Rede:
ID0609403600

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 6094

  • date_rangeDatum: 29. Januar 1971

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    Deutscher Bundestag 94. Sitzung Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 Inhalt: Begrüßung einer Delegation der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments unter Führung des Präsidenten van Thiel 5127 A Amtliche Mitteilungen 5127 B Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, VI/ 1728) in Verbindung mit Aussprache über den Bericht der Bundesdesregierung zur Lage der Nation 1971 (Drucksache VI/ 1690) Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 5127 C Dr. Achenbach (FDP) 5136 C Mattick (SPD) . . . . . . . . 5139 B Scheel, Bundesminister . . . . 5144 A Dr. Dr. h. c. Birrenbach (CDU/CSU) 5152 A Wehner (SPD) . . . . . . . 5157 B Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 5162 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 5167 C Dr. Schiller, Bundesminister . . . 5174 B Dr. Arndt (Hamburg) (SPD) . . . . 5177 A Dr. Mende (CDU/CSU) 5179 D Brandt, Bundeskanzler 5182 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 5186 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) . 5189 C Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5191 A Anlagen 2 und 3 Entschließungsanträge Umdrucke 101 und 102 zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, W1728) 5191 D Anlage 4 Änderungsantrag Umdruck 103 zum Entschließungsantrag Umdruck 101 zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, VI/1728) . . 5191 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 5127 94. Sitzung Bonn, den 29. Januar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens * 29. 1. Alber * 29. 1. Dr. Arndt (Berlin) 1. 2. Dr. Artzinger ** 29. 1. Bals * 29. 1. Bauer (Würzburg) * 29. 1. Blumenfeld 29. 1. Bühling 28. 2. Dr. Burgbacher ** 29. 1. Dasch 5. 4. van Delden 29. 1. Dichgans 29. 1. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 29. 1. Dr. Dittrich ** 29. 1. Dr. Dollinger 23. 2. Dorn 29. 1. Draeger *** 29. 1. Dröscher ** 29. 1. Fellermaier ** 1. 2. Flämig ** 29. 1. Fritsch * 29. 1. Dr. Furler * 29. 1. Gewandt 29. 1. Dr. Giulini 29. 1. Dr. Götz 13. 2. Frau Griesinger 29. 1. Grüner 29.1. Frhr. von und zu Guttenberg 29. 1. Dr. Hallstein 29. 1. Frau Herklotz * 29. 1. Dr. Hermesdorf (Sehleiden) * 29. 1. Hösl * 29. 1. Dr. Jobst 29. 1. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kempfler 29. 1. Frau Klee * 29. 1. Klinker 29. 1. Dr. Koch ** 29. 1. Kriedemann ** 29. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 1. Lange ** 29. 1. Lautenschlager ** 29. 1. Leicht 29. 1. Lemmrich 29. 1. Lenze (Attendorn) * 29. 1. Dr. Löhr ** 2. 2. Dr. Martin 29. 1. Maucher 12. 2. Memmel ** 29. 1. Dr. Müller (München) * 29. 1. Pieroth 29. 1. Pöhler * 29. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Dr. Prassler 29. 1. Rasner 12. 2. Riedel (Frankfurt) *5 29. 1. Richarts * 29. 1. Richter *** 29. 1. Dr. Rinderspacher *** 29. 1. Roser 29. 1. Schachtschabel 29. 1. Schmidt (Würgendorf) * 29. 1. Dr. Schmücker * 29. 1. Dr. Schober 29. 1. Frau Schroeder (Detmold) 29. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 29. 1. Saxowski 2. 2. Sieglerschmidt * 29. 1. Springorum ** 29. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 29. 1. Steiner 29. 1. Strauß 29. 1. v. Thadden 6. 2. Frau Dr. Walz *** 29. 1. Dr. Warnke 29. 1. Weber (Heidelberg) 29. 1. Werner 29. 1. Wienand * 29. 1. Dr. Wörner 29. 1. Anlage 2 Umdruck 101 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung - Drucksachen VI/ 1638, VI/ 1728 . Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag stimmt der Politik des Nordatlantischen Bündnisses zu, wie sie im Kommuniqué der Ministertagung des Nordatlantikrates vom 3. und 4. Dezember 1970 in Brüssel niedergelegt worden ist (Drucksache VI/1686). Er fordert die Bundesregierung auf, ihre Politik im Einklang mit den darin enthaltenen Grundsätzen fortzuführen. Bonn, den 28. Januar 1971 Wehner und Fraktion Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 102 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung - Drucksachen VI/1638, VI/1728 -. 5192 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag verfolgt mit Sorge die ständigen Versuche, den freien Zugang nach Berlin zu behindern. Der Deutsche Bundestag sieht in diesen Behinderungen eine Aktion, die das Ziel verfolgt, West-Berlin von der Bundesrepublik und der freien Welt zu isolieren. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß Behinderungen auf den Zufahrtswegen nach Berlin dem Geist der Entspannung, dem Geist des Gewaltverzichts und dem Geist der Normalisierung widersprechen. Bonn, den 29. Januar 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 4 Umdruck 103 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zum Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung — Drucksachen VI/1638, VI/1728 — Umdruck 101 —. Der Bundestag wolle beschließen: Der Antrag der Fraktionen der SPD, FDP — Umdruck 101 — wird durch folgenden Satz ergänzt: „Insbesondere betont der Bundestag — entsprechend dem NATO-Kommuniqué — das Recht des Volkes jedes europäischen Staates, sein eigenes Schicksal frei von äußerem Zwang zu gestalten." Bonn, den 29. Januar 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Kurt Mattick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fand es gut, daß gestern hier an diesem Pult Herr Becher gestanden hat, weil ich glaube, daß es gut ist, wenn über das Haus hinaus auch draußen einmal deutlich wird, in welch schwierigem Spannungsfeld sich die CDU und wer sich in ihren Reihen befindet. Ich habe nicht die Absicht, mich mit Herrn Becher auseinanderzusetzen; das muß die CDU selber tun. Aber durch einen solchen Auftritt wird klarer, daß wir hier zum
    Teil ein Schattenboxen veranstalten, weil die CDU aus dem Rahmen, den sie sich selber gesteckt hat, gar nicht herauskommt.
    Einige 'Redner der CDU haben gestern den Versuch gemacht, mit alten Zitaten nachzuweisen, daß sich die sozialdemokratische Position wesentlich geändert habe.

    (Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Na, so alt sind die gar nicht!)

    — Meine verehrten Damen und Herren, lesen Sie doch einmal Ihre eigenen Reden aus der Vergangenheit nach! Untersuchen Sie doch einmal, ob es einen maßgeblichen Politiker in diesem Hause gibt, der nicht, so lange noch andere Voraussetzungen gegeben waren, etwas gesagt hat, was heute nicht mehr gilt! Das fing doch wohl mit Dr. Adenauer an, als er sich 1949 darauf festlegte, daß in Deutschland nie wieder eine Aufrüstung stattfinden würde. 1950 hatte er diesen Standpunkt bereits wieder aufgegeben.
    Ich will damit nur sagen: Wir lassen uns durch solche Erinnerungen an Zitate aus einer Zeit, als sich Europa noch in einer anderen politischen Position befand, nicht von der heutigen Wirklichkeit ablenken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie können uns damit nicht erschüttern. Wir können Ihnen genauso viele Zitate von Ihnen vorlegen, die heute nicht mehr zutreffend sind. Das ist nun einmal so in der Politik: Man stellt sich auf eine eigene Position ein, und in dieser Position versucht man durch das, was man sagt, auf die Politik einzuwirken. Jeder vernünftige Mensch, der in der Politik steht, muß die Position immer wieder überprüfen, und wenn sich diese Position nicht auf Grund der eigenen Verhaltensweise, sondern durch die Entwicklung in der Welt ändert, wird man prüfen müssen, ob die ursprünglichen Verhältnisse noch bestehen. Daher habe ich mich darüber gefreut, daß Herr von Guttenberg gestern abend in der Diskussion, die ich beobachtet habe, erklärt hat, auch die CDU sei variabel geworden, und auch die CDU habe ihren Standpunkt wesentlich geändert. Also lassen wir doch diesen Unsinn, als ob irgend jemand auf Aussagen festgenagelt werden könnte, die er in einer Phase gemacht hat, in der die politische Auseinandersetzung noch unter anderen Vorzeichen stand als heute.
    Nach 25 Jahren Politik, die zum Teil wir, zum Teil die Alliierten zu verantworten haben, haben sich die Ausgangspositionen geändert, ist das, was 1945 entstanden war, im Grunde genommen nicht mehr diskutabel oder nicht mehr dazu angetan, eigene Rechtsansprüche auf etwas aufzubauen, was durch die Entwicklung völlig überholt ist. Die Berufung auf die Kapitulationsbedingungen ist nicht mehr möglich. Die Potsdamer Vereinbarungen sind restlos ausgehöhlt.

