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ID0609402100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 94. Sitzung Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 Inhalt: Begrüßung einer Delegation der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments unter Führung des Präsidenten van Thiel 5127 A Amtliche Mitteilungen 5127 B Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, VI/ 1728) in Verbindung mit Aussprache über den Bericht der Bundesdesregierung zur Lage der Nation 1971 (Drucksache VI/ 1690) Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 5127 C Dr. Achenbach (FDP) 5136 C Mattick (SPD) . . . . . . . . 5139 B Scheel, Bundesminister . . . . 5144 A Dr. Dr. h. c. Birrenbach (CDU/CSU) 5152 A Wehner (SPD) . . . . . . . 5157 B Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 5162 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 5167 C Dr. Schiller, Bundesminister . . . 5174 B Dr. Arndt (Hamburg) (SPD) . . . . 5177 A Dr. Mende (CDU/CSU) 5179 D Brandt, Bundeskanzler 5182 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 5186 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) . 5189 C Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5191 A Anlagen 2 und 3 Entschließungsanträge Umdrucke 101 und 102 zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, W1728) 5191 D Anlage 4 Änderungsantrag Umdruck 103 zum Entschließungsantrag Umdruck 101 zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/1638, VI/1728) . . 5191 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 5127 94. Sitzung Bonn, den 29. Januar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens * 29. 1. Alber * 29. 1. Dr. Arndt (Berlin) 1. 2. Dr. Artzinger ** 29. 1. Bals * 29. 1. Bauer (Würzburg) * 29. 1. Blumenfeld 29. 1. Bühling 28. 2. Dr. Burgbacher ** 29. 1. Dasch 5. 4. van Delden 29. 1. Dichgans 29. 1. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 29. 1. Dr. Dittrich ** 29. 1. Dr. Dollinger 23. 2. Dorn 29. 1. Draeger *** 29. 1. Dröscher ** 29. 1. Fellermaier ** 1. 2. Flämig ** 29. 1. Fritsch * 29. 1. Dr. Furler * 29. 1. Gewandt 29. 1. Dr. Giulini 29. 1. Dr. Götz 13. 2. Frau Griesinger 29. 1. Grüner 29.1. Frhr. von und zu Guttenberg 29. 1. Dr. Hallstein 29. 1. Frau Herklotz * 29. 1. Dr. Hermesdorf (Sehleiden) * 29. 1. Hösl * 29. 1. Dr. Jobst 29. 1. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kempfler 29. 1. Frau Klee * 29. 1. Klinker 29. 1. Dr. Koch ** 29. 1. Kriedemann ** 29. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 1. Lange ** 29. 1. Lautenschlager ** 29. 1. Leicht 29. 1. Lemmrich 29. 1. Lenze (Attendorn) * 29. 1. Dr. Löhr ** 2. 2. Dr. Martin 29. 1. Maucher 12. 2. Memmel ** 29. 1. Dr. Müller (München) * 29. 1. Pieroth 29. 1. Pöhler * 29. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Dr. Prassler 29. 1. Rasner 12. 2. Riedel (Frankfurt) *5 29. 1. Richarts * 29. 1. Richter *** 29. 1. Dr. Rinderspacher *** 29. 1. Roser 29. 1. Schachtschabel 29. 1. Schmidt (Würgendorf) * 29. 1. Dr. Schmücker * 29. 1. Dr. Schober 29. 1. Frau Schroeder (Detmold) 29. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 29. 1. Saxowski 2. 2. Sieglerschmidt * 29. 1. Springorum ** 29. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 29. 1. Steiner 29. 1. Strauß 29. 1. v. Thadden 6. 2. Frau Dr. Walz *** 29. 1. Dr. Warnke 29. 1. Weber (Heidelberg) 29. 1. Werner 29. 1. Wienand * 29. 1. Dr. Wörner 29. 1. Anlage 2 Umdruck 101 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung - Drucksachen VI/ 1638, VI/ 1728 . Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag stimmt der Politik des Nordatlantischen Bündnisses zu, wie sie im Kommuniqué der Ministertagung des Nordatlantikrates vom 3. und 4. Dezember 1970 in Brüssel niedergelegt worden ist (Drucksache VI/1686). Er fordert die Bundesregierung auf, ihre Politik im Einklang mit den darin enthaltenen Grundsätzen fortzuführen. Bonn, den 28. Januar 1971 Wehner und Fraktion Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 102 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung - Drucksachen VI/1638, VI/1728 -. 5192 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Januar 1971 Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag verfolgt mit Sorge die ständigen Versuche, den freien Zugang nach Berlin zu behindern. Der Deutsche Bundestag sieht in diesen Behinderungen eine Aktion, die das Ziel verfolgt, West-Berlin von der Bundesrepublik und der freien Welt zu isolieren. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß Behinderungen auf den Zufahrtswegen nach Berlin dem Geist der Entspannung, dem Geist des Gewaltverzichts und dem Geist der Normalisierung widersprechen. Bonn, den 29. Januar 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 4 Umdruck 103 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zum Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung — Drucksachen VI/1638, VI/1728 — Umdruck 101 —. Der Bundestag wolle beschließen: Der Antrag der Fraktionen der SPD, FDP — Umdruck 101 — wird durch folgenden Satz ergänzt: „Insbesondere betont der Bundestag — entsprechend dem NATO-Kommuniqué — das Recht des Volkes jedes europäischen Staates, sein eigenes Schicksal frei von äußerem Zwang zu gestalten." Bonn, den 29. Januar 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
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    Rede von Dr. Werner Marx


