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ID0701000200

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    7. Berkhan.: 1
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    Deutscher Bundestag lo. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. Januar 1973 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Wörner (CDU/CSU) 339 A Berkhan, Parl. Staatssekretär (BMVg) 344 D, 357 D Krall (FDP) 349 D Buchstaller (SPD) 351 D Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . 354 B Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . 356 D Jung (FDP) 358 B Möllemann (FDP) 360 C Brandt, Bundeskanzler . . . . 361 C Dr. Barzel (CDU/CSU) 369 D Mischnick (FDP) 375 D Wehner (SPD) 379 C Antrag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen (Drucksache 7/73) in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 7/74) und mit Antrag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Einsetzung eines Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (Drucksache 7/75) 380 C Nächste Sitzung 380 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 381 A* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Januar 1973 339 10. Sitzung Bonn, den 26. Januar 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach 31. 1. Adams * 26. 1. Dr. Ahrens ** 27. 1. Dr. Aigner * 26. 1. Alber ** 27. 1. Amrehn ** 27. 1. Augstein (Hattingen) 26. 1. Behrendt * 26.1. Biehle 26. 1. Blumenfeld 31. 1. Dr. Burgbacher * 26. 1. Dr. Dollinger 10. 2. Eigen 26. 1. Dr. Enders ** 27. 1. Dr. Evers 26. 1. Flämig * 26. 1. Gerlach (Emsland) * 26. 1. Dr. Glotz 26. 1. Haase 26. 1. Handlos 26. 1. Hösl ** 27. 1. Frau Huber 26. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) * 26. 1. Jung ** 27. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Kahn-Ackermann ** 27. 1. Dr. Kempfler 26. 1. Dr. h. c. Kiesinger 26. 1. Dr. Klepsch 31. 1. Dr. Kreile 26. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 26. 1. Graf Lambsdorff 26. 1. Lemmrich ** 27. 1. Logemann 26. 1. Mattick 31. 1. Memmel * 26. 1. Dr. Miltner 2. 2. Dr. Müller (München) ** 27. 1. Pawelczyk ** 27. 1. Richter ** 27. 1. Roser ** 27. 1. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 1. Dr. Schulz (Berlin) *1 27. 1. Schwabe * 26. 1. Sieglerschmidt ** 27. 1. Dr. Slotta 2. 2. Solke 26. 1. Spilker 31. 1. Springorum * 26. 1. Stücklen 26. 1. Dr. Todenhoefer 24. 2. Frau Dr. Walz ** 27. 1. Westphal 26. 1. Wienand 31. 1. Frau Will-Feld 24. 2. Wischnewski 31. 1. Wolfram* 26. 1.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Manfred Wörner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch im sicherheitspolitischen Teil der Regierungserklärung sind eine Reihe von allgemeinen Zielsetzungen und politischen Absichtserklärungen enthalten, denen wir zustimmen, weil sie auch die unseren sind. So besteht, das darf ich noch einmal festhalten, Übereinstimmung zwischen Regierung und CDU/CSU in dem Willen, den Frieden zu sichern. Einig sind wir auch im Bekenntnis zur Atlantischen Allianz. Für die in der Regierungserklärung ausgedrückte Absicht, die Bundeswehr präsent und kampfkräftig zu halten, kann die Regierung jederzeit mit unserer Unterstützung rechnen.
    Aber auch auf sicherheitspolitischem Gebiet krankt diese Regierungserklärung an zwei Schwächen. Zum einen ist sie auch auf diesem Gebiet bestrebt, ein Bild der Harmonie zu beschwören, aus dem alle die Stellen und unangenehmen Wirklichkeiten nahezu wegretuschiert sind, die in dieses Bild nicht so recht passen wollen. Zum anderen ist die Regierungserklärung auch auf verteidigungspolitischem Gebiet in vielen Punkten vage, unbestimmt und unverbindlich, so daß sie sich weder als Richtschnur noch als Maßstab eignet und im Grunde genommen mehr Fragen aufwirft als beantwortet.
    Der Bundeskanzler hat uns in seiner Regierungserklärung Mitteleuropa als eine Landschaft der dauerhaften Entspannung und des gesicherten Friedens geschildert. Da ist die Rede vom gefestigten europäischen Frieden, von der Übereinstimmung mit den Nachbarn; gemeint sind wohl in erster Linie die des Ostens, mit denen die Übereinstimmung niemals vergleichbar gut gewesen sei. Da ist die Rede von der weltweiten Entspannung und vom ansteckenden Friedenswillen. Nur einmal wird dieses harmonische Bild getrübt, als der Kanzler
    auf die verstärkte Rüstung im Warschauer Pakt hinweist, um allerdings sogleich sibyllinisch hinzuzufügen, die Bundesregierung ziehe daraus keine vorschnellen Schlüsse. Die Wirklichkeit — ich hoffe, mich diesmal der richtigen Terminologie zu bedienen — ist leider wesentlich schwieriger und für uns unangenehmer.

    (Abg. Damm: Sehr wahr!)

