Rede:
ID0814500200

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8145

  • date_rangeDatum: 29. März 1979

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johann Baptist Gradl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegen! Als derzeit ältestes Mitglied möchte ich am Beginn dieser wichtigen Debatte des Bundestages eine kurze Vorbemerkung machen. Jede der drei Fraktionen hat das Thema der Verjährung zur Gewissensfrage erklärt. Jedes Mitglied des Bundestages hat also aus eigener Verantwortung zu entscheiden; keine Fraktionsmehrheit nimmt sie ihm ab. Das entspricht der Bedeutung des Themas mit seinem geschichtlichen Hintergrund, das verlangt aber auch persönliche Toleranz und sachliche Fairneß gegenüber der jeweils anderen Meinung.

    (Josten [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Noch eines möchte ich hinzufügen. Dieser Debatte wird im Inland und im Ausland viel Aufmerksamkeit gewidmet. Deshalb füge ich gerade als Gegner der Verjährung betont hinzu: Bei aller Verschiedenheit der Meinungen und Argumente sind sich alle



    Dr. Gradl
    Abgeordneten dieses Hohen Hauses in einem einig: in der Abscheu gegen die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Nun darf ich den Antrag begründen, den am 7. Februar eine Gruppe von Mitgliedern meiner Fraktion; der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, eingebracht hat. Der Antrag hat das Ziel, daß die Strafverfolgung von Mord nicht der Verjährung unterliegen soll. Bereits bei der ersten Erörterung der Verjährungsfrage im Bundestag 1965 war von Mitgliedern meiner Fraktion ein solcher Antrag gestellt worden. Bei der zweiten Beratung 1969 hatte die damalige Bundesregierung der Großen Koalition denselben Standpunkt vertreten; aber beide Male wurde für eine befristete Lösung entschieden. Man wollte in dieser wichtigen Sache jeweils eine möglichst breite Zustimmung gewinnen. 1969 durfte man noch hoffen, daß die Verlängerung der Verjährungsfrist um zehn auf 30 Jahre reichen würde, um die NS-Morde, um die es damals primär ging, in den weiteren zehn Jahren aufzuarbeiten. Man durfte auch annehmen, daß alle in Frage kommenden Staaten für volle Mithilfe bei der Erfassung zu gewinnen seien. Beide Erwartungen haben sich, wie wir heute wissen, als irrig erwiesen. Man muß heute davon ausgehen, daß noch neues Material gefunden bzw. vorgelegt wird.
    Oberstaatsanwalt Rückerl, als Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen unstreitbar sachverständig, glaubt — ich zitiere — „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen" zu können, daß „bisher noch unbekannte größere Tatkomplexe mit einer Vielzahl von Opfern festgestellt werden" können. Aber er rechnet in seiner jüngsten Dokumentation damit, „daß den Strafverfolgungsbehörden auch nach 1979 bisher nicht bekannte nationalsozialistische Gewaltverbrechen zur Kenntnis gebracht werden". Rükkerl fügt hinzu, daß es sich dabei nach der Zahl der Opfer und der Beteiligten um kleinere Komplexe handeln wird. Aber er ergänzt zugleich und mit Recht, daß die Größe der Tatkomplexe für die Bewertung der strafrechtlichen Relevanz nicht wesentlich ist.
    Im übrigen ist damit zu rechnen, daß außerhalb der Bundesrepublik Material auch zurückgehalten ist, um nach etwaigem Ablauf der Verjährungsfrist gegen die Bundesrepublik propagandistisch mißbraucht zu werden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Vor allem in der DDR!)

    Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach dem Gang der Verfolgung von NS-Verbrechen ist in dieser Hinsicht zurückhaltend formuliert, aber trotzdem aufschlußreich gerade auch in bezug auf das Verhalten der DDR.
    Es gibt noch einen wesentlichen Unterschied zwischen heute und der Situation von 1965 und 1969. Damals ging es vornehmlich um NS-Mord. Auf Mord generell wurde die Verjährungsfrage wegen der Schwierigkeit bezogen, NS-Mord begrifflich abzugrenzen. Heute geht es auch in der Sache um die Nichtverjährung von Mord allgemein. Unbestritten haben den Anstoß zur jetzigen Erörterung wiederum die NS-Morde gegeben. Sie würden, soweit die Verjährung nicht unterbrochen würde, Ende 1979 verjähren.
    Der NS-Mord war politische Barbarei und äußerste Entmenschlichung. Er war, ob als Völkermord oder Massenmord oder in Einzelaktionen, von dem Willen bestimmt, eine nationale, eine rassische, eine religiöse Volksgruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören oder eine politische Opposition, eine bestimmte Gesinnung oder auch eine Eigenart auszutilgen. Über alles dies spannte sich der blutige Bogen der NS-Verbrechen. Vieles solcher Art gibt es auch heute in der Welt. Aber wir Deutschen haben, meine ich, in dieser Sache für unser Tun geradezustehen, für die Schuld, die NS-Verbrechen uns einst aufgelastet haben.
    Der NS-Mord gehört einer vergangenen und überwundenen Periode an. Seine Verjährung verlangt vorrangig politische und moralische Beurteilung. Die Verjährung von Mordtaten, die zum gewohnten kriminellen Geschehen gehören und leider auch in Zukunft gehören werden, ist mit Blick auf den heutigen und den künftigen Schutz unserer Bürger und ihres Gemeinwesens zu beurteilen. Deshalb will unser Antrag ganz allgemein und ganz bewußt und nicht nur taktisch, daß kein Mörder, früherer oder künftiger, in unserem Lande damit rechnen kann, einmal ungestraft — ich betone: ungestraft — von Verfolgung freigestellt zu sein.
    Warum? Wir alle müssen beobachten, daß sich seit geraumer Zeit in unserer Gesellschaft eine wachsende Brutalisierung vollzieht. Seit wir in diesem Hause 1969 das letztemal über Verjährung diskutierten und entschieden, haben insgesamt die Straftaten gegen das Leben erschreckend zugenommen. Nach der amtlichen Kriminalstatistik ist von 1968 bis 1977 die Zahl der Verbrechen gestiegen: in den Delikts-gruppen „Mord und Totschlag" um 41,6 % auf fast 2 600 Fälle, in der Deliktsgruppe „Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer" um 118,3 % auf mehr als 21 000 Fälle, in der Deliktsgruppe „gefährliche und schwere Körperverletzung" um 61 % auf über 52 000 Fälle. Insgesamt ist eine Zunahme dieser Akte der Gewaltkriminalität um 72,9 % zu verzeichnen. Die Zahlen für 1978 liegen noch nicht vor, aber erkennbar ist ein weiterer Anstieg, wenn auch abgeflacht.
    Dies alles sind Verbrechen, bei denen das Äußerste, das Begehen eines Mordes, immer im Spiel ist. In den Erläuterungen der Kriminalstatistik heißt es denn auch, daß gerade in diesen Deliktsgruppen „die meisten Fälle sind, bei denen mit einer Schußwaffe geschossen wurde" und weiter:
    Das Drohen mit einer Schußwaffe war bei den Straftatengruppen „Straftaten gegen die persönliche Freiheit" und • „Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer" besonders häufig.
    Etwas Weiteres kommt hinzu. Sicher, schwere und abscheuliche Gewalttat hat es immer gegeben, aber



