Rede von
Dr.
Martin
Bangemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute morgen über einen nicht unbeträchtlichen Erfolg der Bundesregierung, insbesondere im Bereich der Europapolitik. Das haben die Ausführungen des Kollegen Carstens ganz deutlich gemacht; denn im wesentlichen hat er über andere Dinge gesprochen, weil er diesen Erfolg nicht bestreiten kann.
Ich halte es aber doch für richtig, wenn man von diesen Sachen spricht; denn die Einschätzung der Bundesrepublik, ihrer Situation und der Politik der Bundesregierung im Ausland und bei der Opposition ist in einem Maße unterschiedlich, das man nur noch damit erklären kann, daß hier nicht bloß die Per-
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spektiven anders sind, sondern daß die Opposition beginnt, an Realitätsferne geradezu zu leiden, an einer gewissen Blickverengung zu leiden, die im Bereich der Außenpolitik eben auch nicht der Bundesrepublik insgesamt nützen kann.
Der Besuch in Washington hat doch eines ganz deutlich gemacht, meine Damen und Herren: daß vor der allgemein schwierigen weltwirtschaftlichen Situation, auch vor der allgemein schwierigen allgemeinpolitischen Situation in der Welt die Bundesrepublik in einer außergewöhnlich guten Ausnahmesituation verhandeln und handeln kann und daß die Bundesregierung diese Situation genützt hat.
Auch die NATO-Tagung in Brüssel, die im Augenblick noch abläuft, zeigt diese Realitätsferne vieler der Positionen, die die Opposition eingenommen hat. Meine Damen und Herren, auf dieser NATO- Tagung ist der Bundesrepublik bestätigt worden, daß die Einsatzbereitschaft, die militärische Schlagkraft der Bundeswehr in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat, daß insbesondere auch die beabsichtigte Veränderung der Wehrstruktur in diesem Sinne von unseren Bündnispartnern eingeschätzt wird, ganz im Gegensatz zu dem verhängnisvollen Wort von den Operettenarmeen, das Herr Strauß geprägt hat und das noch einmal in diesem Bereich zeigt, wie sehr die Opposition ihren Blick trüben läßt durch den Versuch, ihre eigene Position zu verbessern, wie sehr sie sich weigert, daran teilzuhaben, daß die Position der Bundesregierung in manchen Bereichen zugleich auch Position der Bundesrepublik ist, so daß es eine Verpflichtung wäre für die Opposition, diese Positionen in gleicher Weise zu verteidigen und zu vertreten, wie die Bundesregierung das tut.
Meine Damen und Herren von der Opposition, man kann nicht ohne Schaden für die Position der Bundesrepublik von „Operettenarmeen" sprechen. Das werden Sie selbst feststellen, wenn Sie ins Ausland gehen. Solche Verpflichtungen bestehen auch für die Opposition.
Ich kann noch nicht ganz begreifen, in welchen Punkten wir bei der Beurteilung der Situation im Nahen Osten unterschiedliche Positionen vertreten. Man muß sich an die einhellige Ablehnung der Erklärung der Neun, die insbesondere aus den Reihen der Opposition kam, erinnern. Herr Professor Carstens, damals, in dieser Erklärung der Neun, ist ganz ausdrücklich davon die Rede gewesen, daß die Positionen aller im Nahen Osten miteinander im Streit liegenden Völker in gleicher Weise gesichert werden müßten, damit diese Völker die Chance erhielten, in gesicherten Grenzen in Frieden zu leben. Sie haben das damals kritisiert. Heute scheinen offenbar auch Sie diese Position der Bundesregierung für richtig zu halten.
Auch die Aufhebung des Zwangsumtauschs für Rentner mein Kollege Hoppe wird darauf noch im einzelnen eingehen — ist nun doch ein Faktum, das auf dem Tisch liegt und an dem man nicht vorbeikommen kann. Sie überspielen nun diese Erfolge, die ganz offenbar vorhanden sind, immer damit, daß
Sie erneut Forderungen stellen, die eben noch nicht realisiert sind. Sie versuchen damit, die greifbaren Erfolge der Bundesregierung herunterzuspielen. Das scheint Ihnen nach meinem Dafürhalten immer weniger zu gelingen, um so heftiger stellen Sie nun diese Versuche an.
