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ID0609412200

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    Deutscher Bundestag 94. Sitzung Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 Inhalt: Begrüßung einer Delegation der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments unter Führung des Präsidenten van Thiel 5127 A Amtliche Mitteilungen 5127 B Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, VI/ 1728) in Verbindung mit Aussprache über den Bericht der Bundesdesregierung zur Lage der Nation 1971 (Drucksache VI/ 1690) Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 5127 C Dr. Achenbach (FDP) 5136 C Mattick (SPD) . . . . . . . . 5139 B Scheel, Bundesminister . . . . 5144 A Dr. Dr. h. c. Birrenbach (CDU/CSU) 5152 A Wehner (SPD) . . . . . . . 5157 B Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 5162 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 5167 C Dr. Schiller, Bundesminister . . . 5174 B Dr. Arndt (Hamburg) (SPD) . . . . 5177 A Dr. Mende (CDU/CSU) 5179 D Brandt, Bundeskanzler 5182 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 5186 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) . 5189 C Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5191 A Anlagen 2 und 3 Entschließungsanträge Umdrucke 101 und 102 zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, W1728) 5191 D Anlage 4 Änderungsantrag Umdruck 103 zum Entschließungsantrag Umdruck 101 zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, VI/1728) . . 5191 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 5127 94. Sitzung Bonn, den 29. Januar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens * 29. 1. Alber * 29. 1. Dr. Arndt (Berlin) 1. 2. Dr. Artzinger ** 29. 1. Bals * 29. 1. Bauer (Würzburg) * 29. 1. Blumenfeld 29. 1. Bühling 28. 2. Dr. Burgbacher ** 29. 1. Dasch 5. 4. van Delden 29. 1. Dichgans 29. 1. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 29. 1. Dr. Dittrich ** 29. 1. Dr. Dollinger 23. 2. Dorn 29. 1. Draeger *** 29. 1. Dröscher ** 29. 1. Fellermaier ** 1. 2. Flämig ** 29. 1. Fritsch * 29. 1. Dr. Furler * 29. 1. Gewandt 29. 1. Dr. Giulini 29. 1. Dr. Götz 13. 2. Frau Griesinger 29. 1. Grüner 29.1. Frhr. von und zu Guttenberg 29. 1. Dr. Hallstein 29. 1. Frau Herklotz * 29. 1. Dr. Hermesdorf (Sehleiden) * 29. 1. Hösl * 29. 1. Dr. Jobst 29. 1. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kempfler 29. 1. Frau Klee * 29. 1. Klinker 29. 1. Dr. Koch ** 29. 1. Kriedemann ** 29. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 1. Lange ** 29. 1. Lautenschlager ** 29. 1. Leicht 29. 1. Lemmrich 29. 1. Lenze (Attendorn) * 29. 1. Dr. Löhr ** 2. 2. Dr. Martin 29. 1. Maucher 12. 2. Memmel ** 29. 1. Dr. Müller (München) * 29. 1. Pieroth 29. 1. Pöhler * 29. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Dr. Prassler 29. 1. Rasner 12. 2. Riedel (Frankfurt) *5 29. 1. Richarts * 29. 1. Richter *** 29. 1. Dr. Rinderspacher *** 29. 1. Roser 29. 1. Schachtschabel 29. 1. Schmidt (Würgendorf) * 29. 1. Dr. Schmücker * 29. 1. Dr. Schober 29. 1. Frau Schroeder (Detmold) 29. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 29. 1. Saxowski 2. 2. Sieglerschmidt * 29. 1. Springorum ** 29. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 29. 1. Steiner 29. 1. Strauß 29. 1. v. Thadden 6. 2. Frau Dr. Walz *** 29. 1. Dr. Warnke 29. 1. Weber (Heidelberg) 29. 1. Werner 29. 1. Wienand * 29. 1. Dr. Wörner 29. 1. Anlage 2 Umdruck 101 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung - Drucksachen VI/ 1638, VI/ 1728 . Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag stimmt der Politik des Nordatlantischen Bündnisses zu, wie sie im Kommuniqué der Ministertagung des Nordatlantikrates vom 3. und 4. Dezember 1970 in Brüssel niedergelegt worden ist (Drucksache VI/1686). Er fordert die Bundesregierung auf, ihre Politik im Einklang mit den darin enthaltenen Grundsätzen fortzuführen. Bonn, den 28. Januar 1971 Wehner und Fraktion Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 102 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung - Drucksachen VI/1638, VI/1728 -. 5192 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag verfolgt mit Sorge die ständigen Versuche, den freien Zugang nach Berlin zu behindern. Der Deutsche Bundestag sieht in diesen Behinderungen eine Aktion, die das Ziel verfolgt, West-Berlin von der Bundesrepublik und der freien Welt zu isolieren. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß Behinderungen auf den Zufahrtswegen nach Berlin dem Geist der Entspannung, dem Geist des Gewaltverzichts und dem Geist der Normalisierung widersprechen. Bonn, den 29. Januar 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 4 Umdruck 103 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zum Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung — Drucksachen VI/1638, VI/1728 — Umdruck 101 —. Der Bundestag wolle beschließen: Der Antrag der Fraktionen der SPD, FDP — Umdruck 101 — wird durch folgenden Satz ergänzt: „Insbesondere betont der Bundestag — entsprechend dem NATO-Kommuniqué — das Recht des Volkes jedes europäischen Staates, sein eigenes Schicksal frei von äußerem Zwang zu gestalten." Bonn, den 29. Januar 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte in diesem Hohen Hause bewegt sich zwischen drei Eckpfeilern: Deutschlandpolitik, Westpolitik oder Westeuropapolitik und Ostpolitik. Ich bin dabei übrigens der Meinung, daß diese so gegliederte Debatte in Wahrheit, meine Damen und Herren von der Opposition, ein Kompliment an die Symmetrie des politischen Konzepts dieser Regierung ist. Jene Symmetrie, die darin besteht, daß wir immer wieder sagen:

    (Abg. Baron von Wrangel: Ich würde an Ihrer Stelle vorsichtig sein, Herr Schiller!)

    es ist zwingend notwendig, daß wir Aktivitäten in der einen Richtung durch entsprechende Aktivitäten in der anderen Nichtung begleiten lassen. Darum geht es.
    Nach einigen deutschland- und ostpolitischen Beiträgen möchte ich jetzt selber im Sinne dieser Symmetrie einen kurzen Blick auf ein Thema unserer Europapolitik — unserer Westpolitik, wenn Sie so wollen — werfen. Im Rahmen der gestrigen und heutigen Debatten über unsere Europapolitik ist das Thema Wirtschafts- und Währungsunion bereits mehrfach angeklungen. Diese kühne Vision, skizziert in dem Bericht der Werner-Gruppe, ist doch für uns alle eine Herausforderung. Es geht im übrigen bei diesem Thema nicht um Rückblicke in die Vergangenheit. Bei diesem Thema gibt es keinen
    „Blick zurück im Zorn", sondern alle Blicke müssen da nach vorn gerichtet sein. Es geht um einen entscheidenden, vielleicht den entscheidenden Schritt, den Fortschritt des europäischen Einigungswerkes in der nahen Zukunft.
    Zugleich geht es aber auch darum und vor allem darum, daß dieser Weg in die wirtschafts- und stabilitätspolitisch richtige Richtung führt. Wie wir von deutscher Seite immer wieder festgestellt haben, muß die Wirtschafts- und Währungsunion eine Gemeinschaft der Stabilität und des Wachstums sein. Eine Gemeinschaft der permanenten Inflationierung wäre ein lebensgefährlicher Rückschritt. Ein geldwirtschaftlich kränkelndes, d. h. ein wirtschaftlich krankes Europa wäre im übrigen auch nicht in der Lage, seine ihm gemäße politische Rolle in der Welt zu spielen. Ich sage hier deutlich, der europäische Gedanke könnte durch nichts stärker in Mißkredit gebracht werden als durch eine ökonomische Fehlkonstruktion.
    Daher wollen wir in unseren Anstrengungen für eine vernünftige Lösung der Wirtschafts- und Währungsunion es auch erreichen, daß in späteren Jahren niemand sagen kann: Wie konnte man damals in den ersten 70er Jahren sich auf eine solche Sache einlassen, die uns am Ende wie ein Bleigewicht anhängt, die uns zu immer neuen Fehlern zwingt und deren einmal in Gang gesetzte Apparatur uns in unserem freien Handeln einengt und das freie Handeln erschwert! In der Tat, etwa die heutigen europäischen Agrarmarktordnungen, über die doch eigentlich niemand mehr glücklich ist und bei denen man sich auch noch oft fragt: Wie konnte man das damals so falsch anfangen?, sind ein lehrreiches und warnendes Beispiel bei unseren heutigen Überlegungen. Derartige Gefahren wollen wir nun durch eine gute und klare, durch eine marktwirtschaftlich orientierte Konstruktion einer Wirtschafts- und Währungsunion vermeiden.
    Sie wissen, meine Damen und Herren, wir alle haben es bedauert, daß die Einigung über dieses Thema in der langen Nacht am 14. und 15. Dezember in Brüssel noch nicht zustande gekommen ist. Diese Verspätung gegenüber dem Fahrplan von Den Haag, so bedauerlich sie war und ist, war aber letztlich nicht entscheidend. Wichtiger als der Zeitgewinn von einigen Wochen oder Monaten ist die richtige Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion. Ich sage es noch deutlicher: eine Fehlkonstruktion von heute könnte sich leicht als ein „100Milliarden-Dollar-Mißverständnis" von morgen mit allen seinen inflationären Konsequenzen erweisen.
    In den ersten Wochen dieses neuen Jahres hat es es zwischen allen Partnern der Gemeinschaft und auch mit Mitgliedern der Kommission eine Reihe von sondierenden und klärenden Gesprächen gegeben. Diese Sondierungen und Vorklärungen haben alle die Chancen für eine baldige Einigung erheblich verbessert, und zwar für eine Einigung ohne Preisgabe der Substanz.
    Meine Damen und Herren, das gilt auch und gerade für unsere Gespräche in Paris. Der jetzige Besuch von Ministerpräsident Colombo in diesen Ta-