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Bitte sehr!


Rede von Dr. Hans Apel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Marx, wollen Sie eigentlich den Zusammenhang bestreiten, daß derjenige, der die Ratifizierung des deutsch-sowjetischen Vertrages nicht nur mit einer befriedigenden Berlin-Lösung befrachtet — die gehört sowieso dazu, weil es Teil des Gewaltverzichtes ist ,

(Zurufe von der CDU/CSU — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Befrachtet: meinen Sie damit die CDU?)

sondern im voraus auch noch verlangt, daß innerdeutsche Regelungen kommen, damit der DDR eine absolute Sperrmöglichkeit gibt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Der hätte zuhören müssen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

insofern in der Tat das Spiel der SED betreibt? Wollen Sie das bestreiten, und können Sie bestreiten, daß Sie damit, wenn Sie dieses verlangen, gewollt oder ungewollt das Spiel der SED spielen?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Marx


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Apel, Sie haben leider die Chance, sich von Ihrem unerhörten Vorwurf zu befreien, nicht genutzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie können durch eine nicht ganz durchgeformte und nicht ganz durchdachte dialektische Unterstellung nicht aufs neue den Versuch machen, diese Fraktion auch nur in die Nähe dessen zu bringen, war wir an politischer Ausformung bei Ulbricht und seiner SED sehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Im übrigen - das muß ich jetzt hinzufügen —
    gab es in den Weihnachtsferien Äußerungen in der Presse, einer Ihrer Kollegen wolle in Kürze eine Dokumentation zu diesem Thema vorlegen. Wir warten darauf, denn wir möchten gerne, daß so unerhörte Arten von Unterstellungen zumindest mit dem Anschein der wissenschaftlichen Dokumentation unterlegt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Verehrter Herr Apel, die Art und Weise, wie Sie sich da ausgelassen haben, zeigt uns, daß Sie angesichts der Tatsache, daß sich Ihre Politik in der Sackgasse befindet, offenbar verzweifelt sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe bei den Regierungsparteien. — Abg. Raffert: Das hätten Sie gerne!)

