Meine Damen und Herren, der Führer der Opposition — Herr Kollege Strauß, jetzt meine ich allerdings Herrn Kohl, auch wenn man bei dem Vergleich der beiden Reden wieder Zweifel hegen kann; aber ich bleibe zunächst dabei — hat sich heute bei seinen Ausführungen, wie es mir scheint, offenbar unter dem Zwang gesehen, Schlagzeilen produzieren zu müssen;
denn doch wohl nur so ist die etwas merkwürdige Diktion, die das hervorgebracht hat, zu begreifen. Jedenfalls hat Herr Kohl dann von Ratlosigkeit der Regierung gesprochen. Aber ich muß sagen, das ist nun wirklich Krampf. Meine Damen und Herren, allenfalls kann man darüber rechten, daß zuviele
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1976 103
Hoppe
Antworten auf zuviele Einzelfragen von dieser Regierung in der Regierungserklärung gegeben worden sind. Aber das mag nun wieder daran liegen, daß ein Spezialist anders spricht als ein Generalist.
Auch die Behauptung, die Regierung handle nicht selbst, sondern ermuntere nur andere zum Handeln, liegt einfach neben der Sache. Es geht nämlich überhaupt nicht darum, Verantwortung auf Dritte abzuwälzen, sondern es geht um das erklärende, das werbende Wort an alle Gruppen in unserer Gesellschaft, zum mithelfenden und mittuenden Arrangement bereit zu sein. Bei dem offensichtlich immer noch gestörten Verhältnis der Opposition zum mündigen Bürger und zu seinen Initiativen ist das hier deutlich gewordene Mißverständnis, wie mir scheint, offenbar noch ein Stück reflektiertes Innenleben der Opposition.
Meine Damen und Herren, dann kamen Sprüche vom Bundesrat und seiner gesamtstaatlichen Verantwortung. Eine Schelte dieses Verfassungsorgans habe ich in der Regierungserklärung nicht gefunden. Herr Kohl hat sie wohl unterstellt und vielleicht aus guten Gründen auch erwartet. Aber wir alle sollten uns für die Zukunft doch wohl erhoffen und davon ausgehen, daß der Bundesrat seine Entscheidungen tatsächlich allein am Gemeinwohl des Staates orientiert. Die Freien Demokraten glauben jedenfalls, ihren Beitrag als Voraussetzung dafür, daß es so sein kann und so sein wird, geleistet zu haben.
Meine Damen und Herren, erfolgreich abgeschlossene Koalitionsverhandlungen auf der Regierungswie auf der Oppositionsseite standen am Beginn der neuen Legislaturperiode. Auf beiden Seiten ging es nicht ohne Erschütterungen ab. Auch die heutige Rede des Kollegen Strauß hat nicht verdecken können, daß nach der schmerzhaften Bruchoperation der CDU/CSU-Fraktion die inneren Gegensätze in der Opposition fortbestehen. Die destruktiven Folgewirkungen der Auseinandersetzung sind mit kosmetischen Mitteln so einfach nicht zu überdecken. Wir sind allerdings selbstkritisch genug, um zuzugeben, daß sich die Regierungskoalition einen Fehlstart in diese neue Legislaturperiode geleistet hat. Damit ist allerdings noch nichts über den Inhalt und den Erfolg der Politik der nächsten vier Jahre gesagt. Bekanntlich können selbst nach Fehlstarts durchaus große sportliche Leistungen erbracht werden. Wir Freien Demokraten werden uns jetzt in der Arbeit der nächsten Jahre tüchtig ins Zeug legen.
Gleichwohl ist zu bekennen, daß die Diskussion über die Renten wenig glücklich eröffnet wurde. Es geht ja nicht nur darum, ob das inzwischen korrigierte Rentenmodell wirtschaftlich vernünftig war, sondern auch darum, ob es politisch auch zumutbar war. Wir alle sollten aus diesem Vorgang die Einsicht gewinnen, daß wir den Grundkonsens in unserer Demokratie nur dann bewahren können, wenn wir auch in Wahlkämpfen nicht vergessen, daß der Bürger einen Anspruch auf Vertrauensschutz hat.
