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ID0702810800

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    Deutscher Bundestag 28. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. April 1973 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. h. c. Kiesinger und Dr. Schäfer (Tübingen) 1373 A, 1383 C Erweiterung der Tagesordnung 1373 A Überweisung einer Vorlage an einen Ausschuß 1373 B Aussprache über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1973 (Haushaltsgesetz 1973) (Drucksache 7/250) in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1972 bis 1976 (Drucksache 7/370), mit Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1973 (Drucksache 7/419) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol (Drucksache 7/422) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Zweites Bundesbesoldungserhöhungsgesetz) (Drucksachen 7/411, 7/442) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes über die Sechzehnte Rentenanpassung und zur Regelung der weiteren Anpassungen der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Drucksache 7/427) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Fünftes Anpassungsgesetz — KOV) (Abg. Geisenhofer, Dr. Althammer, Ziegler, Dr. Schulze-Vorberg, Dr. Riedl [München], Dr. Waigel, Maucher, Burger, Dr. Götz, Müller [Remscheid], Dr. Blüm und Fraktion der CDU/ CSU) (Drucksache 7/315) — Erste Beratung — und mit II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 28. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. April 1973 Entwurf eines Gesetzes über die Sechzehnte Rentenanpassung und zur Regelung der weiteren Anpassungen der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (CDU/CSU) (Drucksache 7/446) — Erste Beratung — Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) . . 1374 B Dr. Schellenberg (SPD) 1378 C von Hassel, Vizepräsident . . . 1379 D Schmidt (Kempten) (FDP) . . . 1383 C Arendt, Bundesminister (BMA) . 1387 C Katzer (CDU/CSU) 1390 B Dr. Nölling (SPD) 1393 D Brandt, Bundeskanzler . . . . 1398 D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 1399 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 1405 B Wehner (SPD) 1410 A Anträge des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betr. Aufhebung der Immunität der Abgeordneten (Drucksachen 7/429, 7/430, 7/431, 7/432) 1410 C Sammelübersichten 3 und 4 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksachen 7/402, 7/410) 1410 D Nächste Sitzung 1410 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 1411* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 28. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. April 1973 1373 28. Sitzung Bonn, den 6. April 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 28. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. April 1973 1411* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 6. 4. Dr. Achenbach * 7. 4. Adams * 7.4. Ahlers 6. 4. Dr. Aigner * 7. 4. Dr. Artzinger * 7.4. Dr. Bangemann * 7.4. Dr. Becher (Pullach) 6. 4. Behrendt * 7. 4. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 6. 4. Blumenfeld 7. 4. Böhm 6.4. Bremer 6.4. Buchstaller 6.4. Dr. Burgbacher 6.4. Buschfort 6. 4. Dr. Corterier * 7. 4. Frau Däubler-Gmelin 6.4. Dr. Dregger ** 16.4. Dr. Evers 6. 4. Fellermaier * 8.4. Flämig * 7. 4. Frehsee * 7.4. Dr. Früh * 7.4. Gerlach (Emsland) * 7.4. Gewandt 7.4. Dr. Haack 6.4. Haar 6. 4. Härzschel * 7. 4. Hofmann 6.4. Dr. Jaeger 6.4. Jäger (Wangen) 6. 4. Dr. Jahn (Braunschweig) * 7. 4. Kahn-Ackermann ** 7.4. Kater 30.4. Kirst 6. 4. Dr. Klepsch * 7. 4. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Krall * 6. 4. Lange * 7. 4. Lautenschlager * 6. 4. Frau. Dr. Lepsius 7. 4. Löffler 6. 4. Lücker * 7. 4. Dr. Martin 7.4. Frau Meermann 6. 4. Memmel * 7. 4. Mertes 6.4. Mikat 6.4. Müller (Mülheim) * 6.4. Mursch (Soltau-Harburg) * 6.4. Dr. Oldenstädt 6.4. Ollesch 6. 4. Frau Dr. Orth * 7. 4. Picard 7.4. Richter ** 7.4. Dr. Riedl (München) 18.4. Dr. Ritgen 6.4. Rollmann 6.4. Frau Schleicher 6. 4. Schmidt (München) * 7. 4. Schmidt (Wattenscheid) 7.4. Frau Schroeder (Detmold) 6.4. Frau Schuchardt 8.4. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 6. 4. Dr. Schulz (Berlin) * 7. 4. Schwabe * 7.4. Dr. Schwenke ** 7.4. Dr. Schwörer * 7.4. Seefeld * 8.4. Dr. Slotta 6.4. Spillecke 6.4. Spilker 6. 4. Springorum * 7. 4. Dr. Starke (Franken) * 7.4. Tönjes 6. 4. Walkhoff * 7. 4. Dr. Wallmann 6.4. Frau Dr. Walz * 6.4. Frau Dr. Wex 6.4. Wienand 6.4. Frau Dr. Wolf ** 6. 4. Wrede 7. 4. Wurbs 6.4.
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    Ich hatte gemeint, Herr Kollege, als ich in den vergangenen Wochen Ihre Begleitmusik zum Grundvertrag gelesen habe, daß Sie in der Tat manchen von uns strapazierten, indem Sie ihre Rolle eines Ausschußvorsitzenden mit der eines Propagandisten verwechselten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Darf ich aber zurückkehren zu der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die unter der Überschrift: „Bilanzsumme übersteigt 40 Milliarden" wörtlich schreibt, es handle sich um das bisher absolut beste Betriebsergebnis. Das ist ja nur ein Beispiel. Ich habe es genommen, weil es heute morgen in allen Zeitungen steht. Das kann man also jetzt nach Ihren
    Prophezeiungen feststellen, wo es um große Betriebe, um große Banken geht.
    Was nun, Herr Kollege Barzel, Ihr böses Wort von der sozialen Demontage angeht: Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben es, wo es sich um die soziale Grundeinstellung und die soziale Einstellung im Konkreten handelt, nicht nötig, sich irgendeine Belehrung erteilen zu lassen —

