Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem freundschaftlichen Ton, in dem der Präsident uns eben alle belehrt hat — —
— Sie waren doch ausdrücklich aufgefordert, den Beifall zu unterlassen. Er hat sich doch an Sie gerichtet, meine Damen und Herren, an wen denn sonst?
Aber wenn der Präsident gestattet, dann möchte ich vielleicht sagen, daß ich inzwischen auch in der Geschäftsordnung geblättert habe und nicht habe feststellen können, daß ein Mitglied des Hauses einen Teil seiner Rechte durch eine Änderung des geographischen Ortes seines Sitzplatzes verliert.
Aber nun möchte ich auf einige wenige Bemerkungen der Herren Carstens und Barzel eingehen. Ich bitte um Nachsicht dafür, daß ich nicht ausführlich sein kann. Wir haben heute nachmittag eine Kabinettsitzung, deren Beginn wir eben schon verschoben haben, um dieser Debatte ausreichend beiwohnen zu können.
Herr Carstens, um mit einer Kleinigkeit zu beginnen, Sie haben mich gerügt, daß ich an der Kommission in Brüssel Kritik geübt hätte. Ich habe daran in mehrfacher Weise Kritik geübt — übrigens auch an der Arbeit des Ministerrates. Ich habe dabei die deutschen Mitglieder beider Organe nicht ausgenommen. Ich denke auch nicht daran. Ich werde auch in Zukunft gelegentlich Kritik üben, z. B. dann, wenn, wie jetzt, auf Vorschlag der Kommission und durch Beschluß des Rates die Gehälter in Brüssel um 16 % erhöht werden. Ich nehme mir hierzu die Freiheit zur Kritik. Ich glaube, Sie denken auch kritisch darüber.
Herr Barzel wird sich sagen lassen müssen: Nicht alles, was die Kommission vorschlägt, ist deswegen allein schon richtig und anerkennenswert. Im übrigen, Herr Professor Carstens, geht Europa an der Kritik, die man an seinen Organen übt, genau so wenig zugrunde wie die Bundesrepublik Deutschland an der Kritik zugrunde gehen wird, die Sie an uns üben.
Herr Carstens hatte gefragt, ob denn nun die Sitzungen des europäischen Rates nur auf einstimmigen Beschluß stattfinden würden. Das ist nicht der
9256 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1974
Bundeskanzler Schmidt
Fall. Die jeweilige Präsidialmacht wird dreimal im Jahr und, wenn nötig — ich will hier auch noch auf Herrn Jäger zurückkommen —, auch häufiger einladen. So ist das gemeint.
Mehrfach hat in der Debatte die Swing-Geschichte eine Rolle gespielt. Ich habe Herrn Barzel nun allerdings nicht verstanden. Bei Herrn Carstens war klar, daß es bei ihm eine vorläufige Antwort war. Aber Sie hatten doch nun eine gewisse Zeit, sich das noch einmal genau zu überlegen. Sie waren selbst Minister für Gesamtdeutsche Fragen — wie das damals hieß. Ihnen, Herr Kollege Barzel, ist jedenfalls die Sache aus dem Jahre 1960 in Erinnerung, auf die Herr Kollege Wehner vorhin in sehr vornehmer, zurückhaltender Weise anspielte,
: Wie es seine Art ist!)
wo die damalige Bundesregierung den Swing gekündigt und ihn hinterher unter großen Kunststükken wiederhergestellt hat. Auch die Sache aus dem Jahre 1968 ist Ihnen in Erinnerung. Sie können nun allerdings diese beiden Präjudizien — positive-Präjudizien, wie ich meine, weil sie zeigen, wie sich jede Bundesregierung immer im Interesse der Deutschen auf beiden Seiten in dieser Sache bemüht hat, den innerdeutschen Wirtschaftsaustausch am Leben zu halten — nicht damit entwerten, daß sie heute meinen, sie seien vor dem Grundvertrag gewesen, und es gelte heute nicht mehr, was damals zu Ihrer Zeit gegolten habe. Das ist ein verbaler Trick, Herr Barzel, weiter nichts!
Herr Carstens, im übrigen ist das Argument, hier werde ein Preis bezahlt, wenn Sie die Geschichte der Bundesregierungen zurückverfolgen, die von Ihrer Partei geführt worden sind, der Partei, der Sie selbst angehören, vollends abwegig. Ich könnte Herrn Professor Erhard als Zeugen aufrufen. Er ist ja in der Lage, sich dazu zu äußern. Das könnten wir vielleicht erbitten. Keine Bundesregierung hat diesen innerdeutschen Handel gefördert, um der DDR-Regierung zum Gefallen zu sein, sondern um den Deutschen in den beiden Teilen zu helfen.
