Meine Damen und Herren! Nach der Übung des Hohen Hauses und einem alten Brauch entsprechend wird das Parlament von dem jeweils ältesten Abgeordneten des Deutschen Bundestages eröffnet. Ich bin am 4. Februar 1897 geboren und richte an Sie die Frage, ob ein älteres Mitglied im Hause anwesend ist. — Das ist offenbar nicht der Fall. Dann eröffne ich die erste Sitzung des Deutschen Bundestages der 7. Wahlperiode.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen bekanntzugeben, daß auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung die Geschäftsordnung vom 22. Mai 1970, zuletzt geändert durch Beschluß vom 21. September 1972, mit den dazu getroffenen Beschlüssen und Vereinbarungen sowie die Geschäftsordnung für das Verfahren nach Art. 115 d des Grundgesetzes auch in der 7. Wahlperiode weiter gelten sollen. — Ich höre keinen Widerspruch. Ich stelle fest, daß das Haus damit einverstanden ist.
Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinbarung sollen mir 13 Abgeordnete als vorläufige Schriftführer zur Seite stehen. Ich bitte daher die Abgeordneten Batz, Berger, Collet, Dr. Hammans, Josten, Kleinert, Marquardt, Frau Meermann, Müller , Niegel, Frau Stommel, Frau Dr. Timm und Würtz dieses Amt zu übernehmen. Ich darf die Abgeordneten Marquardt und Berger bitten, neben mir Platz zu nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses ist das siebente Mal, daß ich an der Eröffnungssitzung einer neuen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages teilnehme. Das Amt, das ich heute auszufüllen habe, ist nicht gerade beschwerlich. So bin ich mir auch dessen bewußt, daß es mir als erstes in meinem Leben ohne Mühe und Anstrengungen zugewachsen ist.
Erlauben Sie mir deshalb, daß ich Sie heute als „Alteingesessener" begrüße und Ihnen allen erfolgreiche Arbeit wünsche.
Wir sind uns einig in dem Willen, den politischen Stil der parlamentarischen Demokratie zu wahren
und gegen alle Angriffe zu verteidigen. Gewiß steht der Bundestag im besonderen im Blickpunkt der Öffentlichkeit und auch der Kritik. Aber gerade deshalb sind wir aufgerufen, kraft unserer eigenen Haltung und Disziplin es niemals mehr zu dulden und dahin kommen zu lassen, daß das Parlament als höchste Instanz der demokratischen Volksvertretung noch einmal geschmäht und beschimpft werden darf. Eine solche Willenserklärung war in den ersten Jahren der Bundesrepublik in Rückbesinnung auf die Vergangenheit angemessen. Inzwischen aber ist es die Gegenwart, die es nicht nur wünschenswert, sondern noch einmal notwendig erscheinen läßt, diese alte Überlieferung neu zu bekräftigen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich wie alle großen, bewährten, wirklich freiheitlichen Demokratien der Welt eine parlamentarische Verfassung gegeben, in der sich der Wille des Volkes durch die Wahl seiner Repräsentanten und in der Folge durch deren Ausübung eines freien Mandats manifestiert. Unser Volk will sich durch das Parlament selbst bestimmen und will nicht von selbsternannten Kadern beherrscht oder dem Diktat von Räten unterworfen sein.
Wie immer seit Bestehen der Bundesrepublik steht auch dieser Bundestag vor Aufgaben, die die Verantwortung und politische Energie nicht nur aller Abgeordneten, sondern auch aller Fraktionen herausfordern und voll in Anspruch nehmen werden. Wie eh und je wird dieses Haus von Spannungen erfüllt sein. Das ist gut so; denn nur im offenen Austrag von Konflikten kann das Parlament die öffentliche Meinung führen, den Gesetzen klare Inhalte geben und der Tätigkeit der Regierung deutliche Richtlinien setzen.
Bei der Eröffnung des Bundestages haben meine Vorgänger in diesem Amt den Gedanken von der Einheit der deutschen Nation nicht etwa nur als Erinnerungsposten, sondern als Mahnung und Aufruf angesprochen. Auch ich möchte das tun. Durch alle Wandlungen der auswärtigen und innerdeutschen Politik hindurch bleibt der Gedanke der Einheit unseres Volkes und unserer Nation die unverlierbare Grundlage unseres Handelns, die Erfüllung unseres Verfassungsauftrages und letzte Sinngebung unseres Staates.
Meine Damen und Herren, dies ist auch Ort und Zeit, festzuhalten, daß uns trotz der harten politi-
2 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 1. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1972
Dr. Erhard, Alterspräsident
schen Auseinandersetzungen der letzten Monate in unserem Wollen mehr eint, mehr Gemeinsames verpflichtet, als Trennendes zwischen uns steht. Dazu gehört auch der Stolz auf unser Vaterland, auf Deutschland. Die Frage, welche Deutschen sich dabei angesprochen fühlen sollen und ob unser ganzes deutsches Vaterland gemeint ist, wird den 7. Deutschen Bundestag allerdings noch oft beschäftigen.
Es bedurfte indessen gar nicht dieser Ermunterung, eines deutschen Patrioten, Ernst Moritz Arndts, zu gedenken, der in einer schier hoffnungslosen Stunde deutscher Zerrissenheit in einer als „Friedensrede eines Deutschen" in die Geschichte eingegangenen Ansprache vom 13. Juli 1807 den Deutschen tröstend und mahnend zugleich also zurief:
Die ihr auch getrennt seid, wie man euch auch geteilt und verschieden genannt hat, — wer darf sich jetzt deutsch nennen? Ihr seid Kinder einer Sprache, seid durch sie ungetrennt und werdet eins werden, wenn ihr euch nicht selbst aufgebt.
Niemand in diesem Hohen Hause wird diesem Bekenntnis widersprechen wollen. Deutschland wird nicht in Geschichtslosigkeit versinken und sich auch nicht in Buchstaben wie etwa BRD oder DDR zergliedern und auflösen lassen.
Nunmehr aber lassen Sie uns, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit Besinnung, Verantwortung und allen guten Wünschen gemeinsam ans Werk gehen.
Ich komme nunmehr zu Punkt 2 der Tagesordnung: Namensaufruf der Abgeordneten
Ich empfehle zur Vereinfachung des Geschäftsganges, diesen Punkt der Tagesordnung mit dem Punkt 3 zu verbinden:
Wahl des Präsidenten
Das Haus ist damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch.
Ich lasse zunächst die Namen der beurlaubten Abgeordneten bekanntgeben. Ich bitte den Herrn Schriftführer zu meiner Rechten, die Namen zu verlesen.