    Es hätte uns allen, auch unserem Volk, mehr genützt, wenn der Bundeskanzler die Lage auch in diesem Punkt ungeschminkt dargestellt hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es gibt eben unübersehbare Anzeichen dafür, daß sich die Sicherheitslage des Westens, die Sicherheitslage Europas und damit auch die der Bundesrepublik Deutschland eher verschlechtert denn verbessert hat. Wenn man schon auf der einen Seite die Fortschritte der Entspannung darzustellen versucht — das ist legitim und das gute Recht der Regierung —, dann darf man auf der anderen Seite die bedrohlichen Anzeichen, die Alarmzeichen, nicht nahezu unterschlagen. Diese Anzeichen sind — ich muß sie hier aufführen —:
    Erstens. Die Überlegenheit des Warschauer Paktes in Mitteleuropa auf konventionellem Gebiet hat sich weiter vergrößert. Die Bedrohung vor allen Dingen an der Nordflanke wird immer augenfälliger, und die Zahl der besorgten Äußerungen, vom englischen Premierminister Heath angefangen über den Generalsekretär der NATO, Luns, bis hin zu einem Fachmann wie General Steinhoff, ist Legion und ließe sich beliebig vermehren.
    Zweitens. Die Verteidigungsbereitschaft läßt, auch das ist unverkennbar, in allen Staaten Westeuropas, auch in der Bundesrepublik Deutschland, nach.
    Drittens. Die Aufwendungen für Verteidigung gehen in den Ländern Westeuropas, gemessen am Sozialprodukt, zurück, und zwar in einem ständigen Trend, wie uns erst die Wehrstrukturkommission noch einmal in Erinnerung gerufen hat. Daraus ergibt sich in allen Ländern der NATO der Zwang zur Strukturänderung und, sprechen wir es ruhig aus, auch zur Verringerung der Streitkräfte, wie sie einige unserer Nachbarländer vorbereitet oder schon durchgeführt haben. Das geschieht zur gleichen Zeit, in der der Warschauer Pakt und die Sowjetunion weiter, und zwar fortgesetzt weiter aufrüsten.



    Dr. Wörner
    Angesichts dieser auch Ihnen bekannten Tatsache war das einzige, was Sie dazu zu sagen hatten, daß die Bundesregierung daraus keine vorschnellen Schlüsse ziehen wolle. Mein Kollege Marx hat schon gefragt, welche Schlüsse Sie eigentlich ziehen wollten, wenn nicht vorschnelle Schlüsse. Er hat bis dato keine Antwort erhalten, auch vom Bundesaußenminister nicht. Herr Bundeskanzler, ich darf sie hier noch einmal wiederholen: Welche Schlüsse, wenn schon keine voreiligen, wird die Bundesregierung aus dieser ihr bekannten Tatsache ziehen?
    Die NATO — um das zu zitieren — war hier sehr viel offener, als sie noch im Dezember vergangenen Jahres davon sprach, daß die Sowjetunion und ihre Verbündeten ihre militärische Schlagkraft steigerten, wörtlich: „die sowohl der Art als auch dem Umfang nach weit über den durch ausschließlich defensive Zwecke gerechtfertigten Rahmen hinausgeht". Dort ist eine klare Aussage enthalten. Eine ähnlich klare Sprache wäre auch in der Erklärung der Bundesregierung am Platze gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier hätten Sie ein klares Wort sagen sollen — Sie hätten sich damit nichts vergeben und nichts verscherzt —, daß nämlich die forcierte Aufrüstung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts sich weder mit Sicherheit noch mit Frieden noch mit Entspannung verträgt

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und daß wir entschlossen sind, eine solche Art schleichender Kräfteverschiebung nicht hinzunehmen. Gerade wenn an unserem Friedenswillen kein Zweifel erlaubt ist, dann darf eben auch an unserer Entschlossenheit zur Abwehr jeglicher Art von Gewalt oder Drohung mit Gewalt kein Zweifel bestehen.
    Sicher ist es unbequem, so etwas auszusprechen. Aber es ist doch ein Gebot der Selbsterhaltung. Denn welche Absicht kann hinter dieser forcierten Aufrüstung der Sowjetunion stecken? Gelten diese forcierten Rüstungsanstrengungen etwa dem Bestreben, den eigenen Machtbereich sicherer in den Griff zu bekommen? Das ist doch ausgeschlossen, denn die bereits dort stationierten Truppen reichen dazu bei weitem aus. Gelten die Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion, das fortlaufende Ausbauen ihres Rüstungspotentials der Verteidigung, der Abwehr einer Bedrohung aus dem Westen? Auch das ist doch ausgeschlossen. Denn offenkundig -- das weiß ja auch die Sowjetunion — gehen die Rüstungsanstrengungen der NATO eher zurück, und die Truppenstärke der NATO in Mitteleuropa ist heute nicht mehr so, wie sie noch vor einigen Jahren war. Wir stellen weder politisch noch militärisch — und das weiß die Sowjetunion — für sie eine Bedrohung dar. Was also bleibt dann als Motiv? Nun, da braucht man nur einmal auf Breschnew oder auf Honecker zu hören, die gerade in letzter Zeit immer wieder, man kann schon sagen, mit einer frappierenden Offenheit darauf hingewiesen haben, daß sich die Mächteverhältnisse, die Kraftverhältnisse in dieser Welt zugunsten des Sozialismus verschoben hätten. Man braucht nur auf diese Stimmen zu hören, um zu wissen, daß
    dieser weitere Aufbau der Militärmaschinerie der Sowjetunion — eben nicht defensiven, sondern politisch offensiven Zielen dient.
    Nun hat der Herr Bundesaußenminister gesagt, die Sowjetunion wolle den Frieden. Auch wir sind der Auffassung, daß die Sowjetunion und die sowjetischen Führer sicher keinen Krieg wollen. Aber es ist doch unverkennbar, daß hinter dieser Rüstung die Absicht steckt, die politischen Ziele der Sowjetunion mit Hilfe eindeutiger militärischer Überlegenheit durchzusetzen. Gelingt es der Sowjetunion, die Europäer in Sicherheit zu wiegen und gleichzeitig mit den eigenen militärischen Anstrengungen bis zu einem eindeutigen Übergewicht zu kommen, dann bleibt den Staaten Europas nichts anderes übrig, als klein beizugeben und sich den politischen Zielen der Sowjetunion zu beugen.
    Diese Ziele sind unschwer zu erkennen. Sie sind — ich darf sie hier noch einmal aufführen —: die europäische Einigung soll unterlaufen werden; die Bande zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika sollen gelockert und Europa langfristig neutralisiert werden; eine europäische Sicherheitsordnung soll an die Stelle der atlantischen Sicherheitsordnung treten.
    Warum — das ist unsere Frage —, Herr Bundeskanzler, sprechen Sie diese Ziele nicht mehr offen aus? — Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Vielleicht sehen Sie sie nicht so wie wir; dann sollten Sie uns das sagen, obwohl uns der Bundesaußenminister in seiner Rede vor dem Parlament vor zwei Tagen bedeutet hat, daß er diese Ziele ähnlich sehe. Oder Sie nehmen diese Ziele nicht so ernst; dann sollten Sie uns sagen, worauf Sie Ihren Optimismus gründen. Wenn Sie sie aber ernst nehmen, warum schweigen Sie dann darüber? Warum überlassen Sie es der Opposition, die Schattenseiten in diesem Bild zu zeichnen, um uns hinterher der Schwarzmalerei zu zeihen?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sollten Sie etwa die Sowjetunion nicht verärgern wollen? Hoffen Sie für Ihre Zurückhaltung auf entsprechendes Entgegenkommen der Sowjetunion? Dann allerdings hätten Sie, wie wir meinen, aus der historischen Erfahrung nichts gelernt, die eben lehrt, daß totalitäre Staaten eine solche Rücksichtnahme eher als Nachgiebigkeit und Schwäche auszulegen pflegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Lehrt nicht die Geschichte, daß totalitäre Staaten sehr wohl in der Lage und — manchmal sogar schneller als andere — auch bereit sind, ihre Ziele zu ändern, zurückzustecken, aber eben nur dann, wenn sie auf unveränderbare Wirklichkeiten stoßen, die dem entgegenstehen? Haben nicht die letzten drei Jahre deutscher Geschichte gelehrt, daß die Sowjetunion bei allem Entgegenkommen ihr gegenüber nicht ein einziges ihrer wesentlichen Ziele aufgegeben oder geändert hat?
    Deswegen: Wir haben keine Angst, wie es Herr Mattick, der heute morgen leider nicht da ist, in der Debatte sagte. Wir sind auch keine Pessimisten, wie es uns der Herr Bundesaußenminister unter-



