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    Deutscher Bundestag 51. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. September 1973 Inhalt: Begrüßung der in den Deutschen Bundestag eingetretenen Abg. Frau Lüdemann . 2863 A Erweiterung der Tagesordnung 2863 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Heimarbeitsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften (Heimarbeitsänderungsgesetz) (Drucksache 7/975) — Erste Beratung — Arendt, Bundesminister (BMA) . . 2863 B Dr. Nölling (SPD) . . . . . . . 2864 C Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) . . 2865 C Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 2867 B Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts (Drucksache 7/656) - Erste Beratung Arendt, Bundesminister (BMA) . 2868 B Maucher (CDU/CSU) 2871 A Glombig (SPD) . . . . . . . 2873 C Hölscher (FDP) . . . . . . . 2877 A Frau Hürland (CDU/CSU) . . . 2878 B Entwurf eines Gesetzes über die laufende Anpassung der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte (Siebentes Änderungsgesetz GAL) (Drucksache 7/934) — Erste Beratung - Arendt, Bundesminister (BMA) . 2878 D Wolf (SPD) 2879 D Horstmeier (CDU/CSU) . . . . 2880 D Ronneburger (FDP) 2882 B Logemann, Parl. Staatssekretär (BML) 2883 C Entwurf eines Sozialgesetzbuchs — Allgemeiner Teil — (Drucksache 7/868) — Erste Beratung — in Verbindung mit Antrag betr. Schaffung eines einheitlichen und umfassenden Jugendgesetzbuches (Abg. Rollmann, Kroll-Schlüter und Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache 7/1019) Arendt, Bundesminister (BMA) . . 2884 C Müller (Remscheid) (CDU/CSU) . . 2886 B Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . . 2886 C Gansel (SPD) . . . . . . . . 2887 D Spitzmüller (FDP) 2890 D Rollmann (CDU/CSU) . . . . . 2892 A Westphal, Parl. Staatssekretär (BMJFG) . . . . . . . . . . 2892 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1973 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes — Drucksache 7/861 — Erste Beratung — Arendt, Bundesminister (BMA) . . 2894 C Dr. Arnold (CDU/CSU) 2895 C Glombig (SPD) 2896 A Groß (FDP) 2896 C Fragestunde (Drucksache 7/1004) Frage A 64 des Abg. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim (CDU/CSU) : Konsequenzen aus dem SchliekerBericht betr. Mängel in der Flugsicherung und bei den Arbeitsbedingungen der Fluglotsen Ravens, Parl. Staatssekretär (BK) . 2897 C, D, 2898 A, B, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim (CDU/CSU) 2897 C, D Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 2898 A Börner (SPD) 2898 A Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 2898 A Frage A 65 des Abg. Schulte (Schwäbisch Gmünd) (CDU/CSU) : Schlieker-Empfehlungen und Zusagen des ehemaligen Verkehrsministers Leber an die Fluglotsen Ravens, Parl. Staatssekretär (BK) . . 2898 B, C, D, 2899 A Schulte (Schwäbisch Gmünd) (CDU/CSU) 2898 C, D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . . 2898 C Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 2899 A Fragen A 66 und 67 des Abg. Dr. Miltner (CDU/CSU) : Äußerungen des Bundeskanzlers zum Bummelstreik der Fluglotsen und Verhalten des Bundeskabinetts in dieser Frage Ravens, Parl. Staatssekretär (BK) . . 2899 A, B, C, D, 2900 A, B, C, D, 2901 A, B, Dr. Miltner (CDU/CSU) . . . . 2899 B, C Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 2899 D Schulte (Schwäbisch Gmünd) (CDU/CSU) 2900 A Dr. Freiherr Spies von Büllesheim (CDU/CSU) 2900 A Hoffie (FDP) 2900 B Breidbach (CDU/CSU) 2900 B Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . . 2900 C Dr. Hirsch (FDP) 2900 D Pfeffermann (CDU/CSU) 2900 D Müller (Nordenham) (SPD) . . . 2901 A Dr. Jenninger (CDU/CSU) . . . 2901 B Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . . 2901 B Frage A 68 des Abg. Sick (CDU/CSU) : Feststellung des Bundeskanzlers betr. Disziplinarmaßnahmen gegen Teilnehmer am Bummelstreik der Fluglotsen Ravens, Parl. Staatssekretär (BK) . . 2901 C, D, 2902 A Sick (CDU/CSU) 2901 C, D Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 2902 A Straßmeir (CDU/CSU) 2902 A Fragen A 69 und 70 des Abg. Dr. Müller- Hermann (CDU/CSU) : Auffassung des Bundeskanzlers betr. das Verhalten des Bundesverkehrsministers im Falle des Bummelstreiks der Fluglotsen Ravens, Parl. Staatssekretär (BK) . . 2902B,C,D 2903A,B,C,D 2904 B, C, D, 2905 A, B, C Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 2902 B, C 2903 D, 2904 B Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 2902 C Börner (SPD) . . . . . . . . 2902 D Dr. Waffenschmidt (CDU/CSU) . 2903 A Schulte (Schwäbisch Gmünd) (CDU/CSU) . . . . . 2903 B, 2905 A Breidbach (CDU/CSU) . . . . . . 2904 C Liedtke (SPD) . . . . . . . . . 2904 D Dr. Freiherr Spies von Büllesheim (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2905 A Tillmann (CDU/CSU) . . . . . 2905 B Straßmeir (CDU/CSU) 2905 B Berger (CDU/CSU) 2905 C Frage A 4 des Abg. Zebisch (SPD) : Einräumung besonderer Präferenzen für die Schwerpunktorte des Rahmenplans zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" bei der Förderung überbetrieblicher beruflicher Ausbildungszentren Zander, Parl. Staatssekretär (BMBW) 2905 D, 2906 A, B, Zebisch (SPD) . . . . . . . . 2906 A, B Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1973 III Frage A 5 des Abg. Dr. Haenschke (SPD) : Möglichkeiten der finanziellen Förderung für Arbeitnehmer, die sich als Berufsausbilder qualifizieren wollen Zander, Parl. Staatssekretär (BMBW) 2906 B Frage A 40 des Abg. Möllemann (FDP) : Belästigung und Gefährdung der Bürger in den Tiefflugzonen Berkhan, Parl. Staatssekretär (BMVg) 2906 D 2908 A, C, D 2907 C, D 2909 A Möllemann (FDP) 2907 C Köster (CDU/CSU) 2907 D van Delden (CDU/CSU) 2908 A Hoffie (FDP) 2908 C Tönjes (SPD) 2908 D Dr. Kraske (CDU/CSU) 2908 D Fragen A 41 und 42 des Abg. Dr. Enders (SPD) : Einberufung von Lehrern zur Bundeswehr Berkhan, Parl. Staatssekretär (BMVg) 2909 B, D Dr. Enders (SPD) 2909 D Fragen A 45 und 46 des Abg. Dr. Franz (CDU/CSU) : Maßnahmen gegen die Einschleppung der Cholera Westphal, Parl. Staatssekretär (BMJFG) 2910A, C Frage A 47 des Abg. Kiechle (CDU, /CSU) : Überprüfung des Gutachtens über die ernährungsphysiologische Bedeutung von Butter und Margarine Westphal, Parl. Staatssekretär (BMJFG) . . . . . . 2910D, 2911 A Kiechle (CDU/CSU) 2911 A Frage A 48 des Abg. Kiechle (CDU/CSU) : Aussage des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit über die Bekömmlichkeit und Preiswürdigkeit von Pflanzenfett und Margarine Westphal, Parl. Staatssekretär (BMJFG) . . . . . 2911 B, D, 2912 A Kiechle (CDU/CSU) . . . 2911 D, 2912 A Zur Geschäftsordnung Seiters (CDU/CSU) 2912 B Aktuelle Stunde Bummelstreik der Fluglotsen Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 2912 C Börner (SPD) . . . . . . . . . 2913 D Hoffie (FDP) . . . . . . . . . 2914 C Dr. Lauritzen, Bundesminister (BMV) 2915 C Dr. Freiherr Spies von Büllesheim (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2917 A Wiefel (SPD) . . . . . . . . . 2918 B Groß (FDP) . . . . . . . . . 2919 C Genscher, Bundesminister (BMI) . . 2920 B Berger (CDU/CSU) . . . . . . . 2921 B Engholm (SPD) . . . . . . . . 2922 A Ollesch (FDP) . . . . . . . . . 2922 D Sick (CDU/CSU) . . . . . . . . 2923 C Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . . 2924 C Brandt, Bundeskanzler . . . . . 2925 A Dr. Waffenschmidt (CDU/CSU) . . . 2925 D Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre (Drucksache 7/820) — Erste Beratung —Kunz (Berlin) (CDU/CSU) 2926 C, 2927 D Dürr (SPD) . . . . . . . . . . 2927 C Liedtke (SPD) . . . . . . . . . 2928 C Dr. Hirsch (FDP) 2929 C Wehner (SPD) . . . . . . . 2930 B Entwurf eines Gesetzes über Umweltstatistiken (Drucksache 7/988) — Erste Beratung — 2930 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht (Drucksache 7/992) — Erste Beratung — . . . . . . . . . . . 2930 D Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Europäischen Übereinkommens vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht (Drucksache 7/993) — Erste Beratung — 2931 A Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung von Verfahrensmängeln beim Erlaß einiger Gesetze (Drucksache 7/1000) — Erste Beratung — 2931 A Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Drucksache 7/974) — Erste Beratung — . . . 2931 A IV Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1973 Antrag betr. Schiffahrtsenquete (Abg. Orgaß, Rollmann, Werner, Dr. Unland, Müller [Remscheid], Bremer, Damm, Geisenhofer, Müller [Berlin], Frau Tübler, Schröder [Lüneburg], van Delden, Dr. Frerichs, Sick, Dr. von Bismarck, Katzer, Dr. Waffenschmidt und Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache 7/963) Orgaß (CDU/CSU) . . . . . . . 2931 B Ollesch (FDP) . . . . . . . . 2936 D Ewen (SPD) 2938 B Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 2939 D, 2940 C Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 11/73 — Besondere Zollsätze gegenüber Norwegen — EGKS) (Drucksache 7/987) . . . . . . . . 2940 C Verordnung zur Änderung des Teil-Zolltarifs (Nr. 14/73 — Waren der EGKS —2. Halbjahr 1973) (Drucksache 7/999) . . 2940 C Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Bundeseigenes Restgelände des ehemaligen Flugplatzes Paderborn; hier: Veräußerung an die Stadt Paderborn (Drucksache 7/998) . . . . . . . 2940 D Nächste Sitzung 2940 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 2941 A Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner (BMWi) auf die Frage A 1 — Drucksache 7/1004 — des Abg. Dr. Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU) : Streichung der Förderungsbeträge für Messebeteiligungen deutscher Firmen in Südafrika und in den portugiesischen Kolonien in Afrika . . 2941 C Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold (BMB) auf die Frage A 3 — Drucksache 7/1004 — des Abg. Pieroth (CDU/CSU) : Zahlenmaterial über Besucherreisen von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik Deutschland und über die Entwicklung nach Abschluß des Grundvertrags . . . 2941 D Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan (BMVg) auf die Frage A 44 — Drucksache 7/1004 — des Abg. Dr. Beermann (SPD) : Ungenügende Unterrichtung in den USA über die finanziellen Verteidigungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland 2942 C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1973 51. Sitzung Bonn, den 20. September 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr Präsident 'Frau Renger: Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße die für den verstorbenen Abgeordneten Flach in den Bundestag eingetretene Abgeordnete Frau Lüdemann sehr herzlich und wünsche ihr eine erfolgreiche Arbeit in diesem Hause. (Beifall.) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung erweitert werden um die Beratung des Antrags der Abgeordneten Rollmann, Kroll-Schlüter und Genossen und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Schaffung eines einheitlichen und umfassenden Jugendgesetzbuches, Drucksache 7/1019. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Die Vorlage wird bei Punkt 5 der Tagesordnung aufgerufen. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Heimarbeitsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften (Heimarbeitsänderungsgesetz) — Drucksache 7/975 —Zur Begründung hat der Herr Bundesminister Arendt das Wort. Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung Ihnen vorgelegt hat, befaßt sich außer mit dem Heimarbeitsgesetz auch mit dem Tarifvertragsgesetz, dem Seemannsgesetz und dem Bundesurlaubsgesetz. Die eigentlichen Schwerpunkte liegen in den Änderungen des Heimarbeits- und des Tarifvertragsgesetzes. Zu den Zielen der hier vorgeschlagenen Änderungen möchte ich einige Ausführungen machen. In der Bundesrepublik leben rund 300 000 Personen, die dem Schutz des Heimarbeitsgesetzes unterliegen. Dieses Gesetz stammt aus dem Jahre 1951 und ist in den mehr als zwanzig Jahren bis heute im wesentlichen unverändert geblieben. Es kann daher niemanden verwundern, wenn dieses Gesetz heute seine Schutzfunktionen zugunsten der in der Heimarbeit Beschäftigten nur noch unvollkommen entfalten kann. Hinzu kommt, daß es sich bei dem betroffenen Personenkreis um eine Randgruppe handelt, die weder im Mittelpunkt des Interesses starker Verbände steht noch aus sich selbst heraus die eigenen Interessen wirksam vertreten kann. Die Bundesregierung betrachtet es daher als eine dringliche soziale Verpflichtung, den Schutz der in Heimarbeit Beschäftigten wirksamer zu gestalten und die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Personen zu verbessern. Auch sie sollen Anschluß an die sozialen Verbesserungen erhalten, die wir für die übrigen Arbeitnehmer schon erreicht oder eingeleitet haben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz die wichtigsten Verbesserungen aufzählen, die der Gesetzentwurf zur Verwirklichung des genannten Ziels vorsieht. Die Entgelte in der Heimarbeit werden in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen durch die paritätisch besetzten Heimarbeitsausschüsse neu festgesetzt. Diesen Ausschüssen fallen damit praktisch diejenigen Aufgaben zu, die für die Arbeitnehmer von den Tarifvertragsparteien wahrgenommen werden. Dieses Verfahren hat sich in der Vergangenheit grundsätzlich bewährt und ist erst kürzlich durch das Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz in Einklang stehend bestätigt worden. Leider ist jedoch festzustellen, daß die Entgelte in der Heimarbeit unter den Löhnen für gleiche oder gleichwertige Betriebsarbeit liegen und sich dieser Abstand laufend vergrößert. Der Entwurf soll hier dadurch Abhilfe schaffen, daß für die Entgelterhöhungen in der Heimarbeit künftig stärker als bisher der Tariflohn für gleiche oder gleichwertige Betriebsarbeit als Maßstab herangezogen wird. Der Kündigungsschutz für die Beschäftigungsverhältnisse in der Heimarbeit kann angesichts der für die Arbeitnehmer eingetretenen Verbesserungen nicht mehr als ausreichend angesehen werden. Der Gesetzentwurf baut den bestehenden Kündigungsschutz durch Verlängerung der Kündigungsfristen entsprechend der Beschäftigungsdauer und durch Verbesserungen der Entgeltsicherung während der Kündigungsfristen aus. Der Entwurf stellt sicher, daß auch die in der Heimarbeit Beschäftigten vermögenswirksame Leistungen erhalten können. 