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ID0612100200

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    Deutscher Bundestag 121. Sitzung Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1971 Inhalt: Glückwunsch zum Geburstag des Abg. Dr. Freiwald 6979 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 6979 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 6979 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Schiller, Bundesminister 6979 D, 7013 C Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 6984 C Junghans (SPD) . . . . . . . . 6991 C Mertes (FDP) . . . . . . . . 6995 D Brandt, Bundeskanzler 6999 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 7004 D Dr. Erhard (CDU/CSU) . . . . . 7011 C Kienbaum (FDP) . . . . . . . . 7014 D Dr. Apel (SPD) 7016 C Strauß (CDU/CSU) 7018 A Dr. Arndt (Berlin) (SPD) 7027 B Dr. von Bismarck (CDU/CSU) . . 7031 D Dorn (FDP) 7033 D Leicht (CDU/CSU) 7037 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 7039 A Kirst (FDP) . 7039 B Nächste Sitzung 7040 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 7041 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1971 6979 121. Sitzung Bonn, den 11. Mai 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 15. 5. Dr. Aigner * 11. 5. Alber ** 15. 5. Amrehn ** 15. 5. Bals ** 15. 5. Bauer (Würzburg) ** 15. 5. Behrendt * 11. 5. Dr. Birrenbach 14. 5. Blumenfeld ** 15. 5. Frau von Bothmer 14. 5. Dasch 15. 5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus ** 15. 5. Dr. Dittrich * 14. 5. Draeger ** 15. 5. Dr. Enders ** 15. 5. Fellermaier 21. 5. Fritsch ** 15. 5. Dr. Früh 11.5. Dr. Fuchs 14. 5. Dr. Furler ** 15. 5. Geldner 31. 5. Freiherr von und zu Guttenberg 15. 5. Dr. Hallstein 13. 5. Frau Herklotz ** 15. 5. Dr. Hermesdorf (Schleiden) ** 15. 5. Hösl ** 15. 5. Horstmeier 11.5. Jung 11.5. Dr. Jungmann 14. 5. Kahn-Ackermann ** 15. 5. Dr. Kempfler ** 15. 5. Dr. Kiesinger 11.5. Frau Klee** 15. 5. Dr. Klepsch ** 15. 5. Dr. Kley 15. 5. Dr. Kliesing (Honnef) ** 15. 5. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Koch * 14. 5. Lemmrich ** 15. 5. Lenze (Attendorn) ** 15. 5. Liehr 11.5. Dr. Löhr * 15. 5. Maucher 26. 6. Meister * 12. 5. Memmel * 14. 5. Müller (Aachen-Land) * 14. 5. Dr. Müller (München) ** 15. 5. Pöhler ** 15. 5. Porzner 11.5. Dr. Reinhard 14. 5. Frau Renger 15. 5. Richter ** 15. 5. Riedel (Frankfurt) * 14. 5. Dr. Rinderspacher ** 15. 5. Rollmann 18. 5. Roser ** 15. 5. Dr. Schmid (Frankfurt) ** 15. 5. Dr. Schmidt (Gellersen) 14. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 15. 5. Dr. Schmücker ** 15. 5. Dr. Schulz (Berlin) ** 15. 5. Schwabe * 11.5. Dr. Siemer 14. 5. Simon 14. 5. Stein (Honrath) 15. 5. Frau Dr. Walz ** 15. 5. Dr. von Weizsäcker 14. 5. Wende 15. 5. Wienand ** 15. 5. Dr. Zimmermann 11. 5. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates
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    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am 9. Mai ein umfassendes außen- und binnenwirtschaftliches Stabilisierungsprogramm beschlossen. Sie setzt damit ihren Stabilitätskurs konsequent fort.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Dieses neue Programm ist notwendig geworden, weil sich in den letzten Monaten mehr und mehr zusätzliche außenwirtschaftliche Gefahren für unseren Geldwert abzeichneten. Dadurch wurden die Chancen für eine binnenwirtschaftliche Stabilisierung immer stärker gemindert. Der Erfolg der Maßnahmen vom Juli vorigen Jahres und der Maßnahmen der Bundesbank, ein Erfolg, der sich noch um die Jahreswende 1970/71 deutlich abzeichnete, wurde dadurch gefährdet.



