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    Deutscher Bundestag 187. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Blank 10929 A Glückwunsch zum Geburtstag des Abg Dichgans 10929 D Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 10929 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (Abg. Dr. Hauser [Sasbach], Erhard [Bad Schwalbach], Dr. Lenz [Bergstraße], von Thadden, Vogel und Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache VI/3441) — Erste Beratung — 10930 A Amtliche Mitteilungen 10930 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublk Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Drucksache VI/3156); Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses (Drucksachen VI/3397, zu VI/3397) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen (Drucksache W3157) ; Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses (Drucksachen VI/3396, zu VI/3396) — Fortsetzung der zweiten Beratung und Schlußabstimmung — Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) 10931 A Mischnick (FDP) 10932 B Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) 10933 C Schütz, Regierender Bürgermeister von Berlin 10934 B Scheel, Bundesminister 10935 D Dr. Arndt (Hamburg) (SPD) (Erklärung nach § 59 GO) 10938 D Namentliche Abstimmungen 10939 B, 10941 B, 10943 C Dr. Czaja (CDU/CSU) (Erklärung nach § 59 GO) 10941 A Dr. Beermann (SPD) (Erklärung nach § 59 GO) 10943 B Mattick (SPD) 10945 B Begrüßung des Präsidenten des Parlaments der Unabhängigen Kooperativen Republik Guyana, Sase Narain 10941 B II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 Entwurf eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) (Drucksache VI/3010); Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO (Drucksache VI/3331), Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache VI/3307) — Zweite und dritte Beratung — Frau Berger (CDU/CSU) 10945 D Franke, Bundesminister 10947 D Krammig (CDU/CSU) 10948 C Dr. Dübber (SPD) 10949 D von Bockelberg (CDU/CSU) 10950 B Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär 10951 B Wohlrabe (CDU/CSU) 10951 C Barche (SPD) 10952 D Horten (CDU/CSU) 10953 C Nächste Sitzung 10954 C Anlagen Anlage 1 Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Arndt (Hamburg) (SPD) nach § 59 GO zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung 10955 A Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abg. Weigl (CDU/CSU) nach § 59 GO zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung 10955 C Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abg. Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) nach § 59 GO zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung 10955 D Anlage 4 Schriftliche Erklärung der Abg. Dr. Czaja, Riedel (Frankfurt), Dr. Jahn (Braunschweig), Dr. Becher (Pullach), Dr. von Bismarck, Dr. Hupka, Storm, Freiherr von Fircks, Windelen, Frau Jacobi (Marl), Frau Pieser, Dr. Gruhl, Mursch (Soltau-Harburg), Dr. von Nordenskjöld, Rock, Frau Kalinke, Zoglmann, Dr. Wittmann (München), Freiherr von und zu Guttenberg, Dr. Mende, Dr. Götz, Baier, Dr. Kley, Dr. Klepsch, Dr. Burgbacher, Amrehn, Krammig (CDU/CSU) nach § 59 GO zu Punkt 2 der Tagesordnung 10956D Anlage 5 Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Beermann (SPD) nach § 59 GO zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP auf Umdruck 287 10958 B Anlage 6 Entschließungsantrag Umdruck 287 zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung a) des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Drucksachen VI/3156, VI/3397, zu VI/3397) und b) des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen (Drucksachen VI/3157, VI/3396, zu VI/3396) 10960 B Anlage 7 Entschließungsantrag Umdruck 288 zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung a) des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Drucksachen VI/3156, VI/3393, zu VI/3397) und b) des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen (Drucksachen VI/3157, VI/3396, zu VI/3396) 10961 B Anlage 8 Änderungsantrag Umdruck 282 zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgansverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) (Drucksachen VI/3010, VI/3307) 10961 D Anlage 9 Entschließungsantrag Umdruck 283 (neu) zur dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) (Drucksachen VI/3010, VI/3307) 10961 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 III Anlage 10 Entschließungsantrag Umdruck 284 zur dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) (Drucksachen VI/3010, VI/3307) 10962 B Anlage 11 Entschließungsantrag Umdruck 286 zur dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) (Drucksachen VI/3010, VI/3307) 10962 D Anlage 12 Entschließungsantrag Umdruck 285 zur dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) (Drucksachen VI/3010, V1/3307) 10963 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 10929 187. Sitzung Bonn, den 17. Mai 1972 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
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    **) Siehe Anlage 12 Berichtigung In der 183. Sitzung, Seite 10746 B, Zeilen 4 und 5, ist statt „über hundert Millionen D-Mark" zu lesen: „über Hunderte von Millionen D-Mark". Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 10955 Anlage 1 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Arndt (Hamburg) (SPD) nach § 59 GO zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung Ich stimme den Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland einerseits und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Volksrepublik Polen andererseits zu. Rechtlich habe ich als Berichterstatter des Rechtsausschusses während der über 66 Stunden dauernden Beratung festgestellt, daß gegen beide Verträge weder verfassungs- noch völkerrechtliche Bedenken bestehen und daß dieser Ausschuß sich dementsprechend den insoweit von mir gestellten Anträgen ausnahmslos nach einer mit Akribie und äußerster Sorgfalt geführten Debatte angeschlossen hat. Politisch halte ich beide Verträge um des Friedens und der freiheitlichen Entwicklung unseres Landes für unverzichtbar. Wird rechtlich einem Friedensvertrag nicht vorgegriffen, den Verfassungsorgane, die vom ganzen deutschen Volk legitimiert sind, abzuschließen hätten, so ist doch die eindeutige Erklärung der vom Grundgesetz konstituierten Organe erforderlich, daß sie im Rahmen ihrer nur von den Deutschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes herrührenden Kompetenz insoweit die Zugehörigkeit der Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie zu Polen nicht mehr in Frage stellen. Ungeachtet dieser Rechtslage muß es politisch jedem Deutschen klar sein, daß diese Gebiete für immer für Deutschland verloren sind. Dies ist keine Folge der Verträge, sondern eine solche der Nazi-Diktatur und des von Hitler angezettelten Krieges, für die Sozialdemokraten in diesem Lande die geringste Schuld tragen. Obwohl meine beiden Großväter Ostpreußen waren (einer von ihnen Rektor der Universität Königsberg), mein Vater in Königsberg geboren ist und ich 1945 mit meiner Familie aus Schlesien vertrieben wurde, will ich den Teufelskreis von Haß und Vertreibung jedenfalls für meine Person durchbrechen. Ich gestehe den zu 40 % bereits dort geborenen Polen und Russen in diesen Gebieten heute das gleiche Heimatrecht zu, das meine Familie und ich bis 1945 dort besessen haben. Gerade auch im Hinblick auf das millionenfache Leid, das im deutschen Namen Polen und Russen von 1939 bis 1945 angetan wurde, halte ich dies auch für moralisch vertretbar und geboten. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Weigl (CDU/CSU) nach § 59 GO zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung Nach § 59 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gebe ich zur Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Drucksachen VI/3156, VI/3397, zu VI/3397) und des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen (Drucksachen VI/3157, VI/3396, zu VI/3396) folgende schriftliche Erklärung ab: Als leidenschaftlicher Befürworter eines Interessenausgleichs mit den osteuropäischen Staaten bedaure ich zutiefst, daß die Verhandlungen über den Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und über den Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen von der Bundesregierung nicht auf der Basis einer gemeinsamen Außenpolitik aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien geführt und durch zeitlich befristete Verträge abgeschlossen wurden, ferner, daß ich am Tage der Abstimmung über diese Verträge nicht mit letzter Sicherheit ausschließen kann, daß die Vertragspartner diese Verträge in entscheidenden Punkten unterschiedlich interpretieren werden. Da eine mögliche unterschiedliche Vertragsinterpretation durch die Vertragsparteien zur Quelle neuer Spannungen in Europa werden könnte, enthalte ich mich der Stimme. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) nach § 59 GO zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung 10956 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 Die Ratifizierung des Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion sowie des Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen stellt den Deutschen Bundestag vor die weittragendste und folgenschwerste Entscheidung seit seinem Bestehen. Das Inkrafttreten der Ostverträge wird die politische Landschaft der BRD und Europas mit Sicherheit erheblich verändern. Der Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung 1969 bereits erhebliche Zugeständnisse im Hinblick auf den Staatscharakter der DDR und den Atomwaffensperrvertrag eingeräumt. Dies führte zu einem schnellen Beginn der Verhandlungen, die in allen Phasen sowohl überstürzt als auch hektisch geführt worden sind und daher zu einem für die BRD unausgewogenen Ergebnis geführt haben. Die Ereignisse währen des langen Zeitabschnittes nach der Unterzeichnung der Verträge, vom Brief des Herrn Bundesaußenministers zur deutschen Einheit über das Abkommen der Vier Mächte Berlin betreffend bis hin zur gemeinsamen Entschließung der drei Parteien des Bundestages — die heute verabschiedet wird — zeigen deutlich, daß eine ohne Zeitdruck geduldig und zielstrebig gestaltete Verhandlungsführung das Vertragsergebnis für die BRD günstig beeinflußt hätte. Der beherrschende Grundsatz des Vertragswerkes ist der beiderseitige, umfassende und vorbehaltlose Gewaltverzicht. Darüber hinaus führt das Inkrafttreten der Gesetze auch unter Berücksichtigung der Absichtserklärungen mit Sicherheit zu einer De-facto-Anerkennung der DDR. Das vordringlichste Ziel unserer Politik, die staatliche Einheit Deutschlands mit friedlichen Mitteln wiederherzustellen, kann daher in überschaubarer Zeitspanne nicht verwirklicht werden. Ferner findet sich die BRD zu der vom Inkrafttreten der Verträge an geltenden Feststellung bereit, daß die Oder-Neiße-Linie die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen bildet. Sie leistet daher einen bedeutenden Beitrag zum Frieden und für die Zukunft Europas. Demgegenüber vermag ich eine Verbesserung der außenpolitischen Situation der BRD auf Grund der Ostverträge nicht zu erkennen. Sie hätte wohl in erster Linie durch eine Verbesserung der humanitären Bedingungen für die Deutschen ostwärts der Oder-Neiße-Linie und in der DDR erreicht werden können. Im Falle der Deutschen in West-Berlin haben die Vier Mächte dankenswerterweise erfreulich positive Bedingungen geschaffen. Die Entschließung der drei Fraktionen des Deutschen Bundestages, die mit viel Sorgfalt erarbeitet wurde, wird mit ihrer Übermittlung an die Sowjetregierung ein hilfsweise heranzuziehendes Auslegungsmittel im Sinne des Art. 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention. Leider fehlt auch in dieser Resolution der Hinweis, wonach die Information der polnischen Regierung über die humanitären Bedingungen der Deutschen in Polen eine wesentliche Voraussetzung für den Abschluß des Vertragswerkes gewesen ist. Die gemeinsame Entschließung ist ohne Zweifel nicht Bestandteil des zu ratifizierenden Vertragswerkes. Die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers vom 10. Mai 1972 vor diesem Hohen Hause unterstreichen nachdrücklich diese Feststellung. Nach eingehender Prüfung der Vertragsgesetze und der vorgelegten Unterlagen ist es mir nicht möglich, dem Vertragswerk zuzustimmen. Anlage 4 Schriftliche Erklärung der Abgeordneten Dr. Czaja, Riedel (Frankfurt), Dr. Jahn (Braunschweig), Dr. Becher (Pullach), Dr. von Bismarck, Dr. Hupka, Storm, Freiherr von Fircks, Windelen, Frau Jacobi (Marl), Frau Pieser, Dr. Gruhl, Mursch (Soltau-Harburg), Dr. von Nordenskjöld, Rock, Frau Kalinke, Zoglmann, Dr. Wittmann (München), Freiherr von und zu Guttenberg, Dr. Mende, Dr. Götz, Baier, Dr. Kley, Dr. Klepsch, Dr. Burgbacher, Amrehn, Krammig (CDU/CSU) nach § 59 GO zu Punkt 2 der Tagesordnung. Zum Warschauer Vertrag vertritt die Bundesregierung den Standpunkt, daß er für die Bundesrepublik Deutschland mit seinem Inkrafttreten deutsches Inland zu Ausland macht. In der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion (Drucksache VI/2828) hält die Bundesregierung daran fest, daß die Bundesrepublik Deutschland dazu berufen ist, die rechtlichen Positionen Deutschlands auszufüllen. Nach dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland kann und darf vor friedensvertraglichen Regelungen und ohne Änderung des Grundgesetzes deutsches Inland nicht zu Ausland gemacht werden. Ebensowenig darf über große Teile Deutsch- Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 10957 lands verfügt werden oder Annexionen zugestimmt oder der Ersitzung in solchen Gebieten Vorschub geleistet werden oder dürfen zu Lasten Deutschlands einem anderen Staat Gebiete abgetreten werden. Es genügt nicht, deutscherseits nur das Zustandekommen der Massenvertreibung nicht zu legitimieren; es dürfen vielmehr auch die Folgen der Massenvertreibungen nicht legalisiert werden. Vertreibungen sind ein ebenso rechtlich wie moralisch unzulässiger Weg zu Gebietserwerb. Das durch das Völkergewohnheitsrecht und die Menschenrechtsdeklaration der UN-Charta gesicherte und durch die europäische Menschenrechtskonvention bestätigte Recht auf ungestörten Verbleib und angemessene Entfaltung am angestammten Wohnsitz — als einzelner und innerhalb der eigenen nationalen Gruppe — gehört zum unabdingbaren Kern der Menschenrechte. Nach dem Grundgesetz ist jede staatliche Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten für Deutsche im Sinne des Grundgesetzes im In- und Ausland verpflichtet. Deshalb