    (Abg. Baron von Wrangel: Aber wir sollten sie nicht weiter aushöhlen!)

    Der Standpunkt der Westmächte, den sie schon in
    Potsdam eingenommen haben und den wir immer



    Mattick
    wieder zur Grundlage unseres Rechtsanspruchs machen, ist inzwischen so klargeworden, daß es überhaupt nicht mehr sinnvoll ist, sondern höchstens eine Belastung unseres Verhältnisses zu den Westmächten bei der künftigen Zusammenarbeit darstellt, wenn man sich auf die Vergangenheit beruft.
    Es ist unmöglich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, heute noch davon auszugehen, daß die vier Siegermächte — oder auch nur die Sowjetunion -mir auf den Knopf zu drücken brauchten, um einen Zustand wiederherzustellen, den wir uns früher einmal vorgestellt haben, und daß es sich bei der Bildung der DDR um eine Übergangserscheinung handele, so daß die Sowjetunion eines Tages auf den Knopf drücken könnte, um die Wiedervereinigung und freie Wahlen in ganz Deutschland herbeizuzaubern. Der Zug ist doch endgültig abgefahren! Darüber müssen wir uns doch wohl alle im klaren sein, und wir müssen daher wissen, daß wir unsere Politik auf andere Positionen aufzubauen haben. Und auch dieser Zug ist doch endgültig abgefahren: die Vorstellung aus der Ära Adenauer/Dulles - um sich das in Erinnerung zu rufen, weil man sich ja so gern erinnert —, die Möglichkeit einer machtpolitischen Verschiebung in Europa sei noch gegeben.
    Ich komme zu dieser Feststellung, meine Damen und Herren: Aus dem sogenannten kurzen Weg von Adenauer und Dulles ist ein unendlicher geworden. Nur der lange Weg bietet für uns noch eine Chance, das Ziel zu erreichen. Davon müssen wir ausgehen, wenn wir heute unsere Politik bestimmen.
    Allerdings, verehrte Anwesende, ist folgendes zu sagen. Wer den Parteitag der CDU beobachtet und wer gestern das Gespräch im Fernsehen verfolgt hat, geht und das tue ich — von dieser Voraussetzung aus: hier wurde gestern und heute nicht darum gekämpft, ob man und wie man die deutsche Außenpolitik der Bundesregierung unterstützen kann, sondern es ist ganz deutlich geworden, sowohl auf dem CDU-Parteitag als auch gestern durch eine Berner-kung von Herrn Dr. Schröder, daß die CDU allein darauf eingestellt ist, dieser Regierung bei jeder möglichen Politik Knüppel zwischen die Beine zu werfen, diese Regierung, wie es ja Herr Kiesinger täglich hinausposaunt, so schnell wie möglich zum Ende zu führen. Und dann ist es natürlich logisch — —(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    — Schön, daß Sie Beifall klatschen! Darin kommt Ihre ganze Schizophrenie zum Ausdruck.

    (Abg. Dr. Barzel: Mattick, nehmen Sie mal das Wort weg! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sie tun so, als kämpften Sie hier noch darum, an den Verträgen oder an der Politik, die zu ihnen geführt hat, etwas zu verbessern. Aber das liegt ja gar nicht in Ihrem Interesse! In Ihrem Interesse liegt das Scheitern dieser Politik!

    (Pfui-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Das ist auf Ihrem Parteitag deutlich geworden, das ist gestern abend deutlich geworden, und das ist hier in dieser Debatte deutlich geworden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Machen wir uns doch hier nichts mehr vor! Und Ihr Pfui hilft uns da doch gar nichts.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warten wir doch die Berliner Wahlen ab, Herr Mattick! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, ja, ich weiß, Sie machen hier schöne Worte. Und im Grunde genommen ist die Bemerkung des Herrn Dr. Marx von vorhin: „Wir, die Mehrheitspartei ..." — was ja Quatsch ist; das muß wohl jeder zugeben — —

    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Was haben Sie gesagt?)

    — „Wir, die Mehrheitspartei ...". Das haben Sie gesagt!

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ich habe gesagt, daß diese Fraktion die Mehrheit im Volke hinter sich weiß! Das können Sie nicht abstreiten!)

    — „Die Mehrheitspartei, die wir ja eigentlich sind ...". So haben Sie gesagt, Herr Marx. Ich muß sagen, Sie sind mir ein schöner Demokrat. Was Sie manchmal für Vorstellungen von der parlamentarischen Demokratie haben, wenn es für Sie nicht mehr in den Kram paßt, wie sie läuft! Das ist phantastisch.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Halten Sie doch keine Volkshochschulrede über die parlamentarische Demokratie! Was das ist, parlamentarische Demokratie, das weiß ich bei Gott!)

    Die Mehrheit dieses Hauses ist bestimmt durch den Wähler, und der Wähler ist sogar noch durch die Übertritte von Mende und anderen Herren betrogen worden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Sehr gut! — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Durch diese Politik ist er betrogen worden! Vor der Bundestagswahl haben Sie eine ganz andere Politik verkündet!)

    Die Mehrheit dieses Hauses ist bestimmt durch den Wähler und wird durch ihn alle vier Jahre wieder bestimmt. Und in diesen vier Jahren — so sollte es in der parlamentarischen Demokratie sein — bestimmt diese Mehrheit die Politik. Daß Ihnen das nicht paßt, leuchtet mir ein, denn Sie sind ja einmal davon ausgegangen, daß Sie die Partei des Staates sind und daß die andere Partei die Opposition bleiben muß. Aber ich glaube, Sie müssen sich damit abfinden, daß das nicht mehr so ist.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Wo ist Ihre Mehrheit?)

    Nun hat es mich gewundert, daß Herr Dr. Barzel von den Gesprächen, die er in Warschau mit den Polen geführt hat, nicht wenigstens diesen einen Gedanken als den entscheidenden mitgebracht hat:



    Mattick
    die deutsche Außenpolitik, die in ihrer Vergangenheit auf Positionen gesetzt hat, die heute nicht mehr möglich sind, und die durch die deutsche Bundesregierung nunmehr auf neue Wege geführt wird, ist — das hätten Sie in Warschau eigentlich erfahren müssen, Herr Dr. Barzel — überhaupt nur möglich, wenn wir als ihre Voraussetzung die Verträge abschließen, um die es sich in dieser Runde jetzt handelt. Ich möchte das hier sagen, meine Damen und Herren, weil es nach draußen immer wieder so dargestellt wird, als wenn die Verträge der Selbstzweck dieser Politik seien. Nein, wir sollten es sehr offen und klar sagen: die Politik, die wir entwickeln möchten, an der wir arbeiten, setzt diese Verträge voraus, weil ohne diese Verträge das Tor für die Kooperation mit den östlichen Ländern, die dazu bereit sind, nicht aufgestoßen werden kann. Dieser Weg wird lang sein, aber er wird in dieser Phase begonnen werden, wie es gerade der PolenVertrag deutlich gemacht hat.
    Herr Barzel wird dann auch in Warschau erfahren haben, was ich vor ihm erfahren konnte, daß die Polen z. B. von folgendem Standpunkt ausgehen: Wir betrachten den Vertrag zwischen uns als bestehend, weil wir wissen, daß die Ratifikation nicht von den beiden Partnern, sondern von Dritten abhängt. Daher werden wir das, was wir versprochen haben, Herr Barzel — das ist Ihnen doch sicher auch gesagt worden; Sie haben ja angeblich sogar Neues mitgebracht —, was wir bei den Vertragsverhandlungen neben dem Vertrag zugesagt haben, jetzt in die Wege leiten. Wir hoffen, daß wir gemeinsam alles andere, was mit dem Vertrag zusammenhängt, auch dann in die Wege leiten, wenn die Ratifizierung durch Dritte noch aufgehalten wird. — Ich finde, daß ist ein Standpunkt, der hier dargelegt werden sollte und der auch von Ihnen hier hätte dargelegt werden können, nachdem Sie in Warschau waren und sich dort viel vernünftiger geäußert haben, als das hier wieder zum Ausdruck gekommen ist, wo Sie in der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung standen.
    Meine Damen und Herren, was wir mit dieser Politik wollen ich komme da gleich auf den Kern, der hier eine Rolle gespielt hat —, ist folgendes: Wir sind erstens zu der Erkenntnis gekommen, daß eine Möglichkeit, die Positionen der Bundesrepublik und des Westens dem Osten gegenüber durch westlichen Druck oder durch Abwarten zu verändern, nicht besteht,