    Bundesminister Dr. Schiller
    Seit mehreren Monaten haben sich die Liquiditätszuflüsse aus dem Ausland verstärkt und den Handlungsspielraum von Bundesbank und Bundesregierung eingeschränkt. Schon im zweiten Halbjahr 1970 hatte die Bundesbank ihre zinspolitischen Restriktionsmaßnahmen mehrfach aus außenwirtschaftlichen Gründen auflockern müssen. Trotz der Diskontsenkungen ist der Zustrom an internationalem Geld in die Bundesrepublik nicht versiegt. Im Gegenteil, im Jahre 1970 stiegen die internationalen Devisenreserven in der ganzen Welt um insgesamt 12 Milliarden Dollar an. Davon hat die Deutsche Bundesbank allein die Hälfte, 6 Milliarden Dollar, verkraften müssen. Insgesamt sind die Liquiditätszuflüsse in die Bundesrepublik seit August vorigen Jahres bis Mai dieses Jahres auf rund 40 Milliarden DM angewachsen. Schon im März des Jahres — das ist die letzte statistische Angabe — lag die interne Geldmenge in der Bundesrepublik um 22,5 % über dem Vorjahresstand. Dadurch wurde die Bundesbandkpolitik unterlaufen, und dadurch wurden auch die Rahmenbedingungen für ein stabilitätsgerechtes Verhalten der autonomen Gruppen, der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften, mehr und mehr geschwächt. Die Spielräume für Preis- und Lohnerhöhungen in diesem Jahr wurden damit vielmehr erneut wieder ausgeweitet. Aus binnenwirtschaftlichen wie aus außenwirtschaftlichen Gründen bleibt daher die Preisstabilität das zentrale wirtschaftspolitische Problem.
    Das nach wie vor gute Abschneiden der Bundesrepublik bei den Lebenshaltungskosten im internationalen Vergleich ist für uns kein Trost. Der internationale Inflationstrend kann für die Bundesrepublik kein Maßstab sein. In zehn wichtigen Handelspartnerländern der Bundesrepublik hat sich der Preisanstieg von 3,7 % im Jahre 1966 auf 5,8 % im Jahre 1970 beschleunigt. In diesem Jahresvergleich 1970 gegenüber 1966 hat sich der Preisanstieg in der Bundesrepublik nicht verstärkt. Aber einem gleichzeitig zunehmenden inflationären Sog im Ausland kann sich ein Land mit offenen Grenzen, mit freiem Kapital- und Güterverkehr über die Grenzen und bei festen Wechselkursen allenfalls vorübergehend entziehen.
    Die Bundesregierung war daher erneut zu schnellem Handeln verpflichtet. Sie stellt damit eindeutig klar, erstens, daß sie die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sehr ernst nimmt, zweitens, daß sie den Bedingungen für ein gemeinsames stabilitätskonformes Bemühen des Staates und der großen gesellschaftlichen Gruppen eine neue feste Basis geben will.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung hat sich ihre Entscheidung nicht leichtgemacht. Auch die Opposition weiß das; sie ist allein in fünf Konsultationsgesprächen am Meinungsbildungsprozeß der Bundesregierung beteiligt worden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Oho-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung hat ihr Programm mit der Deutschen Bundesbank, den Vertretern der Wirtschaft und dem Sachverständigenrat. eingehend beraten, und sie hat entsprechend den Beschlüssen des Ministerrats vom 8./9. Februar 1971 auch die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu den währungspolitischen und binnenwirtschaftlichen Maßnahmen vorher eingehend konsultiert.
    Wir haben in Brüssel zwar keinen völligen Konsensus erreichen können; wir haben kein Reformdekret für alle Mitgliedstaaten erreicht. Aber wir haben im Ministerrat gemeinsam ein Toleranzedikt beschließen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir standen und stehen in unserem Bemühen um eine gemeinsame Lösung also nicht isoliert da. Wir wurden nicht zu einem Alleingang gezwungen, und wir werden nicht nachlassen, nach gemeinsamen Lösungen in den internationalen Währungsfragen zu suchen und auch das Ziel der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion energisch weiter zu verfolgen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer die ökonomischen Bewegungen im internationalen Währungsraum sorgfältig beobachtet hat, ist von der jüngsten Entwicklung nicht überrascht worden. Die Dollarflut der letzten Tage bis zur Schließung der Devisenbörsen am Mittwoch der vergangenen Woche war Ergebnis und Höhepunkt einer langen Entwicklung. Diese Gesamtentwicklung, die — wie gesagt — tief in das vorige Jahr hineinragte, kann nicht das Ergebnis eines einzigen Gutachtens oder einiger interner Konsultationen gewesen sein. Die eigentliche Spekulationswelle im Mai dauerte devisenbörslich genau einen Tag und eine Stunde. Die Währungsreserven der Bundesbank sind seit ihrem tiefsten Stand im Dezember 1969 bis Ende April 1971 — also lange vor der eigentlichen Schlußspekulationswelle — um rund 34,3 Milliarden DM auf rund 60 Milliarden DM angewachsen. Die spekulativen Gelder, die danach noch in die Bundesrepublik flossen, waren nur eine Fortsetzung des Trends, aber sie genügten, um das bis an den Rand gefüllte Faß mit internationaler Liquidität dann auch prompt zum Überlaufen zu bringen.
    Die Freigabe des D-Mark-Wechselkurses ab 10. Mai hat zum Ziel, die Basis für eine binnenwirtschaftliche Stabilisierung zu erneuern und zu festigen. Der absehbare Konjunkturverlauf läßt der Bundesregierung genügend Handlungsraum für ein abgewogenes Dämpfungsprogramm. Die Gefahr des Übersteuerns besteht gegenwärtig nicht. Der Abbau der konjunkturellen Spannungen hat sich nur langsam und nicht ohne Unterbrechungen vollzogen. Die Auftragslage der deutschen Industrie ist noch immer günstig. Der private Verbrauch wird sich infolge der kräftigen Einkommensexpansion auch weiterhin dynamisch entwickeln. Entsprechend der lebhaften Nachfrageexpansion nimmt auch die Industrieproduktion bei uns wieder stärker zu.
    Noch immer hat sich der Anstieg der Effektivverdienste nicht wesentlich abgeschwächt, und die Lage am Arbeitsmarkt ist nach wie vor angespannt. Angemessenes Wachstum und hoher Beschäftigungsstand in der Gesamtwirtschaft sind nicht in Gefahr.

