen Herrscher das selber verstanden haben. Herr Kollege Erhard hat das heute morgen im einzelnen begründet. Diese Massentötungen waren Massenmorde, die durch keinerlei militärische oder politische Überlegungen erklärt, geschweige denn gerechtfertigt werden können. Im Gegenteil, politische, militärische und rechtliche Gründe hätten es zwingend



    Dr. Lenz (Bergstraße)

    geboten, diese Morde zu unterlassen. Sebastian Haffner hat ganz recht, wenn er sagt: Hitler war ein Massenmörder in des Wortes wörtlicher Bedeutung. Und ich füge hinzu: Diejenigen, die ihm bei seinen Morden geholfen haben, waren es auch.
    1933 wurde ein Film fertiggestellt, der nicht ' mehr aufgeführt werden durfte, ein beeindruckender Film, den anzusehen sich heute noch lohnt. Der Titel lautet „Die .Herrschaft des Verbrechens". Ich glaube, kürzer und prägnanter kann man das, was zwischen 1933 und 1945 passiert ist, nicht fassen. Es war die Herrschaft des Verbrechens. Diese Herrschaft zu beenden, war eines der Motive des deutschen Widerstandes, in dem sich Männer und Frauen vieler politischer und weltanschaulicher Richtungen zusammengetan hatten. Eine beachtliche Zahl von ihnen hat nach dem Kriege ihre politische Heimat in der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union gefunden. Manchmal traten die Söhne an die Stelle der Väter, die Opfer ihres Widerstandes geworden waren. Einer von ihnen hat heute in dieser Debatte gesprochen.
    Das Erbe jener Männer und Frauen des deutschen Widerstandes lebt in der Union fort. Sie hat sich immer auch als die Partei des 20. Juli, des deutschen Widerstandes begriffen. Deswegen hat sich die Union auch der Einsicht nicht verschlossen, das Widerstandsrecht gegen Tyrannei in der Verfassung zu verankern. Deswegen hat niemand — weder im Inland noch im Ausland — das Recht, der Union zu unterstellen, sie wolle nationalsozialistische Verbrechen beschönigen, verdecken, entschuldigen oder rechtfertigen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das gilt unabhängig davon, welche Position der eine oder andere von uns in der heute debattierten Frage vertreten mag. Nichts liegt uns ferner als das. Im Gegenteil, wir werden uns gegen solche Versuche, von welcher Seite auch immer, leidenschaftlich, nachdrücklich und wirksam zur Wehr setzen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Von welcher Seite auch immer!)

