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ID0718303200

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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 183. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. Juli 1975 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Josten 12797 B Erklärung der Bundesregierung betr. KSZE Genscher, Bundesminister AA . . . . . 12797 B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Marx CDU/CSU . . . . . . . . 12803 C Brandt SPD 12812 B Hoppe FDP 12816 D Stücklen CDU/CSU . . . . . . . . 12819 D Schmidt, Bundeskanzler 12825 C Dr. Carstens (Fehmarn) CDU/CSU . . 12830 B Pawelczyk SPD 12834 B Dr. Bangemann FDP . . . . . . . . 12839 A Oxfort, Bürgermeister von Berlin . . . 12843 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 12845 B Mattick SPD 12850 A Dr. Schröder (Düsseldorf) CDU/CSU . . 12854 A Wehner SPD . . . . . . . . . . 12859 C Strauß CDU/CSU 12862 A Genscher, Bundesminister AA . . . . 12869 D Namentliche Abstimmungen . . . . . 12872 A Anlagen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 12875* A Anlage 2 Nichtanwendung des § 48 Absatz 2 BAföG durch einige Hochschulen SchrAnfr B 59 06.06.75 Drs 07/3737 Engholm SPD ErgSchrAntw StSekr Dr. Jochimsen BMBW 12875* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Juli 1975 12797 183. Sitzung Bonn, den 25. Juli 1975 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 181. Sitzung, Seite 12684 D ist statt „Gerstl (Passau) (CDU/CSU) " zu lesen „Gerstl (Passau) (SPD) ". 181. Sitzung, Seite 12726 C: Die Zeile 22 mit den Worten „was nun die Rechtsgrundlage sein soll," ist zu streichen. Einzufügen sind die Worte ,;Rechte dort habe". Vier Zeilen weiter ist hinter dem Wort „soll" ein Komma zu setzen. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt für Alber 25. 7. Dr. Bayerl 25. 7. Dr. Böger 25. 7. von Bothmer 25. 7. Breidbach 25. 7. Prof. Dr. Burgbacher 25. 7. Burger 25. 7. Bühling 25. 7. Dürr 25. 7. Dr. Enders 25. 7. Geldner 25. 7. Gerster (Mainz) 25. 7. Gewandt 25. 7. Gierenstein 25. 7. Graaff 25. 7. Haase (Fürth) 25. 7. Dr. Häfele 25.7. Handlos 25. 7. Hölscher 25. 7. Horn 25. 7. Horstmeier 25. 7. Dr. Hupka 25. 7. Hussing 25. 7. Jaunich 25. 7. Kater 25. 7. Dr. Kiesinger 25. 7. Lange 25. 7. Dr. Klepsch 25. 7. Dr. Köhler 25. 7. Krampe 25. 7. Lattmann 25. 7. Leicht 25. 7. Lücker 25. 7. Dr. Luda 25. 7. Lüdemann 25. 7. Prof. Dr. Möller 25. 7. Opitz 25. 7. Pieroth 25. 7. Dr. Riede 25. 7. Rollmann 25. 7. Rommerskirchen 25. 7. Prinz zu Sayn-Wittgenstein 25. 7. Prof. Dr. Schäfer (Tübingen) 25. 7. Prof. Dr. Schellenberg 25. 7. Schmidt (Kempten) 25. 7. Dr. Starke 25. 7. Stommel 25. 7. Vogel (Ennepetal) 25. 7. Abgeordnete(r) beurlaubt für Volmer 25. 7. Walkhoff 25. 7. Dr. Walz 25. 7. Dr. Wex 25. 7. Wischnewski 25. 7. Dr. Wörner 25. 7. Prof. Dr. Zeitel 25. 7. Anlage 2 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Jochimsen auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Engholm (SPD) (Drucksache 7/3737 Frage B 59, 178. Sitzung, Seite 12552*, Anlage 75) : Ihr Hinweis auf die ab 1. August 1975 geltende Neufassung des § 48 BAföG dürfte sich vermutlich nicht auf die Absätze 1 und 2, sondern auf Absatz 1, Nrn. 1 und 2 beziehen. Das Rundschreiben des Rektors der Universität Bonn an die Dekane der einzelnen Fakultäten befaßt sich, worauf Sie mit Recht hingewiesen haben, nur mit Absatz 1 Nr. 1. Insoweit gibt das Rundschreiben die in der ab 1. August 1975 geltenden Neufassung des Absatzes 1 Satz 1 enthaltenen beiden Möglichkeiten des Gesetzes zum Eignungsnachweis nicht erschöpfend wieder. Das ist auch die Auffassung des Ministers für Wissenschaft und Forchung des Landes Nordrhein-Westfalen als oberster Landesbehörde für Ausbildungsförderung. Aus der Tatsache, daß das Rundschreiben die neue Rechtslage nicht vollständig wiedergibt, wird man allerdings nicht auf eine beabsichtigte restriktive Handhabung der neuen Vorschriften durch die Universität Bonn und andere Hochschulen schließen können. Um jeden Zweifel auszuschließen, hat der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen den Hochschulen des Landes in einem Runderlaß die dazu von der Bundesregierung nach vorausgegangenen eingehenden Beratungen mit den obersten Landesbehörden beschlossenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 48 Abs. 1 übermittelt und gebeten, beide Alternativen des § 48 Abs. 1 Satz 1 sowie insbesondere Tz 48.1.1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu beachten. Die gesamte allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BAföG liegt zur Zeit dem Bundesrat vor, der darüber nach der Sommerpause beraten wird.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Verehrter Herr Kollege, das ist eine etwas seltsame Frage an den Bürgermeister von Berlin; denn selbstverständlich ist Berlin für uns nicht die Hauptstadt der DDR. Ich stelle aber einmal die Gegenfrage: Wie würden wohl Berlin und die Bundesrepublik Deutschland dastehen, wenn Ihrem Entschließungsantrag entsprechend eines Tages plötzlich 34 Staaten, einschließlich der USA, Kanadas und der DDR, aber ausgenommen die Bundesrepublik Deutschland, diese Dokumente unterzeichnet hätten?