    Bundesminister Dr. Schiller
    Im übrigen sind wir dank unserer finanziellen Reservenmassen, nämlich Konjunkturausgleichsrücklage und Konjunkturzuschlag, zum Gegenhalten gegen etwaige Tendenzen der Rezession besser gewappnet als jede Bundesregierung vorher.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, aus diesem kurzen Lagebericht folgt: Wenn wir die Stabilität im Innern ernsthaft wollen, müssen wir uns gegen den internationalen Preis- und Lohnzusammenhang und gegen die Liquiditätsüberschwemmung, in welche die Bundesrepublik seit Ende 1970 zunehmend geraten ist, abschirmen. Ohne außenwirtschaftliche Absicherung gibt es keine dauerhaften Fortschritte für die Stabilität, auch nicht, wenn der binnenwirtschaftliche Restriktionskurs hart und unerbittlich wäre. Ohne die währungspolitische Absicherung würden die geldpolitischen Instrumente der Bundesbank auf absehbare Zeit unwirksam bleiben.
    Ohne diese Maßnahme wäre auch eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik des Staates erfolglos, und ein stabilitätsgerechtes Verhalten der autonomen Gruppen bliebe ohne außenwirtschaftliche Absicherung eine pure Illusion. Das Stabilitätskonzept der Bundesregierung ist deshalb ein Konzept von außen- und binnenwirtschaftlicher Symmetrie. Wir haben ein beidhüftiges Programm vorgelegt.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Herr Barzel kennt das Wort schon seit acht Tagen, als ich ihm zum erstenmal unsere Pläne darlegte.

    (Abg. Dr. Barzel: Damals sollte ich das geheimhalten!)

    In der Tat, der Kampf gegen die Inflation und das Ringen um die Stabilität sind in einer integrierten Weltwirtschaft keine isolierte nationale Angelegenheit mehr. Darüber gab und gibt es keinen Zweifel, auch nicht in der Europäischen Gemeinschaft. Gerade deshalb haben sich die Mitgliedstaaten bei den Beschlüssen zur Wirtschafts- und Währungsunion am 9. Februar dieses Jahres einmütig auf unser Drängen hin zu einer Gemeinschaft der Stabilität und des Wachstums bekannt. Aber der Preis- und Kostenanstieg in den Mitgliedsländern steht heute eindeutig im Widerspruch zu den Zielen, die sich die Gemeinschaft schon in den Römischen Verträgen gesetzt hatte. Und er steht erst recht im Widerspruch zu den Zielen der Wirtschafts- und Währungsunion. Ganz im Einklang mit der Entschließung des Ministerrats vom 9. Februar dieses Jahres haben wir uns daher auf der letzten Tagung der Wirtschafts- und Finanzminister in Hamburg am 26. und 27. April in Europa um ein konzertiertes Vorgehen in den drängenden internationalen Währungsfragen bemüht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Beschlüsse verlangen, daß die Gemeinschaft als ganze bemüht bleibt, sich von einem nicht tolerablen internationalen Inflationstrend durch gemeinsame Aktionen abzuhängen. Das ist der Sinn der Beschlüsse vom 9. Februar. Und wir haben auch bei der Sondersitzung des Ministerrates in Brüssel um
    eine gemeinschaftliche Lösung gerungen. Unsere Bedingungen für ein solches gemeinschaftliches Handeln waren: Aussicht auf Erfolg, Effizienz der Maßnahmen einerseits und marktwirtschaftliche Qualität der Maßnahmen andererseits. Ein gemeinsames, ein „konzertiertes Floating" aller Mitgliedsstaaten gegen dem Dollar für eine Übergangszeit wäre nach unserer Überzeugung ein optimaler Weg gewesen. Die Bundesregierung hat dazu am 8. Mai in Brüssel ihren monetären Beistand für das Intervenieren in Gemeinschaftswährungen angeboten. Und diese Offerte, meine Damen und Herren, wurde von anderen Mitgliedstaaten ausdrücklich gewürdigt. Durch ein solches Vorgehen wären manche aktuelle Probleme des Dollars gemildert und den USA bei der Überwindung ihrer Zahlungsbilanzprobleme geholfen worden. Eine solche Maßnahme hätte die Gemeinschaft im Innern, insbesondere den gemeinsamen Agrarmarkt, überhaupt nicht gestört. Und ich darf hinzufügen: Es wäre auch gewiß ein Schritt vorwärts gewesen in eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion.
    Einige Mitgliedsländer haben die Chance dieses Augenblicks nicht genutzt. Die Gemeinschaft ist deswegen eben noch nicht so weit, ihre „eigene Währungspersönlichkeit" zu entwickeln. Aber niemand darf darüber hinwegsehen, daß eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als dauerhafte Integrationsgrundlage nur entstehen kann, wenn wir alle unser internes Stabilitätsproblem lösen. Das erfordert vielleicht auch ein Umdenken in den internationalen Währungsbeziehungen. John Maynard Keynes schrieb 1923 in seinem Traktat über die Währungsreform folgendes: „Nirgends hält man konservative Auffassungen für so angebracht wie in Währungsfragen; und doch ist nirgends die Notwendigkeit einer Neuorientierung dringender." Dieses Wort, so bedauerlich es für manchen sein kann, meine Damen und Herren, hat in einem halben Jahrhundert seine Gültigkeit nicht verloren.
    So ist es in der Gemeinschaft nur zu einem teilkonzertierten Verhalten gekommen. Dennoch haben alle Mitgliedstaaten, einstimmig alle Mitgliedstaaten, zugestimmt, daß einzelne Länder ihren Wechselkurs für begrenzte Zeit freigeben können, wenn ihre Devisenposition dies erforderlich erscheinen läßt. Die Niederlande haben sich wie die Bundesrepublik für eine Freigabe entschieden, Belgien hat sein System des gespaltenen Kurses ebenfalls der neuen Lage angepaßt. Einige europäische Nicht-Mitgliedsländer haben sich der ganzen Bewegung angeschlossen und durch Paritätsänderung ebenfalls die währungspolitischen Gründe auf ihre Weise in Angriff genommen.
    Die Bundesregierung verfolgt mit der zeitlich begrenzten Wechselkursfreigabe ein doppeltes Ziel: erstens Beseitigung des extremen Liquiditätsüberflusses in der Bundesrepublik und die Verhinderung neuer spekulativer Zuflüsse und zweitens einen preismäßigen Stabilitätseffekt für die Binnenwirtschaft.
    Entsprechend einem Wunsch der Bundesbank und des Ministerrats in Brüssel wird die Freigabe des Wechselkurses der D-Mark flankiert durch ein Ver-