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    das mal vorweg! —, bestimmt nicht von denen, die — nun weiß Herr Kollege Katzer, daß ich ihn nicht meine und einige andere auch nicht, aber einen beträchtlichen Teil Ihrer Fraktion — ihr Herz für die Arbeitnehmer und für die Älteren in unserem Lande vor allem immer dann entdecken, wenn Wahlen bevorstehen oder wenn sie sich in Opposition befinden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Arbeitnehmer in diesem Lande wissen, daß sie, seit die von mir geführte Bundesregierung im Amt ist, eine Periode des sozialen Fortschritts erlebt haben,

    (Oh-Rufe von der CDU/CSU)

    wie es ihn

    (Abg. Nordlohne: „20 Jahre nicht gegeben hat" !)

    in der Periode der Bundesrepublik zuvor — in der Tat, Sie haben recht mit Ihrer Bemerkung, Herr Kollege — nicht gegeben hatte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der Kollege Arendt, hat vorhin von dieser Stelle aus eindrucksvolle, zutreffende Ausführungen zu diesem Thema gemacht. Ich möchte das, was er gesagt hat, nicht wiederholen. Aber ich erinnere hier doch immerhin an die Schaffung einer modernen Betriebsverfassung, an die positive Entwicklung der Renten, insgesamt gesehen,

    (Abg. Katzer: Dazu hat die Opposition sehr viel beigetragen! Das können Sie nicht leugnen!)

    an die Einführung der flexiblen Altersgrenze trotz des Streits um ihre Ausgestaltung, an die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge,

    (Abg. Franke [Osnabrück] : Das war doch gar nicht Ihr Entwurf, den haben doch wir gemacht!)

    an die Schaffung eines sozialen Mietrechts und nicht zuletzt an die Dynamisierung der Kriegsopferrenten. Wer hat sie denn beschlossen? Diese Koalition oder wer sonst?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir haben sie 1969 in der Regierungserklärung angekündigt und haben uns dort wie anderswo daran gehalten. Und wo es einmal einen Punkt gab — wie bei diesen beiden Steuerpunkten, auf denen Sie immer herumreiten —, haben wir offen gesagt, warum das nicht ging bzw. warum es hineingehört



    Bundeskanzler Brandt
    in den Gesamtbereich der Steuerreform, die vor uns liegt.

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Das war vor den Wahlen! Jetzt, nach den Wahlen!)

    Es ist doch keine Schande, wenn man sich eine Sache anders, in diesem Fall besser überlegt, als sie zunächst in Aussicht genommen war.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben durch die Dynamisierung der Kriegsopferrenten diesen Kreis von Mitbürgern, die in 20jähriger CDU-Vorherrschaft immer zu den Benachteiligten gehörten,

    (Abg. Maucher: Stimmt doch gar nicht!)

    in die allgemeine Einkommensentwicklung hineingeführt, sie an sie herangeführt. Das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden. Die Kriegsopfer können versichert sein, daß sich die Bundesregierung auch in Zukunft ihrer annehmen wird.
    Es gibt jedoch Zeiten, in denen man, was die Reformen angeht, die mit finanziellen Leistungen des Staates verbunden sind, etwas kürzer treten muß, wenn es um die Wiedererlangung von mehr Stabilität gehen soll. Eines aber — das muß ich einmal mit aller Deutlichkeit sagen — entspricht nicht der hohen Verantwortung, die auch die Opposition in diesem Staat und gegenüber diesem Staat hat:

    (Abg. Vogel [Ennepetal] : Sie bestimmen hier nicht, wer Verantwortung hat!)

    den Finanzminister in diesem Hause zu attackieren, weil sein Haushalt nicht konjunkturgerecht sei, und in derselben Debatte die Bundesregierung anzugreifen, weil sie nicht gleich auch noch eine zusätzliche Erhöhung z. B. der Kriegsopferversorgung beschließt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es geht, meine Damen und Herren, und es muß gehen um eine Reformpolitik, die den Forderungen der Stabilität entspricht, die sich darum Beschränkungen auferlegt und nur das Machbare ins Auge faßt, die aber dabei das Ziel nicht aus den Augen verliert — auch wenn es einmal ein bißchen länger dauert, bis man das Ziel erreicht —, nämlich das Ziel einer fester gegründeten Stabilität unserer Sozialordnung. Und die können wir nur durch mehr Gerechtigkeit und bessere Leistungen der Gemeinschaft für das Ganze gewinnen. Es geht nach wie vor um Stabilität durch Reformen und nicht um Stabilität statt Reformen, wie die Primitivformel eines Teils der Opposition uns hier weismachen will.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir täuschen uns keinen Augenblick darüber, daß der Angriff zahlreicher Vertreter der Opposition

    (Abg. Vogel [Ennepetal] : Doll, was hier für ein Quatsch geredet wird!)

    die Reformpolitik meint, wenn „Haushalt" gesagt wird. Ganz allgemein möchte die Opposition verhindern, daß die Regierung, die aus dem Wählerentscheid hervorgegangen ist, erfolgreich ist, daß wir erfolgreich wirken für die Bürger dieses Landes. Das werden wir aber weiter tun.
    Nun, Herr Kollege Barzel hat gestern das von anderen erfundene — wie ich sagen muß, törichte —Argument aufgegriffen, die Geldentwertung sei — ich habe mir selbst aufgeschrieben, was dann folgte — ein Mittel zur Änderung der Gesellschaft auf den Sozialismus hin.

