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ID0609403400

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    Deutscher Bundestag 94. Sitzung Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 Inhalt: Begrüßung einer Delegation der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments unter Führung des Präsidenten van Thiel 5127 A Amtliche Mitteilungen 5127 B Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, VI/ 1728) in Verbindung mit Aussprache über den Bericht der Bundesdesregierung zur Lage der Nation 1971 (Drucksache VI/ 1690) Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 5127 C Dr. Achenbach (FDP) 5136 C Mattick (SPD) . . . . . . . . 5139 B Scheel, Bundesminister . . . . 5144 A Dr. Dr. h. c. Birrenbach (CDU/CSU) 5152 A Wehner (SPD) . . . . . . . 5157 B Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 5162 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 5167 C Dr. Schiller, Bundesminister . . . 5174 B Dr. Arndt (Hamburg) (SPD) . . . . 5177 A Dr. Mende (CDU/CSU) 5179 D Brandt, Bundeskanzler 5182 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 5186 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) . 5189 C Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5191 A Anlagen 2 und 3 Entschließungsanträge Umdrucke 101 und 102 zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, W1728) 5191 D Anlage 4 Änderungsantrag Umdruck 103 zum Entschließungsantrag Umdruck 101 zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, VI/1728) . . 5191 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 5127 94. Sitzung Bonn, den 29. Januar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens * 29. 1. Alber * 29. 1. Dr. Arndt (Berlin) 1. 2. Dr. Artzinger ** 29. 1. Bals * 29. 1. Bauer (Würzburg) * 29. 1. Blumenfeld 29. 1. Bühling 28. 2. Dr. Burgbacher ** 29. 1. Dasch 5. 4. van Delden 29. 1. Dichgans 29. 1. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 29. 1. Dr. Dittrich ** 29. 1. Dr. Dollinger 23. 2. Dorn 29. 1. Draeger *** 29. 1. Dröscher ** 29. 1. Fellermaier ** 1. 2. Flämig ** 29. 1. Fritsch * 29. 1. Dr. Furler * 29. 1. Gewandt 29. 1. Dr. Giulini 29. 1. Dr. Götz 13. 2. Frau Griesinger 29. 1. Grüner 29.1. Frhr. von und zu Guttenberg 29. 1. Dr. Hallstein 29. 1. Frau Herklotz * 29. 1. Dr. Hermesdorf (Sehleiden) * 29. 1. Hösl * 29. 1. Dr. Jobst 29. 1. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kempfler 29. 1. Frau Klee * 29. 1. Klinker 29. 1. Dr. Koch ** 29. 1. Kriedemann ** 29. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 1. Lange ** 29. 1. Lautenschlager ** 29. 1. Leicht 29. 1. Lemmrich 29. 1. Lenze (Attendorn) * 29. 1. Dr. Löhr ** 2. 2. Dr. Martin 29. 1. Maucher 12. 2. Memmel ** 29. 1. Dr. Müller (München) * 29. 1. Pieroth 29. 1. Pöhler * 29. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Dr. Prassler 29. 1. Rasner 12. 2. Riedel (Frankfurt) *5 29. 1. Richarts * 29. 1. Richter *** 29. 1. Dr. Rinderspacher *** 29. 1. Roser 29. 1. Schachtschabel 29. 1. Schmidt (Würgendorf) * 29. 1. Dr. Schmücker * 29. 1. Dr. Schober 29. 1. Frau Schroeder (Detmold) 29. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 29. 1. Saxowski 2. 2. Sieglerschmidt * 29. 1. Springorum ** 29. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 29. 1. Steiner 29. 1. Strauß 29. 1. v. Thadden 6. 2. Frau Dr. Walz *** 29. 1. Dr. Warnke 29. 1. Weber (Heidelberg) 29. 1. Werner 29. 1. Wienand * 29. 1. Dr. Wörner 29. 1. Anlage 2 Umdruck 101 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung - Drucksachen VI/ 1638, VI/ 1728 . Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag stimmt der Politik des Nordatlantischen Bündnisses zu, wie sie im Kommuniqué der Ministertagung des Nordatlantikrates vom 3. und 4. Dezember 1970 in Brüssel niedergelegt worden ist (Drucksache VI/1686). Er fordert die Bundesregierung auf, ihre Politik im Einklang mit den darin enthaltenen Grundsätzen fortzuführen. Bonn, den 28. Januar 1971 Wehner und Fraktion Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 102 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung - Drucksachen VI/1638, VI/1728 -. 5192 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag verfolgt mit Sorge die ständigen Versuche, den freien Zugang nach Berlin zu behindern. Der Deutsche Bundestag sieht in diesen Behinderungen eine Aktion, die das Ziel verfolgt, West-Berlin von der Bundesrepublik und der freien Welt zu isolieren. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß Behinderungen auf den Zufahrtswegen nach Berlin dem Geist der Entspannung, dem Geist des Gewaltverzichts und dem Geist der Normalisierung widersprechen. Bonn, den 29. Januar 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 4 Umdruck 103 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zum Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung — Drucksachen VI/1638, VI/1728 — Umdruck 101 —. Der Bundestag wolle beschließen: Der Antrag der Fraktionen der SPD, FDP — Umdruck 101 — wird durch folgenden Satz ergänzt: „Insbesondere betont der Bundestag — entsprechend dem NATO-Kommuniqué — das Recht des Volkes jedes europäischen Staates, sein eigenes Schicksal frei von äußerem Zwang zu gestalten." Bonn, den 29. Januar 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
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    Rede von Dr. Ernst Achenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Kollege Barzel, das wissen weder Sie noch ich präzise.