    Bundesminister Dr. Schiller
    zinsungsverbot für Guthaben von Ausländern in der Bundesrepublik. Mengenmäßigen dirigistischen Kontrollen zur Abwehr der Auslandsgelder haben wir uns hier und in Brüssel erfolgreich und mit Nachdruck widersetzt. Die Erfolge unserer liberalen Handels- und Kapitalmarktpolitik, um die auch frühere Bundesregierungen ernsthaft und mühsam gerungen haben, darf niemand leichtfertig aufs Spiel setzen oder wegschenken.

    (Beifall bei den Regieungsparteien.)

    Mit einem Europa der Dirigismen wäre niemandem gedient, auch nicht Europa als ganzem.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Denn solche dirigistischen Techniken kurieren nur an Symptomen und vertagen das eigentliche Problem auf später. Die Unterstützung, die ich bei der Ablehnung dirigistischer Maßnahmen auch in Ihren Reihen gefunden habe, meine Damen und Herren von der Opposition, hat mich in dieser Frage nur bestärken können.
    Meine Damen und Herren, wir haben auch die hausgemachte Komponente der Preissteigerungen nicht verkannt. Entsprechend hat die Bundesregierung neue haushaltspolitische Maßnahmen beschlossen. Unter Berücksichtigung des § 6 des Stabilitätsgesetzes hat sie den Bundesminister der Finanzen zu einem restriktiven Haushaltsvollzug für den Haushalt 1971 ermächtigt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hätte sie früher tun sollen!)

