Rede:
ID0724108800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 241. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 16929 A Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der Gewerbeordnung — Drucksache 7/5142 — Kleinert FDP . . . . . . . . . . . 16929 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 (Haushaltsgesetz 1976) — Drucksachen 7/4100, 7/4629 —, Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksache 7/5036 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 7/5054 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksache 7/5056 — Liedtke SPD 16930 A Dr. Dregger CDU/CSU 16933 C Kleinert FDP 16945 B Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 16949 D, 16979 A Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 16959 D Dr. Schäfer (Tübingen) SPD 16965 C Dr. Wendig FDP 16969 B Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . . . 16974 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksache 7/5037 — Simon SPD 16983 A Dürr SPD 16984 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU . . . 16987 C Engelhard FDP . . . . . . . . . . 16993 B Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . 16997 C Schmidt, Bundeskanzler . . . 17002 C, 17018 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Dr. Wallmann CDU/CSU . . . . . . . 13011 D Spitzmüller FDP . . . . . . . . . . 17015 D Wehner SPD . . . . . . . . . . . 17016 C Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 17017 A Frau Funcke, Vizepräsident . . . . . . 17011 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 7/5040 — Löffler SPD . . . . 17019 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 17019 C Peters (Poppenbüll) FDP . . . . . . 17022 A Ertl, Bundesminister BML . . . . . . 17023 A Dr. Ritz CDU/CSU . . . . . . . . 17026 D Gallus FDP 17029 B Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 7/5046 — 17029 C Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 7/5047-17029 C Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 7/5049 — 17029 D Nächste Sitzung 17029 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17031* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 16929 241. Sitzung Bonn, den 12. Mai 1976 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Achenbach * 14. 5. Adams * 14. 5. Dr. Aigner * 14. 5. Dr. Artzinger * 14. 5. Dr. Bangemann * 14. 5. Dr. Bayerl * 14. 5. Behrendt * 14. 5. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 14. 5. Blumenfeld * 14. 5. Frau von Bothmer ** 13. 5. Prof. Dr. Burgbacher * 14. 5. Christ 12. 5. Dr. Enders ** 13. 5. Dr. Eppler 12. 5. Entrup 14. 5. Fellermaier * 14. 5. Flämig * 14. 5. Frehsee * 14. 5. Dr. Früh * 14. 5. Gerlach (Emsland) * 14. 5. Gewandt 14. 5. Härzschel * 14. 5. Hussing 21.5. Dr. Jahn (Braunschweig) * 14. 5. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kempfler 14. 5. Dr. Klepsch * 14. 5. Krall * 14.5. Dr. Kreile 12. 5. von Kühlmann-Stumm 12. 5. Lange * 14. 5. Lautenschlager * 14. 5. Lenzer ** 13. 5. Lücker * 14. 5. Memmel * 14. 5. Mick 14. 5. Müller (Mülheim) * 14. 5. Müller (München) ** 13. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 14. 5. Dr. Narjes 14. 5. Pfeifer 12. 5. Rosenthal 14. 5. Seibert 21. 5. Schmidt (München) * 14. 5. Dr. Schulz (Berlin) * 14. 5. Schwabe * 14. 5. Dr. Schwörer * 14. 5. Seefeld * 14. 5. Springorum * 14. 5. Dr. Starke (Franken) * 14. 5. Suck' 14. 5. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 21. 5. Walkhoff * 14. 5. Walther 14. 5. Frau Dr. Walz * 14. 5. Dr. Warnke 14. 5. Wende 21.5. Zeyer 14. 5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Paul Heinrich Simon