2864 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1972 Bundesminister Arendt Weiterhin ist vorgesehen, daß die Auftraggeber, also die Personen, die Heimarbeit ausgeben, verpflichtet werden, bei der Ausgabe von Heimarbeit auf mögliche Unfall- und Gesundheitsgefahren und auf die Maßnahmen zu deren Verhütung hinzuweisen. Außerdem sollen die Auftraggeber verpflichtet werden, auf Verlangen die Berechnung und Zusammensetzung des Entgelts zu erläutern. Schließlich soll die in letzter Zeit stark zunehmende „Büroheimarbeit" in den Schutzbereich des Heimarbeitsgesetzes einbezogen werden. Meine Damen und Herren, auch bei dem zweiten Schwerpunkt des Gesetzentwurfs, der Änderung des Tarifvertragsgesetzes, ist auf eine verhältnismäßig kleine Personengruppe abgestellt, nämlich die sogenannten arbeitnehmerähnlichen Personen. Konkret sind dies vor allem die freien Mitarbeiter bei Rundfunk- und Fernsehanstalten, die freien Journalisten bei Tageszeitungen und Zeitschriften, Schriftsteller und Künstler. Die Bezeichnung „freier Mitarbeiter" stellt sich dabei leider allzuoft als eine positiv klingende Umschreibung dafür heraus, daß diese Personen wirtschaftlich von ihren Auftraggebern absolut abhängig sind, ein notwendiger sozialer Schutz aber weitgehend fehlt. Durch die vorgesehene Änderung des Tarifvertragsgesetzes soll die Möglichkeit eröffnet werden, daß auch für diese Personen künftig Tarifverträge abgeschlossen werden können. Damit soll es auch den arbeitnehmerähnlichen Personen offenstehen, ihre Arbeitsbedingungen wie Entgelt, Urlaub, Kündigungsschutz usw. durch kollektive Vereinbarungen festzulegen und abzusichern. Für diese Ausdehnung der Tarifautonomie auf arbeitnehmerähnliche Personen steht dem Bundesgesetzgeber seine Kompetenz auf dem Gebiet des Arbeitsrechts zur Verfügung. Dabei stellt die Arbeitnehmerähnlichkeit die Grenze dar, bis zu der Personen auf der Arbeitnehmerseite in das Tarifvertragsgesetz einbezogen werden können. Von daher ergaben sich zwangsläufig Mindestanforderungen an den bei der vorgesehenen Änderung des Tarifvertragsgesetzes verwendeten Begriff der Arbeitnehmerähnlichkeit. Ich möchte hier auf die damit verbundenen rechtstechnischen Schwierigkeiten nicht weiter eingehen. Bei den Ausschußberatungen wird hierzu noch Gelegenheit sein. Die Bundesregierung sieht jedoch in der von ihr vorgeschlagenen Änderung eine Lösung, bei der dem sozialen Schutzbedürfnis des angesprochenen Personenkreises Rechnung getragen wird, ohne daß die arbeitsrechtliche Gesetzgebungskompetenz überschritten wird. Die Öffnung der Tarifautonomie für die arbeitnehmerähnlichen Personen schafft die Voraussetzungen für den Abschluß entsprechender Tarifverträge. Ob und in welchem Umfang von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, liegt in der Hand dieser Personen selbst, der Gewerkschaften, in denen sie sich organisieren, und der Verbände ihrer Auftraggeber. Befürchtungen, der genannte Personenkreis werde gegen seinen Willen — gleichsam automatisch — tarifvertraglichen Regelungen unterworfen, treffen daher nicht zu. Auch der Status dieser Personen als Selbständige wird durch die vorgeschlagene Lösung grundsätzlich nicht angetastet. Meine Damen und Herren, das Heimarbeitsänderungsgesetz stellt einen weiteren Schritt auf dem Wege zu dem Ziel dar, dem sich diese Bundesregierung in besonderem Maße verpflichtet fühlt: mehr sozialer Schutz und größere soziale Sicherheit für die Menschen in unserem Land. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
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    Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1973 2941* Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 21. 9. Adams * 21. 9. Dr. Aigner ' 21. 9. Dr. Apel 21. 9. Dr. Arndt (Berlin) * 21. 9. Dr. Artzinger * 21. 9. Dr. Bangemann * 21. 9. Behrendt * 20. 9. Blumenfeld * 21. 9. Brandt (Grolsheim) 21. 9. Dr. von Bülow 21. 9. Dr. Burgbacher * 21. 9. Dr. Corterier * 21. 9. Damm 22. 9. Dr. Dollinger 21. 9. Fellermaier * 21. 9. Flämig * 21. 9. Franke (Osnabrück) 21. 9. Frehsee 21. 9. Dr. Früh * 20. 9. Gerlach (Emsland) * 21. 9. Härzschel * 21. 9. Handlos 20. 9. Dr. Jahn (Braunschweig) * 21. 9. Kater * 21. 9. Dr. Klepsch * 21. 9. Dr. Kliesing 12. 10. Dr. Köhler (Wolfsburg) 21. 9. Krall * 21. 9. Lange * 21. 9. Lautenschlager * 21. 9. Lücker * 21. 9. Memmel * 21. 9. Möller (Lübeck) 21. 9. Müller (Mülheim) * 20. 9. Mursch (Soltau-Harburg)* 21. 9. Frau Dr. Orth 21. 9. Richter ** 20. 9. Schäfer (Appenweier) 21. 9. Schmidt (München) * 21. 9. Schröder (Wilhelminenhof) 21. 9. Dr. Schulz (Berlin) * 21. 9. Schwabe * 21. 9. Dr. Schwörer * 21. 9. Seefeld * 21. 9. Springorum * 21. 9. Dr. Starke (Franken) * 21. 9. Graf Stauffenberg 5. 10. Walkhoff * 21. 9. Frau Dr. Walz * 21. 9. Dr. Wendig 21. 9. Wilhelm 21. 9. Dr. Zeitel 21. 9. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments **Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner vom 19. September 1973 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1004 Frage A 1) : Unter Anführung welcher Gründe beabsichtigt die Bundesregierung künftig, die Förderungsbeträge für Messebeteiligungen deutscher Firmen in Südafrika und in den portugiesischen Kolonien in Afrika zu streichen? Die Planung des amtlichen Auslandsmesseprogramms, für das Mittel des BMWi und BML eingesetzt werden, wird in enger Abstimmung mit den diplomatischen Auslandsvertretungen der Bundesrepublik, den deutsch-ausländischen Handelskammern und der an Auslandsmessen und -ausstellungen interessierten deutschen Wirtschaft festgelegt. Für 1974 sind Beteiligungen an je einer Messe in Johannesburg und Pretoria in der Südafrikanischen Republik vorgesehen. Ob die deutsche Wirtschaft darüber hinaus auch an Beteiligungen auf den internationalen Messen in Luanda und Lourenco Marques interessiert ist, steht noch nicht fest, wird aber bis November d. J. geklärt werden. Die diesjährige Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland in Lourenco Marques und Luanda haben gezeigt, daß der kommerzielle Erfolg dieser Veranstaltungen, die nur regionale Bedeutung haben, so gering ist, daß bei der angespannten Lage der Auslandsmessetitel des Bundesministeriums für Wirtschaft und des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine Durchführung der Beteiligung kaum noch möglich sein wird. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold vom 19. September 1973 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Pieroth (CDU/CSU) (Drucksache 7/1004 Frage A 3) : Steht der Bundesregierung Zahlenmaterial über Besucherreisen von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung, und ergibt sich gegebenenfalls daraus ein Ansteigen oder Abfallen dieser Reisen nach Abschluß des Grundvertrags? Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen ist die Zahl der Reisen von Bewohnern der DDR in die Bundesrepublik Deutschland nach Inkrafttreten des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR am 21. Juni 1973 gestiegen. Die Zahl der Personen im gesetzlichen Rentenalter, d. h. Frauen ab Vollendung des 60. und Männer ab Vollendung des 65. Lebensjahres, die aus der DDR in das Bundesgebiet einschließlich Berlin (West) reisen durften, ist in den Monaten Juni bis einschließlich August 1973 im Vergleich zu den ge- 2942* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1973 nannten Monaten des Vorjahres um mehr als 40 000 gestiegen (= 9,9 %). Hinzu kommen rd. 8 500 jüngere DDR-Bewohner, die während der genannten drei Monate des Jahres 1973 in dringenden Familienangelegenheiten in das Bundesgebiet — ohne Berlin (West) — reisen konnten. In den Vergleichsmonaten des Vorjahres gab es für DDR-Bewohner noch keine Möglichkeit, anläßlich dringender Familienangelegenheiten in das Bundesgebiet zu reisen. Bei dieser Gelegenheit weise ich darauf hin, daß die Verbesserung des Reiseverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR nicht erst mit dem Grundlagenvertrag, sondern bereits beim Inkrafttreten des Verkehrsvertrages am 17. Oktober 1972 einsetzte. Bekanntlich wurden nicht nur die Reisemöglichkeiten für Deutsche aus dem Bundesgebiet in die DDR verbessert. Erstmalig erhielten auch jüngere DDR-Bewohner, d. h. solche, die noch nicht das gesetzliche Rentenalter erreicht haben, die Möglichkeit, bei dringenden Familienangelegenheiten in das Bundesgebiet zu reisen. Von November 1972 bis einschließlich August 1973 haben auf diese Weise mehr als 38 000 DDR-Bewohner ihre Angehörigen im Bundesgebiet anläßlich dringender Familienangelegenheiten besuchen können. In dieser Zahl sind die Besucher aus den genannten Anlässen in Berlin (West) nicht enthalten, da von den Senatsdienststellen keine Ermittlungen hierüber angestellt werden. Die Zahl der Personen im Rentenalter, die das Bundesgebiet einschließlich Berlin (West) seit Inkrafttreten des Verkehrsvertrages besucht haben, ist ebenfalls erheblich gestiegen: Von November 1972 bis einschließlich August 1973 sind im Vergleich zu dem entsprechenden Zeitraum vor Inkrafttreten des Verkehsvertrages (November 1971 bis einschließlich August 1972) rd. 160 000 Personen im Rentenalter mehr eingereist (= 20,3 %). Aus diesen Zahlen ergibt sich ein erfreuliches Ansteigen der Besuche aus der DDR seit dem Inkrafttreten des Verkehrsvertrages im Oktober vergangenen Jahres. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 20. September 1973 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Beermann (SPD) (Drucksache 7/1004 Frage A 44) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß selbst führende Mitglieder des amerikanischen Kongresses weitgehend über den militärischen und finanziellen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung Westeuropas und zum Ausqleich der Stationierungskosten ungenügend unterrichtet sind, und teilt sie meine Autfassung, daß dieser Zustand jenen politischen Strömungen in den USA Auftrieb gibt, die den einseiligen Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Europa fordern, und in welcher Form hat die Bundesregierung bislang versucht, hier aufklärend zu wirken bzw. welche Maßnahmen wird sie in Zukunft ergreifen, um diese Unkenntnis zu beseitigen? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß führende Mitglieder des amerikanischen Kongresses weitgehend über den militärischen und finanziellen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung Westeuropas und zum Ausgleich der Stationierungskosten ungenügend unterrichtet sind. Sie ist vielmehr der Auffassung, daß alle relevanten Tatsachen auf diesem Gebiet seitens der Bundesregierung und seitens der amerikanischen Regierung und auch durch die internationalen Organe des Atlantischen Bündnisses den Mitgliedern des amerikanischen Kongresses fortlaufend zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesregierung kann daher auch nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß der ungenügende Kenntnisstand politischen Strömungen im amerikanischen Kongreß Auftrieb für die Forderung nach einseitigem amerikanischen Truppenabzug aus Europa gibt. Die Bundesregierung wird auch in Zukunft auf diplomatischem Wege und mittels geeigneter informationspolitischer Maßnahmen Sorge dafür tragen, daß den Mitgliedern des amerikanischen Kongresses alle relevanten Kenntnisse über die deutsche Verteidigungspolitik und unseren militärischen sowie finanziellen Beitrag zum Bündnis vermittelt werden. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die amerikanische Regierung die amerikanische Öffentlichkeit und den amerikanischen Kongreß seit längerem umfassend über den europäischen, insbesondere auch über den deutschen Beitrag zum Bündnis unterrichtet.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Gerhard Orgaß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion darf ich Ihnen den Antrag auf Drucksache 7/963 begründen, in dem die Opposition die Erstellung einer umfassenden und detaillierten Schifffahrtsenquete fordert. Wir meinen, daß es dringend erforderlich ist, daß sich dieses Parlament mit den Problemen der deutschen Seeschiffahrt auseinandersetzt, denn deutsche Seeschiffahrt gestern und heute ist identisch mit enormer Leistung, einer Leistung,
    der wir sehr viel mehr Beachtung schenken sollten und die wir zu überfordern beginnen.
    Erst 1949/50 durfte deutsche Seeschiffahrt, mit vielerlei Auflagen verbunden, wieder betrieben werden. Die frühere Flotte war vernichtet, und was blieb, mußte restlos abgeliefert werden. Aus diesem Nichts heraus gingen Reeder und Seeleute daran, eine Flotte wieder aufzubauen. Der Staat half dabei mit unterschiedlicher Intensität. Milliarden an Steuergeldern sind seitdem in die Seeschiffahrt geflossen. Reeder bewiesen Cleverness und Geschick, und Seeleute und ihre Gewerkschaften hielten sich in ihren Heuern bis heute zurück, was dazu führte, daß der Anschluß an vergleichbare Landberufe bei gleicher Leistung noch immer nicht erreicht wurde.
    Heute haben wir eine der modernsten Flotten der Welt mit einem Durchschnittsalter von 7,5 Jahren gegenüber 9,5 Jahren der Welttonnage. Unter den zehn führenden Schiffahrtsländern der Welt nahm die Bundesrepublik 1971 den achten Platz mit 8,7 Millionen BRT und 3,5 % der Welthandelstonnage ein. Inzwischen hat sich die Tonnage in der Zeit vom 1. Januar 1971 bis zum 30. Juni 1973 um 570 Einheiten mit 712 000 BRT verringert. Legt man hingegen die Zahlen von „Lloyds Register" zugrunde, dann haben wir sogar in dieser Zeit einen Flottenverlust von genau 1 Millionen BRT zu verzeichnen, und das trotz des weiteren Anstiegs des Welthandels. Wir sind längst auf den neunten oder sogar schon auf den zehnten Platz zurückgefallen. Das ist die Folge einer nicht vorhandenen schiffahrtspolitischen Konzeption dieser Bundesregierung mit — wie noch zu sagen sein wird sowohl volkswirtschaftlich als auch sozial außerordentlich kurzsichtigen Entscheidungen und Maßnahmen.
    Das Unverständnis und die Unsicherheit in schifffahrtspolitischen Fragen wird wohl kaum deutlicher als in einer Aussage des Hamburger Wirtschaftssenators Kern, in dessen Bereich 52 % der deutschen Flotte beheimatet sind, wenn er in einem Interview des „Norddeutschen Rundfunks" am 27. März 1973 einerseits ausführt: „Die Lage in der deutschen Seeschiffahrt ist zweifellos kritisch und ernst" — so weit, so gut —, andererseits aber daraus keine andere Schlußfolgerung zu ziehen weiß als — wörtlich -- : „Es ist überhaupt kein Zweifel, daß die deutschen Reeder begreifen müssen, daß ihre Zukunft unter deutscher Flagge in der Spezialfahrt, der kostspieligen Schiffahrt teurer Einheiten, Großkontainerschiffe, Produktentanker usw., liegt und die Regelfahrt des Trampbereichs mehr und mehr unter billige Flaggen geht." Senator Kern hebt in diesem Interview weiter hervor, daß es den Reedern in jedem Falle erlaubt sein müsse, ihre Schiffe unter billigen Flaggen fahren zu lassen, mit der Begründung — wörtlich : „Ich wäre konsequent dagegen, daß den Reedern verwehrt wird, was man jedem Industriellen erlaubt, nämlich das Kapital auch im Ausland zu investieren." Tatsächlich aber — und das sei Senator Kern gesagt -- wandert ja gerade immer stärker auch die Spezialtonnage ab. Kein Wort aber von diesem Mann darüber, was aus der Flotte werden soll, und kein Wort vor allem auch über die sich daraus ergebenden sozialen Probleme.