    Die Bundesregierung erwartet davon eine Kürzung der Bundesausgaben um etwa 1 Milliarde sowie eine Beschränkung der Verpflichtungsermächtigungen um 2 bis 3 Milliarden DM. Auch von den Länderhaushalten wird eine entsprechende Politik im Sinne des § 6 des Stabilitätsgesetzes erwartet. Außerdem wird die Bundesregierung dem Konjunkturrat für die öffentliche Hand vorschlagen, das anfallende Mehr an Steuereinnahmen gegenüber der ursprünglichen Schätzung den Konjunkturausgleichsrücklagen von Bund und Ländern zuzuführen, und zwar wird diese Aufstockung insgesamt etwa his zu 1,7 Milliarden DM betragen können. Die Bundesregierung wird die Kreditaufnahme von Bund, Ländern und Gemeinden das ist der dritte binnenwirtschaftliche Punkt im fiskalischen Bereich — um einen Gesamtbetrag von etwa 2 bis 21/2 Milliarden DM gemäß §§ 19, 20 des Stabilitätsgesetzes beschränken. Das ist der sogenannte Schuldendeckel für die Kreditaufnahme der öffentlichen Hände.
    Meine Damen und Herren, die haushaltspolitischen Überlegungen gehen natürlich auch über das Jahr 1971 hinaus. Die Notwendigkeit einer stabilitätsgerechten Anpassung, einer straffen Konsolidierung und einer stabilitätsgerechten Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung von 1972 bis 1975 wird niemand bestreiten wollen. Die neuen Maßnahmen für das Jahr 1971 verändern den gesamtwirtschaftlichen Rahmen für die Finanzplanung in der richtigen Richtung. Es ist daher ganz vernünftig, daß darüber im einzelnen erst im September von der Bundesregierung endgültig beschlossen wird, damit die Konsequenzen der heutigen Maßnahmen in ihrem Trend dann verwertet werden können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, das Stabilisierungsprogramm verändert natürlich auch die gesamtwirtschaftlichen Daten für die weitere Preis- und Lohnentwicklung. Weil unsere akuten Stabilitätsprobleme sowohl binnen- wie außenwirtschaftlich bedingt sind, ist unser neues Stabilisierungspaket — die Freigabe des Wechselkurses der D-Mark sowie eine entsprechende restriktive Haushaltsführung bei Bund, Ländern und Gemeinden — eine präzise Offerte an die autonomen Gruppen, sich ihrerseits für einen stabilitätsgerechten Kurs in der Lohn-und auch in der Preispolitik zu entscheiden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Bundeswirtschaftsminister wird die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge im Hinblick auf die gegebene Situation im Rahmen der Konzertierten Aktion erläutern, wie der § 3 des Stabilitätsgesetzes es vorsieht. Der Bundeskanzler wird seine Autorität ebenfalls in diesem Sinne einsetzen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, würde man die währungspolitische Entscheidung als Vergeltungsschlag gegen die preis-und lohnpolitische Fehlentwicklung in der Vergangenheit verstehen. Währungspolitik ist keine Strafjustiz.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es kann und darf in dieser Diskussion in allem nur um die Zukunft gehen. Auch für die Zukunft geht es hier nicht um Druck und Gegendruck, sondern um Einsicht in die ökonomischen Verflechtungen der internationalen Wirtschaft und um realistische Bedingungen für stabilitätsgerechtes Verhalten von Wirtschaft und Staat. Allerdings kann die angestrebte Stabilisierung des Preisniveaus auch und gerade nicht ohne den Beitrag der autonomen Gruppen gelingen. Aber ich bin überzeugt, daß Unternehmerverbände und Gewerkschaften diese neue Chance einer Stabilisierung erkennen und entsprechend verantwortungsbewußt handeln werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die vorübergehende Freigabe des D-Mark-Wechselkurses wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht mindern. Im Gegenteil, je mehr wir in unserer Stabilitätspolitik Erfolg haben, um so besser können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern. Die Zahlen der außenwirtschaftlichen Entwicklung zeigen zudem auch schon im ersten Quartal dieses Jahres eine Tendenz zum wachsenden Überschuß. Von Januar bis März 1971 lag unser Handelsbilanzüberschuß mit rund 3,7 Milliarden DM etwa 25 % höher als in den gleichen Monaten des Vorjahres. Der Leistungsbilanzüberschuß stieg fast um 50%. Niemand wird sich also um unsere Zahlungsbilanz oder um unseren Export übertriebene Sorgen machen müssen.

