Rede von
Dr.
Horst
Ehmke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Strauß sehr dankbar, daß er hier in der Debatte doch noch das Wort ergriffen hat, weil es ja auch über die Reihen der Opposition hinaus bekannt ist, daß er -- und nicht etwa Herr
Barzel — der Architekt der Politik der Konfrontation um der Konfrontation willen ist.
Ich muß allerdings sagen: dies ist noch kein Grund, Herr Kollege Barzel, so wie Sie es in Ihrer Eröffnungsrede getan haben, Ihrem politischen Gegner und vor allen Dingen dem Herrn Bundeskanzler gegenüber den politischen und menschlichen Anstand zu verletzen.
Wenn Sie das für eine Empfehlung für Ihren Parteitag halten, kann ich nur sagen: Arme CDU!
Mir sind die Gründe sehr klar, die Herrn Kollegen Strauß zu dieser Politik treiben. Er hat sie selbst mehrfach unterstrichen. Erstens ist eine Politik der Konfrontation statt der sachlichen, auch der harten sachlichen Diskussion besser für ihn, weil sie es ihm ermöglicht, die Krise herbeizureden, in der man den Leuten vielleicht doch noch einreden kann, daß man ihn nicht nur reden lassen sollte.
Zweitens wird spekuliert, daß die Politik der Konfrontation die Einheit der Opposition retten kann, die ja, wenn es um positive Dinge geht — das haben wir in diesem Haus oft erlebt —, nicht vorhanden ist.
Drittens ist es die Spekulation, daß man mit dieser Art Konfrontation die politischen Ressentiments in diesem Lande weckt, um damit Stimmen zu bekommen.
Denn sehen Sie: es ist ja nicht nur so, daß Sie eine bestimmte Art von Kritik an unserer Ostpolitik anbringen, Herr Kollege Strauß, die Zwischenrufe „Jalta" werden Sie nicht so leicht geographisch und mit Herrn Kempski ausräumen können, und das wird ja auch innenpolitisch ergänzt. Ich lese mit großem Interesse, Herr Strauß, was Sie sagen und was Herr Barzel in Bremen nachgesprochen hat. Es soll nun der Schreck der Ostpolitik nach außen innenpolitisch durch den Sozialistenschreck ergänzt werden. Da allerdings die politische Aufklärung in diesem Lande fortgeschritten ist, geht das nicht mehr so leicht wie noch vor einigen Jahren mit dem Bolschewistenschreck.
Ich bin der Meinung, daß man Sie doch fragen muß, Herr Kollege Strauß und auch Herr Kollege Barzel: haben Sie keine Angst, auch nicht in Ihren stillen Stunden, daß eine solche Politik, die keine Rücksicht nimmt auf die Interessen unseres Landes
Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 135. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 23. September 1971 7935
Bundesminister Dr. Ehmke
und auf das, was für die Menschen im anderen Teil Europas erreicht werden kann, die Grundmuster des politischen Ungeistes in diesem Lande wieder ins Leben rufen könnte?
Haben Sie nicht Angst, daß der Weg, auf den Sie sich jetzt begeben haben, den Satz widerlegen könnte, daß Bonn nicht Weimar sei? Nun, wenn die besonnenen Kräfte in der CDU/CSU dieser Versuchung nicht widerstehen können, dann werden die sozial-liberalen Kräfte in diesem Lande die Herausforderung anzunehmen haben.
Wir werden die Auseinandersetzung besonnen und hart führen.
Aber ich darf vielleicht doch noch einmal daran erinnern, Herr Kollege Strauß — hören Sie mir doch zu, Herr Kollege Strauß, ich habe Ihnen doch auch zugehört! , daß es ja nicht die erste Stunde ist, in der wir in diesem Haus den Versuch machen,
den Platz unseres Volkes und den Platz dieses Staates in der Geschichte und in der gegenwärtigen politischen Situation zu bestimmen. Was ist seine Aufgabe? Was steht geschichtlich vor uns?
— Es wäre gut, wenn Sie auch einmal ernsthaften
Ausführungen folgen könnten, Herr Kollege Haase.
Ich wollte an die Situation erinnern, in der die Kräfte unseres Volkes, die aus Hitlers Konzentrationslagern kamen -- Katholiken, Protestanten, Sozialdemokraten, Humanisten und Liberale —, sich zusammenfanden, um hier einen demokratischen Staat zu gründen,
der alles das nicht wieder zuließe, der den nationalistischen Ungeist ausschlösse, der durch die Politik der Konfrontation nun wieder beschworen wird.
Herr Kollege Strauß, ich glaube, daß das Lebensprinzip der Demokratie immer noch am schönsten durch das Wort umschrieben wird, daß Freiheit das Geheimnis des Glücks und Mut das Geheimnis der Freiheit ist.
Ich frage Sie, Herr Kollege Strauß: Fällt es so schwer, zuzustimmen, daß dieses Prinzip in der deutschen Geschichte keinen größeren und hartnäckigeren Verteidiger gehabt hat als die deutsche Sozialdemokratie.
— Sehen Sie, dieser Zuruf „hatte!" ist genau der Punkt, an dem ich die Nachdenklichen unter Ihnen festnageln möchte. Wollen Sie tatsächlich dieses Werk, das aus der Erfahrung des Dritten Reichs geboren ist, diesen demokratischen Staat wieder in Frage stellen,
indem Sie einen politischen Gegner, mit dessen Meinung Sie nicht übereinstimmen, in der Weise zu verteufeln suchen, in der Sie es auch heute wieder getan haben?
Wir waren uns im übrigen schon einmal darüber einig, daß allein die Einbindung in den Westen eben nicht die Probleme, deren Bewältigung uns gemeinsam am Herzen liegt, vor allem das Problem der deutschen Einheit, löst; alle Vorbehalte und alle Parolen und alles Protestieren haben den Menschen in der DDR das Leben nicht ein Stück erleichtert. Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen.
Unsere Verbündeten sind sehr froh — sie sagen das in allen ihren Erklärungen —, daß sie es jetzt mit einer deutschen Regierung zu tun haben, die im Zusammenhang mit dem Versuch der Vereinigten Staaten — u. a. in den SALT-Gesprächen —, zur Entspannung mit der Sowjetunion zu kommen, ihren Beitrag leistet, eine bessere Ordnung in Europa zu schaffen.
Ich bin der Meinung, es ist nicht gut — auch im Interesse der Regierung nicht —, wenn eine so große und wichtige Kraft der deutschen Politik wie die Opposition sich durch ihr Nein aus Prinzip in eine Situation manövriert, in der sie ihre Verbindungen mit dem Westen schwächt.
Meine Damen und Herren, eines muß Ihnen doch zu denken geben.