Lassen Sie mich zu der europapolitischen Situation und zu dem Ergebnis des Gipfels kommen, der — ich habe es schon am Anfang gesagt — in überaus großem Maße für unsere Position sichtbare Erfolge mit sich gebracht hat.
Wenn man sich einmal in Erinnerung ruft, wie die allgemeine Auffassung in der Kommentierung der Presse vor dem Gipfel war, welche Tendenz in diesen Pressekommentaren sichtbar war, dann darf ich für viele dieser Kommentare stellvertretend die „Neue Zürcher Zeitung" zitieren, die geschrieben hat:
Es ist eine alte Geschichte und immer wieder neu. Neu ist zur Zeit, daß sich die europäische Problematik auf das Jahresende wieder einmal kritisch zuspitzt, nachdem schon der Jahresbeginn im Zeichen voller Krise, eines atlantischen Zerwürfnisses und einer innereuropäischen Zerreißprobe zugleich, gestanden hatte.
Meine Damen und Herren, diese Beschreibung der Möglichkeiten, der Hoffnungen, die mit dem Gipfel verbunden waren, ging durch die gesamte Presse hindurch. Niemand hat sich vom Gipfel etwas versprochen. Jedermann war skeptisch und voller Pessimismus.
Es ist sicher richtig, daß die Probleme größer geworden waren. Es ist sicher richtig, daß die Probleme auch dadurch größer geworden waren, daß sich die Differenzen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vertieft hatten. Es gab nicht so sehr Meinungsverschiedenheiten, sondern die Ausgangspositionen, von denen die einzelnen Mitgliedsländer auszugehen gezwungen waren, hatten sich verändert.
Zugleich wurde aber auch deutlich, daß eine größere Sensibilität für diese Probleme entstanden war, daß insbesondere bei der französischen Position zu verzeichnen ist, daß unter Aufgabe alter Vorbehalte eine Hinwendung zu einem Europa vollzogen wurde, wie wir es uns vorgestellt und gewünscht hatten.
Auch die Schwierigkeiten in Großbritannien haben nicht dazu geführt, daß sich die Politik Englands so von Europa abgewandt hätte, daß nicht ein Funken Hoffnung übriggeblieben wäre. Bei allen äußeren Vorbehalten, insbesondere zur Frage der Bedingungen des Verbleibens in der Gemeinschaft, war doch spürbar geworden, daß in Großbritannien, gerade auch in der Labour Party, die Erkenntnis, das Bewußtsein gewachsen waren, daß ein Verbleiben in der Gemeinschaft auch im eigenen Interesse liegen würde.
Das gleiche gilt für Italien. Hier haben wir, deutlich sichtbar, eine größere Nüchternheit bei der Einschätzung des wirtschaftlich Notwendigen zu verzeichnen gehabt. Wenn ich Dänemark, Irland und die Benelux-Länder in dieser Aufzählung nur
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so erwähne, dann geschieht das nicht, um deren Probleme zu verkleinern. Ich darf aber im Hinblick auf die Benelux-Länder sagen: Wir haben in der Vergangenheit immer wieder mit großer Befriedigung verzeichnen können, daß gerade bei den kleineren Partnern der Gemeinschaft ein großes Maß an Verständnis für die zunehmende Souveränität der Gemeinschaft vorhanden war.
Meine Damen und Herren, bei dieser Ausgangslage in der allgemeinen öffentlichen Einschätzung der Chancen eines Gipfels gibt es an einem gar nichts zu zweifeln und gibt es auch nichts herumzudeuteln: Das Ergebnis dieses Gipfels, wie es uns jetzt in Form des Kommuniqués vorliegt, ist ein großer europapolitischer Erfolg dieser Bundesregierung.
