Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Sekunde bitte noch! Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen! Dann gern.
Hier sitzt Herr Kollege Katzer. Er ist eben schon als derjenige in Anspruch genommen worden, der aus seiner damaligen Sicht als Minister für Arbeit und Sozialordnung in der Zeit der Großen Koalition gemeint hat, Sozialversicherungsbeitragserhöhungen vorschlagen zu müssen, die erst später in Kraft traten. Ich kritisiere ihn ganz genausowenig — ich möchte auch nicht zwischen den Zeilen Kritik heraushören —, wie Herbert Wehner das vorhin hat kritisieren wollen. Herr Kollege Katzer hat damals, als er die seinerzeitigen Beitragseingänge in der Rentenversicherung und in der Grundrechnung das Verhältnis zwischen Rentnern hier, die Renten bekommen, und Beitragszahlern dort, die Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen, sah, und die Entwicklung der Beschäftigung und der Löhne für die späten 60er und die frühen 70er Jahre vorhersehend, gemeint, daß es nicht ohne Beitragserhöhung gehe.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1976 117
Bundeskanzler Schmidt
Sie haben eine Beitragserhöhung vorgeschlagen, Herr Katzer.
Im Augenblick sind wir doch noch bei dem historischen Teil, über den es zwischen uns beiden eigentlich keinen Streit gibt. Ihr damaliger Koalitionspartner ist Ihnen gefolgt und hat auch diesen Teil Ihrer Gesetzgebung in der sozialliberalen Koalition nicht wieder rückgängig gemacht.
Wenige Jahre später, im Sommer 1972, waren inzwischen zwei Dinge anders geworden.
Zum einen hatte sich die Konjunktur völlig gewandelt. Man war aus der Rezession der späten 60er Jahre heraus. Die 15-Jahres-Rechnungen der Rentenversicherung basieren ja immer auf dem relativ kurzen Zeitabschnitt der Gegenwart, der dann auf 15 Jahre in die Zukunft projiziert wird. Man war aus dem Konjunkturtal heraus. Es haben auch ein paar Sozialdemokraten daran mitgewirkt. Ich will aber nicht leugnen, daß auch ein paar Christdemokraten daran mitgewirkt haben. Nun sah alles viel besser aus. Jetzt sah die 15-Jahres-Rechnung viel besser aus.
Die zweite Änderung war, daß Herr Kollege Katzer nicht mehr Arbeitsminister, sondern Oppositionsabgeordneter war.
Dann hat Herr Katzer hier und öffentlich gesagt: Viel zuviel Vermögen wird in der Rentenversicherung aufgehäuft. Klammer auf: es wäre gar nicht so viel geworden, wenn wir die Beiträge nicht so erhöht hätten, Herr Kollege Katzer; Klammer zu.
— Ich darf Sie zitieren. Sie haben festgestellt, daß hier Überschüsse entstehen, die „den Rentnern vorenthalten werden".
Sie haben sogar eine Zahl genannt. Wenn ich sie richtig im Kopf habe — ich habe das Protokoll in diesem Augenblick nicht so schnell finden können —, haben Sie von 205 Milliarden DM Überschüssen gesprochen, die Sie damals erwarteten.
Gut, das war auch nach der damaligen Rechnung möglicherweise richtig gerechnet.
Nur, es hat noch niemals eine dieser 15-JahresPrognosen stimmen können.
Diese Prognose kann auch in Zukunft nicht stimmen. Weshalb kann sie nicht stimmen? Weil in sie mehrere variable Faktoren eingehen, die niemand wirklich prognostizieren kann. Es ist schon nicht möglich, mit hinreichender Sicherheit auch nur die variablen Faktoren des allernächsten Jahres richtig zu schätzen.
Als ich Finanzminister war, habe ich mir zu meiner eigenen Erkenntnis, um etwas zu lernen, die Mühe gemacht — oder andere haben sich die Mühe für mich gemacht —, die damals vorliegenden zehn Jahresprognosen des Sachverständigenrates wieder aus den Akten auszugraben und sie mit dem zu vergleichen, was am Ende des jeweiligen Jahres wirklich eingetreten war. Dabei ergab sich immer innerhalb von 13 Monaten ein tiefgreifender Unterschied zwischen Prognose und tatsächlichem Verlauf.
