Rede:
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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8065

  • date_rangeDatum: 19. Januar 1978

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    Plenarprotokoll 8/65 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 65. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. Januar 1978 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Schwabe 4959 A Eintritt des Abg. Schmidt (Niederselters) in den Deutschen Bundestag . . . . . . . 4959 D Glückwünsche zum Geburtstag der Abg Frau Pieser 4959 D Begrüßung einer Delegation der Fraktion der Sozialistischen Partei Spaniens in der spanischen Abgeordnetenkammer . . . . 4959 D Regelung für die Einreichung von Fragen für die Woche nach dem 23. Januar 1978 . . 5037 A Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Schmidt, Bundeskanzler . . . 4960 A, 4987 B, 5039 D Dr. Kohl CDU/CSU 4973 C, 5041 D Wehner SPD 4987 D Genscher, Bundesminister AA 5012 D Adorno, Minister des Landes Baden-Württemberg 5019 D Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 5021 A Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . . . 5024 A Mischnick FDP . . . . . . . . . . . 5030 A Dr. Emmerlich SPD 5037 A Leber, Bundesminister BMVg . . . . 5044 C Dr. Vogel, Bundesminister MBJ . . . . 5046 A Präsident Carstens 4966 C Fragestunde — Drucksache 8/1417 vom 13. 01. 1978 Vertrautheit der mit der Arbeitsvermittlung betrauten Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit mit den Ursachen und Problemen der Frauenarbeitslosigkeit; Benachteiligung der Frauen bei der Stellenausschreibung der Arbeitgeber MdlAnfr A14 13.01.78 Drs 08/1417 Frau Dr. Martiny-Glotz SPD MdlAnfr A15 13.01.78 Drs 08/1417 Frau Dr. Martiny-Glotz SPD Antw StSekr Frau Fuchs BMA . . 4993 B, C, D, 4994 A, B, C, D ZusFr Frau Dr. Martiny-Glotz SPD . 4993 C, D, 4994 C ZusFr Frau Dr. Lepsius SPD . . . . . . 4994 A ZusFr Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . 4994 A II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Januar 1978 Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen gemäß Nr. 9 der Entschließung der Internationalen Arbeitskonferenz vom Juni 1975; Registrierung der Stellenangebote bei den Arbeitsämtern getrennt nach Männern und Frauen MdlAnfr A19 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Diederich (Berlin) SPD MdlAnfr A20 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Diederich (Berlin) SPD Antw StSekr Frau Fuchs BMA . 4995 A, B, C, D, 4996 A, B, C, D ZusFr Dr. Diederich (Berlin) SPD . . . . 4995 B ZusFr Frau Dr. Lepsius SPD . . . . 4995 C, D ZusFr Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . 4996 A ZusFr Frau Steinhauer SPD 4996 B ZusFr Dr. Linde SPD 4996 C ZusFr Frau Dr. Martiny-Glotz SPD . . 4996 D Gesundheitsschäden durch fehlerhafte oder technisch nicht zuverlässige medizinische Geräte; Rechtspflicht zur Überprüfung der Geräte MdlAnfr A21 13.01.78 Drs 08/1417 Löffler SPD MdlAnfr A22 13.01.78 Drs 08/1417 Löffler SPD Antw StSekr Frau Fuchs BMA . 4997 A, B, C, D, 4998 A, B ZusFr Löffler SPD . . . . . . . 4993 B., C ZusFr Frau Steinhauer SPD 4997 D ZusFr Hansen SPD 4997 D ZusFr Franke CDU/CSU 4998 A ZusFr Frau Dr. Martiny-Glotz SPD . . 4998 A ZusFr Dr. Jens (Voerde) SPD . . . . 4998 B Erhöhung des Beitragssatzes der Allgemeinen Ortskrankenkassen ab 1. Januar 1978 MdlAnfr A23 13.01.78 Drs 08/1417 Müller (Berlin) CDU/CSU MdlAnfr A24 13.01.78 Drs 08/1417 Müller (Berlin) CDU/CSU Antw StSekr Frau Fuchs BMA . . . 4998 B, C, 4999 A, B, C ZusFr Müller (Berlin) CDU/CSU . 4999 A, B, C Verfahren des Bundesamts für den Zivildienst bei der Einsetzung von Zivildienstleistenden bei kirchlichen bzw. karitativen Einrichtungen MdlAnfr A26 13.01.78 Drs 08/1417 Broll CDU/CSU Antw StSekr Frau Fuchs BMA . . . . . 4999 D Anrechnung des Wohngelds und des freien Wohnrechts landwirtschaftlicher Altenteiler bei der Ermittlung der Einkommensgrenze für die Befreiung von der Rezeptgebühr MdlAnfr A29 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Enders SPD Antw StSekr Frau Fuchs BMA . . 5000 A, B, C ZusFr Dr. Enders SPD 5000 B Eigene Versicherungspflicht der mitversicherten Ehefrau und der Kinder bei einem Einkommensanteil der Ehefrau von mehr als 370 DM monatlich MdlAnfr A30 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU Antw StSekr Frau Fuchs BMA 5000 C, D, 5001 A ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . . 5000 D, 5001 A Ausschreibung der Stelle eines Heimleiters mit möglichst sozialdemokratischer Gesinnung durch das Arbeitsamt Aschaffenburg; Heim der Arbeiterwohlfahrt als Tendenzbetrieb im Sinne des § 20 des Arbeitsförderungsgesetzes MdlAnfr A31 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Bötsch CDU/CSU MdlAnfr A32 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Bötsch CDU/CSU Antw StSekr Frau Fuchs BMA . . . . 5001 A, B Entwicklung des Sozialismus in Deutschland MdlAnfr A116 13.01.78 Drs 08/1417 Sauter (Epfendorf) CDU/CSU MdlAnfr A117 13.01.78 Drs 08/1417 Sauter (Epfendorf) CDU/CSU Antw StMin Wischnewski BK . . . . 5001 C, D, 5002 A, B, C, D, 5003 A, B, C, D, 5004 A, B ZusFr Sauter (Epfendorf) CDU/CSU . . . 5001 D, 5002 A, 5003 B, C ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . 5002 A ZusFr Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . 5002 B, 5004 A ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 5002 B, 5003 C ZusFr Ey CDU/CSU . . . . . . . . . 5002 C ZusFr Müller (Berlin) CDU/CSU . . . . 5002 C ZusFr Lagershausen CDU/CSU 5002 D, 5004 B ZusFr Hansen SPD 5003 A, 5004 C ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 5003 D ZusFr Conradi SPD 5004 A Erkenntnisse der Bundesregierung über den Aufenthalt des ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Um- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Januar 1978 III weltschutz, Hans-Helmut Wüstenhagen, nach dessen Vorsprache bei der deutschen Botschaft in Bangkok MdlAnfr A48 13.01.78 Drs 08/1417 Spranger CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 5005 A, B ZusFr Spranger CDU/CSU 5005 A ZusFr Dr. Möller CDU/CSU 5005 B ZusFr Conradi SPD 5005 B Beurteilung der Menschenrechtsverletzungen in Chile und in anderen Staaten MdlAnfr A120 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU MdlAnfr A121 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . . 5005 C, 5006 A, B, C, D, 5007 A, B, C ZusFr Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . 5005 D, 5006 A, 5007 B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 5006 B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 5006 B ZusFr Frau Erler SPD . . . . . . . 5006 C ZusFr Kunz (Berlin) CDU/CSU 5006 D ZusFr Lagershausen CDU/CSU 5006 D Eintreten der Bundesregierung gegenüber der südafrikanischen Regierung für die Beendigung des Rassismus angesichts der Ermordung von Richard Turner und Steve Biko MdlAnfr A123 13.01.78 Drs 08/1417 Frau von Bothmer SPD MdlAnfr A124 13.01.78 Drs 08/1417 Frau von Bothmer SPD Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 5007 C, D, 5008 A, B ZusFr Frau von Bothmer SPD 5007 D, 5008 A, B Verstoß gegen Art. 2 des Moskauer Vertrages durch die Einmischung des sowjetischen Parteichefs Breschnew in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland MdlAnfr A128 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Czaja CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . 5008 C, D, 5009 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 5008 D ZusFr Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . 5009 A Forderung des sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin nach Abschaffung der NATO und Ablehnung der Neutronenwaffe anläßlich des 60. Jahrestages der finnischen Unabhängigkeit; Auswirkungen auf die letzte NATO-Konferenz MdlAnfr A129 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Czaja CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA 5009 B, C, D, 5010 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU . . . . . 5009 B, C ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD . . . . . 5009 D ZusFr. Dr. Corterier SPD . . . . . . . 5009 D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 5010 A Aufnahme japanischer Terroristen sowie Unterstützung der PLO, der POLISARIO und der MPAIAC durch Algerien MdlAnfr A130 13.01.78 Drs 08/1417 Dr. Rose CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 5010 B, D, 5011 A ZusFr Dr. Rose CDU/CSU . . . . . . 5010 C, D ZusFr Frau Erler SPD . . . . . . . . 5010 D Rechtliche Grundlage der Leibes- und Gepäckvisitation des Bundesjugendsekretärs der Naturfreundejugend Deutschland auf dem Grenzbahnhof Kehl durch den Bundesgrenzschutz MdlAnfr A39 13.01.78 Drs 08/1417 Conradi SPD Antw PStSekr von Schoeler BMI . 5011 B, C, D ZusFr Conradi SPD . . . . . . . . . 5011 C ZusFr Hansen SPD . . . . . . . . . 5011 D Rechtliche Grundlage der Kontrolle eines Vortragsmanuskripts des Journalisten Henryk M. Broder durch Bundesgrenzschutzbeamte bei der Paßkontrolle im Flughafen Köln/Bonn MdlAnfr A40 13.01.78 Drs 08/1417 Conradi SPD Antw PStSekr von Schoeler BMI . 5012 A, B, C ZusFr Conradi SPD 5012 B, C Nächste Sitzung 5047 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 5049* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Januar 1978 4959 65. Sitzung Bonn, den 19. Januar 1978 Beginn: 9.00 Uhr
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    Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Adams * 20. 1. Dr. van Aerssen * 20. 1. Dr. Aigner * 20. 1. Alber * 20. 1. Dr. Bangemann * 20. 1. Dr. Bayerl * 20. 1. Blumenfeld * 20. 1. Fellermaier * 20. 1. Flämig * 20. 1. Dr. Früh * 20. 1. Dr. Fuchs * 20. 1. Haase (Fürth) * 20. 1. Hölscher 20. 1. Höpfinger 20. 1. Hoffmann (Saarbrücken) * 20. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) * 20. 1. Jung 20. 1. Dr. Klepsch * 20. 1. Klinker * 20. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete() entschuldigt bis einschließlich Dr. Kreile 20. 1. Frau Krone-Appuhn 27. 1. Lange * 20. 1. Lemmrich 20. 1. Lemp * 20. 1. Lücker * 20. 1. Luster * 20. 1. Müller (Mülheim) * 20. 1. Müller (Wadern) * 20. 1. Dr. Müller-Hermann * 20. 1. Schmidt (München) * 20. 1. Schreiber * 20. 1. Dr. Schwörer * 20. 1. Seefeld * 20. 1. Sieglerschmidt * 20. 1. Dr. Starke (Franken) * 20. 1. Dr. Todenhöfer 24. 2. Frau Dr. Walz * 20. 1. Dr. Warnke 20. 1. Wawrzik * 20. 1. Baron von Wrangel 20. 1. Würtz * 20. 1. Zeyer * 20. 1. Zywietz * 20. 1.
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    Ich will damit sagen, daß pessimistische und optimistische Prognosen gleichermaßen irreführen können und daß es die wirtschaftliche Entwicklung jetzt notwendig macht, tragfähige Lösungen der Schwierigkeiten zu suchen, ohne sich dabei zu verheddern. Wir werden es uns nicht leichtmachen. Wir werden darauf achten, daß die Lösungen Optionen nicht verbauen, die wir im nächsten Jahrzehnt für die Neuordnung der Rentenversicherung, wie es uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat und wie wir es auch wollen, zur Gleichbehandlung der Witwer- und der
    Witwenrenten brauchen könnten und heute bewußt offenhalten wollen.
    Sobald dann die Beratung des Jahreswirtschaftsberichts abgeschlossen ist und damit die der Vorausberechnung der Rentenversicherung zugrunde liegenden Eckdaten auf dem Tisch liegen, werden Kabinett und Koalition den alljährlichen Rentenanpassungsbericht und den Entwurf eines 21. Rentenanpassungsgesetzes vorlegen.
    Mit diesem Jahreswirtschaftsbericht wird die Bundesregierung Ende dieses Monats, also im Januar, auch die üblichen Jahresprojektionen geben. Solche quantitativen Schätzungen können immer und in der gegebenen weltwirtschaftlichen Situation erst recht nur Orientierungsgrößen sein, mehr nicht. Wir müssen dabei berücksichtigen, daß sich der Welthandel im Laufe des vorigen Jahres erheblich abgeflacht hat. Bei uns, die wir fast drei Zehntel unserer Wirtschaftsleistung im Export verdienen — das gilt genauso für fast drei Zehntel unserer Arbeitsplätze —, hat das dazu geführt, daß die Exportaufträge im abgelaufenen Jahr nicht jener Wachstumsmotor sein konnten, der die deutsche Wirtschaft in früheren Jahren angetrieben hat.
    Ich gehöre, was die Zukunft angeht, nicht zu den Pessimisten. Ich habe volles Vertrauen in die innere Stärke und die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Gleichwohl bin ich für Nüchternheit und die realistische Erkenntnis, daß die Spuren, die Auswirkungen der Weltrezession noch nicht beseitigt sind.
    In allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft verläuft die Entwicklung der Konjunktur gedämpft. Der Konkurrenzkampf auf den Weltmärkten ist härter geworden. Er ist auch ein Wettbewerb um Arbeitsplätze. Das Vordringen der Niedrigpreisländer schafft zusätzliche Probleme. Ich sehe mit Sorge, daß die Neigung zum Protektionismus und zum nationalen Subventionieren in einigen Ländern der Welt trotz gegenteiliger, trotz durchaus wohlklingender Absichtserklärungen noch nicht überwunden ist.

