Aber verzeihen Sie, ich habe diesen Eindruck überhaupt nicht erweckt; das war auch nicht meine Absicht. Ich nehme an, daß ein so wichtiger Beitrag, der an einzelnen Stellen zu Auffassungen kommt, die völlig quer durch dieses Haus gehen, natürlich allen Kollegen im Haus bekannt ist.
Der Vertrag, um den es hier geht, und die Debatte, die hier eine Rolle spielt, sollten, wie ich glaube, von keiner Seite etwa den Eindruck erwecken, als gäbe es hier irgend jemanden, der nicht bereit wäre, zu vertraglichen Vereinbarungen mit der DDR zu kommen.
Wir haben am 17. Mai des vergangenen Jahres fast einstimmig eine völkerrechtlich relevante Resolution verabschiedet, die ein Dokument der Bundesrepublik Deutschland geworden ist. In Ziffer 10 dieser Resolution des Bundestages heißt es — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:
Die Bundesrepublik Deutschland tritt für die Normalisierung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ein. Sie geht davon aus, daß die Prinzipien der Entspannung und der guten Nachbarschaft in vollem Maße auf das Verhältnis zwischen den Menschen und Institutionen der beiden Teile Deutschlands Anwendung finden werden.
Das heißt, am 17. Mai war dieses Haus einig, daß hier nicht irgendein politischer Vertrag entstehen sollte, sondern ein Vertrag mit ganz bestimmten Inhalten, mit der Zielrichtung, mit den Merkmalen, mit den Konsequenzen und Kennzeichen: Normalisierung, Entspannung, gute Nachbarschaft.
Also heißt, so meine ich, Herr Bundeskanzler, in einer ersten Lesung die Frage: Sind diese drei Kategorien erfüllt, die wir hier einmütig aufgestellt haben, durch diesen Vertrag, dem wir auf Ihre Bitte zustimmen sollen?
Sehen wir uns die drei Merkmale an, und fangen wir mit der guten Nachbarschaft an! Meine Damen
540 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1973
Dr. Barzel
und Herren, zu guter Nachbarschaft gehört doch die Möglichkeit, daß Nachbarn einander wirklich begegnen, gehört doch z. B. — das muß in dieser Debatte gesagt werden, gerade weil es auch die Philosophie dieser Politik ist, die Nation lebendig zu halten, selbst dann, wenn es nicht möglich ist, in diesem Augenblick die staatliche Einheit herzustellen —, die Nation durch das lebendig zu halten, was Sie Kontakte nennen, durch das, was wir die Freiheit der Begegnung nennen. Nun ist hier diese gute Nachbarschaft gefragt. Was sagt Ihr Vertrag dazu? Er enthält irgendwo die Zusage, daß beim Inkrafttreten des Grundvertrags „in besonderen Ausnahmefällen" z. B. die „Genehmigung zur Eheschließung" erteilt werden kann. Das widerspricht ganz klar dem Menschenrechtskatalog der Vereinten Nationen. Wenn nicht einmal dies normal ist, dann kann man doch von guter Nachbarschaft, die dieser Vertrag herstellen soll, auf gar keinen Fall sprechen.
Sehen Sie sich das andere Wesensmerkmal an, das wir hier miteinander genannt haben, die Entspannung! Wir glauben, daß zur Entspannung nun einmal die Freizügigkeit für Menschen, für Informationen und Meinungen gehört. Dies vertreten wir doch seit Jahren. Als ich das von dieser Stelle aus zum erstenmal sagte, hielt man mir doch von der Koalition entgegen, was da die Opposition verlange, sei unmöglich. Inzwischen kehrt genau dieser Satz in den NATO-Kommuniqués von Sitzung zu Sitzung wieder. Und über genau diesen Satz kämpft man in Helsinki mit so unterschiedlichem Erfolg und mit so unterschiedlicher Kraft, Herr Bundeskanzler.