    (Abg. Wehner: Sehr gut!)

    Hören Sie daher genau zu, was ich hierzu zu sagen habe.

    (Abg. Dr. Barzel: Das ist ja eine dolle Antwort!)

    Ich glaube, ich mache hier verantwortliche Äußerungen. Ich sagte, daß, falls die Sowjetunion Herrn Ulbricht zu dieser intransigenten Haltung ermutigt, dies unzweifelhaft nach dem Geist des Vertrages von Moskau und auch nach den Verhandlungen in Moskau ein Verstoß gegen Treu und Glauben wäre.
    Treu und Glauben verlangt — das habe ich jedenfalls und hat auch mein Freund Walter Scheel allen
    Gesprächspartnern in Moskau, die wir dort hatten, erklärt —, daß die Sowjetunion den Einfluß, den sie bei ihren Freunden in der DDR hat, in Zukunft dahin ausübt, daß diese wie die Sowjetunion selbst in ihrem Verhältnis zur BRD im Geiste friedlicher Koexistenz den innerdeutschen Dialog ohne ideologische Scheuklappen mit dem Ziel führt, einen vernünftigen Modus vivendi zu finden.
    Hierbei gestehe ich ganz offen, daß ich wie mein Freund Mischnick kein Verständnis dafür habe, daß die DDR es beanstandet, wenn der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus seine Kollegen aus den FDP-Fraktionen der Länder der Bundesrepublik Deutschland zu einer Besprechung nach Berlin einlädt oder wenn der Bundeskanzler oder der Bundespräsident Berlin besucht. Ich vermag beim besten Willen nicht einzusehen — Herr Kollege Wehner, ich nehme an, Sie stimmen mit mir überein —, wieso die Interessen der DDR dadurch beeinträchtigt werden, ebensowenig wie ich im übrigen verstehe, daß dadurch berechtigte sowjetrussische Interessen verletzt werden. Unter vernünftigen Leuten, die ein Gespür für wirkliche Probleme haben, sollten solche gekünstelten Streitereien keine Rolle spielen. Dafür ist die internationale Lage — ich nenne nur den Nahen Osten und Ostasien — zu ernst, und dafür ist das Elend in weiten Teilen der Dritten Welt, der wir, die Industriestaaten von Amerika über Westeuropa, die Sowjetunion bis hin nach Japan, gemeinsam helfen sollten, zu groß.



    Dr. Achenbach
    Meine Damen und Herren, ich habe schon in Moskau den Moskauer Vertrag als einen Akt der Hoffnung bezeichnet. Wir verbinden mit ihm zunächst die Hoffnung auf einen vernünftigen Modus vivendi, aber darüber hinaus — das lassen Sie mich hier sehr deutlich sagen — auf einen Modus vivendi, der in absehbarer Zeit zu einer dauerhaften Friedensordnung führen muß. Denn 25 Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten ist es bei Gott nicht zu früh. Wenn der Kollege von Weizsäcker gemeint hat, es handle sich hierbei nicht um einen Modus vivendi, sondern bereits um einen Friedensvertrag, so ist das nicht richtig. Ein Friedensvertrag kann sich nicht mit Situationen abfinden, wie sie jetzt in Berlin sind. In einem Friedensvertrag, der den Frieden dauernd sichern soll, muß das deutsche Volk die gleichen Rechte haben wie alle anderen Völker Europas. Da kann es keine originären Rechte mehr geben, und da wird man uns auch zubilligen müssen, daß Berlin die Hauptstadt unseres Landes ist.
    Nun hat man der Regierung vorgeworfen, daß sie das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes aufgebe. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur noch einmal den Brief verlesen, den unser Außenminister in Moskau übergeben hat, den Brief an Herrn Gromyko:
    Im Zusammenhang mit der heutigen Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken beehrt sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, daß dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
    Ich glaube, eine klarere und präzisere Definition unserer deutschen Politik, die, wie ich hoffe, von allen hier im Hause getragen wird, kann es doch wohl kaum geben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und dabei werden wir auch bleiben. Wir verlangen für unser Volk nicht mehr, als wir allen anderen Völkern zuzugestehen bereit sind.
    Nun lassen Sie mich auch einige Worte zur Europapolitik sagen. Es ist sehr leicht, zu sagen, es sei alles dünner geworden, oder, die Regierung tue nicht genug. Die CDU-Kollegen, die mit uns im Europäischen Parlament tätig sind, sind doch wirklich mit den ständigen Bemühungen unserer Regierung vertraut, mit den unerhört zähen Bemühungen, die gerade unser Außenminister in den letzten sechs Monaten an den Tag gelegt hat, als er den Vorsitz im Ministerrat führte. Ich möchte dieser Bundesregierung wirklich nach bestem Wissen und Gewissen bescheinigen, daß sie gerade in der europäischen Einigungspolitik von sich aus das Menschenmögliche getan hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, verfallen wir doch nicht in den jahrelangen Fehler, immer wieder Diskussionen über die Begriffe Integration und Kooperation zu führen. Wir sind uns doch in diesem Hohen Hause einig, wir alle, die Regierungskoalition und die Opposition. Wir wollen als Ziel den europäischen Bundesstaat, und dabei bleibt es.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber wir sind vernünftige Menschen. Wir haben es mit selbständigen Partnern zu tun, und wir müssen daher pragmatisch und vernünftig alles begrüßen — ob es nun zunächst im Wege der Kooperation oder dem der Integration geschieht —, was die Erreichung dieses Zieles nicht gefährdet, sondern auf dieses Ziel hinführt. Meine Damen und Herren, wenn man sich über das einigen kann, was in den nächsten drei Jahren geschehen kann, aber noch nicht endgültig über das, was dann in vier Jahren geschehen soll, nun, dann macht man erst einmal das, was in den nächsten drei Jahren nach gemeinsamer Meinung vernünftig ist

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und entscheidet dann auf dieser neuen Basis, was weiter zu geschehen hat. So verhalten sich politisch verantwortliche Menschen, die wissen, wie es in der Welt zugeht.