    Bundesminister Dr. Schiller
    gen in Paris wird hier sicherlich ein weiterer Meilenstein sein. Bei unserer deutsch-französischen Konsultation — der Herr Außenminister hat davon gesprochen — zu Anfang dieser Woche haben wir in der Sache gute Fortschritte gemacht. Durch den freimütigen, freundschaftlichen Gedankenaustausch konnten wir Meinungen abklären sowohl im Hinblick auf das Endziel der Wirtschafts- und Währungsunion als auch im Hinblick auf den äußerst wichtigen Übergang von der ersten Stufe in die folgende. Wir konnten uns gegenseitig auf mögliche Lösungen, auf Lösungsversuche aufmerksam machen, und wir haben wichtige Elemente einer Wirtschafts- und Währungsunion definiert. Aber dies alles ich bin sicher — wird sich erst voll in den kommenden Ratssitzungen in Brüssel auszahlen, weil das alles eben sehr nützlich gewesen ist.
    Ich möchte aber ein Mißverständnis ausschließen. Es ging in dieser Woche in Paris nicht darum, bilaterale Beschlüsse herbeizuführen. Wir haben bei allen unseren Überlegungen stets daran gedacht, daß alle Entscheidungen in dieser wichtigen Sache nicht zu zweit, sondern eben nur zu sechst am Tisch der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel gefunden werden müssen. Außerdem muß ich noch sehr präzise folgendes klarstellen: Die Frage der Wirtschafts- und Währungsunion ist in ihrer harten Substanz kein bilaterales deutsch-französisches Problem, sondern tatsächlich eine multilaterale Problemaufgabe.
    Um zu zeigen, daß wir inzwischen in unserer eigenen Meinungsbildung nicht zurückgefallen, sondern vorangekommen sind, um auch zu zeigen, daß bei diesen Bemühungen die Mitglieder der Bundesregierung von einem gemeinsamen, klar entwickelten Konzept geleitet werden, möchte ich, in Unterstreichung und Ergänzung der Ausführungen des Herrn Außenministers, in einigen Thesen beschreiben, wie wir von deutscher Seite gerade nach den fruchtbaren Erfahrungen der Gespräche von Paris die Entwicklungslinien zur Wirtschafts- und Währungsunion nunmehr sehen. Wir können dankbar feststellen, daß uns alle Fraktionen dieses Hauses in unseren Bemühungen internationaler Art um die Wirtschafts- und Währungsunion nachdrücklich unterstützt haben. Um so mehr sind wir wohl verpflichtet, hier und heute unsere Position noch etwas deutlicher zu skizzieren.
    Erstens. Über die erste Stufe mit einer Dauer von drei Jahren besteht ein weitgehender Konsensus. Aber diese erste Stufe ist kein Ziel in sich; sie hat nur Sinn, wenn die Regierungen von Anfang an ihren politischen Willen bekräftigen, die Wirtschafts- und Währungsunion innerhalb eines Zeitraumes von etwa zehn Jahren zu vollenden.
    Zweitens. Zwischen den wirtschaftspolitischen und den währungspolitischen Aktionen muß dabei durchgehend eine effektive Parallelität gesichert werden. Einseitige währungspoltische Bindungen ohne wirtschaftspoltische Entsprechungen würden sich bald als ein stabilitätspolitischer Fehlschlag erweisen, als ein Kartenhaus, das bei jedem Windstoß zusammenstürzen würde.
