Rede von
Kurt
Thürk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte Herrn Kollegen Metzger vorgeschlagen, daß wir unsere Ausführungen wegen der späten Stunde reduzieren. Er sah sich mit Rücksicht auf sein Konzept dazu nicht in der Lage. Ich hatte dies zunächst bedauert, Aber, Herr Kollege Metzger, ich muß sagen, daß ich jetzt recht froh bin, daß Sie Ihre Ausführungen doch gemacht haben. Denn Sie haben sich wohltuend von einer Reihe von
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Thürk
Ausführungen abgehoben, die heute aus Ihrer Fraktion zu diesem Problemkreis gemacht worden sind.
Wir haben zur Kenntnis genommen und wir nehmen Ihnen dies auch ab, daß Sie ernsthaft bemüht waren, etwas Gutes zu schaffen. Wir sind in der Sache allerdings durch Ihren Beitrag einander nicht nähergekommen. Ich werde dies nachher noch erläutern. Eines muß ich Ihnen aber konzedieren: Was Sie hier ausgeführt haben, verriet Überlegung, Eingehen auf die Probleme und das Bemühen, etwas Gutes zu schaffen. Wenn dies nicht gelungen ist — und dies hätte gelingen können, wenn Sie auf unsere Anträge eingegangen wären —, so wissen wir aus den Ausschußberatungen, welches die ideologischen Hintergründe sind. Nachdem jetzt sämtliche Anträge der Opposition abgelehnt worden sind, — —
— Herr Kollege Emmerlich, Sie sind doch mehr von ideologischen Parteitagsbeschlüssen ausgegangen als wir. Sie wären besser von Rechtsgrundsätzen ausgegangen; danach sollten Sie sich richten.
— Aber höchstens sozialdemokratische Hühner.
Wir stehen jetzt — und dies kann man mit Fug und Recht sagen -- am Grabe eines vernünftigen, gerechten, sozial fundierten und ethisch vertretbaren Scheidungs- und Scheidungsfolgenrechts. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat sich zu keinem Zeitpunkt während der Beratungen des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts in dieser Legislaturperiode der Überlegung verschlossen,
daß eine Reihe von Vorschriften des Scheidungsrechts, aber auch des Scheidungsfolgenrechts einer Überarbeitung und Anpassung an die heutigen Notwendigkeiten bedarf. Sie hat sich allerdings dagegen gewehrt, den Gesetzentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, als Meisterleistung juristischen Denkvermögens anzuerkennen und sich den dort zum Teil niedergelegten ideologischen Grundsätzen zu unterwerfen. Vielmehr haben die Mitglieder unserer Fraktion im Unterausschuß und im Rechtsausschuß auf eine nachhaltige, bis in die Einzelheiten gehende Beratung der Vorschriften gedrungen. Sie haben keine Mühe gescheut, unausgegorene Vorschriften in anwendbare Paragraphen umzuwandeln, um das Gesetz auch für einen Nichtjuristen lesbar zu machen. Sie haben der Bundesregierung eine Fülle von Hinweisen zur Verbesserung des Gesetzestextes gegeben, was sicher nicht die primäre Aufgabe der Opposition sein kann. Kurz gesagt, die Abgeordneten der Opposition, die mit der Bearbeitung dieses Gesetzentwurfes befaßt waren, haben über den Rahmen des sonst Üblichen hinaus kooperativ und konstruktiv mit der Bundesregierung und den Mitgliedern der Koalitionsfraktionen zusammengearbeitet.
Statt dessen tauchen in der Presse gelegentlich Gerüchte auf, die Opposition verzögere mutwillig die Beratung des Ehereformgesetzes. Gewiß, wir haben Verständnis dafür, daß manche Vorschläge von uns dem ideologischen Konzept der Gegenseite nicht entsprechen.
— Sind Sie wieder da, Herr Minister?