    (Abg. Dr. Apel: Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Neigung, im einzelnen auf alle Dinge hier einzugehen. Ich möchte vielmehr zum Schluß meiner Ausführungen noch etwas Allgemeines sagen.
    Meine verehrten Kollegen von der CDU, daß die Opposition diese Regierung nicht mag, hat sie nun hinlänglich klargemacht. Das wissen wir. Die CDU, diese starke Partei unseres Hohen Hauses, darf jedoch nicht vergessen, daß wir gerade auf dem Gebiet der Außenpolitik alle in einem Boot sitzen. Wir Freien Demokraten haben immer, wenn es irgend möglich war, einer gemeinsamen Außenpolitik das Wort geredet.
    In der Tat,
    — so habe ich schon 1958 hier erklärt -
    eine Außenpolitik, die in kritischen Zeiten der Nation von allen Seiten dieses Hauses aus ehrlicher Überzeugung mitgetragen wird, hat international ein stärkeres Gewicht, als wenn sich in wesentlichen Lebensfragen der Nation ganz verschiedene Auffassungen der Regierung und der Opposition gegenüberstehen. Es ist deshalb, wie ich meine, unser aller Pflicht
    — auch die Pflicht der Opposition; und damals sprach ich als Vertreter der Opposition —
    unserem Volke gegenüber, immer wieder unter Zurückstellung jeglicher Ressentiments und auch unter Zurückstellung parteipolitischer und wahltaktischer Gesichtspunkte zu prüfen, ob nicht eine gemeinsame Grundlage für eine gemeinsame richtige Außenpolitik gefunden werden kann.
    Ich richte diesen Appell an alle Mitglieder dieses Hohen Hauses. Denn, meine Damen und Herren, wir müssen in den außenpolitischen Debatten her-



    Dr. Achenbach
    unter von dem hohen Pferd der Polemik. Die Polemik nützt gar nichts.
    Ich meine, es gibt auch heute noch fundamentale Gemeinsamkeiten zwischen der Regierung und der Opposition. Wer wollte bestreiten, daß wir alle ehrlich den Frieden wollen? Wir alle stehen treu zu unseren Bündnissen mit den Vereinigten Staaten, Frankreich, England und den anderen westeuropäischen Staaten. Wir alle sind entschlossen, unseren freiheitlichen Rechtsstaat zu verteidigen und für die Verteidigung das aufzuwenden, was notwendig ist. Wir lassen uns da nicht beeinträchtigen von gewissen Vorstellungen, daß eine Konsumgesellschaft dazu nicht in der Lage sei. Nein, wir sind alle entschlossen, diesen freiheitlichen Rechtsstaat zu verteidigen. Wir alle sind sicherlich — ich glaube nicht, daß Sie mir widersprechen werden — für ausgewogene Abrüstungsmaßnahmen, wenn das irgend zu machen ist. Wir alle sind auch bereit, mitzuhelfen, daß auch in den am wenigsten begünstigten Entwicklungsländern die Menschen ein menschenwürdiges Dasein führen können. Wir alle ersehnen mit ganzem Herzen eine dauerhafte und gerechte Friedensordnung in ganz Europa, im Westen wie aber auch im Osten. Sie werden mir nicht widersprechen, Herr Barzel, daß wir gemeinsam eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung ersehnen.
    Ich habe seinerzeit im Jahre 1958, als wir uns auch hier über Schicksalsfragen der Nation unterhielten, einen Appell an den damaligen Bundeskanzler gerichtet und habe ihm zugerufen:
    Suchen Sie mit allen Kräften Ihres Herzens und Ihrer Intelligenz nach vernünftigen und friedlichen Lösungen! Greifen Sie jeden möglichen Versuch auf! Verhandeln Sie mit Geduld und unermüdlicher Zähigkeit! Sorgen Sie dafür, Herr Bundeskanzler, daß die ganze Welt erkennt und anerkennt: Die Deutschen haben sich redlich bemüht, neuem Unheil vorzubeugen!
    Meine Damen und Herren, ich richte den gleichen Appell heute an Bundeskanzler Brandt und an meinen Freund Walter Scheel. Sie haben beide schon viel für dieses Ziel, insbesondere im letzten Jahr, getan. Fahren Sie, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, in Ihren Bemühungen beharrlich fort und lassen Sie sich durch Polemik nicht beirren! Das Ziel, das wir gemeinsam haben, lohnt den ganzen Einsatz.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Kurt Mattick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fand es gut, daß gestern hier an diesem Pult Herr Becher gestanden hat, weil ich glaube, daß es gut ist, wenn über das Haus hinaus auch draußen einmal deutlich wird, in welch schwierigem Spannungsfeld sich die CDU und wer sich in ihren Reihen befindet. Ich habe nicht die Absicht, mich mit Herrn Becher auseinanderzusetzen; das muß die CDU selber tun. Aber durch einen solchen Auftritt wird klarer, daß wir hier zum
    Teil ein Schattenboxen veranstalten, weil die CDU aus dem Rahmen, den sie sich selber gesteckt hat, gar nicht herauskommt.
    Einige 'Redner der CDU haben gestern den Versuch gemacht, mit alten Zitaten nachzuweisen, daß sich die sozialdemokratische Position wesentlich geändert habe.