    Drittens. Die Vision von der Endstufe der Entwicklung darf dabei vom heutigen Standpunkt aus nicht im Nebel völliger Ungewißheit zerfließen. Sicherlich ist es weder möglich noch angebracht, alle möglichen institutionellen Feinheiten für die Endstufe heute liebevoll im Detail zu beschreiben. Das will niemand. Wohl aber geht es uns heute um die präzise Formulierung einiger fundamentaler Prinzipien auch für die Endstufe. Dazu gehört u. a. auch die Feststellung, daß die Gemeinschaft mit den erforderlichen Befugnissen ausgestattet sein muß, z. B. für die gemeinsame Geld- und Kreditpolitik, für die Steuerpolitik, für die Budgetpolitik, für die Kapitalmarktpolitik. Hinsichtlich der Verteilung der Kompetenzen auf die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten sollte der altehrwürdige Grundsatz der Subsidiarität gelten.
    Viertens. Die Gemeinschaftsorgane müssen in die Lage versetzt werden, rasch und wirksam jene wirtschafts- und währungspolitischen Entscheidungen treffen zu können, die für den Zusammenhalt und für das Funktionieren der Union erforderlich sind. Ich füge hinzu: Selbstverständlich müssen dementsprechend die Befugnisse des Europäischen Parlaments ausgebaut werden.
    Fünftens. Das in der Endstufe unerläßliche gemeinschaftliche Zentralbanksystem kann nach unserer Auffassung seine Aufgabe nur dann voll erfüllen, wenn es eine adäquate Eigenverantwortlichkeit besitzt. Für die einzelnen Stufen könnte der Rat die Notenbankgouverneure einladen, die jeweilige Art der Zusammenarbeit durch Verein- i barungen zwischen den Notenbankpräsidenten festzulegen. Mit dieser Lösung würde nicht zuletzt auch der in den einzelnen Ländern unterschiedlichen konstitutionellen Lage der Zentralbanken Rechnung getragen.
    Sechstens. Die Maßnahmen der ersten Stufe könnten möglichst bald beginnen. Das gilt auch und gerade für die dort vorgesehenen monetären Maßnahmen, über die ein prinzipieller Konsensus bereits weitgehend vorliegt. Es sind dies folgende vier sehr wichtige Dinge: 1. Einengung der Bandbreiten der Wechselkurse innerhalb der Gemeinschaft, 2. gemeinsame Interventionen der Zentralbanken der Gemeinschaft auf den Devisenmärkten, 3. Bereitstellung eines mittelfristigen Währungsbeistands, also beispielsweise Zahlungsbilanzhilfen, und 4., falls die Voraussetzungen dafür vorliegen, möglicherweise in der zweiten Hälfte der ersten Phase, auch die Errichtung eines Devisenausgleichsfonds oder eines Reservefonds.
    Meine Damen und Herren, das ist alles schon sehr weitgehend. Grundsätzlich sollte man jetzt die Absicht erklären, daß rechtzeitig vor dem Ende der Drei-Jahres-Periode, also der ersten Phase, Bilanz gezogen und über die weiteren gemeinschaftlichen Instrumente und Maßnahmen- konkret und rechtsverbindlich entschieden werden muß. Zu jenem Zeitpunkt, also am Ende der ersten Dreijahresperiode sollten die zuständigen Stellen der Gemeinschaft in einer Analyse darlegen, welche Schritte entweder auf der Grundlage des geltenden Vertrags, — oder ergänzend auf der Basis des bekann-