    Dr. Wörner
    stellt hat, und schon gar nicht wollen wir hier eine Verteufelung der Sowjetunion betreiben. Wenn Sie uns etwas vorwerfen können, dann doch nur, daß wir eine Weltmacht so zeichnen und so ernst nehmen, wie sie es auf Grund ihrer Macht und ihrer erklärten Absichten verdient.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir glauben, wir haben uns genügend Wirklichkeitssinn bewahrt, um zu wissen, daß eben nur offenes Aussprechen der unterschiedlichen Ziele und Interessen und eine unerschrockene Vertretung des eigenen Standpunkts Kompromisse ermöglicht, die diesen Namen verdienen.
    Ganz abgesehen von den innenpolitischen Folgen! Ich frage: Wie will diese Regierung Einsicht und Bereitschaft in unserem Volk wecken, die nötigen Opfer für die Verteidigung zu erbringen, wenn sie nicht mehr von diesen Zielen und von diesen unangenehmen Dingen redet? Muß es uns denn wundern, wenn sich in unserem Volk immer mehr die Auffassung breitmacht, man könne nunmehr die Ausgaben für die äußere Sicherheit kürzen, da wir in eine Periode des Friedens und der Entspannung eingetreten seien? Herr Bundeskanzler, gibt es Ihnen nicht zu denken, daß in Ihrer eigenen Partei zunehmend — selbstverständlich noch nicht von der Mehrheit und selbstverständlich entgegen Ihrer hier in diesem Parlament erklärten Absicht — Anträge gestellt werden — denken Sie an Nordrhein-Westfalen —, die Rüstungsausgaben, wie es heißt, drastisch zu senken, nachdem die Ostpolitik der Bundesregierung nun Wirklichkeit geworden sei? Das muß Ihnen doch zu denken geben! Das zeigt doch, wohin es führt, wenn man das Bild nicht mehr so realistisch zeichnet, wie man das an sich tun müßte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ist es denn nicht verständlich, wenn immer mehr junge Männer, die den Wehrdienst leisten wollen, fragen, warum und wogegen wir uns eigentlich noch zu verteidigen hätten, wenn Sie kein Wort mehr über die unverkennbaren und auch Ihnen bekannten Zielsetzungen der sowjetischen Politik verlieren? Noch einmal: Es geht gar nicht darum, die Sowjetunion als eine Macht darzustellen, die uns morgen mit Krieg überziehen will. Es geht nur darum, darzustellen, daß es für uns dann, wenn das Mächtegleichgewicht sich verschoben hat, wenn die Sowjetunion ihr Ziel militärischer Überlegenheit erreicht hat, keine Chance mehr gibt, unsere Politik der Entspannung, des Friedens und der Sicherheit weiterzuführen und unsere nationalen Interessen zu behaupten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sage Ihnen, auch wir wissen, daß es schwierig ist, den Zusammenhang zwischen Entspannung und Verteidigung darzustellen. Das ist gar keine Frage. Niemand erwartet von Ihnen, daß Sie ins andere Extrem verfallen und alles schwarz in schwarz zeichnen. Das wäre sicher genauso falsch. Die Weltpolitik dieser Tage — das ist auch uns bekannt — hat nun einmal ein doppeltes Gesicht. Es gibt sicher echte Chancen für einen allmählichen Interessenausgleich zwischen Ost und West. Es gibt aber auch Risiken und Bedrohungen für den Westen, und diese resultieren — ich sage es noch einmal — aus einem etwaigen Verlust des Mächtegleichgewichts. Das gilt insbesondere, wenn der Westen sich vorschnell in Sicherheit wiegt. Wer der Lage gerecht werden will, muß deshalb beides ausgewogen und im rechten Verhältnis darstellen. Je nüchterner wir den Risiken ins Auge sehen, je entschiedener wir ihnen entgegentreten, desto eher werden wir die Chancen wirklicher Entspannung zu nutzen verstehen. Je mehr die Völker Westeuropas ihre Verteidigung vernachlässigen, desto unsicherer wird der Weg zur Entspannung. Dem eindeutig Unterlegenen bleibt nur noch eine Chance, nämlich die Unterwerfung unter den Machtanspruch des Überlegenen.