Die Opposition hat wenig Grund, sich allzu laut zu Wort zu melden. Vor der Wahl hat sie mit allen
ins gleiche Horn geblasen und bis heute keine konkreten Lösungen angeboten.
Zugegebenermaßen hat sie den Vorzug, nicht in der direkten Verantwortung zu stehen. Aber die Opposition weiß sehr wohl, daß sie von der falschen Weichenstellung in der Vergangenheit nicht freigesprochen werden kann. Und wenn hier über Lesefähigkeiten gesprochen wird, muß man wenigstens sagen dürfen, daß es bei der Opposition mit den Lesefähigkeiten in der Vergangenheit offenbar auch nicht sehr weit her gewesen ist.
Was aber nun die Form der politischen Auseinandersetzung im 8. Deutschen Bundestag betrifft, so sollten wir uns für die kommenden vier Jahre nicht an jener Spielart orientieren, die in Kreuth eine Erziehungsanstalt für Unionspolitiker hervorgebracht hat.
Der Kollege Strauß wird sich doch weder als Wohltäter der Nation noch als Wohltäter des Herrn Kohl aufspielen können. Nein, während früher nach der Formel „suaviter in modo, fortiter in re" gehandelt wurde, geschieht dies jetzt offensichtlich nach dem „Kreuther-Extrakt" „aalglatt in der Sache, brutal in der Form". Strauß hat den politischen Stil grundlegend gewandelt. Er ist jedenfalls dabei, die Werte auf den Kopf zu stellen. Gerade deshalb war dieser Vorgang in seiner innen- und außenpolitischen Wirkung gleichermaßen erschreckend. Mit dieser Schocktherapie hat die bayerische CSU mehr als nur Irritationen ausgelöst. Sie hat mit ihrem doppelbödigen Spiel die Basis der politischen Zusammenarbeit erschüttert. Die Demokratie lebt aber von der offenen und fairen Auseinandersetzung. Ohne gegenseitige Achtung und ein Mindestmaß an Vertrauen ist eine konstruktive Politik nicht möglich.
Ich möchte mir und uns allen wünschen, daß die Worte des neugewählten Parlamentspräsidenten, die er nach seiner Wahl an dieses Haus gerichtet hat, von allen als Grundlage für die parlamentarische Arbeit angenommen und befolgt werden — dies um so mehr, als er das gemeinsame Bekenntnis aller Bundestagsfraktionen zu Freiheit und Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit als die großen Leitmotive aller staatlichen und politischen Tätigkeit formuliert hat.
Auf der Grundlage der Regierungserklärung kann ich zur innenpolitischen Situation der Bundesrepublik Deutschland ganz allgemein feststellen, daß trotz vielfacher Schwierigkeiten in den vergangenen Jahren ein erstaunliches Maß an Kontinuität sichtbar geworden ist.
Ihr wirtschaftliches System hat die massiven Gefährdungen seiner Funktionsfähigkeit durch die weltweite Inflation und durch die mit der Energiekrise verbundenen Erschütterungen der Weltwirtschaft weitaus besser abfangen und verarbeiten können als die Wirtschaften der meisten anderen vergleichbaren Länder.
104 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1976
Hoppe
Hinsichtlich der außenpolitischen Stellung der Bundesrepublik ist das Gesamtbild eher noch positiver. Durch ihre Ostpolitik hat die sozialliberale Bundesregierung den entscheidenden Beitrag zu einer weltpolitischen Entspannung geliefert, die den kalten Krieg fürs erste ablöste und zumindest etwas günstigere Voraussetzungen für eine friedliche Zusammenarbeit zwischen West und Ost schuf, als sie bisher bestand. So erscheint gegenwärtig die Bundesrepublik Deutschland in einer Welt, die an vielen Stellen durch Krisen, Umwälzungen, Erschütterungen und Labilität gekennzeichnet ist, eher wie eine Insel der Stabilität. Diese Stabilität ist um so bemerkenswerter, als sie — im Gegensatz zur Wilhelminischen Periode — nicht als das Ergebnis einer autoritären, die individuellen Freiheiten einschränkenden Verfassungsordnung und Politik interpretiert werden kann, sondern mit dem Höchstmaß an Freiheit einhergeht, das je in der deutschen Staatengeschichte für ein politisches System registriert worden ist.
