Rede von
Dr.
Heinz
Riesenhuber
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Reuschenbach, es wäre wirklich unfair, auf eine Zwischenfrage von einem derart exorbitanten politischen Gewicht in einer Rede zu antworten. Ich glaube, so sollten wir hier nicht miteinander umgehen. Ich nehme das als eine unqualifizierte Zwischenfrage hin.
Meine Damen und Herren, die Frage ist doch, wer sich noch darauf verlassen kann, daß die Regierung das, was sie erklärt hat, auch tatsächlich tut. Wir sprechen heute über eine Mehrheit von 6 Stimmen, und wenn die Regierung an eine solche Mehrheit ihre eigentliche Verantwortung abtritt, haben wir einen Kurs, der nicht mehr vorhersehbar ist.
Welcher Partner eines Gemeinschaftsprojekts kann künftig noch Steuergelder investieren, wenn wir als Partner gegenüber Holland und Belgien heute nicht verläßlich sind? Welches Wirtschaftsunternehmen kann sich für ein Projekt engagieren, das von einem Parteitag — ohne Rücksicht auf technische und wirtschaftliche Vernunft — erschüttert werden kann? Welcher Wissenschaftler kann seine Arbeit auf ein Projekt setzen, das durch die Regierungsparteien, die letzten Endes darüber entscheiden sollen, öffentlich verteufelt wird? Welcher Arbeiter, der geglaubt hat, für ein Zukunftsprojekt Deutschlands zu arbeiten, kann heute überhaupt noch seines Arbeitsplatzes in diesem Bereich sicher sein? So weit ist es gekommen!
Denn Ihr Antrag mit dem Punkt 6 bedeutet Verzögerung, und Verzögerung bedeutet Gefährdung.
— Das stelle nicht ich fest; hierzu sagt das Innenministerium außerordentlich faszinierende Dinge.
Nach der „Saarbrücker Zeitung" vom 7. September stellt das Innenministerium in einem Papier fest, was hier geschehe, sei eine Abwürgung auf Raten. Es stellt fest: Einzelne Stufen der Entwicklung vom Prototyp zum Demonstrationsprojekt und zur endgültigen Anwendung überlappen sich.
Sie sagen in Punkt 6 Ihres Antrags, eine Entscheidung über einen möglichen SNR II sollte erst nach ausreichenden Betriebserfahrungen mit Prototypanlagen erfolgen. Das Innenministerium schreibt sinngemäß, daß die Entscheidung und damit die Planung der Demonstrationsanlage SNR II logischerweise schon während des Baus und des Betriebs von SNR 300 laufen muß, wenn nicht Planungs- und Investitionsrisiko unkalkulierbar gemacht werden sollen und nicht innerhalb kürzester Zeit das mühsam aufgebaute Wissen unwiderruflich oder nur zu hohen Preisen zurückkaufbar verlorengegangen ist.
Genau das folgt aus Ihrem Antrag. Das gilt nicht nur für den SNR 300, wo Sie es begründen mit einer ausführlichen Erwägung über Plutoniumwirtschaft, sondern es folgt genauso — mit einem einzigen Federstrich — für den HTR, der mit Plutonium-brüten überhaupt nichts im Sinn hat.
Herr Matthöfer hat einmal davon gesprochen, daß Deutschland vom Blaupausenexport leben solle. Bei solcher Politik wird Deutschland nicht einmal mehr die Maschinen und Anlagen verkaufen, wenn Sie mit Ihrem Rundumschlag gegen unsere Technik fertig sind, die auf lange Zeit die Grundlage unserer wirtschaftlichen Existenz ist.
Es wurde hier heute so debattiert, als gäbe es bei den Regierungsparteien leidenschaftliche Befürworter von Technologiefolgenabschätzung. Wir sind immer eingetreten für eine massige Mitbeteiligung des Parlaments und für eine Technologiefolgenabschätzung dort, wo es sinnvoll ist. Wir haben die Risiken neuer Technologien immer sehr ernst genommen. Wir sind immer eingetreten für die Verantwortung des Parlaments für die Technologie, die wir fördern. Ich höre auch hier mit Interesse die Aussage von Herrn Professor Laermann, daß er es genauso sieht.
