Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner hat die Schwierigkeiten erwähnt, die sich in dieser Debatte ergeben, weil ja abschließende Texte, wie er sagte, z. B. ihm erst seit einer halben Stunde vorliegen. Dieses Schicksal teilen wir miteinander, Herr Carstens, und müssen dennoch — Sie haben das ja auch gesagt —hier gerechterweise über das sprechen, was die Regierung zu den schwierigen Verhandlungen erklärt hat, die ja stellenweise — ich will das nicht in einem herabsetzenden Bilde gemeint haben — einem gefährlichen Slalomlauf gleichen mußten, so wie die weltpolitischen und auch die europapolitischen Akzente gesetzt sind.
Sie haben dann gesagt, daß Sie in dieser Debatte manches sagen würden, das vorläufigen Charakter habe. Ich muß Ihnen zugestehen, daß Sie damit recht hatten.
Ich muß allerdings sagen: Manches, was sehr vorläufig ist, war dennoch vorformuliert. Insofern ist es dennoch auch vorläufig, wie alle Manuskripte vorläufig sind, auch wenn Sie noch einmal und noch einmal aufgekocht werden.
Jedenfalls haben Sie das im Zusammenhang mit Hinweisen auf den Bundesminister der Finanzen, Hans Apel, als auch mit Hinweisen auf den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Willy Brandt, unter Beweis gestellt. Es bleibt bei Ihnen vorläufig bei Abstempelungen, und Sie meinen, damit kämen Sie eine ganze Weile — wenn auch. nur vorläufig — durch, vielleicht bis zu einer nächsten Wahl zu irgendeinem Landtag oder in irgendeiner Kommune.
Sie hängen also am Vorläufigen.
Gerechterweise haben Sie aber erklärt, Sie seien froh darüber, daß in bezug auf die Pariser Konferenz ein Fehlschlag vermieden worden sei. Das ist eine sachliche Feststellung. Sie teilen diese Auffassung — warum auch nicht? — sicherlich mit manchen anderen, die keineswegs Ihre sonstigen vorläufigen Beurteilungen teilen wollen. Es ist unerhört schwierig gewesen, dieses Pariser Treffen zu Ergebnissen zu führen, im Hinblick auf die auch Sie sagen müssen, Sie seien froh darüber, daß ein Fehlschlag vermieden worden sei. Ich denke dabei an ein Wort, das mir unlängst bei seinem letzten Besuch in Bonn mein alter verehrter Freund, der Präsident des Aktionskommitees für die Vereinigten Staaten von Europa, Jean Monnet, gesagt hat, als ich ihn fragte, ob das Komitee als solches nicht etwas Besonderes tun müsse. Er sagte: Dies ist die Stunde der Regierungen. Dies habe wohl nicht nur ich eingesehen, sondern ich nehme an, auch Sie sehen das ein: Dies ist die Stunde der Regierungen, auch wenn Regierungen gerechterweise der Kritik ihrer Parlamente unterstellt sind.
Deswegen wende ich mich zunächst dem zu, was der Herr Bundeskanzler nach einer sicherlich nicht ruhigen Nacht hier heute dankenswerterweise dem Bundestag in gestraffter Form vorgetragen und zur Debatte vorgelegt hat. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützt vollinhaltlich die Darlegung, die der Herr Bundeskanzler über die Entwicklungen im Verhältnis unseres Staates zur DDR gemacht hat. Wir danken ihm und der Bundesregierung für die Beharrlichkeit,
mit der daran gearbeitet worden ist, auch mit einem so schwierigen Partner, wie es die Regierung der DDR ist, zu konstruktiven Ergebnissen zu gelangen, die nicht zuletzt der Berliner wegen für uns so bedeutsam sind.
Sie haben alle gehört, was der Bundeskanzler hier schmucklos über das dargelegt hat, was mit diesen Erörterungen und Gesprächen in den letzten Monaten erzielt worden ist. Meine Damen und Herren, es ist jedenfalls — wie auch immer Sie das Urteil vorwegnehmen wollen — der Ausblick auf eine Reihe wesentlicher Verhandlungen, in denen es um wesentliche Fragen für das Verhältnis zwischen den beiden Staaten im getrennten Deutschland und um Regelungen immer und in erster Linie zugunsten Berlins geht.