    Dr. Gradl
    ganz neue Arten äußerster Gewalt haben sich in den letzten zehn Jahren entfaltet. Was noch vor zehn Jahren Ausnahmeerscheinung war, ist jetzt eben keine Ausnahme mehr, sondern ständige, fast würde ich sagen, allgegenwärtige Gefahr. Der Mord hat in diesen Verbrechenskategorien neue Dimensionen bekommen. Ich meine die Banden- und Erpressungsmorde, die Mafia-Erscheinungen bei uns im Lande, ich meine die Pest der Raubmorde an hilflosen alten Menschen. Der alte Mensch ist heute immer häufiger Anreiz zu gewalttätigem Raub statt zu rücksichtsvollem helfenden und schützenden Verhalten. Ich meine den terroristischen Mord, der, wie z. B. bei Flugzeugentführungen, auch vor Massentötungen nicht zurückschreckt. Keiner von uns wird glauben, daß diese schreckliche Entwicklung am Ende ist. Wir brauchen uns nur die Schutzmaßnahmen rund um dieses Haus anzusehen. Die Menschen haben Anspruch auf jede legale mögliche Abwehr, Gegenwehr. Auch deshalb verlangen wir, daß generell die Strafverfolgung von Mord nicht durch Fristablauf, durch Verjährung aufgehoben wird.
    Natürlich wird von uns nicht erwartet, daß allein mit der Aufhebung der Verjährung von Mord das Anwachsen krimineller Gewalt, daß Mord und Lebensbedrohung als gesellschaftliche Erscheinungen bewältigt werden können. Aber wenn Verjährung von Mord aufgehoben wird, dann wird damit ein unübersehbares Zeichen gesetzt, ein Signal für alle, die kriminelle Gewalt gegen das Leben üben wollen oder mit der Möglichkeit auch nur spielen. Es wird ihnen die Schwere ihrer verbrecherischen Tat oder Absicht auch auf diese Weise warnend deutlich gemacht, daß sie, auch wenn sie zunächst entkommen, zeit ihres Lebens mit Strafverfolgung rechnen müssen. Diese Drohung gewinnt dadurch noch an Gewicht, daß die Kriminalistik heute mit den Mitteln moderner Technik ungleich viel mehr als früher in der Lage ist, Tatvorgänge zu durchleuchten und Beweiselemente zu konservieren.
    Noch einmal: natürlich muß weitaus mehr geschehen, um der Flut krimineller Gewalt Herr zu werden.
    Verzeihen Sie eine kleine Abschweifung. Muß denn z. B. wirklich hingenommen werden, daß mit primitiv-raffiniertem Schrifttum von Skandalblättern über Comic Strips bis zu den Billigheften auf niedrigste Instinkte spekuliert, das Gewalt verherrlicht, daß offen oder unterschwellig zu Gewalt angereizt wird?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

    Was in dieser Hinsicht insbesondere auf junge Menschen einfällt, ist gemeingefährlich, und es ist wie Hohn, wenn solche Verfasser und Verleger sich zum Schutze ihres schmutzigen Geschäfts auf die Grundrechte berufen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

    Wer einen zuverlässigen Eindruck von diesem Bereich gewinnen will, braucht sich nur mit den Erfahrungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vertraut zu machen.
    Dieser Hinweis muß genügen; aber ich meine, es könnte nicht schaden, wenn sich der Bundestag einmal mit diesem Thema ausführlich und gründlich befassen würde. Es wäre sogar ein Kapitel im Bericht zur Lage der Nation in diesem Teil Deutschlands wert. Letzten Endes sind doch Existenz und Zukunft eines Volkes entscheidend auch von seiner Moral abhängig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

    Aber nun zurück zur Verjährungsfrage. Für die Verjährung wird argumentiert, sie sei feste deutsche Rechtstradition, auch für Mord. Nun war die deutsche Rechtslage, zumindest bis vor hundert Jahren, ohnehin recht vielfältig. Aber wichtiger ist das Ausmaß und die Brutalität der buchstäblich mörderischen Wirklichkeit, die wir in den letzten 50 Jahren haben erfahren müssen, durch NS-Verbrechen zuerst, durch die Flut der Gewaltkriminalität neuerdings. Dies alles war vor hundert Jahren, als Verjährung allgemein zu einem strafrechtlichen Prinzip — auch bei Mord — gemacht wurde, in Deutschland nicht vorstellbar. Die Frage stellt sich uns heute von Grund auf neu, sowohl aus der NS-Zeit als auch aus der heutigen Gewaltkriminalität. Bei den Angehörigen der Opfer, der NS-Opfer und ihren Landsleuten, würde die Berufung auf deutsche Rechtstradition — das ist jedenfalls meine Überzeugung und mein Wissen — die Frage hervorrufen, wo denn die deutsche Rechtstradition damals von 1933 bis 1945 war,

