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ID0618801000

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    Deutscher Bundestag 188. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. Juni 1972 Inhalt: Verzicht der Abg. Freiherr von Kühlmann-Stumm und Freiherr von und zu Guttenberg auf die Mitgliedschaft und Eintritt der Abg. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) und Cantzler in den Bundestag 10965 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Frau Geisendörfer und Bergmann . 10965 B Überweisung einer Vorlage an Ausschüsse 10965 B Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 10965 C Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD betr. Verwaltungsrat der Lastenausgleichsbank (Drucksache V1/3472) . . . 10966 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung betr. Viermächteabkommen über Berlin Brandt, Bundeskanzler 10966 C Dr. Barzel (CDU/CSU) 10968 B Borm (FDP) 10969 C Mattick (SPD) 10971 B Dr. Gradl (CDU/CSU) 10973 D Begrüßung des Präsidenten der Ständigen Kommission beider Häuser des Kongresses der Vereinigten Mexikanischen Staaten, Luis H. Ducoing Gamba, sowie des Präsidenten des Abgeordnetenhauses der Republik Sierra Leone, Sir Emile Luke 10971 A, 10980 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung betr. Fragen der inneren Sicherheit Genscher, Bundesminister .10975 A, 11039 D Vogel (CDU/CSU) 10982 D Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 10988 B Krall (FDP) . . . . . . . . 10993 A Dr. Merk, Minister des Landes Bayern 10994 A Ruhnau, Senator der Freien und Hansestadt Hamburg . . . . . 10998 A Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 11014 B, 11053 B Dr. Jaeger, Vizepräsident . . . . 11015 A Brandt, Bundeskanzler . . . . . 11021 A Dr. Barzel (CDU/CSU) 11023 B Dr. Ehmke, Bundesminister . . . 11025 B Stücklen (CDU/CSU) 11026 C Pensky (SPD) 11027 A Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . 11031 B Kleinert (FDP) 11034 D Jahn, Bundesminister . . . . . 11037 B von Thadden (CDU/CSU) . . . 11038 D Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) 11040 D Dorn (FDP) 11043 B Dr. Mikat (CDU/CSU) 11044 C Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) 11045 C Metzger (SPD) 11047 B Dr. Miltner (CDU/CSU) . . . . 11050 B II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Juni 1972 Fragestunde (Drucksache VI/3468) Fragen des Abg. Röhner (CDU/CSU) : Vorbemerkungen zum Agrarhaushalt 1972 Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 11001 A, B, C, D Röhner (CDU/CSU) . . . . . . 11001 B, D Frage des Abg. Werner (CDU/CSU) : Beraterkorps der deutschen Wirtschaft als Hilfsinstrument bei der Entwicklungshilfe Dr. Sohn, Staatssekretär 11002 A Fragen des Abg. Sieglerschmidt (SPD) : Strafvollstreckung an Deutschen in der Türkei Dr. Erkel, Staatssekretär . . . .11002 B, D, 11003 A, B, C Sieglerschmidt (SPD) . . 11002 D, 11003 B Fragen des Abg. Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Haftentlassung von Terroristen durch Gerichtsbeschluß ohne Fühlungnahme mit der Kriminalpolizei Dr. Erkel, Staatssekretär . 11003 D, 11004 D, 11005 A, B, C Dr. Wagner (CDU/CSU) 11004 D Ott (CDU/CSU) 11005 A, B Sieglerschmidt (SPD) 11005 C Frage des Abg. Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) : Abdruck einer Rede des Bundesjustizministers vor dem Rechtspolitischen Kongreß der SPD im Bundesanzeiger Dr. Erkel, Staatssekretär 11005 D, 11006 A, B, C, D, 11007 A Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) 11006 A, B Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) 11006 C Dr. Schmude (SPD) 11006 C Dr. Sperling SPD) 11006 D Ott (CDU/CSU) 11006 D Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) . 11007 A Fragen des Abg. Würtz (SPD) : Frist für die Untersuchung von Freiwilligen auf Wehrdiensttauglichkeit Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 11007 B, C Würtz (SPD) 11007 C Frage des Abg. Wohlrabe (CDU/CSU) : Gesamtkosten infolge des sog. Haarnetz-Erlasses Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . 11008 A, B, C, D, 11009 A Wohlrabe (CDU/CSU) . . . . .11008 B, C Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 11008 D Hansen (SPD) . . . . . . . . . 11009 A Fragen der Abg. Damm und Dr. Zimmermann (CDU/CSU) : Weisungen politischer Organisationen an Beisitzer in Prüfungsausschüssen und -kammern für Wehrdienstverweigerer Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 11009 B, C, D, 11010 A, B, C Damm (CDU/CSU) . . . 11009 C, 11010 A Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . .11010 A, B Dr. Sperling (SPD) . . . . . . . 11010 C Frage des Abg. Niegel (CDU/CSU) : Ausübung eines kommunalen Ehrenamtes durch Wehrdienstleistende Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 11010 D, 11011 A Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 11011 A Frage des Abg. Varelmann (CDU/CSU) : Lebenswert von Rentnern und Studenten Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . .11011 B, C Varelmann (CDU/CSU) . . . .11011 B, C Frage des Abg. Varelmann (CDU/CSU) : Aufwand für den Lebensbedarf in höherem Alter Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . 11011 C, D, 11012 A Varelmann (CDU/CSU) . . . . 11011 D, 11012 A Fragen des Abg. Müller (Nordenham) (SPD) : Höchstwert des Bleigehalts der Trinkmilch Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . , 11012 A, C, D, 11013A, B Müller (Nordenham) (SPD) . .11012 B, C, D Schmidt (Braunschweig) (SPD) . . 11012 D Kiechle (CDU/CSU) 11013 A Niegel (CDU/CSU) . . . . . . 11013 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Juni 1972 III Fragen des Abg. Dr. Schwörer (CDU/CSU) : Zahl der infolge von Geburts- und Frühstschäden dauernd Erwerbsunfähigen —. Verbesserung ihrer materiellen Lage Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 11013 B, D, 11014 A, B Dr. Schwörer (CDU/CSU) . . . . 11014 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1972 (Haushaltsgesetz 1972) (Drucksachen VI/2650, zu VI/2650, Nachtrag zu VI/2650, VI/3350 bis VI/3376) — Fortsetzung der zweiten Beratung —Zur Geschäftsordnung Seidel (SPD) . . . . . . . . .11053 D Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . . 11054 B Kirst (FDP) . . . . . . . . .11055 C Höcherl (CDU/CSU) . . . . . 11056 B Haehser (SPD) 11057 C Leicht (CDU/CSU) 11058 A Gallus (FDP) 11059 B Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . 11059 D Dr. von Bülow (SPD) 11060 D Dr. Jenninger (CDU/CSU) . . . . 11061 C Dr. Barzel (CDU/CSU) 11062 B Wehner (SPD) 11063 A Mischnick (FDP) 11063 D Nächste Sitzung 11064 C Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 11065 A Anlage 2 Stellungnahme des Bundesrates zum Abfallbeseitigungsgesetz . . . . . . . 11065 A Anlage 3 Entschließung des Bundesrates zum Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze 11065 B Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Fuchs (CDU/CSU) betr. Pressemeldungen über den Politischen Arbeitskreis Oberschulen . . . . 11065 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Juni 1972 10965 188. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. Juni 1972 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Juni 1972 11065 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter beurlaubt bis einschließlich Schneider (Königswinter) 9. 6. Dichgans 9. 