    (Wehner [SPD] : Leider wahr!)

    Ein Abbau der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung müßte aber die weitere wirtschaftliche Gesundung in vielen Staaten der Welt schwer gefährden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Bundesregierung begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die öffentliche Erklärung durch Präsident Carter über die Bedeutung eines starken Dollars für die Weltwirtschaft. Die gegenwärtigen Probleme sind ja nicht von der Deutschen Mark verursacht; denn ein deutsches außenwirtschaftliches Ungleichgewicht, das die D-Mark unter derartigen Aufwertungsdruck gesetzt hätte, lag ja nicht vor. Wir haben unsere Leistungsbilanzüberschüsse seit 1974 kontinuierlich abgebaut und auf diese Weise anderen Ländern konjunkturelle Hilfestellung gegeben. Unser Kapitalexport hat erheblich zugenommen, nicht nur zur Freude derjenigen, die auf Arbeitsplätze im eigenen Land warten. Die Devisenbilanz war bis in den Herbst 1977 hinein nahezu ausgeglichen.



    Bundeskanzler Schmidt
    Das nun zwischen Amerika und uns, nämlich der Bundesbank, vereinbarte zusätzliche Kreditabkommen zeigt, daß die führende Wirtschaftsmacht der Welt bereit ist, ihre Führungsfunktion auch im Bereich der internationalen Währungsbeziehungen zu dokumentieren und zu stabileren Währungsverhältnissen in der Welt beizutragen. Immerhin haben auch die Zentralbanken der westlichen Industrieländer allein im •letzten Jahr zusammen 40 Milliarden Dollar zur Kursstützung aus dem Markt genommen und dafür jeweils ihre eigene Währung ausgegeben.

