Rede von
Wolfgang
Mischnick
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir früher nur ein Phänomen in diesem Hause hatten, haben wir nach meiner Überzeugung nun ein weiteres Phänomen neu hinzubekommen: daß nämlich die Vergangenheitsbewältigung der Großen Koalition bei der CDU/CSU nicht zu schaffen ist.
Die CDU/CSU kommt auf die Zeitabschnitte immer wieder zurück, weil sie immer noch nicht bemerkt hat, daß wir im Jahre 1973 sind und nicht mehr im Jahre 1968. Das ist der Ausgangspunkt.
Der zweite Punkt! Nach meiner Überzeugung ist es für alle, die hier eine Auseinandersetzung über den Sachgehalt der Regierungserklärung erwarten, unverständlich, daß in dieser Weise anderthalb Stunden, zwei Stunden versucht wird, Fragen, die Sie 1968 parteitaktisch und nicht politisch gesehen haben, 1973 wieder neu aufzugießen. Um etwas anderes geht es doch nicht.
Eine weitere Bemerkung dazu! Wir wissen natürlich sehr genau, in welcher Weise um den Punkt 6 der hier immer wieder zitierten Entschließung gerungen wurde. Herr Kollege Barzel, ich werde auch heute nicht von meinem Standpunkt abgehen, von den Gesprächen etwas zu sagen, die um diese Punkte geführt wurden, um das stundenlange Ringen darum, wie dieser Punkt 6 aussehen sollte. Eines ist aber auch bei diesen Gesprächen deutlich geworden: daß die Frage, ob man die eine oder die andere Formulierung nimmt, heute nicht so hochstilisiert werden kann, als handele es sich bei dem Abgehen von diesem Punkt 6 um einen Bruch mit Grundsätzen der Deutschlandpolitik. Denn wenn das so wäre, wäre es mir unverständlich, daß Ihr Herr Bundeskanzler Kiesinger ein Jahr nach dieser Entschließung bei den Verhandlungen über die Bundesversammlung in Berlin, bei den Verhandlungen mit dem sowjetischen Botschafter immer davon ausgegangen ist, daß die DDR ein Staat ist. Sie haben nur nicht den Mut gehabt, das zu sagen, und Sie haben ihn heute noch nicht. Das ist Ihr Problem.