    Bundesminister Dr. Schiller
    Meine Damen und Herren, die Wechselkursfreigabe bedarf der Ergänzung durch Ausgleichsmaßnahmen für die deutsche Landwirtschaft. Zu diesem Punkt wird in Brüssel zur Stunde verhandelt. Wir haben auch in diesem Punkt eben nicht zu einseitigen, ungebilligten Maßnahmen im Alleingang gegriffen. Wir haben vielmehr in den Verhandlungen in Brüssel am 9. Mai einen Grundsatzbeschluß erzielt — gemeinsam und einstimmig. Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft hat sich für die Zeit der Freigabe der Wechselkurse zu einem Grenzausgleich für die Landwirtschaft bereit-erklärt. Es gibt da also kein gefährliches Vakuum. Die Bundesregierung ihrerseits bekräftigt ihre Entschlossenheit zum Grenzausgleich. Wir brauchen dazu eine schnelle Regelung, damit den Bauern die Unsicherheit genommen wird. Das Verhandlungsziel für die deutsche Delegation in Brüssel ist sehr deutlich. Es heißt: Die währungspolitische Maßnahme vom 9. Mai wird nicht auf dem Rücken unserer Bauern ausgetragen werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Beschlüsse der Bundesregierung stellen das gemeinsame Ziel einer Vertiefung und Erweiterung der Gemeinschaft nicht. in Frage. Die Entscheidung vom 9. Mai war eine Entscheidung für Fortschritte in der Stabilitätspolitik. Eine europäische Gemeinschaft ich sagte es schon — kann nur auf der Grundlage der Stabilität Bestand haben. Eine instabile Gemeinschaft wäre für Europa und auch für die gesamte freie Welt eine Gefahr; denn der Instabilität des Geldwertes folgt nur zu schnell auch die soziale und politische Instabilität.
    Auch die europäische Wirtschafts- und Währungsunion würde höchstens durch eine inflationäre Eigenentwicklung und nicht an den Beschlüssen vom Sonntag in Brüssel scheitern; denn alle Länder müssen stabilitätspolitisch Erfolge aufzeigen, ehe wir später — nach drei Jahren, und das bleibt unverändert — den Schritt in die zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion beginnen.
    Wenn wir das Stabilitätsziel bis dahin verfehlen, wird sich am Ende die erste Stufe in die Wirtschafts- und Währungsunion als europäische Sackgasse erweisen. Die ,clause de prudence' — die Vorsichtsklausel würde sich dann gegen jedes instabile Mitgliedsland und damit gegen die Gemeinschaft als Ganze richten.
    Bis dahin gehört es noch zur erklärten Politik in der Gemeinschaft, zeitweilig getrennt zu marschieren, wenn ein gemeinsamer Weg nicht gefunden wird und wenn das vitale Interesse eines Landes eben diesen Weg erforderlich macht. Wichtig bleibt nur, daß die Wege bald wieder zusammenführen. Unser Weg ist -- entsprechend den Orientierungsdaten im dritten mittelfristigen Programm der Gemeinschaften — eindeutig darauf gerichtet, daß wir uns diesen Orientierungsdaten der Gemeinschaft nähern und nicht, daß wir — wie andere Länder —mit inflationärer Selbstbeschleunigung davoneilen.
    Der 9. Mai war ein Tag für die Stabilität — auch wenn wir keine raschen Erfolge erwarten dürfen; denn eine Reihe von Preissteigerungen in diesem
    Jahr, meine Damen und Herren, sind aus dem Verlauf der Vergangenheit vorprogrammiert und damit unabänderlich. Der Erfolg des Programms für die Stabilität, der Erfolg des Programms für den Geldwert der Einkommen, der Renten, der Ersparnisse wird sich erst später abzeichnen.
    Auf jeden Fall wollen wir mit diesem Programm verhindern, daß wir über die eingebauten Preissteigerungstendenzen noch hinausgeschleudert werden. Aber ohne die jetzigen Aktionen wäre die Anpassung an den internationalen Inflationstrend unausweichlich.
    Wir erwarten jetzt keine Wunder. Der Weg zu mehr Stabilität wird auch weiterhin mühsam sein; aber das Stabilitätsziel ist auch keine Fata Morgana.

    (Beifall hei den Regierungsparteien.)

    Dieser 9. Mai war, recht verstanden, auch ein Tag für Europa.

    (Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU. — Beifall bei der SPD.)

    — Hören Sie einen Augenblick zu! Denn es ist zu hoffen, daß sich neue Initiativen und Kräfte entwikkeln, die die weltweite Inflation ais Herausforderung betrachten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir müssen in der Tat in Europa damit beginnen, auf einen konsequenten Kurs auf Stabilität zu gehen. Europa darf keine Inflationsgemeinschaft sein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Daß mehrere Staaten innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft mit uns ihre währungspolitische Position überprüft haben, muß uns doch ermutigen, nach gemeinsamen Wegen weiter auszuschauen.
    Mit großer Freude habe ich auch am 8. Mai die Botschaft von zwölf bekannten amerikanischen Nationalökonomen erhalten, die sich für eine Freigabe des Wechselkurses der D-Mark im Interesse des Weltwährungssystems, im Interesse der Bundesrepublik Deutschland und im Interesse der USA ausgesprochen haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dieses Manifest von zwölf bedeutenden Geistern in Amerika

    (Lachen und Zurufe von der CDU 'CSU)

    ist ein deutliches Zeichen für das Interesse auch in den Vereinigten Staaten an einer Überprüfung und Weiterentwicklung der gegenwärtigen Ordnung un-sores Weltwährungssystems.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Jemand hat in diesen Tagen behauptet, in der „Wahl zwischen Europa und dem Dollar" habe sich die Bundesregierung für den Dollar entschieden. Meine Damen und Herren, das heißt doch die Dinge auf den Kopf stellen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben vielmehr durch unsere Initiative eine
    Teilantwort gegeben auf das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit, das unserem Weltwährungssy-