dürfen durch Verträge nicht tatsächliche und rechtliche Gegebenheiten geschaffen werden, die den bisher eingeschränkten Inlandschutz in fremdverwalteten Gebieten Deutschen im Sinne des Grundgesetzes entziehen, ohne daß ihnen gleichzeitig deutscher diplomatischer Schutz gesichert wird. Die Sorgepflicht der Bundesrepublik Deutschland darf nicht generell einer großen Zahl deutscher Staatsangehöriger entzogen werden. Eine echte Normalisierung der Beziehungen ist ohne Wiederherstellung verletzter Individualrechte nicht zu erreichen. In dem Vertrag werden auch die materiellen Rechte der Deutschen nicht geregelt. Der Warschauer Vertrag verstößt gegen Artikel 1, 6, 16, 23, 146 und den Vorspruch des Grundgesetzes. Er könnte die Wirkung von Artikel 5 des Grundgesetzes gefährden. Wäre dies der Fall, so ergäbe sich ein Gegensatz zwischen den vertraglichen Verpflichtungen und dem Verfassungsrecht. Die Fehler der Verhandlungsführung suchte man bei einzelnen Reden im Bundesrat und laut Teilen des Ausschußberichts VI/3396 durch Behauptungen zu verdecken, die mit den geschichtlichen Tatsachen und — wie der Bundesaußenminister in Moskau ausdrücklich festgestellt hat — mit der internationalen Rechtslage nicht im Einklang sind. Die Behauptung, die westlichen Verbündeten hätten generell die amtliche Tendenz gehabt, diese Gebiete Polen endgültig zuzusprechen, und hätten einer Ersitzung seitens Polens Vorschub geleistet, wird hiermit u. a. durch den Hinweis auf folgende Dokumente widersprochen: Der US-amerikanische Staatssekretär Byrnes stellte fest, daß solchen Behauptungen über die Haltung der USA und ihres Präsidenten Truman auf der Potsdamer Konferenz der gute Wille abgesprochen werden müsse. In seiner Stuttgarter Rede vom 6. September 1946 erklärte er, daß ausweislich des Protokolls der Potsdamer Konferenz die Regierungschefs sich in keiner Weise verpflichtet hätten, auf der Friedenskonferenz die Überlassung der Polen nur zur Verwaltung übertragenen Gebiete an Polen zu unterstützen. Dies besagen auch die Artikel IX und XIII des Potsdamer Protokolls, die Vereinbarungen von London vom 12. September 1944, eingeführt — und ergänzt — in das Londoner Abkommen vom 14. November 1944 und die Berliner Vier-Mächte-Erklärung vom 5. Juni 1945. Diese beiden Dokumente werden in den Noten der Regierungen der Drei Westmächte an die Bundesregierung vom 11. August 1970 als durch den Moskauer Vertrag nicht berührt bezeichnet. Nach diesen Dokumenten sollte Deutschland in den Grenzen von 1937 besetzt werden; jede Annexion deutschen Gebiets in diesen Grenzen wurde abgelehnt. An der vom US-amerikanischen Staatssekretär Byrnes 1946 in Stuttgart dargelegten Position hat US-Staatssekretär Marshall 1947 in Moskau festgehalten. Ähnliches besagt die Schlußakte der Londoner Konferenz vom 3. Oktober 1954. Der Artikel des Deutschlandvertrages, insbesondere der letzte Satz des ersten Absatzes, spricht eine eindeutige Sprache. Die zwar nur einseitige, aber akzeptierte Erklärung Adenauers vom 13. September 1955 in Moskau zur Grenzfrage gehört nach Auffassung des Auswärtigen Amtes sogar zur Motivation des „Abschlusses des Abkommens vom 13. September 1955", das in der Präambel zum Moskauer Vertrag erwähnt wird. In den Jahren 1965 bis 1968 sind von britischen Regierungsmitgliedern — zum Teil sogar in Warschau — und im britischen Unterhaus eindeutige Erklärungen in diesem Sinne, von Außenminister Stewart, Minister Peadly und anderen abgegeben worden; desgleichen im niederländischen Parlament von Minister Luns im Jahre 1966. Löbe, Schumacher, Erler, Brandt, Adenauer und die deutschen Außenminister haben wiederholt ebenso diesen Standpunkt vertreten. Es gibt keine offiziellen Aussagen über eine Gebietsgarantie der Siegermächte für Deutschland, aber auch ebensowenig eine Garantie bezüglich der Zusprechung der Oder-Neiße-Gebiete an Polen. Unsere Ablehnung der ungerechten Verträge verbinden wir mit einem eindeutigen Bekenntnis zur Achtung vor der Würde, der Existenz, den Rechten und der angemessenen Entfaltung unserer östlichen Nachbarn sowie dem Willen, danach zu handeln. 10958 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 Zwischen diesen Rechten und Ansprüchen unserer Nachbarn und unseren eigenen Rechten besteht eine Spannung, die im gerechten Ausgleich aufgearbeitet werden muß. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten verlieren mit dem Fortschritt die nationalstaatlichen Grenzen ihre Bedeutung. Ob die Möglichkeit zu enger Zusammenarbeit wächst, kann man nicht von vorherein aussagen. Die Schwierigkeiten sind bekannt. Niemand sollte sich aber berufen fühlen, ein gemeinsames Aufarbeiten der Gegensätze für alle Zeiten auszuschließen. Die berechtigten wirtschaftlichen und politischen Interessen der russischen Großmacht sind zu achten, doch dürfen sie nicht die Selbstbestimmung und Freiheit der Völker berühren. Eine echte Befriedung in Europa, die die allseitigen Interessen berücksichtigt, kann auch im eigenen Sicherheitsinteresse Rußlands liegen. Bei der Vertiefung des westlichen Bündnisses und auf dem Wege zu einer politischen Union müssen auch die berechtigten deutschen Interessen mit eingeschlossen werden. Unausgewogene Verträge sind schon oft mit friedlichen und vertraglichen Mitteln geändert worden. Nur dieses kommt in Frage. Die Meinungsfreiheit, für bessere Lösungen der jetzigen Lage zugunsten Deutschlands und der Deutschen zu wirken, ist grundgesetzlich gesichert. Wir verbinden unser Nein bzw. unsere Enthaltung zu dem Vertrag mit einem eindeutigen Ja zu Frieden und zu Freiheit für unsere Nachbarn und unser Volk. Anlage 5 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Beermann (SPD) nach § 59 GO zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Umdruck 287. Wenn unser frei gewähltes Parlament sich durch Annahme der vorliegenden Verträge entschließt, die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens hinzunehmen, die selbst die polnischen Bischöfe in ihrem bewegenden, an ihre deutschen Amtsbrüder gerichteten Schreiben als eine für uns „äußerst bittere Frucht des letzten Krieges" bezeichnen, so bedarf dieser Entschluß der Erklärung und Erläuterung vor unserem und dem polnischen Volke. Man könnte sich dies einfach machen und darauf hinweisen, daß die Polen, die 1945 ins Land kamen, jetzt schon über ein Vierteljahrhundert dort ihre Heimat haben, daß ein großer Teil dieser polnischen Bevölkerung dort bereits geboren ist und seinerseits wieder Kinder hat, so daß in den Oder- und Neiße-Gebieten bereits Polen der zweiten, bald der dritten Generation leben. Mit dieser Feststellung mag sich mancher begnügen und sich sagen, daß wir uns eben deswegen in das Unabänderliche zu fügen haben. Aber ich fürchte, eine derartige Feststellung allein genügt nicht als Grundlage einer dauerhaften Verständigung mit unserem östlichen Nachbarn. Denn es gehört dazu, daß unser Volk sich innerlich und auf Dauer mit dem schon 1945 eingetretenen Verlust abfindet und wir zugleich ein Verhältnis zu Polen suchen, das den nackten Wortlaut des Vertrages mit Leben erfüllt. Das wird der Fall nur sein, wenn wir auch aussprechen, was zwischen beiden Völkern bis zum heutigen Tage steht. Das grauenvolle Geschehen, das sich unter dem Hakenkreuz in Polen vollzog, haben viele von uns aus dem Gedächtnis und Bewußtsein verdrängt, selbst dann, als die Ereignisse jener Zeit nach dem Kriege vor uns und aller Welt offenlagen. Scham, Schuld oder pure Gleichgültigkeit mögen der Grund hierfür gewesen sein. Doch diese Zeit ist im polnischen Volke in höchst lebendiger Erinnerung geblieben, nicht nur bei der durch den Krieg äußerst geschwächten älteren Generation, sondern auch bei der Jugend, die sich der leidvollen Geschichte ihres Volkes sehr wohl bewußt ist. Wir dürfen daher in dieser Stunde dieses uns beschämende Kapitel der deutsch-polnischen Beziehungen nicht übergehen, wollen wir wirklich dauerhafte Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben schaffen, wie es der vorliegende Vertrag erstrebt. Ich meine, daß wir hierzu hinweisende Worte in jenem Brief der polnischen Bischöfe finden, die wir nicht überlesen sollten. Sie schreiben: „In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichem Geist strecken wir unsere Hände zu ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils. Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung". Ich meine, wir sollten diese so wertvollen Worte aufnehmen und Euch Polen um Vergebung bitten, um Vergebung, daß wir Euch am 1. September 1939 überrachsend mit Krieg überzogen, Eure Städte und Dörfer aus heiterem Himmel zerbombten und zerschossen, um Vergebung, daß wir Hunderttausende von Euch aus Euren Häusern und Wohnungen verdrängten, um Platz zu machen für andere Deutsche, um Vergebung dafür, daß sich diese Vertreibung vollzog unter Bedingungen voller Menschenverachtung, die unserer Nation unwürdig waren, um Vergebung dafür, daß mehr als eine Million Eurer Männer und Frauen, Knaben und Mädchen zu härtester Fronarbeit nach Deutschland verschleppt wurden, um Vergebung dafür, daß der letzte Reichsinnenminister festlegen konnte — ich zitiere —, „diese Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 10959 polnische Bevölkerung wird als führungsloses Arbeitsvolk zur Verfügung stehen und Deutschland jährlich Wanderarbeiter für besondere Arbeitsvorkommen (Straßenbauten, Steinbrüche) stellen", und um Vergebung dafür, daß das Bildungsniveau dieses führungslosen Arbeitsvolkes von demselben Herrn Himmler, der sich auch Kommissar für die Festigung deutschen Volkstums nannte, wie folgt festgelegt wurde — ich zitiere —: „Einfaches Rechnen bis höchstens 500. Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen zu gehorchen und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforderlich." Und wir bitten Euch um Vergebung dafür, daß wir einen Kanzler an der Spitze des Reiches duldeten, der anordnete — ich zitiere —, daß es für die Polen nur einen Herrn geben dürfe, und das sei der Deutsche. Zwei Herren nebeneinander könne es nicht geben und dürfe es nicht geben. Daher seien alle Vertreter der polnischen Intelligenz umzubringen — umzubringen, ich wiederhole es —, und um Vergebung, daß Ihr über fünf bittere Jahre die Herrschaft eines deutschen Generalgouverneurs erdulden mußtet, dessen Leitschnur war — ich zitiere wörtlich —: „Was wir jetzt an Führungsschicht in Polen festgestellt haben, das ist zu liquidieren, was wieder nachwächst, ist von uns sicherzustellen und in einem entsprechenden Zeitraum wieder wegzuschaffen." Und um Vergebung, daß Eure Kunstschätze geraubt, Eure Kirchen, Universitäten und Schulen geschlossen, Eure Priester, Professoren und Lehrer verfolgt, in die Konzentrationslager geworfen und gemordet wurden, und wir bitten in Demut um Vergebung, daß in Eurem Lande das Schrecklichste geschah, was von Deutschen je vollzogen worden ist. Ich spreche von den Lagern, in denen mit gnadenloser Roheit Männer und Frauen, Kinder und Greise planmäßig gedemütigt, gequält und schließlich gemordet worden sind. In dieser Stunde werde ich Namen und Zahlen der unglücklichen Opfer aus vielen Nationen nicht verschweigen: Sóbibor 250 000 Májdanek 360 000 Chélmo 360 000 Bélzec 600 000 Treblinka 750 000 und schließlich Auschwitz mit 2 1/2 Millionen, die in die Gaskammern gepfercht, dort elend erstickt sind. Das Ende des Krieges sah für Polen so aus: dreieinhalb Millionen polnische Staatsbürger — Männer und Frauen, Kinder und Greise — starben in diesen und anderen von deutscher Hand mit erbarmungsloser Härte betriebenen Stätten der Schande, der Qual, der Vernichtung. Alles in allem brachte der Krieg dem 30-Millionen-Volk der Polen sechs Millionen Tote. Etwa 123 000 fielen als Soldaten. Jeder fünfte polnische Staatsbürger kam somit um. Wenn wir diesen für uns so beschämenden Zeitabschnitt Revue passieren lassen, so sollten wir ganz tief und innerlich und ohne jeden Vorbehalt auch für das uns angetane Unrecht Vergebung gewähren, Vergebung gewähren für die Tausenden von Toten, als sich bei Kriegsbeginn aufgespeicherter polnischer Volkszorn gegen die dort ansässige deutsche Bevölkerung entlud. Und meine Bitte geht jetzt an unsere Schlesier, unsere Pommern, unsere Ostpreußen, auch ihrerseits dem polnischen Volke Vergebung zu gewähren für das ihnen angetane Unrecht der Vertreibung aus der so innig geliebten Heimat, in der sie seit Jahrhunderten und daher zu Recht lebten und wirkten und aus der sie verwiesen wurden unter großer Drangsal, unter Blut, Tränen und Flüchen. Ich weiß, wie fordernd diese Bitte ist. Doch vielleicht kann auch hier der Brief der polnischen Bischöfe das in Kummer oder Haß verschlossene Herz zum Verstehen und Vergeben öffnen. Die Bischöfe schreiben: „Ein großer Teil der Bevölkerung hatte dieses Gebiet aus Furcht vor der russischen Front verlassen und war nach dem Westen geflüchtet. Für unser polnisches Vaterland, das aus den Massenmorden nicht als Siegerstaat, sondern bis zum äußersten geschwächt hervorging, ist dieses Gebiet eine Existenzfrage (keine Frage des „größeren Lebensraumes"), es sei denn, daß man ein Über-30-Millionen-Volk in den engen Korridor eines „Generalgouvernements" von 1939 bis 1945 hineinpressen wollte, ohne Westgebiete, aber auch ohne Ostgebiete, aus denen seit 1945 Millionen von polnischen Menschen in die „Potsdamer Westgebiete" hinüberströmen mußten. Wo sollten sie auch damals hin, da ja das sogenannte Generalgouvernement zusammen mit der Hauptstadt in Schutt und Trümmern lagen? Die Vernichtungswellen des letzten Krieges sind nicht nur einmal, wie in Deutschland, sondern seit 1914 mehrere Male über die polnischen Lande hinweggebraust, und zwar hin und zurück wie apokalyptische Reiter, und haben jedesmal Schutt und Trümmer, Armut, Krankheit, Seuchen und Tränen und Tod und wachsende Vergeltungs- und Haßkomplexe hinterlassen." Noch einmal gehen in dieser Stunde meine Gedanken zurück zu jenem schicksalsschweren 1. September 1939, als ich von Ostpreußen aus mit meiner Truppe die Grenze nach Polen querte. Vor uns dehnte sich weites polnisches Land, das zu erobern wir uns anschickten. Und so sehe ich denn auch vor mir jenen ersten gefallenen Soldaten. Ich sehe sein straffes, bleiches, jugendliches Gesicht mit den kräftigen Zügen, ich sehe den Stahlhelm von ungewohnter Form, und die Uniform, die nach Farbe und 10960 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 Schnitt anders war als unser feldgrauer Waffenrock. Dieser tote polnische Soldat begleitete mich in der Erinnerung über Jahre und Jahrzehnte, als spräche und mahne er immer wieder: Warum, warum