Wenn Herr Barzel in seinen Ausführungen vollständig wäre und wenn er geneigt wäre, auf einiges, was ich ihm gesagt habe, mit demselben Ernst einzugehen, mit dem ich geneigt bin, am Schluß meiner jetzigen Intervention auf das einzugehen, was er mir ins Stammbuch geschrieben hat — Sie werden das noch sehen —, dann würde er sich nicht nur erinnern, sondern auch sagen, daß keine vorangegangene Bundesregierung die Einrichtung, die Wiederherstellung, die Ausweitung, die Dynamisierung dieses Überziehungskredits als eine westdeutsche Leistung oder Vorleistung an die jeweilige Führung der DDR betrachtet hat.
Herr Carstens hat sodann bezweifelt, daß es in diesen Dingen in der Bundesregierung eine klare Zuständigkeit gebe, und hat dazu Fragen aufgeworfen. Ich bin eigentlich nicht geneigt, über innere Vorgänge in der Bundesregierung hier zu sprechen, aber ich möchte die Fragen nicht im Raum stehen lassen. Herr Carstens, der Herr Kleindienst, der auf unserer Seite die Formulierungen der erst noch zu treffenden Vereinbarungen mit der anderen Seite besprochen und ausgehandelt hat, war dazu durch den zuständigen Bundesminister für Wirtschaft, angewiesen, und jener hat dies nach Erörterung im Kreise der beteiligten und mitbeteiligten Ressortminister und des Bundeskanzlers getan.
Wenn Ihnen dies als nicht gehörig erscheinen sollte. würde ich mich wundern.
Sie haben sodann — und das muß ich in gewisser Weise, wenn auch abgeschwächt, auch den anderen Rednern der CDU/CSU vorwerfen — durch die Art Ihrer Einlassung in einem Punkte — ich nehme an, unwillentlich — wirklich der Sache der Deutschen miteinander, untereinander nicht gerade den besten Dienst erwiesen. Ich wiederhole: ich habe Verständnis, daß Sie durch diese kleine Schlauheit, die sich da jemand am Samstag im „Neuen Deutschland" geleistet hat, am Wochenende in Verwirrung geraten konnten. Wenn die Regierung Ihnen gegenüber etwas schneller funktioniert hätte, hätten Sie es vielleicht schneller durchschauen können. So hat es einen Tag länger gedauert. Ich muß allerdings auch sagen, daß wir nicht im Lande waren. Wie dem aber sei, wenn Sie jetzt das Gesamtergebnis dessen, was erreicht ist, und dessen, was eingeleitet ist — Herr Barzel erinnerte eben noch einmal an die Worte von Herrn Wehner, und die stimmen mit meinen überein; Sie können das im Protokoll vergleichen —,
betrachten, dann, so finde ich, tun Sie uns oder späteren Bundesregierungen, die ja weiterhin das schwierige Geschäft des Verkehrens und Verhandeins mit der Führung der DDR zu betreiben haben werden, keinen Gefallen, wenn Sie den Eindruck erwecken, als ob wir hier etwas aus der Hand gegeben hätten,
was wir nicht hätten geben dürfen, um vielleicht dafür etwas zu bekommen, was wir nach Ihrer Meinung noch gar nicht haben.
Sie machen damit — ich sage noch einmal: ich glaube nicht, daß Sie es wollen —
die Position desjenigen, der für diese Bundesregierung oder ihre Nachfolgerinnen verhandelt, zusätzlich und unnötig schwer, und Sie erleichtern
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1974 9257
Bundeskanzler Schmidt
damit die Darstellungsweise bestimmter Kräfte in
der DDR. Ich will sie nicht näher definieren, aber
es gibt dort verschiedene Strömungen des Denkens,
und eine der Künste in unserem Umgang mit anderen — das gilt nicht nur für die DDR, sondern auch für den internationalen Verkehr — ist doch, im jeweiligen Lande, im jeweiligen Partnerstaat die dortige Struktur, so wie sie steht, zu erkennen und zu nutzen. Es wäre ein ganz schwerer Fehler, wenn wir dazu beitrügen, diejenigen in der DDR zu stärken, die sowieso keinen innerdeutschen Handel und sowieso keine Entspannung haben wollen.
Ich sage noch einmal: ich werfe Ihnen keine böse Absicht vor; ich meine das auch nicht unterschwellig. Ich bitte Sie aber doch herzlich, ein solches Wort in Ihrem Kreise ernsthaft zu bedenken, ehe hier heute mittag die nächste Polemik vom Stapel gelassen wird.