Wer das verkleinern will, tut etwas, was im Gegensatz zu seinen Lippenbekenntnissen steht; er verläßt nämlich die europapolitische Linie, die wir gemeinsam vertreten haben. Es geht eben nicht, daß man einen solchen Erfolg um seines eigenen Nutzens willen verkleinert, auch nicht, wenn man in der Opposition ist, sondern einen solchen Erfolg muß man gemeinsam mit den Fraktionen anerkennen, die die Regierung tragen, wenn man auf dem Gebiet der Europapolitik weitere Fortschritte will.
Das aber hat Herr Carstens nach meiner Meinung nicht getan.
Ich will das an einigen Punkten aus dem Kommuniqué, das Ihnen allen jetzt vorliegt, deutlich machen. Ich möchte dabei von meiner Fraktion aus insbesondere dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister dafür danken, daß sie in diesen schwierigen Verhandlungen einen großen Fehler vermieden haben, der angesichts unserer relativen Stärke sehr nahe lag, nämlich in dem Bewußtsein aufzutreten, es besser zu wissen, und dadurch den Erfolg unmöglich zu machen. Dies ist nicht der Fall gewesen.
Was, Herr Kollege Carstens, bedeutet nun das Ergebnis, das Sie hier herunterzuspielen versucht haben und zu dem der Außenminister auch noch deutlich Stellung nehmen wird?
Die Bundesregierung hat sich nicht in die unheilvolle Alternative hineinpressen lassen, daß nur eine Wahl zwischen den wirtschaftlichen Notwendigkeiten einerseits und den institutionellen Verbesserungen andererseits möglich sei. Das war ja sehr oft gerade auch aus den Reihen der Opposition vor dem Gipfel zu hören, daß man fragte: Was bedeuten institutionelle Verbesserungen angesichts der wirtschaftlichen Situation, angesichts der Zwangslage, in der sich viele Mitgliedsländer befinden?
Wir müssen erst einmal diese wirtschaftliche Situation bereinigen, dann kann an einen weiteren Fortschritt bei den Institutionen gedacht werden. — Meine Damen und Herren, dies ist eine der Alternativen, die die Bundesregierung nicht akzeptiert,
mit Recht nicht akzeptiert, die wir nicht akzeptiert e haben, in die sich die Opposition aber immer wieder verrennt, weil sie glaubt, Politik aus der einseitigen Wahl einer dieser Alternativen heraus machen zu können. Die Ziffer 2 des Abschlußkommuniqués spricht hier eine deutliche Sprache, wenn von der Anerkennung der Notwendigkeit die Rede ist, die interne Probleme, die der Aufbau Europas mit sich bringt, und die Probleme, die sich Europa von außen stellen, als Ganzes zu sehen. Das ist eine realistische Einschätzung dieser Problematik, weil sie vermeidet, sich in der Hoffnung, daß Lösungen für die Probleme insgesamt erreicht werden können, auf ein vordergründiges Gebiet zu stürzen.
Es ist auch nicht richtig, Herr Professor Carstens, daß sich die institutionellen Verbesserungen aus dem Text des Kommuniqués nicht ergeben und daß hier irgendwelche bewußten oder unbeabsichtigten Unklarheiten übriggeblieben sind. Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie selber den Zweifel zu erwecken versuchten, als sei nicht festgelegt, in welchem Ausmaß, nach welchem Turnus, in welchem zeitlichen Rhythmus sich die Regierungschefs in Zukunft treffen werden. In der Ziffer 3 des Kommuniqués steht ausdrücklich und ohne jeden Zweifel:
Die Regierungschefs haben daher beschlossen, dreimal jährlich und jedesmal, wenn dies notwendig erscheint, zusammen mit den Außenministern als Rat der Gemeinschaft und im Rahmen der Politischen Zusammenarbeit zusammenzutreten.