    — Herr Raffert, wir haben es nicht erfunden, sondern wir weisen zurück, und zwar noch in die Zeit des Spätherbstes 1969, wo der Herr Bundeskanzler immer wieder auf den engen Zusammenhang zwischen, wie er sich ausdrückte, Moskau, Warschau und Ost-Berlin in allem, was dort geschieht, hingewiesen hat. Ich verweise z. B. auf ein Interview des Kanzlers vom 20. Mai letzten Jahres, wo er wörtlich. sagte: „Alles hängt zusammen." Das ist auch logisch, und wir haben es auch so verstanden. Aber jetzt muß ich fragen: Wo ist dieser Zusammenhang heute? Am Anfang dieser Politik erweckte unsere Regierung den Eindruck, die ganze Ostpolitik diene vorrangig einem wichtigen Ziele, nämlich der Besserung der Lage der Menschen im geteilten Deutschland.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Wie aber stellt es sich heute dar, und — das müssen wir doch auch fragen was leistet die DDR an eigenen Beiträgen für eine Regelung, die die Menschen in beiden Teilen Deutschlands spüren, die ihnen wirklich weiterhilft, die tatsächlich als ein Beitrag zur Entspannung und zur Menschlichkeit bezeichnet werden kann? Wir haben aus der Rede, die der Herr Bundeskanzler gestern hier hielt, entnommen, daß sich seine Beurteilung der Situation drüben realistischer darstellt. Vieles, was er vorgetragen hat, war auf Moll gestimmt, und vieles von dem, was im Laufe des letzten Jahres an euphorischen Stimmungen erzeugt worden war, hat jetzt wegen der harten und doch von uns allen so sehr beklagten Tatsachen einer nüchternen Beurteilung Platz gemacht.
    Meine Damen und Herren, die Regierung sagt, Ost-Berlin stemme sich der Tendenz zur Entspannung entgegen. Niemand, der objektiv urteilt und Tatsachen nicht durch Illusionen oder zungenfertige Interpretationen ersetzt, wird behaupten können, daß die deutsche Filiale des sowjetischen Systems ihren Kurs auf Entspannung oder sogar auf Verständigung oder Versöhnung gerichtet hätte. Die Verhärtung der Position der SED ist das wissen wir alle — ein Zeichen ihrer eigen Untersicherheit. Man hat diese Verhärtung in Ost-Berlin seit dem April 1968, also seit der Einführung der sogenannten sozialistischen Verfassung, immer weiter vorangetrieben. Hieran hat sich trotz aller Hoffnungen auf Grund der neuen Ostpolitik unserer Bundesregierung nichts geändert. Die Situation hat sich leider noch verschärft.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)




    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    Bei der Lektüre von Ostberliner Dokumenten fällt auch auf, daß die Sprache der SED noch schärfer, noch hochfahrender und noch selbstbewußter geworden ist. Die Sperrmaßnahmen auf den Zufahrtswegen nach Berlin — heute morgen hören wir wieder davon, daß die Lastkraftwagenfahrer acht Stunden warten müssen — sprechen ihre eigene und unüberhörbare Sprache. Sie zeigen, wie man drüben Entspannung praktiziert. Sie zeigen auch, daß man in Ost-Berlin jetzt darangeht, mit Mitteln der Schikane zu versuchen, wesentliche Grundrechte von uns einzuschränken. Wenn wir — sei es als Fraktion oder als Parteivorstand oder als Konferenz der Fraktionsvorsitzenden —in Berlin tagen, so üben wir doch offenkundig das Recht der Koalitionsfreiheit, der Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit aus.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Aber gerade das Abhalten dieser Veranstaltungen wird nun, und zwar offen und zynisch, von den Grenzposten als Ursache für die Sperrmaßnahmen angegeben. Früher wurden Straßenausbesserungen als Grund genannt. In einem anderen Fall war einmal eine Schleuse nicht in Ordnung; sie mußte repariert werden. Heute sagt man offen, was der eigentliche Grund ist.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