6. Anlage 2 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz über die Beseitigung von Abfällen (Abfallbeseitigungsgesetz — AbfG) Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, bis zum 31. Dezember 1973 darüber zu berichten, welche Möglichkeiten sich bieten, 1. um durch Ausgleichsabgaben die Erzeuger von Verbrauchsgütern, die für die spätere Abfallbeseitigung erheblichen Aufwand verursachen, zu den sozialen Kosten des Umweltschutzes heranzuziehen, 2. um darauf hinzuwirken, daß bereits bei der Planung des Produktionsprozesses a) die Entwicklung umweltfreundlicher Erzeugnisse und Verfahren in größerem Maße berücksichtigt wird, b) die wirtschaftliche Wiederverwendung bestimmter Abfallarten stärker in Betracht gezogen wird, c) auf die Erleichterung der späteren Abfallbeseitigung Rücksicht genommen wird. Anlage 3 Entschließung des Bundesrates zum Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze — KHG — Die Bundesregierung wird aufgefordert, eire Rechtsverordnung nach § 27 Abs. 1 Nr. 4 über Abgrenzungsvorschriften möglichst bald, spätestens ein Jahr nach Verkündung des Gesetzes, vorzulegen, die es ermöglicht, 1. Anlagewerte entsprechend ihrer Fristigkeit der Gruppe der mittel- und kurzfristigen Anlagegüter zuzuordnen und 2. Güter und Leistungen als Wiederbeschaffung zu bestimmen. Diese Abgrenzungsvorschriften sind aus Gründen der Praktikabilität des Gesetzes erforderlich. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Westphal vom 6. Juni 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Fuchs (CDU/CSU) (Drucksache VI/3468 Frage A 95) : Treffen Pressemeldungen zu, daß nach Unterlagen des Politischen Arbeitskreises Oberschulen (PAO) „die besondere Rolle der Schülerorganisationen darin besteht, ein intellektuelles revolutionäres Potential zu schaffen, das die Aufgabe hat, der Arbeiterklasse zu helfen, seine Klassenanliegen zu erkennen und gleichzeitig eine revolutionäre Partei aufzubauen", und welche Konsequenzen ergeben sich für die Bundesregierung, wenn die Meldung zutrifft? Es trifft zu, daß in der letzten Zeit gegen die Arbeit des Politischen Arbeitskreises Schulen (PAS) — früher Politischer Arbeitskreis Oberschulen (PAO) — der Vorwurf erhoben wurde, daß in seiner politischen Bildungsarbeit revolutionäre Agitatation betrieben und auf eine entsprechende Gleichschaltung des Verbandes hingearbeitet wurde. Diese Vorwürfe konnten nicht entkräftet werden. Der neue Bundesvorstand des PAS hat die Berechtigung des Verdachtes von Verstößen gegen seine eigene Satzung und speziell gegen das in ihr enthaltene Gebot, überparteiliche Bildungsarbeit zu leisten, selbst bestätigt. Der PAS, selbst kein rechtsfähiger Verein, wurde seit Jahren aus Mitteln des Bundesjugendplanes indirekt gefördert. Verantwortlicher Empfänger der Förderungsmittel ist das Kuratorium des PAS, der „Arbeitskreis für politische Bildung e. V.". In einer sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe vorgenommenen Untersuchung hat das Kuratorium Verstöße des PAS-Bundesvorstandes gegen seine Satzung festgestellt. Daraufhin hat das Kuratorium beschlossen, dem PAS den Eingang neuer Zahlungsverpflichtungen zu untersagen. Dies bedeutet praktisch eine Aussetzung der Förderung. Inzwischen haben diejenigen Mitglieder des PAS-Bundesvorstandes, die auch dem früheren Vorstand angehörten, während dessen Amtszeit die Satzungsverstöße vorgekommen sind, ihren Rücktritt erklärt. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit respektiert diese Entscheidung des Kuratoriums in vollem Umfange. Auch läßt die gegenwärtige parteipolitisch ausgewogene personelle Zusammensetzung des Kuratoriums keinen Zweifel an seinem Eintreten für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit zu. In unmittelbar bevorstehenden Verhandlungen des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit mit dem Kuratorium wird geprüft werden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen diese Träger eine qualifizierte politische Bildung für Schüler künftig gewährleisten kann. Die Notwendigkeit qualifizierter und dem Grundgesetz verpflichteter politischer Bildungsarbeit wird weiterhin bejaht. Eine Reihe von Trägerinstitutionen nimmt diese Aufgabe mit Erfolg wahr. Der PAS wird durch einen neu gewählten Vorstand und ein von den verantwortlichen Gremien bestätigtes Programm das Vertrauen für eine künftige Zusammenarbeit zurückgewinnen müssen.