    Orgaß
    Wie aber ist denn nun die Situation in Wirklichkeit? Die Zahl der in der Seeschiffahrt Beschäftigten ging in der Zeit von 1971 bis Mitte 1973 von 56 361 auf 43 326 um rund 13 000 Mann zurück. Die Steigerung der Zahl der beschäftigten Ausländer — vorwiegend von nicht der EWG angehörenden Ländern — betrug von 1960 bis 1970 über 700 % und hat sich bis jetzt in der Relation nicht verändert. Der seemännische Nachwuchs verringert sich immer mehr und mehr.
    Die Fluktuationsraten, zuletzt 1966 zuverlässig von einer Gewerkschaft untersucht, sind volkswirtschaftlich höchst bedenklich. Danach ergibt sich, daß ein vollausgebildeter Nautiker, dessen Ausbildung den Staat und damit den Steuerzahler erhebliche Summen gekostet hat, nur eine Verweildauer von 8,3 Jahren und ein Schiffsingenieur gar nur von etwas mehr als 5 Jahren hat.
    Die seit zwei Jahren verstärkt zu verzeichnende Ausflaggungstendenz und der dadurch entstehende Verlust an Seeleuten in der deutschen Seeschiffahrt ist die Folge der nicht stattfindenden Schiffahrtspolitik dieser Bundesregierung. Diese Malaise entzieht, wenn es so weitergeht, dem Gewerbe nach und nach die Existenzmöglichkeiten. Aber statt politisch aktiv zu werden, schreibt dann dieser Verkehrsminister Lauritzen, von dem wir ja einiges eben schon gehört hatten, an anderer Stelle, am 18. August 1972 an den Verband Deutscher Reeder, und teilt mit, daß er nun auch das Ausflaggen von Schiffen erlaubt, deren Bundeshilfen noch nicht zurückgezahlt sind, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, was wohl aus den davon betroffenen Seeleuten werden soll, die entweder mit den Schiffen ins Ausland gehen müssen oder, was den größeren Teil betrifft, entlassen werden.
    Was aber Ausflaggen wirklich bedeutet, meine Damen und Herren, das muß wohl einmal vor der Öffentlichkeit ausgesprochen werden. Da nämlich die Flagge das jeweilige Recht deckt, bedeutet dies, daß ein ausgeflaggtes Schiff damit der deutschen Rechtsordnung entzogen ist, obwohl es nach wie vor im deutschen Schiffsregister eingetragen ist. Statt deutscher Rechtsprechung gilt dann die Rechtsprechung des jeweiligen Landes, dessen Flagge gezeigt wird, z. B. Singapurs, Panamas, Liberias oder welches Land auch immer. Als Gerichtsorte werden dann höchst willkürlich Orte wie Tegucigalpa in Honduras oder London oder sonst etwas eingesetzt und dem deutschen Seemann zugemutet. Das bedeutet also, daß z. B. ein englischer Richter oder einer aus Honduras über Arbeitsstreitigkeiten eines deutschen Seemannes, wenn dieser überhaupt auf dem Schiff verbleiben kann — meist sind das nur wenige Patentinhaber —, dann nach dem Recht eines dritten, vielleicht eines exotischen Landes zu befinden hat. Das muten wir den deutschen Seeleuten zu.
    Für den deutschen Seemann bedeutet das Ausflaggen den Verlust fast aller seiner Rechte, nämlich statt Rechte aus dem deutschen Arbeitsrecht: nichts, statt Betriebsverfassungsgesetz: gar nichts, statt Kündigungsschutzgesetz: überhaupt nichts, statt Arbeitslosenversicherung: genauso wenig, und statt
    Gerichtsort Hamburg, wie gesagt: irgendwo ein willkürlich gewählter Ort in aller Welt. Die Alternative für den betroffenen Seemann bedeutet, an Land gesetzt zu werden, ausgebildet in einem Beruf, den man nicht mehr ausüben kann — fehlsubventioniert.
    Es ist jedoch billig, die Ursachen hierfür ausschließlich bei den Reedern zu suchen, denn die währungspolitischen Beschlüsse dieser Bundesregierung negierten die Existenz der deutschen Seeschifffahrt. Das angeführte Schreiben vom 18. August 1972 an den Verband Deutscher Reeder war offenbar eine Notbremse, weil man sich im Ministerium anders nicht mehr zu helfen wußte, eine indirekte Hilfe für die eine Seite, die sich voll zu Lasten der Seeleute auswirkte und auf deren Rücken ausgetragen wurde.
    Meine verehrten Damen und Herren, es geht hier weder um „Sozialklimbim noch um Prestigefragen einer Nation. Es geht hier und heute auf Grund der Entwicklung bereits um die entscheidende Frage, ob wir zukünftig noch deutsche Seeschiffahrt betreiben wollen. Allein im ersten Halbjahr 1973 war ein effektiver Tonnagerückgang von 112 400 Bruttoregistertonnen mit 123 Seeschiffen zu verzeichnen, und es sind keine Änderungen im Trend zum Verkauf und zur Abwanderung wertvoller Tonnagen zu erkennen. Der Anteil der Bundesrepublik Deutschland am Weltauftragsbestand für Schiffsneubauten ist seit langem rückläufig, und die Zurückhaltung bei Neuaufträgen hält unvermindert an, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Konjunkturpolitik der Bundesregierung. So richtig diese für die allgemeine Wirtschaft sein mag, so problematisch ist sie im Bereich der Seeschiffahrt. Dabei muß man wissen, daß die Seeschiffahrt eine volkswirtschaftliche Schlüsselstellung einnimmt, was diese Bundesregierung offenbar bis heute noch nicht zur Kenntnis nehmen will; denn sonst würde sie diese Entwicklung nicht tatenlos hinnehmen und die Schwierigkeiten immer wieder bagatellisieren. Jeder weiß, daß die Bundesrepublik ein hochentwickeltes, exportintensives Industrieland mit weltweiter Bezugs- und Absatzverflechtung ist. Sie ist in hohem Maße für die Versorgung mit Rohstoffen und Energieträgern von der Einfuhr abhängig. Rund 20% der Industrieerzeugnisse unseres Landes werden exportiert. Die Bundesrepublik importierte 1970 zirka 300 Millionen t. 73 % davon wurden auf dem Seewege hereingebracht, wobei der Anteil von Rohstoffen und Energieträgern außerordentlich hoch ist. Auf der anderen Seite wurden 123 Millionen t ausgeführt, davon 33,8 % auf dem Seewege. Die Bundesrepublik Deutschland muß ein lebenswichtiges Interesse an sicherer, ungestörter und preisgünstiger Bedienung im Seeverkehr, einer im hohen Maße ausreichenden Freiheit in der Wahl des Transportmittels, einem wichtigen Einfluß auf internationale Schiffahrtspolitik und ebenso auf das Seefrachtniveau haben.
    Hinzu kommt auch eine verteidigungspolitische Komponente im Bereich der Sicherheitspolitik.
    Seit Jahren steigt der Umfang des deutschen Seeverkehrs stärker als der Umfang der Transportlei-