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nur wenige Bemerkungen zum Einzelplan 07 machen.
    Nach den abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß sind für den Einzelplan 07 Gesamtausgaben in Höhe von 274,1 Millionen DM veranschlagt. Die Einnahmenseite ist mit 119,6 Millionen DM veranschlagt. Die Ausgabenseite beinhaltet eine Steigerung von 11 Millionen DM. Das sind gegenüber den Ausgaben für 1975 4,2% mehr.
    Trotz der äußerst begrenzten Dispositionsmöglichkeiten, die in einem solchen Personalhaushalt bleiben, konnten bei zahlreichen Positionen wieder Kürzungen erreicht werden. Der Geschäftsbereich umfaßt ja 5 000 Stellen. 90 % der Gesamtausgaben sind Personal- oder personalabhängige Sachausgaben. So wird im Haushalt 1976 erneut das Bild der bescheidenen, traditionell sparsamen Justiz deutlich.
    Bei einem Teil der Ausgaben mochte die Mehrheit des Ausschusses allerdings doch etwas zulegen, und zwar beim Titel 531 01 — Unterrichtung der Bevölkerung über Maßnahmen auf dem Gebiete des Rechtswesens. Die Regierung ist in ihrem Entwurf davon ausgegangen — auch die Mehrheit des Ausschusses geht davon aus —, daß — ausdrücklich für das Jahr 1976 begrenzt — zu den Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit eineinviertel Millionen DM zugelegt werden sollten, um einmalig in diesem Jahr — der Bevölkerung das neue Ehe- und Familienrecht in einer verständlicheren Sprache beizubringen, als es der Text eines Gesetzes möglich machen kann.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Untauglicher Versuch!)

    Hilfsweise stellte die Opposition damals, nachdem sie dieses ablehnte, doch den Antrag, man möge diese eineinviertel Millionen DM wenigstens kw stellen. Die Mehrheit des Ausschusses ist dem gefolgt. Auch der Minister hat seine Zustimmung gegeben. Leider hat aber die Opposition dann trotzdem gegen diesen Titel gestimmt.
    Ich meine, es ist notwendig, daß ein Gemeinwesen Anspruch auf verständliche und überschaubare Gesetze erhält. Ich darf an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1966 erinnern, in dem ausdrücklich bestätigt worden ist, daß zu den Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit alle Ausgaben gehören, die für die Darlegung und Erläuterung der Regierungspolitik, ihrer Maßnahmen und Vorhaben sowie der künftig zu lösenden Fragen notwendig sind.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Und der Glorifizierung der Minister!)