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

    von der Röhm-Affäre bis Auschwitz. Darf ich die Blicke einen Augenblick zurücklenken auf die Röhm-Affäre? Sie war eine Auseinandersetzung innerhalb der NSDAP, aber das war sie nicht nur. Die Gelegenheit wurde benutzt — und zynisch wurde es sofort zugegeben —, um gleichzeitig mit alten politischen Feinden abzurechnen. Ich nenne nur drei Namen: den bayerischen Staatskommissar von Kahr, den Ministerialdirektor Erich Klausener und den General von Schleicher, dessen Frau gleich mit umgebracht wurde.
    Ich erinnere mich noch haargenau an meine und meiner Freunde Gedanken und Empfindungen, als nach der Mordserie des 30. Juni — es waren ja drei Tage: 30. Juni, 1. Juli, 2. Juli — im Reichsgesetzblatt eine Verordnung erschien, die dieses Geschehen nachträglich in. aller Form für — so wörtlich — Rechtens erklärte. Diese Verordnung war noch unterschrieben von einem deutschen Reichsjustizminister, der übrigens nicht einmal erklärter Nationalsozialist war. Nein, ich fürchte, im Bereich der NS-Morde kann man eine Verjährung, eine Strafverfolgung noch unbekannter, noch nicht erfaßter Täter mit der deutschen Rechtstradition nicht begründen. In der Welt würde das nicht verstanden.
    Ich will den menschlichen Kern dieses Komplexes an einem Gegenwartsbeispiel, am Terroristenmord, noch deutlicher machen. Denken wir einen Augenblick an die Opfer der Botschaftsangehörigen in Stockholm, an den Lufthansa-Kapitän Jürgen Schumann und an Hanns Martin Schleyer. Die Terrori-



    Dr. Gradl
    sten hatten diese Opfer lebend in ihre Gewalt gebracht. Komplizen des Terrors sollten freigepreßt werden. Ein Nachgeben, so war zu befürchten, hätte die Terroristen zu einer nicht endenden Kette politischer Erpressungen und Morde verleiten, ja herausfordern können. So mußte zum Schutz der Gesamtheit der Bürger und aus Gründen der Staatsräson die Geisel in der Gefahr des Äußersten bleiben.
    Diejenigen, die damals im Krisenstab waren, werden diese Stunden sicherlich nie vergessen. Leben ging dann verloren. Das mußte den Opfern also zugemutet werden, und mit den Opfern mußten die Angehörigen tagelang, im Fall Schleyer sogar wochenlang die Qual, die Todesangst mitleben, mitleiden. Das ist die neue Dimension Mord. Sie stellt sich übrigens in der finanziellen Erpressung durch Entführung für die Opfer und ihre Angehörigen gar nicht anders dar. Ich frage: Sollen solche Verbrechen nach Zeitablauf wirklich verfolgungsfrei bleiben? Kann man das den von solchem Leid getroffenen Angehörigen überhaupt zumuten? Ich meine nein.
    Aber nun zu dem anderen Bereich, zum Thema NS-Mord. Diese mörderischen Verbrechen der NS-Zeit sind — ich sagte es bereits — Verbrechen einer vergangenen Periode, und sie gehören einem System an, daß wir alle niemals wieder aufleben lassen wollen, unter welcher Verkleidung, Farbe, Ideologie auch immer. Aber diese Verbrechen sind noch nicht in die Vergangenheit, in die Geschichte abgesunken. Sie sind in Millionen Angehörigen und Millionen Opfern und ihren Völkern noch immer sehr lebendig. Das Geschehen war nach Art und Umfang eben so ungeheuerlich, daß manche unserer Landsleute es auch heute noch nicht wahrhaben wollen.
    Wer von uns könnte den Wunsch nicht verstehen, es sollte endlich Schluß sein damit, das Schreckliche immer wieder wachzurufen, zumal doch eine ganze Generation nachgewachsen ist, die persönlich überhaupt nichts mit den Verbrechen zu tun hat! Wer heute nicht älter als 50 bis 55 Jahre ist, kann persönlich gar nicht an den Verbrechen beteiligt gewesen sein. Aber wir alle, ob jung oder alt, können nicht aus der Geschichte unseres Volkes aussteigen.

    (Josten [CDU/CSU]: So ist es!)

    Aus unserem Volk ist dieses Entsetzliche hervorgekrochen, sind die Anführer, die Täter und die Verführten gekommen. So sind wir alle mit in der Haft. Der Ruf unseres Volkes, der so schrecklich Schaden genommen hat, ist auch der Ruf eines jeden von uns, jedenfalls für die Welt. Der einzelne mag sich frei wissen von Schuld; an der Gesamthaftung ändert das nichts.
    Es ist wahr: Auch Deutsche haben Widerstand geleistet. Wir wollen es nicht verschweigen, wir dürfen es gar nicht verschweigen. Sie haben sich gegen Gleichschaltung gewehrt und behauptet, haben Opfer an Freiheit und Leben bringen müssen, haben unter Gefahr bedrängten Mitbürgern zu helfen versucht. Dies alles ist in großer Zahl geschehen.
    Aber die Gegenrechnung ist zu ungeheuerlich: die Zahl der jüdischen Mitbürger und die Zahl der Angehörigen anderer Völker, die Opfer des NS-Mordes geworden sind. Vergessen wir doch nicht: Die meisten Länder Europas standen unter deutscher Besatzung, und die mordenden Aktivitäten der NS-Apparatur folgten nach. Ihre Perfektion reichte überall hin, nicht selten begleitet von persönlichem Sadismus.
    So müssen wir tragen, daß es noch immer Vorbehalte gegen uns Deutsche gibt, zumal in Europa, in Ost und in West. So müssen wir respektieren, daß es für die Angehörigen der Opfer und für die Be-. troffenen ein unerträglicher Gedanke ist, daß bisher nicht erfaßte Mörder in Zukunft, nach 1979, unbehelligt bleiben könnten, nur weil sie sich lange genug unerkannt verborgen halten konnten.
    Aber nun wird gefragt: Bringt man nach mehr als dreieinhalb Jahrzehnten mit einer Aufhebung der Verjährung unsere Gerichte nicht in eine unmögliche, ja unzumutbare Lage? Der zur Zeit in Düsseldorf laufende Majdanek-Prozeß z. B. zeigt die Problematik in allen Hinsichten. Das Erinnerungsvermögen der Betroffenen und der Zeugen wird immer unsicherer, das Erkennen und Aufhellen der Tatbestände immer schwieriger. Aber nun bleiben die Gerichte ohnehin in dieser Lage; denn gegen nicht gefaßte, aber bekannte Tatverdächtige kann der Ablauf der Verjährungsfrist unterbrochen werden. Heute schon laufen Verfahren bis über das Jahr 2000 hinaus, theoretisch jedenfalls.
    Trotzdem: Der Einwand der Beweisschwierigkeit muß auf jeden Fall ernst genommen werden. Oberstaatsanwalt Rückerl — ich darf ihn in diesem Zusammenhang noch einmal zitieren — schließt seine Dokumentation mit der Feststellung ab, daß die Chancen, einen erst nach dem 31. Dezember 1979 entdeckten NS-Täter auf die Anklagebank zu bringen, wegen des Alters der Beschuldigten, wegen zunehmender Ermittlungs- und Beweisschwierigkeiten und relativ langer Verfahrensdauer „nur noch äußerst gering" sind. Wahrscheinlich hat er recht. Es sind eben dreieinhalb Jahrzehnte und mehr vergangen. Aber wir, die wir gegen die Verjährung sind, meinen, daß dies kein durchschlagendes Argument gegen die Aufhebung der Verjährung ist.
    Entscheidend ist heute nicht die niedrige Zahl der den Gerichten möglichen Verurteilungen im Verhältnis zu der Zahl der anstehenden oder noch einzuleitenden Verfahren. Entscheidend ist denen, die den Opfern nahestehen, so glaube ich zu wissen, heute nicht so sehr die prozessuale Ergiebigkeit solcher Verfahren. Entscheidend ist vielmehr — darin müssen wir mit ihnen übereinstimmen —, das Geschehene im einzelnen zu ermitteln, klarzulegen und auszusprechen, solange das noch möglich ist. Entscheidend ist — lassen Sie es mich so sagen —, daß Leid und Opfer der Toten, sofern immer möglich, nicht der Anonymität des Massensterbens überlassen bleiben und nicht in den Millionenzahlen untergehen dürfen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD und der FDP)