Hier ist kein Zweifel zurückgeblieben, Herr Professor Carstens. Dies ist eine klare Terminierung, eine klare Festschreibung, und zwar sowohl was die Häufigkeit dieses Zusammentreffens angeht wie auch vor allen Dingen — und das scheint mir besonders wichtig zu sein — die Art und Weise des Zusammentretens. Denn Sie wissen, die große Problematik, die sich hier auftat, war die, daß wir wieder einmal vor einem solchen Scheideweg standen, das Europa der gemeinsamen Institutionen zu verlassen und uns auf einen Weg bilateraler Zusammenarbeit zu begeben, den meine Fraktion unter gar keinen Umständen akzeptiert hätte. Ich habe das schon an anderer Stelle deutlich gesagt: Die Freien Demokraten unterstützen nur eine Europapolitik, die zu einem demokratischen, gemeinschaftlich verfaßten Europa führt. Sie unterstützen keine Europapolitik, die nur auf das überholte Mittel bipolarer Zusammenarbeit alter Nationalstaaten zurückgreift.
— Wenn wir in diesem Punkt übereinstimmen, dann müssen Sie wohl das eine oder andere in Ihrem Redemanuskript, ich will nicht sagen: korrigieren, aber in der Tendenz verändern; denn Sie meinten, diesem Kommuniqué seien nicht genügend Unterlagen für diesen Weg zu entnehmen. Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen: Die Formulierung des Kommuniqués, daß sich die Regierungschefs mit den Außenministern als Rat der Gemeinschaft und im Rahmen der Politischen Zusammenarbeit treffen
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werden, schließt es aus, daß ein solches Zusammentreffen ein Zusammentreffen der Regierungschefs von souveränen Nationalstaaten, von nationalstaatlichen Einheiten, sein kann.
Ich begrüße im Namen meiner Fraktion insbesondere auch die Regelung des Kommuniqués, daß die Außenminister als Rat der Gemeinschaft ein stärkeres politisches Gewicht entfalten sollen, um der Gemeinschaft neue Impulse und eine Koordination zu geben, die bisher beim Ministerrat, beim Zusammentreffen der Fachminister, vielleicht ein wenig gefehlt hat. Ich darf auch darauf aufmerksam machen, daß die diskutierte politische Union Europas im Kommuniqué zum erstenmal greifbare, institutionalisierte Formen annimmt, indem davon die Rede ist, daß der Sprecher der Neun, der Vorsitzende des Rates, jeweils auf diplomatischer Ebene für die Neun auftritt, eine institutionelle Verbesserung, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann; denn hier haben wir den ersten Schritt zu einer wahrhaften und auch im politischen Tagesgeschehen tätig werdenden Gemeinschaft der Neun erreicht.
Die Verbesserung der Gemeinschaftsverfahren und die Zuweisung der erforderlichen Handlungsbefugnisse an die Organe der Gemeinschaft sind ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Ich erwähne dies so ausführlich, weil Herr Professor Carstens darüber ein wenig hinweggegangen ist. Ich habe ein gewisses Verständnis für ihn insoweit, als er hier natürlich in einem Dilemma war. Sicherlich waren da zwei Seelen in seiner Brust, die eine des Oppositionsführers, der vor der Schwierigkeit steht, ein wirklich überraschend konkretes, überraschend erfolgreiches Kommuniqué zu kommentieren und dabei zu vermeiden, der Regierung ausdrücklich Lob zu spenden. Deswegen hat er sich wohl auch auf diese Duisburger Pfade begeben und hier erneut das Gespenst einer SPD beschworen, die nach seiner Meinung möglicherweise bei der einen oder anderen Gelegenheit den Pfad der demokratischen Tugend zu verlassen in der Lage und auch bereit sei. Der Kollege Wehner hat ihm die erforderliche und gebührende Antwort darauf bereits erteilt.
Ich darf an dieser Stelle aber vor dem Hintergrund dessen, was Sie, Herr Professor Carstens, dazu ausgeführt haben, noch einmal ausdrücklich sagen: Gerade in einer außen- und in einer europapolitischen Debatte ist es wirklich nicht dem Stil des Hauses und auch nicht dem Rang dessen, was wir heute hier zu diskutieren haben, angemessen, wenn man dauernd seine eigenen innenpolitischen Gespenster aus der Schublade holt
und eine Partei diffamiert, die in der Gestalt des Bundeskanzlers wesentlich zu dem Ergebnis dieses Gipfels beigetragen hat. Das muß man doch einmal sagen.