Was der Bundeskanzler hier in seiner Regierungserklärung über die Gespräche - sei es in Washington, sei es in New York — mit unserem wichtigsten Partner, den Vereinigten Staaten von Amerika, gesagt hat. ist zweifellos von großer Bedeutung, auch wenn sich manche Ergebnisse nicht schon in allernächster Zeit zeigen werden, sondern erst auf dem Wege der Annäherung ,der Standpunkte — hier ist ja auf das Zusammentreffen des amerikanischen Präsidenten mit dem französischen Präsidenten hingewiesen worden —, über schwierige Differenzen und mitunter sogar über Klüfte hinweg, die in den letzten Jahren bestanden haben.
Das Ergebnis der Tagung in Paris ist richtig charakterisiert worden, wenn darauf hingewiesen worden ist, daß sich die Regierungschefs dort weder in bürokratischer Kleinarbeit erschöpft noch in hohlen Deklamationen ergangen hätten. Bei dem Kommuniqué — wenn wir alle es sorgfältig studiert haben werden, wenn die Ausführungen des Herrn Bundesministers des Auswärtigen dazu vorliegen und zur Kritik stehen werden — werden wir sehen, daß es sich hier um Gesprächsergebnisse von nicht alltäglichem Wert handelt.
Der Bundesminister der Finanzen hat übrigens hier im Bundestag in einer Rede, die er am 5. Dezember 1974 gehalten hat, folgendes gesagt — er hat dabei den Jahresbericht 1974 des Weltwährungsfonds zitiert —, was ich wörtlich wiedergebe:
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Um die Mitte des Jahres 1974 lag die Weltwirtschaft in den Wehen einer starken und weitverbreiteten Inflation, einer Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums, und war konfrontiert mit einem massiven Ungleichgewicht im internationalen Zahlungsverkehr.
Und er hat ergänzend dazu ausgeführt, daß in diesem Jahresbericht des Weltwährungsfonds weitergesagt wird,
daß diese Situation die nationalen Regierungen wie die internationale Gemeinschaft vor die umfassendsten und schwierigsten Probleme seit dem Ende des zweiten Weltkrieges stellt. Wir kommen zu dem Ergebnis,
— so schloß der Bundesminister der Finanzen —
daß dieser Analyse nichts hinzuzufügen ist. Wir befinden uns in der Tat in der schwierigsten Situation nach 1945.
Wenn ich noch einmal auf den Begriff meines sehr verehrten Vorredners zurückkommen darf: Dabei halten Anmerkungen vorläufigen Charakters den Wetterverhältnissen kaum stand, Herr Carstens!
Der Bundeskanzler hat mit Recht gesagt, daß wir eine Durststrecke durchmessen. Es ist dieser Charakterisierung nicht angemessen, wenn man meint, da könne man sich ausschließlich am Körper der Regierung des eigenen Landes sozusagen festbeißen. Hier in dem Kommuniqué sind — wir alle werden es noch sehen — wesentliche Orientierungspunkte für die nächsten Monate zusammengefaßt, und zwar — hier greife ich wieder das auf, was der Bundeskanzler gesagt hat gekennzeichnet nicht nur durch gute Kooperation, sondern auch dadurch, daß das, was in Paris — zugegeben mühselig und geduldig genug — hat herausgearbeitet werden müssen und können, zu gemeinsamen Schritten — oder Schritten aufeinander zu — mit den Vereinigten Staaten von Amerika führt. Sie wissen doch ganz genau, meine Damen und Herren von der Opposition, wie das ist mit dem besonderen Verhältnis z. B. der französischen Regierung — nicht nur der jetzigen, sondern auch ihrer Vorgängerinnen — zu einer Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Hier ist nicht der Platz, sich über die französische Politik auseinanderzusetzen, aber hier ist doch, wenn Dinge verniedlicht oder verschoben werden, der Platz, darauf hinzuweisen, daß wir es in vielen Jahren auch mit solchen uns berührenden, aber von uns nicht zu verantwortenden Entwicklungen zu tun haben.