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Stimmt doch!)

    Darin steckt zunächst wieder einmal eine erhebliche Portion

    (Zuruf von der SPD: Dummheit!)

    des Versuchs an Diffamierung,

    (Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Wehner)

    als machten wir Geldentwertung. Und außerdem muten Sie den Bürgern, an die das doch wohl auch gerichtet ist, sehr viel zu.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Denn, meine Herren von der Opposition, ich frage Sie in aller Direktheit: Wollen Sie mit diesem Argument sagen, daß der konservative britische Premierminister oder der auch nicht gerade linkssozialistische französische Staatspräsident — um nur zwei herauszugreifen

    (Abg. Wehner: Trojanische Rösser vielleicht!)

    und andere womöglich in einer Art von konspirativem Zusammenwirken mit uns

    (Abg. Wehner: Glaube ich auch! Scheint so! — Heiterkeit bei der SPD)

    darauf aus seien, auf dem Wege über ihre Geldentwertung Sozialismus zu produzieren? Das ist doch grober Unfug!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist grober Unfug, und Sie, Herr Kollege Barzel, sollten sich und uns solchen Unsinn ersparen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich meine allerdings — von diesem unsinnigen Argument abgesehen —, wir brauchen in unserer Gesellschaft weniger Egoismus und mehr Solidarität.

    (Abg. Maucher: Wem sagen Sie das?)

    Aber zu unterstellen, wir glaubten, irgend etwas an mehr Solidarität oder Solidarismus — oder, wenn Sie wollen, auch an demokratischem Sozialismus — durch mehr Geldentwertung zu bewirken, bedeutet, daß Sie, Herr Kollege Barzel, weit unter dem Niveau bleiben, das dem Führer der Opposition angemessen sein sollte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haehser: Er bleibt bei seinem Niveau, Herr Bundeskanzler!)

    Ich habe übrigens mit einer gewissen Rührung etwas nachgelesen, was im Tätigkeitsbericht 1972 des CDU-Wirtschaftsrats zu lesen steht. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren:



    Bundeskanzler Brandt
    Es hat keinen Sinn,
    — so steht dort — bei der Suche nach der Ursache
    — nämlich für das verlorengegangene Vertrauen in das, was die Unionsparteien verfochten; das ist meine Zwischenbemerkung —
    die Schuld nur dunklen Mächten zuzuschieben und etwa auf die systematische Arbeit der Kommunisten und Marxisten in unserem Lande hinzuweisen. Die Ursache ist wohl eher in den Fehlern auf unserer Seite zu suchen.

    (Abg. Wehner: Hört! Hört!)

    So weit das Zitat aus dem Tätigkeitsbericht 1972 des CDU-Wirtschaftsrates.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Na, und?! — Abg. Gerster [Mainz] : Eine derartige Besinnung täte Ihnen auch gut!)

    — Verehrter Herr Kollege, wenn Herr von Bismarck in sich geht, dann sollten Sie nicht außer sich geraten!

    (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Gerster [Mainz] : Sie haben meinen Zwischenruf überhaupt nicht verstanden!)

    Inzwischen sagt nun die Union, sie wolle mit uns wetteifern, wo es um Reformen geht. Das ist eine
    sympathische, eine begrüßenswerte Haltung. Nur: Es geht dann nicht, daß man der Bundesregierung über den Bundesrat in den Arm fällt und gleichzeitig in den CDU- und CSU-geführten Ländern solche Reden hält, wie wir sie in den letzten Wochen gehört haben. Das geht dann auch nicht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Man könnte hier von Schizophrenie sprechen. Aber da es vorsätzliche Schizophrenie nicht gibt,

    (Heiterkeit bei der SPD)

    handelt es sich in Wahrheit doch um ein doppeltes Spiel. Das, meine Damen und Herren, ist genau das, was die Bürger meiner Überzeugung nach nicht wollen. So übrigens zerstört man den Föderalismus, auf den uns das Grundgesetz verpflichtet und der mir wie auch der Bundesregierung wichtig ist.

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Föderalismus nur; wenn alles im Chor singt!)

    Herr Stoltenberg hat gestern mit seinen Interventionen diesen fatalen Eindruck, der sich bei vielen gebildet hatte — jedenfalls bei manchen von uns nicht —, nicht verwischen können.
    Herr Kollege Franke, das Wort von der Zangenbewegung ist auch eines,

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!) das geeignet ist,


    (Sehr gut! bei der SPD)

    dem Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Schaden zuzufügen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Franke [Osnabrück]:: Weil es Ihnen unangenehm ist!)

    Denn es gibt bei den Fragen, über die wir hier streiten, im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden gleichermaßen nur eine politische Glaubwürdigkeit. Daran müssen wir uns gewöhnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Franke [Osnabrück] : Na also!)

    Herr Kollege Schmidt hat nachgewiesen,

    (Zuruf des Abg. Dr. Lenz [Bergstraße])

    daß der Haushaltsentwurf 1973, den er unterbreitet hat, konjunkturgerecht ist.

    (Abg. Nordlohne: Er geht völlig gegen den Strich!)