    (Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

    Trotzdem hat die Dollarschwäche Unsicherheit für die wirtschaftliche Erholung in vielen Ländern bereitet, auch für unsere Binnenkonjunktur, obwohl der Rückgang des Dollarkurses ja nur einen Teil der deutschen Exporte unmittelbar trifft und ein fühlbarer Teil unserer Importe, vor allem beim 01, dadurch bisher sogar verbilligt wurde.
    Unsere Konjunkturbelebung wird in erster Linie durch die binnenwirtschaftlichen Maßnahmen gestützt. Dagegen hat die Wechselkursentwicklung wesentlich dazu beigetragen, daß die Erträge der Unternehmen in der Bundesrepublik im letzten Jahr, im Jahre 1977, real um 2,5 % zurückgegangen, geschrumpft sind. Bei manchen Branchen und bei manchen Unternehmen sind sie sehr viel stärker zurückgegangen. Und es gibt andere Branchen, z. B. die Automobil-Branche, die sehr gut verdient haben. Aber im Durchschnitt sind die Erträge der Unternehmen real um 2,5 % gesunken.
    Die Wechselkursentwicklung führt auch zu stärkerem Rationalisierungsdruck in den industriellen Unternehmen. Das verschärft unsere Strukturprobleme. Die Wechselkursproblematik verschärft die Probleme z. B. in der Stahlwirtschaft, in der Luft-
    und Raumfahrtindustrie, in Schiffahrt und Schiffsbau. Die Bundesregierung, der Bundestag, der Staat wenden in diesen Bereichen beachtliche Mittel auf — nicht als Erhaltungssubventionen, sondern um den Anpassungsprozeß zu erleichtern. Aber dazu gehört dann auch ein starker und stabiler Dollar.
    Allerdings wird — wenn man es international betrachtet — das deutsche Kostenniveau nie wieder dort zu finden sein, wo es sich vor den weltwirtschaftlichen und währungspolitischen Unruhen befunden hat. Das liegt nicht etwa an mangelnder Einsicht der Tarifpartner hier in der Bundesrepublik, sondern es liegt daran, daß realistischerweise niemand damit rechnen kann, daß die D-MarkWechselkurse vom Sommer 1973 je wiederhergestellt werden können; niemand kann damit rechnen. Zwar sind die deutschen Lohn-Stück-Kosten in den letzten Jahren weniger stark gestiegen als bei den wichtigsten unserer Handelspartner oder Konkurrenten, aber diese vernünftige Kostenentwicklung in unserer Binnenwirtschaft ist durch die Verschiebung der Wechselkurse nach außen teilweise leider überkompensiert worden.
    Bei alle dem ist die Bundesrepublik Deutschland ihrer internationalen Verantwortung gerecht geworden. Wir haben im vergangenen Jahr das bei weitem größte Ankurbelungsprogramm beschlossen. Wir haben uns auch durch Ihre Kritik, meine Damen und Herren von der Opposition., an den angeblich zu hohen Budgetdefiziten, die zugegebenermaßen groß sind, nicht an diesem Investitionsprogramm und den damit verbundenen Steuersenkungen hindern lassen. Aber wir haben umgekehrt auch jenen ausländischen Ratgebern nicht folgen können, denen unsere bewußt herbeigeführten Haushaltsdefizite international gesehen viel zu klein erschienen und die uns zu viel größeren Haushaltsdefiziten raten, wie dies in den allerletzten Tagen die bedeutende und von mir immer ernst genommene amerikanische „New York Times" mehrfach getan hat. Dem sind wir auch nicht gefolgt. Denn wir wollen zwar zur Expansion der Weltwirtschaft beitragen, aber wir wollen nicht mitschuldig werden an einer neuen Runde der Inflationierung. Schließlich war doch die Weltinflation eine der Hauptursachen für die Ölpreisexplosion und für die Weltrezession.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Deswegen gehen wir, wenn Sie so wollen, den goldenen Mittelweg zwischen den Forderungen der Opposition hier, wir sollten die Defizite kleiner halten, und der Forderung mancher im Ausland, wir sollten sie gefälligst größer machen, und können uns auch bei einem geringeren als dem ursprünglich für 1977 erwarteten Wachstum im internationalen Vergleich mit unseren wirtschaftlichen Leistungen 1977 sehr gut sehen lassen. Es hieße übrigens die wirtschaftliche Kraft der Bundesrepublik Deutschland zu überschätzen, wenn einige Ausländer und Politiker im Ausland die Bundesrepublik Deutschland als die Lokomotive ansehen möchten, welche alle anderen Staaten gefälligst aus der Weltrezession ' herausziehen soll. Mit anderen gemeinsam geht das wohl, aber alleine? Darin läge eine große Überschätzung unserer Bedeutung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die CITI-Bank in New York hat kürzlich errechnet, wie sich 1 % — 1 %! — zusätzliches Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland in anderen Ländern auswirken würde. Sie hat ausgerechnet, 1 °/o mehr Wachstum bei uns würde das englische Wachstum um 0,05 % positiv beeinflussen oder das französische um 0,07 % usw. Ich habe das nicht bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma nachgerechnet. Aber dieses Zahlenbeispiel führt die bisweilen im Ausland beliebte Überschätzung der quantitativen Bedeutung unserer Volkswirtschaft auf ein vernünftiges Maß zurück.
    Binnenwirtschaftlich hat unser Gesamtstaat — das bezieht also die Länder und die Gemeinden mit ein — seit 1975 über 30 Milliarden DM für Konjunkturprogramme, Steuererleichterungen usw. eingesetzt. Dazu kommen jetzt in diesem Jahr nochmals 12 Milliarden DM an Steuersenkungen und Leistungsverbesserungen für die Bürger, für die Unternehmen. 12 Milliarden DM im Jahr; aber übrigens nicht nur für dieses eine Jahr, - denn unsere Entscheidungen sind ja auf Dauer angelegt und nicht, wie einige es auch gewollt haben, nur auf 12 Monate. Dabei ist die Mehreinnahme aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer schon abgezogen.



    Bundeskanzler Schmidt
    Das ist eine noch nicht dagewesene Massierung öffentlicher Ausgaben und öffentlicher Einnahmeverzichte. Die Kaufkraft breiter Verbraucherschichten wird dadurch gestärkt, die Investitionskraft breiter Schichten in der Wirtschaft wird verbessert. Das gesamtstaatliche, Länder und Gemeinden einbezogen, Budgetdefizit wächst in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1978 auf 4 % des ganzen Bruttosozialprodukts an. Es ist übrigens sehr viel größer als das Budgetdefizit in den Vereinigten Staaten von Amerika, das, wie ich höre, 1978 etwa in der Größenordnung von 1 % liegen wird.
    Hinzu kommt bei uns eine nachhaltige Verbesserung der Investitionskosten — übrigens ja auch für den privaten Bauherrn, der sich ein Reihenhaus oder ein Einfamilienhaus bauen möchte — durch die Senkung der Zinsen. Ich darf den Präsidenten der Bundesbank, Herrn Dr. Emminger, zitieren:
    Die Zinsentwicklung in der Bundesrepublik hat sich inzwischen dem niedrigsten Niveau der Nachkriegszeit, dem von 1959 genähert; ja, die Zinssätze der Banken im Kreditgeschäft sind teilweise bereits niedriger als damals.
    Auch im Vergleich zu allen wichtigen Industrieländern haben wir mit Abstand die niedrigsten Zinssätze. Unser Diskontsatz z. B. beträgt 3 % gegen 6,5 °/o in Amerika. Bei Euro-Anlagen über drei Monate beträgt der Zinssatz 2,75 % gegenüber 7,5 % für entsprechende Dollar-Anlagen. Viel mehr kann man eigentlich nicht von der Kreditpolitik erwarten, zur konjunkturellen Erleichterung beizutragen.
    Das alles heißt, daß Bundesregierung und Bundesbank, soweit das binnenwirtschaftlich überhaupt möglich war, die Voraussetzungen geschaffen haben für eine weitere Stärkung der Wirtschaft, für den Abbau von Arbeitslosigkeit und für die Erhaltung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Der Erfolg hängt jetzt ganz wesentlich davon ab, daß die Unternehmensleitungen, daß die Tarifvertragsparteien, daß auch Länder und Gemeinden alle ihre Kräfte einsetzen. In unserem marktwirtschaftlichen System mit voller Lohnautonomie verteilt sich die Verantwortung für die wirtschaftliche Gesamtentwicklung auf viele Tausende, nein: auf Millionen von Schultern. Niemand, der durch sein Handeln Mitverantwortung trägt, kann sich davon freimachen.
    Das bedeutet, daß das verantwortungsbewußte Zusammenwirken aller zur Gesundung der Wirtschaft so notwendig bleibt wie jemals vorher.
    Das Gespräch der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften mit der Bundesregierung ist niemals abgerissen. Alle Beteiligten wissen auch und erkennen an, daß das gemeinsame Gespräch der drei Seiten miteinander eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unserer Republik spielt. Wir dürfen das politische und soziale Klima, dem wir ein Gutteil unseres Wohlstandes verdanken, von keiner Seite aus gefährden. Ich hoffe, das will auch niemand.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Zu unseren Anstrengungen für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung gehörte auch das Heizenergie-Sparprogramm, das wir den Ländern vorgeschlagen haben und für das der Bund allein mehr als 2 Milliarden DM auszugeben bereit gewesen ist. Die Bundesregierung bedauert, daß einige — insbesondere die Ministerpräsidenten Albrecht und Filbinger in Hannover und in Stuttgart — nicht bereit waren, mit dem Bund zusammenzuarbeiten. Es ging ihnen um politische Konfrontation. Ich unterstreiche ausdrücklich die sehr harten Worte, die Graf Lambsdorff am Anfang dieser Woche dazu gesagt hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Man kann über vieles miteinander reden; aber man darf die Verpflichtung aller westlichen Industriestaaten, massiv und unverzüglich Energie einzusparen, in Stuttgart und in Hannover wegen örtlicher provinzieller Wichtigtuerei nicht hintanstellen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Wehner [SPD]: Sehr richtig! — Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämtheit! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Koalition und die Bundesregierung werden auf anderem Wege, auf gesetzgeberischem Wege, versuchen, dieses Ziel gleichwohl zu erreichen. Die Besorgnis des Attentismus bei vielen Investoren, der jetzt einreißen muß, haben die Herren zu tragen, die in Ausnutzung eines Verfassungsgerichtsurteils durch die Verweigerung einer nur formal abzugebenden Unterschrift zweier Landesregierungen das Zustandekommen einer bundeseinheitlichen Verwaltungsvereinbarung scheitern ließen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Wehner [SPD] : Leider wahr! — Zurufe von derCDU/CSU)