    Wenn man noch dazu berücksichtigt, Herr Kollege Vogel, daß ja nur 1,2% der gesamten Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit dieser Regierung auf den Justizetat entfallen, dann, glaube ich, dokumentiert sich auch hier wieder die Sparsamkeit der Justiz.
    Lassen Sie mich dann noch auf einige Schwerpunkte hinweisen. Im Haushalt des Ministeriums sind erneut Mittel veranschlagt, mit denen aktuelle Gesetzgebungsvorhaben und Reformaufgaben speziell gefördert werden. Auch hier hat der Ausschuß den Ansatz etwas gekürzt: von 1,6 Millionen DM auf 1,525 Millionen DM. Dieser Ansatz dient vor allem weiter vorbereitenden und begleitenden wissenschaftlichen Untersuchungen, insbesondere um Rechtstatsachen zu ermitteln und auszuwerten und die damit notwendigen Grundlagen für die Gesetzgebungsarbeit des Hauses zu schaffen. Dabei liegt das wesentliche Gewicht, soweit wir das im Haushaltsausschuß erkennen konnten, etwa bei folgenden Bereichen: Verbesserung des Verbraucherschutzes; Modernisierung und Verbesserung des Wirtschaftsstrafrechts zur wirksameren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität; Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts und des Urhebervertragsrechts; Reform des Staatshaftungsrechts.
    Die Arbeiten am Aufbau des automatisierten juristischen Informationssystems werden zunächst im Rahmen eines Entwicklungssystems zügig fortgesetzt. Einbezogen sind die Bereiche Steuerrecht, Sozialrecht und neuerdings auch Teile des Zivilrechts. Seit kurzer Zeit steht dafür eine eigene Datenverarbeitungsanlage zur Verfügung, die, wie wir hörten, in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Fachressorts, nämlich dem BMF und dem BMA, sowie den obersten Bundesgerichten und den Justizverwaltungen der Länder intensiv genutzt wird.
    Der Aufbau des Bundeszentralregisters in Berlin wird zügig fortgesetzt. Ein paar Zahlen dazu. Der jetzige Stand: 3 400 000 erfaßte Personen. Der Endstand sollte etwa bei 6 Millionen Personen liegen. Zur Zeit erfaßte Eintragungen: 6 800 000. Der Endstand soll bei etwa 12 Millionen liegen. Täglich werden derzeit etwa 10 000 bis 12 000 Neueintragungen durchgeführt. Nach Fertigstellung des Registers werden täglich etwa 7 000 neue Eintragungen erfolgen. Heute schon kommen täglich 7 000 Anfragen an das Bundeszentralregister. Im Endausbauzustand werden es etwa 35 000 sein.
    Auch das Gewerbezentralregister ist fast in voller Tätigkeit. Dort hat man schon 500 000 erfaßte Personen. Täglich werden 500 Neueintragungen vorgenommen; täglich erreichen das Gewerbezentralregister 1 000 Anfragen.
    Im Haushalt des Deutschen Patentamts — ein Schwerpunkt dieses Justizhaushaltes — zeigt sich seit einigen Jahren, daß die Ausgaben für die Patentbehörden deren Gebühreneinnahmen weit übersteigen, und zwar mit sehr stark steigender Tendenz. Bereits bei der Haushaltsberatung 1975 hat der Haushaltsausschuß das Justizministerium gebeten, eine neue Gebührenordnung zu erarbeiten. Er drängt also seit langem auf einen Ausgleich beim Deutschen Patentamt zwischen den Einnahmen und den Ausgaben. Wie Sie wissen — besonders die Damen und Herren des Rechts- und Haushaltsausschusses , ist der Regierungsentwurf bereits in der parlamentarisichen Beratung. Der Rechtsausausschuß hat vor wenigen Tagen sein Votum dazu gegeben, so daß zu erwarten ist, daß dieser Gesetzentwurf in Bälde abschließend in zweiter und dritter Lesung behandelt werden kann.
    Nun noch eine Bemerkung zum Europäischen Patentamt in München. Die Bauarbeiten für das Dienst-



    Simon
    gebäude in München sind im Gange. Dieses Gebäude soll im endgültigen Ausbau 1 500 europäische Bedienstete aufnehmen. Im übrigen sind die technischen und organisatorischen Vorbereitungen für diese erste große internationale Behörde, die die Bundesrepublik beherbergen wird, so weit vorangetrieben worden, daß die Eröffnung des Amtes und die Entgegennahme erster europäischer Patentanmeldungen gegen Ende 1977 möglich sein werden. Mittel für den deutschen Anteil an den Kosten der Vorlaufphase sind im Haushalt 1976 enthalten.
    Abschließend verbleibt mir nur, Ihnen, sehr verehrter Herr Minister Dr. Vogel, herzlich für die von Ihnen jederzeit gezeigte Bereitschaft zu danken, uns bei unserer Arbeit im Bereich dieses Etats Hilfestellung zu leisten. Ich möchte aber auch Ihrem Haushaltsreferenten und seinen Mitarbeitern herzlich danken. Wir haben jede von uns erbetene Zuarbeit schnell und in konsequenter und sachgerechter Weise erhalten.
    Als am Ende dieser Legislaturperiode aus dem Parlament ausscheidender Abgeordneter möchte ich ein persönliches Wort anfügen. Ich danke auch den Damen und Herren aus dem Sekretariat des Haushaltsausschusses herzlich für ihre jederzeit bereitwillig geleistete Hilfe, die wir von ihnen verlangten. Ich danke auch für die vielen Überstunden, die sie auf Grund unserer Tätigkeit leisten mußten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege, ich möchte Ihnen, der Sie ausscheiden, einen besonderen Dank dafür aussprechen, daß Sie diesen Bericht hier noch vorgelegt haben. Das ganze Haus hat Ihnen diesen Dank, wie ich glaube, soeben bekundet.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hermann Dürr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reformgesetze, die wir seit 1969 verwirklicht haben oder in den nächsten Monaten noch in das Bundesgesetzblatt bringen wollen, beruhen auf der gedanklichen Vorarbeit sozialdemokratischer Rechtspolitiker aus einer Zeit, bevor die SPD den Bundeskanzler stellte. Stellvertretend für alle sei hier der Name von Adolf Arndt genannt. Diese Vorarbeit ist die erste Grundlage unserer Reformen. Den gedanklichen Vorsprung aus der Zeit der 60er Jahre haben die Rechtspolitiker der CDU bis heute nicht aufgeholt, und von denen der CSU rede ich hier vorsichtshalber überhaupt nicht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es war leicht, Konsens über unsere Vorstellungen mit unserem Koalitionspartner FDP herzustellen, denn gerade in der Rechtspolitik besteht die sozialliberale Koalition in der parlamentarischen Arbeit nicht erst seit dem Jahre 1969. Das ist die zweite Grundlage unserer Reformen.
    Im Grunde konnte die Opposition die vielen Reformnotwendigkeiten nicht bestreiten. Diese Einsicht machte sich durch sachliche und hilfreiche Mitarbeit einiger Unionsabgeordneter in den Ausschüssen deutlich. Es waren nicht immer diejenigen, die die fernsehwirksamen Reden im Plenum des Bundestages halten durften. Im Bundestagsplenum und bei anderen öffentlichen Veranstaltungen hatte die Opposition folgenden Grobraster. Bei Gesetzen, die die CDU/CSU ablehnen wollte, wurde von der Opposition behauptet, sie würden hastig, ja, hektisch durchgepeitscht.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Das stimmt ja auch!)