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße]: Sehr richtig!)

    Darum ist die europäisch-atlantische Solidarität der Eckstein der europäischen Verteidigung, und sie wird dies auch bleiben. Ich will dem nichts hinzusetzen, was in den letzten Tagen — vor allen Dingen vom Kollegen Schröder — gesagt wurde. Ich will nur noch zwei Anmerkungen machen. Die Präsenz der USA darf, wenn sie ihre sicherheitspolitische Aufgabe erfüllen soll, aus politischen wie aus militärischen Gründen nicht auf symbolische Kontingente reduziert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der strategische Atomschirm der Vereinigten Staaten deckt uns in Westeuropa nur so lange, wie nennenswerte Truppen der USA in unseren Ländern stationiert bleiben.

    (Abg. Buchstaller: Nichts Neues! — Gegenruf des Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Aber manche haben das inzwischen vergessen!)

    — Herr Kollege, Sie müssen sich ein bißchen intelligentere Zwischenrufe einfallen lassen. Wenn ich die Regierungserklärung daran messe, was darin neu ist, so schneidet sie wahrscheinlich wesentlich schlechter ab als alles das, was von uns in diesen Tagen gesagt wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Horn: Die Zwischenrufe passen wir den Reden an!)

    Die Präsenz der Vereinigten Staaten — und das ist der zweite Gedanke, den ich hinzufügen will — muß den konventionellen wie den taktisch-nuklearen Bereich umfassen, wenn die Verklammerung mit der strategischen Abschreckung der USA wirksam bleiben soll.
    Darauf gilt es — und der Herr Bundeskanzler hat mit Recht darauf hingewiesen — in der zweiten Phase der Abrüstungsgespräche zwischen den USA und der Sowjetunion und auch bei den bevorstehenden Verhandlungen über eine ausgewogene Truppenverminderung in Europa zu achten. Und es gilt, noch eines zu bedenken. Jede einseitige Ausdünnung der Truppenstärke, sei es der Vereinigten Staaten, sei es anderer NATO-Streitkräfte, müßte zur Senkung der atomaren Schwelle führen. Das ist etwas, was viele übersehen, und wäre damit nichts anderes als eine schrittweise Rückkehr zur soge-



    Dr. Wörner
    nannten massiven Vergeltung. Das aber können wir nicht wollen; das ist für unsere Interessen inakzeptabel, da völlig unglaubwürdig.
    Zur Frage der Solidarität ist sehr vieles gesagt worden, auch im Blick auf die Vietnam-Diskussion. Ich will sie nicht aufgreifen, ich will nur auf ein Argument eingehen, das einer der Kollegen der FDP, der Herr Bangemann, gebracht hat, weil es mir entlarvend zu sein scheint und weil es so nicht stehenbleiben kann. Er hat gesagt: Gegen die USA protestieren wir deswegen einseitig, weil es sich hier um eine demokratische Macht handelt, deren Öffentlichkeit wir beeinflussen können, gegen den Vietcong aber deswegen nicht, weil es sich hier um eine Diktatur handelt, die sich nicht öffentlich präsentiert. — Da kann ich nur sagen, wenn das Schule machen sollte, dann bedeutet das, daß mit unserer Hilfe die Moral und das Recht zu einem Instrument der totalitären Staaten gegen demokratische Staaten wird. Das ist untragbar.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube, ich stehe als einer, der lange Zeit eine Stiftung geleitet hat, die humanitäre Projekte in Vietnam jetzt schon durchführt, und zwar ungeachtet der politischen Zugehörigkeit derer, die wir zu betreuen haben, nicht im Verdacht, den Vietnam-Krieg beschönigen oder rechtfertigen oder entschuldigen zu wollen.
    Wir warten immer noch auf die Antwort auf die Frage, die der Kollege Schröder gestellt hat, nämlich wie sich die Regierung konkret den weiteren Ausbau des europäischen Pfeilers und der EUROGROUP vorstellt.
    Nicht nur die Sicherheitslage, auch die Lage der Bundeswehr ist weit schwieriger, als die Regierungserklärung des Kanzlers erkennen läßt. Dies gilt sicher nicht — ich sagte das bereits an anderer Stelle —, von der Leistungsbereitschaft der Berufs-und Zeitsoldaten und auch eines großen Teils der Wehrpflichtigen, deren Einsatzwille ungebrochen ist. Wir denken hier an die explosionsartig steigenden Kosten von Personal und Material. Wir denken an den anhaltenden Mangel an längerdienenden Zeitsoldaten, an die Verkürzung der Ausbildungszeit für Unteroffiziere und Offiziere, an die Überforderung der Vorgesetzten, an die Umstellung auf 15 Monate, die noch nicht verkraftet ist; wir denken an den veraltenden Kraftfahrzeugpark, an die steigenden Reparaturkosten, an die wachsende Zahl der unerlaubten Entfernungen von der Truppe.
    Angesichts dieser Lage scheinen uns folgende Aufgaben vordringlich:
    Erstens. Das wichtigste ist zweifelsohne eine Konsolidierung der Finanz- und der Rüstungsplanung. Der Rüstungs- oder, genauer gesagt, Ausrüstungsplan der Bundeswehr muß fortgeschrieben und mit der Finanzplanung in Übereinstimmung gebracht werden. Wir erwarten seine Vorlage im Verteidigungsausschuß zusammen mit der mittelfristigen Finanzplanung. Wir werden darauf achten, und das wird einer der Marksteine sein für die Verteidigungspolitik in dieser Legislaturperiode, daß
    wie von der Wehrstrukturkommission zu Recht gefordert, der Investitionsanteil am Verteidigungsetat nicht unter 30 %o fällt, weil davon langfristig eben die auch vom Bundeskanzler angesprochene Kampfkraft der Bundeswehr abhängt.

