Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Mursch.
— So? Das war mir leider nicht bekannt geworden. Herr Kollege, ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche parlamentarische Arbeit und beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten Rede in diesem Hause.
Mursch (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verkehrsbericht der Bundesregierung ist ohne Zweifel — ich glaube, darüber sind wir uns alle einig — eine lesenswerte und interessante Lektüre. Er bemüht sich, in einer umfassenden Weise die zur Zeit bestehenden Verkehrsprobleme darzustellen. Wenn aber nun gesagt wird, er sei zukunftsbezogen oder gar in die Zukunft weisend, dann, meine Damen und Herren, meine ich, daß das nur recht bedingt richtig ist. Das gilt insbesondere für den Verkehrsträger Luftfahrt — wir müssen auch einmal über etwas anderes sprechen , mit dem ich mich heute befassen will.
Die Bundesrepublik ist ein Land, das im Weltluftverkehr dank seiner geographischen Lage und auch dank seiner wirtschaftlichen Kapazität in der Spitzengruppe steht. Ein Vergleich mit dem amerikanischen Giganten auf diesem Gebiet ist natürlich nicht möglich. Aber im westeuropäischen Bereich ist das schon etwas anderes. Hier läßt der Verkehrsbericht irgendwelche fortschrittlichen Initiativen in Richtung auf eine Neuordnung im europäischen Luftverkehr vermissen.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß sich die EWG-Verkehrspolitik lediglich auf die binnenländischen Verkehrsträger erstreckt, also auf die Eisenbahnen, den Straßenverkehr und die Binnenschiffahrt. Mir scheint es nicht nur erwägenswert, sondern auch wünschenswert zu sein, auch im Hinblick auf die sich anbahnende Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, die Luftfahrt und, Kollege Apel, auch die Seeschiffahrt in die gemeinsame Verkehrspolitik mit einzubeziehen. Es ist nämlich keineswegs sicher, ob nicht die künftige Entwicklung der Luftfahrt — insbesondere auch von der Kostenseite her — dazu führen muß, enger als bisher innerhalb der Mitgliedsländer der EWG zusammenzuarbeiten und auch den Gedanken einer europäischen Air-Union neu zu beleben.
Im Verkehrsbericht wird darauf hingewiesen, daß die Deutsche Lufthansa ihre Verkehrsleistungen im vergangenen Jahr überdurchschnittlich ausweiten konnte — im Personenverkehr um 20 %, im Güterverkehr sogar noch mehr — und daß sie deshalb im Jahre 1969 zum erstenmal in der Lage gewesen ist, eine Dividende auszuschütten. Herr Bundesverkehrsminister, es fehlt aber in dem Bericht eine Prognose über die zu erwartende künftige Entwicklung. Glücklicherweise ist uns eine solche Prognose von anderer Stelle geliefert worden. Der Generalsekretär der IATA, der internationalen Organisation der Zivilluftfahrtgesellschaften, Herr Hammar-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1970 4587
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skjöld, hat gesagt, daß auf Grund von sehr sorgfältigen Ermittlungen der IATA bis zum Jahre 1980 der jährliche Zuwachs im planmäßigen Luftverkehr nur noch etwa bei 12 % liegen werde. Er sagte aber noch mehr, nämlich daß die Rentabilität im Weltluftverkehr in einer besorgniserregenden Weise zu sinken beginne. Das ist — so Hammarskjöld — darauf zurückzuführen, daß die Betriebskostensenkungen, die durch die Verwendung wirtschaftlicheren und moderneren Fluggeräts erzielt worden sind, nicht mehr ausreichen, um die Erhöhungen, die sich zwangsläufig ergeben haben, aufzufangen. Bei diesen Erhöhungen handelt es sich in erster Linie um die sogenannten Bodenkosten auf den Flugplätzen.
Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: Durch die Anschaffung neuer Großflugzeuge und der dazugehörigen Geräte hatten die Luftverkehrsgesellschaften ganz erhebliche Finanzlasten auf sich zu nehmen. Die Folge war, daß Herr Hammarskjöld mit Recht an die Luftverkehrsgesellschaften appellierte, bei ihrer Kapazitätsplanung eng zusammenzuarbeiten und nicht etwa einen zu hohen Marktanteil durch ein Überangebot zu erzwingen.
Alle diese Gesichtspunkte mahnen uns, nach neuen Wegen der Zusammenarbeit zu suchen. Ich meine, hier sollte sich die EWG anbieten. Die kürzliche Erklärung des Präsidenten von Trans World Airlines, daß die zwölf größten amerikanischen Luftverkehrsgesellschaften im laufenden Jahr ein Defizit von rund 200 Millionen Dollar zu erwarten haben, sollte uns übrigens zu denken geben und uns daran erinnern, daß wir zur Lösung dieser Probleme wirklich nicht mehr viel Zeit haben.
Auf die Ertragslage der Luftfahrt wirkt aber noch ein anderer Komplex ein. Ich meine jetzt nicht die noch ausstehende Regelung des innerdeutschen Luftverkehrs, sondern ich meine die Frage der Wegekosten. Im Verkehrsbericht der Bundesregierung wird darauf hingewiesen, daß internationale Verhandlungen eingeleitet worden seien, um zu Vereinbarungen über die Erhebung von Flugsicherungsgebühren zu kommen, die im übrigen auch die Kosten für den Flugwetterdienst mit abdecken sollen. Ich glaube, hier ist größte Behutsamkeit geboten, weil hierdurch die internationale Wettbewerbslage nicht verändert werden darf und weil wir natürlich auch an die Wirtschaftlichkeit der nationalen Luftfahrt denken müssen.