    Gelegentlich entartete die nach draußen gerichtete Argumentation der Opposition ins Maßlose. Die Opposition behauptete, das Erste Eherechtsreformgesetz sei männerfeindlich, frauenfeindlich, kinderfeindlich, volksfeindlich — und das bei einem Gesetz, dem nach einigen im Vermittlungsausschuß vorgenommenen Schönheitsreparaturen mehr als die Hälfte der Oppositionsabgeordneten ihre Zustimmung gaben. Stimmte die CDU/CSU den Regierungsentwürfen zu — und das war zuallermeist der Fall —, dann hörte es sich ganz anders an. Dann wurde nicht behauptet, die Gesetze seien mit Hektik durchgepeitscht worden. Dann hieß es etwa: „Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Annahme als Kind erfüllte der Deutsche Bundestag zwar spät, aber immerhin noch in dieser Legislatur. periode eine langjährige Forderung der CDU/CSU-Fraktion."

    (Zustimung bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie haben ja fünf Jahre zur Vorbereitung gebraucht!)

    Der Opposition fehlte es an jeder rechtspolitischen, Konzeption. Gelegentlich mußte sie sogar warten, bis die Leitlinien der Rechtspolitik aus Mainz oder München nach Bonn durchgegeben wurden. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie wisse nicht recht, ob gerade Mainz oder München zuständig sei. Zwischendurch lehnte sie das eine oder andere Gesetz ab, ohne aber selber Änderungsanträge zu stellen, etwa nach dem Motto: Ich sage es meinem großen Bruder; der hat in Mainz eine Staatskanzlei; der besorgt es euch dann im Bundesrat.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Jetzt haben wir schwäbisches Theater!)

    In den letzten Jahren war erfreulicherweise auch bei Teilen der politischen Opposition von der Verwirklichung der Chancengleichheit als einer vom Staat zu bewältigenden Aufgabe die Rede. Es gibt freilich auch andere Stimmen; die machen in Baden-Württemberg und offensichtlich jetzt auch im Bund die demagogische Parole „Freiheit oder Sozialismus" zum Wahlkampfslogan. Das sind dieselben Leute, die uns weismachen wollen, daß Rechtsstaat und Sozialstaat Gegensätze seien und der Ruf nach Chancengleichheit nur als Vorwand diene, um Bürgerfreiheiten zu beschneiden.
    Nun sehen uns bekanntlich immer diejenigen auf dem Weg zu einem freiheitsfeindlichen Kollektivismus, die bereits alles haben, was sie zur Entfaltung ihrer persönlichen Freiheiten benötigen, und die deshalb für sich und großzügig auch für andere auf Schutz und Hilfe des Staates verzichten. Diese Leute reden von Freiheitsverlust und sehen das Recht



