Rede von
Karl
Moersch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kiesinger, allein die Vokabeln, die Sie soeben wieder gewählt haben, zeigen,
daß Sie die Dinge offensichtlich sehr emotional nehmen. Es geht dabei nicht um Preisgaben. Es geht darum, daß in der Tat diese Bundesregierung die Konsequenz aus Erfahrungen von acht Jahren Politik gezogen hat, und zwar die vollständige Konsequenz,
die Lehren aus Erfahrungen, die Sie selber als Bundeskanzler gemacht haben.
Ich will Ihnen hier einige dieser Erfahrungen ins Gedächtnis zurückrufen. Es gab 1961 eine Bundesregierung, der die FDP angehörte, deren Außenminister Gerhard Schröder war, die mit aktiver Ostpolitik begann. Sie begann diese aktive Ostpolitik um die DDR herum.
Herr Czaja, ich will Ihnen gleich sagen, wohin das am Ende geführt hat. Man hat die Augen vor der Tatsache verschlossen, daß dort ein wichtiges Mitglied des Warschauer Paktes vorhanden ist. Das hat dazu geführt, daß wir über Handelsmissionen nicht hinausgekommen und nicht zu wirklichen politischen Kontakten und Gesprächen gelangt sind.
Zum zweiten haben Sie dann etwas getan, was Sie sicherlich nicht wollten, was aber zeigt, daß Sie die Dinge nicht zu Ende gedacht hatten. Sie haben nämlich die diplomatischen Beziehungen mit Rumänien in einem Zeitpunkt und in einer Form aufgenommen, die dazu geführt haben, daß wenige Wochen und Monate später eine außerordentliche Verhärtung in den sich bereits bessernden Beziehungen zur Tschechoslowakei und zu Ungarn eingetreten ist. Die damalige Nichtaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Ungarn und zur Tschechoslowakei hängt zeitlich eng zusammen mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien, weil diese Beziehungen ohne entsprechende Absicherung mit der Sowjetunion und den anderen osteuropäischen Staaten begonnen wurden. Damals entstand ein Eindruck, den Sie sicherlich nicht erwecken wollten und der in der Sache falsch war, nämlich der Eindruck, daß Sie eine Isolierungspolitik um die DDR herum betreiben wollten. Damit haben Sie damals zweifellos psychologisch einen Fehler gemacht.
— Ich habe gesagt, daß man aus diesen Erfahrungen lernen mußte, daß niemand diese Konsequenz in jeder Weise voraussehen konnte. Aber wenn man diese Erfahrung gemacht hat, ist es doch nützlich, daraus zu lernen, nämlich zu sehen, daß man nicht um die DDR herum Politik machen kann, sondern daß man sie in die Entspannungspolitik einbeziehen muß, wenn diese auf die Dauer erfolgreich sein will. Wenn Sie das bestreiten, sind wir allerdings verschiedener Meinung.