    (Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Na, so alt sind die gar nicht!)

    — Meine verehrten Damen und Herren, lesen Sie doch einmal Ihre eigenen Reden aus der Vergangenheit nach! Untersuchen Sie doch einmal, ob es einen maßgeblichen Politiker in diesem Hause gibt, der nicht, so lange noch andere Voraussetzungen gegeben waren, etwas gesagt hat, was heute nicht mehr gilt! Das fing doch wohl mit Dr. Adenauer an, als er sich 1949 darauf festlegte, daß in Deutschland nie wieder eine Aufrüstung stattfinden würde. 1950 hatte er diesen Standpunkt bereits wieder aufgegeben.
    Ich will damit nur sagen: Wir lassen uns durch solche Erinnerungen an Zitate aus einer Zeit, als sich Europa noch in einer anderen politischen Position befand, nicht von der heutigen Wirklichkeit ablenken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie können uns damit nicht erschüttern. Wir können Ihnen genauso viele Zitate von Ihnen vorlegen, die heute nicht mehr zutreffend sind. Das ist nun einmal so in der Politik: Man stellt sich auf eine eigene Position ein, und in dieser Position versucht man durch das, was man sagt, auf die Politik einzuwirken. Jeder vernünftige Mensch, der in der Politik steht, muß die Position immer wieder überprüfen, und wenn sich diese Position nicht auf Grund der eigenen Verhaltensweise, sondern durch die Entwicklung in der Welt ändert, wird man prüfen müssen, ob die ursprünglichen Verhältnisse noch bestehen. Daher habe ich mich darüber gefreut, daß Herr von Guttenberg gestern abend in der Diskussion, die ich beobachtet habe, erklärt hat, auch die CDU sei variabel geworden, und auch die CDU habe ihren Standpunkt wesentlich geändert. Also lassen wir doch diesen Unsinn, als ob irgend jemand auf Aussagen festgenagelt werden könnte, die er in einer Phase gemacht hat, in der die politische Auseinandersetzung noch unter anderen Vorzeichen stand als heute.
    Nach 25 Jahren Politik, die zum Teil wir, zum Teil die Alliierten zu verantworten haben, haben sich die Ausgangspositionen geändert, ist das, was 1945 entstanden war, im Grunde genommen nicht mehr diskutabel oder nicht mehr dazu angetan, eigene Rechtsansprüche auf etwas aufzubauen, was durch die Entwicklung völlig überholt ist. Die Berufung auf die Kapitulationsbedingungen ist nicht mehr möglich. Die Potsdamer Vereinbarungen sind restlos ausgehöhlt.

    (Abg. Baron von Wrangel: Aber wir sollten sie nicht weiter aushöhlen!)

    Der Standpunkt der Westmächte, den sie schon in
    Potsdam eingenommen haben und den wir immer



    Mattick
    wieder zur Grundlage unseres Rechtsanspruchs machen, ist inzwischen so klargeworden, daß es überhaupt nicht mehr sinnvoll ist, sondern höchstens eine Belastung unseres Verhältnisses zu den Westmächten bei der künftigen Zusammenarbeit darstellt, wenn man sich auf die Vergangenheit beruft.
    Es ist unmöglich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, heute noch davon auszugehen, daß die vier Siegermächte — oder auch nur die Sowjetunion -mir auf den Knopf zu drücken brauchten, um einen Zustand wiederherzustellen, den wir uns früher einmal vorgestellt haben, und daß es sich bei der Bildung der DDR um eine Übergangserscheinung handele, so daß die Sowjetunion eines Tages auf den Knopf drücken könnte, um die Wiedervereinigung und freie Wahlen in ganz Deutschland herbeizuzaubern. Der Zug ist doch endgültig abgefahren! Darüber müssen wir uns doch wohl alle im klaren sein, und wir müssen daher wissen, daß wir unsere Politik auf andere Positionen aufzubauen haben. Und auch dieser Zug ist doch endgültig abgefahren: die Vorstellung aus der Ära Adenauer/Dulles - um sich das in Erinnerung zu rufen, weil man sich ja so gern erinnert —, die Möglichkeit einer machtpolitischen Verschiebung in Europa sei noch gegeben.
    Ich komme zu dieser Feststellung, meine Damen und Herren: Aus dem sogenannten kurzen Weg von Adenauer und Dulles ist ein unendlicher geworden. Nur der lange Weg bietet für uns noch eine Chance, das Ziel zu erreichen. Davon müssen wir ausgehen, wenn wir heute unsere Politik bestimmen.
    Allerdings, verehrte Anwesende, ist folgendes zu sagen. Wer den Parteitag der CDU beobachtet und wer gestern das Gespräch im Fernsehen verfolgt hat, geht und das tue ich — von dieser Voraussetzung aus: hier wurde gestern und heute nicht darum gekämpft, ob man und wie man die deutsche Außenpolitik der Bundesregierung unterstützen kann, sondern es ist ganz deutlich geworden, sowohl auf dem CDU-Parteitag als auch gestern durch eine Berner-kung von Herrn Dr. Schröder, daß die CDU allein darauf eingestellt ist, dieser Regierung bei jeder möglichen Politik Knüppel zwischen die Beine zu werfen, diese Regierung, wie es ja Herr Kiesinger täglich hinausposaunt, so schnell wie möglich zum Ende zu führen. Und dann ist es natürlich logisch — —(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    — Schön, daß Sie Beifall klatschen! Darin kommt Ihre ganze Schizophrenie zum Ausdruck.