    Bundesminister Dr. Schiller
    ten Artikels 235 — und schließlich auf der Grundlage von Vertragsänderungen nach Artikel 236 notwendig und möglich sind. Bei dieser Sortierng der Instrumente und Maßnahmen nach diesen drei Kategorien am Ende der ersten Stufe kann das Prinzip der Subsidiarität wieder eine nützliche Richtschnur des Handelns sein. Wir wollen keineswegs von vornherein und wahrlich nicht total den Vertrag von Rom auf dem Wege über den Artikel 236 ändern.
    Siebentens. Heute kann niemand — das ist das eigentliche Dilemma — rechtsverbindlich erklären, ob man trotz aller politischen Absichtserklärungen hinsichtlich der bisher skizzierten Vorschläge am Ende der Dreijahresperiode, also der ersten Phase, wirklich zu einer inhaltlichen Einigung im einzelnen kommen wird. Es ist jedoch unzweifelhaft richtig, daß im Falle einer Nichteinigung über das Ökonomische dann die bestehenden monetären Verabredungen, Aktionen und Mechanismen nicht von einer entsprechenden Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Wirtschaftspolitik begleitet sein würden. Das wäre gefährlich. Das Prinzip der effektiven Parallelität wäre dann nicht verwirklicht. Für diesen Fall müssen heute schon gewisse Sicherungen eingebaut werden.
    Dafür sind zwei Wege denkbar, die einander nicht ausschließen, sondern sich ergänzen können: zum einen die schon von Herrn Scheel erwähnte „clause de prudence", die Vorsichtsklausel, nach der ein Land, das trotz anhaltender währungspolitischer Notwendigkeit die erforderliche wirtschaftspolitische Konsequenz nicht zieht oder nicht ziehen kann, dann von der gemeinschaftlichen Währungshilfe ausgeschlossen wird.
    Aber das allein dürfte nicht genügen. Wirksamer erscheint eine andere Klausel, eine „clause de sauvegarde", eine Vorbehalts- oder Verfallsklausel. Das heißt, für alle währungspolitischen Aktionen, für alle Vereinbarungen in diesem Bereich, würde die gleiche Frist, die gleiche Geltungszeit, festgelegt werden. Im Falle der Nichteinigung im Sinne des Stufenplans hinsichtlich der ökonomischen Dinge würden dann also die monetären Aktionen und Einrichtungen automatisch auslaufen.
    Dabei könnte man für die monetären Aktionen und Verabredungen ab Beginn generell eine Vierjahresfrist festlegen. Damit wäre angesichts der bestehenden und im groben verabredeten Dreijahresfrist — für die erste Phase des Stufenplans — genügend Spielraum für weitere Versuche zur Einigung im wirtschaftspolitischen Bereich gegeben. Diese Terminfestsetzung für den monetären Bereich würde einen heilsamen Druck ausüben, eine förderliche Kraft dafür sein, daß die Parallelität doch noch hergestellt und ein Fortschritt im Sinne des Stufenplans erzielt wird.
    Achtens. Schließlich sollte die Gemeinschaft im Sinne ihrer Erweiterung die Beschlüsse über die Bildung der Wirtschafts- und Währungsunion so formulieren, daß auch die Beitrittsanwärter am Ende der ersten Stufe für den gemeinsamen Übergang zur folgenden Phase und für deren Gestaltung optieren könnten.
    Dieser 8-Punkte-Katalog zeigt: wir haben von unserem ursprünglichen Konzept auf der Basis des Werner-Berichtes nichts weggegeben. Wenn das Konzept heute nun als pragmatisch bezeichnet wird, so möchte ich sagen: dies ist ein Pragmatismus mit Zielvorstellungen, dies ist ein Pragmatismus auf Zeit. Um es noch einmal zu sagen und um alle Mißverständnisse auszuschließen: dies ist kein im einzelnen bilateral abgesprochenes Konzept; das ist vielmehr unsere Linie, die wir in Kenntnis einiger essentials anderer Partner formuliert haben. Es ist ein Konzept, von dem wir glauben, daß es der Einigung förderlich sein wird, ohne die fundamentalen Grundsätze einer Wirtschafts- und Währungsunion zu gefährden.
    Wir werden am 8. und 9. Februar am Verhandlungstisch in Brüssel im Rat gemeinsam beraten. Ich habe die Zuversicht, daß wir bei dieser Beratung weitere Fortschritte machen werden. Mein Kollege Giscard d'Estaing hat am Dienstag dieser Woche mit Recht darauf hingewiesen, daß ein Werk von solcher Bedeutung und von solcher Dimension jetzt wohl kaum in übertriebener Hast und Eile abgeschlossen werden könne.
    Wenn aber eine Einigung entlang den Linien eines solchen Konzepts erfolgen würde, so würde die Gemeinschaft in der Zukunft Schritt für Schritt eine neue Qualität erreichen. Sie wird nicht nur in der Weltwirtschaft, sondern auch in der Weltpolitik ein immer stärkeres Element der Stabilität werden. Sie wird dann auch im Innenverhältnis zu jener Integration der einzelnen Volkswirtschaften führen und vordringen, die den Namen „Wirtschaftsunion" wirklich verdient. Für den Weg zu diesem Ziel gibt es keine Automatik, steht uns keine Glücksmaschine zur Verfügung, die die Entwicklung programmieren und Stufe für Stufe verwirklichen würde. Solche Automatik würde im übrigen allzu leicht umschlagen in eine Zwangsapparatur, die uns in neue Ungleichgewichte führen würde.
    Meine Damen und Herren, was wir jetzt brauchen, ist Flexibilität in den einzelnen Phasen, aber Festigkeit in unseren letzten Zielvorstellungen. Ohne solche Festigkeit — und ich sage das mit allem Bedacht würden wir leicht im Zwielicht eines höchst unvollkommenen und unausgewogenen geldpolitischen Nothilfesystems landen. Und das wollen wir vermeiden. Dazu brauchen wir für die entscheidenden Stationen des Übergangs von einer Stufe zur anderen deutliche Absicherungen und klar formulierte Optionen für die beteiligten Länder. Nur dadurch, durch Absicherungen und durch solche klaren Optionen, die angeboten werden müssen, erhöhen wir die Chancen dafür, daß sich die Mitgliedstaaten auf diesem Wege richtig und nach vorn entscheiden, daß sie die Kosten dieses gemeinsamen Abenteuers gemeinsam tragen und seine Früchte dereinst gemeinsam genießen werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.