    Dürr
    verletzt, auch wenn es ganz schlicht um den überfälligen Abbau von Privilegien geht. Sie sprechen dort von Bevormundung des Bürgers, wo es sich nur darum handelt, ihm erst einmal die Möglichkeit zu geben, seine Freiheit im Alltag zu gebrauchen. Gewiß sind nicht alle gleich leistungsfähig und gleich begabt, aber der Grundsatz, daß alle von der gleichen Linie aus starten, sollte nicht nur im Sport gelten. Wir wollen jedem die Chance geben, das zu erreichen, was unsere Gesellschaft ihm heute schon gewähren kann. Hierfür bedurfte es insbesondere der Reform des Rechts.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Deshalb stand 1969 im Regierungsprogramm: Der Numerus clausus wird abgeschafft!)

    Der Bürger interessiert sich heute mehr denn je für sein Recht, und zwar nicht nur für das Recht, das heute gilt, sondern auch dafür, wie es sein könnte und sollte. Er fordert mit Grund ein Recht, das nicht erhaben in den Sternen steht, sondern denen fühlbar Hilfe gewährt, die der Hilfe im Alltag bedürfen. Nur eine solche Rechtsordnung kann er als sein Recht akzeptieren.
    Daraus folgt die große Bedeutung der Rechtspolitik. Sie muß dem sozialen Rechtsstaat, dessen Verwirklichung das Grundgesetz von uns allen fordert, auch im Alltag formen und durchsetzen.
    Die CDU hat einen Kongreß über das Thema „Recht sichert Freiheit" abgehalten.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Er ist hervorragend gelaufen!)

    Dieser Kongreß ist im Zusammenhang mit den heute gehaltenen Reden der Herren Dregger und von Weizsäcker zu sehen.

    (Vereinzelter Beifall bei der CDU/CSU)

    Was da zur Freiheit gesagt wurde, darüber wollen wir einmal eine kleine, unvollständige Blütenlese halten.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Haben Sie Herrn Schäfer gehört?)

    Einerseits hielt der baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger den Vertretern „jedes Sozialismus, auch des sogenannten demokratischen", entgegen:
    Ihrer neuen Freiheit setzen wir unsere alte Freiheit entgegen. Die Zukunft der Freiheit . . . ist zugleich die Vergangenheit der Freiheit.
    Andererseits führte sein Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat Kohl aus:
    Für uns gibt . . . es . . . kein Primat der Vergangenheit. Wir sind keine Traditionalisten, die in der Zukunft keine anderen Möglichkeiten sehen als die Fortschreibung der Vergangenheit. Die Dynamik unseres Staates und unserer Gesellschaft läßt einen solchen Standpunkt gar nicht zu.
    Einerseits kritisierte Herr Kollege Friedrich Vogel „die Forderung nach gezieltem Einsatz der Rechtspolitik als Instrument der Gesellschaftsveränderung" und fuhr fort:
    Gerade weil wir um die Gestaltungsfunktion und die Gestaltungswirkung des Rechts wissen, leisten wir an diesem Punkt entschiedenen Widerstand.
    Andererseits sprach Herr von Weizsäcker heute morgen von der Freiheit als Gabe und Aufgabe der Selbstverantwortung und Mitverantwortung.

    (Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU] : Wo ist denn da der Widerspruch?)

    — Ich will Ihnen eines sagen: Das macht deutlich, daß bei Ihrer Semantik eine Weiterentwicklung, die Sie für notwendig ansehen, Weiterentwicklung der Gesellschaft ist, während eine Weiterentwicklung, die Sie für falsch halten, bei Ihnen Gesellschaftsveränderung ist, auch wenn beide das gleiche wollen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sozialismus wollen wir halt nicht! Das ist doch ganz einfach!)