    (Abg. Dr. Barzel: Mattick, nehmen Sie mal das Wort weg! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sie tun so, als kämpften Sie hier noch darum, an den Verträgen oder an der Politik, die zu ihnen geführt hat, etwas zu verbessern. Aber das liegt ja gar nicht in Ihrem Interesse! In Ihrem Interesse liegt das Scheitern dieser Politik!

    (Pfui-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Das ist auf Ihrem Parteitag deutlich geworden, das ist gestern abend deutlich geworden, und das ist hier in dieser Debatte deutlich geworden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Machen wir uns doch hier nichts mehr vor! Und Ihr Pfui hilft uns da doch gar nichts.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warten wir doch die Berliner Wahlen ab, Herr Mattick! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, ja, ich weiß, Sie machen hier schöne Worte. Und im Grunde genommen ist die Bemerkung des Herrn Dr. Marx von vorhin: „Wir, die Mehrheitspartei ..." — was ja Quatsch ist; das muß wohl jeder zugeben — —

    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Was haben Sie gesagt?)

    — „Wir, die Mehrheitspartei ...". Das haben Sie gesagt!

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ich habe gesagt, daß diese Fraktion die Mehrheit im Volke hinter sich weiß! Das können Sie nicht abstreiten!)

    — „Die Mehrheitspartei, die wir ja eigentlich sind ...". So haben Sie gesagt, Herr Marx. Ich muß sagen, Sie sind mir ein schöner Demokrat. Was Sie manchmal für Vorstellungen von der parlamentarischen Demokratie haben, wenn es für Sie nicht mehr in den Kram paßt, wie sie läuft! Das ist phantastisch.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Halten Sie doch keine Volkshochschulrede über die parlamentarische Demokratie! Was das ist, parlamentarische Demokratie, das weiß ich bei Gott!)

    Die Mehrheit dieses Hauses ist bestimmt durch den Wähler, und der Wähler ist sogar noch durch die Übertritte von Mende und anderen Herren betrogen worden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Sehr gut! — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Durch diese Politik ist er betrogen worden! Vor der Bundestagswahl haben Sie eine ganz andere Politik verkündet!)

    Die Mehrheit dieses Hauses ist bestimmt durch den Wähler und wird durch ihn alle vier Jahre wieder bestimmt. Und in diesen vier Jahren — so sollte es in der parlamentarischen Demokratie sein — bestimmt diese Mehrheit die Politik. Daß Ihnen das nicht paßt, leuchtet mir ein, denn Sie sind ja einmal davon ausgegangen, daß Sie die Partei des Staates sind und daß die andere Partei die Opposition bleiben muß. Aber ich glaube, Sie müssen sich damit abfinden, daß das nicht mehr so ist.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Wo ist Ihre Mehrheit?)

    Nun hat es mich gewundert, daß Herr Dr. Barzel von den Gesprächen, die er in Warschau mit den Polen geführt hat, nicht wenigstens diesen einen Gedanken als den entscheidenden mitgebracht hat:



    Mattick
    die deutsche Außenpolitik, die in ihrer Vergangenheit auf Positionen gesetzt hat, die heute nicht mehr möglich sind, und die durch die deutsche Bundesregierung nunmehr auf neue Wege geführt wird, ist — das hätten Sie in Warschau eigentlich erfahren müssen, Herr Dr. Barzel — überhaupt nur möglich, wenn wir als ihre Voraussetzung die Verträge abschließen, um die es sich in dieser Runde jetzt handelt. Ich möchte das hier sagen, meine Damen und Herren, weil es nach draußen immer wieder so dargestellt wird, als wenn die Verträge der Selbstzweck dieser Politik seien. Nein, wir sollten es sehr offen und klar sagen: die Politik, die wir entwickeln möchten, an der wir arbeiten, setzt diese Verträge voraus, weil ohne diese Verträge das Tor für die Kooperation mit den östlichen Ländern, die dazu bereit sind, nicht aufgestoßen werden kann. Dieser Weg wird lang sein, aber er wird in dieser Phase begonnen werden, wie es gerade der PolenVertrag deutlich gemacht hat.
    Herr Barzel wird dann auch in Warschau erfahren haben, was ich vor ihm erfahren konnte, daß die Polen z. B. von folgendem Standpunkt ausgehen: Wir betrachten den Vertrag zwischen uns als bestehend, weil wir wissen, daß die Ratifikation nicht von den beiden Partnern, sondern von Dritten abhängt. Daher werden wir das, was wir versprochen haben, Herr Barzel — das ist Ihnen doch sicher auch gesagt worden; Sie haben ja angeblich sogar Neues mitgebracht —, was wir bei den Vertragsverhandlungen neben dem Vertrag zugesagt haben, jetzt in die Wege leiten. Wir hoffen, daß wir gemeinsam alles andere, was mit dem Vertrag zusammenhängt, auch dann in die Wege leiten, wenn die Ratifizierung durch Dritte noch aufgehalten wird. — Ich finde, daß ist ein Standpunkt, der hier dargelegt werden sollte und der auch von Ihnen hier hätte dargelegt werden können, nachdem Sie in Warschau waren und sich dort viel vernünftiger geäußert haben, als das hier wieder zum Ausdruck gekommen ist, wo Sie in der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung standen.
    Meine Damen und Herren, was wir mit dieser Politik wollen ich komme da gleich auf den Kern, der hier eine Rolle gespielt hat —, ist folgendes: Wir sind erstens zu der Erkenntnis gekommen, daß eine Möglichkeit, die Positionen der Bundesrepublik und des Westens dem Osten gegenüber durch westlichen Druck oder durch Abwarten zu verändern, nicht besteht,