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ich werde darauf antworten!)

    Ich fahre fort, meine Damen und Herren. Das bedeutet für Berlin: ,der Viermächtestatus und die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für ganz Berlin sowie das Viermächteabkommen bleiben unberührt. Das bedeutet u. a., daß die Sektorengrenzen ihren Rechtscharakter nicht verändern und das Recht, die Bindungen Berlins an den Bund aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln, keine Einbuße erfährt. Wir haben damit für die weitere Entwicklung Berlins die sichere und feste Grundlage mit konkreten vertraglichen Regelungen, die es strikt einzuhalten und voll anzuwenden gilt. Schon deshalb war es entbehrlich, die Konferenz in Genf zu einer Konferenz auch über Berlin zu machen. Es wäre eher schädlich gewesen und hätte den allgemeinen Aufgaben der Konferenz auch nicht entsprochen. Es ging dort ja auch nicht darum, einen Vertrag zu schließen, so daß eine formelle Einbeziehung Berlins, eine Berlin-Klausel etwa, nicht zur Debatte stand.
    Berlin, meine Damen und Herren — ich wiederhole es —, sieht also seine Interessen voll gewahrt. Dazu kommt — wir begrüßen und bejahen das ausdrücklich —,

    (Nordlohne [CDU/CSU] : Das sagt die Koalition der Verlierer!)

    daß die Bundesregierung in der Konferenz die deutschlandpolitischen Ziele gewahrt hat. — Wenn Sie einen Zwischenruf machen, verehrter Herr Kollege, sollte er eine Beziehung zu dem Text haben, den ich hier vortrage. Sonst wird das etwas unverständlich.

    (Nordlohne [CDU/CSU]: Ich sagte: Es ist die Koalition der Verlierer, ,die das feststellt!)

    — Aber es sind ja nicht nur Ihre Zwischenrufe, die heute hier unverständlich bleiben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Grundsätze der territorialen Integrität und der Unverletzlichkeit der Grenzen sind balanciert durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Feststellung, daß die Teilnehmerstaaten der Auffassung sind, daß ihre Grenzen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht durch friedliche Mittel und durch Vereinbarung verändert werden können. Das Ergebnis der KSZE bildet also kein Hindernis für das politi-



    Bürgermeister Oxfort (Berlin)

    sehe Ziel der Bundesregierung, wie sie es beispielsweise im Brief zur deutschen Einheit zum Ausdruck gebracht hat. Damit ist zugleich gesagt, daß die Verantwortung der Siegermächte für ganz Deutschland, die Verträge der Bundesrepublik mit den drei Westmächten, die Verträge der Bundesregierung mit der DDR ebenso unangetastet bleiben wie das Viermächteabkommen über Berlin.
    Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen: Auch wenn das Ergebnis der KSZE keine unmittelbaren Auswirkungen bringt, es ist eine Chance mehr zur Verbesserung unserer und der europäischen Lage. Wer sich die Mühe macht und ehrlich sich selbst gegenüber vergleicht, wo wir uns vor wenigen Jahren noch befanden und was wir mittlerweile erreicht haben, der kann zum Ergebnis der KSZE ja sagen. Es ist — ich wiederhole dies — kein völkerrechtlicher Vertrag, es hat keinen rechtsverbindlichen Charakter. Aber hinter dieser Absichts- und Willensäußerung stehen die europäischen Staaten und der nordamerikanische Kontinent, und das ist nicht nichts.
    Wir in Berlin verbinden damit die Hoffnung, daß im Prozeß der Entspannung und der Verständigung weitere Fortschritte erzielt werden. Unsere Stadt ist durch die Vertragspolitik der sozialliberalen Koalition und das Viermächteabkommen aus der bedrükkenden Vergangenheit herausgetreten und hat Anschluß an die Entwicklungen in Europa gewonnen. Berlin hat durch die bisherigen Entspannungsbemühungen spürbare Verbesserungen bekommen. Falls sich das bei der Opposition noch nicht herumgesprochen haben sollte, darf ich Sie herzlich einladen, nach Berlin zu kommen und sich von uns die Vorteile, die das Berlin-Abkommen und die Politik der sozialliberalen Koalition mit sich gebracht haben, zeigen zu lassen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Es ist für Berlin von elementarer Bedeutung, in vollem Umfang auch an den Entwicklungen teilzuhaben, die aus der KSZE zu unser aller Wohl und Nutzen folgen sollen. Die volle Anwendung der vertraglichen Regelungen, die Berlins Lage sicherer und offener gemacht haben, kann ihrerseits dazu beitragen, die Absichten der KSZE zu verwirklichen.
    Wir sagen, meine Damen und Herren, daß Berlin auch in der entspannteren Gegenwart der Prüfstein ist für Gelingen und Glaubwürdigkeit der Entspannung und Verständigung. Berlin wird dies auch sein unter den neueren Aspekten in Europa, wenn die Regierungs- und Staatschefs ihre Unterschriften unter die Dokumente gesetzt haben werden — dann sogar noch mehr.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mertes (Gerolstein).