Aber wie ist denn die Geschichte? In der letzten Legislaturperiode haben wir ein Amt für Technologiebewertung beantragt. Sie haben uns das unter einer Serie erbaulicher Reden — mit großer Übereinstimmig im Grundsatz — am Schluß abgeschmiert, ohne einen konkreten Alternativvorschlag zu bringen. Das ist doch der Umgang mit Technologiefolgenabschätzung hier im Hause!
In dieser Periode haben wir ein Konzept eingebracht, das in der Tat nur ein Minimalkonzept ist. Was Sie daraufhin anbieten, ist, daß wir zwei weitere Mitarbeiter beim Wissenschaftlichen Dienst einstellen und 100 000 DM für Gutachten bekommen sollen. Und ob Sie das tun werden, ist noch völlig offen. Sie können nicht Gemeinsamkeit fordern und zugleich jammern, die Opposition könne schlauer werden, als sie ohnehin schon ist. Auf dieser Basis werden Sie den Konsens in der Politik nicht finden.
Sie können. nicht von Bürgergespräch und sachkundiger Auseinandersetzung sprechen und gleichzeitig dem Parlament dann die Mindestinstrumente verweigern.
Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1978 9803
Dr. Riesenhuber
Meine Damen und Herren, nicht die. Sorge um das Wissen ist der Anlaß für den ,Antrag der Regierungskoalition. Das Motiv ist die Konfusion einer mitternächtlichen Parteitagsdebatte über einen Kompromiß in einer schlampigen Resolution, die nicht einmal ih sich selber stimmt.
Was ist denn das für eine Aussage, wenn es in Satz 1 heißt, der Schnelle Brüter sei. abzulehnen, und in Satz 2, daß Sie eben dies in einer Enquete- Kommission prüfen wollen! Schreiben Sie der Enquete-Kommission das Ergebnis vor? Entscheiden Sie mit Mehrheit über wissenschaftliche Tatsachen? Sind Sie überhaupt noch offen für eine Sachdebatter? Was sie beantragen, bedeutet Verzögerung. Sie setzen keinen Termin für den Bericht. Die Umsetzung der Auswertung von INFCE wird in dieser Periode kaum noch möglich sein. Wenn. in den 80er Jahren Kalkar in Betrieb geht, soll die Kommission immer noch tagen. Sie setzen keine Fristen. Sie sprechen hier aber von nirgends begründeten Inhalten. Wer von Ihnen hat denn jemals dargelegt, wie eine Option inhaltlich aussehen soll, auf Kernenergie künftig zu verzichten, und wie deren Möglichkeiten und Konsequenzen bewertet werden sollen?
Der Antrag, den wir eingebracht haben, ist knapp, präzise und eindeutig. Er ist offen für jedes Ergebnis in sinnvoller Frist. Er soll das erreichen, was wir-entscheidend brauchen und was die Grundlage für die gesamte weitere Arbeit ist: die Wiedergewinnung einer gemeinsamen Kernenergiepolitik, die wir nie aufgegeben haben, die aber ständig ins Schleudern gebracht wird durch Sie und Ihre Parteitage.
Meine Damen und Herren, Ihr Antrag spricht von der Akzeptanz. Sie wollen Kriterien und Maßstäbe erarbeiten. Sie tun so, als könnte Akzeptanz nach entsprechender fachlicher Vorbereitung regierungsamtlich verordnet und übergestülpt werden, wenn man es nur raffiniert genug anstellt.
Wenn wir eine Akzeptanzkrise haben, dann _ ist sie auf dem langen öffentlichen Schweigen der Regierung gewachsen. Die ganze Frage der Entsorgung ist in den Debatten seitens der Regierung 1976 zum erstenmal überhaupt aufgetaucht. Sie ist aus den widersprüchlichen Reden entstanden, die sie hinterher auf Ihren Parteitagen gehalten hat.