    (Abg. Dr. Barzel: Einverstanden!)

    daß die Verhärtung dadurch stärker wird und wir keinen Schritt weiterkommen. Wir gehen davon aus, daß mit der Vertragspolitik, die wir eingeleitet haben, die Voraussetzung gegeben ist — und da sage ficht jetzt: auf langem Wege und mit langem Atem —, schrittweise Kooperationen mit Teilen und vielleicht später mit dem ganzen Ostblock zustande zu bringen, die dazu beitragen, eine Entspannung herbeizuführen, Interessenverlagerungen mit sich zu bringen und die Voraussetzungen zu schaffen, eine Friedenspolitik zu führen, an der wir alle gemeinsam beteiligt sein können.
    Da wird jetzt gleich der Zwischenruf kommen: Aber die DDR. Lassen Sie mich darum in diesem Zusammenhang ein paar Bemerkungen dazu machen. Meine Damen und Herren, ich sehe es so: der Schwarze Peter der europäischen Friedenssicherung sowie der Friedenskonferenz sowie überhaupt der Beziehungen zwischen den Ländern des Ostblocks und Westeuropa liegt nun in Pankow. Da unterscheide ich mich in der Einschätzung von dem, was hier Herr Dr. Marx gesagt hat. Die Lage im Ostblock ist auch nicht so, daß die Sowjetunion auf Grund ihrer Machtposition nur auf den Knopf zu drücken braucht.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : So primitiv denke ich nun wirklich nicht!)

    Und was den Zwischenruf angeht, den ich hier vorhin aus der CDU-Reihe gehört habe, daß die Sowjetunion dies und das nicht zulasse: so eingeschnürt ist die Führung der DDR auch nicht. Ich glaube, da sind sich diejenigen unter uns, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, einig. Folglich ist es auch nicht so einfach, daß die Sowjetunion nach dem 12. August einfach bestimmen konnte, welche Politik die DDR jetzt macht.

    (Zuruf des Abg. Baron von Wrangel.)

    Wie ich sehe, sind wir uns da einigermaßen einig. Wenn das so ist, gehe ich von folgendem aus: Ich nehme nicht an, daß sich die Sowjetunion nach dem 12. August 1970 den Ablauf der Entwicklung so gedacht hat.
    Worum geht es? In seiner Neujahrsbotschaft hat Ulbricht folgendes festgestellt:
    Der Abschluß der Verträge zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland sowie zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik ist ein großer Erfolg der Friedenspolitik und brachte neue Momente in die Lage Europas. Die große Bedeutung dieser Verträge besteht darin, daß in ihnen die Unverletzbarkeit und Unabänderlichkeit der Grenzen in Europa einschließlich der Westgrenze der Volksrepublik Polen und der Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich anerkannt werden. Außerdem hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtend erklärt, die Beziehung zur DDR auf der Grundlage der vollen Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung zu gestalten sowie den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zur Organisation der Vereinten Nationen und deren Spezialorganisationen zu fördern.
    Ulbricht sagt dann weiter:
    Was das West-Berlin-Problem betrifft, das im Interesses des Friedens in Europa geregelt werden sollte, so habe ich unseren Standpunkt hierzu in meiner Neujahrsbotschaft bereits ausgeführt. Obwohl es hier um komplizierte Fragen geht, sind wir doch der Ansicht, daß vereinbarte Regelungen möglich sein sollten,



    Mattick
    — und jetzt kommt der Pferdefuß, über den wir mit ihm, auch hier an dieser Stelle und öffentlich, reden müssen —
    wenn auch die andere Seite
    — damit sind wir angesprochen —
    durch entsprechendes Entgegenkommen ihren ernsthaften Verständigungswillen unter Beweis stellt.
    Hier irrt Herr Ulbricht. Hier stehen Herr Ulbricht und die SED-Führung vor einer entscheidenden Frage. Der Feststellung, daß die Bundesrepublik mit ihrer Ostpolitik und den Verträgen einen neuen Weg gegangen ist, daß sie damit den Weg für eine neue Entwicklung freigemacht hat — diese Entwicklung kann lange dauern; sie ist nicht zuletzt von unserer Beharrlichkeit abhängig —, muß die DDR-Führung die folgende Frage anschließen: Zu welchen Konzessionen sind wir, die DDR, bereit, um die Verständigung nicht an Berlin scheitern zu lassen, nachdem die Bundesrepublik diese Schritte getan hat?
    Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie haben erklärt, Sie wollten die Bundesregierung in der Berlin-Frage unterstützen. Diese Unterstützung wird im Osten nur ernst genommen werden, wenn daran die Vorstellung geknüpft werden könnte, daß Sie dann, wenn in der Berlin-Frage etwas erreicht wird, den Verträgen zustimmen. Ihre Zusage, uns in der Berlin-Frage zu unterstützen, ist ein Unsinn, wenn Sie vorher festlegen, zu den Verträgen niemals ja zu sagen. Die anderen wissen dann doch, daß sie durch ihre Berlin-Politik, die Sie unterstützen, keine breitere Mehrheit bei der Ratifizerung der Verträge im Bundestag erreichen, weil Sie bei Ihrem Nein zu den Verträgen bleiben.
    Aber zurück zu West-Berlin. Ich möchte hier etwas sagen, was meiner Ansicht nach einmal für die ganze deutsche Bevölkerung und auch an die Adresse der SED-Führung gesagt werden muß. Daß West-Berlin für die DDR-Führung eine unpäßliche Belastung ist, begreifen wir. Der jetzige Zustand ist aber nicht unser Werk, sondern das Nachkriegswerk der Siegermächte. So wie sich die SED mit dem Berlin-Zustand, wie er gewachsen ist und wie er sich unvermeidbar auf Grund der internationalen Politik entwickelt hat, abfinden muß, so hat sich auch die Bundesregierung mit anderen Gegebenheiten in Europa abfinden müssen. Die DDR steht nun vor der Frage, ob sie bereit ist, gleichermaßen zu handeln, wie die Bundesregierung gehandelt hat, oder ob sie auf dem hohen Roß sitzenbleiben will und sich zu keiner Konzession bereit finden will. Nur wenn sie in Berlin den gleichen Schritt tut, den die Bundesregierung auf großer Ebene getan hat, leistet sie ihren Beitrag zur Friedenspolitik. Sie hilft damit auch den Ländern des Ostblocks, die an der Fridenskonferenz interessiert sind und die im Grunde genommen 15 Jahre stillgehalten und zugelassen haben, daß die DDR auf dem Wege des Interzonenhandels — das bedeutet Anschluß an die EWG — allein von der westlichen Entwicklung profitieren konnte. Wir werden, genauso wie die Sowjetunion, viel Geduld haben müssen. Allerdings sollten wir es der SED nicht gestatten, den Gesamtprozeß zu blockieren. Sofern die SED nicht bereit ist, ihren Beitrag zu leisten, sollten wir unseren Weg weitergehen, wo immer dies möglich ist. Wir sind bereit, gegenüber anderen Ländern des Ostblocks unsere Vermittlungspolitik im Sinne der Vertragspolitik auch ohne Ratifikation der ersten Verträge fortzusetzen.
    Der Führung der DDR aber müssen wir sagen, daß die Vergangenheit, die sie uns immer vorhält, nicht nur auf der Bundesrepublik lastet. Die Schuld am Hitler-Kriege tragen wir alle gleichermaßen, in Ost- und Westdeutschland.