    Orgaß
    stungen der deutschen Handelsflotte. Das Defizit in der Seetransportbilanz der Bundesrepublik steigt seit Jahren an: von 1,3 Milliarden DM im Jahre 1966 auf 2,2 Milliarden DM im Jahre 1970. Der größte Posten in der Bilanz sind die Seefrachtkosten für die Einfuhr mit rund 6 Milliarden DM und für die Ausfuhr mit 1,7 Milliarden DM. Das Defizit vergrößert sich angesichts des Tonnagerückgangs erheblich.
    Aus Quellen des Verbandes Deutscher Reeder, des Bundesverkehrsministeriums, der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl wird nachweislich erkennbar, daß der jährliche Investitionsaufwand der deutschen Seeschiffahrt bis 1970/71 über Jahre hinaus genauso groß und teilweise sogar größer war als der des deutschen Steinkohlenbergbaus und der der deutschen Eisen- und Stahlindustrie zusammengenommen. Die Seeschiffahrt hat in den letzten Jahren bis 1970 zwei- bis dreimal soviel für Fahrzeuge, Reparaturen und Umbauten aufgebracht wie die Bundesbahn.
    Meine verehrten Damen und Herren, spätestens hier wird deutlich, welchen Stellenwert die Seeschifffahrt in der gesamten Volkswirtschaft hat und welche Auswirkungen — bis hin zu den Arbeitnehmern und der Gesamtbevölkerung — die schiffahrtspolitische Blindheit dieses Verkehrsministers und dieser Bundesregierung haben muß.