    Daran haben die Einwürfe der Opposition und die Attacken ihres publizistischen Flankenschutzes nichts ändern können. Ich sage noch einmal: Stabilitätsgerechte Politik kann keine isolierte Aufgabe des Bundes sein. Deshalb werden wir auf diesen Punkt noch zurückkommen müssen.
    Wir haben es mit mehrfachen Spaltungen des Bewußtseins zu tun. Die CDU/CSU-Länder verweigern mit einer Stimme Mehrheit die von diesem Haus beschlossenen Maßnahmen und fordern zugleich ein größeres Stück vom gemeinsamen „Kuchen". Wenn Herr Kollege Strauß da wäre, würde ich an dieser Stelle noch etwas deutlicher, als ich es jetzt tue, hinzufügen: Wenn ich sage, mit einer Stimme Mehrheit im Bundesrat, dann denke ich und muß ich auch immer daran denken, daß es eine Mehrheit ohne die Stimmen des Landes Berlin ist, obwohl Sie wissen, daß es eine Zeit gegeben hat, in der wir das Land Berlin zum Mitstimmen hätten bringen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dies ist für mich eine politische Mauer in unserer Bundesrepublik dort im Bundesrat, die wegzuräumen lohnender gewesen wäre, als sich lange bei Schildbürgerstreichen in der Stadt von Hans Sachs aufzuhalten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die CDU/CSU-Fraktion hat hier der Blockadepolitik ihrer Kollegen im Bundesrat applaudiert. aber zugleich will auch sie, die CDU/CSU hier im Hause, nicht weniger, sondern mehr ausgeben. Dort, wo es populär zu sein scheint, will sie mehr, bei den Ausgaben und bei den steuerlichen Entlastungen.
    Der Staatsmann Kollege Windelen

    (Zurufe von der SPD: Wer? und Heiterkeit bei den Regierungsparteien)




    Bundeskanzler Brandt
    hat vor einigen Tagen in der „Münsterschen Zeitung" ausweislich des Berichts des Presse- und Informationsamts

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    eine drastische Kürzung der staatlichen Ausgaben gefordert.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Eine drastische Kürzung der staatlichen Ausgaben. Ich habe jetzt einmal die von der CDU/CSU geforderten Mehrausgaben — es ist doch keine Beleidigung, wenn jemand ein Staatsmann genannt wird —

    (Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Das kommt gleich nach Professor!)

    in den Teilbereichen zusammenrechnen lassen. Allein für 1973 betragen diese im Laufe der letzten Tage und Wochen vorgeschlagenen Mehrausgaben rund 700 Millionen DM.

    (Abg. Dr. Jenninger: Haben Sie Ihre auch zusammengezählt?)

    Darin sind die Forderungen von wichtigen Einzelsprechern nicht mitgezählt. Wenn man die nämlich mitzählte, käme man auf Milliardenbeträge. Das ist nicht seriös und einer großen Opposition nicht angemessen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Sie müsen die Ausweitung Ihres eigenen Haushalts mitzählen, Herr Bundeskanzler!)

    Nun läßt die Opposition immer wieder erklären — und manche Publikationsorgane tun dies auch —, der Kampf gegen die Geldentwertung sei in erster Linie, wenn nicht lediglich, die Sache der sogenannten öffentlichen Hand, also eine Frage der Reduzierung öffentlicher Mittel. Ich meine jedoch, so einfach darf man es sich nicht machen, wenn man Wert darauf legt, Reformpolitik auch in bewegten konjunkturpolitischen Zeiten angemessen, wenn auch etwas langsamer, als man möchte, voranzubringen. Ich stelle in den Debatten immer wieder einen Mangel fest: man kann doch nicht zum einen munter Ausgaben beschließen wollen und sich zum anderen der Einsicht in die Notwendigkeit steuerlicher Mehrbelastungen entziehen. Das geht doch einfach nicht, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es war erstaunlich, Herrn Barzel Klage darüber führen zu hören, daß die Investitionen nicht in genügendem Maße steigen. Ich kann aber auch ihm die Frage nicht ersparen, auf die er dem Bundesfinanzminister die Antwort schuldig geblieben ist:

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Wer fragt hier eigentlich wen?)

    Wie wollen Sie es eigentlich halten, Herr Kollege Barzel, Stabilität oder nicht?

    (Abg. Vogel [Ennepetal] : Sicher nicht so, wie Sie es vorschreiben!)

    Ist Ihnen der Haushalt zu groß, oder ist er Ihnen zu klein?

    (Abg. Pfeffermann: Das sind jetzt wieder staatsmännische Fragen! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Sind unsere Zahlen zu hoch, oder sind sie zu niedrig? Denn was Sie zu dem Thema vorgebracht haben, das war ja und nein zu gleicher Zeit, und das ergibt keine vernünftige Politik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Was Herr Barzel hier vorgetragen hat, haben Sie doch gar nicht verstanden! Das merkt man doch an dem, was man Ihnen da aufgeschrieben hat! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Der Wirtschaftsrat der CDU, den ich schon zitiert habe, hat mit einer gewissen Selbstverleugnung folgendes festgestellt — ich darf noch einmal zitieren —:
    Wenn die Bundesregierung die von der Opposition geforderte Reduzierung — —

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Sie fragen, Herr Kollege, „Wie lange noch?". Ich habe immer gedacht, die Opposition wollte eine ausgiebige Beratung des Haushalts. Ich bin hier durch keine Mittagspause gehindert,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern ich meine, der Tag steht zur Verfügung, um das weiter zu debattieren,

    (Beifall bei den Regierungsparteien) was uns aufgetragen ist.