    (Abg. Dr. Barzel: Einverstanden!)

    daß die Verhärtung dadurch stärker wird und wir keinen Schritt weiterkommen. Wir gehen davon aus, daß mit der Vertragspolitik, die wir eingeleitet haben, die Voraussetzung gegeben ist — und da sage ficht jetzt: auf langem Wege und mit langem Atem —, schrittweise Kooperationen mit Teilen und vielleicht später mit dem ganzen Ostblock zustande zu bringen, die dazu beitragen, eine Entspannung herbeizuführen, Interessenverlagerungen mit sich zu bringen und die Voraussetzungen zu schaffen, eine Friedenspolitik zu führen, an der wir alle gemeinsam beteiligt sein können.
    Da wird jetzt gleich der Zwischenruf kommen: Aber die DDR. Lassen Sie mich darum in diesem Zusammenhang ein paar Bemerkungen dazu machen. Meine Damen und Herren, ich sehe es so: der Schwarze Peter der europäischen Friedenssicherung sowie der Friedenskonferenz sowie überhaupt der Beziehungen zwischen den Ländern des Ostblocks und Westeuropa liegt nun in Pankow. Da unterscheide ich mich in der Einschätzung von dem, was hier Herr Dr. Marx gesagt hat. Die Lage im Ostblock ist auch nicht so, daß die Sowjetunion auf Grund ihrer Machtposition nur auf den Knopf zu drücken braucht.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : So primitiv denke ich nun wirklich nicht!)

    Und was den Zwischenruf angeht, den ich hier vorhin aus der CDU-Reihe gehört habe, daß die Sowjetunion dies und das nicht zulasse: so eingeschnürt ist die Führung der DDR auch nicht. Ich glaube, da sind sich diejenigen unter uns, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, einig. Folglich ist es auch nicht so einfach, daß die Sowjetunion nach dem 12. August einfach bestimmen konnte, welche Politik die DDR jetzt macht.

    (Zuruf des Abg. Baron von Wrangel.)

    Wie ich sehe, sind wir uns da einigermaßen einig. Wenn das so ist, gehe ich von folgendem aus: Ich nehme nicht an, daß sich die Sowjetunion nach dem 12. August 1970 den Ablauf der Entwicklung so gedacht hat.
    Worum geht es? In seiner Neujahrsbotschaft hat Ulbricht folgendes festgestellt:
    Der Abschluß der Verträge zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland sowie zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik ist ein großer Erfolg der Friedenspolitik und brachte neue Momente in die Lage Europas. Die große Bedeutung dieser Verträge besteht darin, daß in ihnen die Unverletzbarkeit und Unabänderlichkeit der Grenzen in Europa einschließlich der Westgrenze der Volksrepublik Polen und der Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich anerkannt werden. Außerdem hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtend erklärt, die Beziehung zur DDR auf der Grundlage der vollen Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung zu gestalten sowie den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zur Organisation der Vereinten Nationen und deren Spezialorganisationen zu fördern.
    Ulbricht sagt dann weiter:
    Was das West-Berlin-Problem betrifft, das im Interesses des Friedens in Europa geregelt werden sollte, so habe ich unseren Standpunkt hierzu in meiner Neujahrsbotschaft bereits ausgeführt. Obwohl es hier um komplizierte Fragen geht, sind wir doch der Ansicht, daß vereinbarte Regelungen möglich sein sollten,



    Mattick
    — und jetzt kommt der Pferdefuß, über den wir mit ihm, auch hier an dieser Stelle und öffentlich, reden müssen —
    wenn auch die andere Seite
    — damit sind wir angesprochen —
    durch entsprechendes Entgegenkommen ihren ernsthaften Verständigungswillen unter Beweis stellt.
    Hier irrt Herr Ulbricht. Hier stehen Herr Ulbricht und die SED-Führung vor einer entscheidenden Frage. Der Feststellung, daß die Bundesrepublik mit ihrer Ostpolitik und den Verträgen einen neuen Weg gegangen ist, daß sie damit den Weg für eine neue Entwicklung freigemacht hat — diese Entwicklung kann lange dauern; sie ist nicht zuletzt von unserer Beharrlichkeit abhängig —, muß die DDR-Führung die folgende Frage anschließen: Zu welchen Konzessionen sind wir, die DDR, bereit, um die Verständigung nicht an Berlin scheitern zu lassen, nachdem die Bundesrepublik diese Schritte getan hat?
    Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie haben erklärt, Sie wollten die Bundesregierung in der Berlin-Frage unterstützen. Diese Unterstützung wird im Osten nur ernst genommen werden, wenn daran die Vorstellung geknüpft werden könnte, daß Sie dann, wenn in der Berlin-Frage etwas erreicht wird, den Verträgen zustimmen. Ihre Zusage, uns in der Berlin-Frage zu unterstützen, ist ein Unsinn, wenn Sie vorher festlegen, zu den Verträgen niemals ja zu sagen. Die anderen wissen dann doch, daß sie durch ihre Berlin-Politik, die Sie unterstützen, keine breitere Mehrheit bei der Ratifizerung der Verträge im Bundestag erreichen, weil Sie bei Ihrem Nein zu den Verträgen bleiben.
    Aber zurück zu West-Berlin. Ich möchte hier etwas sagen, was meiner Ansicht nach einmal für die ganze deutsche Bevölkerung und auch an die Adresse der SED-Führung gesagt werden muß. Daß West-Berlin für die DDR-Führung eine unpäßliche Belastung ist, begreifen wir. Der jetzige Zustand ist aber nicht unser Werk, sondern das Nachkriegswerk der Siegermächte. So wie sich die SED mit dem Berlin-Zustand, wie er gewachsen ist und wie er sich unvermeidbar auf Grund der internationalen Politik entwickelt hat, abfinden muß, so hat sich auch die Bundesregierung mit anderen Gegebenheiten in Europa abfinden müssen. Die DDR steht nun vor der Frage, ob sie bereit ist, gleichermaßen zu handeln, wie die Bundesregierung gehandelt hat, oder ob sie auf dem hohen Roß sitzenbleiben will und sich zu keiner Konzession bereit finden will. Nur wenn sie in Berlin den gleichen Schritt tut, den die Bundesregierung auf großer Ebene getan hat, leistet sie ihren Beitrag zur Friedenspolitik. Sie hilft damit auch den Ländern des Ostblocks, die an der Fridenskonferenz interessiert sind und die im Grunde genommen 15 Jahre stillgehalten und zugelassen haben, daß die DDR auf dem Wege des Interzonenhandels — das bedeutet Anschluß an die EWG — allein von der westlichen Entwicklung profitieren konnte. Wir werden, genauso wie die Sowjetunion, viel Geduld haben müssen. Allerdings sollten wir es der SED nicht gestatten, den Gesamtprozeß zu blockieren. Sofern die SED nicht bereit ist, ihren Beitrag zu leisten, sollten wir unseren Weg weitergehen, wo immer dies möglich ist. Wir sind bereit, gegenüber anderen Ländern des Ostblocks unsere Vermittlungspolitik im Sinne der Vertragspolitik auch ohne Ratifikation der ersten Verträge fortzusetzen.
    Der Führung der DDR aber müssen wir sagen, daß die Vergangenheit, die sie uns immer vorhält, nicht nur auf der Bundesrepublik lastet. Die Schuld am Hitler-Kriege tragen wir alle gleichermaßen, in Ost- und Westdeutschland.