habt Ihr mein Land überfallen? Warum meinem Leben ein so frühes Ende gesetzt? Warum mein Volk so gnadenlos gedemütigt? Und ich antworte ihm: Wir haben allzu lange schreiendes Unrecht in unserem eigenen Lande geduldet, allzu fügsam dem kriegslüsternen Kanzler des Deutschen Reiches gehorcht, und allzu viele haben allzu willig und allzu tief die giftigen Schwaden eingesogen, die die Luft im Deutschen Reich verpesteten. Und ich füge die Bitte hinzu: unbekannter polnischer Soldat, vergib uns Du und mit Dir Dein Volk, den großen Frevel, den Deutsche einst in Polen begangen haben. „Wir gewähren Vergebung und wir bitten um Vergebung". Diese so kostbaren christlichen Worte der Bischöfe Polens sollten wir im Gedächtnis und im Herzen bewahren. Sie können uns den Weg in eine gemeinsame hellere Zukunft weisen, den die vorliegenden Verträge ebnen werden, da durch sie die Westgrenze Polens endgültig gesichert wird, die seit Entstehen des polnischen Staates im Jahre 1918 bis zum heutigen Tage von uns stets in Frage gestellt worden ist. Anlage 6 Umdruck 287 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung des a) von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken — Drucksachen VI/3156, VI/3397, zu VI/3397 — und des b) von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen — Drucksachen VI/3157, VI/3396, zu VI/3396 —. Der Bundestag wolle beschließen: Im Zusammenhang mit der Abstimmung über den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 12. August 1970 und dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen vom 7. Dezember 1970 erklärt der Deutsche Bundestag: 1. Zu den maßgebenden Zielen unserer Außenpolitik gehört die Erhaltung des Friedens in Europa und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Die Verträge mit Moskau und Warschau, in denen die Vertragspartner feierlich und umfassend auf die Anwendung und Androhung von Gewalt verzichten, sollen diesen Zielen dienen. Sie sind wichtige Elemente des Modus vivendi, den die Bundesrepublik Deutschland mit ihren östlichen Nachbarn herstellen will. 2. Die Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland in den Verträgen eingegangen ist, hat sie im eigenen Namen auf sich genommen. Dabei gehen die Verträge von den heute tatsächlich bestehenden Grenzen aus, deren einseitige Änderung sie ausschließen. Die Verträge nehmen eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland nicht vorweg und schaffen keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen. 3. Das unveräußerliche Recht auf Selbstbestimmung wird durch die Verträge nicht berührt. Die Politik der Bundesrepublik Deutschland, die eine friedliche Wiederherstellung der nationalen Einheit im europäischen Rahmen anstrebt, steht nicht im Widerspruch zu den Verträgen, die die Lösung der deutschen Frage nicht präjudizieren. Mit der Forderung auf Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts erhebt die Bundesrepublik Deutschland keinen Gebiets- oder Grenzänderungsanspruch. 4. Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die fortdauernde und uneingeschränkte Geltung des Deutschlandvertrages und der mit ihm verbundenen Abmachungen und Erklärungen von 1954 sowie die Fortgeltung des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken am 13. September 1955 geschlossenen Abkommens von den Verträgen nicht berührt wird. 5. Die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes und auf Berlin werden durch die Verträge nicht berührt. Der Deutsche Bundestag hält angesichts der Tatsache, daß die endgültige Regelung der deutschen Frage im Ganzen noch aussteht, den Fortbestand dieser Rechte und Verantwortlichkeiten für wesentlich. 6. Hinsichtlich der Bedeutung der Verträge verweist der Deutsche Bundestag darüber hinaus Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 10961 auf die Denkschriften, die die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften zusammen mit den Vertragsgesetzen zum Moskauer und Warschauer Vertrag vorgelegt hat. 7. Die Bundesrepublik Deutschland steht fest im Atlantischen Bündnis, auf dem ihre Sicherheit und ihre Freiheit nach wie vor beruhen. 8. Die Bundesrepublik Deutschland wird die Politik der europäischen Einigung zusammen mit ihren Partnern in der Gemeinschaft unbeirrt fortsetzen mit dem Ziel, die Gemeinschaft stufenweise zu einer Politischen Union fortzuentwickeln. Die Bundesrepublik Deutschland geht dabei davon aus, daß die Sowjetunion und andere sozialistische Länder die Zusammenarbeit mit der EWG aufnehmen werden. 9. Die Bundesrepublik Deutschland bekräftigt ihren festen Willen, die Bindungen zwischen Berlin (West) und der Bundesrepublik Deutschland gemäß dem Viermächte-Abkommen und den deutschen Zusatzvereinbarungen aufrechtzuerhalten und fortzuentwickeln. Sie wird auch in Zukunft für die Lebensfähigkeit der Stadt und das Wohlergehen ihrer Menschen Sorge tragen. 10. Die Bundesrepublik Deutschland tritt für die Normalisierung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ein. Sie geht davon aus, daß die Prinzipien der Entspannung und der guten Nachbarschaft im vollem Maße auf das Verhältnis zwischen den Menschen und Institutionen der beiden Teile Deutschlands Anwendung finden werden. Bonn, den 10. Mai 1972 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Wehner und Fraktion Mischnick und Fraktion Anlage 7 Umdruck 288 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung a) des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfes eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken — Drucksachen VI/3156, VI/3397, zu VI/3393 — b) des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfes eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen — Drucksachen VI/3157, VI/3396, zu VI/3396 —. Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag stellt fest, daß das Recht aller Deutschen einschließlich der Vertriebenen und Flüchtlinge auf Freizügigkeit vom und zum angestammten Wohnsitz und zur freien und angemessenen Entfaltung in ihrer Heimat (als einzelner und in Gruppen) im Sinne der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen, der europäischen Menschenrechtskonvention und der wiederholten einstimmigen Beschlüsse des Sicherheitsrates der UN durch die Vertragsgesetze zum Moskauer und Warschauer Vertrag weder verletzt noch behindert werden kann und darf. Durch die Verträge dürfen Vertreibungen weder legitimiert noch legalisiert werden. Bonn, den 17. Mai 1972 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 8 Umdruck 282 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) — Drucksachen VI/3010, VI/3307 —. Der Bundestag wolle beschließen: § 1 Abs. 1 Satz 2 erhält folgende Fassung: Leere Transportmittel können verplombt werden, wenn ihnen ein Warenbegleitschein beigefügt wird, in dem das Transportmittel als „leer" bezeichnet ist. Bonn, den 9. Mai 1972 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 9 Umdruck 283 (neu) Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des von der Bundesregie- 10962 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) — Drucksachen VI/3010, VI/3307 —. Das Gesetz über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) legt den Güterverkehrsunternehmen, die den Berlinverkehr bedienen, schwerwiegende Verpflichtungen auf. Um diesen Verpflichtungen und den auch weiterhin vorhandenen besonderen Verhältnissen im Güterverkehr von und nach Berlin (West) gerecht zu werden, muß ein Höchstmaß an Rechtssicherheit gewährleistet sein. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, alle wichtigen Fragen, die im Gesetz nur global behandelt wurden und einer detaillierten Auslegung bedürfen, besonders zu regeln. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, zur Durchführung des Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) eine Rechtsverordnung zu erlassen, in der bestimmt ist, welche Zollbehörden für die Ermächtigung zur Selbstverplombung von Unternehmen zuständig sind und welche Auflagen diese Unternehmen erfüllen müssen, damit das Verfahren ordnungsgemäß ist und den Bestimmungen des Abkommens über den Transitverkehr entspricht. Die Bundesregierung wird außerdem aufgefordert, Zolldienstanweisungen zu erlassen, in denen bestimmt wird, 1. welche Bautypen von Transportmitteln nicht verschlußfähig sind; 2. welche Arten von Gütern sich nicht für einen Transport unter Verplombung eignen; 3. wer in den unter 1. und 2. genannten Fällen für die Ausstellung von Ausnahmegenehmigungen zuständig ist und in welcher Form sowie in welchem Verfahren solche Bescheinigungen erteilt werden. Bonn, den 17. Mai 1972 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 10 Umdruck 284 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) — Drucksachen N/3010, VI/3307 —. Die in dem Gesetz über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und nach Berlin (West) vorgesehene Verplombungspflicht macht vor allem für Transportunternehmen, die nicht am internationalen Güterverkehr teilnehmen, erhebliche Umrüstungen an den Transportmitteln notwendig. Die Kosten für diese Umrüstung, die je Lastzug etwa 5000 DM betragen, würden bei den in erster Linie im Berlinverkehr eingesetzten kleinen und mittleren Unternehmen wirtschaftlich kaum tragbare Belastungen mit sich bringen. Eine Übernahme dieser Kosten durch den Bund ist daher erforderlich. Hierfür haben sich alle Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses sowie der Straßenverkehrstag der FDP am 8. April 1972 in Stuttgart ausgesprochen. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, den Unternehmen des privaten Transportgewerbes die aufgrund der Bestimmungen des Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) entstehenden Kosten für die Herrichtung der Zollverschlußfähigkeit der überwiegend im Berlin-Verkehr beschäftigten und bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu erstatten und entsprechende Mittel bereitzustellen. Bonn, den 9. Mai 1972 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 11 Umdruck 286 Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) — Drucksachen VI/3010, VI/3307 —. Die Bundesregierung wird ersucht: 1. Die Bundeszollverwaltung in personeller und sachlicher Hinsicht so auszustatten, daß der Berlinverkehr in der einfachsten, schnellsten und günstigsten Weise durchgeführt werden kann; 2. In Fällen, in denen Transportunternehmen durch die Belastung mit Umrüstungskosten für die verschlußsichere Herrichtung von Transportmitteln in ihrer Existenz beeinträchtigt werden, eine Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Mai 1972 10963 Finanzhilfe, insbesondere durch die Gewährung von niedrig verzinslichen oder zinslosen Darlehen vorzusehen. Bonn, den 10. Mai 1972 Wehner und Fraktion Mischnick und Fraktion Anlage 12 Umdruck 285 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) — Drucksachen VI/3010, VI/3307 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, über Erfahrungen mit der Verplombung von Leerfahrzeugen dem Bundestag nach einer angemessenen Frist zu berichten und eine erneute Überprüfung einer Freistellung der Leerfahrzeuge vom Verplombungszwang für den Fall vorzunehmen, daß die gesammelten Erfahrungen dies nahelegen. Bonn, den 10. Mai 1972 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die hinter uns liegende große Auseinandersetzung hier im Hause und draußen hat uns allen noch einmal klargemacht, daß die Abstimmung, die wir heute vornehmen werden, in das Leben dieses Landes tief eingreift. Noch nie hat eine Frage die Gemüter unseres Volkes so erregt, noch nie sind sich die Meinungsfronten so unerbittlich gegenübergestanden. Wir können davon nicht überrascht sein. Nur an wirklich großen Zielen vermögen sich die Geister zu scheiden. Die großen Ziele müssen uns am Ende aber auch wieder zusammenführen, und der Friede in unserem Lande, der Friede mit unseren Nachbarn und der Friede in der Welt ist ein solches Ziel. Es gibt Augenblicke, da muß man im Machtkampf einmal anhalten, da muß man den notwendigen Parteienstreit unterbrechen, da lasten die Interessen der Republik zu schwer, um einfach weitermachen zu können. Das darf nicht als Verkleistern der Gegensätze oder Verwischen der Fronten mißverstanden werden; es sind einige Minuten



    Bundesminister Scheel
    Atempause in der konfliktschwangeren Geschichte dieser Jahre innenpolitischer Hochspannung und knappster Mehrheitsverhältnisse.
    Meine Damen und Herren, wer hätte mehr Verständnis für den Wunsch einer Fraktion, einer Partei nach Geschlossenheit bei der Abstimmung als ich selbst! Denn auch in der Partei der Freien Demokraten haben diese Verträge gezerrt. Treue und alte Freundschaften sind darüber zerbrochen. Wir beklagen das. Und trotzdem: hier geht es um mehr als nur Fraktionsdisziplin, so wichtig sie sein mag. Es geht um die Nation. Es geht um die Frage, wo jeder einzelne Abgeordnete selber steht, was er persönlich verantworten kann vor sich und vor der Geschichte, vor allem aber vor den Menschen in unserem geteilten Land.
    Die Frage darf erlaubt sein, ob eine Stimmenthaltung dem gerecht wird. Die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewußt, daß es sich um eine tiefgreifende Entscheidung handelt. Sie hat einerseits mit der Überwindung der Vergangenheit zu tun, sie berührt andererseits die Zukunft der unteilbaren deutschen Nation, die sich ihre Einheit unter Opfern und Kämpfen errungen hat. Diese Entscheidung greift auch in die Erlebnisse und Erinnerungen der Menschen ein, die nach dem zweiten Weltkrieg und durch den zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren haben.
    Dies allein gebietet uns, die entstandenen Meinungsfronten zu respektieren. Nicht einmal durch Worte sollten wir die kaum vernarbten Wunden aufreißen. Wir haben das in der Hitze des Gefechts vielleicht manchmal übersehen. Allerdings sollte man erwarten, daß auch die kritische Wertung der Politik der Bundesregierung in einer maßvolleren Sprache geführt wird, als dies manchmal geschehen ist. Sosehr die Erinnerungen und Gefühle, die sich auf das ganze Deutschland beziehen, unsere taktvolle Achtung verdienen, sowenig können wir übersehen, daß sich heute im Jahre 1972 neue Fragen stellen, die der Zukunft des Friedens auf unserem Kontinent gelten. Die Lage in Ost und West, in der wir unsere außenpolitischen Interessen zu vertreten haben, ist in einem starken Wandel begriffen. Europäische Partner und atlantische Verbündete sind von diesem Wandel erfaßt. Wir müssen mit ihnen Tuchfühlung halten, wenn wir den Boden unter den Füßen nicht verlieren, sondern unsere Grundsätze in einer veränderten Welt bewahren wollen.