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    Rede von Dr. Johann Baptist Gradl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein paar kurze Bemerkungen zu dem, was in der Aussprache gesagt worden ist. Zunächst begrüße ich es, daß der Kollege Mattick am Schluß darauf hingewiesen hat, daß die Mauer nicht nur ein Problem der Bewegungsfreiheit von West nach Ost ist. Das, was wir in Berlin mit der Berlin-Regelung erreicht haben, kommt zunächst — das dürfen wir nie vergessen — nur denen zugute, die aus West-Berlin nach Ost-Berlin und in die DDR wollen. Die eigentliche Aufgabe steht ja noch vor uns: Die Aufgabe, zu erreichen, daß Freizügigkeit nun endlich auch in einem wachsenden Maße von Ost nach West gewonnen wird. Dies ist das eigentliche Problem der Mauer.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Dr. Grad!
    Von Herrn Kollegen Borm ist in der Diskussion eine Bemerkung gemacht worden, die ich für kleinlich halte und die wir nicht einfach hinnehmen wollen. Herr Kollege Borm, Sie haben unsere jetzige Stellungnahme zur Berlin-Regelung so gedeutet, als seien wir bemüht — wie sagten Sie? -, fremde Früchte in unsere Scheuern zu bringen. Herr Kollege Borm und die anderen, die es angeht: wenn es in den vergangenen Jahren eine gemeinsame Arbeit der verschiedenen politischen Kräfte dieses Hauses gegeben hat, dann war es die Bemühung, eine vernünftige Berlin-Regelung herauszuholen. Hier haben wir — vom Bundeskanzler von diesem Platz aus anerkannt — gezeigt, was man erreichen kann, wenn die politischen Kräfte gemeinsam an eine solche Aufgabe herangehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Beitrag der Opposition, der CDU/CSU, hat sehr dazu beigetragen, daß in die Berlin-Regelung manches hineingekommen ist und daß aus ihr manches herausgehalten worden ist, was vom deutschen Interesse aus eben erreicht oder vermieden sein mußte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich meine, man kann daraus diesen Schluß ziehen: Wenn die Regierung von Anfang an und insgesamt in Ihrer Ostpolitik den Weg gegangen wäre,

    (Abg. Kiep: Sehr wahr!)

    in Gemeinsamkeit mit uns ihren Versuch zu machen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    dann wäre manches an Auseinandersetzungen vermieden worden,

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sehr gut! — Zurufe von der FDP)

    und sicher wäre das Ergebnis in vieler Hinsicht besser gewesen als bei Anwendung des Prinzips „wir brauchen die Opposition nicht".

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte, bezieht sich auf eine Äußerung des Herrn Bundeskanzlers. Er sprach die Erwartung aus, daß — ich verkürze jetzt — die getroffenen Vereinbarungen nicht restriktiv ausgelegt, sondern vielmehr ausgebaut würden. Dies ist natürlich unser aller Wunsch. Aber wir dürfen in diesem Augenblick nicht übersehen, daß von der anderen Seite schon jetzt in einem bestimmten Punkt ein Verhalten an den Tag gelegt wird, das befürchten läßt, daß die andere Seite genau das Gegenteil vorhat. Das, was sich um die Sofortabgabe von Zugangsscheinen in Berlin am Sonntag und seither getan hat, ist das Gegenteil von offenem, lösendem Verhalten in bezug auf die Berlin-Regelung. Es ist restriktiv, ja sogar prohibitiv. Wir warnen die, die es angeht — das ist der Senat, und das ist die Bundesregierung —, davor, diese Sache herunterzuspielen und zu meinen, das seien Anfangsschwierigkeiten, und damit könne man irgenwann fertig werden. In Wirklichkeit ist es so, daß hier offenbar von der anderen Seite schon im Anfang versucht wird, das Prinzip restriktiver
    Handhabung in die Berlin-Regelung einzuführen. Deshalb, meine ich, ist sofort höchste Wachsamkeit erforderlich.
