Rede von
Albert
Leicht
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zum zweitenmal steht der Haushalt 1972 zur ersten Beratung an. Statt zum Jahresanfang steht er zum Jahresende zur Entscheidung. Das Jahr, für den er gilt, liegt praktisch schon hinter uns. Dem Parlament ist damit jede Möglichkeit genommen, auf das Haushaltsgeschehen des Jahres 1972 Einfluß zu nehmen. Das Haushaltsgeschehen lag ausschließlich in den Händen der Exekutive. Das Haushaltsbewilligungsrecht ist indessen das vornehmste Recht des Parlaments. Das Parlament als Ganzes — nicht nur diese oder jene Seite des Hauses — wird daher sehr sorgfältig zu prüfen haben, ob die Regierung die durch die Verfassung gezogenen Grenzen eingehalten und von der ihr gegebenen Ermächtigung des Nothaushalts-
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rechts der Art. 111 und 112 des Grundgesetzes den rechten Gebrauch gemacht hat.
Der Zeitdruck, unter dem wir heute stehen, erlaubt es nicht, hier darauf näher einzugehen. Die CDU/CSU-Fraktion wird jedoch darauf drängen, daß diese Frage auf die Tagesordnung der ersten Sitzung des neuen Haushaltsausschusses zu Beginn des nächsten Jahres gesetzt wird.
Ich will auch heute nicht auf die grundsätzlichen Bedenken gegen diese Politik, vor allem gegen die Finanz- und Konjunkturpolitik, eingehen, die in den Zahlen des vorgelegten Haushaltsentwurfs ihren Ausdruck findet. Darüber wird in der dritten Lesung noch zu sprechen sein. Nur einen wesentlichen Punkt möchte ich näher beleuchten, was gleichzeitig, Frau Präsident, als Begründung des vorgelegten Antrags dienen soll.
Der Bundeskanzler hat soeben in Vorwegnahme der Regierungserklärung einige Ziele seiner Regierung angesprochen. Er will vieles, so habe ich daraus entnommen, besser machen. Indessen, der erste Beitrag zur praktischen Politik, den seine Regierung durch die Vorlage des Haushalts geleistet hat, verstößt nach unserer Meinung gegen Verfassung und Recht.
Nach Art. 110 des Grundgesetzes sind alle im Zeitpunkt der Einbringung und parlamentarischen Beschlußfassung vorhersehbaren Einnahmen und Ausgaben des Bundes in den Haushaltsplan einzustellen. Das ist nicht geschehen. Der jetzt vorgelegte Entwurf zeigt die unveränderte Übernahme der Beschlüsse des Haushaltsausschusses vom 14. September dieses Jahres. Er geht also von dem damaligen Erkenntnisstand aus; das ist der des Juli 1972. Die zwischenzeitlich erkennbar gewordene neue Entwicklung, die neuen Beschlüsse des Kabinetts, die eingetretene zwangsläufige Ausgabenvermehrung und Einnahmevermehrung, sind nicht berücksichtigt.
Ich kann hier nur das aufgreifen, was der Finanzminister, was die deutsche Presse uns als Anhaltspunkte gegeben haben, ohne alle Einzelheiten genau festlegen zu können, denn dazu haben wir das Wissen nicht. Es fehlen:
1. 700 Millionen DM an Mehrausgaben, die von der Regierung über den vorgelegten Haushaltsentwurf hinaus als zwangsläufig angesehen wurden.
2. Steuermehreinnahmen in Höhe von 900 Millionen bis 1 Milliarde DM, um die der zuständige Minister nach den Angaben in seiner Pressekonferenz vom 27. Oktober 1972 die Neuverschuldung herabsetzen will.
3. Die Aufgliederung von Einsparungen in einer Größenordnung von rund 1,8 Milliarden DM oder mehr auf die einzelnen Ausgabeermächtigungen, die notwendig sind, um die angestrebten Gesamtausgaben auf 109 Milliarden DM zu beschränken.
4. Die Angabe, in welchem Umfang von den Ermächtigungen Gebrauch gemacht werden soll, in den sogenannten Schattenhaushalten zusätzliche Ausgaben zu leisten.
Wir sollen also hier über Zahlen beschließen, die teilweise durch die Entwicklung überholt sind,
die nicht oder nicht mehr stimmen. Damit macht die Regierung die parlamentarische Beschlußfassung über den Haushalt 1972 zur Farce. „Die Bundesregierung hält eine Anpassung an die bisherigen Ist-Ergebnisse nicht für sinnvoll" ; so in der Bundestagsdrucksache 7/11, die auf Ihren Pulten liegt, in der Stellungnahme zu dem, was der Bundesrat zu diesen Fragen gesagt hat.