Aber wie soll eigentlich der Delegierte der Bundesrepublik Deutschland in Helsinki eine kraftvollere Haltung in dieser Frage einnehmen, wenn der Herr Bundeskanzler hier im Hause an die DDR nur die Bitte hat, von „Kleinlichkeiten" und „Schikanen" abzusehen, meine Damen und meine Herren!
Dies ist der Maßstab des Westens und nicht nur der Opposition. Das zweite Wesensmerkmal für dieses ganze Haus, nämlich die Entspannung, ist durch diesen Vertrag nicht erreicht.
Das dritte: Wie ist es mit der Normalisierung? Normalisierung ist nur möglich — das sage ich als ein Beispiel; es gehört dazu, und das haben wir immer gesagt, und es bleibt unsere Meinung; auch damit stehen wir ja keineswegs allein —, wenn mit Schießbefehl ebenso wie mit automatischen Tötungsanlagen Schluß ist.
Meine Damen und Herren, auch dies ist durch diesen Vertrag nicht erreicht, wird durch diesen Vertrag nicht gesichert.
So entspricht der Vertrag nicht den drei Maßstäben, die der letzte Bundestag für einen solchen Vertrag fast einstimmig hier aufgestellt hat.
Die nächste Frage, die nun zu stellen ist, lautet, ob der Vertrag den Maßstäben gerecht wird, welche die CDU/CSU in dieser Beziehung in ihrem Programm festgelegt hat; denn wir halten uns an das dem Wähler gegebene Wort, wir machen da keine Verbalismen mit „Wahrheit". Ich will die Debatte hier nicht wiederholen. Aber ich möchte gern für diese so wichtige Aussprache unsere Position ganz unmißverständlich nach unserem Programm in diese Debatte einführen. Wir sagen:
Wir wollen Entspannung in Deutschland durch Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen. Der DDR muß zugemutet werden, der Realität der Einheit unseres Volkes in dem Maße Rechnung zu tragen, in dem w i r der Realität ins Auge sehen, daß die staatliche Einheit Deutschlands zur Zeit nicht verwirklicht werden kann. Wir sind bei allen grundsätzlichen Unterschieden, die wir nicht verwischen, im Interesse der Menschen in dem Maße zum Miteinander mit der DDR bereit, in dem diese Schritt um Schritt den Weg für die Freizügigkeit freigibt. Wir haben dazu einen Stufenplan vorgelegt, den wir fortentwickeln werden. Wir bejahen Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands, die das Leben im geteilten Land erleichtern, die Fundamente künftiger Einheit erhalten und den Weg zu einer friedlichen Ordnung in Europa ebnen.
So weit diese uns verpflichtende Auffassung. Der vorliegende Vertragstext entspricht — das ist offenkundig — diesem Programm nicht. Der Versuch, die Einheit der Nation bei Existenz von zwei Staaten in Deutschland zur Grundlage des Vertrages und des Verhältnisses zwischen beiden Staaten in Deutschland zu machen, ist nicht gelungen. Gleichwohl — und es war doch Ihre erklärte Absicht, dies zu erreichen — haben Sie unterschrieben und wollen, daß dieses Haus zustimmt.
Wir vermissen die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung. Was die DDR wollte, steht überwiegend im Vertrag. Das, worauf w i r Wert legten und was die Bundesregierung selbst wollte, ist weitgehend - und das auch nur zum kleinen Teil — in Absichtserklärungen enthalten. Eine unmenschliche Trennungslinie wird zu einer unmenschlichen Grenze. Wir fragen: Warum haben Sie nicht mit mehr Geduld und mehr Festigkeit und mit mehr Bemühung um eine gemeinsame Auffassung des ganzen Hauses, die sich doch nach der Ziffer 10 dieser gemeinsamen Entschließung anbot, hier verhandelt oder verhandeln lassen — Herr Kollege Wehner?