Diese sehr positive Beschreibung unserer politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse stammt nicht aus einem Schulungsbrief der Freien Demokraten. Ich habe sie auch nicht aus einer regierungsamtlichen Stellungnahme übernommen. Vielmehr ist die von mir vorgetragene Beschreibung der bundespolitischen Wirklichkeit der Einleitung einer wissenschaftlichen Streitschrift von Kurt Sontheimer entnommen.
Zu dem oft verzerrten Bild unserer Bundesrepublik, das von einäugigen Kritikern immer wieder gezeichnet wird, sagt dann Sontheimer:
Es ist, als kämen die Krisen- und Zusammenbruchstheorien von einem anderen Stern. Verwundert betrachtet man dieses verbissene Interesse an Systemüberwindung, und man fragt sich, in welcher Höllennische unserer prosperierenden Zivilisation diese Kritiker eigentlich leben müssen, wenn sie zu einem so unerbittlichen, verdammenden Urteil über unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung kommen.
Was hier gesagt wird, gilt in ähnlicher Weise häufig leider auch für die Kritik der Opposition. Meine Damen und Herren, ich denke nicht im mindesten daran, Ihnen die demokratische Grundhaltung, die demokratische Gesinnung und das Bekenntnis zu den Grundwerten unserer staatlichen Ordnung abzusprechen.
Aber in der Methode Ihrer Kritik ist dieser fatale Gleichklang leider nicht zu überhören.
Um griffige Politik zu formulieren, um Anklagen wirkungsvoll plazieren zu können, wird auch von Politikern aus den Reihen der Opposition oft ein Zerrbild der Bundesrepublik Deutschland gezeichnet. Das von ihr außen- und innenpolitisch immer wieder an die Wand gemalte Schauergemälde eines abgewirtschafteten Staates mit zerrütteten Finanzen und außenpolitischen Fehlleistungen ist so absurd
und entspricht der Wirklichkeit genauso wenig wie die abgegriffenen Klischees linksextremer Ideologen.
Wenn der zitierte Hochschullehrer meint, diese weltfremden Theoretiker müßten in Höllennischen angesiedelt sein, so kann ich nur vermuten, daß mindestens diese Spezies von opponierenden CDU/ CSU-Politikern offenbar auf Spukschlössern lebt. Mir scheint, der Herr Kollege Strauß hat sich heute gerade wieder aus dieser Richtung zu Wort gemeldet. Sicher, seine Vitalität scheint mir gestärkt, nicht zuletzt durch die Rolle seines neuen Fraktionsvorsitzenden. Das mag die Debatten im Parlament beleben und munter gestalten. Ob es der Opposition nützt, muß sich erst noch zeigen.
Wir sollten uns bei den politischen Auseinandersetzungen über Inhalt und Methoden der Politik wieder stärker an der Wirklichkeit unserer Verhältnisse orientieren. Nur wenn wir bereit sind, die geistigen Auseinandersetzungen verantwortungsbewußt zu führen, können wir verhindern, daß die Politik zum Instrument der Willkür wird. Eine solche Fehlentwicklung begünstigt jeder, der sich für seine Zwecke falsche Prämissen zimmert. Er manipuliert und verläßt damit den Boden der Redlichkeit.
Für die Koalitionsparteien geht es jetzt darum, die in den vergangenen Jahren der gemeinsamen Regierung erarbeiteten Grundlagen zu sichern und fortzuentwickeln. Dabei gilt es, sich am Wünschbaren zu orientieren, jedoch mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben und das finanziell Mögliche nicht aus den Augen zu verlieren. Deshalb wird es für die FDP keine Experimente mit der Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft und ihrer Wirtschaft geben. Überlastungen des einzelnen und des Gemeinwesens führen letztlich nur zu Dauerschäden.