— Nur geistig nicht! — Die Fülle der Alternativvorschläge, die wir in jeder Phase des Verfahrens gemacht haben, haben der Bundesregierung das Leben nicht gerade leichtgemacht. Wir haben natürlich auch gemerkt, daß nicht alle Mitglieder der Bundesregierung und nicht alle ihrer Beamten glücklich darüber waren, daß wir ihnen über weite Bereiche auf den Zahn gefühlt und eine Reihe von Kariesstellen bis hin zu eitrigen Wurzelentzündungen entdeckt haben. Dies gilt insbesondere für den Bereich des Versorgungsausgleichs, der völlig neu in den blauen Raum hineinkonzipiert worden ist und der an sich die sorgfältigste Beratung erfordert hätte. Gleichwohl war die Beratung für den Versorgungsausgleich besonders knapp bemessen, was diesem Teil des Gesetzes auch sehr schlecht bekommen ist.
Das Hearing mit den Sachverständigen hat eine Fülle von Ungereimtheiten zutage gefördert. Die Fassung der Gesetzesbestimmungen ist so schwerfällig, unübersichtlich und unklar, daß auch sachkundige Abgeordnete wie Sachverständige Schwierigkeiten mit den Gesetzestexten hatten. Nachdem jetzt der große Enthusiasmus, der insbesondere bei den Praktikern für eine Reform des Ehe- und Familienrechts geherrscht hatte, abgeklungen ist und einer nüchternen Betrachtungsweise Raum gemacht hat, mehren sich auch bei Anwälten und Richtern die Stimmen, die meinen, man hätte besser das vorhandene Scheidungsrecht in einigen Punkten liberalisieren und im übrigen beim alten System bleiben sollen. Welche Beurteilung man auch endgültig abgeben mag, eines dürfte klargeworden sein: Das heute herrschende Schuldprinzip hat sicher eine Reihe schwerwiegender Mängel, ist aber nicht so schlecht wie sein Ruf. Das in Zukunft geltende Zerrüttungsprinzip kann die hohen Erwartungen, die an es gestellt werden, nicht erfüllen. Es birgt ebenfalls eine Reihe von Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten und wird manche Enttäuschung bei den Betroffenen verursachen. Gleichwohl vermeidet es für die Praxis in vielen Fällen unglückliche Anknüpfungen an Äußerlichkeiten und angebliches Verschulden.
Es sollte hier die Überlegung gestattet sein, daß das Zerrüttungsprinzip den Fällen am meisten gerecht wird, in denen die Scheidung auf einem allmählichen Abnutzungs- und Verschleißprozeß der ehelichen Gesinnung beruht und eine Fülle von kleineren oder schwerwiegenderen Vorfällen die eheliche Lebensgemeinschaft ausgehöhlt hat. In diesen Fällen nach dem Verschulden des einen oder
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anderen zu suchen, das angeblich oder wirklich die auslösende Ursache für die Scheidungsklage war, hat der gerichtlichen Praxis immer Schwierigkeiten bereitet und letztlich auch zu unbilligen Ergebnissen geführt. Die Schuld oder teilweise Schuld wurde dann dem Ehegatten aufgebürdet, der den Schlußpunkt durch eine dem Wesen der Ehe abträgliche Verhaltenweise gesetzt hat, für die beide Ehegatten jedoch die Ursachen begründet hatten.
Das Schuldprinzip hingegen führt zu gerechteren Ergebnissen in den Fällen, in denen ein Ehegatte ohne entscheidende Mitwirkung des anderen durch eklatantes Fehlverhalten oder durch rücksichtsloses, egoistisches Benehmen die Ehe in mutwilliger Weise aufs Spiel gesetzt hat. Es widerspricht dem Gerechtigkeitsgefühl des Bundesbürgers, daß sich dieser Ehegatte nach dem neuen Recht sogar noch die Vorteile durch sein Fehlverhalten sichern kann.
Da eine gemischte Anwendungsweise von Schuld-und Zerrüttungsprinzip nach unserem Rechtsdenken schwerlich möglich ist, hat sich die Opposition der Weg angeboten, im Grundsatz zwar dem Zerrüttungsprinzip zuzustimmen, jedoch zu vermeiden, daß das Prinzip nach echt deutscher Manier zu Tode geritten wird. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat deshalb in allen Phasen des Verfahrens darauf gedrungen, daß Billigkeits- und Härteklauseln in das Gesetz eingefügt werden, die dem Richter die Möglichkeit geben, die Entscheidungen dem konkreten Einzelfall anzupassen und dadurch zu gerechten Ergebnissen zu kommen.