    Leider fühlen sich diejenigen, welche Berlin immer weiter abschnüren wollen, durch manche leichtfertige Äußerung über die Bereitschaft, sogenannte demonstrative Berlin-Präsenz einzuschränken, ermutigt. Meine Damen und Herren, ich bitte darum, solche Äußerungen endlich zu unterlassen. Wer das Zusammenkommen demokratischer politischer Gremien in Berlin in Frage stellt — übrigens zur gleichen Zeit, da die Sozialistische Einheitspartei West-Berlins dort massiv für die sowjetische Berlin- und Deutschlandkonzeption wirbt —, hilft Ulbricht, irritiert unsere Verbündeten und schadet Berlin.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, man hört in letzter Zeit — das möchte ich einmal darstellen — öfters die These — diese These wird auch von manchen Kollegen auf der linken Seite des Hauses ausgesprochen —, daß die DDR ein besonders starkes Eigengewicht im Rahmen der Ostblockländer erworben habe. Dieses Eigengewicht, so wird gesagt, zwinge die Sowjets, Dinge zu tun, die außerhalb ihres Konzeptes und ihrer wahren Absichten lägen. Manche Spekulation ist darüber angestellt worden, ob sowjetische Emissäre sich nicht immer wieder genötigt sahen, zu Ulbricht zu reisen und ihm gut zuzureden, damit er doch auf den Pfad der gemeinsam vereinbarten Entspannungstugend zurückgeführt werden könne. Es ist mitunter sogar eine Haltung der SED konstruiert worden, die, wie man sagt, den guten und auf Entspannung gerichteten Absichten der Sowjets entgegenwirkt.
    Meine Damen und Herren, niemand in der CDU/CSU sieht den Osten etwa als eine völlige, fugenlose Einheit. Wir wissen, daß es dort viele
    Nuancen gibt, und wir kennen sie auch. Wir kennen auch das Gewicht, das die DDR im Rahmen des Warschauer Paktes und des „Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe" besitzt. Aber wir wissen auch, daß die Sowjetunion über jene Macht verfügt, die es ihr erlaubt, überall dort ihren Herrschaftsanspruch durchzusetzen, wo sie dies für ihre eigene imperiale Politik als richtig erachtet.
    Vor Jahren wurde draußen und auch hier — viel, und von manchem, wie ich glaube, in zu lautem Ton, über sogenannte „zentrifugale Tendenzen" im Osten gesprochen. Viele glaubten, daß die nationalen Wünsche, die in der Tiefe der Geschichte angelegten Kräfte der Ost- und Südosteuropäer, ihr Drang nach Selbständigkeit und Freiheit, ein polyzentrisches System des Weltkommunismus herbeiführen würden. Viele haben daran die Hoffnung geknüpft, daß in einer solchen Differenzierung die eigentliche Möglichkeit zu einer vernünftigen Kooperation — bilateral und multilateral — mit dem Westen liege.
    Es trifft zu, daß es diese Kräfte gab und gibt, aber — meine Damen und Herren, wer wollte das leugnen — ihre Wirkung ist doch niedergezwungen durch jene eisernen institutionellen Klammern, die der Wille der sowjetischen Führer um den gesamten Ostblock gelegt hat: erstens durch den Warschauer Pakt, der nur ein verlängerter Arm des sowjetischen Generalstabs ist, zweitens durch das COMECON, das die wirtschaftlichen Interessen der Sowjetunion absichert, drittens durch das, was man die Breschnew-Doktrin nennt, welche die rigorose Handhabung jener Form von „brüderlicher Hilfe" erlaubt, die dann angewandt wird, wenn nach der Definition der Sowjetunion die geheiligten Prinzipien des sozialistischen Lagers und des proletarischen Internationalismus berührt werden.
    Die DDR, meine Damen und Herren, ist ein Teil dieses Systems. Sie ist durch die Organisation der Partei, durch die totalitäre Methode ihrer Machtausübung und durch die Amalgamierung ihres rechtlichen und gesellschaftlichen Gefüges in den sowjetischen Willen diesem, und zwar mehr als andere, unterworfen. Die DDR ist auch ein besonders treuer Bundesgenosse. Sie versteht sich — ich zitiere dabei sie selbst in ihrer oft frenetischen Sprache — als Leuchtfeuer des sozialistischen Lagers gegenüber dem imperialistischen kapitalistischen Westen. Und dieser Teil Deutschlands — auch das soll nicht vergessen und verschwiegen werden — ist von 20 sowjetischen Divisionen, die eine militärische Elite darstellen, besetzt, und er ist durch vielfältige Beschlüsse an die gemeinsame, in Moskau konzipierte Linie der Politik gebunden.
    Es sollte niemand, meine Damen und Herren, glauben, daß sich gerade dieser Teil Deutschlands im Herzen Europas, der von Ost-Berlin aus reglementiert und von Tausenden sowjetischer Beobachter und Berater kontrolliert wird, eine eigentsändige Politik, ja, vielleicht sogar eine, die gegen die Interessen und Entspannungsbemühungen der Sowjetunion gerichtet wäre, erlauben könnte.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr richtig!)