    Uns geht es, wie allen in diesem Hause, darum, die Wurzeln des Übels bloßzulegen, die Ursachen der Herrschaft des Verbrechens zu verstehen. Es hat millionenfach . Menschenopfer nicht nur in Deutschland gegeben, sondern auch in anderen totalitären Diktaturen. Deswegen verteidigen wir diesen Staat, den wir mit allen demokratischen Kräften unseres Volkes aufgebaut haben, mit solcher Leidenschaft nicht nur gegen die Bedrohung von außen, sondern auch gegen die Unterwanderung von innen. Wir wollen nicht, daß sich die Unfrei- ' heit und die Herrschaft des Verbrechens noch einmal in unserem Lande ausbreiten können. Wir sind uns alle, glaube ich, in der Beurteilung des Sachverhalts, um den es hier geht, einig. Die nationalsozialistischen Gewalttaten waren Mord und müssen wie Mord behandelt werden.
    Nun sagen viele geschätzte Kollegen von uns, Mord solle nicht verjähren, weil die Verjährung den Schutz des menschlichen Lebens beeinträchtigen würde. Es gibt im Strafgesetzbuch zahlreiche Vorschriften, die direkt oder indirekt dem Schutz des menschlichen Lebens dienen, ohne daß etwa gefordert wird, sie alle unverjährbar zu machen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Dies gilt insbesondere für den Tatbestand des Totschlages, der von dem Mord ja nicht — wie zwei Welten voneinander — durch Abgründe geschieden ist, sondern nur durch eine dünne, durchsichtige Scheidewand von ihm getrennt ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Verfahren gegen nationalsozialistische Gewalttäter werden heute ja deshalb so massenfach eingestellt, weil es nicht genügt, daß man den Tätern die Tötung von Menschen nachweist. Hinzu kommen muß vielmehr noch, daß die Angeklagten — vereinfacht ausgedrückt — grausam oder aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben. Dies ist heute nur noch schwer nachzuweisen. Der Schutz des Lebens oder die besondere Verwerflichkeit des Mordes reichen also im Gegensatz zu der Auffassung, die soeben hier vertreten wurde, zur Begründung der Unveijährbarkeit nicht aus.
    Geht es eigentlich überhaupt um die Verjährung von Mord? Vor zwei Jahren sind schreckliche Verbrechen indiesem Lande verübt 'worden. Wir alle, auf allen Seiten des Hauses, haben damals viel darüber nachgedacht, was getan werden muß, um diese Verbrechen wirksamer zu verhindern oder zu verfolgen; aber niemand ist damals auf den Gedanken gekommen, die Verjährungsfrist für Mord aufzuheben. Es handelt sich hier nicht in erster Linie um die Verjährung von Mord allgemein, sondern es handelt sich in erster Linie um die Verjährung von NS-Morden. Dafür sprechen ,auch die Zeit und der Ort des auslösenden Diskussionsbeitrages des Herrn Kollegen Wehner.
    Es war auch ganz natürlich, daß damals 1977 niemand auf den Gedanken gekommen ist, die Verjährung für Mord aufzuheben; denn die Verjährung von Mord gehört seit fast 150 Jahren zur Tradition modernen Rechtsdenkens in Deutschland. Niemand kommt unter normalen Umständen auf den Gedanken, von dieser Tradition abzuweichen. Daß der damalige Staatssekretär und spätere Präsident des Volksgerichtshofs Roland Freisler aus dieser Tradition ausbrechen wollte, ist eher eine Bestätigung ihres liberalen und rechtsstaatlichen Charakters als ein Gegenbeweis dafür.
    Verlangt nun der im Wortsinne außerordentliche Charakter der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen eine Ausnahme von dieser Regel? Diese Frage kann man nicht beantworten, ohne lauf den Zweck der Verjährung einzugehen. Die Verjährung dient nicht dem Schutze des Verbrechers — und deswegen kann von Amnestie, Gnadenerweis oder etwas ähnlichem in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rede sein —,

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    sondern die Verjährung dient dem Schutz der
    Rechtspflege vor Überforderung. Herr Kollege Er-
    Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 145: Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11609
    Dr. Lenz (Bergstraße)

    hard hat das heute morgen mit einem Zitat aus dem frühen 19. Jahrhundert belegt, und bis heute hat sich daran nichts geändert. Der Deutsche Richterbund hat darauf in seiner Stellungnahme noch einmal eindringlich hingewiesen.
    Man muß sich die Sache einmal praktisch vorstellen. Es steht gar nicht zur Verhandlung, ob in deutschen Konzentrationslagern Millionen Menschen getötet worden sind, sondern es steht ausschließlich zur Verhandlung, ob der jeweilige Angeklagte an bestimmten Vernichtungshandlungen beteiligt war, wobei Ort und Zeit genau bestimmt sein müssen. Soweit solche Beteiligungen heute bekannt sind, werden Verfahren in den kommenden Jahren noch möglich sein; allerdings werden sie wohl nur in den seltensten Fällen . zum Erfolg führen..
    Dies hat gerade der Maidanek-Prozeß in Düsseldorf überzeugend bewiesen. In Maidanek sind nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft in den Gaskammern des Vernichtungslagers in den Jahren von 1942 bis 1944 mit Sicherheit eine halbe Million Juden getötet worden, und zwar — das war die besondere Scheußlichkeit dieses Lagers
    auch zahlreiche Kinder. Drei der vier Angeklagten in diesem Prozeß, deren Freispruch jetzt beantragt worden ist, sollen an der Auswahl von Kindern für die Gaskammern beteiligt gewesen sein. Es gelang nicht, dies den Angeklagten nachzuweisen, weil die Zeugen keine präzisen Erinnerungen mehr hatten, vernehmungsunfähig oder inzwischen verstorben waren. Die Vorstellung, daß diese Angeklagten zu Unrecht freigesprochen werden, ist erschreckend. Die. Vorstellung aber, daß sie mangels sorgfältiger Würdigung der Beweise verurteilt würden, ohne an der Vergasung von Kindern beteiligt gewesen zu sein, ist in meinen Augen genauso erschreckend. .
    Wir stoßen hier an die Grenzen der menschlichen Erkenntniskraft.