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    Rede von Prof. Dr. Claus Arndt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es läge natürlich nahe, obwohl Herr Kollege Kiesinger den Saal verlassen hat, einiges zu dem zu sagen, was er uns hier in der blumenreichen Sprache seiner schwäbischen Heimat dargelegt hat. Ich glaube, man könnte es auf zwei scheinbar nebensächliche Sätze aus seiner Rede konzentrieren, auf jene Sätze, in denen er gesagt hat, daß ohne die Mitwirkung der Opposition in diesem Hause die Ost- und Außenpolitik dieser Bundesregierung scheitern werde. Noch deutlicher hat er sich, ja, ich möchte sagen: entlarvt

    (Aha! bei der CDU/CSU)

    mit dem Satz, den er hier gesprochen hat, daß die Ost- und Deutschland- und Außenpolitik dieser Bundesregierung, der Koalition aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten, innenpolitisch nichts eingebracht habe. Meine Damen und Herren, deutlicher kann man nicht zeigen, wie man die Opposition der CDU/CSU zu dieser Politik zu verstehen hat. Sie zielt darauf, innenpolitisch hier im Lande etwas zu erreichen. Sie zielt darauf, die Außenpolitik als Vehikel zum Sturz dieser Regierung zu benutzen.

    (Abg. Vogel: Sie verdrehen doch die Tatsachen!)

    Meine Damen und Herren, es ist sicherlich das gute Recht einer jeden Opposition, sich zu bemühen, die gegenwärtige Regierung durch eine eigene abzulösen. Ob aber die Außenpolitik unter dem Gesichtspunkt des nationalen Interesses eines Volkes das geeignete Vehikel ist, um die Regierung im Innern zu stürzen, darüber müssen Sie sich vor Ihrem Gewissen und vor dem deutschen Volke Rechenschaft ablegen. Ich will das hier gar nicht qualifizieren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Vogel. — Abg. Ott: Wer hat denn vor den Landtagswahlen die Verträge unter Dach und Fach bringen wollen? Doch Sie!)

    Worum geht es, meine Damen und Herren? Wir im Westen Deutschlands vertreten das Recht, die Einheit in Freiheit für das deutsche Volk zu erstreben. Jenseits von Mauer und Stacheldraht in der DDR will man ,die staatliche Einheit nach deren Vorzeichen schaffen. Diese beiden Ziele schließen sich sicherlich aus. Daran kann man keinen Zweifel haben. Dennoch müssen wir aber, weil jeder Mensch dieses Leben auf dieser Erde nur einmal zu leben hat, miteinander auskommen. Um das tun zu können, müssen wir dieses Auskommen miteinander vertraglich absichern.

    (Abg. Ott: Ohne Selbstbestimmung?)

    Die Verträge der fünfziger Jahre sind heute Fakten, sie sind nicht rückgängig zu machen. Auf ihrer Basis machen wir heute Politik und müssen wir Politik machen. Aber die Vorstellungen, die damals gerade auf dieser Seite des Hauses, hier rechts, die Motive für diese Verträge lieferten, die damals um sie herum waberten, diese Vorstellungen und Motive sind es gewesen, die uns in die Sackgasse geführt haben.

    (Widerspruch des Abg. Ott.)

    Auch hierfür ist wieder der Rede des Herrn Abgeordneten Kiesinger ein deutliches Beispiel zu entnehmen gewesen. Er hat nämlich gesagt, es gebe keine Entspannung in Europa, wenn die Bundesregierung die Sowjetunion nicht zur Aufgabe ihrer weltrevolutionären Ziele bewege. Nun, meine Damen und Herren, wenn dieses Ihre Bedingung für die Entspannung ist, dann erklären Sie durch Ihren Parteivorsitzenden, daß Sie andere Ziele als die Entspannung haben, denn die Setzung einer unmöglichen Bedignung zeigt, daß Sie dieses nicht wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist Dulles in seiner bösen Zeit, nicht en der letzten, von der Herbert Wehner, unser Vorsitzender, vorhin gesprochen hat. Diese Vorstellungen, wie sie der Abgeordnete Kiesinger hier dargelegt hat, meine Damen und Herren, können nicht die Basis sein, von der aus