    (Abg. Ott: Und Stalin?)

    Die Menschen in ganz Deutschland müssen jedenfalls wissen, daß von seiten der Bundesregierung nun alle Voraussetzungen geschaffen wurden, um die durch die Nachkriegsentwicklung entstandene Lage in ein System einzubetten, das den Frieden sichern und die Voraussetzung zur Überwindung des Spannungszustands schaffen kann. Auch die SED-Führung wird auf die Dauer daran nicht vorbeikommen.
    Zur Zeit setzt die SED-Führung ihre Partner anscheinend unter Druck. Die Absage aus Ostblockländern für Sportveranstaltungen in Berlin und die Absage der Beteiligung von Ostblockländern an der Grünen Woche in Berlin deuten darauf hin. Dies sage ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, um einen Appell an unsere Partner zu richten, sich ähnlich zu verhalten. Ich meine, es ist nicht gerade notwendig, daß befreundete Mächte, bevor die DDR-Führung ihren Beitrag zur Friedenspolitik leistet, Verträge mit der DDR abschließen, die im Flugverkehr der Lufthansa-Ost den Weg in westliche Länder ebnen. Diese Verträge haben auch noch Zeit, bis wir mit der DDR die Vereinbarung zustande gebracht haben, die für die weitere Entwicklung der Friedenspolitik notwendig ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich möchte die Gelegenheit benutzen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, der ARD Dank zu sagen für eine Sendung, und ich möchte bitten, sie im Interesse der Bevölkerung jenseits der Mauer doch möglichst zu wiederholen. In der Sowjetunion ist vor einiger Zeit ein neues Todeslager aus dem Hitler-Krieg entdeckt worden. Die Sowjetunion war auch in der Lage, die Namen einiger derer zu nennen, die an dem Massaker teilgenommen haben. Die sowjetische Presse berichtete darüber in sachlicher Form, indem sie den Abstand zur damaligen Zeit würdigte und das Massaker mit dem HitlerKrieg in Verbindung brachte. Es blieb dem „Neuen Deutschland" und Herrn von Schnitzler überlassen, diese Gelegenheit wieder zu benutzen, um auf unverschämteste Weise die Bundesrepublik anzugreifen und zu verleumden. Die Namen wurden schlicht übernommen, und es wurde die Behauptung aufgestellt, diese Verbrecher lebten in der Bundesrepublik in Saus und Braus und würden von der Bundesregierung geschützt. Die Nachforschungen der ARD — und dafür danke ich — führten zu dem Beweis, daß keine Behauptung der SED stimmt, daß die Personen, soweit sie überhaupt auffindbar waren und identifiziert werden konnten, gestorben