    — Da gestatten Sie mir, daß ich Herrn Kollegen Klein zitiere:
    Die soziale Demokratie oder der demokratische Sozialismus, deren Ziel es ist, die Spannung von Freiheit und Gleichheit . . . aufzuheben, geben die Freiheit, die wir meinen, preis.
    Darin steht mehr als in dem Satz, daß Sie den Sozialismus nicht wollen. Das zu sagen gestehe ich Ihnen doch jederzeit zu. Bloß wenn man einen Pachtanspruch erhebt, fängt es an, schwierig zu werden.
    Herr von Weizsäcker hat heute morgen viele Sätze über die Freiheit gesprochen, wo einem Freien Demokraten oder einem Sozialdemokraten die Zustimmung leichtfällt. Lesen Sie aber einmal im Protokoll seine drei letzten Sätze nach. Da hat er, der sicher ein Landgut pachten kann, versucht, die nicht pachtbare Freiheit für sich und seine Parteifreunde zu pachten. Da fängt es an, schwierig und problematisch zu werden. Da wird das, was in den letzten drei Sätzen steht, einfach falsch. Ich hoffe und bin sicher, daß die von ihm in den letzten drei Sätzen gemachte Voraussage des Wahlergebnisses von den Wählern eben nicht so honoriert wird, wie er es vorauszusagen beliebte.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Siehe Baden-Württemberg!)

    Noch eines. Wenn Sie über Freiheit reden, warum suchen Sie dann nach neuen Formen? Bevor die CDU eine nächste Konferenz etwa über die neue Frage der Freiheit kreiert, sei ihr angeraten, auch zum Problem der Freiheit ein altes Wort, hier das des konservativen Lorenz von Stein zur Kenntnis zu nehmen. Es lautet:
    Die Freiheit ist eine wirkliche erst in dem, der die Bedingungen derselben, die materiellen und geistigen Güter, als die Voraussetzungen der Selbstbestimmung, besitzt.
    Ich hoffe, dazu können wir alle miteinander ja sagen.
    Packen wir das Problem unserer Rechtspolitik und der Freiheit von einer anderen Seite an! Herr Kol-



    Dürr
    lege Vogel warf auf dem rechtspolitischen Kongreß in Karlsruhe der Koalition und ihrer Rechtspolitik eine falsch verstandene Liberalität vor, der es in erster Linie um die „Freiheit wovon", um die angebliche Befreiung aus institutionellen Bindungen und Bevormundungen geht, weniger dagegen um die „Freiheit wozu".

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Richtig!)

    In der Tat war für Sozialdemokraten und ihre Rechtspolitik seit 1969 bereits Maßstab, was für die CDU erst Wahlprogramm 1976 werden soll. Ich zitiere aus dem Entwurf:
    Wir wollen das Glück des Menschen, nicht die Zwangsbeglückung des Staates. Wer dem Menschen alle Verantwortung abnimmt, nimmt ihm auch die Freiheit.
    Für uns Sozialdemokraten ging es bei unserer Rechtspolitik in dieser Perspektive auch um die „Freiheit wovon". Freiheit bedeutet für uns auch frei sein von entwürdigenden Abhängigkeiten.
    So hatten beispielsweise SPD und FDP bei der Reform des § 218 in Beachtung der jetzt auch von der CDU beschworenen Selbstverantwortung des Menschen eine Lösung gesucht und in den durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gezogenen Grenzen auch gefunden, in der der Schutz des werdenden Lebens weniger durch eine Strafandrohung als durch Rat und Hilfe für die betroffenen Frauen gewährleistet wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das erste war aber verfassungswidrig, was Sie vorgelegt haben!)

