Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst den Mitgliedern des 8. Deutschen Bundestages für das mir durch die Wahl zum Präsidenten dieses Hauses bewiesene Vertrauen sehr herzlich danken. Ich werde mich bemühen, dieses Amt unparteiisch und gerecht auszuüben.
Mit dieser Wahl hat der Bundestag eine langjährige deutsche parlamentarische Übung bestätigt: daß der jeweils stärksten Fraktion das Recht zusteht, den Vorschlag für die Wahl des Bundestagspräsidenten zu machen.
Ihnen, verehrter Herr Alterspräsident Professor Ludwig Erhard, möchte ich danken für die Art und Weise, wie Sie diesen Wahlgang geleitet haben, und für Ihre einleitenden Worte. Sie haben, glaube ich, in uns allen die Erinnerung wachgerufen an die Jahrzehnte deutscher Politik, in der Sie für eine freiheitliche, soziale Staats- und Wirtschaftsordnung gewirkt haben — wie ich hinzufügen möchte —: außerordentlich erfolgreich.
Ein Wort besonderen Dankes möchte ich an meine Vorgängerin, Frau Annemarie Renger, richten.
Sie, verehrte Frau Renger, haben nach oft harten politischen Auseinandersetzungen immer wieder ein ruhiges und sachliches Arbeitsklima hergestellt, mit viel Takt und Einfühlungsvermögen, aber, wenn es nötig war, auch mit Energie. Sie haben darüber hinaus — wie ich meine, mit großem Erfolg -die Kontakte zwischen der Bevölkerung unseres Landes und dem Deutschen Bundestag verstärkt, indem Sie die Bürgergespräche eingeführt und regelmäßig veranstaltet haben. Sie sind die erste Frau, die Präsidentin eines deutschen Parlaments war. Ich bin ganz sicher, daß Ihrer Amtszeit noch lange und mit Achtung gedacht wird.
Ich möchte in meinen Dank die beiden scheidenden Vizepräsidenten Kai-Uwe von Hassel und Richard Jaeger einbeziehen.
Kai-Uwe von Hassel hat zunächst als Präsident dieses Hauses die Parlamentsreform in Gang gesetzt und in vielen Sitzungen als Präsident und später als Vizepräsident seines Amtes hier mit Ruhe und Würde gewaltet und das Vertrauen,
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 1. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1976 5
Präsident Carstens
das ihm von so vielen entgegengebracht wird, in jeder Hinsicht voll gerechtfertigt.
Ich möchte Richard Jaeger für die 21 Jahre danken, die er als Vizepräsident des Hauses gewirkt hat. Seine Schnelligkeit und Schlagfertigkeit haben ihm dazu verholfen, in schwierigen Debatten immer wieder den Roten Faden zu finden und durchzusetzen.
Ich beziehe schließlich in diesen meinen Dank die beiden anderen Vizepräsidenten des 7. Deutschen Bundestages, Hermann Schmitt-Vockenhausen und Frau Liselotte Funcke ein.
Ich freue mich, daß ich, falls das Hohe Haus so entscheidet, Gelegenheit haben werde, mit ihnen zusammenzuarbeiten und von ihren Erfahrungen Nutzen zu haben.
Gestatten Sie mir aber, meine Damen und Herren, daß ich in dieser Stunde den Blick noch etwas weiter zurückwende und dreier, wie ich glaube: großer Präsidenten der deutschen Parlamentsgeschichte gedenke. Ich meine Paul Löbe, Hermann Ehlers und Eugen Gerstenmaier.
Paul Löbe war zwölf Jahre Präsident des Deutschen Reichstages. Gemessen an den Auseinandersetzungen, die sich in seiner Amtszeit abspielten, muten die Debatten in diesem Hause, so leidenschaftlich sie manchmal geführt wurden, doch eher harmlos an. Denn bei den Auseinandersetzungen in diesem Deutschen Bundestag stand niemals die Existenz unseres freiheitlichen Staates, unserer Republik zur Diskussion.
Paul Löbe hat das Ansehen des Deutschen Reichstages, des frei gewählten Parlaments, verkörpert, bis Hermann Göring ihn 1932 ablöste und der Niedergang der ersten deutschen Republik begann. Ich habe an ihn eine gute Erinnerung. Die bestimmte und gelassene Art, in der er die schwierigen Sitzungen leitete, kann, glaube ich, allen seinen Nachfolgern als Vorbild dienen.
In unserer Zeit haben die beiden Bundestagspräsidenten Hermann Ehlers und Eugen Gerstenmaier durch ihre souveräne Amtsführung, aber vielleicht mehr noch durch große, richtungweisende Reden zu grundsätzlichen Fragen auf die geistige und politische Entwicklung in unserem Land eingewirkt.