Die Regierungskoalition ist der Opposition nur selten in diesem Bestreben gefolgt. Überall dort, wo eine übertriebene sozialistische oder liberalistische Denkungsweise Platz greift, versagt sie dem Richter die Möglichkeit, Einzelfallgerechtigkeit zu üben, und bindet ihn strikt an das Gesetz. An anderen Stellen, an denen die ideologischen Barrieren nicht so hoch gesetzt sind, konnte die Opposition mit ihren Vorstellungen durchdringen und dem Richter Gestaltungsfreiheit bewilligen.
Wenn man bedenkt, daß auf SPD-Veranstaltungen und -Parteitagen nicht weniger gefordert wurde, als daß die Ehe durch einen Vermerk des Standesbeamten genauso geschieden werden kann, wie sie vor ihm geschlossen worden ist, und sämtliche Rechtsfolgen außer acht gelassen werden, ist die Gesetzeslösung, die die SPD-Bundestagsfraktion hier vorgelegt hat, direkt noch anerkennenswert. Einer vernünftigen Betrachtungsweise kann sie allerdings auch nicht standhalten.
— Wir!
Wir bemängeln zunächst die Einführung der Verstoßensscheidung in das deutsche Scheidungsrecht, die dem scheidungswilligen untreuen Ehegatten die Möglichkeit gibt, den ehetreuen Partner von einem
Tag zum anderen zu verstoßen — und dies auch noch aus Gründen, die auf eigenem Fehlverhalten des Scheidungswilligen beruhen. Diese gesetzliche Möglichkeit, nämlich aus eigenem rechtlichen Fehlverhalten und eigenem Rechtsbruch für sich günstige Rechtsfolgen abzuleiten, ist dem deutschen Recht fremd. Die erstmalige gesetzliche Normierung dieses Unrechtsgrundsatzes kann für die weitere Gesetzesentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland wegweisend werden. Wir warnen ganz eindringlich davor, diesen Weg zu beschreiten. Wenn SPD und FDP diesen Rubikon überschreiten, wissen weder wir noch Sie, wohin die Gesetzesentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland künftig führen wird.
Wir rügen weiterhin — Herr Kollege Metzger, ich sage dies, damit Sie wissen, worin wir uns unterscheiden —, daß die Trennung der Ehegatten über gewisse Zeiträume hinweg die unwiderlegbare Vermutung dafür eröffnet, daß die Ehe gescheitert ist. Dies stellt einen Verstoß gegen Art. 103 des Grundgesetzes dar, der die Gewährung des rechtlichen Gehörs statuiert.
Wir kritisieren schließlich, daß die sogenannte Härteklausel in Wirklichkeit eine Farce ist, daß sie in der gerichtlichen Realität keinerlei Bedeutung haben wird und dem Bundesbürger ein Sicherheitsventil vortäuscht, das gar keines ist. Während bisher durch das Gesetz der ehetreue Partner geschützt wurde, wird in Zukunft der eheuntreue Partner, der die Scheidung sucht, den gesetzlichen Schutz für sich erlangen. Dies stellt eine einmalige Verdrehung aller Werte dar.
Wenn in diesem Zusammenhang die Koalitionsfraktionen der Formulierung zugestimmt haben, daß die Ehe auf Lebenszeit abgeschlossen wird, so ist dies ein reines Lippenbekenntnis, dem der Inhalt fehlt.
Für die Rechtsprechung hat dieser Hinweis keinen Wert, wenn das Gesetz selbst diesem Grundsatz zuwiderläuft. Allein die Formulierung, Herr Kollege Kleinert, macht das Gesetz noch nicht zu dem, was Sie hier vorgeben.