    (Abg. Horten meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    nein, im Augenblick lasse ich keine Zwischenfrage zu — wir heute voranschreiten.
    Weil aber diese Vorstellungen und Motive falsch waren — wir haben Ihnen das damals von dieser Stelle aus gesagt, und dazu stehen wir auch noch heute —, müssen wir sehen, wie wir nunmehr aus dieser Sackgasse herauskommen. Wenn wir heute, wie Herr Kiesinger hier gesagt hat, sowenig Manövrierfähigkeit haben, wenn die Basis so schmal ist, dann danken wir das jener Politik von damals. Gott sei Dank hat uns das letzte Jahr gezeigt, daß die Manövrierfähigkeit größer ist als wir befürchtet haben, daß sie noch sei. Es ist aber nicht Ihr Verdienst, daß das so ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämtheit!)

    Meine Damen und Herren, wegen der fortgeschrittenen Zeit will ich mich kurz fassen. Ich meine aber, daß die Ausführungen, die ein Abgeordneter dieses Hauses gestern zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Ostverträge gemacht hat, hier nicht unwidersprochen im Raum stehenbleiben sollten. Sicherlich ist es nicht unsere Aufgabe, jetzt eine Ratifikationsdebatte vorwegzunehmen. Der Abgeordnete, von dem ich spreche, hat gesagt, ,die Gefühle des Volkes zeigten deutlich, daß das deutsche Volk die Verträge als verfassungswidrig ansähe. Dazu ist zunächst zu sagen, daß Gefühle sicherlich keine Basis sind, um die Verfassungsmäßigkeit von Verträgen in diesem Hause zu prüfen. Im übrigen ist diese Behauptung unbewiesen. Ich habe vielmehr den Eindruck, daß der Wunsch hier der Vater des Gedankens ist

    (Beifall bei der SPD)

    und daß einige von dieser Stelle aus jene Gefühle im deutschen Volk hervorlocken möchten, von denen sie behaupten, daß sie da seien. Diese Argumentation scheint mir sehr genau in eine Politik hineinzupassen, die wir im letzten Jahr hier mehr-



    Dr. Arndt (Hamburg)

    fach erlebt haben, von dieser Stelle aus etwas gemäßigter, im Lande sehr viel härter: Sie brauchen wieder ein Vehikel, um diese Regierung, mit welchem Mittel auch immer, zu stürzen.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.)

    Sie haben mit der gleichen Argumentation versucht, die Inflationsangst in diesem Lande zu schüren. Sie haben versucht, die Kriminalitätsangst hochzupeitschen. Und jetzt versuchen Sie durch solche Reden bei der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, als seien die Verträge nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen.
    Diese Bundesregierung hat, bevor sie die Verträge unterzeichnete, die Aufgabe gehabt — und sie hat diese Aufgabe auch wahrgenommen —, zu prüfen, ob die Verträge mit unserer Verfassung vereinbar seien. Niemand in diesem Lande soll so tun, als ob die Mitglieder dieser Bundesregierung ihren Eid weniger ernst nähmen als andere vor ihnen. Wir Sozialdemokraten werden uns von niemandem, aber auch wirklich von niemandem in der Treue zur Verfassung übertreffen lassen.

    (Abg. Ott: Hoffentlich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Sozialdemokraten — auch Personen, die heute hier handeln — haben in ihrer Geschichte so viele Opfer an Gut und Blut für die Treue zur demokratischen Verfassung gebracht, daß sie sich in dieser Treue zur demokratischen Verfassung von niemandem übertreffen lassen werden.

    (Abg. Ott: Sie sprechen von Opfern; das war nicht. nur Herr Wehner, sondern es waren andere auch! — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Was soll der Zwischenruf?)

    — Herr Ott, angesichts der Opfer der deutschen Sozialdemokratie halte ich es für unter meiner Würde, auf diesen Zwischenruf zu antworten.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Rock: Im Konzentrationslager haben alle nebeneinandergestanden, ob Priester, Kommunisten oder Sozialdemokraten!)