Hier komme ich noch einmal auf das zurück, was Sie wiederholt angreifen zu müssen glaubten. Wenn der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in einer Rede, die er in Paris auf Einladung gehalten hat, genau auf die Dinge zu sprechen gekommen ist, in denen uns jetzt Probleme auf den Nägeln brennen, und wenn er Wege und Vorschläge zur Krisenmeisterung um der Gemeinschaft willen — damit sie nicht zerspringe oder zerfalle — dargelegt hat, so lohnt es nicht, sich an dem einen oder dem anderen Wort festklammern zu wollen und daran herumzudeuteln.
Dann nehmen wir das, was Willy Brandt in dieser Frage gesagt und gewollt hat, wie es ist und wie es auch von Leuten nicht vorläufigen Charakters — hier zitiere ich z. B. noch einmal meinen Freund Jean Monnet — positiv gewürdigt worden ist.
Da erlaube ich mir, einiges zu dem zu sagen, meine Damen und Herren, was wir bei allem, was vorläufigen Charakters sein mag, festhalten müssen. Wir haben es, was die heute hier in der Regierungserklärung berührten und aktualisierten Beziehungen vielfältiger Art betrifft, in denen wir stehen und auf deren Gedeihen wir alle angewiesen sind — unser Staat, unser Volk, sogar in dem Sinne gesprochen: unser Volk im getrennten Deutschland —, bezüglich deren wir zu leisten haben, was wir mit den uns aufgegebenen Beziehungen zu tun imstande sind, mit den Römischen Verträgen zu tun. Wir haben es zu tun mit dem Nordatlantikpakt. Wir haben es zu tun mit dem Generalvertrag, den wir mit den drei Westmächten geschlossen haben, und wir haben es zu tun mit dem Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen uns und der DDR. Eine Klammer dessen und aus diesen Verträgen herausgewachsen ist das, was wir das Viermächte-BerlinAbkommen nennen mögen. Das ist alles sehr gebrechlich, das alles ist keinewegs Absolutheitsvorstellungen gemäß, aber es ist alles sorgsam zu hüten, sorgsam davor zu behüten, daß es nicht über I das Maß hinaus, das sowieso die Wetterverhältnisse ihm zumessen, strapaziert wird.
Die vertraglich geregelten Beziehungen mit den Staaten in West und Ost bedürfen — das will ich damit sagen — jeweils ebenso sorgfältigster Aufmerksamkeit und Handhabung, wie wir der Fähigkeit bedürfen, es in unserem eigenen Interesse zu keinem Entweder-Oder kommen zu lassen: entweder mit Westverträgen oder mit Ostverträgen, entweder das eine oder das andere. Das ist doch wohl ein gemeinsames Interesse. Ich bin überzeugt, daß das, auch wenn des „vorläufigen Charakters" wegen heftig dagegen polemisiert wird, im Grunde nicht geleugnet werden kann.
Wenn ich sage, daß es in unserem eigenen Interesse liege, es zu keinem Entweder-Oder in diesem Geflecht von vertraglichen Beziehungen kommen zu lassen — das ist mit unser eigenes Interesse —, heißt das, daß da nicht Schaukelpolitik hilft, sondern Balance. Balance ist nicht immer so, daß man während der schwierigen Akte und Handlungen schon sieht, was für ein gewaltiger Künstler der ist, dem aufgegeben ist, diese Balance zu halten. Aber er verdient unsere Unterstützung, und so verdient sie der Bundeskanzler bei diesen schwierigen Akten.
Wenn nicht Schaukelpolitik betrieben, sondern Balance gehalten werden soll, bedingt dieses, nichts
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blockieren zu lassen, weder in der einen noch in der anderen Richtung.