    Bundesminister Dr. Schiller
    stem so schwere Probleme beschert. Denken Sie daran, daß im Jahre 1970 in der Statistik der offiziellen Reservetransaktionen das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit auf 10 Milliarden Dollar angewachsen ist. Wir haben in konzertierter Aktion mit fünf anderen europäischen Staaten eine europäische Antwort gegeben auf eine Politik des „benign neglect", der „wohlwollenden Nichtachtung" des dortigen Zahlungsdefizits. Und diese europäische Antwort ist kein rüder Vergeltungsschlag gegen den Dollar, sondern eine marktwirtschaftliche Antwort, nichts anderes.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Denn sechs europäische Länder haben den Wert ihrer Währungen auf diese oder jene Weise entsprechend den Marktverhältnissen entweder direkt erhöht oder dem freien Marktspiel überantwortet. Ich sagte schon: Wir haben uns strikt geweigert, Devisenbewirtschaftung in unserem Lande oder in Europa generell einzuführen. Das wäre dann Devisenbannwirtschaft, und das wäre dann der staatlich ausgeführte Bannspruch gegen den Dollar gewesen. Auch einen solchen europäischen Bannspruch gegen den Dollar haben wir verhindert. Nur auf diese Weise haben wir durch unsere Anstoßwirkung die europäische Währungsposition in Wahrheit gestärkt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das Ergebnis von Brüssel war, wie die Londoner „Times" sagt, „ein kluger und pragmatischer Kompromiß".

    (Abg. Gewandt: Bald glauben Sie das selbst!)

    Niemand, meine Damen und Herren, der die Sorge um unser Volk ernst nimmt, kann in diesem Hohen Hause abseits stehen, wenn es um die Stabilität unserer Währung geht. Durch die außenwirtschaftliche Absicherung haben wir doch neuen Handlungsspielraum für die Stabilitätspolitik des Staates, der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften erhalten. Damit auch die freien Kräfte in unserem Gemeinwesen ihre Verantwortung in dem neu gewonnenen Handlungsspielraum erkennen und übernehmen, wäre ein Ja zu diesem Regierungsprogramm von seiten der Opposition eine befreiende Tat für unser Volk.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die gemeinsame Verantwortung, das gemeinsame Interesse sollte Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ein solches Wort des Ja sehr leicht machen, aber auch Ihr Bild in der öffentlichen Meinung würde doch dadurch nur gewinnen.

    (Lachen und Zurufe von der CDU CSU.)

    Einige Persönlichkeiten, einige hochangesehene Persönlichkeiten in Ihren Reihen haben das auch voll erkannt.

    (Beifall hei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    So ruft die Bundesregierung alle Kräfte auf, ja zu der befreienden Tat zu sagen. Wir alle sind aufgefordert, gemeinsam die neuen Stabilitätschancen zu nutzen für unser Land, für Europa.

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich danke für die Abgabe der Regierungserklärung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann. Die Fraktion der CDU/CSU hat für ihn eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Müller-Hermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Tagen ist deutlicher denn je geworden, daß Bundeskanzler Brandt mit seiner Regierung unserem Lande eine Stabilitätskrise beschert hat, wie wir sie bisher nicht gekannt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung hat durch unglaublichen Leichtsinn eine internationale Währungskrise hervorgerufen,

    (Lachen bei den Regierungsparteien. — Beifall bei Abgeordneten der CDU CSU)

    im wahrsten Sinne des Wortes so unglaublich leichtsinnig, daß man sich nicht zu wundern braucht, wenn der Verdacht einer „Krise auf Bestellung" die Runde macht. Mit großer Sorge müssen wir feststellen, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in eine tiefgreifende Vertrauenskrise gestürzt wurde.

    (Abg. Mattick: Armer Mann! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Monatelang hat die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler selbst die Mahn- und Warnrufe nicht ernst genommen, die von verschiedenen Seiten und insbesondere von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu hören waren. Noch in seiner Rede zum 1. Mai dieses Jahres waren diese Warnungen und Mahnungen für den Herrn Bundeskanzler nicht mehr als Panikmache.

    (Abg. Gewandt: Unerhört!)

    Der Preisauftrieb wurde als eine vorübergehende Erscheinung gekennzeichnet, deren Ende ja schon abzusehen sei, der Verfall des Geldwertes wurde bagatellisiert. Damit schuf die Bundesregierung ein Klima, in dem die Leistungskraft unserer Wirtschaft ständig überfordert wurde, sowohl durch die öffentlichen Hände als auch durch die Tarifpartner. Es ist nötig, in Erinnerung zu rufen, daß 1970 der reale Zuwachs des Bruttosozialprodukts 4,7 % betrug, während Löhne und Gehälter effektiv um über 19 % anstiegen. Ich sage das nicht im Sinne eines Vorwurfs an eine Seite der Tarifpartner. Beide Seiten haben die Marktsituation genutzt. Sie haben mit Duldung und mit Rückendeckung der Regierung Augenblicksvorteile in Anspruch genommen, mit deren Folgen wir uns jetzt herumzuschlagen haben.

    (Beifall bei der CDU CSU.)


    Dr. Müller-Hermann
    Die Tarifpartner haben ebenso wie die Verbraucher den weiteren Verfall des Geldwertes in ihre Dispositionen und Kalkulationen mit einbezogen, weil jeder angesichts dieser Regierungspolitik nur eine Verschlechterung der Situation erwarten konnte.