    Der Wirtschaftsrat der CDU sagt folgendes:
    Wenn die Bundesregierung die von der Opposition geforderte Reduzierung des Ausgabenvolumens nicht für vertretbar hielt, hätte sie die Mehrausgaben durch Steuererhöhungen finanzieren und damit in entsprechendem Umfang private Nachfrage abschöpfen müssen.
    Soweit der Wirtschaftsrat der CDU in seinem Jahresbericht 1972. Davon soll nun plötzlich hier keine Rede mehr sein.
    Was wir wollen, ist nicht etwas, wovon der Kollege Höcherl neulich einmal gesprochen hat. Ein bedauerliches Mißverständnis, wenn ich es so nennen kann. Er hat nämlich unterstellt — und das hängt dann ein bißchen mit dem vorhin erwähnten Argument von Herrn Barzel zusammen -, ein Schwerpunkt der Aktivität dieser Bundesregierung liege in dem, wie er meinte, ideologisch motivierten Ziel, den Anteil des Staates am Bruttosozialprodukt zu vergrößern. Da ist Quatsch. Ein solches ideologisch motiviertes Ziel gibt es nicht. Was wir wollen, ist vielmehr: dort, wo es die gesellschaftliche Entwicklung erfordert, den Anteil der öffentlichen Leistungen für die Bürger vergrößern können. Darum geht es

    (Beifall bei der SPD)

    und nicht darum, Mitbürger zu ärgern, indem man sich mehr Steuern für sie ausdenkt.



    Bundeskanzler Brandt
    Wir vermissen, wenn ich mich so ausdrücken darf, daß der Kollege Höcherl, der es sich sonst nicht so leicht macht, hier in differenziertere Gedankengänge eingestiegen ist. Hier geht es nämlich überhaupt nicht — ich sage es noch einmal — um eine ideologische Motivation, sondern um bessere Leistungen für die Menschen dieses Volkes, Hilfe vor allem für die sozial Schwachen und die, die zu kurz gekommen sind, die, wenn ich so sagen darf, links und rechts beim Vormarsch einer Marktwirtschaft liegenblieben,

    (Abg. Wehner: Leider wahr!)

    die sich zu sehr als eine bloße Unternehmenswirtschaft verstand.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Hat man daran Zweifel? Wenn man sie hätte, dürfte ich vielleicht noch einmal etwas vorlesen. Und da steht dann folgendes:
    Es entstand das Bild vom Unternehmer, der — mit großer Tüchtigkeit — sein Unternehmen allein am Gewinn orientiert führt und aus Sorge an diesem Gewinn jede notwendige und wünschenswerte Änderung in der gesellschaftlichen Zielsetzung ablehnt, der sich gegen Umweltschutz und Arbeitszeitverkürzung, gegen flexible Altersgrenze und Kartellgesetz wehrt.
    Das hat kein böser Jungsozialist geschrieben, sondern das ist wieder der Text des Wirtschaftsrats der Christlich Demokratischen Union.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Plötzlich entdeckt man dann auch, daß selbst eine Unternehmerschaft, die Speerspitze des Fortschritts werden will, den Staat braucht, nicht etwa nur zur Deckung ihres Risikos — das war schon immer so; denn unter „Sozialer Marktwirtschaft" verstanden manche doch wohl nicht so sehr den Schutz der Schwachen, sondern eine Unternehmensschutzpolitik,

    (Oh! Oh! bei der CDU/CSU)

    sondern man braucht den Staat — dies setzt sich eben mehr und mehr durch, nicht nur bei den Arbeitnehmern, sondern eben Gott sei Dank auch bei sehr vielen der Zeit zugewandten Unternehmen —,

    (Beifall bei der SPD)

    auch, und man braucht ihn entscheidend für die großen und drängenden Aufgaben, wie z. B. den Schutz der Umweltbedingungen. Das sind bei manchen späte Einsichten. Aber es ist gut, daß sie sich Bahn brechen.
    Meine Damen und Herren, für uns ist der Etat, über den hier beraten wird, konjunkturgerecht und stabilitätsorientiert. So urteilen auch die meisten Fachleute,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    die sich bisher haben äußern können. Und soweit nun die Preisentwicklung vom Hausgemachten mitbestimmt ist — hier komme ich noch einmal auf Helmut Schmidts gestrige Rede zurück —:

    (Abg. Dr. Ritz: Lieber nicht!)

    die Opposition weiß heute ganz genau, daß die entscheidenden Faktoren seit geraumer Zeit von draußen kommen. Diesen Etat der Bundesregierung geht das also nichts an; es berührt ihn nicht. Auch die bis noch vor ganz kurzem durchweg sehr maßvollen Gewerkschaften können kaum gemeint sein. Jedenfalls können wir nicht an anderen Faktoren unseres Wirtschaftslebens vorbeigehen, die entscheidend das Sagen über die Preise haben, und deshalb ist ja doch ein entscheidendes Element unserer Politik die Verschärfung der Wettbewerbsgesetzgebung, meine Damen und Herren,

    (Beifall bei der SPD)

    für die ich ohne alle Umständlichkeit nochmals die
    Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses erbitte.

    (Abg. Dr. Barzel: Erst beschimpfen, dann erbitten!)