    Dr. Gradl
    Auch diese Toten haben Anspruch auf die Würde der Person, auf die Verdeutlichung und Kennzeichnung dessen, was mit ihnen ganz persönlich geschehen ist. Auch so betrachtet, sollten die Tatverdächtigen so lange verfolgt werden, bis der unaufhaltsame Gang der Zeit ohnehin Einhalt gebietet.
    Lassen Sie mich zum Schluß noch dies sagen: Aus unserer Bevölkerung wird auch gefragt, warum nur von dem gesprochen wird, was wir Deutsche angerichtet haben, nicht aber von dem, was andere uns Deutschen angetan haben. Die Frage kann nicht damit erledigt sein, daß Deutschland den Krieg begonnen hat und daß deutsche Truppen zuerst einmarschiert sind, so wahr das ist. Man kann nicht Verbrechen gegen Verbrechen aufrechnen wie die Aktiva und Passiva einer Bilanz.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Jede Seite muß das, was sie gefehlt und verbrochen hat, für sich bewältigen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Wir Deutsche beweisen vor uns selbst und kommenden Generationen mit dem Nein zur Verjährung der NS-Verbrechen unseren Willen, die zwölf schlimmen Jahre unserer Geschichte bis in die äußersten Winkel hinein aufzuhellen. . .

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Wir zeigen damit auch unseren jüngeren Generationen, die solche Schrecklichkeiten nicht unmittelbar durchleben mußten, wohin ideologische Verranntheit, politischer Fanatismus und Haß gegen Andersdenkende führen können.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Gerade indem wir selber mit uns unnachsichtig ins Gericht gehen, legitimieren wir uns aber auch zu dem Verlangen, daß auch das Unrecht, das von anderen uns angetan worden ist, respektiert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Das heißt, daß die mehr als 21 Millionen toten und vermißten Deutschen von der Welt zur Kenntnis genommen werden, die Opfer der Drangsalierungen und Vertreibungen in Ostdeutschland, in der Tschechoslowakei, in Ost- und Südosteuropa geworden sind. Man möge sie dort, wo ihnen dies noch bei und nach Kriegsende angetan worden ist, wenigstens nicht verleugnen!

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Verehrte Kollegen, die volle Aufhebung der Verjährbarkeit von Mord ist von der Vergangenheit her letztlich ein Akt moralisch-politischer Selbstreinigung unseres Volkes. Auf die Zukunft hin ist die Aufhebung, d. h. die unbegrenzte Strafverfolgung, eine vorbeugend abschreckende Warnung für jeden, der auch nur mit dem Gedanken eines mörderischen Verbrechens spielt.
    In diesem Sinne bitten wir unseren Antrag zu verstehen. In diesem Sinne bitten wir um Unterstützung für die generelle Aufhebung der Verjährung von Mord.

    (Anhaltender Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Begründung des Antrags auf Drucksache 8/2653 hat Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Emmerlich


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 31. Dezember 1979 verjähren die Mordtaten, die in Ausübung oder unter Ausnutzung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft begangen worden sind, sofern die Verjährung nicht unterbrochen worden ist. Nach allen vorliegenden Informationen ist die Unterbrechung der Verjährung gegen alle Mordverdächtigen herbeigeführt worden, die der Person nach bekannt sind. Die großen Massenvernichtungsaktionen des NS-Regimes dürften den Strafverfolgungsbehörden bekannt sein, viele der kleineren Vernichtungsaktionen ebenfalls, wahrscheinlich aber nicht alle. Davon, daß die Strafverfolgungsbehörden alle Mordtaten der NS-Zeit kennen, dürfen wir aber keineswegs ausgehen.
    Schließlich dürfen wir nicht annehmen, daß die Strafverfolgungsbehörden alle diejenigen kennen, die als Täter in den bekannten Mordtaten beteiligt waren.
    Das bedeutet: Wenn wir den Eintritt der Verjährung nicht verhindern, nehmen wir in Kauf, daß NS-Mörder strafrechtlich nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können, daß sie ohne Furcht vor Strafe unter uns leben und ihren Geschäften nachgehen dürfen. Wir müssen damit rechnen, daß sie und andere ihre Taten relativieren, entschuldigen und rechtfertigen. Wir müssen sogar damit rechnen, daß das Leben und die Taten dieser Mörder vermarktet werden.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie immer der Nationalsozialismus zu definieren sein mag — das, was ihn vor allem anderen kennzeichnete, ist, daß er die Wertbezogenheit staatlichen und politischen Handelns beseitigte, daß er als Maßstab für Politik nicht ethische Kategorien ansah, daß er die Orientierung der Politik auf Gerechtigkeit und moralische Prinzipien abgestreift hatte und statt dessen die Politik zu einer bloßen Machtfrage degradierte.
    Von daher war es nur folgerichtig und unvermeidbar, daß der Einzelmensch, seine Würde und seine Lebensbedingungen im Nationalsozialismus zu einem bloßen Mittel der Politik, zu ihrem Objekt wurden. Die Versklavung von Menschen und die Vernichtung von „lebensunwertem" Leben, dessen, was die damaligen Machthaber in ihrer Verblendung und Verrohung als lebensunwertes Leben glaubten ansehen zu dürfen, waren keine Auswüchse und Verwilderungen des Nationalsozialismus. Im Gegenteil, gerade darin kommen sein Wesen und sein