    (Sehr richtig! bei der CDU CSU.)

    Zweitens. Wir erwarten die Vorlage der Vorstellungen der Bundesregierung zur Bildugsreform und zur Personalstruktur, die bis heute nicht in geschlossener Form vorliegen. Auch dazu hat der Kanzler nichts Konkretes gesagt. Wir wären dankbar, wenn wir etwas Konkreteres hier hören könnten. Ich sage allerdings, dieses Konzept hat überhaupt nur dann einen Sinn, wenn es finanziell gedeckt ist, und zwar nicht nur für das nächste Jahr, sondern über eine absehbare Zeitperiode, und wenn gleichzeitig damit die Realisierbarkeitsuntersuchungen vorgelegt werden. Das gilt besonders auch von den Bundeswehrhochschulen, wo wir darüber wachen werden, daß erstens das gesamte Ausbildungskonzept verwendungsbezogen bleibt, daß zweitens die Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere zu militärischen Führungspersönlichkeiten nicht zu kurz kommt, daß drittens die Hochschulen nach Lehrkörper, Struktur und Lehrinhalten nicht in Stätten der Systemüberwindung umfunktioniert werden können

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und daß viertens die Chancengleichheit aller Soldaten gewahrt bleibt, also keine Benachteiligung der Unteroffiziere und der nicht akademisch ausgebildeten Offiziere erfolgt.
    Personal- und Bildungsstruktur stehen in engstem Zusammenhang mit der Frage der Wehrstruktur. Das langfristige Schicksal der Bundeswehr hängt von der rechtzeitigen, weil unabweisbar notwendig gewordenen Reform der Wehrstruktur ab. Der Kanzler hat nichts über den Zeitplan gesagt. Wir erhoffen im Laufe dieser Debatte darüber Aufschluß. Uns ist klar, daß es bei der Bedeutung dieser Angelegenheit hier keine unangemessene Hektik geben darf; die Arbeit muß gründlich vorgenommen werden. Dennoch: Wenn die Bundeswehr kampfkräftig bleiben soll, müssen nach unserer Auffassung — und nicht nur nach unserer, sondern auch nach Auffassung der Sachverständigen — die ersten Schritte zur Verwirklichung dieser neuen Wehrstruktur spätestens Ende 1975 getan werden. Das heißt aber, daß davon der Zeitplan für dieses Parlament mit abhängt und Sie eben doch mit einigem Nachdruck hier an die Arbeit gehen müssen. Wir fragen daher, wann wir mit der Vorlage der Stellungnahme der Regierung rechnen können.
    Das nächste, was ich ansprechen möchte, ist die Attraktivität des Soldatenberufes. Sie hängt davon ab, wie die Lebensbedingungen des Soldaten sind. Zur Lage der Soldaten hat der Bundeskanzler, im Unterschied zum .Jahre 1969, in seiner Regierungserklärung diesmal nichts gesagt. Wir meinen, daß zur Verbesserung der Lage des Soldaten zunächst einmal die noch nicht eingelösten Versprechen des Weißbuchs eingelöst werden müssen. Dazu gehören die überfälligen Anpassungsmaßnahmen auf dem Besoldungssektor; darunter fällt — um ein weiteres Bei-



    Dr. Wörner
    spiel herauszugreifen — die Einführung des beruflichen Förderungsplans für alle Soldaten und die Verbesserung der Wohnungsfürsorge und des Kantinenwesens.
    Klar ist, daß die Belastungen, die auf die Bundeswehr zukommen, von ihr nur verkraftet werden können, wenn die Bundeswehr in Disziplin und Auftreten überzeugend bleibt, wenn sie von der Gesellschaft anerkannt bleibt und wenn sie von allen demokratischen Parteien getragen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sage noch einmal: die Bundeswehr ist sicher nicht die Armee einer Partei, sondern die Armee des Staates, und sie darf auch nicht die Armee einer Partei werden; ich sage das mehr als Merkposten. Wir werden vor allen Dingen auch im Bereich der Personalpolitik darauf achten, daß die Bundeswehr und die Soldaten eine Armee dieses Staates und nicht einer Partei bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Würtz und weiterer Abgeordneter der SPD.)

    — Ich sagte das als Merkposten. Herr Würtz, stellen Sie sich einmal vor, Sie wären jetzt an meiner Stelle; Sie würden genau das gleiche sagen; das wissen Sie so gut wie ich. Wir haben alle, glaube ich, die Pflicht -- und das muß nachdrücklich gesagt werden —, die Bundeswehr gegen alle Versuche der Diffamierung in Schutz zu nehmen, und zwar auch — ich kann es auch der Sozialdemokratischen Partei und Teilen der Freien Demokratischen Partei in dieser Aussprache nicht ersparen, zu sagen — gegenüber Kräften in Ihren beiden Parteien. Ich habe ohnehin den Eindruck, daß das Kapitel Verteidigung nicht so sehr ein Problem zwischen Regierung und Opposition werden wird, sondern eher zu einem Problem in den Regierungsparteien selbst.

    (Beifall bei .der CDU/CSU.)