    (Abg. Ott: Und Stalin?)

    Die Menschen in ganz Deutschland müssen jedenfalls wissen, daß von seiten der Bundesregierung nun alle Voraussetzungen geschaffen wurden, um die durch die Nachkriegsentwicklung entstandene Lage in ein System einzubetten, das den Frieden sichern und die Voraussetzung zur Überwindung des Spannungszustands schaffen kann. Auch die SED-Führung wird auf die Dauer daran nicht vorbeikommen.
    Zur Zeit setzt die SED-Führung ihre Partner anscheinend unter Druck. Die Absage aus Ostblockländern für Sportveranstaltungen in Berlin und die Absage der Beteiligung von Ostblockländern an der Grünen Woche in Berlin deuten darauf hin. Dies sage ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, um einen Appell an unsere Partner zu richten, sich ähnlich zu verhalten. Ich meine, es ist nicht gerade notwendig, daß befreundete Mächte, bevor die DDR-Führung ihren Beitrag zur Friedenspolitik leistet, Verträge mit der DDR abschließen, die im Flugverkehr der Lufthansa-Ost den Weg in westliche Länder ebnen. Diese Verträge haben auch noch Zeit, bis wir mit der DDR die Vereinbarung zustande gebracht haben, die für die weitere Entwicklung der Friedenspolitik notwendig ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich möchte die Gelegenheit benutzen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, der ARD Dank zu sagen für eine Sendung, und ich möchte bitten, sie im Interesse der Bevölkerung jenseits der Mauer doch möglichst zu wiederholen. In der Sowjetunion ist vor einiger Zeit ein neues Todeslager aus dem Hitler-Krieg entdeckt worden. Die Sowjetunion war auch in der Lage, die Namen einiger derer zu nennen, die an dem Massaker teilgenommen haben. Die sowjetische Presse berichtete darüber in sachlicher Form, indem sie den Abstand zur damaligen Zeit würdigte und das Massaker mit dem HitlerKrieg in Verbindung brachte. Es blieb dem „Neuen Deutschland" und Herrn von Schnitzler überlassen, diese Gelegenheit wieder zu benutzen, um auf unverschämteste Weise die Bundesrepublik anzugreifen und zu verleumden. Die Namen wurden schlicht übernommen, und es wurde die Behauptung aufgestellt, diese Verbrecher lebten in der Bundesrepublik in Saus und Braus und würden von der Bundesregierung geschützt. Die Nachforschungen der ARD — und dafür danke ich — führten zu dem Beweis, daß keine Behauptung der SED stimmt, daß die Personen, soweit sie überhaupt auffindbar waren und identifiziert werden konnten, gestorben



    Mattick
    sind, verurteilt sind, in Landsberg erschossen wurden oder hinter Gefängnisgittern sitzen. Bisher haben weder das „Neue Deutschland" noch die SED, noch Herr von Schnitzler es für richtig gehalten, eine Korrektur dieser Verleumdung vorzunehmen. Ich bitte die ARD, diese Sendung zu wiederholen, damit jeder, der noch Gelegenheit dazu hat, einmal an diesem Beispiel sehen kann: Alles, was die SED in diesem Zusammenhang über die Bundesrepublik sagt, und überhaupt alle Anklagen der DDR gegen die Bundesrepublik liegen auf der gleichen Ebene; sie sind eine Verleumdung und eine Beschimpfung ohne jeden Tatsachengehalt. Die DDR-Führung wird sich überlegen müssen, wie sie diese Auseinandersetzung auf die Dauer bestehen will, wenn in den anderen Ostblockländern allmählich deutlich wird, daß dort der Bundesrepublik und dieser Bundesregierung gegenüber eine andere Einstellung besteht, als sie früher in diesen Ostblockländern generell vorhanden war, zu einer Zeit, als nur das „Neue Deutschland" und Ulbricht in diesen Ländern die Auffassung und den Eindruck von dem geprägt haben, was die Bundesrepublik ist.
    Meine Damen und Herren, eine Bemerkung zu der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur deutschen Außenpolitik. Ich bin sehr dankbar für die umfangreiche und ausführliche Darstellung, die die Bundesregierung in dieser Antwort gegeben hat. Die Antwort im ganzen spricht für sich selbst und spricht für diese Politik.
    Herr Dr. Marx, wenn ich mir Ihre Ausführungen noch einmal vergegenwärtige, habe ich den Ein) druck, daß Sie in der Europapolitik, wie Sie sie hier vertreten, wieder den gleichen Fehler machen, wie Sie ihre Deutschlandpolitik seit 1950 falsch geführt haben. Sie glauben dauernd, in der Zielsetzung auf das Ganze uns unter Druck setzen zu können, ohne zu sehen, daß Sie damit nicht einen Schritt weiterkommen. Ich frage dieses Haus: Wo wäre denn die Europapolitik heute, wenn wir vor einem Jahr Ihrem Rat gefolgt wären und die Politik so gesteuert hätten, wie Sie empfohlen haben!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir gehen pragmatisch vor, Schritt für Schritt, ohne illusionäre Endvorstellungen immer an den Anfang der Auseinandersetzungen zu setzen, Endvorstellungen, die manchen Partner mehr in Abwehr drängen, als ihm die Mitarbeit möglich machen.
    Diese pragmatische Arbeit, die die Bundesregierung geleistet hat, hat immerhin Erfolge gezeitigt, die heute auf dem Tisch liegen. Diese Erfolge kann nur jemand abstreiten, der mit Absicht darauf ausgeht, nicht politisch zu handeln oder Handlungen zu unterstützen, sondern, weil es so sein muß, daß diese Regierung keine Erfolge haben darf, das umzukehren, was an Erfolgen da ist. Die Begegnungen von Herrn Brandt mit dem Präsidenten der Französischen Republik in den letzten Tagen hat noch einmal deutlich gemacht, wie man diese Politik sehen muß und auf welchem richtigen Wege die deutsche Bundesregierung in dieser Politik ist.
    Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang muß ich sagen, daß die Ausführungen von
    Herrn Dr. Marx im Grunde genommen der Versuch waren, nicht nur uns, sondern auch die Partner Westeuropas in eine Ecke zu drücken, in der sie nicht stehen, und eine Auseinandersetzung auch mit ihnen zu führen, die sich auf Grund der Leistungen, die in den letzten Monaten gemeinsam vollbracht worden sind, einfach nicht gebührt. Die wiederholte Berufung auf einzelne Personen, die im Augenblick nicht in der Verantwortung stehen, hilft uns überhaupt nicht weiter.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ich habe mich auf das Zitat berufen!)

    Was uns weiterhilft, ist, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die sich jeden Tag neu ergeben. Auf diesem Wege, so muß ich sagen, ist die Bundesregierung in diesem Jahr weiter gekommen, als es die meisten von Ihnen und von uns erwarten konnten. Dafür gebührt ihr Dank und dafür gebührt ihr die Unterstützung des ganzen Hauses,

    (Beifall bei der SPD)

    damit auch draußen gesehen wird, daß diese Politik vom Bundestag unterstützt wird, und damit die Bundesregierung diese Politik im Interesse Deutschlands fortsetzen kann.
    Ich weiß, daß die CDU dauernd auf der Suche ist, wie sie dieser Regierung nachweisen kann, daß sie ihre Politik falsch betreibt. Ich weiß, daß Sie in dieser Phase stecken, in der Sie den Auftrag auch von Ihrem Parteitag haben, an dieser Politik nicht mitzuwirken und die positiven Punkte nicht herauszustellen. Sie haben die Verpflichtung, alles zu tun, um dieser Regierung jeden, auch den besten Schritt schwerzumachen.
    Ich glaube, Sie müssen von einem ausgehen: diese Koalition steht hinter dieser Europa- und Außenpolitik. Diese Koalition weiß, um was es in den nächsten Jahren geht. Sie weiß auch, mit welchem Gegner sie es in diesem Hause zu tun hat. Daher sage ich Ihnen eines: wir werden diese Politik fortsetzen, ohne uns von Ihren Störungsaktionen beeinflussen zu lassen. Was wir von Ihnen erwarten, Herr Dr. Marx,

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: Wieso nennen Sie unsere Kritik Störaktionen?)

    ist folgendes: nach einer gewissen Zeit die Einsicht, daß bei allem Streit in diesem Hause um Fragen, die die Innenpolitik unmittelbar betreffen, es in einer demokratischen Ordnung notwendig wäre, sich in den wichtigsten Fragen der Außenpolitik zusammenzufinden.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das haben Sie doch nicht gewollt!)

