Rede von
Dr.
Horst
Ehmke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Kollege Barzel, ich darf zu Ihrer Intervention vom gestrigen Tage feststellen, daß in der Tat bei Ihnen nicht davon die Rede war, daß hier ein vielleicht nicht ganz glücklicher Gebrauch des Wortes „Wahrheit" vorgekommen ist. Das ist wirklich erst heute morgen gewesen.
— Lesen Sie es nach! Auf der Protokollseite von gestern steht nichts davon. Das hat nichts mit Wahrheit, aber etwas mit Richtigstellung zu tun, und diese ist vielleicht erlaubt. Ich nehme an, Herr Windelen wird seine Sache selbst in Ordnung bringen, so wie Herr Bahr die persönliche Sache in Ordnung gebracht hat.
Aber, Herr Kollege Barzel, was mich an dieser Geschichte bekümmert, ist, daß wir hier heute bei Ihnen für taktische Zwecke einen unwahren Umgang mit dem Begriff „Wahrheit" erleben.
Ich finde das nicht gut, diese moralisierende Art in einer Sache, die eigentlich klargeworden ist, vor allen Dingen nach den Ausführungen von Herrn Kollegen Scheel. Nun doch noch und gerade einen moralischen Widerspruch zu konstruieren! Es ist klargeworden: hier waren die Beurteilungen unterschiedlich. Meine Partei hat früher auch einmal die Hoffnung gehabt, eine andere politische Lösung würde in Deutschland möglich sein. Wir haben zusammen schmerzhaft lernen müssen, daß das nicht der Fall ist. Es hat dann Auseinandersetzungen darüber gegeben: Stellen wir uns auf den Boden der Realität, nützen wir den deutschen Interessen nicht mehr, wenn wir uns keine Illusionen machen, sondern die Dinge so akzeptieren, wie sie sind? Über diesen Vorgang hat der Kollege Bahr gesprochen. Im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Barzel, ist auch im Wahlkampf darüber gesprochen worden, auch im 69er Wahlkampf.
Der Bundeskanzler hat es eben noch einmal zitiert. Es ist klargemacht worden: sowohl die Sozialdemokraten wie die Freien Demokraten waren der Meinung, man muß das Kind beim Namen nennen. Das ist dasselbe, was der Herr Kollege Bahr hier mit „Wahrheit" gemeint hat.
Nachdem das in der Sache geklärt ist und sich heute auch Herr von Weizsäcker und mein Kollege Eppler geeinigt haben, daß christliche Werte in beiden Parteien und auch außerhalb der beiden Parteien vertreten sind, bin ich der Meinung, wir sollten uns nun auch dazu entschließen, mit der Wahrheit wahrheitsgemäß umzugehen.