Die Behandlung unserer vertraglichen Verpflichtungen und Möglichkeiten muß beim Austragen unserer innenpolitischen Kämpfe, die um die Führung und die Schwergewichte der Politik hier ausgetragen werden — was legitim ist —, insoweit sorgsam geschehen, als wir unsere eigenen Interessen — sagen wir: unsere nationalen Interessen — nicht so in das Spiel anderer Interessen hineinziehen lassen dürfen, daß wir unsere eigenen Interessen nicht wirklich voll wahrnehmen könnten. Das ist eine Regel, von der niemand herunterkommt, gleichgültig, welche Regierung er lieber am Ruder sähe.
Wir brauchen die Abstimmung mit den Interessen von Partnern, aber wir müssen viel dazu tun, uns nicht, auch wenn es ungewollt geschieht, als Werkzeuge der Interessen anderer verbrauchen zu lassen. Ich unterstelle keiner der Seiten, mit denen wir Verträge haben, daß sie uns für ihre eigenen Interessen sozusagen mißbrauchen möchte. Nur: Wir müssen aufpassen, daß wir unsere Interessen selbst sorgsam wahren und sie auch nicht den innerpolitischen Kämpfen um Führung und Schwergewichte hier zum Opfer bringen lassen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie selbst müssen sich gelegentlich daran erinnern, wie schwierig es war, z. B. Abkommen mit der DDR, mit dem anderen Teil im getrennten Deutschland, die von unserer Seite aus bestimmten Gründen aufgesagt worden waren, dann doch wieder zu flicken, weil es keine andere Möglichkeit gab. Ich denke dabei — um nur zwei Punkte herauszugreifen — an jene zeitweilige Kündigung des Abkommens über den innerdeutschen Handel durch eine Regierung hier und daran, wie wir uns dann bemühen mußten, dies wieder in das Gleis zu bringen, ohne daß wir ein völlig neues legen konnten.
— Damals waren Sie noch nicht hier, Herr. Lassen Sie das ruhig sein, dazu Ihre klugschnackerischen Bemerkungen zu machen!
Dazu rechne ich auch das Umgehen mit dem Passierscheinabkommen in jenem Jahr, in dem es auf unserer Seite etwas dazu bedurft hätte, es weiterführen und erneuern zu können. Daß die damalige Regierung sich gegen den Rat anderer — z. B. auch gegen meinen Rat — dem damals versagt hat, sind heute keine aktuellen Dinge mehr. Wenn man so will — in der Sprachphilosophie des Herrn Kollegen Carstens —, waren es also Dinge vorläufiger Art.
Nur, wenn Sie sich heute — und das ist Ihr gutes Recht —, an der Frage festhaken, ob denn die Regierung das Äußerste aus den vertraglichen Möglichkeiten herausgeholt hat, dann müssen Sie auch bedenken, daß die vertraglichen Möglichkeiten zugleich auch vertragliche Notwendigkeiten sind. Und dann brauchen wir ein Stück, wo wir bei allen
inneren Auseinandersetzungen hier, die nicht aufhören werden — dafür sorgen, daß wir Möglichkeiten und Notwendigkeiten in das richtige Verhältnis bringen. Und hier danke ich der Regierung wiederum für ihre Beharrlichkeit bei dem Aushandeln dieser Möglichkeiten, nun in sachgerechte Sachverhandlungen eintreten zu können.