    Es ist eben unerträglich für uns, und ich glaube, auch fur Sie, wenn nicht wenige Mitglieder der SPD -- und nicht nur Jungsozialisten - draußen im Lande — ich sage das mit Absicht so deutlich — die Verteidigungsbereitschaft massiv untergraben, während Sie hier Worte finden, denen wir voll zustimmen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was nützen allerdings diese Worte, Herr Bundeskanzler, wenn draußen an der Basis die Dinge ins Wanken kommen. Man kann es doch nicht allein der CDU/CSU überlassen,

    (Zuruf von der SPD: Nein, Glas kann man wirklich nicht! — Weitere Zurufe von der SPD)

    draußen den Kampf um die Bundeswehr und die Verteidigungsbereitschaft zu führen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Flach hat gesagt, es sei nun einmal die Aufgabe der Regierungsparteien — das ist sicher zum Teil richtig -, diese Kräfte der jungen Generation zu integrieren, wir sollten froh darüber sein. Das
    gilt aber nur dann, wenn Sie sie nicht gewähren las- sen, sondern wenn Sie sich mit ihnen auseinandersetzen. Das ist es, auf was es ankommt. Deswegen genügen nicht Worte in diesem Parlament, sondern wir warten auf Taten draußen an der Basis und in ihren eigenen Parteien.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir alle wissen, daß letztlich entscheidend für die Frage, ob sich dieses Volk auf die Dauer selbst behaupten kann, der Wille zur Selbstbehauptung bei unseren Bürgern bleibt.
    Der Journalist Fack hat recht, wenn er schreibt:
    Gute Nachbarschaft nach innen wie nach außen, Zentralmotiv des Politikers Brandt und seines Regierungsprogramms, ist eine edle Sache. Aber der Selbstbehauptungswille nach innen wie nach außen muß dazukommen.
    Was kann, was muß hier getan werden? Zunächst
    einmal muß die Information über die Bundeswehr
    auch an unseren Schulen verbessert werden. Dann
    muß sichergestellt werden hier stimmen wir Ihnen
    voll zu , daß jeder, der seinen Wehrdienst verweigert, unmittelbar anschließend seinen Ersatzdienst abzuleisten hat.

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße]: Sehr richtig!)

    Nur so wird man erreichen können, daß nur der seinen Wehrdienst verweigert, der echte Gewissensgründe hat.

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Sie haben das Gesetz kaputtgemacht!)

    — Jetzt komme ich auf Sie, Herr Schäfer. Das wollte ich jetzt sowieso ausführen. Ich will es Ihnen deshalb auch gerne noch einmal bestätigen. Sie werden — das wird die Erfahrung sehr schnell zeigen — nicht damit auskommen, nur Plätze im sozialen Bereich heranzuziehen. Das ist und bleibt der Grund, weswegen wir diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt haben.

    (Zuruf von der SPD: Sie kennen die Vorlage nicht! Das steht in unserem Vorschlag doch gar nicht drin! — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Den haben Sie sich gar nicht angeguckt!)

    Wie gesagt, ich glaube, daß Sie langfristig nicht umhinkommen werden, auf unseren Vorschlag einer Zusammenfassung der Dienste nach Art. 12 a des Grundgesetzes zurückzugreifen.
    Schließlich hängt die Bereitschaft, diesen Staat und seine Ordnung zu verteidigen, davon ab,

    (Zuruf von der SPD: Wir kommen darauf zurück!)

    ob der junge Wehrpflichtige die Ordnung dieses Staates als gerecht begreift. Wehrungerechtigkeit schafft immer auch Wehrunwilligkeit.
    Fest steht allerdings, daß, wie immer die künftige Wehrstruktur aussehen wird, wir nicht — und zwar Jahr für Jahr weniger -- in der Lage sein werden, die volle Zahl der Wehrpflichtigen zur Bundeswehr einzuberufen. Das heißt, daß sich hier ein zunehmend größer werdendes Problem auftut, über das



    Dr. Wörner
    man eben nicht so leicht hinweggehen kann. Hier müssen wir uns, und zwar rechtzeitig, darüber klar werden, daß dieser Staat Lasten und Pflichten gleichmäßig auf die Schultern aller Bürger verteilen muß. Wir warten auf die Antwort auf die Frage: Wie wollen Sie den Ausgleich vornehmen?
    Das auf die Dauer gefährlichste Motiv für den Rückgang des Selbstbehauptungswillens aber ist — mit diesem Gedanken möchte ich schließen —, wenn sich der junge Mensch mit diesem Staat und seiner Ordnung nicht mehr identifizieren will, wenn er die Ordnung dieses Staates nicht mehr als die seine begreift. Wenn diese Strömungen in der jungen Generation vorhanden sind — wir wollen sie nicht dramatisieren, aber wir wollen sie auch nicht verharmlosen und geringschätzen —, dann rührt das — das wollen wir nicht in Richtung auf nur eine Partei sagen — mit daher, daß die demokratischen Kräfte es unterlassen haben — sei es, weil sie die Vorzüge dieses Systems für augenscheinlich hielten, oder sei es, weil sie sich vorwiegend auf die Mängel des Systems oder der Ordnung konzentrierten —, die uns alle verbindenden Grundwerte, die dieses System tragenden Grundwerte sowohl in der Erziehung wie in der politischen Selbstdarstellung deutlich zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir meinen, hier müßten wir alles daransetzen, um das — besonders in unserem Bildungssystem — zu ändern. Wir müssen alles daransetzen, die uns bei aller politischer Verschiedenheit einigenden Grundwerte sichtbar zu machen und unseren jungen Bürgern an den Schulen und anderswo die Vorzüge unseres Staates und unserer Gesellschaftsordnung nahezubringen, und sollten dort auch den Mut zur Selbstverständlichkeit haben. Das ist das, was uns gelegentlich fehlt.

    (Abg. Damm: Sehr gut!)