Meine Damen und Herren, wir haben, wie gesagt, der Herstellung der Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen und der Verwirklichung entscheidender menschlicher Erleichterungen stets besondere Bedeutung beigemessen, auch für den Abschluß des Grundvertrages. Der Grundvertrag selbst enthält über diese wichtigen Punkte
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1973 541
Dr. Barzel
keine Aussage. Gewisse menschliche Erleichterungen sind in einigen Absichtserklärungen außerhalb des eigentlichen Vertrages, also in Protokollnotizen, in Briefwechseln und in einseitigen mündlichen Erklärungen, lediglich in Aussicht genommen; das heißt, sie sind rechtlich nicht hinreichend und verläßlich abgesichert. Da das politische Selbstverständnis und die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in keiner Weise ein Hindernis für die Schaffung menschlicher Erleichterungen darstellen noch irgendwann in der Vergangenheit dargestellt haben, mußte es das Ziel der Verhandlungen mit der DDR sein, vertragliche Garantien der DDR für unsere menschlichen Zielsetzungen zu erreichen. Solche Garantien enthält der vorliegende Grundvertrag jedoch nicht. Einseitige Absichtserklärungen vermögen sie nicht zu ersetzen.
Der Vertrag sollte — und dies ist ein anderer Punkt — verläßliche Grundlagen für das Verhältnis zwischen beiden Teilen Deutschlands schaffen.
Statt dessen sind Grundfragen, die die Einheit der Nation, Freiheit, Menschenrechte, entweder gar nicht berührt, oder sie wurden so formuliert, daß unterschiedliche Auslegungen Anlaß ständigen Streites sein können.
Wir wollten — weiter —, daß der Vertrag die deutsche Frage politisch und rechtlich eindeutig offenhält.
In der Welt ist er jedoch, ohne deutlichen und ohne wirksamen Widerspruch der Bundesregierung, weitgehend — eben weil dieser Widerspruch ausblieb — als das Einverständnis der Deutschen mit der ihnen aufgezwungenen Spaltung aufgefaßt worden. Wir haben jedoch den Auftrag, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Der Vertrag sollte weiter — so war auch Ihre Einlassung — in politisch und rechtlich wirksamer Weise den Friedensvertragsvorbehalt sichern. Das enthält er nicht. Er wird die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes für das ganze deutsche Volk nicht erleichtern, sondern erschweren. Er erwähnt nicht die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes und Berlin. Er ist geeignet, Geist und Buchstaben des Deutschlandvertrages auszuhöhlen. Und: Dieser Grundvertrag bezieht das Land Berlin nicht in der für Berlin unerläßlichen Weise ein. Auch aus diesen Gründen werden wir diesen Vertrag ablehnen.
In diesen Zusammenhang aber gehört, meine Damen und Herren, daß hier einige Fragen nicht nur gestellt, sondern auch beantwortet werden, die die Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Aspekt dieses Vertrages betreffen. Ich möchte die Vertreter der Regierung doch bitten, alle die Fragen zu beantworten, die in der Bundesratsdebatte nicht beantwortet worden sind, z. B. die Fragen, die der Ministerpräsident Filbinger dort im einzelnen sehr präzise und sehr konkret gestellt hat. Wir behalten uns vor, im Laufe dieser Debatte und in den Ausschußsitzungen darauf zurückzukommen.
In diesem Zusammenhang gehört noch ein anderes, Herr Bundeskanzler, damit greife ich Debatten auf, die wir in diesem 7. Bundestag schon gehabt haben, aber das muß hier noch verdeutlicht werden. Wir haben alle lesen können, daß es Meinungsumfragen in der Bundesrepublik Deutschland gibt, nach denen sich der Kreis der Mitbürgerinnen und Mitbürger, die glauben, dieser unser freiheitlicher Rechtsstaat könne sich eine neutralistische Politik leisten, vergrößert.