    Dr. Emmerlich
    Charakter zum Ausdruck. Der politische und geistige Terror, die Gestapo, der SD, die sogenannte Euthanasie, die Konzentrationslager, die Einsatzgruppen und die Vernichtungslager sind keine Randerscheinungen des Nazisystems.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie sind das, was das Nazisystem schlechthin charakterisiert. Der Nationalsozialismus lief also auf die Beseitigung der zivilisatorischen und kulturellen Bedingungen hinaus, die das Zusammenleben der Menschen erst ermöglichen. Die abgrundtiefe Menschenverachtung und der sadistische Zynismus sind ein Rückfall in die Barbarei und infolgedessen ein verbrecherischer Anschlag auf den Menschen als Individuum und auf die Menschheit.
    Deshalb — und nicht nur weil er sich im Zweiten Weltkrieg mit militärischer Gewalt über große Teile Europas ausbreiten konnte — geht der Nationalsozialismus nicht allein das deutsche Volk an, sondern alle Menschen und alle Völker. Der Nationalsozialismus ist eine Gefahr für die gesamte Menschheit. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus und ihm gleichartige Gewaltsysteme ist daher eine Sache aller Menschen und aller Völker.
    Wir Deutsche tragen in diesem Kampf eine besondere Verantwortung, weil der Nationalsozialismus in unserem Lande entstanden und an die Macht gekommen ist, sich der Machtmittel des deutschen Staates bedient und seine Verbrechen gegen die Menschheit in unserem Namen begangen hat. Unsere Verantwortung ist auch deshalb eine besondere, weil der Nationalsozialismus jedenfalls in den Anfangsjahren seiner Herrschaft Zustimmung bei großen Teilen unseres Volkes gefunden hatte, wenngleich diese Zustimmung zum größten Teil darauf beruhte, daß sein verbrecherischer Charakter von den meisten verdrängt oder verkannt wurde.
    Das Bekenntnis zu dieser unserer besonderen Verantwortung, das keineswegs eine Bejahung der These von der Kollektivschuld war, sondern wesentliche Voraussetzung dafür, daß sie abgewehrt und widerlegt werden konnte, und die Übernahme der sich aus dieser besonderen Verantwortung ergebenden Verpflichtungen, das war es, was nach dem Ende des Nationalsozialismus Politik für Deutschland durch Deutsche wieder ermöglicht hat. Das Ja zu unserer Verantwortung war und ist die moralische und die politische Voraussetzung für deutsche Politik.
    Von dieser Einsicht hat sich das deutsche Volk in seiner übergroßen Mehrheit in der Nachkriegszeit leiten lassen. Diese Einsicht hat die politisch Verantwortlichen im Parlamentarischen Rat, im Deutschen Bundestag, in den Parlamenten der Länder und Kommunen getragen. Diese Einsicht hat das Handeln aller deutschen Bundesregierungen und aller Landesregierungen bis heute bestimmt.
    Neben diesen allgemeinen Erwägungen, die für unsere Beratungen und unsere Entscheidung der Hintergrund, und die Grundlage sein müssen, halte ich bei dieser erneuten Verjährungsdebatte vor dem Deutschen Bundestag und damit vor der Welt drei Feststellungen für geboten.
    Erstens. Das deutsche Volk hat sich vom Nationalsozialismus entschieden abgewandt. Es verabscheut ihn und seine Verbrechen in gleicher Weise wie andere Völker. Diese Feststellung wird dadurch nicht aufgehoben oder relativiert, daß es — wie in manchem anderen Land — auch bei uns einige neofaschistische Kleinstgruppen gibt. Wir unterschätzen diese Gruppierungen keineswegs, zumal sich in ihnen in der letzten Zeit eine zunehmende Bereitschaft zur Militanz und Gewalttätigkeit breitmacht. Wir sind entschlossen, mit allen uns zur Verfügung stehenden politischen und auch rechtlichen Mitteln zu verhindern, daß diese neonazistischen Sektierer Einfluß in der Bundesrepublik gewinnen. Wir wissen uns darin mit allen demokratischen Parteien einig, wir wissen auch, daß dabei die Bürger unseres Landes mit überwältigender Mehrheit hinter uns stehen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Zweitens. Das deutsche Volk hat aus den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus die richtigen Folgerungen gezogen. Es hat sich, soweit dazu die Möglichkeit bestand,. für Freiheit und Demokratie entschieden. Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland manifestiert sich diese Entscheidung für Freiheit und Demokratie. Der erste Artikel des Grundgesetzes lautet in seinen ersten beiden Absätzen:
    Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
    Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
    Die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens und der Menschenwürde, die Menschenrechte und die Unverbrüchlichkeit des 'Rechts sind 'die tragenden Grundlagen unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Diese freiheitliche und demokratische Ordnung ist heute in unserem Land, in unserem Volk fest verankert und zum unbestrittenen Fundament unseres Gemeinwesens geworden.
    Drittens. Abkehr vom Nationalsozialismus hat für uns Deutsche in der Bundesrepublik immer bedeutet, alles zu tun, damit ein menschenfeindlicher Unrechts- und Terrorstaat wie der des Nationalsozialismus sich nicht wiederholen kann, und hat zugleich auch — im Rahmen des Menschenmöglichen — Wiedergutmachung des Unrechts bedeutet, das der Nationalsozialismus angerichtet hat.
    Herr Kollege Mertes und andere haben in der Diskussion über die Verjährung darauf hingewiesen, die Entscheidung des Deutschen Bundestages im Jahre 1979 müsse in der Kontinuität der Rechtspolitik unseres Landes stehen. Dabei ist insbesondere auf die Beschlüsse der Jahre 1965 und 1969 Bezug genommen worden. Ich nehme diese Mahnung gern auf. Nach meiner Auffassung muß die Entscheidung des Jahres 1979 nicht nur die Kontinuität der Rechtspolitik, sondern die Kontinuität der deut-



    Dr. Emmerlich
    schen Nachkriegspolitik insgesamt wahren und sich in sie einfügen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das läßt sich nicht trennen, Herr Kollege!)