    — Wenn der Ordnungspolitiker Biedenkopf dabei den Kopf schüttelt, dann möge er sich hinterher — seine Rede ist ja angekündigt — mit dem Argument des Herrn Ministerpräsidenten Filbinger auseinandersetzen, diese Maßnahmen seien aus ordnungspolitischen Gründen abzulehnen gewesen. Sie waren in Wirklichkeit so marktwirtschaftlich, wie es nur sein konnte!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich will zur Energiepolitik zwei Punkte betonen. Die Kohle ist der Eckpfeiler unserer Energieversorgung. Wir haben vor zehn Jahren dafür gekämpft, daß uns die Option Steinkohle als. nationale Energiereserve erhalten bleibt. Wir werden diese Politik fortsetzen, und zwar durch die fortdauernde, massive finanzielle Unterstützung der Stromgewinnung aus Kohle; auch durch eine klarere, für die Gerichte verbindlichere Fassung der umweltrechtlichen Rahmenbedingungen auch für die Kohle.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Zweitens. Damit die nationale Energieversorgung langfristig gesichert ist, wird die Bundesregierung dafür eintreten, daß zu diesem Zweck für die Zukunft alle Optionen zur Energieversorgung offengehalten werden, auch die Option der Kernenergie. Nunmehr müssen die gemeinsamen Absichtserklä-



    Bundeskanzler Schmidt
    rungen für das Entsorgungszentrum in Niedersachsen und das vorgesehene Zwischenlager in Nordrhein-Westfalen zügig in die Praxis umgesetzt werden.
    Die Bundesregierung wird weder in der Energiepolitik noch an anderer Stelle die Erfordernisse des Umweltschutzes außer acht lassen. In jedem Fall wird der Schutz der menschlichen Gesundheit Vorrang haben vor anderen Zielsetzungen. Aber wir brauchen auch mehr Verständnis dafür, daß in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Umweltschutz nicht überall so rasch verwirklicht werden kann wie in Zeiten der Hochkonjunktur.
    Eine günstigere wirtschaftliche Entwicklung hängt wesentlich ab vom Vertrauen in diese wirtschaftliche Entwicklung. Ich denke, wir haben mit unseren Maßnahmen die Grundlagen geschaffen, auf denen sich dieses Vertrauen bilden kann. Die Zuversicht bei den Unternehmern und bei den Arbeitnehmern ist gewachsen, auch wenn einige alles unternommen haben — z. B. in der Opposition —, um Pessimismus und Unsicherheit zu verbreiten. Es kommt darauf an, das vorhandene Vertrauen zu stärken. Bei den Bürgern ebenso wie in der Wirtschaft muß eine realistische, positive Erwartung unserer Zukunft an Boden gewinnen. Dafür trägt die Opposition mit Verantwortung.
    Einer Ihrer ehemaligen Kollegen, den wir alle noch in Erinnerung haben, hat vor einigen Wochen seinen Abonnenten geschrieben — ich zitiere —:
    Unter diesen Umständen
    — gemeint war die Fortdauer der sozialliberalen Koalition —
    denkt kein vernünftiger Unternehmer daran, Investitionen einzuleiten, auf daß er die Sorgen und das Risiko trägt, die Arbeiter und Angestellten sich indes in sozialem Wohlbefinden aalen.
    Ich will dies, was ein ehemaliger Kollege schrieb, nicht Ihrer Fraktion anlasten, aber es ist ein Beispiel dafür, daß manche Ratgeber um Mäßigung ersucht werden müssen. Gott sei Dank fallen nicht allzu viele Deutsche auf diese Miesmacherei herein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie finden, meine Damen und Herren von den Unionsparteien, auch bei Frau Professor Noelle-Neumann bestätigt, daß drei Viertel unserer Bürger ihre persönliche wirtschaftliche Lage und ihre Aussichten positiv einschätzen. Wer dann diese positiven Erwartungen und die Hoffnungen von Millionen schon im Ansatz zerreden möchte, der handelt wider das Gesamtinteresse.
    Es läge im Gesamtinteresse, wenn die Opposition an die Stelle von Ablehnung und Polemik die eigene konstruktive Alternative setzte; sonst müßte der politische Wettbewerb unfruchtbar bleiben. Wenn ich der Auswertung einer Umfrage der KonradAdenauer-Stiftung bei 1900 CDU-Mitgliedern glauben darf, wird diese Meinung von sehr vielen Ihrer Anhänger, Herr Dr. Kohl, geteilt.

    (Zustimmung bei der SPD und der FDP)

    Auch die Gedankenspiele über eine vierte Partei, Herr Dr. Strauß, sind kein Ersatz für sachliche Alternativen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Gründung einer neuen politischen Partei ist grundsätzlich ein ernst zu nehmender verfassungspolitischer Vorgang, und politische Parteien sind keine Briefkastenfirmen zur Erhöhung des Stimmenumsatzes.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Erinnerung an das Vielparteiensystem der ersten deutschen Republik sollte niemand von uns vergessen.
    Meine Damen und Herren, wir gehen in das Jahr 1978 mit der ermutigenden Erfahrung, daß unser Staat und unsere Gesellschaft im letzten Jahr schwere Belastungsproben erfolgreich bestanden haben. Zu dieser ermutigenden Erfahrung gehört das Vertrauen der Bürger in unsere staatliche Ordnung und in ihre Institutionen. Der Wert unseres Staates hatte uns lange Zeit nicht so deutlich vor Augen gestanden. Dies ist ein positives Resultat des Jahres 1977, ein Resultat, das jene, die diesen Staat bekämpfen, so gewiß nicht beabsichtigt hatten.
    Die Bereitschaft der politischen Parteien, in der Stunde der Bedrohung Verantwortung gemeinsam zu tragen, zeigte, daß die zweite deutsche Demokratie eine innere Festigkeit erreicht hat, die selbst von vielen Freunden Deutschlands so kaum erwartet worden war. Wohin man auch in der Welt kommt, überall erfährt die Bundesrepublik Deutschland eine gute Bewertung — politisch, ökonomisch, sozial, auch kulturell —, und keine ausländische Regierung in West oder Ost versteht das Maß an Zweifel und Skepsis, das einige Deutsche über ihr eigenes Land ausgießen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Übrigens wird ja auch draußen kaum irgendwo etwas verstanden, was schon der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache — ich denke, berechtigterweise — beklagt hat, daß es nämlich in unserem Land, dem es doch insgesamt gut geht, nicht mehr Fröhlichkeit, nicht mehr Freude und nicht mehr gelassene Zuversicht gibt.

    (Zustimmung bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich möchte dazu am Schluß zwei urteilssichere deutsche Journalisten zitieren. In der konservativen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schrieb zum Jahreswechsel Johannes Gross — ich darf zitieren —:
    Doch ist Unwohlsein nicht zu unterdrücken bei dem Gedanken, daß der Staat, der sich doch insgesamt in Dignität behauptet und zum ersten Mal seit seiner Gründung sein Recht in einem großen Schauspiel der Macht verteidigt hat, sich vornehmlich, ja fast ausschließlich seinen Bürgern in Trauerakten vorzuführen versteht und es im Hinblick auf das öffentliche Leben viel weniger eine Unfähigkeit zum Trauern als eine solche zum Freuen, zum Feiern zu beklagen gilt.

    , 4973

    Bundeskanzler Schmidt
    Eine Unfähigkeit zum Freuen, eine Unnfähigkeit zum Feiern ist zu beklagen!

    (Zurufe von der CDU/CSU) Und er fährt fort:

    Ein Land, das seinen Wunden und Niederlagen Staatsakte widmet, sein Positives (jedenfalls jenseits von Angebot und Nachfrage) verschämt nur wahrhaben will und eigenen Ruhm zu besingen für unschicklich hält, ist in der Geschichte noch nicht vorgekommen.
    Das ist aus einer konservativen Zeitung. Ich denke, der Mann hat recht.
    Ein paar Tage später schrieb Rolf Zundel in einer liberalen Zeitung, in der „Zeit" aus Hamburg:
    Es muß wohl eine seltsame Unzufriedenheit, fast wäre man versucht zu sagen: eine unpolitische Besserwisserei im Spiele sein, die uns sagt, dies alles genüge nicht. So ist doch Politik — abgesehen von Ausnahmezeiten, die stets aufregend, aber selten glücklich waren — meist gemacht worden, nur oft um einiges schlechter. Eigentlich müßte man dankbar sein über so viel vernünftige Normalität, über zuweilen sehr schwierige, ja tapfere Pflichterfüllung.
    Rolf Zundel hat auch recht. Natürlich kann man nicht allem zustimmen, was diese beiden Herren schreiben, aber das Nachdenken über diese konservative und über diese liberale Mahnung zugleich lohnt sich.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Sozialliberalen werden unser Land auch in Zukunft gelassen und sicher durch die inneren und durch die äußeren Gefährdungen hindurchsteuern;

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    aber wir müssen auch alle anderen bitten, sich zu fragen, was sie selbst beitragen können. Vor kurzem ist Willy Brandt im amerikanischen Fernsehen gefragt worden, ob ein demokratisches Land von seinen Menschen zuwenig verlange. Er hat die Frage ganz schlicht bejaht, und er hat wohl recht.