    (Dr. Mertes IGerolstein] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

    Ein Professor des. Strafrechts hat neulich in einer Diskussion über unser Thema gesagt: Wir glauben, daß wirr durch unsere Gesetze den Ablauf der Prozesse gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher bestimmen; aber das stimmt gar nicht; diese Verfahren werden nicht von den Prozeßgesetzen, sondern von den; Naturgesetzen bestimmt und diese Gesetze können wir nicht ändern, selbst wenn wir es wollen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Mit anderen Worten: Die Verjährung ist keine willkürliche oder nur durch die Tradition geheiligte Einrichtung, sondern die gesetzliche Schlußfolgerung aus einem Lebenssachverhalt. Wenn jemand mehr als 30 Jahre nach der Tat noch nicht entdeckt ist, dann ist es normalerweise nicht mehr möglich, den Beweis seiner Schuld zu führen. Dann sind Polizei, Staatsanwaltschaft, Zeugen und Richter bei dieser Aufgabe überfordert. Und nur deswegen gibt es eine Verjährung.
    Nichts aus den Erfahrungen mit den NS-Prozessen beweist die Unrichtigkeit dieses Satzes. Im Gegenteil, er ist immer wieder in erschütternder Weise bestätigt worden. Von den in den beiden letzten Jahren neu eingeleiteten 168 Ermittlungsverfahren in NS-Sachen mußten fast alle mangels eines hinreichenden Verdachts gegen einen bestimmten Täter eingestellt werden.
    Deswegen setzen wir gegen den Satz „Mord darf nicht verjähren„ den . Satz „Menschen dürfen auch nicht durch die Prozeßordnung vom Staat überfordert werden" .

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Hier ist eingewendet worden, die Menschen würden auch durch die Fortsetzung der Verfahren ge- gen die schon bekannten Täter in jenen Fällen, wo die Verjährung, wie • die Juristen sagen, unterbrochen worden ist überfordert. Ich bekenne hier freimütig, daß das in vielen Fällen so ist. Trotzdem ist in diesen Fällen die Ausgangslage immer noch besser als in den Fällen, wo erst nach dem 1.. Januar 1980 die Ermittlungen aufgenommen werden können. In den Verfahren, in denen die Verjährung unterbrochen worden 'ist, sind die Täter bekannt; Beweismittel sind schon heute vorhanden. Man kann sich also schon auf etwas stützen. Im übrigen vermag das Prozeßgesetz der Unterbrechung der Verjährung das Naturgesetz der Unmöglichkeit oder Fast-Unmöglichkeit der Aufklärung nicht außer Kraft zu setzen. Die Schwierigkeiten können in diesen Fällen ebenso groß sein wie in den Fällen, in denen die Ermittlungen erst in Zukunft aufgenommen werden. Wir sehen das durchaus ein. Die bisherigen Änderungen des Verjährungsgesetzes haben das Naturgesetz nicht ärndern können.
    Nun sagt man uns, wir sollten eine Amnestie vorschlagen. Wir wollen das nicht. Wir können das nicht. Wir wollen nur dies: NS-Mörder nicht anders behandeln als andere Mörder. Wir wollen für NS-Täter keine Ausnahme machen, weder in
    dem einen noch in dem anderen Sinn.

    (Erhard [Bad Schwalbach] Sehr richtig!)

    Im übrigen hat der Kollege Mikat hier gefragt, ob wir aus der Schwierigkeit, die durch die massenhafte Unterbrechung der Verjährungsfristen in der Vergangenheit entsteht, denn nicht Schlußfolgerungen ziehen müßten. Herr Kollege Mikat, diese Schlußfolgerungen haben wir ja bereits gezogen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU) So

    ist es!)
    Wir haben ja 1975 die entsprechenden Vorschriften der Strafprozeßordnung geändert so daß heute die Unterbrechung der Verjährung nicht mehr so leicht möglich ist, wie sie damals war. Wir haben also unsere Hausaufgaben auf diesem Gebiete schon gemacht.
    Natürlich ist auch uns klar, meine Damen und Herren, daß ein historischer Unterschied zwischen den Taten Hitlers und denen eines gewöhnlichen Massenmörders besteht, wo die Opfer nach. Dutzenden oder höchstens nach Hunderten zählen. Aber