    Das heißt, wir müssen eine Politik fortsetzen, deren Fundamente die Abkehr vom Nationalsozialismus und die Wiedergutmachung, die Begründung einer freiheitlich-demokratischen Ordnung und der Respekt vor den unveräußerlichen Menschenrechten und vor der Unverbrüchlichkeit des Rechts gewesen sind und bleiben müssen.
    Diese Politik der Jahre nach 1945 ware unglaubwürdig gewesen, wenn sie über die Verbrechen des Nationalsozialismus hinweggesehen hätte, wenn sie sie ignoriert oder verdrängt hätte, wenn nicht erkannt worden wäre, daß die Ahndung dieser Verbrechen eine der Voraussetzungen und Bedingungen für deutsche Politik nach Hitler gewesen ist.
    Diese Einsicht war es, die die SPD-Fraktion schon 1960 und 1965 sowie 1969 veranlaßt hat, der damals jeweils drohenden Verjährung schwerster Verbrechen aus der NS-Zeit entgegenzuwirken. Von dieser Einsicht, sehr geehrter Herr Kollege Mertes, hat sich der Deutsche Bundestag 1965 und 1969 leiten lassen, als er dafür sorgte, daß es nicht zu einer Verjährung der Mordtaten der NS-Zeit gekommen ist. Diese Einsicht müssen wir zur Grundlage der Entscheidung machen, die wir in diesem Jahr zu treffen haben.
    Wir müssen dabei auch an den präjudizierenden Charakter unserer Entscheidung denken. Mörder dürfen nicht darauf spekulieren können, daß sie nach Ablauf einer Verjährungszeit strafrechtlich nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können. Das gilt insbesondere für solche Mordtaten, die in Ausübung oder unter Ausnutzung staatlicher Gewalt- und Terrorherrschaft begangen werden. Auch dadurch leisten wir einen, wie ich finde, unverzichtbaren Beitrag dazu, Barrieren zu errichten, damit sich eine. Gewalt- und Terrorherrschaft wie die des Nationalsozialismus nicht wiederholt.
    Wenn ich, meine sehr geehrten Damen und Herren, die bisherige Diskussion richtig verstanden habe, werden die Bedeutung und das Gewicht dieser Argumente von niemandem im Deutschen Bundestag verkannt. Das war auch 1960, 1965 und 1969 schon so.
    Daß viele Abgeordnete damals gleichwohl einer Änderung der Verjährungsvorschriften nicht zuzustimmen vermochten, lag im wesentlichen daran, daß sie glaubten, einer Änderung der Verjährungsfristen für bereits begangene Straftaten stünden verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere das strafrechtliche Rückwirkungsverbot des Art. 103 des Grundgesetzes entgegen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : 1969 war das nicht mehr so!)

    Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, daß die Verlängerung oder Aufhebung noch nicht abgelaufener Verjährungsfristen bei Verbrechen, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, nicht gegen das Rückwirkungsverbot und auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, sollten diese Argumente für unsere Entscheidung nicht länger bestimmend sein.
    Bleibt der Gesichtspunkt der Beweisnot. Diese, wer wollte das bestreiten, ist in sehr vielen Fällen gegeben — übrigens nicht erst seit gestern und heute, sondern seit Beginn der sogenannten NS-Prozesse und auch nicht nur in diesen, sondern in sehr vielen Strafverfahren. Richtig ist auch, daß die Beweisschwierigkeiten mit dem Zeitablauf in der Regel zunehmen und infolgedessen der Anteil der Fälle, in denen es mangels Beweises zu keiner Verurteilung kommt, kontinuierlich ansteigt. Das Argument der Beweisnot trägt aber schon deshalb nicht, weil zur Zeit noch gegen rund 3 000 Personen Strafverfahren laufen und über den 31. Dezember 1979 hinaus durchgeführt werden, weil in diesen Verfahren die Verjährung unterbrochen worden ist. Die Zahl der Strafverfahren, die erst durch eine Aufhebung der Verjährung für Mord eingeleitet und durchgeführt werden könnten, wird dagegen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ganz erheblich geringer sein.
    Konsequent zu Ende gedacht müßte das Argument von der Beweisnot auf die Forderung nach einer Amnestierung der noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten hinauslaufen. Eine solche Forderung ist im Deutschen Bundestag bisher nicht erhoben worden — zu Recht; denn eine solche Amnestie käme einem Generalpardon sehr nahe. Sie würde jedenfalls zur Trägerrakete für die uns allen sattsam bekannten Versuche zur Leugnung, Relativierung, Entschuldigung und Rechtfertigung der Verbrechen des Nationalsozialismus werden.
    Herr Carl-Friedrich von Weizsäcker hat im Rahmen einer Veranstaltung zur Woche der Brüderlichkeit unter Bezug auf die Verjährungsdebatte darauf hingewiesen, daß Gerechtigkeit ohne Gnade keinen Bestand habe. Gewiß ist das richtig und gewiß verdient diese alte Rechtsweisheit generell Beachtung. Gnade kann vor allem bei Mord aber erst dann in Betracht kommen, wenn der Gerechtigkeit wenigstens dadurch Genüge getan ist, daß der Mörder vor Gericht gestellt und seine Tat abgeurteilt worden ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung zu den Morden der NS-Zeit: Bei ihnen handelt es sich keineswegs um Kriegsverbrechen, um solche strafbaren Handlungen also, die im Kampf zur Niederwerfung des Gegners und zur Erringung des Sieges begangen worden sind, im Gefolge von Kriegshandlungen, aus Empörung oder aus Rache z. B. für Unterdrückung und Drangsalierung. Die Morde im Zusammenhang mit dem, was Hitler zynisch als
    „Röhm-Putsch" zu bezeichnen pflegte — Herr Kollege Gradl hat dankenswerterweise insbesondere .darauf hingewiesen; ich erinnere nochmals an die Ermordung des Generals Schleicher und seiner Frau, des Generals von Bredow, des Führers der Katholischen. Aktion Ministerialdirektor Klausener, und