    — Sehr richtig! Aber der Abgeordnete, von dem ich soeben sprach, hat in einer Gruppe, die sich politische Partei nannte, mitgewirkt. Der Vorsitzende dieser Gruppe hatte den Eid auf die Verfassung bereits gebrochen, ehe er ihn als Reichskanzler geschworen hatte, und er kam durch den Verfassungsbruch des Reichspräsidenten in sein Amt, der damit ebenfalls seinen Eid brach. Dieser Abgeordnete ist deswegen, weil er dieser Gruppe angehörte, zuletzt legitimiert, dieser Bundesregierung implizite oder ausdrücklich zu unterstellen, daß sie die Verfassungsmäßigkeit ihrer Handlungen nicht ernst nähme.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Zurück zu dem Kernpunkt, der Verfassungsmäßigkeit unserer Ostpolitik. Diese Bundesregierung handelt, soweit sie Verbindlichkeiten setzt, nur für diejenigen, die ihr die Legitimation dazu gegeben haben. Sie handelt nur für den Geltungsbereich des Grundgesetzes, denn nur von den Deutschen im Gel tungsbereich des Grundgesetzes hat sie die demo- (I kratische Legitimation. Das ist die eine Einschränkung.
    Die andere Einschränkung ist die, daß diese Regierung ihre Politik auf jenen Gebieten, auf denen sich die Vier Mächte die aus der Besatzungszeit überkommenen Verantwortlichkeiten auf Grund des General- oder Deutschland-Vertrages noch vorbehalten, eben nur im Rahmen der Verantwortlichkeiten der Vier Mächte betreiben kann. Sie kann also für Gesamtdeutschland allenfalls Rechte wahren. Sie muß dies allerdings auch tun. Das schreibt uns die Präambel vor.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

    Ich werde darauf gleich noch zurückkommen, Herr Vogel.

    ( Die EWG wurde abgeschlossen; wir traten der NATO bei. Eine Rechtsnorm allerdings, welche Politik verböte, sie verböte auch für die Zeit, in der eben eine deutsche Regierung nicht für alle Deutschen verpflichtend handeln, sondern nur deren Rechte wahren kann, eine solche Rechtsnorm wäre keine mehr; sie wäre auf etwas Unmögliches gerichtet, sie wäre der Versuch der institutionalisierten Unmenschlichkeit, denn sie verböte es, den Menschen, die nur einmal dieses Leben auf dieser Erde haben, mehr Sicherheit, mehr Freiheit zu geben, das Leben lebenswerter zu machen. (Abg. Vogel: Das klingt wie das „Wort zum Sonntag", Herr Arndt!)

    Eine Verfassung, die ein solches Ziel hätte, wäre eben keine Verfassung; das könnte keine Rechtsnorm sein. Das ist auch nicht das Grundgesetz. Es ist vielmehr das Gegenteil unserer Verfassung.
    Das kommt aber auch daher, meine Damen und Herren, weil die Wiedervereinigung nicht allein das höchste Verfassungsgut unseres Grundgesetzes ist. Art. 26 des Grundgesetzes macht völlig deutlich, daß die Sicherung des Friedens, d. h. der primitivsten Voraussetzung überhaupt, daß Menschen auf dieser Erde miteinander leben können, das höchste Gut ist, das eine Regierung, das auch unsere Regierung zu wahren hat.

    (Abg. Schulhoff meldet sich zu einer Zwischenfrage.)




    Dr. Arndt (Hamburg)

    — Herr Schulhoff, im Augenblick lasse ich keine Zwischenfragen zu.
    Das haben auch frühere Bundesregierungen anerkannt; denn auch sie haben ja in der Debatte die Frage Einheit oder Frieden oder die Frage Einheit oder Freiheit zugunsten des Friedens entschieden, aber auch zugunsten der Freiheit, zugunsten der Grundrechte. Nicht ohne Grund haben wir das Grundrecht des Art. 1, sozusagen das Muttergrundrecht der anderen, wenn auch nicht im rechtlichen, so doch im tatsächlichen Sinne, durch Art. 79 des Grundgesetzes sogar vor der legalen Verfassungsänderung geschützt. Hier sind also Güter, die noch höher zu bewerten sind als ,das freie Zusammenleben der Menschen in ganz Deutschland. Es war richtig und gut, daß diese Priorität so gesehen wurde.
    Über die Lebensform und über die Grenzen Deutschlands kann aber nur eine Regierung entscheiden, die von allen Deutschen dazu legitimiert ist. Das haben wir auch unseren Vertragspartnern ganz klar gesagt. Ich erinnere in dem Zusammenhang nur an die Briefe, die die Bundesregierung — unwidersprochen und vorher vereinbart — unseren Vertragspartnern übersandt hat, in denen das, was ich hier mit anderen Worten gesagt habe, zusammengefaßt ist in dem Satz, daß diese Regierung nur für die Bundesrepublik Deutschland sprechen könne. Das steht im übrigen auch in den Vertragstexten selbst, denn welch andere Bedeutung hätten sonst die Vorbehaltsklauseln der Verträge, etwa Art. 4 des Moskauer Vertrages und andere.
    )Diese Bundesregierung kann also Gesamtdeutsch-
    land nicht verpflichten. — Herr Czaja!