    Dr. Lenz (Bergstraße)

    darum geht es ja im Strafprozeß gar nicht. Im Strafprozeß geht es - und das hat der Kollege Graf Stauffenberg heute morgen sehr eindrücklich geschildert — ausschließlich darum, ob jemand rechtswidrig und schuldhaft unter den erschwerenden Bedingungen des Mordes Menschen getötet hat. Es nutzt auch gar nichts, daß Than weiß, daß der Angeklagte zu einet bestimmten SS-Einheit gehört hat, die in einem bestimmten Gebiet in einer bestimmten Zeit zahllose Russen, Juden oder Polen getötet hat, sondern es muß ihm nachgewiesen werden, dem jetzt konkret dastehenden Angeklagten, daß er an einer dieser Taten beteiligt war und nicht etwa auf Urlaub war oder im Lazarett oder in der Schreibstube gesessen hat zu der Zeit, als die Taten begangen wurden. Wir wollen das Strafgesetzbuch um der NS-Morde willen weder abschwächen noch verschärfen, sondern wir wollen es anwenden, so wie es für jedermann gilt.
    Meine Damen und Herren, man hält uns entgegen, andere Rechtssysteme kennten die Einrichtung der Verjährung nicht. Das ist richtig, aber auch andere Länder führen nach 35 Jahren keine Strafprozesse mehr. In den Vereinigten Staaten, wo die Verjährung weitgehend unbekannt ist, hat der Staatsanwalt das Recht, zu entscheiden, ob er Anklage erheben will oder nicht. Er wird nur Anklage erheben, wenn er Aussicht auf einen Schuldspruch hat.
    Die Aussicht auf einen Schuldspruch bei NS-
    Verfahren ist denkbar gering. Im Jahre 1977 gab es drei Verurteilungen zu lebenslanger Freiheitsstrafe, vier Verurteilungen zu einer zeitigen Freiheitsstrafe und 2 709 Verfahren, die ohne Bestrafung abgeschlossen wurden. Meine Damen und Herren, das ist eine -- ich sage es in Anführungsstrichen —,,Erfolgsquote" von etwa einem Viertel Prozent, von 2,5 Promille. Aber in all diesen 2 709 Fällen wurde von Staatsanwälten, Gerichten und Zeugen gefordert, Beweis zu erbringen, der nicht mehr zu erbringen war.
    Neulich wurde mir von einem Verteidiger be- richtet,' der auf NS-Verfahren spezialisiert ist. Er soll gesagt haben: „Ich bin für die Aufhebung der Verjährung; nirgendwo habe ich eine höhere Quote von Freisprüchen." Das .mag zynisch klingen, meine 'Damen und Herren, aber leider hat er recht. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, diese Überforderung, die wir dort hinnehmen müssen, wo sie besteht, auch noch auszudehnen auf weitere Fälle.
    Meine Damen und Herren, wir überfordern die Gerichte und die Staatsanwaltschaften. Wir überfordern aber noch mehr die Zeugen, vor allem diejenigen Zeugen, die Opfer des Verbrechens waren. Herr Oberstaatsanwalt Rückerl schildert in seinem Buch den Brief eines ehemaligen Konzentrationslagerhäftlings, der als Zeuge in einem solchen Verfahren aufgetreten war. Er sagt folgendes:
    Man veriangt von uns, daß wir, wenn wir dabeigewesen sein sollen, auch alles gesehen und alles gehört haben müssen. Dabei waren wir vor Angst und Schrecken nahezu gelähmt, und unsere Sinne nahmen kaum mehr etwas wahr. Man fordert von uns, die Stunde, den
    Tag zu nennen, aber wir besaßen im Lager keine Uhr, keinen Kalender. Wir wußten oft nicht einmal, ob es ein Sonn- oder Feiertag war. Wir sollen das Aussehen unserer Henker beschreiben. In ihren Uniformen sahen sie aber für uns alle gleich aus. Wenn wir uns dann, nachdem seit der Tat mindestens 20 Jahre vergangen sind, in einem Punkte irren, werden unsere Aussagen in Bausch und Bogen abgetan.
    Meine Damen und Herren, es ist unter diesen Umständen nicht verwunderlich, daß z. B. in den Vereinigten Staaten zahlreiche Zeugen gar nicht mehr bereit waren auszusagen.
    Meine Damen und Herren, nun sagen Sie: Das müssen wir in Kauf nehmen. Meine Damen und Herren, das ist ' nicht das Problem. Wir -nehmen hier relativ wenig in Kauf. Für uns ist das Problem trotz aller seiner Schwere mit einigen Sitzungen des Plenums, der Ausschüsse und der Fraktionen entschieden. Gerichte und Staatsanwaltschaften müssen sich jahrelang damit abquälen. Die Dauer der Verfahren betrug im Jahre 1977 im Durchschnitt 18,8 Jahre, 1962 dagegen nur 3,6 Jahre. Wir fordern hier von der Justiz etwas Menschenunmögliches,' wenn wir verlangen, daß sie diese Taten noch aufklärt.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Der häufigste Weg, solche Prozesse zu vermeiden, d. h. solche, die nicht mehr zur Verurteilung führen können, ist die Einrichtung der . Verjährung. Die Frist beträgt in Belgien 10 Jahre, in Holland 18 Jahre, in der Schweiz 20 Jahre, in Norwegen und in Schweden 25 Jahre. Ich weiß, daß es andere Länder gibt, die Mordverjährung nicht kennen; aber ich kenne keines — und es ist in der heutigen Debatte auch noch keines zitiert worden —, wo nach 35 Jahren noch Strafprozesse durchgeführt werden. Wir haben genug Probleme mit den schon angelaufenen Verfahren. Wir wollen diese Probleme nicht durch eine Gesetzesänderung noch vermehren.
    Man wird uns antworten: Viele Menschen im In-und Ausland werden diese Entscheidung nicht verstehen. Meine Dame n und Herren, ich wische dieses Argument nicht mit einer Handbewegung vom Tisch. Eine Welle der Kritik im In- und Ausland — vor allem im Ausland . kann Deutschlands Stellung schwächen. Es ist legitim und nicht illegitim, diesen Gesichtspunkt in die Beratungen mit einzubeziehen. Nur befürchte ich, wir werden durch eine Gesetzesänderung dieser Kritik nicht entgehen. Es wird in den NS-Verbrechen fast nur noch Freisprüche geben können, und jeder neue Freispruch wird zu neuer Kritik führen. Wir hätten uns schon viel Kritik erspart, wenn wir 1965 die Verjährungsfrist nicht mehr hinausgeschoben und sie 1969 nicht verlängert hätten. Ich war damals der Überzeugung, mit der Verlängerung der Verjährungsfrist um zehn Jahre sei das letzte Wort gesprochen, nachdem wir uns ja schon drei- oder viermal mit dieser Angelegenheit beschäftigt hatten.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Es ist hier ja auch so gesagt worden!)