Meine Damen und Herren, Sie dürfen doch — um jetzt einmal ebenso kurz die westliche Seite anzuleuchten — nicht vergessen, wie viele Jahre die französische Auslegung und Praxis im Umgang mit den Römischen Verträgen die westeuropäische Entwicklung zur Einheit hin gekostet haben. Das wissen Sie doch noch ganz genau, und ich nehme nicht an, daß Sie darüber einfach hinwegwischen wollen. Ich denke an die Jahre der „Politik des leeren Stuhls", lange Jahre, die heute noch nicht völlig überwunden sind. Sie wissen, mit welchem Luxemburger Kompromiß man damals abschließen mußte. Schließlich sagten die damalige Regierungskoalition und die damalige Opposition in dem einen Punkt doch: besser dies als gar nichts! Das war die Lage, die wir damals mit der Politik des leeren Stuhls vorgesetzt bekommen haben. Da ging es doch nicht nur um das Verhältnis der Partner in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zueinander, es ging dabei immer auch, wenn nicht in einem sehr starken Maße, um das Verhältnis der Partnerschaft zwischen den zur Einigung Europas fähigen Staaten, also Westeuropas, zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist doch — zusätzlich zu allem — etwas. Ich täte das, meine Damen und Herren, nicht so mit einer Handbewegung in bezug auf das bevorstehende Zusammentreffen zwischen den Präsidenten der Vereinigten Staaten und Frankreichs ab. Dies ist der Vorgeschichte und auch der innenpolitischen Verhältnisse Frankreichs wegen — schwierig genug. Das wissen Sie auch. Wir können diese Verhältnisse von hier aus nicht ändern, falls wir überhaupt ein Rezept hätten, wie man sie eigentlich ändern müßte.
Und da komme ich doch noch einmal zurück zu Herrn Carstens' vorläufigen Wertungen. Er hat intensiv gefragt nach Vorschlägen konkreter Art zur Wahl des Europäischen Parlaments. Herr Carstens, Sie haben gesagt: seit den sechziger Jahren liegen sie auf dem Tisch. Aber Sie wissen doch — ich nehme an, Sie wissen das —, wie die Stellung des französischen Partners, die amtliche, die Regierungsstellung, zu der Direktwahl des Europäischen Parlaments war und noch ist. Daß es jetzt endlich möglich ist, — —
— Entschuldigen Sie, Sie werden mich doch hier nicht belehren, daß Frankreich nicht gesagt hat: nein; höchstens eine Jahreszahl, die noch sehr weit in der Ferne lag, genannt hat auf die Frage, wann man dazu übergehen könnte. Das können Sie doch
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innenpolitischer Opportunität wegen nicht einfach aus der Welt schaffen.
Nun, einige Bemerkungen — auch wieder vorläufigen Charakters — haben Sie jetzt schon zur bevorstehenden konjunkturpolitischen Debatte gemacht, die am Freitag hier geführt werden wird. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn das Fehlen einer Einigung im energiepolitischen Bereich — Herr Carstens hat es hier bemängelt — bedauert wird, so kann man doch nicht daran vorbei — ich muß noch einmal auf dieses spezielle Verhältnis zwischen Frankreich und den USA zu sprechen kommen —, daß beide in dieser Frage eine besondere Verantwortung haben.
Sie haben, Herr Kollege Carstens, einige Bemerkungen zum Nahen Osten gemacht. Ich erkläre, daß ich einverstanden bin mit dem, was Sie darüber gesagt haben, daß ein neuer Krieg nicht ein einziges der dortigen Probleme lösen könnte. Hier sind wir völlig übereinstimmender Meinung. Ich erlaube mir, ohne damit diese Übereinstimmung einschränken zu wollen, hinzuzufügen: Ein neuer Krieg dort könnte, würde wahrscheinlich tödlich sein für mehr als nur für die Länder und Völker dieses Gebietes.
Sie bemängeln hier, daß die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland nicht immer gleichartig und gleichlautend zu den Rechten Israels und der Palästinenser gesprochen hätten, und Sie sagen, das sollten sie tun. Ich bin auch der Meinung: das müssen sie. Meine Einstellung ist die des Bedauerns darüber, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen den Eindruck gemacht hat, als ob den Palästinensern ein Recht gegeben werden könne, während vom Rechte Israels nicht mehr die Rede zu sein brauche.
Dies war das, was schauerlich war an jener Demonstration. Es war eine Demonstration, angesichts derer sicher nicht nur ich, sondern viele andere — gleichgültig, zu welchem Lager sie gehören — sehr bedrückt waren, weil manches an jener Schaustellung des Mannes mit dem Pistolenhalfter an etwas völlig anderes erinnerte, nämlich an das Bild, das uns hinsichtlich eines Diplomaten mit dem Regenschirm von 1938 noch gewärtig ist.