    (Abg. Dr. Jenninger meldet sich zu einer Zwischenfrage.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Einen Augenblick! Es wird hier begründet. Bei der Begründung kann keine Zwischenfrage gestellt werden.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gerhard Orgaß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Der Kumpel an Rhein und Ruhr ist genauso betroffen wie der Maschinenbauer in Augsburg und anderswo, wenn wir deutsche Seeschiffahrt nicht mehr zur Kenntnis nehmen und mit wirtschafts-, währungs- und konjunkturpolitischen Entscheidungen sogar ihre Möglichkeiten beschneiden. Seeschiffahrt kann nicht auf einen Binnenmarkt ausweichen.
    Wer sich ihrer entledigt, zerstört nicht nur eine unvergleichbare Aufbauleistung unserer Seeleute und des ganzen Gewerbes nach dem Kriege, er begibt sich auch volkswirtschaftlicher Notwendigkeiten, ohne die unser Land nicht auskommt.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Sehr richtig!)

    Bei der Auswertung von Indexzahlen und anderem ergänzenden Material wird jedermann feststellen, daß die großen Anstrengungen unserer Seeleute und Reeder nicht ausgereicht haben, für eine Handelsflotte zu sorgen, die in angemessenem Verhältnis zum Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland steht. Bei aller Anerkennung früherer Maßnahmen zugunsten der deutschen Handelsflotte fehlt in Politik und Wirtschaft bis heute überall ein wirkliches Verständnis für die deutsche Seeschiffahrt. Es ist auch bezeichnend, daß der Deutsche Bundestag dann, wenn es um Fragen der Seeschifffahrt geht, leer ist und die Debatte über dieses Thema im übrigen mit Unmut geführt wird.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Die Regierungsbank ist total leer! — Abg. Dr. Meinecke [Hamburg] : Alle Seeleute von der CDU/ CSU sitzen auch nicht hier!)

