Das ist mir nicht entgangen, Herr Kollege Wehner, aber mir ist auch nicht entgangen, daß der Begriff der Doppelstrategie zuerst in Ihrer Partei entwickelt worden ist.
Der Minister hat sich in seinem Bericht an das Parlament sehr ausführlich mit der Rolle der Finanzpolitik bei der Stützung der Konjunktur und der weiteren Entwicklung unserer Wirtschaft befaßt. In seiner Rede sowie im Jahreswirtschaftsbericht wird festgestellt, die Neuverschuldung des Bundes sei notwendig gewesen, um ein angemessenes Wachstum zu sichern. Es wird festgestellt, daß der Staat fehlende private Nachfrage habe ausgleichen müssen, um eine angemessene Wachstumsrate zu erzielen. „Er mußte", wie der Minister es formuliert, „zusätzliche Nachfrage entfalten".
Ich möchte hier zunächst eine allgemeine kritische Bemerkung machen. Ich habe den Eindruck, daß die Regierung sich hier von der Auffassung leiten läßt, es müsse eine gewisse Wachstumszahl erreicht werden. Wenn diese Wachstumszahl, diese Wachstumsrate durch die private Nachfrage, d. h. durch das, was die Leute brauchen und deshalb nachfragen, nicht zustande komme, müsse das Wachstum durch zusätzliche staatliche Aktivitäten herbeigeführt werden. Ich halte das für eine gefährliche Auffassung.
Ich halte es weiterhin für ein gefährliche Auffassung, festzustellen und davon auszugehen — auch dies steht im Jahreswirtschaftsbericht und in der Rede des Wirtschaftsministers —, daß man ohne diese Wachstumsrate und damit die für diese Wachstumsrate notwendige Neuverschuldung der öffentlichen Kassen das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen könne. Dies ist nichts anderes als die verdeckte Feststellung, der Staat müsse jedes Beschäftigungsdefizit durch Neuverschuldung und damit verbundene Wachstumssteigerung ausgleichen, das möglicherweise ganz andere Ursachen hat,
etwa Strukturveränderungen oder die Lohnpolitik.
Wenn die Ursache in der Lohnpolitik liegt, bedeutet diese Formulierung die De-facto-Übernahme des Vollbeschäftigungsrisikos der Tarifparteien durch den Staat. Wenn sich dies als eine generelle politische Linie durchsetzen sollte, dann ist schon aus diesem Grund eine Beendigung der Stützung der Konjunktur durch staatliche Ausgaben, die nur zu diesem Zweck erfolgen — und so heißt es ja hier — 1 gar nicht möglich.
Denn wenn die Regierung durch Ausgaben, die nur zu diesem Zweck erfolgen, die Wachstumsrate erhöht — ich will jetzt überhaupt nicht die Frage stellen, ob die Ausgaben unter anderen Kriterien als angemessen oder dringlich gewürdigt werden können —, erzeugt sie Erwartungen. Sie erzeugt insbesondere Einkommenserwartungen. Selbstverständlich bedeutet eine Wachstumsrate von real 4 % im Rahmen der nächsten Tarifrunde eine bestimmte Erwartung, nämlich die Erwartung, daß aus diesen Wachstumsraten entsprechende Verbesserungen der Einkommen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung entstehen können.
Diese Verbesserung der Einkommen wiederum belastet aber die Angebotsseite. Die Schwäche der Angebotsseite ist schon heute in den Augen des Sachverständigenrats eine der Hauptursachen dafür, daß die Konjunktur sich nicht so entfaltet, wie sie sich entfalten sollte. Die Schwächung der Angebotsseite müßte dann, folgt man dem Gedanken weiter, durch öffentliche Anstrengungen ausgeglichen werden, um auf diese Weise wieder die Wachstumsraten zu erzielen, von denen man glaubt, daß sie unverzichtbar sind. Und so geht der Kreislauf weiter.
Der Fehler liegt nach meiner Überzeugung in der vorweggenommenen Annahme, daß nur bei bestimmten Wachstumsraten, die gewissermaßen vorher festgesetzt werden, sozialpolitische, allgemeinpolitische, insbesondere verteilungspolitische Probleme lösbar seien. Ich werde auf diesen Punkt zurückkommen.
Ich bin der Meinung, daß hier Ursache und Wirkung gegeneinander ausgetauscht wurden. Das Wachstum ist nicht das Ziel, sondern das Ergebnis politischen Handelns. Das Wachstum ist der Indikator dafür, ob die Ordnungspolitik und die Wirtschaftspolitik der Regierung erfolgreich sind. Wenn die Regierung jetzt sagt, da unsere Interventionen in der Vergangenheit — siehe den Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums — ständig überall wachstumshemmende Wirkungen ausgelöst haben und deshalb keine ausreichende Wachstumsrate entsteht, wir aber 4 % Wachstum brauchen und wir deshalb jetzt öffentliche Verschuldung durch die Notwendigkeit höherer Wachstumsraten rechtfertigen können, benutzt sie gewissermaßen das Wachstum nicht mehr als einen Indikator des Erfolgs ihrer Politik, sondern sie manipuliert diesen Indikator, und zwar indem sie das Wachstum durch öffentliche Verschuldung finanziert.