— Der Schuh war noch ein anderes Bild, verehrter Herr. Sie müssen nicht immer nur nach einer Seite gucken. Ich hoffe sehr — und hoffentlich mit Ihnen gemeinsam; denn in diesem Punkte werden wir doch wohl übereinstimmen —, daß es nicht so kommt wie 1938 hinsichtlich jenes anderen Landes, das damals von einigen Gentlemen und Monsieurs dazu verurteilt worden ist, geteilt zu werden.
Nun, sehr verehrter Herr Kollege Carstens, Sie meinen, den Bundeskanzler in dieser Stunde ermahnen zu müssen, daß eine Veranstaltung, die die CDU in Duisburg — so habe ich gehört — durchführen wird, nicht gestört werden dürfe. Herr Carstens, das entspricht weder der Bedeutung der Regierungserklärung des Bundeskanzlers noch können Sie der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands den Stempel aufdrücken, den Sie ihr gern aufbrennen möchten.
Ich sage Ihnen hier ganz deutlich: Die SPD hält es weder mit Chaoten noch mit Terroristen, noch mit andersartigen Gewalttätern. Mit keinem von denen ist sie im Bunde!
Wenn man fragt, wem diese nützen, sage ich Ihnen mit Bitterkeit: Sie nützen Ihnen, meine Damen und Herren, ob bewußt oder unbewußt. Sie wissen auch, daß sie Ihnen nützen.
Sie nützen nämlich Ihren Absichten, als Hort der
Sicherheit zu erscheinen, wenn auch nur vorläufig.
Die Sozialdemokratische Partei hat in ihrer Geschichte harte Proben bestehen müssen. Sie hat sie nicht immer alle bestanden, gerade auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Terroristen und Provokateuren.
Was den Vorgang betrifft, Herr Kollege Carstens, um den es sich hier handelt und von dem Sie meinen, daß er bei der Gelegenheit zur Sprache gebracht werden mußte, so bin ich davon unterrichtet worden, daß die Unterzeichner jenes Aufrufes, die zur Sozialdemokratischen Partei zu rechnen sind, bis heute mittag ihre Unterschriften zurückzuziehen haben. Anderenfalls ist ihnen ein Parteiausschlußverfahren mit dem Ziel der Löschung ihrer Mitgliedschaft sicher.
Das tun wir doch nicht Ihnen zuliebe, oder weil Sie es hier gesagt haben — da brauchen Sie nicht süffisant zu lächeln —, sondern weil wir Demokraten sind und weil wir die Auseinandersetzung mit den Demokraten unter Demokraten geführt sehen wollen.
— Ach, reden Sie doch keinen Nonsens, Herr! Ich habe z. B. erlebt, daß ich in einem — kommt jetzt selten vor — 25-Minuten-Sonntagsinterview des Deutschlandfunks auch zu Fragen hätte etwas sagen müssen, was Möglichkeiten einer Allparteienregierung oder einer anderen Koalition unter ganz bestimmten dringenden anderen Verhältnissen betrifft. Ich habe gesagt: Das, was heute über Koalition geredet wird, ist alles vordergründig, zweckbedingt, jeweils zum Reiz eines eigenen Partners oder anderer gemeint.
— Sie haben sich vorläufig erregt, Herr Carstens.
Sie werden nachher, wenn Sie dann 60 gewesen
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sind — wozu ich Ihnen jetzt schon gratuliere —, noch merken: vorläufige Erregungen sind nicht wirkliche.
Lediglich die, die die Bandaufnahme haben lesen können, wissen, wie ich mich dort gegen die Dämonisierung von persönlichen und von innenpolitischen Gegnern gewendet habe.
— Quatschen Sie nicht Unfug! Ich rede hier ehrlich zu Ihnen.
