Rede von
Dr.
Erich
Mende
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Prinzip, nämlich der Eid, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, ist für mich, ist für Präsident, Kanzler und Minister so verpflichtend, daß ich hier keinen abgefahrenen Zug erkenne.
Ich darf noch mit wenigen Bemerkungen darauf hinweisen, daß aktive Deutschlandpolitik nicht erst im Oktober 1969 begonnen hat. Ich erinnere — das ist hier auch schon zum Teil erwähnt worden — an die Einrichtung der Handelsmission unter der Verantwortung des Außenministers Dr. Schröder, an die Passierscheine 1963 bis 1966 mit der salvatorischen Klausel, daß man sich über Orts-, Dienst- und Amtsbezeichnungen nicht einigen konnte. Wo waren wir damals in der Wahrung von Rechtspositionen? —Und es gab trotzdem Passierscheine, Rentnerreisen, Kulturbegegnungen und Sport.
Wenn ich mir heute den Stander desselben Herrn Kohl ansehe, wie er mit dem Staatswappen der DDR mit Hammer und Zirkel beim Bundeskanzleramt vorfährt — derselbe Herr Kohl, der damals die salvatorische Klausel akzeptierte —, dann sehe ich darin, Herr Kollege Mattick, demonstrative Präsenz in Bonn aber auf der anderen Seite.
Wir haben damals Erleichterungen und Begegnungen ohne Preisgabe von Rechtspositionen erreichen können. Sie sind heute bereit, Rechtspositionen preiszugeben, ohne die geringsten Konzessionen, nicht einmal Passierscheine, erreicht zu haben.
Ich darf daher zum Schluß, Herr Präsident, folgende Fragen an die Bundesregierung richten: Ist der Verfassungsauftrag des Grundgesetzes tatsächlich noch eine imperative Maxime der Deutschlandpolitik im Sinne der Formulierung: „Oberstes Ziel deutscher Politik war und ist die friedliche Vereinigung der Deutschen in freiheitlicher demokratischer Ordnung. Dabei sind zu berücksichtigen die Grundsätze für nationale Selbstbestimmung, freiheitliche Menschenrechte und das Recht auf Heimat."?
Zweite Frage: Gilt in diesem Sinne der Grundsatz, daß auf deutschem Boden ein System rechtlich nicht anerkennbar ist, das nicht dem Volkswillen entspricht und das die Menschenrechte verleugnet?
Die dritte Frage und zugleich Aufforderung: Ist die Bundesregierung bereit, das Memorandum des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen vom September 1966 zum Ersuchen der DDR um Aufnahme in die Vereinten Nationen zu beachten und die entsprechenden Unterlagen des Forschungsbeirats für Wiedervereinigung auszuwerten? Denn Menschenrechtsverletzungen sollten gleichermaßen
verurteilt werden, auch wenn sie von kommunistischen Machthabern kommen.
Schließlich die vierte Frage: Gilt der frühere Vorbehalt noch, daß einseitige Vorleistungen politisch schädlich sind und den Interessen aller Deutschen widersprechen, oder ist man hier anderen Sinnes geworden?
Herr Präsident, ich habe die Sorge — das sei mein Schlußsatz; viele teilen diese Sorgen, täuschen wir uns nicht, hier und im anderen Teil Deutschlands —, daß wir durch Fehler und rechtliche Preisgaben in den 70er Jahren zu einem Weg kommen könnten, der in den 80er Jahren zu einem kommunistischen Gesamtdeutschland nach den Zielvorstellungen der SED führen könnte.
Das gilt es zu bedenken, und es gilt, auf diese Gefahren rechtzeitig aufmerksam zu machen.
— Auch im Frühjahr 1933 haben manche im alten Reichstag gelacht, die dann später an den Galgen mußten.