    (Dr. Zimmermann [CDU/CSU] : Er hat auch recht!)

    Wir dürfen nicht bloß zur Teilhabe an materieller Wohlfahrt einladen,

    (Dr. Zimmermann [CDU/CSU] : Alles ist voll fester Gelassenheit!)

    sondern wir müssen uns auch die Frage vorlegen: Welche Aufgaben und welche Werte stellen wir dem Idealismus z. B. der jungen Leute vor Augen? An der Küste gibt es einen plattdeutschen Seemannsspruch, der, ins Hochdeutsche übertragen, heißt: Eine Hand für dich, die andere Hand für das Schiff. — Unser Schiff ist die res publica. Und zum Schluß: Fröhlichkeit darf auch dabei sein.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe von der CDU/ CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regierungserklärung gibt dem Deutschen Bundestag nach über sieben Monaten die erste Chance zu einer Generalaussprache über die deutsche Politik. Der Herr Bundeskanzler hat versucht, hier eine Bilanz der Bundesregierung nach fast einem Jahr vorzulegen. Herr Bundeskanzler, Sinn einer Regierungserklärung ist doch ganz gewiß, daß die Regierung den Bürgern unseres Landes Rechenschaft gibt, daß sie die Wege für die Zukunft weist, daß sie Antwort auf drängende, bedrückende Fragen gibt, Antwort auf die Probleme unseres Landes und Antwort darauf, wie es weitergehen soll.
    Herr Bundeskanzler, wer diese Regierungserklärung hörte, der fragt sich: Was tun Sie eigentlich wirklich gegen die andauernde Arbeitslosigkeit?

    (Beifall und Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU] : Nicht nur beschreiben!)

    Eine Million Arbeitslose und ihre Familien warten auf Ihre Politik. Sie geben keine Antwort.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, was tun Sie zur Sicherung der Renten? Neun Millionen Rentner warten auf Ihre Politik, und Sie geben keine Antwort.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Katzer [CDU/ CSU] : Leider wahr!)

    Herr Bundeskanzler, was tun Sie wirklich zur wirksamen Bekämpfung des Terrorismus?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nichts!)

    Alle Bürger der Bundesrepublik warten auf Ihre Politik, vor allem auch auf Ihren persönlichen Mut, endlich das Notwendige zu tun. Sie geben keine Antwort.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie sprechen vom Rückschlag in der Deutschlandpolitik. Was tun Sie dagegen? Nichts. Sie geben keine Antwort.
    Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich das ganz einfach so sagen: Wer Ihre Regierungsmannschaft hier auf der Bank sieht — nicht wenige haben Angst vor dem Blauen Brief zum nächsten Ersten.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    Wer Ihnen in der letzten Stunde zugehört hat, der verspürt wenig Grund zu mehr Freude, zu mehr Fröhlichkeit und gelassener Zuversicht. Das ist nicht das, was Sie hier wiedergegeben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von der SPD)

    Lassen Sie mich zu einigen Kapiteln der Regierungserklärung Stellung nehmen. Einige meiner Freunde werden heute und in der nächsten Woche zu anderen wichtigen Bereichen sprechen. Zunächst ein Wort zur Deutschland- und Ostpolitik. Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung — dies ist offenbar — ist in eine kritische Phase eingetreten. Die Ursachen liegen sicherlich auch im Verhalten



    Dr. Kohl
    des SED-Regimes begründet. Aber diese Ursachen sind auch in der Politik der Bundesregierung zu finden. In diesem Punkt, Herr Kollege Wehner, stimme ich Ihnen ausnahmslos zu, wenn Sie Ihrer eigenen Regierung und damit dem Kanzler Mangel an Phantasie und Einsatz in der Handhabung der abgeschlossenen Ostverträge vorwerfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Regierung hat Verträge abgeschlossen, die wesentliche Vorleistungen der deutschen Vertragsseite enthalten. Die Gegenleistungen der anderen Seite, der östlichen Vertragspartner, sind fast ausschließlich in Form von Absichtserklärungen erfolgt. Diese Absichtserklärungen sind für uns deshalb so wichtig, weil gerade sie auf die menschlichen Erleichterungen abheben, die ja im Mittelpunkt jeder Deutschlandpolitik stehen müssen. Ich. erinnere hier vor allem an den Art. 7 des Grundlagenvertrages.
    Mit Recht muß deshalb von der Regierung erwartet werden, daß sie mit ihren Verträgen Politik macht, daß sie Phantasie und Einsatz entwickelt, um von dem Vertragspartner im Osten endlich die Einlösung der Absichtserklärungen und weitere Schritte zur Normalisierung und Regelungen der Beziehungen zu erreichen.
    Herr Bundeskanzler, es ist doch ein Armutszeugnis für Sie und Ihre Regierung, daß der Fraktionsvorsitzende Ihrer eigenen Partei nach Ost-Berlin, nach Moskau und jetzt nach Prag reist, um — nach seinen eigenen Worten — den Durchbruch in den gegenseitigen Beziehungen zu erzielen, indem er an Ort und Stelle und auch hier in der Bundesrepublik die Bundesregierung wegen ihrer Untätigkeit, ihres fehlenden Einsatzwillens in der Deutschland- und Ostpolitik kritisiert. Dies alles trägt doch nicht zur Überzeugungskraft und zur Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik bei.
    Wer in diesen Monaten erlebt hat, wie die Stagnation und wie der Rückschritt in den Entspannungsbemühungen, auch im innerdeutschen Verhältnis, eintrat, der kann nur feststellen: Die Entwicklung in der DDR trifft diese Bundesregierung völlig unvorbereitet. Die Bundesregierung verfügt über kein Handlungskonzept. Auch das ist heute deutlich geworden. Die politischen Gegensätze innerhalb der SPD lähmen den Bewegungsspielraum für die Regierung auch in dieser Frage.
    Wir haben in diesen Wochen ein deprimierendes Beispiel im Zusammenhang mit der Reaktion der Regierung und der Sozialdemokraten vor allem auf die Veröffentlichung des Manifests aus der DDR erlebt. Diese Reaktion war enthüllend. Am Anfang stand die Verniedlichung und die Verharmlosung. Während die SED von einem „schlechten Silvesterscherz" ,sprach, bezeichneten Sie von der Sozialdemokratie das Manifest aus der DDR als einen „Neujahrscocktail". Als die SED darauf erste Maßnahmen gegen das „Spiegel"-Büro ergriff, erstarrten Sie in hilfloser Untätigkeit und schreckten sogar noch vor einem bloßen verbalen Protest zurück.
    Meine Damen und Herren, auch wenn Sie, Herr Bundeskanzler, hier vom Pult aus noch so dagegen
    protestieren: Sie selbst haben das SED-Regime durch Ihre Leisetreterei und zögerliche Haltung geradezu ermuntert, entschlossen gegen uns zu handeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Vor was eigentlich sollte denn die SED nach diesen Reaktionen zurückschrecken? Ihre Regierung, die seit Jahren in der politischen Defensive verharrt, auf alle Verletzungen von Verträgen und Vereinbarungen und Schikanen, wenn überhaupt, nur schwächlich und konzeptionslos reagiert oder isolierte Vorstöße durch einzelne Vertreter der Regierungspartei, wie Wehner, Bahr, Gaus und andere, zuläßt und damit neue Zugeständnisse, neue Uneinigkeit im Regierungslager signalisiert, lädt die kommunistischen Machthaber der DDR geradezu dazu ein, ständig zu erproben, wie weit die Belastbarkeit dieser Regierung geht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    So hat die SED auch sofort die Schwäche der Bundesregierung genutzt. Während Sie, Herr Bundeskanzler, noch überlegt haben, ob sie einen offiziellen Protest einlegen, hat die SED-Führung den Spieß herumgedreht. Das Resultat haben wir erlebt. Die DDR hat zuerst offiziellen Protest gegen die „Spiegel"-Veröffentlichung eingelegt. Sie hat dann das Büro geschlossen. Und sie hat in einem Akt besonderer Demonstration in den letzten Tagen mir und anderen Kollegen aus. der CDU/CSU-Fraktion das Tagesvisum für Ost-Berlin verweigert.
    Hier ist vor allem die Verweigerung der Einreisegenehmigung für meine Kollegen Niegel und Glos interessant. Diese Verweigerung fand danach statt. Vorher war Herr Gaus im Außenministerium der DDR, und Herr Wischnewski hatte Herrn Kohl hier in Bonn empfangen. Beide hatten die Proteste abgegeben bzw. entgegengenommen.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Und gibt es eigentlich eine schallendere Ohrfeige für Sie, Herr Bundeskanzler, durch die Machtbaber der SED als die, daß sie am gleichen Tag erneut zu einer solchen Reaktion kommen konnten?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber 'selbst diese Reaktionen der SED und diese Maßnahmen Ihrer eigenen politischen Freunde, Herr Bundeskanzler, scheinen Sie noch nicht hinreichend zum Nachdenken zu bringen. Im Gegenteil, Herr Wehner und Herr Bahr bescheinigen den Autoren des Manifests „gezielte Provokation" und den Kritikern der SED-Politik „Hysterie und Borniertheit". Nicht die Unterdrücker sind schuld, meine Damen und Herren, sondern die Unterdrückten, diejenigen, die Ihnen Unterstützung geben wollen, weil sie den Mund aufmachen, weil sie sich zur Wehr setzen und weil sie das Ohr der Welt suchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Wehner, damit das klar ist: Wenn. dies eine Provokation ist, bekenne ich mich zu dieser Provokation,