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    Rede von Dr. Alois Mertes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigentlich schade, daß in dieser Debatte immer nur die Opposition den Versuch macht, einiges an dem positiv zu finden, was die Bundesregierung in Genf geleistet hat, daß aber die Regierung immer nur das Bedürfnis hat, die Opposition in der Ernsthaftigkeit ihrer Sorge zu karikieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist doch selbstverständlich so, daß auch wir etliches an Positivem sehen. Ich möchte noch einmal, weil ich der Beauftragte meiner Fraktion für die Beobachtung der KSZE war, sagen, daß unsere Delegation unter der Leitung von Botschafter Dr. Blech vorzügliche Arbeit innerhalb des politischen Rahmens geleistet hat, der ihr vorgegeben war. Aber auch diese Delegation war ja schon durch das präjudiziert, was im April 1974 geschehen war, nämlich das Eingehen auf den sowjetischen Wortlaut über die Unverletzlichkeit der Grenzen. Ich komme gleich darauf zurück.
    Ich möchte nochmals betonen, daß wir selbstverständlich — Herr Kollege Pawelczyk, ich verstehe gar nicht, daß Sie das nicht richtig sehen — alle Interpretationen der Bundesregierung, die mit dem Grundgesetz und mit dem Deutschlandvertrag vereinbar sind, vollauf teilen. Ich hatte dank der Vermittlung unserer Delegation Gelegenheit, in Genf mit Vertretern der Sowjetunion und der DDR zu sprechen. Ich habe auf meine Fragen „Teilen Sie die richtige Interpretation dieses und jenes Wortes — z. B. ,Anschläge auf Grenzen' — durch unsere Bundesregierung?" keine befriedigende, keine bejahende Antwort bekommen.
    Es ist doch überhaupt keine Frage, daß wir die verfassungskonformen Interpretationen der Bundesregierung voll tragen und stützen. Ich würde mich als Bundesregierung beglückwünschen, wenn ich hinter mir eine staatspolitisch so verantwortungsbewußte Opposition hätte, die in dieser intensiven Form auf unsere nationalen Notwendigkeiten hinweist und sie mitträgt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dem Tage, an dem in Helsinki das Schlußdokument der KSZE unterzeichnet wird, sind genau 30 Jahre seit Potsdam vergangen. Die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz — von der Sowjetunion als das „Potsdamer Abkommen" bezeichnet — haben als Grundelemente die Prinzipien der Demokratisierung und der Denazifizierung Deutschlands. Was ist aus dieser westlich-östlichen Übereinstimmung in Potsdam geworden? Schon auf der Konferenz in London im Herbst 1945 entstand ein Streit über die Auslegung dieser zentralen Begriffe. Es war der Beginn des kalten Kriegs, der im Gefolge der Mehrdeutigkeiten der Schlüsselbegriffe der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz gestanden hat. Es muß uns doch stutzig machen, wenn die Vereinigten Staaten in einer Zeit, in der sie militärisch überlegen waren, in ihrem Verhältnis zur Sowjetunion in einen schweren politischen Konflikt gerieten, den wir den „kalten Krieg in Deutschland" nennen.
    Deshalb bleiben wir dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, immer wieder zu betonen, daß die richtige Fragestellung nicht die nach der rich-



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    tigen Interpretation durch die Bundesregierung ist; die Frage muß vielmehr lauten: Kann die Bundesrepublik Deutschland in ein wie auch immer geartetes Verpflichtungs- oder Bindungsverhältnis zur Sowjetunion treten, welches das Risiko in sich trägt, daß uns die andere Seite eines Tages bei Anwendung unserer Auslegung mangelnde Vertragstreue oder — im Fall der KSZE-Schlußakte — mangelnde Treue zum feierlich gegebenen Wort vorwirft?
    Einige wenige, aber maßgebliche Prinzipien haben doch die deutsche Außenpolitik von 1949 bis 1969 gemeinsam in diesem Hause beherrscht. Das erste Prinzip war dieses: Unsere Generation hatte nach 1933 die Erfahrung gemacht, daß die langsame Ausschaltung von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in unserem Lande den Weg zu totalitärer Herrschaftsausübung ebnet und einen Krieg gegen unsere Nachbarvölker möglich macht. Es war nach 1945 das große Ereignis, daß überall dort, wo in Deutschland wieder frei gewählt werden konnte, auch in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, die radikalen, d. h. die nach unser aller Auffassung undemokratischen Parteien, auch die kommunistische Partei, in einer hoffnungslosen Minderheit geblieben sind. Die Kommunistische Partei Deutschlands hat damals — man wird jetzt, wenn man die Dinge in Portugal sieht, an das erinnert, was damals der SPD in der sowjetischen Besatzungszone geschehen ist — diesen freien Willen mit ausländischer Besatzungshilfe niedergewalzt.