    Die dritte Bemerkung bezieht sich auf die Pflichten und Notwendigkeiten, die sich aus der Berlin-Regelung, wie sie jetzt vorliegt, ergeben. Wir alle sind uns, glaube ich, darüber im klaren, daß die kommende Periode — wir wissen nicht, wie lange sie dauern wird — für Berlin auch auf der Basis der Berlin-Regelung neue Probleme bringen wird. Keiner von uns hatte oder hat ein Interesse daran, daß Berlin Spannungszentrum ist, und keiner konnte wünschen, daß es das bleiben würde. Aber nunmehr ergibt sich auf der Basis der Verträge und der Berlin-Regelung für uns alle die Aufgabe, sehr dafür zu sorgen, daß Berlin neue Anziehungskraft gewinnt, und da reicht, glaube ich, das Modellbild der modernen Großstadt eben nicht aus. Berlin braucht eine Anziehungskraft und eine Ausstrahlungsfähigkeit, die das politische, geistige, kulturelle Interesse nicht nur in unserem eigenen Lande, in der Bundesrepublik, sondern weit darüber hinaus anspricht. Hier, Herr Bundeskanzler, haben wir die dringende Bitte, daß die Regierung die vielfältigen Bemühungen und verschiedenen Planungen, für Berlin Institutionen zu gewinnen, die aus dieser Stadt ein neues, über die Stadt und über die Bundesrepublik hinausreichendes geistig-kulturelles und wissenschaftliches Zentrum machen, nun endlich zusammenfaßt und eine Gesamtvorstellung entwickelt, damit die konkreten Anstrengungen Ansatzpunkte und Basis gewinnen, um nun wirklich das zustande zu bringen, was notwendig ist, z. B. ein Bündel von wissenschaftlichen Institutionen von internationalem Rang.
    Eine weitere Bemerkung, zu der die Diskussion angeregt hat: In den verschiedenen Reden ist darauf hingewiesen worden, wie wechselvoll die Geschichte Berlins seit 1945 gewesen ist. In der Tat sind die 25 oder 27 Jahre eine Kette von Versuchen, West-Berlin zu ilosieren. Das fing mit der Blockade an, ging zum Ultimatum und setzte sich in einer Serie von gezielten Störaktionen fort. Unsere Hoffnung ist — dies ist doch wohl auch der Sinn des Moskauer Vertrages —, daß nunmehr Androhung wie Anwendung von Gewalt als Mittel der Politik gegenüber Berlin endgültig aus der politischen Praxis aller, die es angeht, verschwinden. Wir selber haben als Deutsche kein Interesse, Zweifel daran zu setzen, obwohl wir nach allen Erfahrungen, die wir gemacht haben, wissen, daß wir wachsam sein müssen.
    Aber wir müssen auch im Bewußtsein haben, daß sich bereits eine neue Spekulation in bezug auf die Zukunft Berlins bemerkbar macht, die Spekulation der Gegenseite nämlich, daß nun, wenn sozusagen Frieden über Berlin wird, das Engagement für Berlin-West allmählich ermüden könnte.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Dieser Gefahr und dieser Spekulation müssen wir widerstehen. Auch hier sind wir zu permanenter Anstrengung aufgerufen.
    Dazu gehört — lassen Sie mich das zum Schluß sagen — natürlich auch die intensive Anstrengung



    Dr. Gradl
    der zentralen Institutionen und Repräsentanten aller politischen Kräfte der Bundesrepublik, Berlin im Rahmen der Viermächteregelung weiterhin als den Platz zu betrachten und zu nutzen, von dem aus gewichtige politische Aussagen und Stellungnahmen zur deutschen und internationalen Politik kommen. Es darf nicht so sein, daß nunmehr Berlin vornehmlich als „Hauptstadt der DDR" und als zentraler Ort des deutschen Kommunismus im politischen Bewußtsein der Welt verankert wird. Wir deutschen Demokraten sind verpflichtet, dafür zu sorgen, daß Berlin Forum der deutschen Demokratie bleibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit diesen Tagesordnungspunkt ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung betr. Fragen der inneren Sicherheit
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Herr Genscher.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bombenanschläge in sechs deutschen Städten haben das Augenmerk der Öffentlichkeit verstärkt auf die Probleme der inneren Sicherheit in unserem Lande gelenkt. Diese Ereignisse veranlassen die Bundesregierung, ihr Konzept zur Erhaltung und Verbesserung der inneren Sicherheit dem Hohen Hause als geschlossenes Ganzes zu erläutern und die Fraktionen des Deutschen Bundestages um ihre Unterstützung für Gesetzgebungsvorhaben zu bitten, die von der Bundesregierung als unerläßliche Voraussetzungen für eine nachhaltige Verbesserung der inneren Sicherheit betrachtet werden.