    Es geht nicht um ideologische Gleichschaltung — daß wir uns hier verstehen! Selbstverständlich geht es nur um die Vermittlung grundlegender und einverständlicher Normen unseres Zusammenlebens. Wertepluralismus, zu dem wir uns bekennen, darf nicht mit Wertorientierungslosigkeit oder mit Wertneutralismus verwechselt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das heißt aber, daß wir einem wertenden Vergleich der Gesellschaftssysteme in Ost und West nicht aus dem Weg gehen dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Recht — ich hoffe, jetzt nicht mißverstanden zu werden, Herr Bundeskanzler — und Unrecht, Freiheit und Unfreiheit müssen beim Namen genannt werden, wenn sich diese elementaren Gegensätze nicht in eine einfache Verschiedenartigkeit der Systeme, womöglich noch unter der Überschrift der Gleichberechtigung, auflösen sollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es geht auch hier nicht um Schwarzmalerei. Nie-
    mand bestreitet, daß dort auch aufgebaut wurde;
    und die Leistungen sollen objektiv dargestellt wer-
    den. Aber was uns unterscheidet, ist eben nicht nur, daß wir hier soziale Marktwirtschaft und da drüben Sozialismus haben, sondern vor allen Dingen, daß wir hier Demokratie und dort drüben Diktatur haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nur dann, wenn die jungen Menschen wissen und das nicht in Vergessenheit gerät, daß die freiheitlichere Ordnung und der menschlichere Staat auf dem Spiele stehen, werden unsere jungen Bürger bereit sein, die Pflichten auf sich zu nehmen, die ihnen dieser Staat auferlegt. Ob der Westen die Kraft und die Mittel zu seiner Verteidigung auch in den kommenden Jahren aufbringt, oder ob ihm Wohlleben und Konsum wichtiger sind, wird darüber entscheiden — und darüber müßten wir uns in diesem Haus im klaren sein —, ob Entspannung, Friedenssicherung, Abrüstung bloße Hoffnung und frommer Wunsch bleiben, oder ob ein echter Interessenausgleich mit der Sowjetunion möglich wird.
    Darum werden die kommenden Jahre keine bequemen Jahre sein. Es werden Jahre des harten Ringens um Selbstbehauptung nach innen wie nach außen sein. Wenn die Regierung den Mut hat, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten die notwendigen Leistungen von unserem Volk zu fordern, kann sie auf unsere Unterstützung zählen.
    Alles in allem läßt uns die Regierungserklärung hoffen, daß es uns gelingt, im Bereich der Verteidigung das Maß an Übereinstimmung zwischen Regierung und Opposition zu erhalten, das die Bundeswehr braucht und das unseren Bürgern ein Leben in Sicherheit möglich macht.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Karl Wilhelm Berkhan


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich zunächst meinen Minister entschuldigen, der natürlich in dieser Debatte sehr gern selbst zu Ihnen gesprochen hätte. Aber ich rechne auf Ihr Verständnis, daß er der Aufforderung Ihres Kollegen Schröder nachkommt, jede Freundschaft sorgfältig zu pflegen. Das ist auch notwendig in den Stunden, vor denen jetzt der amerikanische Verbündete steht. Sie werden also mit einem Parlamentarischen Staatssekretär vorlieb nehmen müssen.
    Ich darf mich jetzt meinem Thema zuwenden.
    Die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung dient ausschließlich dem Frieden. So hat es der Bundeskanzler, Willy Brandt, in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar erneut bekräftigt. Dabei bleibt die Atlantische Allianz Grundlage unserer Sicherheits- und Entspannungspolitik. Ich bin dankbar, daß Herr Schröder das in seiner Rede vermerkt hat, ich habe aber nicht den Eindruck, daß schon bis zu Herrn Wörner ganz durchgedrungen ist, was sein Kollege Schröder gesagt hat; bei ihm klangen zumindest die Untertöne etwas anders.