    (Zuruf des Abg. Wohlrabe [CDU/CSU])

    Infolge dieser bösen Geschehnisse, die man heute wertneutral „die Nachkriegsentwicklung" nennt, war es bis 1969 in diesem Hause gemeinsame Überzeugung, daß das Element des Nationalen, daß das Element des Freiheitlich-Rechtsstaatlichen und daß das Element des Europäischen in der deutschen Politik nicht mehr voneinander getrennt werden dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, über dieses Thema hat sehr oft ein Sozialdemokrat gesprochen, den ich persönlich verehrt habe; er war Fritz Erler. Fritz Erler hat in einem Vortrag, den ich gehört habe, dieses Thema mit igrößtem Ernst behandelt und dabei aus einer Rede Stalins zitiert, die für ihn Anlaß war, den deutschen Demokraten, allen in diesem Hause, zu sagen, daß wir das Banner 'der Identität von Freiheit und Nation nicht aus den Händen geben dürfen. Dieses Zitat — es ist aus der Rede Stalins auf dem XIX. Parteitag der KPdSU im Oktober 1952 — lautet:
    Früher wurde die Bourgeoisie als das Haupt der Nation betrachtet. Sie trat für die Rechte und die Unabhängigkeit der Nation ein, sie stellte sie über alles. Jetzt ist vom nationalen Prinzip nicht die Spur geblieben.
    Er fährt dann fort:
    Das Banner der Nation ist über Bord geworfen. Ohne Zweifel werdet ihr Vertreter der kommunistischen Parteien dieses Banner erheben und vorantragen müssen, wenn ihr Patrioten eures Landes sein, wenn ihr die führende Kraft
    der Nation werden wollt. Es gibt sonst niemand, der es erheben könnte.
    Es ist wesentlich auch eine Leistung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in den 50er Jahren gewesen — selbst wenn sie nach unserer Auffassung die falsche außenpolitische Konsequenz, nämlich gegen unseren Eintritt in 'das westliche Bündnis und in die Europäische Gemeinschaft, gezogen hat —, daß im Bewußtsein unseres Volkes diese unlösliche Verbindung 'des nationalen Interesses und des freiheitlichen Interesses nicht aufgelöst wurde; die SPD wurde dabei im Westen, auch in unsere Reihen, nicht immer verstanden und gewürdigt.

    (Wehner [SPD] : Sie haben uns damals deswegen verdächtigt und jede Überordnung des Drängens auf nationale Fragen zurückgewiesen mit der Behauptung: Zunächst kommt es auf die Stärke des Westens an! Stellen Sie die Dinge doch heute nicht auf den Kopf!)

    — Herr Abgeordneter Wehner, Sie stellen die Tatsachen auf den Kopf.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Ich habe wenigstens einen, aber Sie nicht!)

    Herr Abgeordneter Wehner, in der damaligen Situation ging es zwischen Regierung und Opposition nicht um das im Grundgesetz gemeinsam niedergelegte Prinzip, sondern es ging um die konkrete Frage, ob die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland so bedroht ist, daß wir in dieser Situation — —

    (Wehner [SPD] : Sie haben sogar bei Viermächtekonferenzen die Verantwortung abgelehnt, daß man die Frage der Wiedervereinigung konkret stellt! — Gegenrufe von der CDU/CSU)

    — Ich habe den Eindruck, der Herr Abgeordnete Wehner bemerkt, daß meine Argumentation ein gewisses Gewicht hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Strauß [CDU/ CSU] : Alles wiederholen! — Weitere anhaltende Zurufe von der CDU/CSU — Glocke des Präsidenten)

    Ich fühle mich durch den Zornesausbruch des Herrn Abgeordneten Wehner außerordentlich geehrt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In den 50er und 60er Jahren ist in diesem Hause niemals darüber diskutiert worden, ob etwa die Bundesrepublik Deutschland die DDR anerkennen solle. Wir haben in der Großen Koalition darüber diskutiert, ob man diese oder jene Anerkennung durch einen Staat der dritten Welt, etwa durch Kambodscha oder Indien, also Länder mit einem so besonders hockentwickelten Verständnis für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit, zum Anlaß nehmen soll, z. B. in der Entwicklungshilfe etwas härter zu werden oder die diplomatischen Beziehungen einzufrieren. Es hat überhaupt niemals zur Debatte gestanden, daß das geschehen sollte, was in der Regierungserklärung von 1969 geschehen ist: Ohne vorherige Information oder gar Konsultation der Westmächte, ohne vorherige Beratung im Parlament ist auf dem



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    Umweg über einen Nebensatz in der Regierungserklärung von 1969 still und heimlich eine 20 Jahre
    lang gemeinsam getragene Politik begraben worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Das ist eine Legende von Ihnen!)