    Bei der Reform des Scheidungsrechts wurde durch den Übergang vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip die Ehe als personale Lebensgemeinschaft anerkannt, deren Eigenart und deren höchstpersönlicher Charakter es dem Staat verbieten, sie mit Zwangsmaßnahmen auch dann noch aufrechterhalten zu wollen, wenn eine wirkliche Ehe überhaupt nicht mehr besteht. Während die CDU von Frauenfeindlichkeit, Männerfeindlichkeit, Kinderfeindlichkeit und Volksfeindlichkeit des neuen Eherechts sprach, haben wir bei unserer Reform die Selbstverantwortlichkeit der Ehepartner ernst genommen. Sowohl bei der Wahl des Ehenamens als auch bei der Regelung der Aufgabenverteilung in der Ehe hat das neue Eherecht staatliche Bevormundung durch die Notwendigkeit eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens der Ehegatten ersetzt. Gleichzeitig zeigt es sich gerade bei der Reform des Eherechts, daß für uns Sozialdemokraten die freie Entfaltung der Persönlichkeit untrennbar mit sozialer Inpflichtnahme verbunden ist.
    Ich zitiere jetzt aus unserem Entwurf eines Regierungsprogramms:
    Nur eine Politik der Solidarität und der Gerechtigkeit bringt jedem Bürger wirkliche Freiheit. Soziale Sicherheit geht nicht auf Kosten der Freiheit, im Gegenteil, soziale Sicherheit schafft Freiheit für den Menschen.

    (Beifall bei der SPD)

    So erwirbt durch die Regelung des Versorgungsausgleichs die Frau erstmals im Falle der Scheidung auch dann einen selbständigen Versorgungsanspruch, wenn sie ihre ganze Kraft dem Haushalt gewidmet hat und deshalb nicht berufstätig war. Eine Zielvorstellung, für die Frauen seit Jahrzehnten kämpfen, nämlich die Gleichbewertung der Arbeit im Haushalt und der Kindererziehung, ist damit in einem ersten Teilabschnitt verwirklicht worden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben in der Rechtspolitik durch Ausbau des sozialen Rechtsstaats mehr Freiheit für den Bürger geschaffen. Ich erwähne nur die Reform des Mietrechts, deren Erfolg sich übrigens allein schon aus der sinkenden Zahl von Mietprozessen ablesen läßt. Die Freiheit des vertragstreuen Mieters von der Furcht, seine Wohnung zu verlieren, wurde vergrößert, und gleichzeitig wurden die berechtigten Belange der Hausbesitzer gewahrt. Ich nenne ferner die verschiedenen Verbesserungen des Verbraucherschutzes, auf die an anderer Stelle in dieser Debatte eingegangen wird.
    Genau wie die Gleichstellung des nichtehelichen mit den ehelichen Kindern bringt auch das neue Recht der Annahme als Kind mehr soziale Sicherheit und damit mehr Freiheit. Einem Kind, das sonst dazu verurteilt wäre, als Heimkind aufzuwachsen, wird so die Möglichkeit gegeben, in der Nestwärme eines gesunden Zuhause, in einer Familie tatsächlich und rechtlich gleich günstige Lebensverhältnisse vorzufinden wie andere Kinder. Dann hat es mehr Chancengleichheit, dann hat es Anspruch auf eine Erziehung und Bildung, auf Grund derer es seine Persönlichkeit und seine Anlagen freier entfalten kann. Dann hat es, kurz gesagt, mehr Freiheit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der gleiche Ausbau der Freiheit des Bürgers läßt sich bei unseren Reformen im Recht der Wirtschaft nachweisen, die die Stärkung und Sicherung des Wettbewerbs zum Ziel hatten, wobei der Reform des Kartellgesetzes besonderes Gewicht zukommt. Derselbe Gedanke leitete uns bei der gesetzlichen Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten. Diese Regelung brachte mehr Freiheit für die Journalisten, aber auch mehr Informationsfreiheit für uns alle. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten darüber nachdenken, ob es nicht symptomatisch war, daß Sie gerade diesem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung verweigert haben.
    Niemand sage, dieser Ausbau der Freiheit des Bürgers in der Mitverantwortung sei auf Gesetzentwürfe beschränkt, die im Bundesjustizministerium gefertigt wurden. Mehr Freiheit durch mehr Mitverantwortung im sozialen Rechtsstaat kennzeichnet z. B. auch die Reform des Betriebsverfassungsrechts und das Gesetz über die Mitbestimmung. Wer Wert darauf legt, möglichst im Rahmen der von der Geschäftsordnung vorgesehenen Redezeit zu bleiben, hat es schwer, allein bei der Aufzählung der wichtigsten Rechtsreformen Vollständigkeit zu erreichen.
    Wir können damit meine ich auch die Opposition — stolz sein auf die Verbesserungen im Straf-