Noch viel größer sind nach bisheriger Erfahrung seit 1957 die jeweiligen Änderungen zwischen Prognosen auf dem Rentenversicherungsgebiet und dem tatsächlichen Verlauf. Es kann durchaus sein, daß die Prognosen, die wir jetzt bei den uns weiß Gott nicht leichtfallenden Ankündigungen, die wir Ihnen gemacht haben, unterstellen, zu schwarz gesehen sind. Das kann durchaus sein, Herr Barzel. Denn sie unterstellen erstens bestimmte Beschäftigungszahlen über eine lange Reihe von Jahren,
die wirklich niemand übersehen kann,
und sie unterstellen zweitens bestimmte Nominallohnerhöhungen in den kommenden Jahren,
die auch niemand wirklich vorhersagen kann. — In den Nominallohnerhöhungen steckt der reale Lohn ja mit drin. Die Vorausberechnungen unterstellen das Wachstum der Löhne aber nicht nur real, sondern auch nominal, beides. Das kann man aber nur schwer vorhersehen!
Es ist infolgedessen gar nicht sicher, ob die Zahlen vom November 1975, von denen Herr Strauß sprach, heute, zwölf Monate später, richtig sind. Ich glaube, wenn Sie sie nachprüfen, werden Sie finden, sie sind falsch. Es ist auch gar nicht sicher, ob sich die Zahlen, die wir heute unterstellen, in zwölf oder in 24 oder in 48 Monaten als richtig herausstellen werden. Sie können dann sehr viel besser sein; sie können auch durchaus schlechter sein. Das hängt von der Gesamtentwicklung in der Welt ab, von der Herr Strauß, wenn auch in einer wie mir schien, weit übertriebenen Sprache, im Grunde nicht ohne eine gewisse Berechtigung gesprochen hat.
Nun frage ich mich: Was hat die Opposition zu dem Rententhema hier heute zur Sache gesagt?
Herr Kohl hat gesagt: nicht durch Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung! Herr Strauß hat gegen unsere Absicht polemisiert, die bisherigen Überzahlungen aus der Rentenversicherung an die Krankenversicherung abzubauen. Herr Strauß hat zugleich gesagt, selbst über Beitragserhöhungen könne man reden. Das letztere war das einzige, was ich an konkreter Aussage alternativer Art gehört habe. Das ist in Wirklichkeit so alternativ nicht. Denn wir wollen hier keinen Zweifel daran lassen, daß die Aufhebung der bisherigen Überzahlungen aus der Rentenversicherung an die
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Bundeskanzler Schmidt
Krankenversicherung dort zu Druck führt und daß
unvermeidlicherweise auch das gemeinsam mit anderen Faktoren zu Beitragserhöhungen führen kann.
Herr Kohl hat dann gegen die „Nettolohnanpassung", wie Sie das genannt haben, polemisiert. Wir haben es nicht so genannt, wir haben es so auch nicht gemeint, wir haben dieses Wort nicht benutzt. Wir möchten es auch nicht benutzen, sondern wir haben Vorschläge vorgelegt, übrigens, Herr Kollege Barzel, ohne Änderung der seit 1957 im Gesetz stehenden Formeln. Sie haben immer von der Änderung der Rentenformel gesprochen.