    Die Konzeption der Bundesregierung für die innere Sicherheit umfaßt vier Bereiche:
    erstens die Verbesserung der Sicherheitseinrichtungen des Bundes durch personelle, finanzielle, technische und organisatorische Maßnahmen,
    zweitens die Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Länder auf allen Gebieten der inneren Sicherheit nach den Grundsätzen eines kooperativen Föderalismus, um angesichts der notwendigerweise föderalistischen Struktur des Aufbaus unserer Sicherheitsorgane Reibungsverluste zu vermeiden,
    drittens die schnelle Verabschiedung schon im Parlament liegender Gesetzentwürfe, die uns in die Lage versetzen sollen, die erreichten personellen und technischen Kapazitäten voll einzusetzen, und die andererseits erkannte Lücken in einigen für die innere Sicherheit wichtigen Rechtsgebieten schließen sollen.
    Viertens sind diese Maßnahmen eingebettet in eine umfassende gesellschaftspolitische Zielprojektion, die darauf abgestellt ist, das demokratische Engagement des einzelnen Bürgers zu fördern und die gesellschaftlichen Bedingungen zu erkennen und
    zu verändern, unter denen Kriminalität und politischer Radikalismus entstehen oder sich ausbreiten.
    Dem ersten Ziel, Ausbau der Sicherheitsbehörden, dienten die im Sofortprogramm zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung vom 29. Oktober 1970 dargestellten Maßnahmen und schließlich das am 22. März dieses Jahres vorgelegte, daran anknüpfende Schwerpunktprogramm Innere Sicherheit.
    Ein Schwerpunkt der Maßnahmen liegt, der Rechtslage und der Verantwortung des Bundes im Bereich der Verbrechensbekämpfung entsprechend, beim personellen und technischen Ausbau des Bundeskriminalamts zu einer modernen Behörde wirksamer Verbrechensbekämpfung. Die Feststellung in der Regierungserklärung, die Bundesregierung werde die Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung energisch vorantreiben, ging von der Erkenntnis aus, daß der personelle und technische Stand des Bundeskriminalamts im Jahre 1969 nicht den tatsächlichen Erfordernissen der inneren Sicherheit und auch nicht der tatsächlichen Bedeutung dieser Behörde für die Verbrechensbekämpfung entsprochen hat. Diese Maßnahmen erforderten und erfordern Anstrengungen, und zwar erhebliche Anstrengungen des Bundes. Ich darf als Beispiel die Stellenvermehrung im Bundeskriminalamt von 933 Stellen 1969 auf fast 1600 Stellen in diesem Jahr und mehr als 2000 Stellen im nächsten Jahr nennen. Die unmittelbaren Auswirkungen dieser personellen Maßnahmen werden sich erst dann voll zeigen, wenn nach Abschluß der laufenden Ausbildung qualifizierter Nachwuchskräfte die geschaffenen Stellen auch voll besetzt werden können. Parallel zu diesen personellen Verstärkungen läuft die Erhöhung der Aufwendungen für das BKA von 22 Millionen DM jährlich 1969 auf 122 Millionen DM jährlich im kommenden Jahr.
    Entsprechend ist der Ausbau des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
    Ebenfalls ist der Bundesgrenzschutz im Rahmen unserer Bemühungen um eine Verbesserung der inneren Sicherheit wesentlich verstärkt worden. Die Soll-Stärke, die auf 20 000 Mann festgelegt war, wurde erstmals mit dem Haushalt 1970 überschritten. Der Haushaltsentwurf 1972 sieht eine Erhöhung der Soll-Stärke auf 21 600 vor. Für 1973 ist eine weitere Anhebung auf mehr als 22 100 geplant. Wichtig ist, daß es möglich war, die Ist-Stärke des Bundesgrenzschutzes in der Zeit vom 30. November 1969 bis zum 30. April dieses Jahres um fast 2000 Mann zu erhöhen. Die Aufwendungen für den BGS schließlich stiegen von 300 Millionen DM auf über 500 Millionen DM in diesem Jahr. Sie werden im kommenden Jahr weiter ansteigen.