    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    Den Sowjets ist ihre deutsche Bastion — gestern ist die Aufforderung ausgesprochen worden, diese Überlegungen einmal von der anderen Seite her zu verstehen; ich mache jetzt gerade diesen Versuch — viel zu wichtig, als daß sie ihrem dort residierenden Statthalter tatsächliche Abweichungen von der Linie erlauben würden.
    Um was es sich wirklich handelt, ist dieses: Im Spiel der verteilten Rollen hat die DDR jene des Verzögerers, jene des Widerspenstigen übernommen, den man durch weitere Zugeständnisse beruhigen soll. Ich möchte sagen: Die DDR-Karte wird immer dann ins Spiel gebracht, wenn andere sich nicht selber, allzu sichtbar, die Hände schmutzig machen wollen.
    Meine Damen und Herren! Was nun Gespräche, Verhandlungen und schließlich auch einen künftigen Vertrag mit der CSSR anlangt, so verfolgen wir mit Aufmerksamkeit die Äußerungen, die hierzu aus Prag zu uns herübertönen. Leider hat die monotone Forderung nach der Ungültigkeitserklärung des Münchener Abkommens von Anfang an — in der Fachsprache: ex tunc — sich nicht verflüchtigt, sondern in den letzten Wochen noch verstärkt.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