Herr Bundeskanzler, vor der Bundestagswahl 1969 gab es folgende Antworten auf die Fragen: Was wäre nach Ihrer Ansicht die bessere Außenpolitik? Sollten wir uns weiter mit den Amerikanern fest verbünden, oder sollten wir versuchen, ganz neutral zu sein? Vor der Bundestagswahl 1969 waren 50% der Befragten dafür, daß wir uns mit den Amerikanern verbünden sollten, vor der Bundestagswahl 1972 waren es 37 °/o. Dafür, daß wir ganz neutral sein sollten, waren vor der Bundestagswahl 1969 38 %, 1972 43 N. Herr Bundeskanzler, da muß doch in diesen drei Jahren durch politische Führung durch diese Regierung etwas passiert sein, was die Wertvorstellungen hier, im freien Deutschland, in Frage stellt.
Das Verschweigen von Unrecht, das Herunterminimalisieren dieser Sachen auf „Schikanen" und „Kleinigkeiten", das führt doch dazu. Ich wiederhole unseren Satz: Es ist Sache der Zukunft der Freiheit hier in der Bundesrepublik Deutschland, nicht über dieses Unrecht zu schweigen, das in Deutschland immer noch geschieht.
Wir fügen hinzu: Sollte nun oder in Zukunft — das gehört in diese Debatte, wenn auch nur mit einem kurzen Hinweis — die DDR oder sollten andere die Frage der Einheit, und zwar unter ihrer Flagge, also die Wiedervereinigung im kommunistischen Sinne, vorschlagen, anstreben, auf welchen Wegen auch immer, so werden wir uns dem ebenso widersetzen wie jedem Versuch, unsere Gesellschaftsordnung hier etwa den Vorschlägen und Vorstellungen von drüben anzupassen.
Hierher gehört ein Weiteres — und diese Debatte hatten wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, und auch dem Kollegen Wehner angekündigt —: Sie hatten in Ihrer Regierungserklärung gesagt: „Frieden vor Nation", und haben dies als einen Beitrag zur europäischen Entspannung bezeichnet. Wir haben dies in der Debatte aufgenommen und am 26. Januar davon gesprochen, daß es für uns hier nach wie vor drei Begriffe gibt, die „Freiheit", „Frieden" und „Einheit" heißen. Dann hat der Kollege Wehner in seiner Antwort auf diese Replik von mir gesagt, an diesem 26. Januar 1973 — man lese das Protokoll nach —, ich gebrauchte hier „morsche Formeln aus dem Parolenausverkauf der fünfziger Jahre".
542 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1973
Dr. Barzel
) Herr Kollege Wehner, für uns sind Freiheit, Frieden und Einheit hohe Werte, für die wir einstehen und einstehen werden, ob bequem oder nicht.
Für uns steht eben — und dies muß hier deutlich sein — Freiheit vor Einheit.
Ich möchte in dieser Diskussion ein Zitat anführen. Einige meiner Kollegen aus meiner Fraktion werden das längst erwarten, weil sie wissen, daß ich mich seit einigen Wochen mit Ferdinand Lassalle beschäftigte
und einigen bei uns schon auf die Nerven falle mit
Zitaten und Fragen, wie sie dies und jenes beurteilen. Da Sie sich so darüber freuen, möchte ich Ihnen
aus der großen Rede, die Lassalle vor den Berliner
Arbeitern gehalten hat, drei Sätze vorlesen. Er sagt: Allen einzelnen aber durch die großen Gesamteinrichtungen des Staates in einer den jedesmaligen Zeitbedürfnissen entsprechenden Weise die reale Möglichkeit zur Selbsthülfe und Selbstentwicklung zu gewähren, das ist gerade der innerste Sinn der Freiheit. Das ist der wahre Inhalt aller gesellschaftlichen Ordnung. Das ist der letzte Grund und Zweck des Staates. Das ist gerade der wahrhafte Grund, weshalb Staaten überhaupt bestehen.
Ist das auch eine morsche Parole aus dem Parolenausverkauf? Meine Damen und Herren, diese Frage muß doch hier gestellt werden.