Sie ist daraus entstanden, daß Sie jetzt hier den Zweifel hineingebracht haben, ohne die Sachdiskussion begründet und in einer überzeugenden Weise so zu führen, daß Sie hernach dafür einstehen können.
Die Akzeptanzkrise entstand letzten Endes aus Ihrer mangelnden Kraft, das politisch zu vertreten, was Ihre eigene Regierung erklärt hat. Das ist doch der Punkt.
Meine Damen und Herren, wir sehen daß es zu viele gute Köpfe unter den Studenten gibt, die wir in der technischen und wissenschaftiichen Arbeit brauchen, die sich von der Technologie abwenden, weil sie ihnen als Irrweg erscheint. Das Argument von der Notwendigkeit dieser Großtedmologie für unsere Volkswirtschaft wird uns nicht abgenommen, wenn man uns nicht mehr glaubt, daß unsere Ziele gut und menschlich sind und unsere Wege wohibegründet und erwogen.
Wir werden gefragt, ob der Mensch in der Groß- technik nur nodi insofern eine. Funktion hat, als er sich den Strukturmechanismen des Computers anpaßt. ,Es geht um die Frage, ob uns der Bürger als Statisten einer angeblich Unwiderstehlichen Eigendynamik der Technik erfährt. Es geht um den Traum von der heilen und überschaubaren Welt. Es gibt auch den Traum von einer umfassenden Teilhabe der Bürger an dem, was sie angeht, und das ist ein guter Traum. Was wir gemacht haben, war eine Verwaltungsreform, die den Betroffenen und den Handelnden noch weiter auseinandergerückt hat. Es ist der Traum vom „Small is beautiful" in der Technik,. und in der Realität haben sie Konkurse im Mittelstand und größere, wachsende Unternehmenseinheiten vorgefunden. Es ist auch der Traum, Herr Ueberhorst, von der sanften Energie, vom Wind und von der Sonne, und in der Realität findet man in der Tat die wachsenden Kraftwerksblöcke vor. Es ist auch der Traum vom Abbau der Madit und vom Zuwachs an Freiheit. Die Faszination der Politik besteht in der Chance, Träume vielleicht schrittweise und wachsend Wirklichkeit werden zu lassen.
Auch die notwendigen Entscheidungen für . die Großtechnologien selbst sind nur dann und nur in dem Maße durchsetzbar, wie der Bürger weiß,, daß wir auch die Alternativen geprüft haben, daß wir ihnen eine Chance geben: in der Förderung der Forschung und beim Start im Markt.
Dies aber, meine Damen und Herren, ist die ständige Aufgabe des ganzen Parlaments. Dies ist nicht die Aufgabe einer Enquete-Kommission. Dies. ist auch nicht die Aufgabe einer ad infinitum tagenden Enquete-Kommission. Es ist keine Enquete-Kommission, die sich als Überparlament verstehen könnte, genauso wenig wie sich dieses Parlament als eine Zusatzregierung verstehen kann.
Die Aufgaben der Enquete-Kommission sind anders, und sie sind konkret. Wir haben die Kernenergie, ihre Notwendigkeit und ihre Risiken im Zusammen- hang zu bewerten. Aber wir wissen:, Die Tatsachen liegen auf dem Tisch. Überraschungen in der Sache hat es in den letzten Jahren nicht gegeben. Was wir haben, ist die technokratische Macherei des Kanzlers. Wir haben die taktischen Bocksprünge Ihrer Parteitage. Was wir brauchen, ist ein langfristig verläßliches Konzept des Parlaments.
Unser Vorschlag einer Enquete-Kommission ist für alle im Haus zustimmungsfähig, wenn wir dieses gemeinsame Konzept zur Kernenergie tatsächlich wollen. Dieses gemeinsame Konzept ist entscheidend erforderlich. Es ist nach dem Maße unserer Sachgerechtigkeit und der Nüchternheit unserer. Bearbeitung möglich. Wenn es scheitert, dann scheitert es ausschließlich an dem Maß der Ideologie, das Sie einbringen, und an dem Maß Ihrer Fremdbestimmtheit durch die Parteitage, die in dieses Parlament hineinregieren.