Rede von
Dr.
Horst
Ehmke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß Herr Kollege Barzel durch seine Rede unterstreichen wollte,
wie recht der Bundeskanzler hatte, als er sagte, daß einige hier versuchen, bei der Erörterung dieser ernsten Frage ein parteipolitisches Süppchen zu kochen. -
Aber zunächst darf ich vielleicht, Herr Kollege Barzel, Ihrem Gedächtnis nachhelfen. Als Sie in den Weihnachtsferien vorschlugen, dieses Thema mit den Ministerpräsidenten zu besprechen, stand dies bereits auf der Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz.
Dort hat man, weil die Innenminister noch bei der Ausarbeitung des Programms waren, die Sache dann aufgeschoben, bis die Innenminister ihre Arbeit beendet hätten. Dann kam es zu unserer Konferenz, von der ich mich deutlich erinnere, daß Sie weder über den Stand der Arbeiten der Innenminister
— Sie haben auch gesagt, das gehe Sie nichts an —
noch, Herr Kollege Barzel, über den Stand der Arbeiten in den Ausschüssen des Bundestages informiert waren.
— Doch! Wir haben Sie z. B. gebeten, doch mit Ihren Kollegen über das Verfassungsschutzgesetz zu reden. Herr Kollege Genscher hat es getan. Sie werden sich sicher erinnern, wenn Sie sich anstrengen, daß wir gesagt haben: Da gibt es noch Schwierigkeiten, können wir diese Gesetze — beim Bundesgrenzschutzgesetz gab es andere Schwierigkeiten — über die Bühne bringen? Da haben Sie gesagt, dies wollten Sie jetzt nicht erörtern. Sie haben schon damals das gemacht, Herr Kollege Barzel, was Sie heute machen — das ist doch der eigentliche Streit, darüber wollen wir einmal in Ruhe reden -, daß Sie versuchen, die Fragen der Kriminalität, auch die der politisch motivierten oder kaschierten Kriminalität, in einen Topf zu tun mit der ganzen Frage des politischen Radikalismus oder auch nur der politischen Kritik.
— Aber nein, wir differenzieren uns gar nicht zu Tode! Aber, Herr Wohlrabe, wir sind vielleicht etwas differenzierter als Sie; das ist ja auch kein Kunststück.
Gucken Sie einmal, es gibt einen Widerspruch bei Ihnen, Herr Kollege Barzel. Sie haben am Anfang gesagt, wir versuchen, etwas zu unterscheiden, was sich nicht unterscheiden lasse, sondern fließend sei.
— Sie haben aber nachher selbst — indem Sie den Bundeskanzler aufforderten, etwas zu tun, was er gerade getan hatte — gezeigt, daß es eine klare Grenze gibt. Sie haben gesagt, man muß klar unterscheiden zwischen Kritik und Gewalt. Genau das ist es, was wir tun.
Wir wehren uns dagegen, daß versucht wird, noch so heftige Kritik in einen Topf mit Kriminalität zu werfen. Ich bin der Meinung, sie sollten bei der Bekämpfung der Gruppen, die zur Gewalt greifen, nicht auf diesem Weg weitergehen, weil wir alle hier in diesem Hause, das gemeinsame Interesse, die gemeinsame Aufgabe haben müssen, diese Gruppen völlig zu entsolidarisieren, sie von all dem zu isolieren, was es sonst an radikalen Meinungen in diesem Lande auch geben mag. Das ist doch eine der wichtigsten Aufgaben.
Ich darf noch etwas zu den Beschlüssen der Ministerpräsidenten sagen. Erstens ist das kein Abkommen, zweitens ist es nicht ein Beschluß, der „angewandt" werden kann, wie Sie gesagt haben. Da steht doch nur drin, was in unseren Gesetzen steht.
— Es steht in dem Beschluß nichts drin, was nicht seit langem in unseren Beamtengesetzen und in unserer Verfassung steht.
Wir haben diesen Beschluß gefaßt, um noch einmal klarzumachen, daß diese Gesetze angewendet werden sollen.