    Dr. Emmerlich
    des früheren bayerischen Ministerpräsidenten von Kahr —, die Morde der sogenannten Euthanasie, die Verbrechen und die Morde in den Konzentrationslagern, der Massenmord in den Vernichtungslagern, die Morde der Einsatzgruppen insbesondere in Polen und in der UdSSR — das alles hat mit Kriegsverbrechen nicht das geringste zu tun.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Theodor Heuss hat gesagt, diejenigen, die im Zusammenhang mit den Verbrechen des NS-Staates glauben, sich damit begnügen zu können, auf andere zu zeigen, seien die moralisch Anspruchslosen. Ich bin sicher — Ihr Beifall zu den Ausführungen, die Herr Gradl zu diesem Punkt gemacht hat, beweist das —, daß im Deutschen Bundestag niemand ist, der sich an die Seite dieser Aufrechner stellt.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Problem der Morde aus der NS-Zeit wirft zugleich auch die Frage der Verjährung von Mord überhaupt auf. Das ist auch 1965 und 1969 gesehen worden und hat dazu geführt, daß die SPD-Fraktion und Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion schon 1965 die generelle Aufhebung der Verjährung von Mord vorgeschlagen haben. Die Abgeordneten, die den Ihnen vorliegenden Entwurf eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes unterzeichnet und eingebracht haben, sind nach neuerlicher sorgfältiger Abwägung des Für und Wider zu dem gleichen Ergebnis gelangt. Das Leben ist das höchste Gut des Menschen. Nach unseren jüngsten geschichtlichen Erfahrungen, auch nach den Erfahrungen unserer Tage ist das menschliche Leben zunehmend von der vorsätzlichen Vernichtung durch Menschen bedroht. Es ist daher geboten, den strafrechtlichen Schutz des Lebens dadurch zu verstärken, daß Mord nicht verjährt. Mord ist nicht nur die vorsätzliche Vernichtung menschlichen Lebens; hinzu treten muß auch, daß die Tötung entweder aus besonders niedrigen Beweggründen oder auf besonders verabscheuungswürdige Art und Weise geschieht. Der außerordentlichen Schwere des Unrechtsgehalts und der Schuld bei einem Mord entspricht die außerordentliche Strafandrohung: lebenslange Freiheitsstrafe. Dem entspricht es auch, daß die Vollstreckung einer solchen Strafe nicht verjährt. Zu der Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe und zu der Unverjährbarkeit der Strafvollstreckung bei Mord steht im Widerspruch, daß die Strafverfolgung von Mordtaten nach geltendem Recht nur zeitlich begrenzt möglich ist, nämlich 30 Jahre lang. Dieser Widerspruch wird dadurch verschärft, daß bei Mordverdächtigen, die der Person nach bekannt sind, die Strafverfolgungsverjährung unterbrochen wird — mit der Folge, daß die Strafverfolgung faktisch so lange durchgeführt werden kann, wie der Verdächtige lebt. Im Ergebnis läuft dies darauf hinaus, daß derjenige, der seine Tat besonders gut zu verschleiern versteht, dafür mit der Strafverfolgungsverjährung belohnt wird, während gegen andere die Strafverfolgung bis an das Ende ihrer Tage durchgeführt wird.
    Mit der Aufhebung der Verjährung für Mord würde — um einem noch immer weit verbreiteten Irrtum entgegenzutreten — das Rechtsinstitut der Verjährung insgesamt nicht in Frage gestellt. Die strafrechtliche Verjährung an sich ist aus mehreren Gründen unverzichtbar, z. B. weil auch bei strafbaren Handlungen im allgemeinen ein Ausgleich für den gestörten Rechtsfrieden dadurch eintreten kann, daß die Straftat lange Zeit zurückliegt, weil die Strafe an Sinn verliert, je länger die Tat zurückliegt, und weil der staatliche Strafanspruch überdehnt werden würde, wenn er angesichts des das Strafrecht beherrschenden Legalitätsprinzips von den Strafverfolgungsbehörden zeitlich unbegrenzt durchgesetzt werden soll. Ist somit das Rechtsinstitut der Verjährung für das Strafrecht unverzichtbar, so folgt daraus nicht, daß jede Straftat verjähren muß. Die strafrechtlichen Verjährungsfristen laufen je nach Schwere der Tat von drei bis zu dreißig Jahren. Schon aus dieser Staffelung der Verjährungsfristen folgt, daß es zulässig ist, die Verjährung von Straftaten ganz außerordentlichen Unrechts- und Schuldgehalts gänzlich auszuschließen. Diese Notwendigkeit des Ausschlusses der Verjährung ist bisher bei Verbrechen nach. § 220 a StGB bejaht worden, der bekanntlich nicht nur die Tötung von Mitgliedern einer national, rassisch, religiös oder durch ihr Volkstum bestimmten Gruppe, sondern auch andere gegen solche Gruppen gerichteten Verhaltensweisen umfaßt, z. B. die Geburtenverhinderung.
    Es ist richtig, daß die Verjährung auch den Sinn hat zu verhindern, daß Bürger lange Zeit nach einer Straftat mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren überzogen werden können. Das hat allerdings Fehlurteile zu Lasten des Beschuldigten infolge des Grundsatzes in dubio pro reo nicht zur Folge. Damit möchte ich einem weiteren Irrtum entgegenwirken.
    Bei Morden kommt neben dem zunächst genannten relevanten Gesichtspunkt dem für das Strafrecht entscheidenden anderen Ansatz, nämlich der Notwendigkeit der Verfolgung strafbarer Handlungen, ausschlaggebende Bedeutung zu. Rechtsfrieden und Rechtssicherheit nehmen in schwer erträglicher Weise Schaden, wenn Mörder allein wegen der seit ihrer Tat verstrichenen Zeit nicht mehr vor Gericht gestellt werden können und straflos bleiben.
    Die Annahme, für die Verjährung von Mord gebe es in unserem Land eine gesicherte Rechtstradition, erweist sich bei näherer Betrachtung als nicht stichhaltig. Bis zum 19. Jahrhundert verjährte Mord nicht. Erst das Deutsche Reichsstrafgesetzbuch von 1870 hat die Strafverfolgungsverjährung für Mord generell eingeführt. Dabei muß aber beachtet werden, daß der Mordtatbestand des Reichsstrafgesetzbuchs nicht nur die Tötungsdelikte umfaßte, die unter den heutigen, erst seit 1941 existierenden Mordtatbestand fallen, sondern auch solche, die nach heutigem Recht als Totschlag zu qualifizieren sind.
    Zu Unrecht wird eingewandt, die Unverjährbarkeit von Mord stehe im Widerspruch zu den auf Resozialisierung des Täters ausgerichteten Zieles des modernen Strafrechts. Die Unterzeichner des