    Eine solche Forderung geht an allen historischen und rechtlichen Gegebenheiten vorbei.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie ist offenbar ausgewählt, um jetzt das freie Deutschland zu demütigen. Man muß sich das einmal genau vergegenwärtigen, um auf diesem Um- weg nun, sozusagen von der anderen Seite her, eine Identitätstheorie aufzubauen.
    In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, daß sich die Sowjetunion, wenn sie schon darauf besteht, daß das Münchener Abkommen als null und nichtig zu erklären sei, nicht auch — und zwar in konsequenter Analogie — bereit erklärt, den Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 für ungültig erklären zu lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn dort wurde doch in dem Zusatzabkommen zwischen beiden Diktatoren die polnische Ostgrenze festgelegt. Niemand wird bestreiten können, daß diese Grenze mit nackter Gewalt von beiden Seiten geschaffen wurde.
    Seit die Sowjetunion und die CSSR im Mai des vergangenen Jahres ihr — was man da so nennt — Freundschaftsabkommen abgeschlossen haben, ist nicht nur die Unterwerfung dieses unglücklichen Nachbarlandes unter den sowjetischen Willen womöglich noch perfekter und dauerhafter geworden, sondern uns gegenüber wird stereotyp die Formel gebraucht, daß man nur einen Weg zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen Deutschen und Tschechen finden könne, nämlich denjenigen, der über die „Nullität" des Münchener Abkommens führt.
    Meine Damen und Herren, noch während der Verhandlungen von Egon Bahr in Moskau haben die Sowjets und die Tschechen die Formulierung in
    Art. 6 ihres Abkommens vereinbart, in dem sie maximale Positionen uns gegenüber festgelegt haben. Aber die Bundesregierung hat es als bemerkenswert und Erfolg ihrer Moskauer Verhandlungen gewertet, daß die Sowjets von uns in dem Vertrag nicht ein solches Einverständnis gefordert hätten. Aber man kann sagen: Die Folgerichtigkeit und Raffinesse sowjetischer Diplomatie kann, wie dieses Beispiel zeigt, das gleiche Ziel auch auf verschlungenen Pfaden erreichen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, daß wir ja auch die Absichtserklärungen haben, die die Bundesregierung durch einen hohen Beamten hat unterzeichnen lassen, in denen klar dargelegt ist, wie es dort weitergehen soll.
    In der Antwort der Bundesregierung und auch in einem großen Teil der gestrigen Debatte ist über 'das Problem der europäischen Ordnung in der NATO gesprochen worden. Es gibt da neue Beschlüsse; das ist gut. Aber ich glaube, daß die Wirklichkeit nicht sehr ermutigend aussieht. Es wäre angesichts der neu zugeführten sowjetischen Waffenpotentiale, der gemeinsamen militärischen Stärke und — das sage ich im Zusammenhang mit dem Begriff des Gleichgewichts — der zahlenmäßigen Überlegenheit der Warschauer-Pakt-Truppen im Abschnitt Europa Mitte, im Mittelmeer und im Norden von entscheidender Bedeutung, daß sich die Europäer entschlössen, ihre Pflichten innerhalb des Verteidigungssystems neu zu überdenken. Denn es ist doch wohl richtig, daß die NATO-Streitkräfte in Europa an jene kritische Schwelle gekommen sind, die unserer Überzeugung nach nicht unterschritten werden darf. Würde sie trotzdem unterschritten, so wäre die Möglichkeit einer realistischen, aussichtsreichen und konfliktverhindernden Verteidigung in unerträglicher Weise eingeengt.
    Gemessen an dem, was die Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt und beim Abschluß des deutschsowjetischen Vertrages an Erwartungen, Hoffnungen, Absichten und Versicherungen vorgetragen hat, sehen wir diese Politik scheitern.
    Die Bundesregierung sagte, sie gehe von der Lage aus, wie sie ist. Sie behauptet gleichzeitig in ihrer Antwort, daß die Weltpolitik auf Entspannung gerichtet sei. Wir alle wollen Entspannung; da sind wir uns doch einig. Aber wir sehen, daß sie auf der anderen Seite offenbar nicht gewollt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Regierung hat allen Entspannung versprochen. Aber es hat sich gezeigt — und Herr Kollege Barzel hat gestern darauf hingewiesen —, daß keine einzige der Spannungsursachen beseitigt worden ist. Im Gegenteil, durch die Verträge sind sie festgeschrieben worden.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

    Die Bundesregierung versprach Ausgleich. Aber, meine Damen und Herren, wir sehen heute, daß sich die sowjetische Vorherrschaft über Europa weiterentwickelt.
    Die Regierung sagt, sie wolle Versöhnung mit allen Völkern in Osteuropa. Gut, das ist das eigentliche und auf Dauer konzipierte Ziel unserer Politik.



    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    Aber die Völker — der Ton liegt auf „die Völker" — in Osteuropa, die, wie man hinzufügen muß, über uns durchaus anders denken, als ihre Regierungen glauben machen, dürfen nicht laut sprechen; sie sind mit ihren eigenen Regierungen selbst nicht in innerem Einverständnis.
    Die Bundesregierung hat in deutschen Fragen Annäherung angekündigt. Meine Damen und Herren, scharfe Abgrenzung ist die Antwort aus Ost-Berlin.
    Die Regierung hat Erleichterungen des Lebens für die Menschen im geteilten Deutschland in Aussicht gestellt. In Wahrheit wurden und werden unser Land und seine Demokratie immer nachdrücklicher und immer krasser in das Feindbild der anderen Seite eingeordnet.
    Die Bundesregierung hat gesagt, daß im Zentrum ihrer Ostpolitik — ich wiederhole, was ich vorhin andeutete — ihre Bemühungen um eine einvernehmliche Regelung der deutschen Frage stünden. Jetzt, so scheint es, ist sie bereit, die Verträge auch ohne eine innerdeutsche Regelung zur Ratifizierung vorzulegen.
    Die Bundesregierung hat gesagt, sie wolle keine endgültige Regelung in der Grenzfrage mit Polen vornehmen. In Polen aber und darüber hinaus fast überall in der Welt versteht man die vertraglichen Regelungen als endgültig.
    Die Bundesregierung hat immer wieder der Erwartung Ausdruck gegeben, daß auch die Sowjetunion die Realitäten auf unserer Seite anerkenne. Jetzt erweist es sich, daß Moskau nicht daran denkt,
    3) die Wirklichkeit in West-Berlin, so wie sie gewachsen und für uns von vitaler Bedeutung ist, anzuerkennen.
    Die Bundesregierung hat die Hoffnung geäußert, daß nach ihrer Moskauer Vorleistung — so sehen wir es — eine wirklich befriedigende Berlin-Regelung erreicht werde. Nun ist uns allen, wie ich denke, klargeworden, daß die Sowjets für eine solche Regelung weitere substantielle Leistungen fordern und daß die in Moskau bereits geleisteten Zugeständnisse konsumiert sind. Es ist schon wahr: die andere Seite arbeitet nach der Devise „Was ich habe, ist tabu; was du hast, steht zur Disposition".