    — Eine Legende erzählt etwas, Herr Kollege Wehner, was man nicht nachweisen kann. Was ich gesagt habe, ist nachweisbar; ich stehe Ihnen sehr gerne dafür zur Verfügung.
    Herr Kollege Wehner, Sie haben noch im Wahlkampf 1969 eine Broschüre des damaligen Sozialdemokraten Fritz Schenk vertreiben lassen; damals waren Sie gesamtdeutscher Minister. Diese Broschüre argumentierte im Wahlkampf 1969 auch namens der SPD gegen jede Form der Anerkennung der DDR. Auf Ihre Anweisung oder auf die Anweisung der SPD hin ist dann nach dem 28. Oktober 1969 'diese Broschüre — aus gutem Grund, ich verstehe — eingestampft worden.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Sie sind schon immer für Ihre seltsamen Wahrheitsverhältnisse bekannt gewesen! — Gegenruf von der CDU/CSU: Das stimmt trotzdem! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt auch Leute, für die ist die Unwahrheit die Wahrheit!)

    — Herr Kollege Wehner, ich hoffe, Sie nehmen bald Gelegenheit, sich wegen dieser Verleumdung zu entschuldigen.

    (Wehner [SPD]: Solche Art. Versprecher habe ich schon manchmal von Ihnen gehört! Sie sind in dieser Beziehung unverschämt!)

    — Haben Sie noch etwas Wichtiges zu sagen, Herr Kollege Wehner? Dann bitte!

    (Wohlrabe [CDU/CSU]: Der Kerl pöbelt schon wieder!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Postulat der unauflöslichen Einheit der freiheitlichrechtsstaatlichen und der nationalen Komponente in der Deutschlandfrage ist deshalb so schwerwiegend, weil der sowjetische Sicherheitsbegriff auf das engste mit diesem Problem zusammenhängt, d. h. sich ihm entgegenstellt. Die Sowjetunion ist eine rational und diszipliniert kalkulierende Macht, die selbst nicht die Risiken wünscht. Sie ist eine Macht, die an den Primat der Politik glaubt. Sie steht auf dem richtigen Standpunkt, daß es in der Welt nicht Probleme gibt, weil es Soldaten und Waffen gibt, sondern daß es Soldaten und Waffen gibt, weil ungelöste politische Probleme schwelen. Infolgedessen möchte sie die Probleme, die sie bedrängen, auf eine politische — ich sage: friedliche, möglichst gewaltfreie — Weise, über Diplomatie, über Konferenzen, lösen.
    Ich verstehe die sowjetische Situation. Die sowjetrussischen Führer bedrängt das Empfinden, daß die politische Basis ihrer Herrschaft in Osteuropa, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Ostdeutschland, in der DDR, nicht genügend gefestigt ist. Im Falle der Grenzmark ihres Imperiums, der DDR, ist es für sie besonders schlimm, daß das deutsche Nationalgefühl sich mit dem freiheitlichen Bewußtsein des Westens identifiziert. Und es sind merkwürdige Vertreter der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit des Westens, die es bedauern, daß die Deutschen für das ganze deutsche Volk die Freiheit wünschen. Gegenüber solchen verständnislosen Kräften im Westen waren und sind wir immer in einer spezifischen, in einer einsamen Situation. Wenn Sie in diesem Sinne einsam als „isoliert" bezeichnen, sind wir in der Tat durch unsere geographische Lage, durch die Hypotheken unserer Geschichte und die Machtverhältnisse besonders belastet.
    Die Sowjetunion argumentiert in der Deutschlandfrage nicht legalistisch, ihre Führung ist auch kein „Club von Korinthenkackern", Herr Kollege Wehner. Sie ist vielmehr eine Macht, die erkennt, daß, solange ein Besitzverhältnis nicht endgültig rechtlich, sozusagen notariell, geklärt ist,

    (Strauß [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    der Eigentümer immer wieder kommen und sagen kann: Diese Sache ist noch offen und bedarf noch der endgültigen Regelung. Infolgedessen ist es für die Sowjetunion ein sicherheitspolitisches Problem, daß die verantwortlichen Regierungen des gesamten Westens — gottlob — sagen: eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland als Ganzes wird durch die KSZE nicht vorweggenommen, und zwar nicht nur nicht formal, sondern auch nicht dem Inhalt nach.
    Nur, meine Damen und Herren, diese vermeintlich rein rechtliche, diese angeblich legalistische Betrachtung ergibt sich, ich wiederhole es, aus der spezifischen politischen Sicherheitsproblematik der Sowjetunion. Und sie hat doch nun nicht — ich bitte Sie, meine Damen und Herren — ihr Vokabular über die Unverletzlichkeit der Grenzen, über die angeblich endgültige Natur der Herrschaftsverhältnisse in Deutschland, über die Unumkehrbarkeit der Entspannung, in diesem ihrem Sinne — in Genf eingeführt, um sich hinterher sagen zu lassen: wir haben zwar diese Sprache, liebe Sowjets, mit euch unterschrieben; aber, ätsch, wir meinen damit etwas ganz anderes.
    Ich fürchte, meine Damen und Herren, daß auf dieser Überprüfungszusammenkunft von 1977 — oder wie immer wir sie nennen mögen — nicht nur wir kommen und sagen werden, „dieses ist nicht eingehalten worden" ; auch Moskau und seine Verbündeten werden Vorwürfe erheben; denn in der ihr eigenen Offenheit sagt die Sowjetunion doch jetzt schon ganz klar, wie sie bestimmte Dinge interpretiert, wie sie insbesondere den Begriff der Unverletzlichkeit auslegt; weiterhin, daß für sie hier völkerrechtliche Bindungen entstehen. Ich sage das nicht, um die sowjetischen Positionen zu den meinen zu machen. Aber ich nehme die Sowjetunion, entschuldigen Sie diesen offenen Ausdruck, etwas ernster als diejenigen, die sagen: Ätsch, wir haben eben unseren Standpunkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Vor ein paar Wochen hat der Vorsitzende der SPD im österreichischen Fernsehen ein Gespräch



