Rede von
Kurt
Thürk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Diese Frage scheint auf mangelnder Lebenserfahrung des Kollegen Emmerlich zu beruhen. In der Hochzeitsnacht ist schon mehr schiefgegangen.
Ich darf fortfahren. Dies wäre der erste Fall im deutschen Rechtskreis, daß jemand aus eigenen Rechtsverletzungen für sich selbst günstige Rechtsfolgen herzuleiten vermag. Damit wird der Schutz der Ehe tiefer angesetzt als der jedes beliebigen unbedeutenden Vertrages.
Die Opposition hält auch daran fest, daß die ursprüngliche Formulierung „unheilbare Zerrüttung", die den Zustand einer Ehe, die geschieden werden soll, am besten umreißt, im Gesetz verankert werden sollte. Der Übergang der Bundesregierung zum Be-
griff des Scheiterns ist aus mehreren Gründen nicht gut. Der Begriff „Scheitern" ist zu wenig plastisch, um in das Begriffsvermögen des Bundesbürgers richtig einzugehen. Der Ausdruck „unheilbare Zerrüttung" zeigt hingegen eine Ehe, die im Endzustand unter keinem wie auch immer gearteten Gesichtspunkt noch einmal zum Guten zurückgeführt werden kann. Es ist auch merkwürdig, daß die Bundesregierung in der Begründung ihres eigenen Gesetzentwurfes regelmäßig nur von unheilbarer Zerrüttung spricht und sich ja auch zum Zerrüttungsprinzip, nicht aber zum Scheiternsprinzip bekennt. Auch sprachlich ist der neue Begriff zu verurteilen. Häufig wird das Scheitern der Ehe mit dem Scheiden der Ehe in einem Zusammenhang gebracht. Insoweit muß ich im übrigen auf eine notwendige Druckfehlerberichtigung in Zeile 3 auf Seite 28 des Ausschußberichts aufmerksam machen.
Abschließend kann zu § 1565 nur gesagt werden, daß diese Bestimmung schlimmstes Unrecht in unseren Rechtskreis einführt. Sind nach dem geltenden Recht vielleicht einige Tausend — und dies geben wir durchaus zu, Herr Kollege Emmerlich — schwer verständlicher Fälle langjähriger Trennungen denkbar, in denen ein Ehegatte gegen seinen Willen über 10 bis 15 Jahre hinweg durch den Widerspruch des anderen an eine Ehe gebunden wird, die tatsächlich nach ihrem Inhalt keine mehr ist, so werden doch die Scheidungen nach § 1565 das Vielfache an Ungerechtigkeit bringen; denn kein ehetreuer Gatte — und dies sollten Sie wirklich zugeben — kann seiner Ehe mehr sicher sein. Binnen kurzer Frist kann er unveränderlich mit der Tatsache der mutwilligen Zerstörung seiner Ehe durch den Partner konfrontiert werden.
Die sogenannte Fristenscheidung vermag die Opposition, allerdings nur im Grundsatz, mitzutragen. Der ehetreue Gatte wird durch das Scheidungsbeehren des anderen nicht überrascht, sondern vermag sich über eine gewisse Zeit hinweg darauf einzustellen, sein zukünftiges Leben abzuchecken und Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Die Scheidung nach bestimmten Fristen erspart auch den oft peinlichen Nachweis, daß die Ehe gescheitert ist; denn der Ablauf bestimmter Fristen zuzüglich der beiderseitigen oder einseitigen Erklärung der Ehegatten zur unheilbaren Zerrüttung begründet nach dem Gesetzestext die Vermutung dafür, daß die Ehe gescheitert ist. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wünscht auch bei der einvernehmlichen Scheidung, daß diese Vermutung widerlegbar ausgestaltet sein muß. Zugegebenermaßen wird die Forderung der Opposition nur eine kleinere Anzahl von Fällen betreffen. Gleichwohl kann und darf nicht hingenommen werden, daß der Richter zu einem Urkundsbeamten degradiert wird, der lediglich die Erklärung der beiden Ehegatten, sich scheiden lassen zu wollen, entgegennimmt, den Ablauf der Trennungsfrist prüft und anschließend das Zertifikat ausschreibt.
Es muß dem Richter vielmehr erlaubt sein, auf die Ehegatten eheerhaltend einzuwirken.
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Zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens haben die Ehegatten nämlich durch ihre Anwälte und das Gericht bereits regelmäßig erfahren müssen, welche Probleme mit der Scheidung auf sie zukommen und welche Konzessionen sie hinsichtlich der Kinder, hinsichtlich des Unterhaltes, künftig auch der Versorgung werden machen müssen. Die Chancen für eine Versöhnung der Ehegatten sind daher wesentlich höher anzusetzen als beim herkömmlichen Sühneverfahren, das dem Verfahren vorausgeschaltet war und in das die Ehegatten noch mit frischem Groll und Hader aus der Ehe gingen. Deshalb fordern wir, daß auch bei der einvernehmlichen Scheidung die Vermutung widerlegbar sein muß.