Der Versuch, auf diese Weise die Regierungskoalition auseinanderzubringen, indem man sagt: die Freien Demokraten sind die demokratisch Zuverlässigen in diesem Hause, während bei der SPD
immer die unheilvolle Nachbarschaft zum Kommunismus aufscheint, wird unter gar keinen Umständen gelingen. Das kann ich Ihnen, meine Damen und Herren, schon jetzt hier sagen.
Lassen Sie uns zu den europapolitischen Problemen zurückkommen, die zu wichtig sind, als daß sie von der Versammlung oder Verhandlung in Duisburg, so wichtig sie auch sein mag, überschattet werden dürften.
Wir haben, meine Damen und Herren insbesondere auch bei der Direktwahl einen Zugang zum demokratischen Europa gefunden, der nach unserer Meinung besser und direkter gar nicht sein kann; im übrigen entspricht das auch Ihrer eigenen Auffassung. Denn wenn ich mich richtig erinnere, liegt dem Hause immer noch eine Resolution vor, in der Sie zur Einführung der Direktwahl unserer europäischen Parlamentarier auffordern. In dem Kommuniqué ist nun eine zeitliche Abfolge vereinbart worden, die diese Wahlen nicht hinausgeschoben hat. Bis 1976 soll der Rat entscheiden, bis 1978 können diese Wahlen eingeführt werden außer in Dänemark und Großbritannien. Wir wissen alle, daß sich die Haltung Großbritanniens vielleicht in einiger Zeit, wenn ein politisches Ereignis vorbei sein wird, noch ändern kann. Die dänische Situation ist ganz sicher nicht dadurch erklärbar, daß man etwa sagt: Das sind die Leute, die weniger von der Gemeinschaft halten, sondern es ist wohl mehr auch Reflex ihrer innenpolitischen Situation.
Wir können also davon sprechen, daß die Gemeinschaft auf dem Gebiet gemeinsamer und allgemeiner, direkter Wahlen zum Europäischen Parlament zu einem Durchbruch gefunden hat, wobei ich hinzufügen will, daß die Verbindung dieser Wahlen mit einer Erweiterung der Kompetenzen der Institutionen exakt das ist, was die beiden Regierungsfraktionen in diesem Bereich auch an Ergänzungen vorgeschlagen haben — auch in Abänderung dessen, was Sie selbst vorgeschlagen haben —, weil wir nun in der Tat der Meinung sind, daß eine allgemeine Wahl zum Europäischen Parlament dann Sinn gibt und auch für die Öffentlichkeit eine tiefere Bedeutung, eine größere Einschätzung der europäischen Einigung gewinnt, wenn der Öffentlichkeit klar ist, daß mit einer solchen Wahl Parlamentarier gewählt werden, die mehr tun, als nur den Gang der europäischen Dinge kommentierend zu begleiten. Die Kompetenzen eines Parlaments, meine Damen und Herren, müssen der Art und Weise, in der dieses Parlament zustande kommt, entsprechen. Ein bloßes beratendes Organ, wie es das Europäische Parlament in der Vergangenheit leider nur war, muß nicht direkt und allgemein gewählt werden, ganz im Gegenteil; eine solche direkte und allgemeine Wahl würde in der Öffentlichkeit dann vielleicht wieder einmal als eine bloße europäische Veranstaltung empfunden werden, die verdecken soll, daß nichts dahintersteht. Deswegen haben wir großen Wert darauf gelegt, daß das zusammengeht, und jetzt geht es zusammen. Wir haben in diesem Kommuniqué erstmalig eine ausdrückliche Entscheidung der Regierungschefs dahin, daß diese Entwicklung
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des Europäischen Parlaments nicht nur begrüßt wird, sondern auch durchgeführt werden soll. Ich meine deswegen, daß die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments zusammen mit der Forderung nach der Direktwahl einen erheblichen Schritt in die richtige Richtung zum demokratischen Europa darstellt.