11026 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode —188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Juni 1972
Bundesminister Dr. Ehmke
— Nun seien Sie doch einmal ruhig! Die Gesetze werden ja angewandt!
Diese Beschlüsse sind auch gefaßt worden, damit man z. B. nicht zu der Meinung kam, wie es Herr Kollege Barzel gesagt hatte, die bestehenden Gesetze reichten gar nicht aus, wir bräuchten vielleicht sogar eine Grundgesetzänderung. Demgegenüber galt es, festzustellen: Das geltende Recht reicht aus. Es gab einen weiteren Grund, den Sie hier mit Recht nennen und den auch ich unterstütze: Das geltende Recht muß angewandt werden. Es gab aber drittens auch den Grund, das zu sagen, was Kollege Genscher heute gesagt hat: Wir werden auch in dieser Auseinandersetzung das Recht respektieren, nicht jenseits des Rechts gehen. So ist festgestellt worden: Die bloße Mitgliedschaft reicht für eine Ablehnung nicht aus.
Nehmen Sie aber auch den Beschluß, den gerade die Kollegen von der ÖTV in Berlin gefaßt haben. Sie wissen, wie die zur Frage des Terrors und der Gewalt stehen. Auch die haben dort Haare in der Suppe entdeckt und haben gesagt: Wir müssen aufpassen, daß, so, wie der Beschluß formuliert ist, gewahrt bleibt, daß nicht allein die Mitgliedschaft in einer Gruppe, die man auch schnell ändern kann --
— die ÖTV hat gesagt — sie hat ja eine besondere Verantwortung für den öffentlichen Dienst —: Wir müssen aufpassen, daß nicht eine formale Mitgliedschaft als ausreichend angesehen wird, um jemanden abzulehnen; wir müssen zweitens aufpassen, daß der Rechtsschutz nicht umgangen wird.
Das sagt eine Gruppe gestandener Gewerkschaftler. Da können wir uns doch nicht wundern, wenn diese Frage auch Jugendliche bewegt, die zum Teil sehr viel kritischer sind. Wir müssen das mit ihnen diskutieren. Wir können doch nicht jede Kritik und jede Angst, diese Beschlüsse könnten vielleicht dazu führen, daß das Gesetz zu hart oder übertrieben angewandt wird, einfach abtun und alle diese Leute in eine Nähe zu dem bringen, was wir an Bombenterror erleben.
Ich bin der Meinung, wir sollten Ernst machen mit der Aussage, daß Kritik in diesem Lande frei ist, auch dann, wenn sie etwa durch Demonstrationen dargestellt wird. Es hat mir nicht sehr gefallen, Herr Kollege Vogel, was Sie heute morgen über die ersten Maitage gesagt haben, aber darauf will ich nicht noch einmal eingehen. Gewalt dagegen
— ganz egal, ob sie sich gegen Personen oder Sachen richtet — ist ausgeschlossen. Diese Debatte haben wir hier schon einmal geführt, als ich noch Justizminister einer anderen Koalition war.
Herr Kollege Barzel, ich muß Ihnen sagen, wir wären in diesen Fragen vielleicht weiter, wenn wir das Gespräch über sie fortgeführt hätten. Der erste Terminvorschlag, verbunden mit einer Tagesordnung wurde von uns in dem Spitzengespräch am 3. Mai gemacht. Da war unter „Innere Sicherheit" aufgeführt, was der Innenminister in einem weiteren Spitzengespräch mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden zu besprechen wünschte. Dort war auch die Bitte an Sie aufgeführt, uns mitzuteilen, welche Punkte Sie noch erörtern wollen. Bis heute haben wir auf diese Einladung vom 3. Mai keine Antwort. Ich habe auf meine Rückfrage vom 19. Mai in Ihrem Büro für Gesprächstermine weder zu dieser Sache noch zu Haushalts- und Währungssachen eine Antwort bekommen. Heute haben wir den 7. Juni. Da Ihre Antwort über einen Monat aussteht, sollten Sie hier nicht den Eindruck zu erwecken versuchen, daß wir es sind, die der Diskussion dieser Fragen ausweichen.