    Dazu gehört, Herr Dr. Marx, daß man davon ausgeht, daß auch eine kleine Mehrheit eine Mehrheit ist und daß die Mehrheit entscheiden muß und sich die Minderheit damit abzufinden hat, daß man miteinander redet und den Versuch macht, zu einer Verständigung zu kommen, ohne daß die große Minderheit den Versuch macht, die kleine Mehrheit zu terrorisieren oder in ihr Korsett zu zwingen.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] Überlegen Sie mal Ihre Wortwahl!)




    Mattick
    Eine kleine Mehrheit ist eine Mehrheit, und eine große Minderheit muß sich damit abfinden, daß die Mehrheit für vier Jahre regiert.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Vogel: Sagen Sie das Herrn Wehner!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Bundesminister Scheel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP ist umfangreich beantwortet worden. In der Debatte haben wir den Bericht zur Lage der Nation und die Beantwortung dieser Großen Anfrage zusammengefaßt. Ich denke, daß es deshalb sinnvoll ist, wenn ich jetzt noch ein paar Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen der Lage unserer Nation und der Außenpolitik hinzufüge. Ich tue das mit der Absicht, die Spannweite und das Engagement einer Außenpolitik erkennbar zu machen, in der auch die Opposition, so hoffe ich, viele Elemente des Gemeinsamen finden wird. Hieran liegt mir, und hieran liegt der Bundesregierung. Ich glaube, daß am Schluß der gestrigen Rede des Oppositionsvorsitzenden Dr. Barzel, als er vier wichtige Punkte für die zukünftige Politik nannte, so etwas an möglicher Gemeinsamkeit sichtbar geworden ist. Ich nehme an, daß der Herr Bundeskanzler, der nachher noch sprechen wird, auf diese vier Punkte eingehen wird. Vor allem wird er wohl feststellen wollen, daß sich seine Bemerkung zu den 50er und 60er Jahren sicherlich nicht auf diese vier Punkte bezogen hat.
    Die Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP hat gezeigt, daß die Außenpolitik als ein Gesamtkonzept angelegt ist. Indem sie Frieden und Ausgleich sucht, dient sie dem Ganzen. Wenn Skeptiker im Ausland der deutschen Seite nach dem Kriege mit Distanz gegenüberstanden, so gestehen sie der Bundesrepublik Deutschland heute ein solides psychologisches Kapital zu. Ein Beweis dafür ist vielleicht, daß im letzten Jahre drei weltbekannte Zeitschriften den Chef dieser Regierung zum Mann des Jahres gewählt haben. Auch das gehört zu diesem Kapital, das wir haben. Psychologisches Kapital ist auch politisches Kapital. Ein breites internationales Vertrauen ist die beste Grundlage einer Außenpolitik. Vertrauen haben frühere Regierungen in der Welt geschaffen, und Vertrauen ist und wird die Grundlage der Außenpolitik dieser Regierung sein.
    Dieses Vertrauen hat sich in ganz besonderem Maße gerade jetzt wieder in unserem Verhältnis zu Frankreich bewährt. Ich stehe unter dem frischen Eindruck der deutsch-französischen Konsultationen. Sie waren für beide Seiten von großem Wert, und sie haben deutlich gezeigt, wie sehr die europäischen Initiativen, die die sechs europäischen Partnerstaaten als Ergebnis der Konferenz von Den Haag im Dezember 1969 eingeleitet haben, eine Annäherung der Standpunkte erleichtern, und dies trotz der schwierigen Materie, die Währungsfragen nun einmal darstellen.
    Die Bundesregierung tut alles, was der Stärkung und Erweiterung der Gemeinschaft und was der Stärkung und Förderung des Gemeinschaftsbewußtseins zwischen den Partnern dienen kann. Nun bedeutet Gemeinschaftsbewußtsein nicht Abwendung von der Umwelt. In diesem Sinne wird sich die Bundesregierung für eine nach außen geöffnete Politik der Europäischen Gemeinschaft einsetzen. Das ist nicht nur ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft, sondern auch der Ausdruck eines internationalen Verantwortungsbewußtseins im weitesten Sinne. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß unter deutschem Vorsitz im Ministerrat nach Aufnahme der Erweiterungsverhandlungen auch die Gespräche mit den nicht beitretenden EFTA-Ländern aufgenommen wurden, mit den neutralen Ländern in Europa. Wir haben bei Eröffnung dieser Gespräche auch ein Wort zur Bedeutung der Neutralitätspolitik für die Stabilität in Europa gesagt. Ich erinnere daran, meine Damen und Herren, daß sich die Bundesregierung mit Nachdruck für die außenwirtschaftsnotwendige Abstimmung der EWG mit den Vereinigten Staaten eingesetzt hat. Ich kann Ihnen versichern, daß wir das weiter innerhalb des Ministerrates betreiben werden. Wir alle wissen, was von dieser Abstimmung abhängt. Sie ist unter dem übergeordneten Gesichtspunkt der westlichen Allianz unerläßlich. Ich glaube, daß es in diesem Punkt kein Mißverständnis gibt, weder unter uns, noch darf es ein Mißverständnis nach draußen geben.
    Meine Damen und Herren, der Zug der westeuropäischen Integration ist auf dem richtigen Gleis, und er ist in Bewegung. Und Ihnen, Herr Marx, will ich sagen: es ist das Gleis zu einer europäischen Union. Die Europapolitik hat ein politisches Ziel, und sie geht einen politischen Weg. Das ist ganz unbestritten, das kann auch nur so sein, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ich danke für die mündliche Ergänzung des im Schriftlichen Bericht Ausgelassenen!)

    — Ich will noch etwas hinzufügen, Herr Dr. Marx. Deswegen ist einer der wichtigsten Fortschritte in der europäischen Politik ganz zweifelsfrei der Schritt zur politischen Zusammenarbeit zwischen den sechs Mitgliedstaaten unter einer entsprechenden Beteiligung der beitrittswilligen Staaten.
    In diesem Bericht, der zu dieser politischen Zusammenarbeit geführt hat, heißt es, daß das Ziel nicht die Einigung Europas, die man noch interpretieren könnte, ist, sondern dort heißt es, das Ziel ist die politische Einigung Europas. Diesem Bericht haben alle Partnerstaaten, auch Frankreich, zugestimmt. Ich komme nachher auf die französische Haltung.
    Aber bei dieser politischen Zusammenarbeit zeigt sich gleichermaßen der Vorteil pragmatischer Lösungen auf dem Weg zu einer Einigung Europas. Lange Zeit nämlich hat der Dogmenstreit, von dem er auch immer geführt sein mag, nämlich der Streit darüber, ob es supranationale Institutionen vorher oder nachher oder ob es sie überhaupt geben muß, die poli-