Sie haben auch schon erwähnt — in diesem Punkte lobend, wahrscheinlich deshalb, weil es sich um den Regierungschef eines Nachbarlandes handelt —, daß Sie Herrn Tindemans bei der Abfassung des Berichts, mit dem er beauftragt worden ist, großes Vertrauen entgegenbringen. Wir teilen dieses Vertrauen, und wir hoffen, daß dieser Bericht die Richtung zu einem demokratischen Europa noch stärker einschlagen wird.
Lassen Sie mich ferner noch einiges zu den Fragen der Wirtschafts- und Währungsunion sagen.
Es ist angesichts der unterschiedlichen Positionen, die die Mitgliedsländer hier in der Vergangenheit eingenommen haben, keine Kleinigkeit, daß wir in dem Kommuniqué Übereinkunft darüber erzielt haben, daß die Stabilitätspolitik einerseits und die Wachstumspolitik andererseits in ein Gleichgewicht zu bringen sind. Sie wissen, daß unsere Vorbehalte, insbesondere gegenüber der Position einiger unmittelbarer Nachbarn — Frankreich und Italien , auf diesem Gebiet in der Vergangenheit immer darin bestanden haben, daß wir zwar bis zu einem gewissen Grade die Notwendigkeit eingesehen haben, daß diese Nachbarn stärker auf Wirtschaftswachstum setzen, daß wir aber unseren Nachbarn die Gefahren, die damit aufgetaucht sind, immer wieder mit großer Nachdrücklichkeit vor Augen geführt haben. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist: Es steht eindeutig im Kommuniqué, daß wirtschaftliche Stabilität und Wirtschaftswachstum zwei gleichrangige Ziele sind und als solche von den Gemeinschaftsländern zu behandeln sind.
Meine Damen und Herren, ich darf den ganz ausdrücklichen Dank meiner Fraktion an die Bundesregierung, insbesondere an den Bundeskanzler, aber auch vor allen Dingen an den Bundesaußenminister, richten, daß sie mit den eigenen Überlegungen zur Konjunktur-, Währungs-, Stabilitätspolitik und den Beschlüssen, die dazu gefaßt werden sollen, gewartet hat, bis sie nicht nur die Meinung der Vereinigten Staaten, sondern vor allen Dingen auch die der Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft in diese Überlegungen mit einbeziehen kann. Das ist eine Haltung der Regierung, die aktive Solidarität mit unseren europäischen Nachbarn bekundet. Dafür wollen wir ganz ausdrücklich danken.
— Ich werde nachher sehr gut zuhören. Ich hoffe, daß Sie mich in dieser Hinsicht nicht enttäuschen werden, Herr Barzel.
— Nein, Herr Kollege Marx, ich sage dies jetzt einmal in allem Ernst nur zu Ihnen von der Opposition gewandt: Wir wissen uns ja darin einig, daß wir in der Tat nur durch Beharrlichkeit, eine gewisse Stetigkeit und Zähigkeit die Schwierigkeiten überwinden können, die auf dem Weg hin zu Europa nun einmal vorhanden sind. Wenn das aber so ist und diese Schwierigkeiten vorhanden sind, sollten wir uns nicht gegenseitig zusätzliche Schwierigkeiten machen, sondern diese Opposition sollte sich aufraffen nicht im Interesse der Bundesregierung, auch nicht im Hinblick auf irgendeine Wahl, die jetzt vor uns liegt, sondern im Interesse Europas —, einmal zu sagen: Donnerwetter, das Ergebnis des Gipfels ist beträchtlich! Das hätten wir nicht geglaubt!
Um es Ihnen ein bißchen zu erleichtern, schlage ich Ihnen eine Formulierung vor. Sagen Sie wenigstens: Dieser Regierung hätten wir das nicht zugetraut. — Dann würden Sie wenigstens den Erfolg entsprechend würdigen und trotzdem Ihre oppositionelle Haltung beibehalten.