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Kohl
    weil doch deutlich wird, daß Freiheit und Menschen rechte, plurale Demokratie und soziale Demokratie für eine kommunistische Diktatur immer eine Provokation sein werden und sein müssen. Wir werden nicht schweigen, weil sich Kommunisten außerhalb und innerhalb ihrer Länder von Menschen provoziert fühlen, die sich auf die Menschenrechte berufen und diese gegenüber ihrem eigenen Regime und vor der Weltöffentlichkeit einklagen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    .Meine Damen und Herren, wir verkennen nicht welche persönlichen Schwierigkeiten, welche existentielle Bedrohung sich für diese Menschen gerade in kommunistischen Staaten ergeben, aber wir wissen auch, wie sehr gerade sie auf das Echo, auf das Hinhören der freien Welt angewiesen sind, wie sehr sie eine Antwort von uns brauchen. Sie erwarten von uns weder hysterisches Lamentieren noch Leisetreterei, sie erwarten von uns eine klare Haltung, ein kompromißloses Festhalten an den Grundpositionen unserer freiheitlichen Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In diesem Zusammenhang kommt dann immer gleich die Frage nach den Gegenmaßnahmen. Nun, Herr Bundeskanzler, die allererste Gegenmaßnahme besteht doch darin, daß die Bundesregierung selbst wissen muß, was sie will. Sie darf sich nicht jedesmal überrumpeln lassen. Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, muß im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland der Führung der DDR unmißverständlich die Grenze ihrer Bereitschaft aufzeigen, weitere Provokationen hinzunehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und ein Zweites kommt hinzu. Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR liegen im beiderseitigen Interesse und nicht ausschließlich im Interesse der Bundesrepublik, wie man uns immer wieder einzureden versucht. Das heißt doch dann auch: Die DDR gefährdet mit ihrer Politik durchaus auch eigene Interessen. Hier ist ein Spielraum, hier liegt die Chance für gestalterische Politik der Bundesregierung im Verhältnis zur DDR. Ich. fordere Sie deshalb namens der CDU/ CSU-Fraktion auf, endlich zu einer Politik von Leistung und Gegenleistung zurückzukehren. Vorleistungen haben Sie lange genug erbracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies alles ist um so wichtiger, als wir nach wie vor davon ausgehen müssen, daß sich die Maßnahmen der DDR in erster Linie nach innen, in erster Linie gegen die eigenen Bürger richten. Sie sind Mittel zur Abschreckung der eigenen Bürger vor Kontakten und Informationen jeder Art mit dem freien Westen — vor allem auch mit der Bundesrepublik. Sie sind zunächst und vor allem Ausdruck einer Politik der verschärften Abgrenzung.
    Der öffentliche Streit, meine Damen und Herren, um die Autorenschaft dieses Manifests lenkt deshalb vom Entscheidenden ab. Entscheidend bleibt doch die Reaktion der Angst der SED-Führung. Diese Reaktion der DDR-Machthaber dokumentiert die
    Schwäche eines Systems, das sich der Loyalität seiner Bürger auch nach 30jähriger Herrschaft noch immer nicht sicher sein kann. Das Manifest ist Ausdruck einer Entwicklung, die ihre Parallelen schon seit längerem in Polen, in der Tschechoslowakei und auch in der Sowjetunion findet.
    Immer mehr Menschen berufen sich — Gott sei Dank — auf die Menschenrechte und wehren sich gegen den totalitären Anspruch einer Einparteiendiktatur. Dies zeigt auch, Herr Wehner, die ganze Ungeheuerlichkeit Ihres Vorwurfs an die Autoren, wenn Sie diese der Provokation bezichtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie tun dies, weil dieses Manifest und diese freiheitliche Entwicklung nicht in Ihr Konzept und auch nicht in das politische Konzept der Bundesregierung paßt, in ein Konzept, meine Damen und Herren, das von der Behauptung ausgeht, daß nur eine stabile DDR über genügend Handlungsfreiheit für eine Entspannungspolitik verfüge. Deshalb müsse alles getan werden, um das Selbstvertrauen des des SED-Regimes zu stärken, und alles verhindert werden, was sich, wie das Manifest, destabilisierend auswirken könnte.
    Meine Damen und Herren, wer in Deutschland lebt, weiß, daß eine solche Politik an den Realitäten vorbeigeht. Man muß doch die Frage aufwerfen: Was und wer gefährdet denn die Stabilität der kommunistischen Diktaturen, insbesondere auch die der DDR? Es ist die Unfähigkeit eines in sich erstarrten Systems, die überfälligen gesellschaftspolitischen Reformen und Veränderungen durchzuführen und längst überholten unerträglichen ideologischen Ballast abzuwerfen; es sind die sich krisenhaft zuspitzenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten; es ist die verstärkte Einbindung der DDR in die internationale Politik und die weltwirtschaftliche Entwicklung. Von den Kommunisten ist auch die Intensivierung der weltweiten Kommunikation nicht aufzuhalten. Es bleibt die geistige und politische Herausforderung der freien Welt, mit der Idee der Freiheit, mit der Idee der Menschenrechte, mit der Idee der parlamentarischen Demokratie auch im anderen Teil Deutschlands wirksam zu sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, es bleibt vor allem — und das haben Sie und Ihre politischen Freunde viel zu lange abgeschoben, sozusagen in die Müllgrube der Geschichte verbannen wollen — die Sprengkraft der nationalen Frage, es bleibt die wichtige Grundfrage nach der Einheit der deutschen Nation, nach der Identität der deutschen Nation.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das alles heißt doch: Stabilität in der DDR setzt Bereitschaft zu inneren Reformen dort voraus, setzt die Bereitschaft der SED-Machthaber voraus, in allen Bereichen zu geregelten Beziehungen auch und gerade zur Bundesrepublik zu kommen, setzt die Bereitschaft zu mehr Menschlichkeit mitten in Deutschland voraus. Es ist doch eine verhängnisvolle Selbsttäuschung zu glauben: Wenn wir schweigen, aber