    Die Gruppe der Seeleute — in ihrer Gesamtheit weniger als die Belegschaft eines Großbetriebes --unterliegt dabei jedoch Bedingungen, die wir anderen nicht zumuten wollen. Deshalb gehören zu den Bemühungen, die Handelsflotte zu stärken, ebenfalls große Anstrengungen für eine zukunftsgerechte Personal- und Sozialpolitik zum Zwecke der Überwindung des permanenten Personaldilemmas in der Seeschiffahrt. Eskalierende soziale Unruhen in der Seeschiffahrt wären vermeidbar, 1970 protestierten zum erstenmal nach dem Kriege mehrere Tausend angehende deutsche Schiffsoffiziere und Kapitäne dadurch, daß sie mehr als 5 Monate die Seefahrtschulen boykottierten, um eine aus ihrer Sicht erträgliche Schiffsbesetzung und Ausbildungsordnung durchzusetzen und gegen die Ausnahmegenehmigungspraxis des Bundesverkehrsministeriums, nämlich die Erlaubnis, Schiffe ständig unterzubesetzen, zu protestieren. Die Folge waren eine Personalkatastrophe nie dagewesener Art und ein breiter Vertrauensschwund des Nachwuchses.
    Das Klima zwischen den Sozialpartnern hat sich seither von einer großen gemeinsamen Anstrengung im Wiederaufbau zu unüberbrückbaren Verhärtungen verschlechtert. Was in diesem Land als eine ungeheure Diskriminierung empfunden oder auch Kolonialismus genannt würde und deshalb aus guten Gründen mit Hilfe der Arbeitserlaubnisverordnung durch die Bundesanstalt verboten wurde, nehmen wir in der Seeschiffahrt hin. Zirka 1 000 Seeleute aus der Dritten Welt dürfen wählen zwischen Hunger in der Heimat oder — z. B. bei Laskaren — einer monatlichen Bruttoheuer für 56 Wochenarbeitsstunden gestaffelt nach den Sätzen zwischen 58,28 und 73,14 DM auf deutschen Schiffen!
    Keiner dieser Leute, meine Damen und Herren, ist legal durch die Bundesanstalt in Pakistan angeworben worden, auch kein Südseeinsulaner, Gilbertese oder dergleichen, wo man diese seemännische Erschließung entdeckte.
    Andererseits sind 13 000 qualifizierte deutsche Seeleute durch die Ausflaggungsvorgänge der letzten Zeit und den Einsatz von „Billigkräften" der Dritten Welt nach Hause geschickt worden. Sie stehen auch in Zukunft der deutschen Seeschiffahrt nicht mehr zur Verfügung, mit dem Erfolg, daß die von Reedern und Gewerkschaften erst im Sommer dieses Jahres im Rahmen der Seeberufsgenossenschaften ausgearbeiteten Schiffsbemannungsrichtlinien, die eine Reduzierung des Personals vorsehen, schon jetzt nicht mehr funktionieren, weil Quantität nur durch Qualität ersetzt werden kann. Diese Qualität aber ist nicht mehr gegeben; denn inzwischen fehlen mindestens 16 % dieser benötigten Matrosen mit Matrosenbrief in der deutschen Seeschiffahrt.
    Neue, moderne und notwendige Besatzungsstrukturen scheitern an fehlendem Personal, das wir zu-



    Orgaß
    vor noch hatten. Mehrzweckbesatzungen oder gar Minibesatzungen für das Schiff der Zukunft werden unter diesen Umständen nicht verwirklicht werden können.
    Immer schärfer werdende Konfrontationen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind festzustellen. Die diesjährigen Boykottaktionen beider deutscher Seeleutegewerkschaften gegen eine Vielzahl deutscher Reeder lassen Schlimmes in diesem Bereich auch für die Zukunft befürchten.
    Die sozialen Spannungen gehen aber bei weitem nicht allein zu Lasten der Sozialpartner. Sie sind. vielmehr eine Folge der ungerechten Behandlung auch durch dieses Parlament und durch die vergangenen Verkehrsminister der SPD, die ihre Ermächtigungsmöglichkeiten des Seemannsgesetzes nicht ausnutzten, die Verpflichtungen aus internationalen Vereinbarungen nicht erfüllten und die Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf höchstens zur Kenntnis nahmen.
    So ist es doch nur mit Mühe gelungen, die Seeleute voll in das Arbeitsförderungsgesetz aufzunehmen, die mittelalterlichen Heuerstellen abzuschaffen und überhaupt erst das Arbeitsamt in der Seeschifffahrt einzuführen sowie eine internationale Verpflichtung aus dem IAO-Abkommen Nr. 71 über die besondere Altersrente für die Seeleute zu erfüllen, ohne daß die öffentliche Hand hierfür zur Kasse gebeten wird, und das noch gegen den zunächst erheblichen Widerstand der Regierungskoalition, obwohl sich Seeleute und Reeder über die Finanzierung längst einig waren.
    Die Seeleute sind nur unzureichend und auch nur mit Mühe in das Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen, unzureichend deshalb, weil bei Unternehmen mit weniger als neun Schiffen oder weniger als 250 Beschäftigten die Seeleute noch heute keine Möglichkeit haben, Seebetriebsräte aus ihren eigenen Reihen zu wählen, wovon zirka 50% aller Seeleute auf deutschen Schiffen betroffen sind.

    (Abg. Wehner: Wie war das vorher, Herr Orgaß?)

    Hinzu kommt, daß durch das Ausflaggen von Schiffen bei deutschen Reedereien auch bereits gewählte Seebetriebsräte ihre Arbeit einstellen müssen, weil die Belegschaftsstärke der unter deutscher Flagge verbliebenen Schiffe unter die angegebenen Zahlen abgesunken ist. Die Seeleute auf den ausgeflaggten Schiffen der gleichen Reederei genießen dieses Recht ohnehin nicht, und außerdem werden auch den anderen die Rechte entzogen. So einfach geht das!
    Deswegen, meine verehrten Damen und Herren, gehört zu einer Enquete über die personelle und wirtschaftliche Situation in der deutschen Seeschifffahrt auch der ganze Komplex der staatlichen Exekutive, ihre Qualität und ihre Quantität sowie ihre Praktiken, wenn es um die Wahrung und Durchsetzung von Rechten, Vorschriften, Gesetzen und Verordnungen auf dem Gebiet der Seeschiffahrt geht. Die Arbeitnehmer tragen hier ständig vor, daß in der Seeschiffahrt die Rechtsstaatlichkeit nicht immer gewährleistet ist. Hierfür können sie gute Grande nennen. Ich meine, das ist eine vernichtende Kritik.
    Die Bundesanstalt für Arbeit, die Hamburger Bürgerschaft, den Senat und die Küstenländer haben wir allein gelassen mit dem Problem des seemännischen Arbeitsmarktes, der Schwarzvermittlung der Ausländer und den sich daraus ergebenden sozialen und Sicherheitsproblemen.
    Ich habe damals als einziger Abgeordneter umsonst versucht, die Seeleute in das Berufsbildungsgesetz mit einzubeziehen. Das mißlang, was heute von allen Beteiligten und den vier Küstenländern zutiefst bedauert wird. Ich habe von dieser Stelle aus das Parlament vergeblich gebeten, diesen Fehler gutzumachen.
    Die Entwicklung: Ani 10. Mai dieses Jahres protestierten, vom Kapitän angefangen, Seeleute eines ausgeflaggten Schiffes in Hamburg, traten demonstrativ vor die Öffentlichkeit und wandten sich an Wirtschaftssenator Kern. Sie demonstrierten in der Hamburger Innenstadt und forderten die Bevölkerung auf, ihre Bundestagsabgeordneten und Bürgerschaftsabgeordneten zu fragen, was sie denn bisher für die Seeschiffahrt und deren Sorgen geleistet hätten.
    Allen Kollegen dieses Hauses — und dabei schließe ich meine Fraktion nicht aus —, sei gesagt, daß Seeschiffahrt kein Regionalproblem ist, sondern eine nationale Notwendigkeit.