Und hierher gehört ein anderes. Der Bundeskanzler selber hat vor drei Monaten uns allen gesagt — und er hat dies sehr markant verkündet —, wir sollten „stolz sein auf unser Land". Herr Bundeskanzler, wie definieren Sie dieses „unser Land"? Die Bundesrepublik Deutschland oder Deutschland? Wie definieren Sie dies, wenn Sie stolz sein wollen auf „dieses Land" ? In Ihrer Regierungserklärung sagen Sie:
Niemals lebte ein deutscher Staat in einer vergleichbar guten Übereinstimmung mit dem freien Geist seiner Bürger, mit seinen Nachbarn und den weltpolitischen Partnern.
Wenn Sie dies sagen, reduzieren Sie doch Ihren Stolz und damit „unser Land" auf die Bundesrepublik Deutschland. Wenn Sie dies sagen, können Sie doch nicht behaupten, Sie lebten in guter Übereinstimmung mit den Nachbarn. Oder wollen Sie dies von der DDR etwa sagen? Was ist nun das, was Sie mit „unser Land" hier meinen? Wir, meine Damen und Herren, werden uns der Einengung des vaterländischen Bewußtseins auf die Bundesrepublik Deutschland widersetzen.
Ich habe nicht die Absicht — und ich denke, keiner von uns hat die Absicht —, ein Bundesrepublikaner zu werden. Wir sind Deutsche und gedenken dies zu bleiben.
Bei der Vertragsdebatte im Bundesrat am 6. Februar hat sich der Herr Bundeskanzler vertreten lassen — dies aus guten Gründen — und erklären lassen: Die Bundesregierung sieht „keine Alternative" zu der Politik, wie sie in dem vorliegenden Vertrag zum Ausdruck kommt. — Das haben wir heute zwar nicht so direkt, aber indirekt auch wieder gehört. Ich glaube, dies ist nicht nur eine Sprache rechthaberischer Diskussionsfeindlichkeit, die mehr dem Übermut der Mächtigen entspricht als der Diskussionsfreudigkeit des Demokraten, der doch durch Gespräch und Alternative klüger werden will.
Die Behauptung, es gebe keine Alternative, ist schlechthin unwahr, nicht nur im Blick auf die Alternative der Opposition, sondern vor allem im Blick auf das, was die Bundesregierung selbst wollte. „Keine Alternative" — das heißt doch nur von dem ablenken, was die Regierung hier selber erreichen wollte.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in den 20 Kasseler Punkten, von denen Sie gesprochen haben, folgendes formuliert — und dies gehört in diese Debatte zur ersten Lesung —; ich zitiere jetzt nur den grundsätzlichen Teil:
Unsere Vorstellungen über Grundsätze und Vertragselemente für die Regelung gleichberechtigter Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik lauten wie folgt:
1. Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik, die in ihren Verfassungen auf die Einheit der Nation ausgerichtet sind, vereinbaren im Interesse des Friedens sowie der Zukunft und des Zusammenhalts der Nation einen Vertrag, der die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland regelt, die Verbindung zwischen der Bevölkerung und beiden Staaten verbessert und dazu beiträgt, bestehende Benachteiligungen zu beseitigen.
Die beiden Seiten sollen ihren Willen bekunden, ihre Beziehungen auf der Grundlage der Menschenrechte, der Gleichberechtigung, des friedlichen Zusammenlebens und der Nichtdiskriminierung als allgemeinen Regeln des zwischenstaatlichen Rechts zu ordnen.
Herr Bundeskanzler, dies haben Sie nicht erreicht. Vielleicht war dies nicht zu erreichen, aber warum haben Sie gleichwohl unterschrieben? Das ist doch die Frage, die hier zu stellen ist.