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    geführt; dabei hat der Abgeordnete Willy Brandt hinsichtlich bestimmter Äußerungen des Sowjetbotschafters in Ost-Berlin, Abrassimow, über eine Reise von Außenminister Genscher in Begleitung des amerikanischen Außenministers nach West-Berlin gesagt: „Ach, wissen Sie, ich nehme diese Feststellungen des sowjetischen Botschafters gar nicht so ernst; ich kann das einfach nicht ganz ernst nehmen."

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Das eben unterscheidet uns von Ihnen. Nicht daß wir die sowjetischen Positionen teilen! Aber wir sehen die subjektive Interessenlage der Sowjetunion sachgerechter, wir sehen nüchterner ihre spezifischen Interessen in Deutschland, wir sehen den Sinn der Sprache, die sie in diese Debatte eingeführt hat. Wir sehen voraus, daß sie uns bei treuem Festhalten an unseren verfassungs- und völkerrechtsgemäßen Auslegungen sagen wird: Wollt ihr wiederum ein Volk werden, auf das man sich nicht verlassen kann? Denn das zweite große Prinzip der Adenauerschen Außenpolitik beruhte auf einer sehr bösen geschichtlichen Erfahrung, die mit dem deutschen Namen verbunden ist. Das ist nämlich die Vorstellung, daß die Deutschen vertragsbrüchig sind, daß man sich auf sie nicht verlassen kann. Gerade deshalb haben wir in unseren Auslassungen doch weniger die bekannten Vertragsbrüche der Sowjetunion erwähnt, als vielmehr immer erklärt: Deutschland hat unter Hitler nicht nur Verträge mit dem Westen, er hat auch gegenüber der Sowjetunion am 22. Juni 1941 einen Vertrag gebrochen. In der Sowjetunion darf niemals mehr — das hat Adenauer oft gesagt —das Gefühl aufkommen, daß man sich auf die Deutschen nicht verlassen kann. Er hat gesagt: eindeutige Vertragstreue, aber deshalb auch eindeutige Vertragsinhalte. Wir dürfen nicht mehr in die Nähe des Vorwurfs kommen, unberechenbar und unzuverlässig zu sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Jaeger Da gibt es immer wieder Kollegen aus der SPD und der FDP, die sagen: „Aber liebe Leute, wenn Ihr mit der Sowjetunion alles so klarmachen wollt, dann könnt Ihr eben keine Verträge mit der Sowjetunion abschließen, weil die andere Vorstellungen von Frieden und Entspannung hat." Dies ist falsch. Wir haben in den 20 Jahren der Regierung von CDU/CSU durchaus verschiedene Verträge mit der Sowjetunion abgeschlossen; aber wir haben ein Prinzip beachtet, das immer wieder von erfahrenen Kennern der sowjetischen Vertragspolitik hervorgehoben worden ist, nämlich das Prinzip, daß man mit der Sowjetunion nur Dinge abschließen soll, die eindeutig und nicht gegensätzlich interpretierbar sind und uns Deutsche nicht in die Nähe des von mir eben genannten Vorwurfes bringen können. Auch wir wissen, daß der Formelkompromiß ein legitimes Institut in den internationalen Beziehungen ist. Ich nenne vor allen Dingen zwei Fälle. Erstens einmal: wenn eine akute Kriegssituation damit beendet werden kann, wie im Nahen Osten 1967. Die Resolution 242 der Vereinten Nationen ist in der Tat in einem entscheidenden Punkt doppeldeutig. Aber sie hatte immerhin das Verdienst, das unmittelbare Blutvergießen zu beenden. Der zweite Fall: wenn in der entscheidenden Streitoder Sachfrage, in der Substanzfrage eine echte Willenseinigung erzielt worden ist, dann kann man über die Dinge, über die man nicht einig geworden ist, unter Umständen mit einem Formelkompromiß hinweggehen. Wir teilen selbstverständlich die alte Erfahrung jeder Verhandlungskunst und jeder Diplomatie, daß man Formelkompromisse schließen kann. Aber es geht nicht an, daß in der Hauptsache, über die bisher Streit gewesen ist, ein Formelkompromiß entsteht, der in Wirklichkeit kein Kompromiß ist, weil ihn beide Seiten gegensätzlich auslegen. Der entscheidende Punkt — das ist doch nichts Juristisches, sondern das ist etwas Substantiell-Politisches — ist die These dieses ganzen Hauses, der Bundesregierung und des Westens, daß die Situation in Deutschland heute moralisch, rechtlich und politisch vorläufiger Natur ist. Die Sowjetunion hat 20 Jahre lang gesagt, das sei aggressive Politik, das sei Revisionismus; die Situation in Deutschland sei rechtlich, politisch, moralisch endgültig, Entspannung sei gerade in diesem Sinne unumkehrbar, hier sei nichts mehr zu ändern. Wenn man über diesen fundamentalen Gegensatz mit einem Formelkompromiß hinweggeht, dann riskiert man auf Dauer — ich wollte, ich hätte Unrecht — schwerere Spannungen mit der Sowjetunion, als man sie vorher gehabt hat. Die Sowjetunion, dieses große und für unser Schicksal so bedeutende Land, ist risikofeindlich und berechenbar. Wir brauchen nicht immer nur auf die Person des Herrn Breschnew zu schauen; Moskau betreibt keine Ein-Mann-Außenpolitik. Die Absichten der Sowjetunion sind viel klarer erkennbar, als viele Leute meinen, denn ihre Führung gibt die Kriterien und die