    Dürr
    recht, mit denen wir neuen Formen der Kriminalität wie Luftpiraterie und Geiselnahme wirksam entgegengetreten sind. Ich erhoffe mir auch Konsens bei der Verabschiedung des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, weil ich meine, wir alle sollten uns darüber einig sein, daß ein Mensch, der durch Subventions- oder Erstattungsbetrug der öffentlichen Hand widerrechtlich Gelder entzieht, die dann beim Bau von Schulen oder Kindergärten fehlen, weit sozialschädlicher handelt als ein kleiner Gauner, der meint, seinen Weihnachtsbaum im Wald stehlen oder ein mit dem Auto totgefahrenes Reh in den Kofferraum packen zu müssen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Obwohl die CDU/CSU dem Vorschlag ihres Arbeitskreises „Innen- und Rechtspolitik", dem Strafvollzugsgesetz zuzustimmen, nicht gefolgt ist, appelliere ich an die Rechtspolitiker aller Fraktionen, es nicht dabei zu belassen, daß unser Strafvollzug nach mehr als hundertjährigem Bemühen auf eine bundeseinheitliche, dem Grundgesetz entsprechende Grundlage gestellt wurde und daß die Strafgefangenen in die Arbeitslosenversicherung einbezogen worden sind. Wir haben einen Schritt gemacht, der dazu führen soll, mehr Menschen von der schiefen Ebene des immer wieder rückfällig werdenden Straftäters herunterzuholen. Aber wir haben bei den Maßnahmen, die Geld kosten, einen Abstrich nach dem anderen machen müssen. Diese Abstriche sind von harten wirtschaftlichen Fakten erzwungen worden. In der Zeit des Aufschwungs sollten wir unsere guten Vorsätze bezüglich des Arbeitsentgelts und der Einbeziehung der Strafgefangenen in die Sozialversicherung ebensowenig vergessen wie den Ausbau der Sozialtherapie im Rahmen des Strafvollzugs.
    Wir haben auf diesem Gebiet noch ein großes Reformdefizit. Daran sollten Politiker aller Parteien in Bund und Ländern auch in Zeiten des Wahlkampfes denken. Wir sind allen gesellschaftlichen Kräften, den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, vielen Journalisten in Presse, Rundfunk und Fernsehen, sehr dankbar, wenn sie in der Öffentlichkeit für die an sich nicht populäre Notwendigkeit der Strafvollzugsreform werben und uns auf diese Weise helfen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Rechtspolitik dieser Legislaturperiode kann sich sehen lassen. Dafür gebührt unser Dank den Bundesjustizministern Gerhard Jahn und Hans-Jochen Vogel und deren Mitarbeitern,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    den Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten, Notaren und vielen anderen, denen wir beim Umsetzen neuer Gesetze in die Praxis einiges an Mühe zugemutet haben. Wir danken kurz vor Ende dieser Legislaturperiode auch allen aus Wissenschaft und Praxis, die unsere Rechtspolitik mit Kritik und Anregungen begleitet haben.
    Die Rechtspolitik in dieser Legislaturperiode war sehr erfolgreich. Das muß jeder, wenn auch vielleicht widerwillig, anerkennen, der sie sachlich würdigt.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Nicht einmal widerwillig!)

    Das wird selbst derjenige nicht wegdiskutieren können, der an diese Leistungsbilanz die seit gestern öfters gebrauchte wahlkampfdemagogische Elle anlegt. Ich hoffe sehr, daß Herr Kollege Lenz als der nachfolgende Redner dieser Versuchung nicht erliegt, auch wenn meine Hoffnung nicht so weit geht, daß ich erwarte, er werde dieser von Sozialdemokraten geleiteten Rechtspolitik das übrigens durchaus zutreffende Prädikat „volksfreundlich" verleihen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)