Diese Auffassung steht mit dem eindeutigen Verfassungsauftrag des Art. 110 GG nicht in Einklang. Die Wirklichkeitsnähe der Haushaltszahlen ist doch kein Selbstzweck. Der Haushalt soll nicht Wunschdenken entsprechen, sondern er soll die wirkliche Lage der Staatsfinanzen bewußtmachen.
Er soll darüber hinaus diesem Parlament die Möglichkeit geben, seine Kontrollfunktion auszuüben.
Daran — und das ist für mich die einzige Erklärung für den Verfassungsverstoß der Regierung — versucht sich die neue Regierung vorbeizumogeln. Sie will offenbar nicht zugeben, daß wegen der — aus welchen Gründen auch immer entstandenen — Zwangsläufigkeiten auf der Ausgabenseite des Haushalts die ursprünglichen Ziele nicht erreicht worden sind. So ist die Regierung z. B. gar nicht mehr in der Lage, die vorgesehenen Investitionen durchzuführen; vielmehr müssen die Investitionsausgaben und die Ausgaben für andere wichtige Zwecke viel stärker gedrosselt werden, als das ursprünglich vorgesehen war.
Wie bisher versucht die Regierung, ein rosiges Bild der Bundesfinanzen zu zeichnen, das meiner Meinung nach und nach Meinung meiner Fraktion der Wirklichkeit überhaupt nicht mehr entspricht. Damit setzt die neue Regierung — insofern allerdings folgerichtig — die Politik fort, die bereits dazu geführt hat, daß wichtige Staatsausgaben in einer Größenordnung von rund 5 Milliarden DM nicht im Haushalt geleistet, sondern außerhalb des Haushalts durch zusätzliche Schuldaufnahmen gewissermaßen unter dem Tisch getätigt werden.
Die heile Welt besteht in den Staatsfinanzen unserer Überzeugung nach nicht mehr. Es mag noch wahltaktisch erklärbar sein, daß die Koalitionsparteien das bis zur Wahl nicht zugeben wollten. Aber der neue und alte Bundesminister der Finanzen leistet sich selbst meiner Meinung nach einen schlechten Dienst, wenn er diese Politik auch jetzt noch fortsetzt.
Er müßte doch bei den bisherigen Verhandlungen — nach allem, was man so hört — bereits bemerkt haben, wie schwer er sich bei jedem Schritt zur Sanierung der Bundesfinanzen tut. Er selbst vergrößert, wenn ich es richtig sehe, die Probleme, je weiter er die Stunde der Wahrheit in der Haushaltspolitik des Bundes hinauszögert.
In der Haushaltspolitik hat in der Vergangenheit meines Erachtens hinreichend Willkür geherrscht. Zwei Minister — wir wissen es — verließen darüber die Regierung. Wir urteilen heute nicht an-
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ders als vor der Wahl: Die Opposition — der Vorsitzende meiner Fraktion hat darauf hingewiesen — steht nicht in der Verantwortung für die Regierungspolitik. Aber auch die Opposition ist dem Wohle des Ganzen verpflichtet. Sie muß ihre warnende Stimme erheben, wenn sie eine für unser Volk unheilvolle Entwicklung erkennt.
Sorgen Sie, Herr Bundesfinanzminister, in dieser Frage der Aktualisierung des Haushalts für die Achtung der Verfassung; sorgen wir alle dafür, daß wir durch umgehende Vorlage der Zahlen und durch den Einbau dieser Zahlen, die wir bis jetzt im einzelnen nicht kennen, in den Haushalt dem Grundgesetz Rechnung tragen. Sie, Herr Minister, tragen sonst die Hauptverantwortung dafür, daß das Parlament durch die Zustimmung zu diesem Haushaltsentwurf sehenden Auges gegen die Verfassung verstößt.
Ich bin dafür dankbar, daß die Koalitionsfraktionen unserem Antrag auf Einsetzung des Rechtsausschusses und damit der Schaffung der entsprechenden Prüfungsmöglichkeiten zugestimmt haben. Ich wäre aber auch dankbar, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie in den nächsten Tagen — ich hatte Ihnen ja einen Brief geschrieben — zur Aktualisierung dieses Haushalts uns auch die nötigen Zahlen lieferten, damit das geschehen kann, was, glaube ich, im Interesse von uns allen geschieht: daß zumindest das Gebot des Grundgesetzes für diesen Haushalt geachtet wird.