— Ich komme darauf gleich am Ende zurück, Herr Kollege Reuschenbach; bitte, haben Sie so lange Geduld. Aber wenn ich das zwischendurch sagen darf: im Stabilitätsgesetz, Herr Kollege,
— § 1 — lautet die Formulierung „bei angemessenem Wachstum", d. h., das angemessene Wachstum ist gewissermaßen die Kondition, unter der die Sta-
Dr. Biedenkopf
bilitätsziele zu verfolgen sind. Das ist eine Formulierung, die sehr sorgfältig bedacht werden muß. Sie ist auch sehr sorgfältig bedacht worden. Aber ich komme auf die Wachstumsfrage am Ende zurück.
Der Minister hat in völliger Übereinstimmung mit unserer in der Haushaltsdebatte vertretenen Auffassung festgestellt, daß ihn das Tempo der Verschuldung beunruhige. Das ist auch das, was uns beunruhigt. Deshalb haben wir auch darauf hingewiesen, daß in einem Jahr eine höhere Verschuldung eingetreten ist — Sie können ein beliebiges der letzten fünf Jahre nehmen — als in den 20 Jahren bis 1969. Wir wollten das Tempo der Verschuldung als die eigentliche Gefahr beschreiben. Und das ist auch die eigentliche Gefahr.
Schließlich muß festgestellt werden, daß die öffentlichen Ausgaben nur in beschränktem Umfang geeignet sind, überhaupt dauerhafte, sich selber tragende Konjunktur zu gewährleisten. Denn erstens ist folgendes zu berücksichtigen. Wenn sich die investierenden Unternehmer daran gewöhnen, daß der Staat einen wesentlichen Teil der Nachfrage abdeckt, dann investieren sie nur in dem Umfang, in dem sie damit rechnen können, daß diese Nachfrage dauerhaft ist.
Sie investieren dann nämlich in Richtung auf die staatliche Nachfrage. Diese staatliche Nachfrage ist nicht ohne weiteres durch private Nachfrage substituierbar. Mit anderen Worten: die durch die staatliche Nachfrage ausgelösten Investitionsimpulse werden sich immer sorgfältig in dem Korridor bewegen, von dem die investierende Wirtschaft als dauerhaften Korridor staatlicher Ausgaben ausgehen darf.
Wenn der Minister jetzt im Jahreswirtschaftsbericht die Konsolidation der öffentlichen Haushalte und das Zurückführen der Defizite und damit das Abnehmen des Ausgabenvolumens des Staates in Aussicht stellt, verhält er sich in diesem Bereich, wo auf Grund und in Erwartung öffentlicher Ausgaben investiert wird, gerade investitionshemmend. Denn die Wirtschaft wird sagen: wenn der Staat gegen Ende des Jahres seine Verschuldung und auch seine Nachfrage zurückdreht, weil er glaubt, die Konjunktur trage sich selbst, ist es nicht sinnvoll, auf zukünftige öffentliche Nachfrage hin zu investieren.
Zweitens. Öffentliche Investitionen sind fast immer mit Folgekosten verbunden. Die Folgekosten öffentlicher Investitionen sind inzwischen so hoch, daß sie selbst schon zur Verschuldung der öffentlichen Haushalte führen.
Das Land Bremen hat kürzlich in der Haushaltsdebatte feststellen müssen, daß von dem gesamten Etat des Landes Bremen noch 20 Millionen DM zur freien Disposition des Gesetzgebers standen. Alles andere war entweder durch gesetzliche oder durch betriebswirtschaftliche oder sonstwie bedingte Folgekosten bzw. allgemeine Kosten festgeschrieben.
— Das ist in fast allen Bundesländern so. Ich habe das nur erwähnt, weil es mir als jüngster Beispielsfall in Erinnerung war. Es war keine Diskriminierung gegenüber Bremen beabsichtigt.
Das Hauptproblem liegt darin, daß durch die Mischfinanzierung, durch die angetriebene öffentliche Nachfrage, durch den Versuch, bestimmte Wachstumsraten zu erzielen, die man mit der sozialen Marktwirtschaft nicht erzielen kann, weil man sie ständig hemmt, ein Circulus vitiosus in Gang gesetzt wird, den wir nicht auf die Weise durchbrechen können, wie der Minister das in Aussicht stellt.
Die Konjunktur, die wir haben, ist nicht stabil.
— Wir können uns im Wirtschaftsausschuß über diese Dinge noch weiter unterhalten.
Jedenfalls vertrete ich hier durchaus die Auffassung, die auch der Sachverständigenrat vertritt, was Sie bitte zur Kenntnis nehmen!
Der Minister hat in diesem Zusammenhang erklärt, die Behauptung der Opposition, daß die Verschuldenspolitik zu einer Belastung zukünftiger Generationen führen werde, sei nur eine neu e Form von Krisenbehauptung.