    Die Auseinandersetzung über die Verträge war hart. Wir und andere außerhalb der Bundesrepublik Deutschland haben zuweilen besorgt die Frage gestellt, ob die Diskussionen schließlich zu einer gefährlichen Polarisierung der politischen Kräfte in diesem Lande führen würden. Manch einer mag sich gefragt haben, ob unsere junge Demokratie wohl auch mit Fragen dieser Tiefe und Reichweite im Rahmen ihrer Institutionen fertig werden würde. Ich glaube, heute am Ende einer langen und leidenschaftlichen Auseinandersetzung dürfen wir auf allen Bänken dieses Hauses feststellen: die zweite deutsche Republik hat diese Probe trotz allem bestanden. Bei knappsten Mehrheitsverhältnissen hat sie den Kurs gehalten, ihre innere Stärke bewiesen und die Gemeinsamkeit aller Demokraten in diesem Lande bewahrt. Wir kennen Beispiele aus der Geschichte und der Gegenwart demokratischer Staaten, die mit ihren nationalen Fragen nicht fertig geworden sind. Da, wo Gewalt und Unduldsamkeit die Argumente erst einmal verdrängt haben, ist für die Demokratie wenig Platz.
    Die Bundesrepublik Deutschland ist heute und morgen bereit, das Verhältnis der beiden deutschen Staaten so zu regeln, daß für die Menschen die Teilung erträglicher gemacht wird. Wir dürfen nicht zulassen, daß durch Feindseligkeit, Verbohrtheit oder Gleichgültigkeit das Ziel der Einheit der Nation endgültig verschüttet wird. Alle Welt weiß, daß die Deutschen der Bundesrepublik die Einheit der Nation nicht als einen Rückfall in nationalistische Übertreibungen verstehen. Seit 1949 hat die Bundesrepublik Deutschland immer wieder entschlossen ihren Beitrag geleistet, um den europäischen Nationen eine über das Nationale hinweg übergreifende Einheit zu ermöglichen. Auch in der europäischen Politik hat der Methodenstreit zwischen den Parteien niemals das gemeinsame Streben nach der europäischen Einheit in Frage stellen können. Heute und in Zukunft wird die Hoffnung der gegenwärtigen und der kommenden Generationen auf ein vereintes Europa gerichtet sein. Die Bundesrepublik Deutschland wird wie bisher zur Festigung und Entwicklung der Gemeinschaften beitragen.
    Diese Europäischen Gemeinschaften bilden die Grundlage für eine moderne Gesellschaft. Die Jugend erhält die für sie so wichtigen Ziele und einen neuen Horizont ihrer Möglichkeiten. Die neuen Grenzen Europas — um einen Begriff Kennedys zu zitieren — werden in dem Maße sichtbar, wie die alten nationalen Grenzen an Bedeutung verlieren, indem sie die Völker zusammenführen anstatt sie zu trennen. Dies gilt für den Osten ebenso wie für den Westen. Die politische Union Europas wird und soll das Einigungswerk krönen. In einer Welt der Unsicherheit und der tiefgreifenden Veränderungen muß Europa mit einer Stimme sprechen. Dann wird es sich in der Welt wieder Gehör schaffen können. So wird die Politik der Entspannung und der Zusammenarbeit zwischen Ost und West in Europa bisher von den gemeinsamen Wünschen der europäischen Völker und Regierungen getragen, und sie wird weiter von diesen gemeinsamen Wünschen und dem gemeinsamen Willen getragen werden.
    Die Durchführung wird in Zukunft, so hoffen wir, Sache eines einheitlich und gemeinsam organisierten Willens sein. Die bereits bestehende politische Zusammenarbeit der EWG-Partner muß auf der bevorstehenden europäischen Gipfelkonferenz das dazu notwendige Instrumentarium erhalten. Die Vertretung der uns alle berührenden europäischen Interessen auf der europäischen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit wird eine erste wichtige Gelegenheit bieten, gemeinsam aufzutreten und gemeinsam zu handeln. Sicherheit durch Abschreckung wo erforderlich, Zusammenarbeit durch Enspannung wo möglich — dies ist das auf zwei Säulen ruhende Konzept der Atlantischen Allianz des Jahres 1972.



    Bundesminister Scheel
    In dieses Konzept fügen sich die Ostverträge nahtlos ein. Jedermann kann sich leicht ausmalen, was ein Scheitern dieser Verträge für die Zusammenarbeit des Bündnisses bedeuten würde. Am deutlichsten hat das wohl vor einigen Tagen noch Averell Harriman ausgesprochen, den ich zitieren möchte. Er sagte:
    Mit der Ablehnung der Verträge wäre die Möglichkeit weiteren Fortschrittes verloren. Es gäbe keine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; die Verhandlungen über beiderseitige ausgewogene Verminderung von Truppen und Rüstung in Europa würden ausgesetzt werden. Das Versagen Westdeutschlands,
    — so sagte er —
    durch die Ratifizierung des Vertrages, den seine Regierung ausgehandelt hat, die Spannung zu mindern, würde im Kongreß
    — im amerikanischen Kongreß —
    die Unterstützung für große einseitige Rückzüge der US-Streitkräfte in Europa verstärken.
    Das sagte Harriman, der nicht irgend jemand ist. Er ist ein Mann von Ansehen und Gewicht, und man sollte seine Äußerungen ernst nehmen.
    Aber auch ohne diese Hinweise ist doch leicht einzusehen, daß eine Bundesrepublik, die für die gemeinsame Politik der Allianz einen Hemmschuh darstellt, so gut wie keine Möglichkeit mehr hat, einen positiven Einfluß im Sinne unserer Interessen auszuüben. Vor allem geht es hier um unseren Einfluß auf den Weg, den die europäische Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit und die Verhandlungen über gegenseitige ausgewogene Truppenreduzierungen einschlagen werden. In beiden Verhandlungskomplexen geht es um primäre deutsche Interessen.
    Um deutsche Interessen wird es auch gehen, wenn Präsident Nixon am 22. Mai zu Gesprächen mit der sowjetischen Führung nach Moskau fährt. Wir wissen alle, daß Präsident Nixon auf seiner Reise von schweren Sorgen begleitet sein wird. Er will und muß einen Durchbruch zum Frieden in Vietnam erreichen. Wir Deutschen, die wir der Freundschaft und dem Engagement der Vereinigten Staaten für unsere militärische Sicherheit so viel verdanken, sollten diese Mission des Präsidenten nicht noch erschweren oder gar ihr Scheitern herbeiführen. Wie würde dieser Besuch in Moskau wohl enden, wenn er sich im Schatten einer Ablehnung der Verträge im Deutschen Bundestag abspielen müßte? Es gibt im Leben der Nationen, auch der großen und mächtigen, Augenblicke, wo die Treue und die Dankbarkeit eines Bündnispartners eine Rolle spielen, und das sollten wir nicht vergessen.
    Bei den Gesprächen zwischen den beiden Supermächten geht es um bedeutende Dinge. Der offene Krieg in Ostasien ist zu beenden; der schwelende Krieg im Nahen Osten ist auszutreten. Die Lage im Mittelmeer muß geklärt werden. In Moskau geht es im großen um dasselbe, was wir mit unseren bescheidenen Mitteln tun wollen.

    (Unruhe.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Einen Augenblick bitte, Herr Außenminister. Darf ich bitten, die Unterhaltungen, falls sie geführt werden müssen, etwas weiter im Hintergrund und nicht hier vorne zu führen. Sonst werden diejenigen, die der Verhandlung folgen wollen, gestört.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Es geht um den Versuch, von der Konfrontation zur Kooperation zu kommen. Der Zusammenhang zwischen dem Verhältnis der beiden Großen zueinander und dem Verhältnis zwischen den europäischen Staaten in Ost und West ist evident. Weil der Friede und die Sicherheit unteilbar sind, müssen auch die Anstrengungen hierfür unteilbar sein. Mit den Verträgen übernimmt die Bundesrepublik Deutschland ihren Anteil an den Bemühungen um mehr Frieden in der Welt.