Ich wende mich z. B. gegen die Dämonisierung des Vorsitzenden der CSU, weil ich meine, sie dient ihm am meisten, um populär zu werden.
Wenn es einen Orden höchster Klasse gäbe für die Popularisierung Ihres Mannes, der kommt, „wenn er gerufen wird", in das Amt, das er Ihnen vorläufig gern zugestehen will, Herr Carstens, falls inzwischen die Regierung es notwendig machen sollte, dann erhielten ihn jene, die ihn in einer Weise dämonisieren, daß sie ihn hochspielen. Die einen kriegen Angst, und die anderen sagen: Das ist wohl der Mann, der geholt werden muß, wenn er gerufen wird.
— Wenn ich das Wort gesagt hätte, wäre ich zur Ordnung gerufen worden. Aber ich bin hier nicht dazu da.
Nun zu dem Versuch bei den vorläufigen Bernerkungen des Herrn Kollegen Carstens, den Regierenden Bürgermeister Berlins auszuspielen. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat am Montag während seiner Sitzung Kenntnis vom Wortlaut der Erklärung bekommen, die der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz
— der auch Mitglied des Vorstandes der SPD ist, aber bei dieser Gelegenheit nicht anwesend sein konnte —, in Berlin abgegeben hat. Wir haben dazu erklärt und öffentlich gemacht, daß der Parteivorstand den Regierenden Bürgermeister und die Berliner zu diesem Ausblick auf konstruktive Verhandlungen beglückwünscht, die im Ergebnis wesentliche Fortschritte für die Mitbürger der geteilten Stadt zeitigen werden. Dem Bundeskanzler und der Bundesregierung dankt der Parteivorstand für die Beharrlichkeit im Bemühen, die mit der DDR auf dem Boden des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zum Besten der Menschen im getrennten Deutschland geführten Verhandlungen zu positiven Ergebnissen zu bringen.
Übrigens: Darüber wird man noch in zehn und in 15 und vielleicht in 20 Jahren reden, wie weit man jeweils gekommen, wie weit man zeitweilig wieder zurückgedrängt und wie weit man dann wieder weitergekommen sein wird. Da haben also die Jüngeren noch große Chancen.
Ich bin der Meinung, daß es ungerechtfertigt ist, wenn aus dem Munde von Herrn Carstens die Frage gestellt wird, was denn geschehe mit diesen nun in den Verhandlungsgang kommenden Projekten — und wenn sie zu wirklichen Objekten geworden sein mögen —, wenn die DDR erneut Störungsaktionen führen wird. Wollen wir nicht endlich aufhören mit jener Mär, als hätten die Bundesregierung und der Bundeskanzler nicht angemessen reagiert auf Störungen, die in den letzten Monaten vorgekommen sind? Das haben sie. Allerdings, wir waren dabei auch darauf bedacht, daß es nicht zu solchen Clinchs käme, wie sie unter anderen Umständen — und von der Gegenseite mehr gewollt, als von unserer Seite zu verhindern gewesen war — wiederholt ausgelöst worden sind. In der Pressemitteilung des Bundespresse- und Informationsamtes Nr. 1468/ 74 vorn 9. 12. — und das haben Sie auch so gelesen, wie ich das gelesen habe, Herr Carstens und die anderen Damen und Herren — finden Sie genau, was in bezug auf diese in Gang kommenden Projekte zu sagen ist, zu sagen notwendig ist. So könnten Sie es sich, wenn Sie vorläufig wollen, ersparen, die vorläufigen Bemerkungen über noch nicht in Gang gekommene, über noch nicht den Ergebnissen nach zu bewertende Verhandlungen über Projekte und Objekte auszusprechen.
Ich sage am Schluß noch einmal Dank dem Bundeskanzler, der Bundesregierung für diese Beharrlichkeit und Dank dafür, daß sie, ohne daß es ihnen darauf ankam, bloß eine gute Figur zu machen, unter schwierigen und in mancher Hinsicht schwierigsten Verhältnissen Balance gehalten haben, die uns in unserer Lage besonders gut ansteht.
Ich danke.