    (Beifall des Abg. Dr. Müller-Hermann.)

    Alle Fraktionen wären gut beraten, wenn sie der deutschen Seeschiffahrt sehr viel mehr Aufmerksamkeit schenkten und Unterstützung gewährten, als das bisher der Fall war, bei allen Entscheidungen sowohl im sozialen wie im wirtschaftlichen Bereich dies auch stets mit berücksichtigten und nicht einfach darüber zur Tagesordnung gingen. Denn Gleichgültigkeit des Parlaments im Bereich der Schiffahrtspolitik wird uns teuer zu stehen kommen. Ein Tankerprogramm von 150 Millionen DM für sieben Tanker wie jetzt ist ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Milliardenbeträge, die wir heute für unsere Flotte aufbringen müssen. Deswegen gilt es auch, den Vorwurf des fehlenden Schiffahrtsbewußtseins des Parlaments auszuräumen.
    Wir sind verantwortlich. Wir haben auch das Seeaufgabengesetz, das wir selber beschlossen haben, zu erfüllen. Wir haben eine komplette Sondergesetzgebung für die Seeleute erlassen, dafür einen Teil ihrer Grundrechte eingeschränkt und der Bundesregierung Ermächtigungen erteilt, ohne zu fragen, was daraus geworden ist, und ohne uns weiter darum zu kümmern. Unsere Aufgabe ist es — nicht die der vier Küstenländer --, unseren Verpflichtungen hier nachzukommen. Es stünde uns deshalb wohl auch gut an, selbstkritisch unsere Haltung zur Seeschiffahrt insgesamt zu überprüfen.
    Aber der Bundesregierung ist zu sagen, daß sie gleichzeitig auf dem gesamten Verkehrsbereich versagt hat; denn noch nie nach dem Kriege hat es derartige verkehrspolitische Schwierigkeiten gegeben. Allen Kollegen ist das Problem der Luftfahrt bekannt. Wir haben es hier gerade wieder diskutiert. Aber doch nicht nur bei den Fluglotsen und Flugleitern, wo es jetzt spektakulär sichtbar ist, tritt die



    Orgaß
    Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung in Erscheinung, sondern sie ist in dein Bereich der Seeschiffahrt mindestens ebenso skandalös, und sie zeichnet sich auch bereits bei der Deutschen Bundesbahn ab. Die verkehrspolitische Situation wird katastrophal. Ein allseits überforderter Verkehrsminister

    (Abg. Dr. Jenninger: Absolute Leere!)

    sollte deshalb schnellstens aus dem Verkehr gezogen werden und einem qualifizierten Mann Platz machen. Ich meine, man kann es sich auch nicht leisten, angesichts dieser Probleme einen Verkehrsminister für einen Landtagswahlkampf als Spitzenmann zu delegieren, sondern man sollte ihn nach dorthin entlassen.
    Die Bundesregierung und wir müssen erkennen, daß Geld allein nicht mehr ausreicht, das Versäumte zu reparieren, sondern wir brauchen politisches Handeln, wir brauchen ein politisches Konzept.
    Der Bundeskanzler hat kürzlich bei einem Besuch in Norddeich Radio die Gelegenheit wahrgenommen, alle Seeleute auf unseren Schiffen zu grüßen, ihre Leistungen hervorgehoben, auch im Hinblick auf die Völkerverständigung. Das war zu begrüßen. Aber er ist mit keinem Wort auf die wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten eingegangen, was den Betroffenen sicher wichtiger und hilfreicher gewesen
    wäre.
    Der Verkehrsminister erklärt in einer Fensehsendung des ZDF am 2. Mai 1973:
    Ich rechne nicht damit, daß weitere nennenswerte Ausflaggungen notwendig sein werden, wie wir uns auch bemühen wollen, entsprechend durch Gesetzgebung dafür zu sorgen, daß der Wettbewerb, was die Besatzungsvorschriften, die sozialen Vorschriften, die Sicherheitsvorschriften angeht, sich nicht zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland auswirkt.
    Das kann aber doch nur bedeuten, daß dieser Mann glaubt, daß es nur über den Verlust des sozialen Besitzstandes gehen kann und/oder zu Lasten der Schiffssicherheit.
    Ich meine, für viele ist Seeschiffahrt Lebensinhalt geworden, aber ich glaube, es ist von ganz entscheidender Bedeutung zu sehen, daß die Schiffahrt für uns alle ein bedeutender Faktor ist. Der Beginn einer revolutionierenden Entwicklungsphase in der Seeschiffahrt und im Welthandel ist längst eingeleitet. Wir müssen uns schnell anpassen, und wir müssen eine auf breiter Basis getragene Schiffahrtspolitik anfangen.
    Es geht auch nicht an, daß die Bundesregierung stets von Flaggendiskriminierung spricht, aber bis heute überhaupt nicht handelt. Ganz Nord- und Südamerika beispielsweise beansprucht 50 Prozent des Ladungsaufkommens für die eigene nationale Flotte. Viele Länder Asiens und Afrikas sind diesem und anderen Beispielen längst gefolgt. Aber auch in Europa sind solche Praktiken nicht unbekannt. So werden beispielsweise fast alle Bananentransporte aus den eigenen überseeischen Gebieten Frankreichs ausschließlich auf deren Schiffen durchgeführt.
    Aber auch der unvergleichbar große Ansatz von Haushaltsmitteln anderer Länder im Bereich ihrer
    Flotten macht deutlich, daß unsere Flotte nicht mehr mithalten kann und im Konkurrentenverhältnis aus dem Rennen geworfen wird, zumal die seit 1969 anhaltenden DM-Aufwertungen und Dollar-Abwertungen bislang über 40 Prozent ausmachen und die Wettbewerbsposition deutscher Schiffahrt an den Rand des Ruins getrieben hat.
    So stellten zur Verfügung — umgerechnet in DM — beispielsweise Frankreich 1971 360 Millionen, 1972 453 Millionen bei einer Flottenstärke von
    7 Millionen BRT; Italien 1971 665 Millionen, 1972 698 Millionen bei einer Flottenstärke von 8,1 Mßlionen BRT; Japan 1971 1 650 Millionen, 1972 1 550 Millionen bei einer Flottenstärke von 30,5 Millionen BRT; USA 1971 1 170 Millionen, 1972 1 500 Millionen bei einer Flottenstärke von 16,3 Millionen BRT; die Bundesrepublik Deutschland 1971 61 Millionen, 1972 60 Millionen bei einer Flottenstärke von 8 Millionen BRT.
    Und selbst bei den jetzt vorgesehenen Tankerprogrammen mit den übrigen Mitteln von insgesamt 250 Millionen DM fallen wir hoffnungslos hinten ab.
    Die Richtlinien für eine zukünftige Schiffahrtspolitik sind in Holland, in Japan, in England und in anderen Ländern längst erarbeitet. Bei den zunehmenden Verzahnungen mit dem sehr schnellen Wachstum der Weltwirtschaft steht die Seeschiffahrt im Begriff, in eine Schlüsselposition hineinzuwachsen. Daraus muß auch die Bundesrepublik Deutschland, wie das andere Nationen erfolgreich tun, Schlußfolgerungen ziehen.
    Die Flottenausbauprogramme des Auslandes sind beträchtlich: Z. B. Japan bis 1974 von 30,5 Millionen auf 45 Millionen BRT; Norwegen bis 1973 von 21,7 Millionen auf 24 Millionen BRT; Italien bis 1975 von 8,1 Millionen auf 12 Millionen BRT; Frankreich bis 1975 von 7 Millionen BRT auf 10,6 Millionen BRT und Spanien bis 1980 von 3,9 Millionen BRT auf
    8 Millionen BRT, vom Ostblock ganz abgesehen.
    Unsere Flotte hingegen verringert sich zusehens, läuft ins Ausland weg; eine schiffahrtspolitische Konzeption gibt es nicht; die Hilfsmöglichkeiten des Außenhandelsgesetzes werden nicht ausgenutzt; die Möglichkeit der Herausnahme der Seeschiffahrt aus dem Bardepotgesetz wird nicht ergriffen. Bilaterale Verhandlungen, um den Flaggenprotektionismus einzudämmen, werden offenbar nicht geführt.
    Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb mit der Drucksache 7/963 eine umfassende Schiffahrtsenquete zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der deutschen Seeschiffahrt beantragt. Sie vollzieht damit das, was die SPD bereits 1970 verkündete und — wie vieles andere — dann schließlich nicht einhielt, nämlich ihren Beschluß vom Januar 1970 über den Einsatz einer Enquete-Kommission zur gleichen Problematik mit zwölf Schwerpunkten. Ich verweise auf Ihren Pressedienst vom 13. 1. und vom 20.2. 1970. Herr Grobecker, wenn Sie das sehen wollen, können Sie das Stück notfalls bei mir mit einsehen.