    Di. Kohl
    zahlen, tragen wir zu mehr Stabilität für die DDR bei.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mit einem solchen Verhalten geben wir doch nur einem System Entlastung, das sich selbst durch seine innere Schwäche herausgefordert sieht, das sich verstärkt den notwendigen Veränderungen durch Repression nach innen und Abgrenzung nach außen zu entziehen versucht, das nicht bereit ist, sich seinen eigenen Kritikern zu stellen, das diese Kritiker ausweist oder zum Schweigen bringt. Wir sind nicht bereit, binem solchen System Hilfestellung zu geben. Wir wollen Zusammenarbeit nicht damit erkaufen, daß wir uns den Zumutungen der Unfreiheit beugen. Das Manifest hat eine ganz wichtige deutsche Realität wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Das ist die Realität des Fortbestehens der einen deutschen Nation.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, 30 Jahre danach ist hier für jeden offenbar geworden: Es gibt keine sozialistische Nation. In den Herzen und in den Köpfen der Deutschen in beiden Teilen Deutschlands gibt es das eine deutsche Vaterland,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    gibt es die eine unteilbare deutsche Geschichte mit ihren Höhen und Tiefen, mit ihren Konsequenzen, mit ihren Lehren. Meine Damen und Herren, das sollten wir wieder offen und ganz ungebrochen aussprechen, wie es alle Völker und alle Nationen dieser Erde für sich in Anspruch nehmen. Dieses Manifest beweist, daß die deutsche Frage keine bloß theoretische ist, sondern daß sie elementare politische Wirkungen hat, in bezug auf das Selbstverständnis unserer Bundesrepublik genauso wie in bezug auf die Beziehungen zum anderen Teil Deutschlands.
    Deshalb müssen wir nach unserem Verständnis die Werte des Nationalbewußtseins mit unseren demokratischen Grundwerten auch in Zukunft aufs engste verbinden. Darin allein besteht die Chance, den Willen zu einer deutschen Nation bei allen Deutschen in West und Ost aufrechtzuerhalten. Es war das große historische Verdienst Konrad Adenauers, das deutsche Nationalbewußtsein mit der freiheitlich-demokratischen Lebensform auszusöhnen und unlösbar miteinander zu verbinden und durch seine Politik der Einbindung in die freie Welt diese Freiheit wenigstens für die Bundesrepublik dauerhaft zu sichern. An dieser Politik werden wir immer festhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dieses Manifest, Herr Bundeskanzler, ist aber auch ein Beweis für die Realitätsferne und Blindheit sowie den bedenklichen Zustand des Urteilsvermögens in Ihrem eigenen Amt. Vor wenigen Monaten wurde die deutsche Öffentlichkeit von dort mit einer Studie überrascht und konfrontiert, in der es heißt:
    Wir müssen auf lange Sicht mit dem Schlimmsten rechnen: Mit dem Aufbau einer aggressiven Feindschaft ... auf Dauer auch zwischen den Bevölkerungen der beiden Teilstaaten.
    In dieser Studie versteigt sich Ihr Amt sogar zu der abenteuerlichen These, daß sich das Prinzip der „Erbfeindschaft", der alten, längst überwundenen Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich, von der Westgrenze auf die Ostgrenze in eine Feindschaft zwischen den Bürgern beider Teile Deutschlands verlagern könnte. Dies, Herr Bundeskanzler, ist die eigentliche Provokation in der deutschen Frage, die wir in diesen Jahren erlebt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist eine Provokation jener Mitbürger im anderen Teil Deutschlands, die bereit sind, unter Einsatz ihrer eigenen Existenz mit einem unerhörten Maß an persönlicher Zivilcourage die Rechte aller Menschen auch in Deutschland einzuklagen. Man kann nur mit einem Wort sagen, was ja für weite Teile Ihrer Politik gilt: Die Verantwortlichen im Kanzleramt haben offensichtlich keine Ahnung von der deutschen Wirklichkeit in der Bundesrepublik und in der DDR.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wer den ausführlichen Bericht über die vielen Begegungen und Reisen des Herrn Bundeskanzlers gehört hat, der fand beim Thema Innenpolitik keine Antwort auf die Frage: Was ist eigentlich in den Jahren seit 1969 aus dieser Bundesrepublik geworden? Sozialdemokraten und Freie Demokraten traten 1969 ihr Regierungsbündnis in Bonn mit dem Anspruch an, das moderne Deutschland zu schaffen. Das neue Jahrzehnt, Herr Bundeskanzler, wurde zum Jahrzehnt der Reformen erklärt. Nur noch zwei Jahre fehlen an diesem Jahrzehnt, und es darf heute schon der Versuch einer ersten Bilanz gemacht werden, so wie Sie es auch in Ihrer Neujahrsansprache vor einigen Tagen getan haben.
    Ihr eigenes Bilanztestat, Herr Bundeskanzler, ist deprimierend. Sie erklärten zum Jahreswechsel:
    Gründe zum Triumph haben wir nicht. Der Staat kann nicht alles zugleich schaffen; finanzielle Mittel für alles aufbringen, was für die Zukunft erstrebenswert ist, die Teuerungsrate gering halten, die Währung stabil halten, Arbeitsplätze sichern, neue Arbeitsplätze schaffen, das System der sozialen Sicherung garantieren und schließlich die Konjunktur in die Höhe bringen.
    Das ist alles richtig, was Sie hier sagen. Nur, Herr Bundeskanzler, warum haben Sie das nicht im September 1976 gesagt, als Sie vor der Wahl jedem in der Bundesrepublik alles versprochen haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nach beinahe neun Jahren Regierungszeit der Koalition ist das genau und exakt der Berg von Problemen, in den Ihre Regierung uns geführt hat.
    Die Koalition und nicht zuletzt Sie selbst erweisen sich als unfähig, Wirtschaftswachstum und wirtschaftliche Dynamik, wie sie früher sehr wohl in den Jahren von 1949 bis 1969 erreichbar waren, zu erhalten. Arbeitslosigkeit, unzureichendes Wachstum und zunehmende bürokratische Stolpersteine für die Wirtschaft, gewaltige Finanzierungslücken



    Dr. Kohl
    in dem System unserer sozialen Sicherheit, ein nie zuvor gekannter Schuldenberg: das sind die Markierungen Ihres Weges; das kennzeichnet letztlich das Scheitern Ihrer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie, Herr Bundeskanzler, und die Sie tragende Koalition haben sich seit langem darauf eingerichtet, daß hohe Arbeitslosigkeit unser Schicksal ist. Auch für 1978 dürfen wir kaum mehr Hoffnung auf eine Besserung des Arbeitsmarktes hegen. Und wenn die Zeichen nicht trügen, frißt sich nun die Millionenarbeitslosigkeit bereits ins vierte Jahr. Und schon wird das Gespenst von fast 4 Millionen potentiellen Arbeitslosen in den 80er Jahren an die Wand gemalt.
    Dramatisch an dieser Entwicklung ist, daß die Arbeitslosigkeit im Durchschnitt immer länger dauert. Besonders betroffen sind arbeitslose ältere Arbeitnehmer und unzureichend ausgebildete Arbeitnehmer. Die Frauenarbeitslosigkeit nimmt zu. Immer mehr Jugendliche finden keinen Ausbildungs- und Arbeitsplatz.
    Wenn Sie nur einmal Ihre amtlichen Behauptungen aus drei Jahren miteinander vergleichen, dann sehen Sie, in welch ungeheuerlicher Weise Sie bewußt das deutsche Volk hinters Licht geführt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im Jahreswirtschaftsbericht 1975 wurde die Arbeitslosigkeit von der Bundesregierung als ein jahreszeitliches und kurzfristiges konjunkturelles Problem beschrieben, das innerhalb eines Jahres auf ein zuträgliches Maß zurückgeführt werden sollte. Dies war vor der Wahl. Im Jahreswirtschaftsbericht 1976 beschrieben Sie die Arbeitslosigkeit, die nicht als eine mittel- oder längerfristige Erscheinung hingenommen werden sollte. Das war schon der Übergang zu einer wahrheitsgemäßeren Darstellung. Im Jahreswirtschaftsbericht 1977 aber — man höre - ist die Bundesregierung bei dem Erkenntnisstand angelangt, daß die Beseitigung der Arbeitslosigkeit nur in einer längeren Zeitspanne zu verwirklichen sei.
    Und in der heutigen Regierungserklärung spricht der stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei Deutschlands — jener Partei, die von sich behauptet, sie vertrete vor allem die Interessen der deutschen Arbeitnehmerschaft — mit nahezu keinem ernsthaften Wort von der Beseitigung der Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In Ihrer Neujahrsansprache verkündeten Sie, Herr Bundeskanzler, der staunenden Öffentlichkeit: Die Bundesregierung ist und bleibt mit diesem drängenden Problem Tag um Tag beschäftigt. Ich frage mich: was kommt denn endlich heraus bei dieser Beschäftigung rund um die Uhr? Besser als dieses Zitat kann doch niemand Ihre Hilflosigkeit gegenüber einem der drängenden sozialen Probleme unserer Zeit in Worte fassen.
    Die Öffentlichkeit hat es immer wieder erfahren. Als 1969 Sie von Kurt Georg Kiesinger die Regierungsverantwortung übernahmen, da war eben Arbeitslosigkeit für das deutsche Volk in der Bundesrepublik überhaupt kein drängendes Problem. Da standen die Renten auf gesicherter und solider Basis. Und heute stehen wir vor einer beschämenden sozialpolitischen Bilanz, mit der der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vor die Öffentlichkeit tritt.
    Sie haben soeben, wie Sie genau wissen, nicht der Wahrheit entsprechend auf den Kollegen Katzer geantwortet. Sie haben damals, vor der Wahl, von einem Problemchen gesprochen, und jetzt wollen Sie die Dinge wieder beschönigen. Der Leichtsinn und Ihr sehr persönlicher Hochmut beim Rentenbetrug

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    und die Verschleppung der Rentensanierung rächen sich jetzt bitter. Heute werden unter Fachleuten die Defizite der 80er Jahre in diesem Bereich mindestens in 20-Milliarden-DM-Höhe genannt. Herr Bundeskanzler, so geht man nicht mit 9 Millionen Rentnern um, auf deren Stimmen Sie angewiesen waren; und ohne einen Teil dieser Stimmen würden Sie niemals auf diesem Stuhl sitzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben im Frühsommer des vergangenen Jahres detaillierte Vorschläge zur Sanierung der zerrütteten Rentenfinanzierung vorgelegt, weil wir es für unerträglich hielten, daß die Fundamente unserer staatlichen und sozialen Stabilität, auf die ja nicht nur die Millionen Rentner, sondern auch jeder von uns, jeder aus der mittleren und jüngeren Generation, seine Zukunft baut, immer mehr ausgehöhlt werden. Sie sind untätig geblieben. Sie wußten alles besser. Und jetzt sind Sie am Ende.
    Sie haben damals diese Hinweise — wie ja auch heute wieder — als Schwarzmalerei und Panikmache abgetan. Aber, Herr Bundeskanzler, wenn jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Ihnen ja in diesen Dingen immer weit voraus ist —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er hört gar nicht zu!)