    Bundesminister Scheel
    tische Zusammenarbeit über Jahre blockiert. Wir haben jetzt eine Lösung beschlossen, die eine einheitliche Politik zum Ziele hat und zur Grundlage macht, die aber in der ersten Phase auf supranationale Einrichtungen noch verzichtet. Wir haben gemeinschaftliche Einrichtungen, wir haben ein politisches Komitee, die Gruppe derjenigen hohen Beamten, die in den Außenministerien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die politischen Abteilungen leiten. Dieses Komitee hat schon einen hohen Grad an Solidarisierung, auch menschlich, erreicht. Nicht zuletzt daraus entstehen gemeinsame politische Überzeugungen. Die politischen Direktoren werden uns schon in Kürze den ersten Erfahrungsbericht über die bisherige Arbeit vorlegen, verbunden mit Vorschlägen über eine Verdichtung dieser Arbeit und auch zu einer Ergänzung des Instrumentariums. Wir gehen auch hier Schritt für Schritt vor.
    Meine Damen und Herren, jetzt zurück zu dem Treffen von Paris! Staatspräsident Pompidou hat anläßlich der deutsch-französischen Konsultationen in seiner Tischrede erklärt: „Der europäische Staatenbund, der aus unseren gemeinsamen Bemühungen hervorgehen müßte, hat kein Vorbild in der Geschichte und kann abstrakt vorher nicht definiert werden. Dieser tagtäglichen Aufgabe müssen wir uns unermüdlich vorurteilslos und ohne falsche Illusionen widmen." In diesem Geiste, meine Damen und Herren, verliefen die Konsultationen, ohne Illusionen und ohne Vorurteile. Sie haben deswegen Ergebnisse gebracht trotz mancher skeptischer Kommentare, die Sie über diese Konsultationen gelesen haben mögen. Es ist nämlich gelungen, in der Frage der Wirtschafts- und Währungsunion die Standpunkte der Konsultationspartner doch einander nä-herzubringen. Die Bundesrepublik und Frankreich stimmen darin überein, daß alles daran gesetzt werden muß, die Wirtschafts- und Währungsunion innerhalb der vorgeschlagenen Zehnjahresfrist zu verwirklichen. Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und monetären Vorgängen, der vor allen Dingen von der Bundesregierung immer wieder betont worden ist, ist von Frankreich voll anerkannt.
    Es bestand Einigkeit über die Orientierungslinien, die die weiteren Beratungen bestimmen können, insbesondere darüber, daß der Gemeinschaft die zum Zusammenhalt und zur Effektivität einer Wirtschafts- und Währungsunion erforderlichen Befugnisse zuwachsen müssen, zuzuweisen sind. Es besteht Einigkeit darin, daß die Organe der Gemeinschaft, die diese Befugnisse nachher ausüben, in die Lage versetzt werden müssen, sie rasch und reibungslos ausüben zu können; denn in der Währungspolitik ist es unmöglich, lange Prozeduren für Entscheidungen in Kauf zu nehmen, weil sonst währungspolitische Entscheidungen ihren Sinn und ihren Wert verlieren.
    Es besteht Einigkeit darüber, daß die erste Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion und die dabei gewonnenen Erfahrungen von besonderer Bedeutung für die folgenden Stufen sind. Es besteht Einigkeit darüber, Herr Dr. Marx, daß es ein Stuf en-Plan ist, daß es nicht eine Entscheidung geben kann,
    eine Etappe dieses Stufenplanes in Kraft zu setzen, ohne auf das Ganze zu sehen. Nach Ablauf der ersten Stufe muß darüber gesprochen und entschieden werden, wie denn der weitere Weg aussieht, den wir in den nächsten Etappen — das mögen noch zwei oder noch drei oder wie viele auch immer sein — gehen müssen. Und es muß darüber entschieden werden, und es wird darüber entschieden, ob für diese weiteren Etappen Vertragsänderungen nötig sind und wie solche Vertragsänderungen aussehen können.
    Meine Damen und Herren, der französische Staatspräsident hat bei dieser Gelegenheit einen Vorschlag gemacht, der auf diese Entwicklung hin Druck auszuüben in der Lage ist. Das ist der Vorschlag, eine clause de prudence vorzusehen, die etwa folgendes bewirken soll: Sie soll bewirken, daß solche Partnerstaaten, die in ihrer Wirtschaftspolitik ihre eigene Währung in Gefahr bringen und somit auch für die Partner gefährlich werden, auf den Beistand währungspolitischer Natur keinen Anspruch mehr haben sollen. Das ist ein gewisser Druck auf die effektive Parallelität von Wirtschaftspolitik und Währungspolitik.
    Wir haben dem hinzugefügt, daß man außerdem daran denken muß, die währungspolitischen Vereinbarungen für die erste Etappe nicht etwa unbegrenzt zu treffen, sondern sie mit einem festen Auslaufdatum zu versehen, das über diese erste Etappe hinausreichen sollte, damit man etwas Zeit gewinnt. Das, glaube ich, ist ein weiterer Druck darauf, daß man die praktischen Schritte auch wirklich tut, nachdem die erste Etappe einer solchen Währungsunion angelaufen ist.
    Der erste Schritt in all diesen Dingen muß nun getan werden, auch wenn man in manchen Fragen mit dem einen oder anderen Partner nicht hundertprozentig einig ist. Wenn man auf diese endgültige Einigkeit über den letzten Schritt warten wollte, würde man nie dazu kommen, den ersten Schritt zu tun. Es ist also entscheidend, den ersten Schritt zu tun, aber zu wissen, was das Ziel ist und wie die letzten Etappen aussehen sollen. Deswegen haben wir in Frankreich nicht puren, wertfreien Pragmatismus besprochen, sondern wir haben in Paris einen Pragmatismus besprochen, den wir mit einem fest umrissenen Ziel einschlagen wollen, über das sich alle Partner in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einig sind.
    Meine Damen und Herren, das muß einmal deutlich gesagt werden, damit nicht der Irrtum entsteht, wir hätten ,das politische Ziel aus dem Auge verloren oder wir würden jetzt in eine unbestimmte Zukunft auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Währungspolitik, auf ,dem Wege zu einer Wirtschaftsunion und Währungsunion hin, gehen.
    Auch in der Frage der Beitrittsverhandlungen wurde eine weitere Annäherung erreicht, vor allem im Hinblick auf die Übergangsregelungen, über die man jetzt beschließen muß. Es war wichtig — für Sie interessant zu wissen, glaube ich —, daß der französische Staatspräsident Pompidou in der Schlußbesprechung dieser Konsultationen unsere Meinung geteilt hat, daß im Jahre 1971 der Beitritt Groß-



    Bundesminister Scheel
    britanniens erfolgen kann. Der Wille dazu ist bei allen Partnern gleichermaßen vorhanden.
    Es bestand auch Einigkeit darüber, daß der Dialog zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten verstärkt werden muß, wenn auch hier bei dem französischen Partner größere Reserven bestehen, als sie bei uns bestehen. Wir sind dafür, daß dieser Dialog fortgesetzt und intensiviert wird. Dies muß geschehen; denn von ihm hängt sehr viel ab auch für die zukünftige politische Zusammenarbeit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten.
    Aber auch auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Handelspolitik hängt unsere Zukunft davon ab. Wir kennen die Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Wir wissen, daß dort protektionistische Vorstellungen herrschen. Die Mills Bill, über die in der vergangenen Legislaturperiode des Kongresses diskutiert worden ist, ist wieder eingebracht. Wir wissen, was das heißt.
    Hier ergeben sich auch neue wirtschaftspolitische Probleme und handelspolitische Probleme für die Vereinigten Staaten dadurch, daß Großbritannien und andere dem Gemeinsamen Markt beitreten. Diese Erweiterung schafft eben Probleme. Es ist richtig, daß sich die Gemeinschaft frühzeitig, und zwar nicht nur über diplomatische Kanäle von Regierung zu Regierung, sondern auch in Dialogen zwischen den beteiligten Gruppen der Gesellschaft, über diese Frage unterhält. Wir befürworten das. Ich selber werde eine Reise, die ich in Kürze, etwa Mitte Februar, nach Washington machen werde, benutzen, um auch über diese wichtige Frage mit meinen Gesprächspartnern in Washington zu sprechen. Das sind nur einige Ergebnisse unserer Konsultationen in Paris, meine Damen und Herren.
    Bei diesen Konsultationen wollten wir nicht den Beratungen im Rahmen des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaften vorgreifen. Ich erkläre: Es wird nichts ohne die anderen Partner entschieden, jetzt nicht und natürlich auch in der Zukunft nicht. Im übrigen haben wir unsere übrigen Partner unmittelbar nach Beendigung der Konsultationen, wie sich das gehört, über ihre Botschafter hier gleich vom Ergebnis informiert.
    Auch sie werden es freilich begrüßen, wenn im bilateralen Verhältnis Annäherungen auf 'dem Weg zur Einigung möglich sind. Alles sollte getan und nichts sollte unterlassen werden, was der Dynamik der europäischen Entwicklung zugute kommt. Dieses Ziel werden wir weiter verfolgen, pragmatisch, wo es zweckmäßig erscheint, elastisch, wo dies den Erfolg verspricht, aber in der Sache konsequent, und ,die Sache, das heißt hier: ein einiges Europa. Nur eine gemeinschaftliche Politik führt zu einem einigen Europa. Das darf ich sagen: Diese gemeinschaftliche Politik wird nicht nur von der Bundesrepublik vertreten, sondern auch von den anderen Partnern, auch von Frankreich.

    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen.)