    Die Ausgabenansätze im Haushalt 1973 und im Finanzplan — etwa im großen Bereich BildungWissenschaft-Forschung — sind, trotz der konjunkturpolitischen Notwendigkeiten, dem Setzen politischer Prioritäten durch die Regierung angemessen. Aber das Überbewerten der investiven Ausgaben durch die Opposition offenbart für meine Begriffe eine erstaunliche Fehleinschätzung der Reformpolitik. Sie hat sich damit nämlich auf eine zu eng technokratische Betrachtungsweise eingelassen. Gesellschaftsreform ist kein Prozeß, der sich mechanistisch aus der Höhe der investiven Ausgaben des Staates ableiten läßt. Schließlich kann Wohlstand nicht allein an Bauten und Maschinen, also am Wachstum der Güterproduktion, gemessen werden, einem Wachstum, das wahrhaftig wichtig ist, aber nicht allein.
    Zur besseren Lebensqualität gehören die gesellschaftspolitischen Bedingungen in unserem Staat. Ich erinnere hier nur stichwortartig an die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und — auf einem anderen Gebiet der Gesellschaftspolitik — an die Reform des Familienrechts und des Strafrechts.

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Ob dadurch die Lebensqualität besser wird, wird man noch sehen!)

    Hier vermissen wir — auch hier — die Konzepte und Alternativen der Opposition.
    Unter den aktuellen Gesetzen hat die Kartellnovelle Vorrang. Sie kostet kein Geld, sondern sie spart Geld, sie wird Geld sparen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und zwar für die Bürger. Reformpolitik ist eben nicht immer mit hohen Ausgaben verbunden, sondern gelegentlich auch mit einer genaueren Rechnung.
    Zu den Grundelementen der Reform unserer Gesellschaft gehört die Bildungspolitik. Dabei bleibt es. In dem irreführenden Streit über die Finanzierungsbasis des Bildungsgesamtplans für das Jahr 1975 ist untergegangen, daß die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung nach dem einstimmigen Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern am 23. Februar dieses Jahres jetzt die Möglichkeit hat, den Bildungsgesamtplan nach mittlerweile fast



    Bundeskanzler Brandt
    dreijähriger Arbeit in Kürze fertigzustellen. Damit wird — das wollen wir doch auch einmal festhalten, da es sich um ein so mühsames Geschäft handelt im Aushandeln der Dinge zwischen Bund und Ländern; Ländern und Bund, müßte man hier sagen , zum erstenmal in der Bundesrepublik Deutschland für die Zeit bis 1985 ein Gesamtplan für diesen geschlossenen Aufgabenbereich aufgestellt.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Jenninger: Bloß ohne Budget!)

    Er dient Bund und Ländern als gemeinsame Grundlage für die in Bildung und Wissenschaft notwendigen Reformen und Maßnahmen der nächsten zwölf Jahre.

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Steht auch dabei, was es kostet?)

    Dies ist deswegen bemerkenswert, weil es sich um einen Bereich handelt, in dem die Länder in sachlicher wie finanzieller Hinsicht die Hauptverantwortung tragen. — Ich bin erschüttert über den Zwischenruf eines Kollegen — wenn nicht in der ersten, dann in der zweiten Bank der Opposition —, der fragt, ob denn dabei stünde, was es kostet. Der Zwischenruf zeigt: Er hat sich mit der Materie und den alternativen Ziffern, die uns alle in den letzten Monaten hätten beschäftigen sollen, überhaupt noch nicht vertraut gemacht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Dr. Ritz.)

    Eng mit der Bildungsreform sind die Fragen der Forschung verknüpft. Eine zusätzliche Bemerkung dazu: Die Opposition beklagt Kürzungen im Forschungshaushalt. Aber die Kürzungen sehen immerhin so aus, daß ein deutlich überdurchschnittlicher Zuwachs bleibt. Mittelfristig gehört der Forschungshaushalt neben dem Sozial-, Bildungs-, Entwicklungshilfe- und Städtebauhaushalt zu den Bereichen, die etwa um die Hälfte wachsen sollen. Daran ist zu erkennen, daß dieser Bereich auch finanziell nach wie vor, wo es um die Reformpolitik geht, sehr ernst genommen wird. Allerdings müssen sich Forschung und Entwicklung insgesamt deutlicher nach dem künftigen Bedarf der Gesellschaft und ihrer Bürger richten.
    Genauso dringend sind schließlich die Probleme des Umweltschutzes, die ich eben schon kurz berührt hatte. Die sozialliberale Koalition hat dem Umweltschutz im Rahmen der Gesamtpolitik den Rang eingeräumt, der ihm in einem hochindustrialisierten Land zukommt. Es geht ganz wörtlich darum, unser Land lebensfähig zu erhalten und es vor einer zivilisatorischen Versteppung zu bewahren. Dies kann und dies darf nicht gegen die Technik und die Industrie, es muß mit der Technik, mit der Industrie geschehen, der hier eine besondere Verantwortung zukommt, die ihr der Staat nicht abnehmen kann und darf.
    Wir haben 1970 das Sofortprogramm zum Umweltschutz, 1971 das umfassende Umweltprogramm der ersten sozialliberalen Bundesregierung verabschiedet. Dadurch wurden die eigenständigen Initiativen der verschiedenen Bundesministerien koordiniert. Auf diesem Wege werden wir weiter vorangehen.
    Diese Debatte hat, wie ich meine, eines deutlich bewiesen: So wie wir alle noch hinzulernen müssen,

    (Abg. Wehner: Sehr gut!)

    ist ganz sicher, daß der Lernprozeß der Opposition noch nicht abgeschlossen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sie wird wohl noch öfters bei den Wählern in die Schule gehen müssen,

    (Abg. van Delden: Bei wem?)

    gleichviel, wie oft Herr Strauß sein — ich sage es höflich — etwas verkantetes Verhältnis zur Demokratie

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Na, na!)

    durch die Bemerkung zu erkennen gibt, daß die CDU/CSU zwar im Recht gewesen sei, aber nicht recht behalten habe.