    Mattick
    sind, verurteilt sind, in Landsberg erschossen wurden oder hinter Gefängnisgittern sitzen. Bisher haben weder das „Neue Deutschland" noch die SED, noch Herr von Schnitzler es für richtig gehalten, eine Korrektur dieser Verleumdung vorzunehmen. Ich bitte die ARD, diese Sendung zu wiederholen, damit jeder, der noch Gelegenheit dazu hat, einmal an diesem Beispiel sehen kann: Alles, was die SED in diesem Zusammenhang über die Bundesrepublik sagt, und überhaupt alle Anklagen der DDR gegen die Bundesrepublik liegen auf der gleichen Ebene; sie sind eine Verleumdung und eine Beschimpfung ohne jeden Tatsachengehalt. Die DDR-Führung wird sich überlegen müssen, wie sie diese Auseinandersetzung auf die Dauer bestehen will, wenn in den anderen Ostblockländern allmählich deutlich wird, daß dort der Bundesrepublik und dieser Bundesregierung gegenüber eine andere Einstellung besteht, als sie früher in diesen Ostblockländern generell vorhanden war, zu einer Zeit, als nur das „Neue Deutschland" und Ulbricht in diesen Ländern die Auffassung und den Eindruck von dem geprägt haben, was die Bundesrepublik ist.
    Meine Damen und Herren, eine Bemerkung zu der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur deutschen Außenpolitik. Ich bin sehr dankbar für die umfangreiche und ausführliche Darstellung, die die Bundesregierung in dieser Antwort gegeben hat. Die Antwort im ganzen spricht für sich selbst und spricht für diese Politik.
    Herr Dr. Marx, wenn ich mir Ihre Ausführungen noch einmal vergegenwärtige, habe ich den Ein) druck, daß Sie in der Europapolitik, wie Sie sie hier vertreten, wieder den gleichen Fehler machen, wie Sie ihre Deutschlandpolitik seit 1950 falsch geführt haben. Sie glauben dauernd, in der Zielsetzung auf das Ganze uns unter Druck setzen zu können, ohne zu sehen, daß Sie damit nicht einen Schritt weiterkommen. Ich frage dieses Haus: Wo wäre denn die Europapolitik heute, wenn wir vor einem Jahr Ihrem Rat gefolgt wären und die Politik so gesteuert hätten, wie Sie empfohlen haben!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir gehen pragmatisch vor, Schritt für Schritt, ohne illusionäre Endvorstellungen immer an den Anfang der Auseinandersetzungen zu setzen, Endvorstellungen, die manchen Partner mehr in Abwehr drängen, als ihm die Mitarbeit möglich machen.
    Diese pragmatische Arbeit, die die Bundesregierung geleistet hat, hat immerhin Erfolge gezeitigt, die heute auf dem Tisch liegen. Diese Erfolge kann nur jemand abstreiten, der mit Absicht darauf ausgeht, nicht politisch zu handeln oder Handlungen zu unterstützen, sondern, weil es so sein muß, daß diese Regierung keine Erfolge haben darf, das umzukehren, was an Erfolgen da ist. Die Begegnungen von Herrn Brandt mit dem Präsidenten der Französischen Republik in den letzten Tagen hat noch einmal deutlich gemacht, wie man diese Politik sehen muß und auf welchem richtigen Wege die deutsche Bundesregierung in dieser Politik ist.
    Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang muß ich sagen, daß die Ausführungen von
    Herrn Dr. Marx im Grunde genommen der Versuch waren, nicht nur uns, sondern auch die Partner Westeuropas in eine Ecke zu drücken, in der sie nicht stehen, und eine Auseinandersetzung auch mit ihnen zu führen, die sich auf Grund der Leistungen, die in den letzten Monaten gemeinsam vollbracht worden sind, einfach nicht gebührt. Die wiederholte Berufung auf einzelne Personen, die im Augenblick nicht in der Verantwortung stehen, hilft uns überhaupt nicht weiter.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ich habe mich auf das Zitat berufen!)

    Was uns weiterhilft, ist, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die sich jeden Tag neu ergeben. Auf diesem Wege, so muß ich sagen, ist die Bundesregierung in diesem Jahr weiter gekommen, als es die meisten von Ihnen und von uns erwarten konnten. Dafür gebührt ihr Dank und dafür gebührt ihr die Unterstützung des ganzen Hauses,

    (Beifall bei der SPD)

    damit auch draußen gesehen wird, daß diese Politik vom Bundestag unterstützt wird, und damit die Bundesregierung diese Politik im Interesse Deutschlands fortsetzen kann.
    Ich weiß, daß die CDU dauernd auf der Suche ist, wie sie dieser Regierung nachweisen kann, daß sie ihre Politik falsch betreibt. Ich weiß, daß Sie in dieser Phase stecken, in der Sie den Auftrag auch von Ihrem Parteitag haben, an dieser Politik nicht mitzuwirken und die positiven Punkte nicht herauszustellen. Sie haben die Verpflichtung, alles zu tun, um dieser Regierung jeden, auch den besten Schritt schwerzumachen.
    Ich glaube, Sie müssen von einem ausgehen: diese Koalition steht hinter dieser Europa- und Außenpolitik. Diese Koalition weiß, um was es in den nächsten Jahren geht. Sie weiß auch, mit welchem Gegner sie es in diesem Hause zu tun hat. Daher sage ich Ihnen eines: wir werden diese Politik fortsetzen, ohne uns von Ihren Störungsaktionen beeinflussen zu lassen. Was wir von Ihnen erwarten, Herr Dr. Marx,

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: Wieso nennen Sie unsere Kritik Störaktionen?)

    ist folgendes: nach einer gewissen Zeit die Einsicht, daß bei allem Streit in diesem Hause um Fragen, die die Innenpolitik unmittelbar betreffen, es in einer demokratischen Ordnung notwendig wäre, sich in den wichtigsten Fragen der Außenpolitik zusammenzufinden.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das haben Sie doch nicht gewollt!)

    Dazu gehört, Herr Dr. Marx, daß man davon ausgeht, daß auch eine kleine Mehrheit eine Mehrheit ist und daß die Mehrheit entscheiden muß und sich die Minderheit damit abzufinden hat, daß man miteinander redet und den Versuch macht, zu einer Verständigung zu kommen, ohne daß die große Minderheit den Versuch macht, die kleine Mehrheit zu terrorisieren oder in ihr Korsett zu zwingen.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] Überlegen Sie mal Ihre Wortwahl!)




    Mattick
    Eine kleine Mehrheit ist eine Mehrheit, und eine große Minderheit muß sich damit abfinden, daß die Mehrheit für vier Jahre regiert.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Vogel: Sagen Sie das Herrn Wehner!)