Ziele ihres Handelns sehr klar bekannt. Man muß dies dann aber auch einmal zur Kenntnis nehmen und darf unangenehme Wahrheiten nicht einfach beiseite schieben. Wir wollen ein gutes und geordnetes Verhältnis zur Sowjetunion, für uns gegenüber der Sowjetunion berechenbar und umgekehrt. Vage Texte, deren Interpretation im Laufe der Verhandlungen die sowjetische Seite klipp und klar gesagt hat, tragen jedoch nicht zur Verbesserung dieses Verhältnisses bei. Nur derjenige ist ein kalter Krieger, so sage ich, der einen totalen Interessengegensatz zur Sowjetunion feststellt. Es gibt zwischen der Sowjetunion und dem Staat Bundesrepublik Deutschland, in der Tiefe der Dinge letzten Endes auch zwischen dem russischen Volk und dem deutschen Volk, eine Reihe von Interessenkonvergenzen und -gemeinsamkeiten. Sie herauszufinden, ist große Diplomatie, ist große Außenpolitik. Man darf diese Bereiche aber nicht überschätzen. Wer sie überschätzt und eine Vorstellung von größeren Interessenübereinstimmungen schafft, die sachlich falsch ist, riskiert hinterher den großen außenpolitischen und diplomatischen Kater, die große Enttäuschung; er läuft Gefahr, mit dem Vorwurf beworfen zu werden: Man Dr. Mertes kann mit euch nicht verläßlich reden und verhandeln. Neulich hat mir der Vertreter eines Staates des Warschauer Pakts gesagt: Früher wart ihr Deutsche Anwälte eures Rechtes; in den letzten Jahren seid ihr Winkeladvokaten eures Rechtes geworden. — Daß es dazu kommt, möchten wir eben vermeiden. Auf das Ergebnis von Genf angewandt, bedeutet dies: Hier besteht ja nicht nur ein ganz tiefer Dissens über das Wesen der Unverletzlichkeit der Grenzen, der durch die peaceful-change-Formel auch nicht ausgeräumt ist; sondern hier besteht sogar ein tiefer politisch-moralischer Dissens über die Bindungswirkung, über die Natur dieser Abmachung. Die Sowjetunion sagt ebenso wie die Bundesregierung: Es handelt sich bei der Schlußakte der KSZE nicht um einen ratifizierungsbedürftigen Vertrag. So weit, so gut. Die Sowjetunion sagt aber gleichzeitig: Korb 1, also der Katalog der Prinzipien, die Zehn-GeboteTafel, beinhaltet die feierliche, nach Treu und Glauben einzuhaltende Bekräftigung bestehenden Völkerrechtes, angewandt auf die konkrete Situation in Europa. Wenn die Sowjetunion hier von Europa spricht, denkt sie nicht an die finnisch-schwedische Grenze und nicht an die spanisch-französische Grenze, sondern dann denkt sie an die Grenze der Grenzen in Europa, nämlich die Grenze des sowjetischen Machtbereiches, und das ist die Elbe-Grenze. Es ist die unmenschlichste Grenze der Erde, aber es ist für die Sowjetunion aus ihrer inneren politischen Ungewißheit heraus die entscheidende Grenze. Infolgedessen konzentriert sich für die Verantwortlichen in Moskau alles — ganz objektiv, nicht vom Willen der Menschen, sondern von der Interessenund Machtlage in Europa her — so außerordentlich stark auf die Deutschlandund Berlin-Frage. Wir können hier nicht nach der Methode Coué und nach der Methode des Gesundbetens einfach sagen: Das ist keine Konferenz über Deutschland!, wenn diese Konferenz sich von ihrer ganzen Genesis her, von der Substanz der Probleme in Europa her so auf Deutschland und Berlin konzentriert, auch wenn diese nicht beim Namen genannt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Situation ist es wirklich von großer positiver Bedeutung, wenn die Opposition in diesem Hause dem Westen klarmacht, daß es uns aus einer pro-westlichen, d. h. rechtsstaatlich-freiheitlichen Solidarität heraus darauf ankommt, daß die westlichen Positionen und die Glaubwürdigkeit der Demokratie in diesem Lande nicht noch einmal gefährdet werden. Die nationale Argumentation darf niemals wieder in die Hände von Nichtdemokraten fallen. Wir sind aus dieser Sicht zutiefst davon überzeugt, daß wir mit unserer Haltung der Glaubwürdigkeit des Westens im deutschen Volk — auch wenn das dieser oder jener im Westen im Tagesgeschäft nicht einsehen mag — einen großen Dienst leisten. Wenn die Deutschen in der Bundesrepublik nicht mehr die Fahne der Freiheit hochhalten, ja, wer in aller Welt soll es denn tun? Wir sind das einzige Land der Erde, das diese einzigartige Möglichkeit, aber auch diese einzigartige Pflicht hat. Wir wollen ehrlich sein: Wären andere Länder gespalten, wie wir es sind, so würden wir uns auch nicht leidenschaftlich für die Wiedervereinigung des Staates XYZ einsetzen, sicherlich nicht für die Wiedervereinigung eines großen Landes, mit dem wir kurz zuvor einen Krieg hatten, den dieses aus unserer Sicht verschuldet hat. Psychologisch verstehe ich auch die westlichen Länder, die sich über jeden Akt der Bundesrepublik Deutschland freuen, der den Eindruck erweckt, als ob man diese lästige deutsche Problematik los wäre. (Dr. Jaeger [CDU/CSU] : Leider wahr! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Genau das ist es!)