Sie haben dies ja auch selbst gemeint, nicht nur in diesen Kasseler Punkten, die vielleicht ein Koalitionspapier gewesen sein mögen. Sie selbst haben am 21. Mai in Kassel zur Ergänzung folgendes gesagt — ich zitiere noch einmal —:
Wie ich schon in Erfurt hervorgehoben habe,
sind die Verfassungen beider deutscher Staaten
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1973 543
Dr. Barzel
auf die Einheit der Nation begründet. Sie sehen beide vor, daß die Spaltung kein Dauerzustand bleiben soll. Ich meine, wir können unsere Beziehungen zueinander nicht sinnvoll regeln, ohne diese Verfassungsgrundsätze zu berücksichtigen.
Warum, Herr Bundeskanzler, haben Sie gleichwohl etwas unterschrieben, das nach Ihren eigenen Worten keine sinnvolle Regelung ist?
Und dem sollen wir nun zustimmen?! Nein! Dieser Vertrag bleibt zurück hinter den ursprünglichen Vorstellungen der Regierung, er bleibt zurück hinter dem, was dieses Haus wollte, und er bleibt zurück hinter dem, was unverzichtbar in einen solchen Vertrag gehört hätte.
Meine Damen und Herren, ich möchte in diese Debatte schließlich noch die besorgte Stimme eines Mannes einführen, den die meisten unter uns kennen und, quer durch die Parteien, in seinem sachlichen, neutralen Urteil schätzen. Fred Luchsinger, der Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung" schreibt anläßlich der Paraphierung dieses Vertrages:
Die Abmachungen bringen die Angehörigen dieser einen Nation in Ost und West einander in der Praxis ihrer Verbindung bei weitem nicht so nahe, wie es Westdeutsche und Ausländer im freien Teil Europas sein können, und die Wortklammer der Nation ist im Vertragstext geradezu zu ihrem Gegenteil geworden, nämlich zum Objekt der Meinungsverschiedenheit.
Er fährt fort:
Tempi passati? Ob das, was unter der Wirkung der „normativen Kraft des Faktischen" nun als Schritt zur Normalisierung empfunden wird, wirklich das Modell einer haltbaren Normalität für Deutschland abgibt oder ob man damit in Ost und West das deutsche Problem glücklich und endgültig vom Halse hat, das wird sich erst noch erweisen müssen. Es könnte da einmal ein großes Augenreiben geben.
Es könnte da einmal ein großes Augenreiben geben, vielleicht auch bei manchem in diesem Hause, wenn er sich die ganzen Texte und alles, was dazu gehört, noch einmal präzise ansieht, sich die Augen reibt, bevor er diesen Ablenkungen folgt und aus allgemeinen Gründen diesem schwerwiegenden Vertrag etwa seine Zustimmung gibt.
Unser Nein zu diesem Vertrag ist zugleich ein Nein zu Unrecht, Unfreiheit und Diktatur in Deutschland. Das so begründete Nein sollte drinnen und draußen jedermann ernsthaft erwägen. Respektieren aber muß es insbesondere, wer die jüngste deutsche Geschichte kennt. Von deutschen Boden — das ist doch der zweite Satz, der hier gesagt werden muß, Herr Bundeskanzler — sollte nie mehr Unrecht und Gewalt ausgehen.
Wenn dies geschieht, obwohl wir das nicht ver- 1 ändern können, dann muß man manchmal manches eine ganze Weile hinnehmen. Aber schweigen dazu und nur noch von „Schikanen" und „Kleinlichkeiten" reden, das ist uns zu wenig.
Weil wir ein Ja sagen zu den Prinzipien, die wir zuletzt am 17. Mai 1972 hier gemeinsam gefunden haben, weil wir ein Ja sagen zum Selbstbestimmungsrecht und ein Ja sagen zu einer stufenweisen, geduldigen Politik unter der Überschrift Frieden durch Menschenrechte, sagen wir zu diesem Vertrag nein. Dem Regime in der DDR schulden wir nichts, dem Volk dort, den Menschen dort alles.