    — Meine Damen und Herren, das ist kein Grund zur Erregung. Ein Mann wie der Herr Bundeskanzler weiß alles; er braucht niemanden anzuhören. Wer vom lieben Gott den Sachverstand für alle Fragen des menschlichen Lebens erhalten zu haben glaubt, braucht auch nicht den Zuspruch und die Anregung anderer.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber, meine Damen und Herren, liebe Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, seien Sie ganz unbedenklich: Wenn er schon nicht auf mich hört, auf den Zuchtmeister der SPD, Herbert Wehner, muß er hören. Dieser hat doch gerade gesagt, es sei eine sozialpolitische Offensive notwendig. Herr Wehner, wofür brauchen Sie eigentlich eine sozialpolitische Offensive? Sie sind doch seit 1969 an der Regierung und konnten zeigen, wie soziale Politik wirklich aussieht!

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Kohl
    Diese Vorstellung des Kollegen Wehner ist doch auch ein vernichtendes Urteil über die Regierungskünste des Kanzlers und seiner Regierung. Und sie ist ein Hinweis auf die wirkliche soziale Demontage, von der Sie so gern sprechen. Deshalb, Herr Bundeskanzler, haben Sie es bisher ja auch versäumt, der Öffentlichkeit die Wahrheit zu sagen, die wirklichen Zahlen, den wahren Sachverhalt über die katastrophale Entwicklung der Rentenfinanzen vorzulegen.
    Mein Kollege Hans Katzer wird zu diesem Thema in der nächsten Woche noch mehr sagen. Nur, meine Damen und Herren, sei eines schon jetzt mitgeteilt. Sie können nicht erwarten, daß Sie sich mit dieser_ Form des Rentenbetruges noch einmal über die Runden mogeln. Sie werden heute und in diesem Jahr gestellt werden und werden die Wahrheit sagen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich im Bereich der öffentlichen Haushalte, auch des Bundeshaushalts. Die Defizite werden immer höher, die Schulden immer größer. Seit 1974 hat die Bundesregierung in den einzelnen Jahren die Neuschulden zur Finanzierung der Staatsausgaben auf etwa das Doppelte dessen getrieben, was in den Jahren von 1950 bis 1969 aufgenommen wurde. Die Gesamtverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden einschließlich Bahn und Post von voraussichtlich 400 Milliarden DM in diesem Jahr zeigt, daß diese Probleme mit so undifferenziertem Daherreden, wie wir es eben in der Regierungserklärung hörten, mit der Ausflucht auf andere Länder, wo es ja noch schlechter sei, ganz gewiß nicht zu lösen sind. Sie, Herr Kollege Schmidt, haben im Jahre 1969 auch nicht den Vergleich mit Italien angestellt. Sie haben ein geordnetes Gemeinwesen übernommen, und wir erwarten Rechenschaft von Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Durch die Verschuldung 1978 wird die bisherige Rekordverschuldung des Bundes im Rezessionsjahr 1975 — trotz des zu erwartenden, wenn auch unzureichenden Wachstums — übertroffen. Sie liegt damit erneut über der Verschuldensobergrenze des Art. 115 des Grundgesetzes, die, wie Sie wissen, nur ausnahmsweise überschritten werden darf. Ich sage dies vorsorglich, Herr Bundeskanzler, weil Sie im Umgang mit dem Haushaltsrecht in der Vergangenheit eine besonders saloppe Art bewiesen haben und von dem höchsten deutschen Gericht auch entsprechend zurechtgewiesen wurden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden darüber wachen, daß Sie diese Ausnahmeregelung des Grundgesetzes nicht zum Normalfall der Gewöhnung machen. Denn die finanzpolitischen Folgen in Form von wachsenden Zinsausgaben dieser Schuldenpolitik belasten in der Zukunft alle, belasten ja bereits die heranwachsende Generation.
    Deshalb, Herr Bundeskanzler, wäre heute in einer Regierungserklärung neben den Aussagen über Ihr gewiß wichtiges Treffen mit unserem Freunde
    Andreotti in Verona doch durchaus ein Wort über die Frage der weiteren Konsolidierung der öffentlichen Finanzen angebracht gewesen, eine Äußerung etwa, die der Herr Bundesfinanzminister im Einklang mit dem Sachverständigenrat immer wieder betont hat, die doch so bitter nötig gewesen wäre. Doch die Bundesregierung hat ja, wie der Sachverständigenrat auch festgestellt hat, überhaupt keine Planung dafür, wie das in den öffentlichen Haushalten entstandene strukturelle Defizit in den nächsten Jahren konsolidiert werden könnte.
    Wir werden nicht zulassen, daß Sie der Bevölkerung auch in dieser Frage immer wieder Sand in die Augen streuen, daß Sie sich aus Ihrer Verantwortung stehlen und alle Schuld auf Erden der Weltwirtschaftsrezession, der Fehlentwicklung im Ausland oder — um die neueste Fluchtstiege zu nennen— dem Dollar geben.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Keine Ahnung! — Weiterer Zuruf von der SPD: Nichts Neues!)

    — Es ist doch ganz gut, wenn Sie die notwendige Ahnung haben, meine Damen und Herren. Das Ergebnis Ihrer Ahnung sieht man ja in der Bundesrepublik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, keine von uns hat je zu irgendeinem Zeitpunkt geleugnet, daß eine Volkswirtschaft, wie die deutsche, voll integriert in die Weltwirtschaft, natürlich auch von allen welt- wirtschaftlichen Implikationen abhängig ist. Herr Bundeskanzler, ich habe vor einigen Tagen, in Vorbereitung auf diese Rede, einmal Ihre große Angriffsrede als Fraktionsvorsitzender gegen Ludwig Erhard nachgelesen. Damals, im Jahre 1966, war für Sie die Erkenntnis noch nicht so weit gediehen, daß die Bundesrepublik in weltwirtschaftlichen Zusammenhängen denken muß.

    (Katzer [CDU/CSU] : Der hört doch gar nicht zu!)

    In der Weltwirtschaft und im Welthandel vollziehen sich tiefgreifende politische und strukturelle Veränderungen. Unsere Wirtschaft ist in diesen Veränderungsprozeß voll integriert. Aber, meine Damen und Herren, das ist der eine Teil. Der andere Teil sind die desolaten politischen Entwicklungen, die Sie und sonst niemand zu verantworten haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wollen wir etwa vergessen, meine Damen und Herren, daß gerade die weltwirtschaftliche Anbindung unserer Wirtschaft und die weltwirtschaftlichen Veränderungen uns doch auch die großen -Chancen der Entfaltung unseres wirtschaftlichen Potentials gegeben haben? Herr Bundeskanzler, wo wären wir denn mit unseren Wachstumsraten in den letzten Jahren ohne die entsprechenden Exporte gewesen?
    Der Zusammenhang zwischen Weltwirtschaft und deutscher Wirtschaft ist doch der: Nicht draußen in der Weltwirtschaft liegt die erste Ursache unserer Probleme, sondern in einer kurzsichtigen und vor allem von den Linken der Koalition gehinderten Politik, die eben wirklich vernünftige Entwicklungen



    Da. Kohl
    gar nicht mehr zuläßt. Anstatt alle Kräfte unserer Wirtschaft — Arbeitnehmer und Unternehmer — durch eine wachstumsfreundliche Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik zu mobilisieren, anstatt Leistungsanreize für neue Märkte, Produkte und Technologien zu schaffen, bemüht sich Ihre Regierung doch, Herr Bundeskanzler, die Investitionsrisiken durch neue Auflagen, durch neue Vorschriften, durch öffentliches Gerede, durch aufwendige Genehmigungsverfahren noch zu erhöhen.
    Und dann haben Sie heute den Mut, sich hierhin zu stellen und mit uns über die Frage der Energie-' einsparung zu diskutieren. Sie werden in der nächsten Woche Gelegenheit haben, sich mit den unmittelbar Angesprochenen hier direkt auseinanderzusetzen. Ich hoffe, daß Sie an dieser Debatte dann auch teilnehmen. Nur, Herr Bundeskanzler, wie kann eigentlich ein Sozialdemokrat nach dem Desaster, das Ihre Partei im letzten Jahr an Verunsicherung in der deutschen Energiepolitik angerichtet hat, überhaupt noch den Mut haben, von dieser Stelle aus zu diesem Thema zu sprechen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie waren ja nicht einmal in der Lage, in Ihrem eigenen Kabinett für eine klare Linie zu sorgen. Überlegen Sie doch, was Herr Matthöfer zu diesem Thema alles an törichten Dingen öffentlich gesagt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es war doch nicht Ihre Leistung, daß das Moratorium, das in der Luft hing, jetzt zumindest etwas entschärft wurde. Das war doch nicht die deutsche Sozialdemokratie. Das hat ein Bündnis zwischen der starken Kraft der CDU/CSU, die sich rückhaltlos für die Notwendigkeit der Energieversorgung der Bundesrepublik in den nächsten Jahrzehnten einsetzt, und wichtigen Teilen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zuwege gebracht. Das wissen Sie doch so gut wie ich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)