Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Tagen ist deutlicher denn je geworden, daß Bundeskanzler Brandt mit seiner Regierung unserem Lande eine Stabilitätskrise beschert hat, wie wir sie bisher nicht gekannt haben.
Die Bundesregierung hat durch unglaublichen Leichtsinn eine internationale Währungskrise hervorgerufen,
im wahrsten Sinne des Wortes so unglaublich leichtsinnig, daß man sich nicht zu wundern braucht, wenn der Verdacht einer „Krise auf Bestellung" die Runde macht. Mit großer Sorge müssen wir feststellen, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in eine tiefgreifende Vertrauenskrise gestürzt wurde.
Monatelang hat die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler selbst die Mahn- und Warnrufe nicht ernst genommen, die von verschiedenen Seiten und insbesondere von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu hören waren. Noch in seiner Rede zum 1. Mai dieses Jahres waren diese Warnungen und Mahnungen für den Herrn Bundeskanzler nicht mehr als Panikmache.
Der Preisauftrieb wurde als eine vorübergehende Erscheinung gekennzeichnet, deren Ende ja schon abzusehen sei, der Verfall des Geldwertes wurde bagatellisiert. Damit schuf die Bundesregierung ein Klima, in dem die Leistungskraft unserer Wirtschaft ständig überfordert wurde, sowohl durch die öffentlichen Hände als auch durch die Tarifpartner. Es ist nötig, in Erinnerung zu rufen, daß 1970 der reale Zuwachs des Bruttosozialprodukts 4,7 % betrug, während Löhne und Gehälter effektiv um über 19 % anstiegen. Ich sage das nicht im Sinne eines Vorwurfs an eine Seite der Tarifpartner. Beide Seiten haben die Marktsituation genutzt. Sie haben mit Duldung und mit Rückendeckung der Regierung Augenblicksvorteile in Anspruch genommen, mit deren Folgen wir uns jetzt herumzuschlagen haben.
Dr. Müller-Hermann
Die Tarifpartner haben ebenso wie die Verbraucher den weiteren Verfall des Geldwertes in ihre Dispositionen und Kalkulationen mit einbezogen, weil jeder angesichts dieser Regierungspolitik nur eine Verschlechterung der Situation erwarten konnte.
I)as ist die berüchtigte Inflationsmentalität. Sie hat ihren Ursprung nicht, wie die Regierung es glauben machen will, in dem angeblichen Inflationsgerede, sondern in dein Vertrauens- und Autoritätsschwund dieser Bundesregierung.
Nach allem, was wir jetzt an Erfahrungen hinter uns haben, klingt es nicht sehr überzeugend, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister heute von der „Fortsetzung der Stabilitätspolitik" dieser Bundesregierung spricht.
Diese Bundesregierung hat den Ernst der Situation bisher doch mit allzu einseitig ausgewählten internationalen Vergleichen zu verschleiern versucht. Meine Damen und Herren, tatsächlich --- das muß eben jeder wissen — sind wir während des Jahres 1970 mit der gesamtwirtschaftlichen Preissteigerungsquote an die Spitze aller Industrienationen gerückt.
Die CDU/CSU-Fraktion hat immer wieder - - im Grunde seit der Amtsübernahme dieser Regierung — aufeinander abgestimmte umfassende gesamtwirtschaftliche Aktivitäten von der Bundesregierung gefordert.
Wir haben die Bundesregierung insbesondere aufgefordert, rechtzeitig von dem Instrumentarium des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes Gebrauch zu machen und die Bundesbank zu entlasten.
Da Sie immer nach den Alternativen fragen, will ich Ihre Erinnerung etwas auffrischen. Im Dezember 1969 haben wir vorgeschlagen, alle ausgabewirksamen Gesetze — ganz gleich, von wem sie vorgelegt worden sind — bis zur Vorlage der mittelfristigen Finanzplanung zurückzustellen. Im Zusammenhang mit der Aufwertung haben wir in den Monaten danach gefordert: flankierende Maßnahmen mit einer konjunkturgerechten Haushaltspolitik bei Bund und Ländern, vermögenswirksame Anlage eines Teils der Besoldungs- und Lohnerhöhungen, gemeinsame Klärung eventueller Steuererhöhungen. Am 20. Januar 1970 forderten wir eine antizyklische Haushaltspolitik, eine zeitliche Verlagerung von Ausgaben, die Sicherung der Konjunkturausgleichsrücklage ohne Kreditfinanzierung, kombinierte Aktionen der öffentlichen Hände, einen Anreiz zu verstärkter Vermögens- und Sparbildung sowie die Zurückstellung aller Steuersenkungspläne. Meine Damen und Herren, bereits an diesem Tage warnten wir vor den Folgen der gegenwärtigen Kreditpolitik der Bundesbank.
Am 17. Februar, am 3. Juni, am 23. Juni, am 11. Jul!, am 7. Oktober 1970 haben wir unsere Vorschläge wiederholt und präzisiert. Am 28. Oktober haben wir einen neuen Vorschlagskatalog zur Konjunktur- und Wirtschaftspolitik unterbreitet, und während der Wintermonate haben wir die Regierung immer wieder aufgefordert, die Bremsmaßnahmen der Bundesbank auf ein breiter gefächertes Instrumentarium zur Wiedergewinnung der Stabilität zu verlagern. Alle diese Mahnungen und Warnungen sind in den Wind geschlagen worden. Die Last der Konjunkturpolitik blieb ausschließlich der Bundesbank überlassen. Dies festzustellen, ist gerade heute wichtig, denn die Hochzinspolitik hat die Dollarzuflüsse doch erst in die Wege geleitet.
Und eben dies ist eine Quelle der Schwierigkeiten an unserer außenwirtschaftlichen Flanke. Die Wahrheit ist, daß der Bundeskanzler die Dinge hat treiben lassen.
Seine Regierung hat keinen Mut, kein Konzept und auch keine Autorität gehabt.
Wer das noch nicht wußte, konnte es im „Spiegel" — sicherlich ein unverdächtiges Blatt — am Montag nachlesen.
Dort heißt es:
Nach anderthalb Jahren konjunkturpolitischen Experimenten, nach monatelangem
Lavieren mit wirkungslosen Instrumenten
und wochenlangem entnervenden Zögern
entdeckte der Kanzler das vitale Interesse
der Bundesrepublik an stabilen Preisen
und einer harten Mark.
Der „Spiegel" ist gewiß ein unverdächtiger Zeuge.
Meine Damen und Herren, nach einer langen und, wie wir heute alle spüren, verhängnisvollen Phase des konjunkturpolitischen Schlendrians — anders kann man das nicht bezeichnen —
hat die Bundesregierung in den vergangenen Tagen nun eine überstürzte, mit niemandem abgestimmte und von dramatischem Theaterdonner begleitete Aktion in Szene gesetzt.