Rede von
Dr.
Erich
Mende
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich darf vielleicht einen Gedanken erst zu Ende führen; dann sehr gern.
Herr Bundeskanzler Brandt hat in einer Replik an den Fraktionsvorsitzenden Barzel die Politik der fünfziger Jahre so etwas in degradierender Form apostrophiert: das, was Herr Dr. Barzel hier vorschlage, sei die Rückkehr zur Politik der fünfziger Jahre. Worin bestand, meine Damen und Herren, die Politik der fünfziger Jahre? Ist sie wirklich nur absolut mit negativen Vorzeichen zu versehen? Uns allen war doch auch in den Debatten dieses Hauses klar, daß die Dreiheit kontrollierte Abrüstung, europäische Sicherheit und Wiedervereinigung ein unteilbares Ganzes bilde und wir uns daher bemühen müßten, bei den Siegermächten dieser Welt, bei den Vier Mächten eine Klärung des militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands im Rahmen eines neuen Sicherheitssystems zu finden, mit dem Ziel, die Möglichkeit eines gesamtdeutschen Willenentscheides dann zu erreichen. So lagen die Deutschlandpläne der Sozialdemokratischen Partei, dann, allerdings wieder zurückgezogen, der Freien Demokratischen Partei. So ähnlich äußerte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund am 1. Mai 1957. Ich bitte einmal nachzulesen, was der Deutsche Gewerkschaftsbund an Forderungen für ein wiedervereinigtes Deutschland damals in Berlin aufzählte. Und so wurde es auch in der Berliner Entschließung lesbar,
die am 1. Oktober 1958 einstimmig in Berlin gefaßt werden konnte. Ja selbst in dem Gromyko-Plan, der bei der Genfer Außenministerkonferenz 1959 in Genf vorgelegt wurde, war die Einheit Deutschlands unbestrittener Inhalt dieses Friedensvertrages wie des Friedensvertrages der Westmächte, den Christian Herter vortrug.
Für alle damaligen Vorstellungen der Parteien, der Verbände, ja sogar für den sowjetischen Friedensvertragsentwurf von 1959 galt die Herbeiführung der Einheit des deutschen Volkes. Urn so bedauerlicher ist es, daß dieses selbst von den Sowjets noch 1959 anerkannte Thema nicht im Vertrag von Moskau im Jahre 1970 verankert wurde, sondern lediglich in einem Brief.
Ich zitiere auch noch aus dem Aide-mémoire, das uns damals im Frühjahr 1958 während einer heißen Debatte erreichte. Ich zitiere wörtlich:
Gegenüber verleumderischen Behauptungen, die Sowjetunion wolle einen Friedensvertrag mit zwei deutschen Staaten, stellt die Regierung der UdSSR fest, sie wolle einen Friedensvertrag mit ganz Deutschland.
Zwar sei die Konföderation der beiden deutschen Staaten der beste Weg, aber - so der Schluß —die Regierung der UdSSR ist weit davon entfernt, diese oder andere Lösungen dem deutschen Volk aufzwingen zu wollen.
Der Wille zur Herbeiführung der staatlichen Einheit. war also ein integrierender Bestandteil der Deutschlandpolitik dieses Hauses bis Anfang der siebziger Jahre.
Seit einer gewissen Zeit sind Resignation und die Bereitschaft erkennbar, insbesondere auch in der Rede des Herrn Kollegen Mattick — „Der Zug ist abgefahren" , sich nicht nur mit der Teilung auf lange Zeit abzufinden, sondern auch Vorleistungen an Ost-Berlin zu erbringen ohne die geringsten Gegenleistungen. — Sie wollten eine Frage stellen.