    Parl. Staatssekretär Berkhan
    Unsere Hauptaufgabe in der Sicherheitspolitik ist es, durch einen angemessenen Beitrag zum Bündnis die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts mit zu gewährleisten — gemeinsam mit unseren Verbündeten. Dabei können weder wir noch ein anderer Partner oder die anderen Partner gemeinsam die Funktion der Vereinigten Staaten von Amerika im Rahmen des Bündnisses ersetzen. — Dies ist schon ein Teil meiner Antwort auf die Frage, die Herr Marx gestellt hat; ich werde darauf noch einmal zurückkommen.
    Amerikanische politische und militärische Präsenz ist für die Bewahrung eines ausgeglichenen Kräfteverhältnisses in Europa unerläßlich.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Dieses Engagement der Vereinigten Staaten in Europa bedeutet schon seit geraumer Zeit nicht nur die Fortdauer und die Erfüllung der durch Kriegseintritt übernommenen Pflichten. Das amerikanische Engagement wird heute auch durch das Ziel, eine stabilere Friedensordnung und damit eine stabilere Friedensordnung in der Welt herzustellen, motiviert.
    Die Zukunft des Atlantischen Bündnisses wird entscheidend von der Stärkung des europäischen Pfeilers abhängen. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht, daß die EUROGROUP dafür der realistische Ausgangspunkt ist. Ich weiß mich mit einigen Rednern der Opposition einig darin, daß die EUROGROUP ein erster Ansatz ist, den es weiter zu entwickeln gilt. In der Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der EUROGROUP ist Wichtiges und Wesentliches bereits erreicht worden. Das von den europäischen NATO-Partnern gemeinsam beschlossene Verstärkungsprogramm für die NATO-Verteidigung wie auch die verabschiedeten Grundsätze über Rüstungszusammenarbeit seien hier als Beispiel genannt. Nationale Rüstungsprojekte sollen künftig erst nach Abstimmung in der EUROGROUP in Angriff genommen werden. Die Entwicklung von Kampfpanzern, Kampfflugzeugen und Raketen wird zur Zeit gemeinsam geprüft. Ziel muß eine gemeinsame Entwicklung und eine gemeinsame Beschaffung gleicher Systeme sein.
    Die Zusammenarbeit in der EUROGROUP dient aber nicht nur der Festigung des Bündnisses, sondern ermöglicht auch eine bessere Nutzung der ohnehin knappen nationalen Mittel für Zwecke der Sicherheit und Verteidigung. Das bisher Erreichte berechtigt uns nicht zu einer Europa-Euphorie; für die eitere Arbeit muß gelten, daß sich die europäische Verteidigungszusammenarbeit in zwei Richtungen zu vollziehen hat. Die erste Richtung: Der Rahmen der Atlantischen Allianz, der Rahmen des Atlantischen Bündnisses darf nicht aufgegeben werden. Und die zweite Richtung: Unsere Verteidigungszusammenarbeit muß stets Teil unserer Bemühungen bleiben, eine politische Union Westeuropas auf pragmatischem Wege immer weiter fortzuentwickeln.
    Wir müssen uns darüber klar bleiben, daß die Bereitschaft Amerikas, sich für eine internationale Struktur des Friedens auch in Europa zu engagieren und zu binden, stets voraussetzt, daß wir bereit sind, das uns Mögliche für die Sicherheit und für die Verteidigung Europas zu tun — das uns Mögliche, Herr Wörner! Das Wünschbare wird immer über das Mögliche hinausgehen.
    In der vor uns liegenden Phase der internationalen Beziehungen wird es auf das Zusammenwirken aller Bündnispartner ankommen. Herr Außenminister Scheel hat hier von dieser Stelle zu Ihnen darüber gesprochen, und ich kann mich auf einige wenige Bemerkungen beschränken.
    KSZE und MBFR sind ernste Prüfsteine für die Funktionstüchtigkeit des westlichen Verteidigungsbündnisses und für die Bereitschaft, Entspannung auf der Grundlage von unverminderter Sicherheit weiter zu konkretisieren. Sowohl bei einer KSZE wie auch bei Verhandlungen über beiderseitige ausgewogene Verminderung von Truppen und Rüstungen in Europa gilt, daß der Westen nur dann befriedigende Ergebnisse erzielen kann, wenn die Solidarität der Bündnispartner gewahrt bleibt.
    Für unsere Sicherheit könnte Gefahr entstehen, wenn die Notwendigkeit für diese Solidarität der westlichen Partner nicht gesehen würde. Mangelnde Solidarität schafft immer Platz für Einzelinteressen. Ein glaubwürdiges Bündnis gründet sich aber nicht allein auf die Parallelität von Einzelinteressen, sondern ein glaubwürdiges Bündnis verlangt eine gemeinsame Haltung, die sich aus der Zusammenfassung, aus der Bündelung, aus der Harmonisierung der Einzelinteressen aller Bündnispartner ergibt.
    Wir müssen vermeiden, daß bei uns der Eindruck größerer Sicherheit entsteht, als durch die tatsächliche Entwicklung der Beziehungen mit unseren östlichen Nachbarn gerechtfertigt ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das entspricht dem Interesse unseres Staates, aber auch dem Interesse unseres Bündnisses.
    Der Bundeskanzler hat ganz deutlich gemacht, daß die stetige Rüstungsentwicklung im Warschauer Pakt das östliche Gesamtpotential vergrößert hat. Die Bundesregierung zieht daraus für ihre Entspannungsbereitschaft keine vorschnellen Schlüsse.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was für welche denn?)

    Aus diesem Satz hat nun Herr Dr. Marx mit einem rethorischen Trick folgendes gemacht. Er hat gesagt: Lassen wir mal das „vorschnell" weg, und kommen wir zu den Entschlüssen! Ich meine, eine solche Manipulation ist nicht erlaubt. Aber er soll hier eine Antwort erhalten.
    Die sowjetischen Rüstungsanstrengungen sind natürlich der Bundesregierung, sind natürlich dem Bündnis und den dafür zuständigen Instanzen im Bündnis bekannt. Sie werden von der Allianz weder unterschätzt, noch werden sie überbewertet. Aber sie werden ständig und sorgsam verfolgt und aktenkundig gemacht.



    Parl. Staatssekretär Berkhan
    Das gemeinsame Konzept der Mitgliedstaaten des nordatlantischen Bündnisses, Verteidigung und Entspannung, sieht eine gleichzeitig die eigene Sicherheit gewährleistende und die Chancen der Entspannung suchende Politik vor. Die Bundesregierung ist mit den Bündnispartnern darin einig, daß Entspannung ohne Sicherheit Leichtsinn wäre. Sie hält daher die Aufrechterhaltung unserer Verteidigungsanstrengungen so lange für erforderlich, wie noch keine befriedigenden sicherheitspolitischen Vereinbarungen in den Verhandlungen mit dem Osten getroffen worden sind. Die Bundesregierung geht bei ihren Überlegungen davon aus: Das militärische Gleichgewicht in Europa darf nicht gestört werden. Sie setzt sich folglich konsequent für die Koordinierung der europäischen Verteidigungsleistungen im Rahmen der EUROGROUP und für die Aufrechterhaltung der amerikanischen Truppenpräsenz in Europa ein. — Das ist meine Antwort auf die Frage von Herrn Marx.
    Es bleibt also zu fragen, ob es richtig ist, daß man ununterbrochen und in aller Öffentlichkeit und vor allem, meine Damen und Herren, immer in der Tonart, wie es hier zeitweise geschieht, über diese Fragen redet. Wir müssen auch dafür sorgen, daß wir uns im Bündnis nicht eines Tages allein finden, daß wir im Bündnis nicht isoliert werden.
    Es kommt also darauf an, alles zu vermeiden, was zu Mißverständnissen über unsere Verteidigungsbereitschaft und über unsere Verteidigungsfähigkeit führen könnte. Es kommt aber ebenso darauf an, zu vermeiden, daß der Eindruck entsteht, in der Bundesrepublik werde der Versuch gemacht, auf die alten Schienen des Rollback, des Vorzeigens militärischer Gewalt zurückzukehren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)