    (Abg. Grobecker: Sie haben den Unterschied zwischen einer Enquete und einer Enquete-Kommission nicht begriffen!)




    Orgaß
    Damals erhielten Sie Beifall von den Arbeitgebern, den Seeleuten, deren Gewerkschaften und der Presse. Sie hatten auch mit unserer Unterstützung rechnen können. Wir hoffen deshalb, daß Sie heute bereit sein werden, Ihren damaligen Schritt mit uns zu vollenden — um der Sache willen, um die es hier geht.

    (Abg. Grobecker: Wir wären auch bereit, wenn Sie nur fünf Minuten geredet hätten!)

    Die Enquete muß deshalb von der Fragestellung ausgehen: Brauchen wir eine nationale Flotte?

    (Abg. Wehner: Da kann man nur lachen!)

    Sie wird sicherlich zu dem Ergebnis kommen, daß dieses für eine Industrie- und Exportnation wie die Bundesrepublik vonnöten ist. Dann aber muß daraus die Frage abgeleitet werden: Wie ist die wirtschaftliche Struktur der deutschen Handelsflotte im Hinblick auf technische Entwicklung und Wettbewerb? Das bedeutet z. B. Erforschung einer mittel- und langfristigen Bedarfsplanung deutscher Tonnagekapazitäten, an Quantitäten und an Qualitäten, wie auch der notwendigen Unternehmensstruktur des Reedereigewerbes und all dieser Dinge mehr.
    Wir müssen wissen, daß sich in der deutschen Seeschiffahrt zwangsläufig eine rasante Entwicklung vollziehen wird. Fachleute stellen bereits heute Untersuchungen über das „Schiff der Zukunft" an, welches von wenigen, dafür aber hochqualifizierten Fachleuten betrieben werden und in den Häfen allerdings einen völlig anderen Service als den bisherigen erfordern wird.
    Eine solche Entwicklung kann jedoch nicht einfach dem Zufall überlassen bleiben. Förderung durch den Bund wird unumgänglich notwendig sein, und deshalb setzt auch für das Parlament Freiheit der Entscheidung Kenntnis der Alternativen voraus, um vor Fehlentwicklungen weitgehend geschützt zu sein.
    Eine vernünftige Schiffahrtspolitik — das sei schließlich noch gesagt — ist jedoch nicht losgelöst von einer entsprechenden Personalpolitik zu betreiben. Wer die wirtschaftliche Struktur der Seeschifffahrt in den Griff bekommen will, kann und darf die sozialen Bedingungen der in der Seeschiffahrt Beschäftigten nicht außer acht lassen oder auch nur am Rande behandeln. Die Schiffahrtsenquete muß deshalb ebenso detailliert die soziale Sicherung, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen, Chancengleichheit sowie Einkommensverhältnisse in Lohnzeitfaktoren behandeln und hier vor allem objektives Zahlenmaterial vorlegen, damit nicht — wie in der Vergangenheit — die Zahlen des einen Sozialpartners vom anderen mit anderen Zahlen bestritten werden. Die bisher durchgeführten Untersuchungen in der deutschen Seeschiffahrt — vorwiegend durch die Treuhand — haben den Nachteil, daß sie nur einen kleinen Ausschnitt im Bereich der finanziellen Seite der Seeschiffahrt beleuchten und bis heute der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.
    Vorrangig ist auch die Frage nach Aus- und Weiterbildung, weil das eine entscheidende Voraussetzung für die künftige Entwicklung in der deutschen Seeschiffahrt sein wird.
    Wenn das Hohe Haus diesen Antrag bejaht, was ich hoffe, dann bleibt seine technische Abwicklung sowie der Arbeitskreis unter einer von allen anerkannten Persönlichkeit festzulegen. In diesem Arbeitskreis sollten alle vertreten sein, die mit der Seeverkehrswirtschaft in Verbindung stehen, das Parlament, die Regierungen der Küstenländer, die Seeleutegewerkschaften, Arbeitgeber und andere Beteiligte der Seeverkehrswirtschaft.
    Auch Reeder stellten fest, daß neben der Enquete, die in dieser Form eindeutig auf die übergeordneten Aufgaben des Bundes bezogen sein muß, ergänzende Problemkreise Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen sein sollten. Die zu untersuchenden Fragen sollten in erster Linie von Gewerkschaften und Reedern vorgeschlagen werden.
    Wenn in der aufgezeigten Weise bereits eine umfassende Übersicht der Zusammenhänge vorläge, dann könnten schon heute einige anstehende Aufgaben leichter in Angriff genommen werden. Wir brauchen ein einheitliches Ausgangsmaterial zur Erarbeitung einer neuen personal- und sozialpolitischen Konzeption. Wir brauchen eine neue einheitliche Ausgangsposition für Seeleute, Reeder und deren Verbände im Rahmen einer autonomen Tarifpartnerschaft.
    Die Funktion der Handelsflotte muß nicht nur für die unmittelbar Beteiligten, sondern für die ganze Öffentlichkeit und das Parlament transparenter gemacht werden. Der Nutzen der eigenen Handelsflotte läßt sich damit für die Außenhandelsfunktionen und als politischer Faktor objektiver einschätzen. Regierung und Parlament sollten sich Klarheit schaffen und könnten um so wirksamer handeln. Die anerkannten Belange der deutschen Seeschiffahrt und damit auch die der Häfen ließen sich, gestützt auf die Ergebnisse einer solchen Enquete, wirkungsvoller als bisher vertreten.
    Ich möchte aber alle Beteiligten nachhaltig davor warnen, die schon jetzt dringlichen schiffahrtspolitischen Entscheidungen so lange aufzuschieben, bis das Ergebnis einer solchen Enquete vorliegt. Das müßte katastrophale Folgen haben und würde auch die Enquetekommission unter nicht zu vertretenden Zeitdruck setzen. Damit wäre auch der Erfolg gefährdet. Letztlich dürfen sich alle politischen Entscheidungen bis dahin nicht zuungunsten des Gewerbes und der dort Beschäftigten auswirken.
    Ich bitte Sie, meine verehrten Damen und Herren, nach Prüfung dieses Antrages in den Ausschüssen im Parlament diesem Antrag mit breiter Mehrheit zuzustimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Grobecker: So breit, wie wir hier sind!)