    Zum Verantwortungsbereich des Bundes gehört auch die Ausrüstung der Bereitschaftspolizeien der Länder. Im Schwerpunktprogramm Innere Sicherheit sind die dafür vorgesehenen Mittel wesentlich erhöht worden, so daß wir jetzt damit beginnen können, die Bereitschaftspolizeien der Länder nach dem modernsten Stand der Technik auszurüsten.



    Bundesminister Genscher
    Eine wirksame Verbrechensbekämpfung ist nur möglich in der Fortsetzung der engen, vertrauensvollen, koordinierten Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, einem Zusammenwirken, das der auf Bund und Länder verteilten Verantwortung für die innere Sicherheit entspricht und ihr gerecht wird. Die bisherigen Anstrengungen der Bundesregierung im Bereich der inneren Sicherheit dürfen uns nicht den Blick dafür verstellen, daß die Hauptlast der Verbrechensbekämpfung unverändert bei den Polizeien der Länder liegt. Daraus ergibt sich, daß die Länder auch die Hauptlast der Aufwendungen für die innere Sicherheit tragen. Die Länder stellen sich dieser ihrer Verantwortung mit demselben Nachdruck wie der Bund.
    Als wirkungsvollstes Instrument für die Zusammenarbeit von Bund und Länder im Bereich der inneuen Sicherheit hat sich die Innenministerkonferenz erwiesen. In dieser Konferenz vollzieht sich eine für die Öffentlichkeit nur selten wahrnehmbare, dafür aber um so effektivere Koordinierung der gemeinsamen Sicherheitsanstrengungen zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern untereinander.
    Auch in der Beurteilung der aktuellen, sich aus dem Aufreten der Baader-Meinhof-Bande ergebenden Sicherheitsfragen stimmen Bund und Länder überein. Es liegt in der Logik dieser Übereinstimmung, daß auf Grund eines Beschlusses der Innenministerkonferenz das Bundeskriminalamt in seiner zentralen Funktion bei der Fahndung nach den Bombenattentätern in unbürokratischer Weise Polizeikräfte der Länder unmittelbar in Anspruch nehmen kann. Dabei trifft der Bundesminister des Innern die notwendigen sachlichen und politischen Entscheidungen im Rahmen der Fahndung in Abstimmung mit einem Kontaktausschuß der Innenminister der Länder. Die Form der Zusammenarbeit des Bundeskriminalamts mit den Polizisten der Länder stellt zu gleich sicher, daß auf Landesebene die Einheit der Polizei, die Einheit von Schutzpolizei und Kriminalpolizei nicht angetastet wird. Sie ist auch nach Überzeugung der Bundesregierung eine unverzichtbare Voraussetzung wirksamer Verbrechensbekämpfung.
    Die Steigerung der Leistungsfähigkeit des Bundeskriminalamts, des Bundesamts für Verfassungsschutz und des Bundesgrenzschutzes sowie die Bemühungen, die Bereitschaftspolizeien der Länder besser auszurüsten, stellen den Beitrag der Bundesregierung für ein gemeinsames Sicherheitskonzept des Bundes und der Länder dar. Die Arbeiten an diesem gemeinsamen Sicherheitskonzept von Bund und Ländern sind im letzten Stadium und werden, wie ich hoffe, noch in diesem Monat zum endgültigen Erfolg führen.
    Die in der Sicherheitskonzeption vorgesehenen Maßnahmen für das Zusammenwirken von Bund und Ländern sowie für die Polizeiorganisationen, für die Polizeiausrüstung, für den Personalbereich und für das Gebiet der Gesetzgebung sollen dazu führen, daß die Sicherheitseinrichtungen in Bund und Ländern — jede in ihrem Bereich — effektiver arbeiten können.
    Von erheblichem Gewicht für die innere Sicherheit sind die Gesetzesvorlagen, die gegenwärtig dem Hohen Hause vorliegen. Es sind dies das von der Bundesregierung am 25. August 1971 beschlossene Gesetz für den Bundesgrenzschutz, der am 6. Mai 1970 von der Bundesregierung beschlossene Gesetzentwurf zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes und die dazugehörigen Grundgesetzänderungen.

    (Unruhe.)