    (CDU/CSU) : Sehr richtig!)


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Beifall bei der CDU/CSU)





    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Sehr wahr!)


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Natürlich ist solche Freude kurzsichtig, weil sie die Eigeninteressen des Westens in Deutschland übersieht. Man kann sich als Deutscher im Westen auf eine vordergründige Weise dadurch beliebt machen, indem man politisch angenehmer wird, indem man bequemer wird. Wenn man hier aber einen etwas tieferen und mehr auf das Langfristige gerichteten Blick hat, trifft zu, was ich jetzt mit großem Nachdruck wiederhole: Wir leisten mit unserem Nein zu diesen Texten der Glaubwürdigkeit der Demokratie in diesem Lande einen Dienst. Wenn Sie die Dinge vordergründig darstellen, wie das in außerordentlichem Maße heute morgen der Bundeskanzler gemacht hat, sieht die Sache natürlich ganz anders aus; dann wird die Opposition zur Karikatur: Dann sind wir die verbiesterte entspannungsfeindliche CDU, die die Zeiten nicht verstanden hat, die sich zurückgezogen hat in die Gräben des kalten Krieges, die nicht versteht, was in der Welt eigentlich los ist.
    In Wirklichkeit aber müssen Sie doch sehen, was schon mehrfach auch heute gesagt worden ist: uns kommt es darauf an, daß die Entspannung eine Entspannung in der Substanz und nicht nur in ,den Formeln ist. Der sowjetische stellvertretende Außenminister Sorin hat kürzlich dem Sinne nach erklärt: Selbstverständlich bedeutet Entspannung nicht eine Abmachung über die Erhaltung des westlichen Status quo. Die Vorgänge in Portugal sind nach seiner Auffassung eine Krönung des Entspannungsprozesses, weil letzten Endes — und dies ist tiefe kommunistische Überzeugung — die Einheit von Sozialismus, Kommunismus und Frieden eine eschatologische, endzeitliche Erwartung ist, die auf dieser Erde verwirklicht werden kann. Meine Damen und Herren, ich habe Respekt vor kommunistischen Überzeugungen; aber wenn diese Überzeugungen meinen elementaren Interessen widersprechen, muß ich die Kraft zur Selbstbehauptung haben.

    (Starker Beifall und Bravo-Rufe bei der CDU/CSU)

    Nach allen Erfahrungen der Geschichte ist es immer ein schweres Ringen gewesen, Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit unter ein Dach zu bringen. Wir wollen uns doch in diesem Hause nicht



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    gegenseitig abstreiten, daß wir die Gerechtigkeit und den Frieden und die Freiheit wollen. Worüber wir diskutieren und auch am heutigen Tage diskutiert haben, ist der richtige Weg. Glauben Sie doch nicht, daß nicht auch wir gesehen haben, wie positiv sich die westliche Zusammenarbeit in Genf ausgewirkt hat, wie sich manche Arbeit unserer Beamten hervorragend ausgewirkt hat.

    (Zuruf von der SPD: Alle!)

    Ein politisches Abwägen kann aber zu dem Ergebnis führen, daß ich sage: bei aller Würdigung der Gewichte, die auf der Waagschale des Ja der Bundesregierung liegen und die wir sehen, sind die Gewichte auf der Waagschale des Nein der Opposition — aus verantwortlicher Sorge um die Zukunft — erheblich schwerer. Wenn aber in der Politik die Waagschale — ich sage noch einmal: bei Würdigung der Gewichte auf der anderen Seite — auf einer Seite hinuntergeht, darf man nicht, bloß um nicht mißverstanden zu werden, gegen seine Überzeugung handeln und für das leichtere Gewicht sein. Wir haben aus Überzeugung so votiert, wie wir es Ihnen heute dargelegt haben.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)