In erhöhtem Maße gilt dies aber für die streitige Scheidung nach dreijähriger Trennung. In diesem Fall ist ein Ehegatte der Ansicht, daß die Ehe noch nicht unheilbar zerrüttet ist, daß also noch Substanz vorhanden ist. Dann besteht für das Gericht erhöhte Aussicht, auf die Ehegatten im Sinne einer Versöhnung einzuwirken, indem es die schwerwiegenden Nachteile der Scheidung für die Ehegatten selbst, aber auch für ihre Kinder darlegt und Wege für einen Neubeginn der Ehe aufzeigt. Es ist eine reine Unterstellung, wenn die Regierungskoalition davon ausgeht, daß eine Ehe nach dreijähriger Trennung in allen Fällen als gescheitert angesehen werden müsse. Die Erfahrung spricht dagegen, wenn auch zugegebenermaßen in einer geringeren Zahl von Fällen. Der Wert der Ehe muß es rechtfertigen, jede nur denkbare Anstrengung zu unternehmen, um eine bereits erschütterte eheliche Gemeinschaft wieder zusammenzufügen, wenn er nicht nur als Lippenbekenntnis in der politischen Auseinandersetzung angesehen werden soll. Der Gesetzgeber hat die Pflicht, eheerhaltend zu wirken, wenn er das Institut der Ehe wirklich ernst nimmt.
Geradezu als absurd muß die Aussage der Koalition gewertet werden, mäßige Erschwerungen bei der streitigen Scheidung nach dreijähriger Trennung würden zum Ausweichen auf die Verstoßensscheidung führen. Wer bereit ist, mit dem Scheidungsantrag drei Jahre zu warten, wird regelmäßig den Nachweis der Zerrüttung — aus welchen Gründen auch immer — scheuen. Die Darlegungen zur Widerlegung der Vermutung werden nicht die negativen, sondern die positiven Aspekte der Ehe in den Vordergrund rücken, was sicher nicht zu einer weiteren Verfeindung der Parteien führen wird. Mit Rücksicht auf die Vorschrift des § 1567, der die Definition der Trennung enthält, ist es auch abwegig, anzunehmen, ein versöhnliches Verhalten des die Scheidung betreibenden Ehegatten werde gegen ihn verwandt werden können. Die Prozeßsituation des scheidungswilligen Ehegatten wird durch die Vermutung in jedem Falle günstiger sein als bei einer Verstoßensscheidung. Darüber sollte man sich unter Juristen doch klar sein. Schließlich gebietet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Widerlegbarkeit der Vermutung; denn eine unwiderlegbare Vermutung würde jedes Vorbringen eheerhaltender Tatsachen und jeden richterlichen Versöhnungsversuch verbieten.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ihre Bedenken dagegen aufrechterhalten, auch junge Ehen nach den allgemeinen Vorschriften zu scheiden. Wegen der Bedeutung dieser Vorschrift hat sie es vermieden, sie in § 1565 einzubeziehen, und hat einen neuen § 1567 a gebildet, der Ihnen vorliegt. Nach dem Vorschlag der Opposition kann eine junge Ehe vor Ablauf eines Jahres nur dann geschieden werden, wenn es einem Ehegatten aus Gründen, die in der Person oder im Lebensbereich des anderen Ehegatten liegen, unzumutbar ist, die Ehe noch fortzusetzen.
Das erstmalige Zusammenleben junger Menschen in einer Ehe mit allen Erschwernissen, aber auch mit der Eintönigkeit des Alltags bietet eine Fülle von Konfliktstoff, der in einer länger bestehenden Ehe allmählich abgebaut wird. Der Prozeß des Sich-aneinander-Gewöhnens belastet insbesondere das erste Ehejahr. Zur Erhaltung der Ehe und im Bewußtsein ihres Wertes muß der Gesetzgeber junge Eheleute daran hindern, angesichts des ersten Konfliktstoffes sofort aus der Ehe auszubrechen, statt sich ernsthaft zu bemühen, die Schwierigkeiten zu meistern.
Der Hinweis der Koalitionsfraktion darauf, daß das richterliche Aussetzungsrecht bis zu einem Jahr denselben Effekt habe, ist abwegig. Es ist psychologisch ein großer Unterschied, ob ein Scheidungsantrag junger Eheleute vor Ablauf eines Jahres vom Gericht überhaupt nicht angenommen wird oder ob sie jederzeit sofort zum Gericht rennen können und dem Richter lediglich die Möglichkeit geboten ist, das Verfahren mehrfach auszusetzen. Im letzteren Falle ist die Krisenstimmung in der jungen Ehe nicht mehr zu beseitigen.
Die von der Regierungskoalition angestrebte Fassung des § 1568, der eine sogenannte Härteklausel — ich sage mit Absicht: sogenannte — enthält, ist nichts anderes als Augenwischerei und wird in der Praxis überhaupt keine Bedeutung haben.