    Die europäische Zusammenarbeit ist die eine Säule, auf der die Westpolitik der Bundesregierung beruht. Die andere ist die atlantische Zusammenarbeit. Beide sind unlösbar miteinander verbunden, und in beiden Bereichen sind wir im letzten Jahr vorangekommen. Das hat der Verlauf der NATORats-Tagung in Brüssel Anfang Dezember ganz eindeutig gezeigt. Auf das Kommuniqué dieser Ministerratstagung ist im Verlauf der Debatte hier schon hingewiesen worden.
    Diese Zusammenarbeit in der NATO selbst hat ihrerseits wieder zwei Säulen. Auf der einen Seite ist es die Anstrengung der Mitglieder, die Verteidigungsbereitschaft auf einem Stand zu halten, der unsere Sicherheit voll garantiert. Auf der andern Seite ist es die politische Aufgabe der NATO, in Europa für Entspannung zu sorgen, damit die Konfrontation zwischen den beiden Blöcken abgebaut werden kann, die mitten in Europa zusammentreffen, und damit es auch den beiden großen Mächten eines Tages gelingt, von dem übertriebenen Niveau der Rüstungsausgaben herunterzukommen, was beide Mächte erreichen wollen. Das können sie aber nur erreichen, wenn sie nicht nur bilateral Salt-Gespräche führen, sondern das können sie nur erreichen, wenn ihre Partner — also z. B. die Partner der USA in der NATO — mit ihnen gemeinsam bereit sind, in Europa eine konsequente Politik der Entspannung zu betreiben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das tun wir, und das ist ja Inhalt des NATO-Kommuniqués. Hier haben Sie gesehen, daß die Politik der Bundesregierung sich in diese sich darüberlagernde Bündnispolitik integriert.
    Meine Damen und Herren, hier ist allerdings auch der Zusammenhang zu sehen — auch das geht aus dem NATO-Kommuniqué hervor — zwischen dieser europäischen Entspannungspolitik, zwischen der Absicht, in Europa eine Konferenz über Sicherheitsfragen einzuberufen, und der Lösung des Berlin-Problems. Unsere Partner haben mit uns gemeinsam der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß Entspannungspolitik in Europa nicht um Berlin herumgehen kann. Denn wenn an einem Punkte die Ursachen für mögliche Spannungen in dem Maße erhalten bleiben, in dem das heute wieder so stark sichtbar ist, dann kann man nicht von Entspannungspolitik, nicht von einem Erfolg der Entspannungspolitik sprechen. Dieser Punkt gehört dazu, wenn ich von einem Erfolg der Entspannungspolitik sprechen will.
    Ich bin also dabei, hier einen Schritt in einer Etappe auf einem umfassenderen Weg zur Entspannung in Europa zu gehen. Darüber besteht Einigkeit, und deswegen haben die NATO-Partner diesen Punkt in ihrem Kommuniqué so klar untergebracht. Ich darf hier entgegen manchen Vermutungen in der öffentlichen Meinung, daß dieses Kommuniqué sozusagen der erfolgreiche Versuch unserer NATO-Partner gewesen sei, die Bundesrepublik etwas an die Kette zu legen, sagen: Meine verehrten Damen und Herren, es wird Ihnen sicherlich kein Geheimnis sein — und die, die früher mit der Materie zu tun hatten, wissen das —, daß diese Formulierungen, die unsere Politik, die Berlin und die die europäische Politik der Bundesregierung betreffen, sicherlich nicht ohne unsere Zustimmung, ja, ich darf das ruhig



    Bundesminister Scheel
    sagen, wesentlich auf unsere Initiativen hin zustande gekommen sind. Es ist also die Politik der Bundesregierung, die hier in einem internationalen Kommuniqué sichtbar wird.
    Meine Damen und Herren, im Bewußtsein vieler wohnt den Begriffen Europa und Allianz heute wenig Spektakuläres inne. Das Interesse der Öffentlichkeit gehört, im Augenblick auf jeden Fall, überwiegend der Entwicklung unserer Politik gegenüber Osteuropa, weil hier ein gewisser Nachholbedarf und deshalb ein besonderer Neuigkeitswert besteht. Dabei hat es uns erst die feste Verbindung zum Westen ermöglicht, den Versuch eines Ausgleichs mit dem Osten einzuleiten. Wir haben sehr bewußt unsere Anstrengungen für die Einigung Westeuropas gerade in dem Zeitpunkt verdoppelt, als wir daran gingen, längst fällige Entscheidungen in der Ostpolitik zu treffen. Unser Beitrag in der Osteuropapolitik ist der eines gleichberechtigten Partners der westlichen Gemeinschaft zur allgemeinen Friedens- und Entspannungspolitik. Dieser Beitrag steht nicht allein, und wir werden nicht allein gelassen, gleich wie sich diese Politik entwickeln wird.
    Die deutsche Ostpolitik ist daher auch keine Politik des Verzichts und der Vorleistung, des Ausverkaufs und des Verrats, des Verschenkens oder des Verschleuderns, wie uns das manche Demagogen wissen machen wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die deutsche Ostpolitik ist vielmehr der ernste und der notwendige Beitrag zum Abbau der Konfrontation, zur Beseitigung der Kriegsgefahr in Europa. Diese Politik erhebt den verbindlichen Anspruch, durch praktische Schritte zur Völkerverständigung beizutragen, und auch den verbindlichen Anspruch, die Teilung unserer Nation auf diesem Wege zu überwinden.
    Diese Politik ist allerdings eine bewußte Abkehr von der schrecklichen Folge von Eroberung und Rückeroberung, die jahrzehntelang die Menschen unseres Kontinents in Unglück und Tod gestürzt hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Was glauben Sie denn, was unsere Politik war in diesem Zusammenhang?)

    Meine Damen und Herren, niemand täuscht sich: Es wird noch lange dauern, bis alle Hindernisse auf diesem Wege weggeräumt sind. Wir wissen und haben gewußt, daß das ein sehr schwieriger und sehr dorniger Weg ist, und nicht erst jetzt. Wir wissen, wie langwierig dieser Weg ist, und wir haben nicht zuletzt deswegen gleich mit dieser Osteuropapolitik begonnen. Wenige Tage, nachdem wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, haben wir mit dieser Politik begonnen, weil wir wissen, wieviel Zeit wir für diese Politik brauchen.
    Aber das, Herr Dr. Barzel, darf man nicht mit Hast verwechseln. Wenn einer frühzeitig eine Aufgabe beginnt, weil er sich die Zeit, die er braucht, weise einteilen muß und möchte, dann ist das nicht mit Hast zu verwechseln.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sie waren doch ein paarmal sehr hastig! Sie wollten doch im Juni schon nach Moskau!)

    — Herr Dr. Marx, auch in Ihrer Rede heute morgen kam der Widerspruch zutage, den ich bei der CDU immer wieder sehe, der Widerspruch nämlich, auf der einen Seite von einer hastigen, ja, hektischen Politik der Regierung zu sprechen, auf der anderen Seite aber, wie Sie es heute morgen getan haben, zu sagen: Es ist ein Desaster, daß diese Politik noch nicht am erfolgreichen Ende angekommen ist; weil sie jetzt noch keinen Erfolg hat, ist es ein Desaster.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: So habe ich das nicht gesagt! Bitte korrekt zitieren! — Abg. Dr. h. c. Kiesinger: So dumm sind wir nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    Meine verehrten Damen und Herren, ich bin recht froh darüber, daß ich in jüngster Zeit auch andere Meinungen gehört habe. Denn wenn es eine Gemeinsamkeit geben muß, dann ist es die Gemeinsamkeit, meine ich, mit Geduld und mit Zähigkeit zu warten, damit wir nichts verlieren.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Vorher Geduld, vorher Zähigkeit, jetzt nicht! Das hätten Sie früher machen können!)

    — Nein, Herr Dr. Kiesinger, ich glaube, man kann mit Fug und Recht nicht sagen, wenn man 20 oder 25 Jahre mit Zähigkeit gar nichts getan hat,

    (Abg. Dr. Wulff: Sie saßen doch auch in der Regierung!)

    das sei die einzige Lösung. Der Beginn mußte einmal kommen. Die ganze Welt hat auf diesen Beginn gewartet, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber wenn es die Opposition ernst meint mit ihrer Verantwortung, dann muß sie, da die Ziele, die wir haben, die gleichen sind, mit uns gemeinsam die Geduld aufbringen und die Regierung in der Geduld stärken, so lange zu warten, bis die Etappen erreicht sind, die erreicht sein müssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dann müssen Sie uns rechtzeitig beteiligen! — Gegenruf von der SPD: Hört! Hört!)

    — Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat diese Geduld; das werden Sie noch in diesem Jahr sehen.
    Aber nun darf ich, damit das nicht in der Polemik untergeht, noch etwas zu der Behauptung sagen, daß sich die Situation überhaupt nicht geändert habe, sondern im Gegenteil sogar noch verschärft worden sei.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig!)

    Eines steht doch völlig außer Zweifel, nämlich daß
    im deutsch-sowjetischen und im deutschen-polnischen Verhältnis Veränderungen eingetreten sind.



    Bundesminister Scheel
    Die Emotionen sind nicht mehr so wie früher vordergründig in unserem Verhältnis zu den beiden Staaten sichtbar. Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und diesen beiden Ländern sind vernünftiger geworden.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Die anderen spielen doch nur mit Emotionen!)

    Das war nicht zuletzt auch anläßlich des Besuchs einer Delegation des polnischen Parlaments in der Bundesrepublik erkennbar. Diese Delegation, mit der ich ausführlich habe sprechen können, hat sich nicht zuletzt auch von ihren Diskussionen mit Vertretern der Oppositionspartei beeindruckt gezeigt.

    (Abg. Vogel: Das sind ja auch vernünftige Leute! — Abg. Dr. Wulff: Hat Sie das überrascht?)

    Sicherlich wird hier eine Veränderung in beiden Richtungen vor sich gehen können.
    Nur habe ich manchmal den Eindruck, daß in dem direkten Gespräch zwischen Vertretern der Oppositionspartei und polnischen Politikern, und zwar auch verantwortlichen polnischen Politikern, die Position der Opposition den Gesprächspartnern gegenüber nicht ganz deutlich gemacht wird. Aber hier besteht schließlich kein großer Unterschied zu Äußerungen der Oppositionspartei gegenüber der breiten Öffentlichkeit. Auch hier ist ihre Position noch nicht ganz deutlich gemacht worden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zwar ist der Wille der Opposition, zu dem gleichen Ziel zu gelangen, zu dem auch wir gelangen möchten, völlig unbestritten, und ich will auch gar nicht daran zweifeln. Aber der Weg dorthin ist dornig.
    Nun werden Sie mit Recht sagen: Dafür ist nun einmal jemand in der Regierung, daß er diesen dornigen Weg geht; das kann man der Opposition nicht zuschieben. Das wollen wir auch nicht. Natürlich geht die Regierung diesen Weg, und sie ist ihn gegangen. Aber die Bereitschaft, diesen Weg zu gehen, der nach Meinung jedes nüchtern denkenden Menschen der einzige Weg ist, der zu dem Ziel führt, das auch Sie anstreben, sollte einer sachlichen Würdigung wert sein. Um nichts anderes geht es.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine verehrten Damen und Herren, sowohl unsere Politik der europäischen Integration als auch unsere Poiltik des Gewaltverzichts, sowohl unsere Politik der Entspannung als auch unsere Politik der allmählichen Verständigung mit Osteuropa sind auf das Ziel gerichtet — danach ist gestern und heute immer wieder gefragt worden —, in Gemeinschaft mit unseren Verbündeten und unter Respektierung der Vier-Mächte-Verantwortung bessere Voraussetzungen für ein geregeltes Miteinander der beiden Staaten in Deutschland zu schaffen.
    Die deutsche Frage ist nämlich nicht isoliert von der Umwelt und nicht im nationalen Rahmen zu lösen. Darüber sind wir uns heute Gott sei Dank alle in diesem Hause im klaren. Die deutsche Frage ist vielmehr nur in einem europäischen politischen Rahmen zu lösen. Aber darin liegt auch gleich das Verbindungsglied zwischen der deutschen Frage und der Europapolitik; denn eine Regelung in Deutschland ist andererseits die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in Europa und innerhalb Deutschlandes selbst. Und darauf hat heute morgen Herr Dr. Marx hingewiesen, als er der Bundesregierung den Vorwurf machte, sie hätte aus dem Kommuniqué, das auf den Harmel-Bericht vom Jahre 1967 Bezug genommen hat, nicht alles zitiert.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das habe ich nicht gesagt! Ich habe einen Satz genannt!)

    — Ja, ich hole diesen Satz, den Sie genannt haben, sehr gern nach. Es ist wohl der folgende:
    Aber die Möglichkeit einer Krise kann nicht ausgeschlossen werden, solange die zentralen politischen Fragen in Europa, zuerst und zunächst die Deutschlandfrage, ungelöst bleiben.
    Herr Dr. Marx, wir identifizieren uns mit diesem Satz natürlich in vollem Umfange, ja, dieser Satz ist in der Tat die elementare Grundlage der gesamten Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Warum hat man ihn dann ausgelassen, Herr Bundesaußenminister?)

    Dieser Satz ist die Grundlage unserer Position, die Lösung der deutschen Frage nicht als ein Endziel immer nur zu beschreiben

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    und sich immer nur auf sie zu berufen, sondern endlich praktisch an die Lösung dieser deutschen Frage heranzugehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Herr Brandt hat das ausgelassen!)

    Das ist die Grundlage unserer Politik.
    Meine Damen und Herren, heute, in diesem Augenblick konzentriert sich das Interesse naturnotwendig auf Berlin. Das ist nicht nur ein Problem der Deutschen, es ist auch ein Problem der Sicherheit für ganz Europa. Es steht damit in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der beabsichtigten Konferenz über die Sicherheit Europas.
    Eben das ist in dem NATO-Kommuniqué gesagt worden; hier ist der Zusammenhang hergestellt. Unsere Partner sagen mit uns, daß eine Konferenz über europäische Sicherheitsfragen keine Erfolgsaussichten hat, wenn sie nicht in einer günstigen politischen Atmosphäre beginnen kann. Niemand im Kreise der NATO-Partner — und, wie ich glaube, überhaupt kein Europäer, auch kein Osteuropäer — wird annehmen, daß eine Konferenz über europäische Sicherheitsfragen erfolgreich sein könnte, ohne daß vorher das Berlin-Problem befriedigend geregelt ist. Darin sind sich unsere Partner einig; wir befinden uns in dieser Frage in voller Übereinstimmung mit den NATO-Partnern.
    Aber es gibt, meine verehrten Damen und Herren, hinsichtlich der Außenpolitik und der Frage nach der Lage der Nation einen weiteren Zusam-



    Bundesminister Scheel
    menhang. Das sind unsere Gespräche mit der DDR, die im Augenblick von dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Herrn Bahr, mit seinem Partner auf der anderen Seite geführt werden. Diese Gespräche umfassen im Augenblick das, was in den 20 Punkten von Kassel bestanden hat. Darüber könnte man sprechen. Die Gesprächspartner sind noch nicht bereit, das jetzt in vollem Umfange zu tun. Es sind zur Zeit also Vorgespräche im Gange, die erst zum Kern der Sache führen sollen.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Vorsicht, Vorsicht! Wir haben schon einmal Vorgespräche gehabt!)

    Worüber wir jetzt nicht sprechen können, das ist die Frage des Verkehrs zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin, denn dieser Verkehr ist ein wichtiger Teil des freien Zugangs nach West-Berlin und fällt somit in die Verantwortlichkeit der Vier Mächte, eine Verantwortlichkeit, die wir nicht anrühren wollen und nicht anrühren werden. Dieser Teil also kann natürlich zwischen Bundesrepublik und DDR besprochen und verhandelt werden, aber nur als ein Teil einer umfassenden Regelung des Berlin-Problems. Es bedarf also zunächst einer gemeinsamen erklärten Haltung — einer gemeinsamen erklärten Haltung! — der Vier Mächte zu diesem Punkt, bevor wir das tun können, was notwendigerweise die beiden Teile Deutschlands dann als gleichberechtigte Partner in rechtsgültigen Verträgen tun müssen. Das ist Teil einer gesamten Regelung für Berlin, die später von den Vier Mächten garantiert ist.