    (Erneuter Beifall bei der SPD. — Abg. van Delden: Das ist ein früherer Ausspruch von Schmidt! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    Die Mehrheitsverhältnisse werden dadurch nicht korrigiert. Man sollte sich freilich, verehrte Kollegen, auch vor der Arroganz eines Minderheitsbewußtseins hüten,

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU)

    denn dieses ist eine Gefahr für jede Opposition.

    (Abg. Dr. Marx: Wer hat ihm denn diese unsinnige Formel aufgeschrieben?)

    Nun gibt es einige, die sich wie der Herr Kollege Barzel bei solchen Gelegenheiten in das Schlagwort von der humanen Leistungsgesellschaft flüchten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Heilig, heilig, heilig!)

    Ich habe Sympathie für das, was er damit sagen will, wenn man zu einer noch genaueren Definition käme. Allerdings habe ich auch mit besonderer Aufmerksamkeit den Artikel gelesen, den Professor Ludwig Erhard am vergangenen Mittwoch in der „Frankfurter Allgemeinen" publiziert hat,

    (Abg. Wehner: War das vor oder nach dem Honorar?)

    in dem er eben, Herr Kollege Barzel, jene humane Leistungsgesellschaft fragwürdig nennt und nicht mit, wie er meint, seiner sozialen Marktwirtschaft in einen Topf zusammengerührt wissen will. Professor Erhard schrieb in der „Frankfurter Allgemeinen" wörtlich:
    ... was unter „humaner Leistungsgesellschaft" zu verstehen ist, bleibt verschwommen und in sich widersprüchlich auslegbar.
    Wie wahr das ist, meine Damen und Herren von der
    Opposition! Die schwierige Prozedur der Selbstprü-



    Bundeskanzler Brandt
    fung der Union scheint, wie diese Tage zeigen, keineswegs abgeschlossen zu sein.
    Wir können nicht der uns angeratenen Politik folgen, den öffentlichen Ausgaben eine bloße Lükkenbüßerfunktion in der Konjunkturentwicklung zuzuweisen. Das können wir nicht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt Zusammenhänge, in denen man zu Recht nicht nur von Kürzungen reden, sondern sie auch in Anspruch nehmen muß. Aber das geschieht seitens der Opposition häufig in einem falschen Zusammenhang. Von „kürzen" kann übrigens keine Rede sein, wenn wir bei der Fortschreibung von einem Bereich der Finanzplanung zu einem anderen innerhalb des Zahlenwerks Verschiebungen vornehmen. Das wird oft nötig sein, wenn man von der Planung zur Realisierung gelangt, d. h. in diesem Zusammenhang von der Finanzplanung zum Haushaltsentwurf eines jeden Jahres.
    Wenn die Opposition bei jeder Etatdebatte — uns steht ja manche in den kommenden Jahren bevor — ihre Doppelstrategie zu exerzieren versucht, wenn sie gleichzeitig die öffentlichen Mittel beschneiden und unverantwortlich vermehren will — das nenne ich Doppelstrategie —, dann weckt sie bei unseren Bürgern, vielleicht gerade auch bei den jüngeren, eine Staatsverdrossenheit, vor der ich warnen muß.
    Die Identifikation des freien Bürgers mit diesem Staat war eines der Kernworte unserer Regierungserklärung. Wer mit einer unqualifizierten Polemik gegen eine maßvolle Reformpolitik und die damit verbundene Demokratisierung das Staatsbewußtsein mindert, der schwächt die Demokratie selbst,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    der macht sich, ob er will oder nicht, einer Förderung des Radikalismus schuldig, und er gerät in Versuchung, trotz starker und markiger Worte das Recht und die Ordnung freier Menschen auszuhöhlen. Wir entscheiden uns für die Sache der selbstbewußten Bürger, und wir gehen über Reformen und mit Reformen den Weg zu einer Stabilität, die Zukunft hat.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird uns auch am Freitagmittag nicht besonders belasten, beschäftigen oder gar erregen, wenn wir sehen, daß der Herr Bundeskanzler den Bundestag soeben als eine Trainingsstätte zur Einübung auf seinen Parteitag benutzt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir müssen aus der Rede des Herrn Bundeskanzlers aber doch schließen, daß er offenbar in ganzen Bereichen, zu denen er wohlvorbereitet gesprochen hat, den Kontakt — dies wird ja auch in seiner Partei kritisiert — zu mancher Wirklichkeit verloren hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wo lebt ein Bundeskanzler, der nach den mit Daten
    und Zahlen belegten sachlichen Argumenten der
    Kollegen Franke und Katzer einfach nicht zur Kenntnis nimmt, wie sich die soziale Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland darstellt? Sollte er nicht einmal Gelegenheit gehabt haben, mit irgendeinem Betriebsrat oder einem Gewerkschaftsfunktionär

    (Lachen bei der SPD)

    — z. B. aus den Branchen, die sich jetzt wegen der Inflation, die diese Regierung bewirkt hat, in Lohnverhandlungen befinden — zu sprechen? All das ist an diesem Bundeskanzler spurlos vorübergegangen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Rawe: Das hat er eben nicht aufgeschrieben!)