Bis zum heutigen Tage ist die Regierung ein Beispiel für diese immaterielle Härteklausel schuldig geblieben — auch, Herr Minister, in der Fernsehdiskussion.
Ein solches Beispiel gibt es nämlich gar nicht.
Einig sind sich Regierung und Opposition darin, daß eine Ehe, obwohl sie gescheitert ist, dann nicht geschieden werden soll, wenn die Scheidung für den Antragsgegner auch unter Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten, also desjenigen, der die Scheidung betreibt, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Damit sind die Gemeinsamkeiten aber auch schon zu Ende.
Zunächst rügt meine Fraktion ganz entschieden, daß die Härteklausel nicht auf den Fall der Scheidung nach dreijähriger Heimtrennung, sondern nur auf die Verstoßensscheidung nach dem Grundtat-
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bestand angewandt werden soll. Damit sind die Hauptanwendungsfälle bereits ausgeschlossen. Gerade bei den Scheidungen wegen dreijähriger Heimtrennung, die künftig nicht mehr am Widerspruch des anderen Ehegatten oder am wohlverstandenen Interesse der Kinder sollen scheitern können, ist die Härteklausel dringend geboten.
Die Verweigerung dieses Rechtsschutzes stempelt den Gesetzentwurf der Regierungskoalition als ungerecht ab.
Die Opposition verlangt weiter, daß daneben auch das Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder die Aufrechterhaltung der Ehe im Rahmen der Härteklausel gebietet. Richtig ist selbstverständlich — auch dies räume ich gern ein —, daß im Regelfall Kinder aus einer gescheiterten Ehe besser bei einem Ehegatten als bei beiden — bei denen sie den ständigen Streit miterleben — aufgehoben sind. Es sind jedoch aus der Praxis auch genügend Fälle bekannt — und daran sollten wir doch auch einmal denken —, in denen Ehegatten einer gescheiterten Ehe so viel Disziplin besitzen, daß sie im Interesse der Kinder eine geordnete Ehe weiterführen und zusammenleben. In diesem Fall kann es vernünftig sein, die Scheidung zu verweigern.
Besonderen Bedenken begegnet jedoch der Ausschluß wirtschaftlicher Umstände. Die Regierungskoalition möchte mit dieser Bestimmung vermeiden, daß — wie im geltenden Recht - Unterhalts- und Versorgungsansprüche als ausschließlicher Grund für ein Widerspruchsrecht dienen. Damit ist die Regierung jedoch weit über das Ziel hinausgeschossen.
Selbst wenn man mit ihr annehmen wollte, das vorgeschlagene Unterhalts- und Versorgungsrecht würde — was die Opposition im übrigen in Zweifel zieht — die wirtschaftlichen Belange des anderen Ehegatten in vollem Umfange gewährleisten, so ist doch die Formulierung geeignet, jegliche Anwendung der Härteklausel auszuschließen. Denn es ist kein Fall denkbar, in dem nicht eine immaterielle Härte zugleich auch materiellen Charakter besitzt.
Selbst eine schwere Krankheit eines Ehegatten — wenn ich einmal ein Beispiel bilden darf — kann dann keine ausschließlich immaterielle Härte sein, wenn zugleich durch die Pflege oder zumindest die Anwesenheit des anderen Ehegatten eine Pflegekraft oder Haushaltskraft gespart wird. Selbst eine depressive Phase des widersprechenden Ehegatten beispielsweise reicht zur Anwendung der Härteklausel nicht aus, weil die Anwesenheit des scheidungswilligen Ehegatten einen Pflege- oder Krankenhausaufenthalt vermeiden würde und somit wiederum materiellen Charakter hat. Jeder halbwegs geschickte Rechtsanwalt wird in der Lage sein, bei jedem sogenannten immateriellen Grund eine materielle Auswirkung zu behaupten und damit die Härteklausel zu Fall zu bringen. Den Vorschlag der Opposition, eine Formulierung zu verwenden, die besagt, daß nur „ausschließlich materielle Gründe" ausgeschlossen sind, hat die Regierungskoalition nicht aufgegriffen.
Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Scheidungsgründe, wenn sie in der Fassung, die die Mehrheit des Rechtsausschusses gefunden hat, Gesetz werden sollten, eine hemmungslose Liberalisierung des Scheidungsrechtes darstellen, daß der Ehe jeglicher Wert abgesprochen wird,
daß die eheliche Verbindung hinsichtlich des Rechtsschutzes unter den geringfügigsten zivilrechtlichen Vertrag gestellt wird und daß schließlich, statt Ungereimtheiten im derzeitigen Recht zu beseitigen, umfangreiche neue Unrechtigkeiten geschaffen werden.
Nur mit den Änderungsanträgen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist das Scheidungsrecht, das ohnehin immer eine unerfreuliche Materie bleiben wird, einer erträglichen Lösung zuzuführen.
Wegen der Wichtigkeit der angesprochenen Probleme beantrage ich für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion namentliche Abstimmung.