    Dr. Emmerlich
    Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs bekennen sich nachdrücklich zum Resozialisierungsstrafrecht.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Befürworter des Resozialisierungsstrafrechts sind jedoch nie dem Trugschluß verfallen, daß die Spezialprävention, die Sozialisation und die Resozialisierung der ausschließliche Strafzweck sind. Das Strafrecht hat selbstverständlich auch eine generalpräventive Funktion. Darüber hinaus stellen die Verurteilung und die Strafvollstreckung einen unverzichtbaren Ausgleich für den in einer Straftat liegenden schweren Rechtsbruch und für die infolgedessen eingetretene schwere Störung des Rechtsfriedens dar. Selbst wenn bei Mördern die Notwendigkeit oder die Möglichkeit einer Resozialisierung nicht bestehen sollte, so darf das keineswegs dazu führen, daß der Mörder in einem solchen Fall nicht bestraft wird.
    Hier und da wird vorgebracht, zwischen der Aufhebung der Verjährbarkeit für Mord und der Absicht, auch bei lebenslangen Freiheitsstrafen nach langjähriger Strafverbüßung die Strafaussetzung zur Bewährung zuzulassen, bestehe ein Widerspruch.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : In der Tat!)

    Das trifft nicht zu.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Doch!)

    Bei der Mordverjährung handelt es sich um die Frage, ob ein Mörder, wenn die Tat sehr lange zurückliegt, noch vor Gericht gestellt und bestraft werden kann. Bei lebenslangen Freiheitsstrafen soll nach Verurteilung und nach langjähriger Strafverbüßung nicht länger im Gnadenwege, sondern durch unabhängige Gerichte geprüft werden, ob eine Strafaussetzung mit Rücksicht auf die Persönlichkeitsentwicklung des Verurteilten verantwortet werden kann. Die Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung bei lebenslangen Freiheitsstrafen ist eine dem Resozialisierungsgedanken entsprechende Ergänzung unseres Strafrechts und wird die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht voll befriedigende Gnadenpraxis weitgehend ablösen.
    Es trifft zu, daß die Aufhebung der Verjährung für Mord wie .1965 und 1969 im Zusammenhang mit der Diskussion über die Verjährung der Morde der NS-Zeit vorgeschlagen wird. Das ist keineswegs ein Umstand, der die Initiatoren der Gesetzesvorlage oder ihr Vorhaben ins Zwielicht zu bringen vermöchte. In der Politik ist es oft so, daß erst ein besonderer Anlaß die Notwendigkeit einer allgemeinen Maßnahme ins Bewußtsein hebt und erst dadurch die Chance eröffnet wird, sie zu realisieren. Die Behauptung, die generelle Aufhebung der Verjährung für Mord werde von uns nur angestrebt, um die Nichtverjährung der sogenannten NS-Morde zu erreichen, ist eine ungerechtfertigte und, wie ich meine, nicht faire Unterstellung.
    Die Beratung und die Entscheidung des Deutschen Bundestages zur Verjährung werden vom deutschen Volk, von den Völkern, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben, von den überlebenden Opfern des Naziterrors, ihren Angehörigen und
    ihren Freunden und von weiten Teilen der Weltöffentlichkeit mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Wir alle sind uns dessen bewußt. Wir wissen, daß die Entscheidung, vor der wir stehen, schwer und von erheblicher Tragweite ist. Alle drei Fraktionen des Deutschen Bundestages stimmen darin überein, daß es sich um eine Entscheidung handelt, bei der das Gewissen eines jeden einzelnen Abgeordneten den Ausschlag geben muß. So sehr ich um Unterstützung unserer Gesetzesinitiative werbe und so sehr ich für sie eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag erhoffe, so sehr liegt mir daran, schon heute zu erklären, daß jede vom Gewissen getragene Entscheidung zu respektieren ist.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Um etwaigen Mißverständnissen deutlich entgegenzutreten, erkläre ich auch und wiederholend: Bei unserer Entscheidung geht es nicht um ein Ja oder ein Nein zum Nationalsozialismus, geht es nicht darum, ob seine Verbrechen zu verurteilen sind oder nicht. In der unzweideutigen Ablehnung des Nationalsozialismus und im Abscheu vor seinen Verbrechen stimmte der Deutsche Bundestag stets überein. Darin ist er sich auch heute einig.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen mit den Sätzen schließen, mit denen Adolf Arndt am 10. März 1965 seine Rede beendet hat. Ich zitiere:
    Was haben wir zu tun? Wir haben nicht nur daran zu denken, daß der Gerechtigkeit wegen, auf die wir uns berufen, die überführten Mörder abgeurteilt werden sollen, sondern wir haben auch den Opfern Recht zuteil werden zu lassen, schon allein durch den richterlichen Ausspruch, daß das hier ein Mord war. Schon dieser Ausspruch ist ein Tropfen, ein winziger Tropfen Gerechtigkeit, der doch zu erwarten ist zur Ehre aller derer, die in unbekannten Massengräbern draußen in 'der Welt liegen. Nicht daß wir Jüngstes Gericht spielen wollen; das steht uns nicht zu. Nicht daß es hier eine iustitia triumphans gäbe! Es geht darum, eine sehr schwere ... Last und Bürde auf uns zu nehmen. Es geht darum, daß wir dem Gebirge an Schuld und Unheil, das hinter uns liegt, nicht den Rükken kehren, sondern daß wir uns als das zusammenfinden, was wir sein sollen: kleine, demütige Kärrner, Kärrner der Gerechtigkeit, nicht mehr.

    (Beifall)