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich komme zum Schluß. Die Bundesregierung glaubte, daß die Anerkennung eines Staatscharakters der DDR die Basis für friedliche Koexistenz, für politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb geschaffen habe. In Wirklichkeit hat diese Politik — z. B. in den 20 Kasseler Punkten und in den Moskauer Absichtserklärungen niedergelegt — dazu nicht geführt; die friedliche Koexistenz ist weit entfernt. Im übrigen — damit nehme ich noch etwas auf, was gestern von Ihnen, Herr Apel, in einer Kontroverse mit dem Kollegen Barzel diskutiert worden ist — kann die zielgerichtete, hinterhältige und folgenschwere Agitation der DDR gegen uns in Guinea nur als ein sichtbar gewordenes Element der aggressiven Politik desjenigen deutschen Teiles verstanden werden, mit dem man hier „koexistieren" will und wo man vorgibt, dies sei möglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Herr Bundeskanzler hat gestern in seiner Antwort auf die Ausführungen unseres Fraktionsvorsitzenden, die, wie ich glaube, polemische und ungerechtfertigte Behauptung aufgestellt, unsere Politik führe zurück in die 50er Jahre.

    (Abg. Dr. Apel: Das stimmt doch wohl!)

    Herr Bundeskanzler, ich glaube, dies gehört mit in die Diskreditierungskampagne, in der man die Dinge in der Öffentlichkeit so darzustellen versucht, als ob wir eine reaktionäre Politik betrieben. Wahr ist aber, daß die Politik dieser Regierung unter dem Anspruch und dem Anschein des Progressiven in der Tat in Verhärtungen vielfältiger Art zurückgeführt hat.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

    Gegenüber der Behauptung, man werde dann keine Verbündeten finden, muß ich darauf hinweisen, daß wir da ohne Sorge sind. Es war die Partei Konrad Adenauers, die das, was man heute Verbündete nennt, zu Verbündeten dieses Landes gegen den Widerstand anderer gemacht hat, und es war die Partei Konrad Adenauers, ja, er war es, selbst, der den Deutschland-Vertrag herbeigeführt hat. Wenn gesagt wird, wir fänden dann keine Verbündeten mehr, so müssen wir antworten, daß wir sehen„ wie die Regierung heute dabei ist, Sinn und Geist des Deutschland-Vertrages, der einen wesentlichen Faktor unserer Sicherheit darstellt, permanent auszuhöhlen. Dies ist die Wirklichkeit, und dies ist das, was wir zurück und nicht vorwärts nennen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Wenn ich nicht selbst geglaubt hätte, daß die Bundesregierung mit dieser Politik wirklich scheitere, dann hätte mich, Herr Kollege Wehner, Ihre Erklärung vom 5. Januar eines schlechteren belehrt. Sie haben, Herr Wehner, von einem Desaster gesprochen, das sich anbahne, wenn die Verträge nicht ratifiziert würden. In Wirklichkeit hat diese Politik bereits zum Desaster geführt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)