Dies ist nicht die Absicht. Aber wir haben gesagt: es sollen bei den nächsten Anpassungen nach dem 1. Juli im kommenden Sommer die Renten jedenfalls nicht geringer steigen — wenn es geht, aber mehr — als die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer. Das heißt — und das hat, glaube ich, der Abgeordnete Kohl bei seiner Rede nicht ganz klar gesehen oder jedenfalls doch nicht ganz klar gesagt —, daß das sogenannte Rentenniveau nicht verkleinert wird. Das Rentenniveau gibt das Verhältnis der zu 99 °/o netto gezahlten Renten an. Kaum ein Rentner zahlt Steuern in Deutschland, es sei denn, er habe anderes nennenswertes Einkommen. Die Aussage bedeutet, daß sich das Verhältnis der Renten zu den Nettoeinkommen der Arbeitenden nicht verschlechtert. Es ist ein Verhältnis, das heute höher ist, als es je im Laufe von fast zwei Jahrzehnten gewesen ist. Das ist das Ergebnis der Politik von Walter Arendt — aber auch seiner Vorgänger, ich will das nicht abstreiten —, der vorhin hier nicht von allen Seiten ganz freundlich und nicht im richtigen Verständnis der Verdienste, die er sich um die soziale Sicherung in diesem Lande erworben hat, apostrophiert worden ist.
66 %iges Rentenniveau! Die Renten liegen bei 66 % der verfügbaren Einkommen der aktiven Arbeitnehmer. Das wird sich bei unseren Absichten nicht verschlechtern.
Herr Strauß hat dazu nun wiederum etwas ganz anderes gesagt als Sie, Herr Kollege Kohl. Herr Strauß hat gesagt: Über zukünftige Anpassungen kann man mit uns reden. Ich weiß nicht, ob mit dem Wort „uns" mehr die CSU gemeint war oder beide oder wie. Ich werfe Ihnen das ja alles nicht vor. Das ist für Sie alles genausowenig vorhersehbar für die nächsten 15 Jahre — wir müssen ja wieder eine 15-Jahres-Rechnung vorlegen in diesem Frühjahr — wie für andere. Aber wenn Sie selber schon nicht einen einzigen eigenen Vorschlag hier heute gemacht haben, dann sollten Sie, finde ich, daß Maß Ihrer Kritik an den Vorschlägen der Bundesregierung etwas herunterschrauben, es sei denn, Sie kämen endlich auf diesem Felde wie auf allen anderen Feldern der Politik mit einer einzigen christlich-demokratischen oder christlich-sozialen alternativen Lösung.
Dies muß ich nun auch, Herr Kollege Barzel, Ihnen vorhalten. Sie haben sicher eine sehr wirkungsvolle Rede gehalten.
Aber erst mal sind Sie in den alten Weizsäckerschen Irrtum verfallen, hier von dem steigenden Staatsanteil zu reden. Der Staatsanteil wird sogar noch mehr steigen, wenn die Rentenleistungen steigen. Sie stecken doch darin, die Transfer-Einkommen, in Ihrem Staatsanteil. Das müssen Sie doch nun endlich mal zur Kenntnis nehmen. Ich habe das schon einmal Herrn von Weizsäcker vorgerechnet, wie das mit dem Staatsanteil ist. Wenn Rentenausgaben steigen, dann gehen sie in den Staatsanteil, und wenn Rentenausgaben wie bisher in den letzten Jahren stärker steigen als die in der Privatwirtschaft erarbeiteten Teile des Volkseinkommens, dann müssen Sie sich nicht über einen wachsenden Staatsanteil aufhalten. Das gleiche gilt für Arbeitslosengeld und was dranhängt.
Nur, Herr Kollege Barzel, Worte können Sie gebrauchen, wie Sie wollen. Wenn Sie über den zu hohen Staatsanteil klagen, müssen Sie sagen, wo eigentlich er verringert werden soll. Wo wollen Sie denn hineinschneiden?
Ich sehe, daß der Herr Abgeordnete Kohl — mehrfach schon in den letzten Tagen — das komisch findet und darüber lacht. Herr Kollege Kohl, ich sage in allem Ernst — —
— Ich muß ja wohl das Recht haben, wenn ich kritisiert werde, zurückzufragen, was eigentlich Ihr anders machen wollt. Das muß ich ja wohl fragen dürfen.