    Herr Bundeskanzler, Ihre Rede offenbart — dies muß ich Ihnen sagen — ein unterentwickeltes Verhältnis zu dem, was Parlament und Demokratie ausmachen: nämlich Wort und Widerwort und Ringen der Meinungen, nicht aber Herabsetzen der anderen Meinung. Dazu muß hier etwas gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Haehser.)

    — Herr Haehser, Sie kommen noch auf Ihre Kosten; machen Sie sich keine Sorgen.

    (Zuruf von der SPD: Schonkost!)

    Ich muß jetzt natürlich das zurückgeben, was der Kanzler mir gestern sagte. Der Bundeskanzler hat gestern gesagt, es wäre eigentlich sehr nett gewesen, wenn der Oppositionsführer ihm persönlich mitgeteilt hätte, daß er die Absicht habe, am Morgen die Debatte zu eröffnen. Ich habe dies nicht getan, weil in allen Zeitungen stand: Der Oppositionsführer wird am Donnerstag die politische Generalaussprache eröffnen.
    Herr Bundeskanzler, es wäre aber natürlich auch nett gewesen, wenn Sie mich hätten wissen lassen, daß Sie heute reden. Ich wußte es nicht und habe deshalb den Anfang Ihrer Rede nicht mitbekommen. Als ich hier hereinkam, war der Einstieg für mich — ich muß jetzt ja versuchen, Ihnen aus dem Stegreif zu anworten —, daß Sie meinen Kollegen Reddemann, den Vorsitzenden des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen kritisiert haben. Sie haben Herrn Reddemann wegen eines, wie Sie es darstellten, unerhörten Vorgangs kritisiert. Ich habe mich gefragt: was hat mein Kollege wohl gemacht? Muß ich ihn vielleicht zur Ordnung rufen? — Wissen Sie, was der Punkt der Kritik war? Herr Reddemann erlaubt sich, anderer Meinung zu sein als der Herr Bundeskanzler! Deswegen wird ihm hier sofort ein Vorwurf gemacht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Er sagt, was er denkt. Und das heißt aus dem Mund dieses Kanzlers: Ermißbraucht sein Amt. Das, Herr Bundeskanzler, ist natürlich nicht die Art, in der wir hier miteinander umgehen sollten.

    (Abg. Dr. Jenninger: Wir sind auf dem Marsch in die Diktatur!)

    Dann nehmen Sie den Bundesrat! Er ist ein Verfassungsorgan, in dem — Herr Kollege Stoltenberg hat das hier gestern vorgetragen — in einigen Dingen mit den Stimmen Ihrer sozialdemokratischen Kollegen in den Ländern eine Beschlußfassung zu Ihrer Steuerpolitik erfolgt ist. Und da der Bundes-



    Dr. Barzel

    (A) rat das unerhörte Majestätsverbrechen begeht, mit Mehrheit — darunter auch Ihre Freunde — anderer Meinung zu sein, nannten Sie das „Zerstörung des Föderalismus" und „Blockade der Politik". Herr Bundeskanzler, überprüfen Sie Ihr Verständnis der Meinungsfreiheit von Verfassungsorganen!


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und da gibt es in diesem Land — das wird den Bundeskanzler beim Frühstück geärgert haben —eine Zeitung, die es gewagt hat, ihn zu kritisieren. Schon wird diese Zeitung von hier aus amtlich zum „Pamphlet" herabgewürdigt. Was soll das sein? Gestern die „Giftküche", heute das „Pamphlet"! Das ist doch der Versuch der Einschüchterung der freien Meinungsäußerung. Das darf der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hier nicht machen!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Für die Opposition haben Sie, Herr Bundeskanzler, natürlich gleich eine ganze Palette von Worten bereitgehalten. Ich habe sie mir mitgeschrieben. Was wir machen — ich bringe die Ausdrücke, wie Sie sie gebraucht haben; daraus können wir dann aussuchen —, ist nach Ihrer Meinung in der mildesten Ausdrucksweise „Diffamierung". Das ist ein Fremdwort, das nicht jeder gleich versteht. Er meinte deshalb, er könnte es an unsere Adresse sagen. Wenn wir zur Sache sprechen — wie Sie, Herr Kollege Franke, heute früh —, dann ist das natürlich — so das Kanzlerwort — „unqualifizierte Polemik". Wenn einer wagt, eine argumentative Frage zu stellen, dann ist das „Unsinn". Wenn wir

    (B) hier sagen, was wir denken, ist es — so der Kanzler — „Quatsch", oder es ist „Propaganda", oder es ist „unter Niveau", oder es ist „Schizophrenie".

    Herr Bundeskanzler, das sind Kanzlerworte unter der Würde Ihres Amtes und unter der Würde dieses Hauses.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Jenninger: Willy, der Gottessohn!)

    Ich weiß ja nicht, ob sich in Hannover die dort wohl zu erwartende Minderheit diesen Umgang gefallen lassen wird. Wir haben nicht die Absicht, dies hinzunehmen; und auch nicht eine andere Absicht, Herr Bundeskanzler: Ihnen den Gefallen zu tun, daß sich dadurch der Oppositionsführer provoziert fühlt, in ähnlich unsachlicher, herabsetzender Weise zu antworten. Das werden Sie nicht erleben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nachdem das, was wir über die „soziale Demontage" behauptet haben und was meine Kollegen Katzer und Franke hier heute morgen hervorragend belegt haben, durch eine Rede beantwortet wurde, die ich nur als Demontage am demokratischen Stil bezeichnen kann,

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)