Wenn der Kollege Metzger erklärt hat, daß er sich in so großer Übereinstimmung mit der Kirche befindet, möchte ich ihm doch einmal vorlesen, was der Arbeitskreis für Eherecht beim Kommissariat der deutschen Bischöfe am 9. Dezember 1975 — vielleicht kennen Sie das noch nicht — dazu gesagt hat. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Wer bisher glaubte, gerade in Krisen seiner Ehe stehe ihm das Gesetz zur Seite und bewahre ihn vor rücksichtslosen Willkürhandlungen seines Partners, wer glaubte, dieser Rechtsschutz solle im Interesse eines gerechten Ausgleichs verbessert werden, der wird diese Hoffnung begraben müssen. Künftig hängt es vom Belieben des anderen ab, ob und wann sich dieser aus der Ehe löst. Nach Ablauf bestimmter Fristen
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kann ihn niemand mehr daran hindern, auch wenn die Ehe in Wirklichkeit nicht unheilbar zerrüttet ist.
Alle zur Scheidung einer Ehe nötigen Voraussetzungen kann er einseitig setzen.
Wer bisher glaubte, eine Scheidung sei jedenfalls bei außergewöhnlichen Härten schlechterdings nicht möglich, weil das Gesetz hier wie auch ,auf anderen Rechtsgebieten einen gerechten Interessenausgleich anstrebe, wird auch diese Hoffnung aufgeben müssen. Die im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen für Härtefälle sind so eng gefaßt, daß sie sehr selten zur Wirkung kommen dürften.
Wie Sie, Herr Kollege Metzger, unter Berücksichtigung dieser Ausführungen uns klarmachen wollen, daß die Kirchen nun plötzlich auf Ihrem Standpunkt stehen, ist ein. Geheimnis, das Ihnen allein vorbehalten bleibt.
Lassen Sie mich die Position der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wie folgt umschreiben: Einer vernünftigen Reform des Familien- und des Ehe- und Scheidungsrechts gegenüber waren und sind wir aufgeschlossen. In kooperativer und konstruktiver Weise haben wir versucht, echte Versäumnisse im Gesetzentwurf, die erst durch die intensiven und von der Opposition geforderten Beratungen aufgedeckt werden konnten, auszubügeln. Durch Härte-und Billigkeitsklauseln haben wir uns bemüht, Ungerechtigkeiten des Gesetzes zu vermeiden und einen Gesetzentwurf zu erstellen, der weitgehend die Interessen aller Bundesbürger wahrt.
Die Koalitionsfraktionen sind uns in vielen entscheidenden Bereichen nicht gefolgt. Wir bedauern dies; die Folgen müssen wir alle miteinander tragen.
— Daß man dazu „Bravo" sagen kann, wage ich zu bezweifeln. — Dies ist das beklagenswerte Ergebnis des Umstandes, daß sich die Mitglieder der Koalitionsfraktionen mehr an ideologischen Parteitagsbeschlüssen denn an Rechtsgrundsätzen orientieren. Die Scheidungen werden — entgegen dem, was hier behauptet wird — komplizierter, teurer und langsamer. Viele junge Männer werden sich eine Heirat sehr überlegen, wenn ihnen dieser falsch angelegte Versorgungsausgleich droht. Wegen vieler frauenfeindlicher Bestimmungen wird die junge Frau der Zukunft berufstätig sein und bleiben müssen. Wer soll eigentlich unsere Renten und Pensionen bezahlen, wenn die Kinderzahl rapide abnimmt?
Die Chance zu einem vernünftigen Familien- und Eherecht ist mit diesem Gesetz endgültig vertan worden.
Meine Damen und Herren, abschließend ist es mir ein Bedürfnis, auch im Namen meiner Freunde den Mitarbeitern im Rechtsausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen, den Mitarbeitern in den Fraktionen, den Beamten ,der beteiligten Ministerien und des Bundesrates, den angehörten Sachverständigen und all jenen, die uns in echter Sorge um das kommende Recht mit Rat und Tat und zum Teil mit unendlich viel Arbeit und Idealismus zur Seite gestanden haben, sehr herzlich zu danken.