Wenden wir einen Blick in die Zukunft. Ich denke, wir werden alle darin übereinstimmen, daß Freiheit und Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit die großen Leitmotive aller staatlichen und politischen Tätigkeit in Deutschland sein müssen. Der Deutsche Bundestag ist der sichtbarste Ausdruck des Freiheitswillens des deutschen Volkes. Seine Mitglieder werden in freien Wahlen gewählt, die Debatten hier sind frei, die Abgeordneten sind — so heißt es in Art. 38 des Grundgesetzes — an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Ich meine, daß das die Magna Charta des deutschen Parlaments ist.
Zugleich hat sich dieses Hohe Haus in seinen besten Stunden zum Anwalt der Unterdrückten in allen Teilen der Welt, nicht zuletzt im anderen Teil Deutschlands gemacht. Mehr und mehr hat sich in unserer Bevölkerung die Überzeugung gefestigt, daß im Deutschen Bundestag das ganze deutsche Volk und alle seine Gruppen vertreten sind und ihre legitimen Sprecher finden: Arbeitnehmer wie Unternehmer, Bauern wie Beamte, Soldaten, Lehrer, Schüler, Studenten und Professoren, freie Berufe, Rentner, alte Menschen, Hilfsbedürftige und Leidende. Sie alle sollten wissen, daß der Deutsche Bundestag ihre Sorgen, ihre Nöte, ihre Erwartungen ernst nimmt und daß sie in diesem Hohen Hause ihrenvon ihnen selbst gewählten — Anwalt haben.
Bei allen unseren Debatten sollten wir uns der Tatsache bewußt sein, daß das hier Gesagte im anderen Teil Deutschlands gehört und mit großer Anteilnahme verfolgt wird, von jenen Deutschen, von denen das Grundgesetz sagt, daß es ihnen versagt war, an der Herstellung unserer freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung mitzuwirken. Wir sollten nie vergessen, daß unsere Debatten das Gefühl der Verbundenheit aller Deutschen miteinander entweder fördern und stärken oder auch schwächen können. Und wir sollten uns bemühen, dahin zu wirken, daß, was immer an Impulsen aus diesen Debatten hervorgeht, den Willen im deutschen Volke stärkt, seine Einheit in Frieden wiederherzustellen.
Wir denken in dieser Stunde an Berlin, das mit uns durch vielfältige wirtschaftliche, rechtliche, geistige und politische Bande verbundene Berlin. 22 Berliner Abgeordnete gehören diesem Hause an. Wir sollten alle Kräfte daran setzen, das im Viermächteabkommen klar genannte Ziel zu verwirklichen, nämlich innerhalb des dort gesetzten Rahmens die Bindungen Berlins mit der Bundesrepublik zu erhalten und zu entwickeln.
Es ist mein Wunsch, daß die Debatten, die in der 8. Legislaturperiode geführt werden, bei aller notwendigen Leidenschaft der Auseinandersetzung, bei aller Härte der Diskussion, wenn die Standpunkte voneinander abweichen oder aufeinanderprallen, doch niemals den Eindruck verwischen, daß wir alle ein Ziel im Auge haben, nämlich — ich sage es noch einmal — Freiheit, Gerechtigkeit — insbesondere soziale Gerechtigkeit —, Einheit, Frieden und Sicherheit für unser Vaterland.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum Punkt 5 unserer Tagesordnung:
Wahl der Stellvertreter des Präsidenten.
Zwischen den Fraktionen besteht Einverständnis darüber, daß vier Stellvertreter gewählt werden sollen. Dafür liegen die folgenden Vorschläge vor. Die Fraktion der SPD schlägt für die Wahl zum Vizepräsidenten die Abgeordneten Frau Renger und
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Präsident Carstens
Dr. Schmitt-Vockenhausen vor, die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Stücklen und die Fraktion der FDP die Abgeordnete Frau Funcke.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Vorschläge gehört. Gibt es andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll in diesem Falle wie in allen früheren Wahlperioden auf die Wahl mit verdeckten Stimmzetteln verzichtet und über alle Vorschläge gemeinsam abgestimmt werden. — Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann stelle ich das Einverständnis mit diesem Verfahren fest.
Meine Damen und Herren, ich bitte nun diejenigen, die die vorgeschlagenen Kandidaten wählen wollen, um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann sind die vier Vizepräsidenten einstimmig gewählt.
Ich frage die Gewählten, ob sie die Wahl annehmen, zunächst Frau Abgeordnete Renger: Nehmen Sie die Wahl an?