Es wäre dabei wünschenswert, wenn es dem ß. Deutschen Bundestag gelänge, wenigstens in der Deutschland- und Berlin-Politik die notwendige Gemeinsamkeit aller demokratischen Parteien herzustellen.
Ich erinnere an die gemeinsame Resolution der Bundestagsparteien vom 17. Mai 1972,
an die auch der Vorsitzende der Oppositionsfraktion angeknüpft hat. Darin ist erklärt worden, daß die Erhaltung des Friedens in Europa und der Sicherheit der Bundesrepublik zu den maßgebenden Zielen unserer Außenpolitik gehört. Damals haben wir festgestellt, daß die Verträge von Moskau und Warschau wichtige Elemente des Modus vivendi sind, den die Bundesrepublik Deutschland mit ihren östlichen Nachbarn herstellen will. Leider hat diese gemeinsame Erklärung trotz ihrer außenpolitischen Bedeutung nicht die entsprechende innenpolitische Wirkung gehabt. Es ist nicht gelungen, zu einer innenpolitischen Befriedung und zu einem Mindestmaß an politischer Gemeinsamkeit zu kommen. Der Rücktritt des damaligen Oppositionsführers, des Herrn Kollegen Barzel, war ein Alarmsignal, das CDU und CSU überhört haben und bis heute nicht hören wollen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1976 105
Hoppe
Der 8. Deutsche Bundestag wird sich in der Deutschlandpolitik aber auf Dauer keine Konfrontation leisten können, wenn die Sache nicht Schaden nehmen soll. Es geht dabei keineswegs um die Zustimmung der Opposition zu einer Politik, die sie nicht mitverantworten will. Andererseits muß es aber möglich sein, das Gemeinsame mehr zu betonen als das Trennende und trotz unterschiedlicher Ausgangspositionen zu einer geschlossenen Demonstration unseres politischen Wollens zu kommen.
Die Repräsentanten der politischen Parteien finden sich in regelmäßigen Abständen im „Kuratorium Unteilbares Deutschland" zusammen, um ihre gemeinsame nationale Verantwortung zu bekunden. Dort versichern sie, daß es uns in der praktischen Politik darum gehe, die Folgen der Teilung zu mildern, Verbindungen wachzuhalten und neue zu knüpfen und unbeirrt für das Ziel der freien und friedlichen-Zusammenführung der getrennten Teile Deutschlands zu arbeiten. Meine Damen und Herren, diese Bekundungen werden zu einem leeren Wortgeklingel, wenn sich die Politiker aller Parteien nicht endlich zu diesen Thesen auch in der praktischen Politik bekennen und sich damit identifizieren.
Die Politiker der Opposition weichen dieser Notwendigkeit leider bis heute aus. Zweifel an der Fähigkeit zum gemeinsamen Handeln sind allerdings berechtigt. Die jüngste Auseinandersetzung, die zwischen der CSU und dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen um die Ostpolitik entbrannt ist, macht jedenfalls besorgt. Dabei sollte es der Opposition eigentlich leichtfallen, der Berlin-Politik der Bundesregierung zuzustimmen, denn in den Grundpositionen sind wir nicht kontrovers. Die Regierungserklärung hat dies, wie mir scheint, noch einmal deutlich gemacht.
Meine Damen und Herren, wir begreifen unsere Deutschlandpolitik als realistischen Beitrag zur internationalen Friedenspolitik. Er gründet sich auf das westliche Bündnis und unsere Mitwirkung in der Europäischen Gemeinschaft. Beides sind unverzichtbare Voraussetzungen. Jeder Versuch, Spannungsherde und Konfliktfelder im Alleingang abzubauen, wäre im übrigen zum Scheitern verurteilt und würde eine Gefahr für unser Land bedeuten. Mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im Atlantischen Bündnis will die Bundesregierung im Interesse der Menschen in unserem geteilten Land ihre Entspannungspolitik fortsetzen. Sie will damit helfen, den Frieden dauerhaft zu sichern. Die Freien Demokraten werden die nüchterne und beharrliche Haltung der Bundesregierung bei ihren Bemühungen um die Durchsetzung dieser Politik mit Nachdruck unterstützen.