    (Abg. Gewandt: Sehr richtig!)

    I)as ist die berüchtigte Inflationsmentalität. Sie hat ihren Ursprung nicht, wie die Regierung es glauben machen will, in dem angeblichen Inflationsgerede, sondern in dein Vertrauens- und Autoritätsschwund dieser Bundesregierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nach allem, was wir jetzt an Erfahrungen hinter uns haben, klingt es nicht sehr überzeugend, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister heute von der „Fortsetzung der Stabilitätspolitik" dieser Bundesregierung spricht.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Diese Bundesregierung hat den Ernst der Situation bisher doch mit allzu einseitig ausgewählten internationalen Vergleichen zu verschleiern versucht. Meine Damen und Herren, tatsächlich --- das muß eben jeder wissen — sind wir während des Jahres 1970 mit der gesamtwirtschaftlichen Preissteigerungsquote an die Spitze aller Industrienationen gerückt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die CDU/CSU-Fraktion hat immer wieder - - im Grunde seit der Amtsübernahme dieser Regierung — aufeinander abgestimmte umfassende gesamtwirtschaftliche Aktivitäten von der Bundesregierung gefordert.

    (Zuruf von der SPD: Welche denn?)

    Wir haben die Bundesregierung insbesondere aufgefordert, rechtzeitig von dem Instrumentarium des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes Gebrauch zu machen und die Bundesbank zu entlasten.
    Da Sie immer nach den Alternativen fragen, will ich Ihre Erinnerung etwas auffrischen. Im Dezember 1969 haben wir vorgeschlagen, alle ausgabewirksamen Gesetze — ganz gleich, von wem sie vorgelegt worden sind — bis zur Vorlage der mittelfristigen Finanzplanung zurückzustellen. Im Zusammenhang mit der Aufwertung haben wir in den Monaten danach gefordert: flankierende Maßnahmen mit einer konjunkturgerechten Haushaltspolitik bei Bund und Ländern, vermögenswirksame Anlage eines Teils der Besoldungs- und Lohnerhöhungen, gemeinsame Klärung eventueller Steuererhöhungen. Am 20. Januar 1970 forderten wir eine antizyklische Haushaltspolitik, eine zeitliche Verlagerung von Ausgaben, die Sicherung der Konjunkturausgleichsrücklage ohne Kreditfinanzierung, kombinierte Aktionen der öffentlichen Hände, einen Anreiz zu verstärkter Vermögens- und Sparbildung sowie die Zurückstellung aller Steuersenkungspläne. Meine Damen und Herren, bereits an diesem Tage warnten wir vor den Folgen der gegenwärtigen Kreditpolitik der Bundesbank.

    (Abg. Rösing: Sehr richtig!)

    Am 17. Februar, am 3. Juni, am 23. Juni, am 11. Jul!, am 7. Oktober 1970 haben wir unsere Vorschläge wiederholt und präzisiert. Am 28. Oktober haben wir einen neuen Vorschlagskatalog zur Konjunktur- und Wirtschaftspolitik unterbreitet, und während der Wintermonate haben wir die Regierung immer wieder aufgefordert, die Bremsmaßnahmen der Bundesbank auf ein breiter gefächertes Instrumentarium zur Wiedergewinnung der Stabilität zu verlagern. Alle diese Mahnungen und Warnungen sind in den Wind geschlagen worden. Die Last der Konjunkturpolitik blieb ausschließlich der Bundesbank überlassen. Dies festzustellen, ist gerade heute wichtig, denn die Hochzinspolitik hat die Dollarzuflüsse doch erst in die Wege geleitet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und eben dies ist eine Quelle der Schwierigkeiten an unserer außenwirtschaftlichen Flanke. Die Wahrheit ist, daß der Bundeskanzler die Dinge hat treiben lassen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Seine Regierung hat keinen Mut, kein Konzept und auch keine Autorität gehabt.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wer das noch nicht wußte, konnte es im „Spiegel" — sicherlich ein unverdächtiges Blatt — am Montag nachlesen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Dort heißt es:
    Nach anderthalb Jahren konjunkturpolitischen Experimenten, nach monatelangem
    Lavieren mit wirkungslosen Instrumenten
    und wochenlangem entnervenden Zögern
    entdeckte der Kanzler das vitale Interesse
    der Bundesrepublik an stabilen Preisen
    und einer harten Mark.
    Der „Spiegel" ist gewiß ein unverdächtiger Zeuge.

    (Abg. Rasner: Die Hauspostille! — Abg. Wehner: Ich gratuliere Ihnen!)

    Meine Damen und Herren, nach einer langen und, wie wir heute alle spüren, verhängnisvollen Phase des konjunkturpolitischen Schlendrians — anders kann man das nicht bezeichnen —

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    hat die Bundesregierung in den vergangenen Tagen nun eine überstürzte, mit niemandem abgestimmte und von dramatischem Theaterdonner begleitete Aktion in Szene gesetzt.