    Dr. Lenz (Bergstraße)

    Ich bedaure es zutiefst, daß viele von denen, die damals mit mir gestimmt haben, heute ihre damalige Entscheidung wieder rückgängig machen wollen. Der prominenteste unter ihnen ist zweifellos der Kollege Wehner, der 1969 als einziges Mitglied des Kabinetts Kiesinger für die zehn Jahre Verlängerung im Deutschen Bundestag gestimmt hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das Recht war für ihn immer nur eine opportune Sache! — Dr. Ehmke [SPD] : Sehen Sie doch vorsichtshalber mal nach; das ist Unsinn, was Sie da sagen!)

    — Ich habe das Protokoll, Herr Kollege Ehmke, für Ihren Zwischenruf wohl vorbereitet auf meinem Pult liegen. Wir können das gleich klären.

    (Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

    Wir werden die ausländische Kritik tragen müssen, gleichgültig, was wir tun. Es hat mich tief betroffen, meine Damen und Herren, daß ein Mann wie Adalbert Rücken ins Schußfeld dieser Kritik geraten ist. Rückerl hat sich wohl mehr als irgendein anderer Verdienste um die Strafverfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen erworben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Er mußte damit rechnen, daß er von mancher Seite im Inland dafür Haß und Verachtung erntet. Ich bewundere seinen Mut, daß er dies getragen hat. Die Dokumentation, die er kürzlich veröffentlicht hat, gibt eine nüchterne Schilderung der ungeheuren Aufgabe, der er sich unterzogen hat. Daß er deswegen von gewisser Seite gescholten wird, hat er nicht verdient.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Ich füge hinzu, auch die deutsche Justiz hat keine Schelte verdient. Sie hat unter schwierigsten Umständen ihre Pflicht getan. Alexander Solschenizyn ist einer der wenigen, die das anerkannt haben. Ich möchte ihm hier dafür danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)