Sie haben zum einen Vorschläge zur Konsolidierung der Renten, die im Zusammenhang mit dem Rentenanpassungsbericht in gesetzgeberischer Entwurfsform im Laufe des Frühjahrs auf Sie zukommen, beklagt. Sie haben zweitens zu hohe Belastungen der Arbeitseinkommen beklagt. Herr Strauß — oder waren Sie es? — hat das mit den 40 Prozent gesagt; es stecken auch noch Rechenfehler darin, auf die ich jetzt nicht eingehen will. Jedenfalls haben Sie die zu hohe Belastung der Arbeitseinkommen mit Abzügen beklagt. Dann haben Sie geklagt, die Leistungen für die Familien würden nicht reichen, und da solle der Staat mehr tun. Dann kommt Herr Barzel und sagt, der Staat tue schon zuviel, der Staatsanteil sei zu hoch. Da muß man doch wohl einmal fragen dürfen, wenn Sie gleichzeitig die Mehrwertsteuererhöhung durch Ihre Freunde im Bundesrat ablehnen lassen, wie eigentlich Sie die Enden aus dem Bauchladen von Vorschlägen, die Sie hier vorgetragen haben und die alle nicht zusammenpassen, zusammenbringen wollen!
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1976 119
Bundeskanzler Schmidt
Herr Kohl hat mit seinem Namen unterschrieben, daß er die Finanzierung der Renten wieder in Ordnung bringen werde. Ich glaube, daß Sie das ernst gemeint haben, Herr Abgeordneter Kohl. Ich bezweifle nicht Ihre Ernsthaftigkeit,
und ich bezweifle auch nicht — im Gegensatz zu dem Zwischenrufer mir gegenüber —, daß Sie geglaubt haben, dies zu können. Aber nun tragen Sie uns doch bitte einmal vor, wie Sie denn an unserer Stelle das, was Sie als in Unordnung befindlich betrachten, wie Sie also die Finanzierung der Renten in Ordnung bringen wollten!
Wir haben nichts davon gehört!
In Wahrheit ist es so, daß Sie völlig ratlos sind und Zeit brauchen bis zum Januar, bis die nächste Debatte kommt, damit Sie sich untereinander einig werden können. Das ist die Wahrheit!
Ich sage ja nicht, daß das angenehm ist. Das ist es wirklich nicht. Das ist auch für die Beteiligten auf unserer Seite ein schweres Geschäft, mit dem wir uns schwertun. Ich habe davon gestern gesprochen.
Um noch einmal auf den Kollegen Barzel zu kommen, der von der NATO und von MBFR sprach: Er hat sich darüber gewundert, daß etwas, was der NATO-Rat erklärt hat, in der Regierungserklärung nicht mit denselben Worten wieder vorgekommen sei oder daß wir uns hinsichtlich MBFR nicht ausdrücklich auf die Position der westlichen Verbündeten gestellt hätten. — Aber lieber Herr Barzel, die Beschlüsse des Nordatlantikrates, die taktischen und die strategischen Positionen, von denen der Westen oder die Mächte des Westens in den Wiener Verhandlungen ausgehen, die haben wir doch mit beschlossen und stark beeinflußt; die sind doch nicht gegen uns, sondern zum Teil durch uns und jedenfalls mit uns so entstanden, nicht wahr!
Und meinen Sie im Ernst — um das nächste Thema anzuschneiden —, ich sollte, über die Andeutungen in der Regierungserklärung hinausgehend, nun wirklich diejenigen Staaten mit Namen nennen, die innerhalb des Bündnisses, dem wir angehören, ihrerseits im Laufe der letzten Jahre die Kampfkraft verringert haben? Meinen Sie das wirklich?
— Dann war es Herr Strauß, der mich in diesem Punkt kritisiert hat.
Es hat doch keinen Zweck, öffentliche Vorwürfe zu erheben. Und wenn Sie, Herr Strauß, eine andere Konsequenz gemeint haben sollten, falls Sie gemeint haben sollten, die Bundeswehr solle vergrößert werden, um diese Lücken auszufüllen, kann ich Ihnen nicht folgen, aus außenpolitischen wie — —
— Sicher, Sie haben etwas anderes gesagt als Herr Strauß. Das merke ich doch den ganzen Tag, Herr Kohl!