    Die Verträge sind nicht das Ergebnis eines leichten, harmonischen Meinungsaustauschs gewesen, sondern ein hart errungener Ausgleich im Schatten zweier Menschenalter von Mißverständnissen und schweren Konflikten. Es kann das erste ausgehandelte Resultat keine Bestätigung deutscher Fernziele und Hoffnungen sein. Es zeichnet einen gewiß mühsamen Weg der Verständigung vor, einen Weg, der durch die politische Landschaft Osteuropas hindurchführen muß so, wie sie vom schrecklichsten Krieg der Geschichte gestaltet wurde.
    Meine Damen und Herren! Von den schweren und weltbedrohenden Krisen der Nachkriegszeit wurden zwei in Europa selbst entzündet. Beide Male geschah das in Berlin. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn mit dem amerikanischen Präsidenten und den Regierungen der Drei Mächte die ganze Welt auf die Lage Berlins nach diesen Verträgen blickt. Hier soll erwiesen werden, ob zwischen den Supermächten ein teil- oder schrittweiser Abbau des politischen Zündstoffs möglich ist oder nicht.
    Es ist aller Welt bekannt, daß die Berlin-Regelung der Vier Mächte und diese Verträge sachlich zusammenhängen. Sicherlich ist rechtlich zutreffend, daß der Bundestag über diese Verträge zu befinden hat und über nichts anderes. Aber wir können unserer realen Verantwortung nicht entfliehen. Es ist meine Pflicht, jeden Zweifel darüber zu tilgen, welche Interessen der Berliner, welche Interessen unseres Volkes und letztlich der ganzen Welt mit der Ratifizierung verknüpft sind. Warum machen wir denn dies alles, wenn nicht zum Wohle der Menschen, die an den Lasten der Teilung am schwersten zu tragen haben?!
    Die ernsthaften Anstrengungen von uns allen, die Argumente der Opposition und die gemeinsame Entschließung, die von allen drei Fraktionen im Deutschen Bundestag eingebracht wurde, sollten dem Vertragswerk eine breitere Mehrheit verschaffen. Die Bundesregierung würdigt ohne Vorbe-



    Bundesminister Scheel
    halte und ohne Hintergedanken die politische Leistung des Oppositionsführers in diesen schweren Wochen. Seine Bemühungen hätten es verdient gehabt, von seiner Fraktion honoriert zu werden.

    (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: Ist doch unsere Sache! — Abg. Dr. Hammans: Das geht Sie gar nichts an!)

    Doch leider ist das nicht geschehen.
    Wir bedauern das aus einem sachlichen Grunde: weil die gemeinsame Entschließung, der die CDU/ CSU ja zustimmen wird, wie Herr Dr. Kiesinger soeben gesagt hat, durch die angekündigte Enthaltung bei der Abstimmung einfach an Wert verlieren wird. Das wird man ja wohl nüchtern und objektiv feststellen dürfen.

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir, meine Damen und Herren, werden uns an unseren Teil der Gemeinsamkeit halten. Die Entschließung des Deutschen Bundestages, die von allen Fraktionen eingebracht wurde, wird dem Vertreter der Sowjetunion als ein Dokument der Bundesrepublik Deutschland, das sich die Bundesregierung zu eigen macht, förmlich übergeben. Man kann davon ausgehen, daß sie dem Präsidium des Obersten Sowjet, das das Ratifizierungsverfahren noch nicht abgeschlossen hat, bekannt wird und daß ihre widerspruchslose Entgegennahme jenen bedeutenden Tatbestand unterstreicht, den die Bundesregierung immer wieder betont hat: daß die Entschließung nicht im Widerspruch zu den Verträgen steht. Die Verträge, die hier zur Abstimmung vorliegen, nehmen keine friedensvertragliche Regelung für Deutschland vorweg. Sie sind also weder ein Teil- noch ein Ersatzfriedensvertrag. Wir haben uns bei den Verhandlungen an den Richtpunkten des Grundgesetzes orientiert, und wir haben klargestellt, daß die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes und Berlin fortbestehen.
    Doch die Bundesrepublik Deutschland hat sich im Art. I des Warschauer Vertrages verpflichtet, die Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens nicht in Frage zu stellen. Dies gilt ohne Einschränkung, solange es die Bundesrepublik Deutschland gibt. Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit gegenüber dem polnischen Volk, dies jetzt zu sagen, und es ist ebenso ein Gebot der Ehrlichkeit gegenüber den Vertriebenen in unserer Bevölkerung und ihren Kindern, die für viele von uns die Hauptlast des verlorenen Krieges getragen haben.
    Meine Damen und Herren, ich habe in den letzten Tagen wie sicher auch Sie aufmerksam die Stimmen des Auslands zu den politischen Vorgängen in der Bundesrepublik registriert. Mir ist dabei wieder einmal klargeworden, wie dünn das Fundament im Osten und im Westen ist, auf dem wir diesen Völkern entgegengehen, wenn wir um ihr Vertrauen werben und bitten. Ich wage zu behaupten, daß das Ausland am Geschick unseres Staates noch nie so intensiv und konzentriert anteil genommen hat wie in diesen Tagen. Ich sage das nicht in einem parteipolitischen Interesse, sondern ganz im Gegenteil. Die Bundesrepublik Deutschland kann es sich nicht leisten, die Meinungen der engeren und weiteren Nachbarn zu ignorieren oder gar über sie hinwegzugehen. Diese Verträge sind zu sehen nicht nur im Zusammenhang mit der großen politischen Umwelt der Gemeinschaften und des Bündnisses, sondern auch im Hinblick auf das Bild, das unsere Freunde sich von uns machen. Die Ablehnung dieser Verträge würde zu einer allgemeinen Enttäuschung der Menschen in der Welt führen, die so vieles, was die Demokraten dieses Landes in den letzten 23 Jahren gemeinsam an Vertrauenskapital angesammelt haben, wieder zerstören müßte.
    Meine Damen und Herren, ich möchte Sie daher trotz der mir bekannten Vorentscheidung bitten, Ihre Stimme diesen Verträgen zu geben. Ich appelliere an Sie, meine Damen und Herren, nicht nur weil dies meine Pflicht als Außenminister dieses Landes ist, sondern auch aus der Überzeugung heraus, daß unser Volk die Aussöhnung mit den osteuropäischen Völkern braucht, so wie diese Völker uns brauchen, um den doppelten Torso Europa wieder zusammenzufügen. Ich bitte Sie darum, meine Damen und Herren, weil ich der Überzeugung bin, daß meiner Generation, die die Schrecken des zweiten Weltkriegs von Anfang bis zu Ende miterlebt hat,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

    die Aufgabe gestellt ist, den Schlußstein in das Gewölbe der Aussöhnung und des Friedens in Europa endlich einzufügen. Meine Generation war an dem Kriegsgeschehen beteiligt. Ob sie es will oder nicht, sie trägt eine Verpflichtung. Sie darf diese Last nicht auf kommende Generationen abwälzen.
    Gustav Stresemann, der sich in dem Bemühen um die Überwindung von Kriegsfolgen aufgerieben hat, sagte in seiner mutigen Rede zur Aufgabe des passiven Widerstands im Jahre 1923: „Wir sind hier diejenigen, die zu kämpfen haben für die, die nach uns kommen." Das, meine Damen und Herren, gilt auch heute.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)