Die Bundesregierung kündigt in ihrem Bericht an, daß sie alle Maßnahmen ausschöpfen will, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Luftfahrtunternehmen zu stärken. Wir begrüßen das. Unter anderem will die Regierung das dadurch erreichen, daß sie Maßnahmen treffen will, um Währungsverluste zu verhindern, die für die Erträge deutscher Luftfahrtgesellschaften in solchen Ländern entstehen könnten, die eine sogenannte weiche Währung haben. In diesem Zusammenhang würde es uns interessieren, Herr Bundesverkehrsminister, von Ihnen im Verkehrsausschuß zu hören, mit welchen Maßnahmen Sie dieses Ziel eigentlich erreichen wollen. Wir würden es auch begrüßen, wenn Sie uns bei dieser Gelegenheit auch sagen würden — neulich ist das im Verkehrsausschuß für das Jahr 1969 geschehen —, wie hoch sich die Verluste der Lufthansa und der anderen deutschen Luftverkehrsgesellschaften durch die Aufwertung der D-Mark im Jahre 1970 belaufen.
Wir begrüßen es, daß die Deutsche Lufthansa ihr internationales Flugliniennetz in den kommenden Jahren verdichten will. Wir tun das deshalb, weil es sich hier um Linien handelt, die ein wirtschaftliches Ergebnis erwarten lassen.
Ich möchte mich auf diese Feststellungen beschränken, weil ich weiß, daß Verhandlungen über Luftverkehrsrechte zuweilen eine schwierige Problematik beinhalten. Ich bin sicher, daß Sie mich hier verstanden haben. Zeitdruck und zu lautes Gehabe tragen im allgemeinen nicht zur Lösung einer schwierigen Problematik bei. Wir werden diese Fragen, Herr Bundesverkehrsminister, auch wiederum im Verkehrsausschuß behandeln.
Noch ein Wort zu den Ausführungen über die Erhöhung der Sicherheit im Flugverkehr. Die Bundesregierung rechnet — das ist bemerkenswert — auch in Zukunft mit einer andauernden Bedrohung des Luftverkehrs. Das ist eine ernst zu nehmende Angelegenheit. Die Regierung hat in Zusammenarbeit mit den beteiligten Stellen eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen. Ich frage mich nur, Herr Bundesverkehrsminister, ob sie ausreichend sind und ob es nicht doch zweckmäßig wäre, noch zusätzlich an Bord der Flugzeuge Sicherungsmaßnahmen zu treffen, um eine Luftpiraterie, wenn die Luftpiraten an Bord der Flugzeuge gekommen sind, zu verhindern. Hierzu gehört auch die Prüfung der Frage, ob man nicht doch Sicherheitsbeamte an Bord der Flugzeuge nehmen sollte, wie es die Amerikaner seit einiger Zeit tun. Die Amerikaner verfügen, wie Sie wissen, auf diesem Gebiet über große Erfahrungen. Sie betreiben im übrigen die Hälfte des gesamten Weltluftverkehrs. Zumindest sollte sich das Ministerium über die Erfahrungen informieren, die in den Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet gewonnen worden sind. Dann kann man nämlich immer noch sehen, wie man weiterkommt.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich noch ein Problem ansprechen, dem eine besondere und weltweite Bedeutung zukommt: die Systemplanung. Sie ist im modernen Luftverkehr sowohl im engeren nationalen als auch im internationalen Bereich unerläßlich. Nur ein Beispiel im kleinen.
Wenn man z. B., wie wir gestern nachmittag, auf dem Flughafen Köln-Bonn ankommt oder von KölnBonn abfliegen will, stellt man fest, daß dieser sogenannte Regierungsflughafen zwar äußerlich durchaus attraktiv wirkt, daß er aber funktionell eben doch eine Reihe von Mängeln hat.
— Das hat mit der Bundesregierung nichts zu tun; es geht mir hier um die Problematik, Herr Kollege Seefeld.
So haben z. B. — das weiß man seit einer Reihe von Jahren — alle gängigen Verkehrsflugzeuge,
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auch alle diejenigen, die Köln-Bonn anfliegen, also die Boeing 707, die 727, die 737, die Caravelle, die 1-11, die DC-8, zwei Ein- und Ausgänge. Wenn man aber in Köln- Bonn ein- oder aussteigen will, kann man nur einen davon benutzen. Ich meine, daß es bei einer vernünftigen, sinnvollen technischen Planung eigentlich möglich sein müßte, die Flugsteigköpfe so zu konstruieren, daß man beide Ein- und Ausgänge benutzen kann. Das ist natürlich im Augenblick noch kein sehr dringendes Problem. Aber wenn der Flughafen Köln-Bonn einmal das Verkehrsvolumen erreicht haben wird, für das das Flughafengebäude gebaut worden ist, sieht die Sache natürlich schon anders aus.
Noch ein anderer Punkt. Wenn man mit dem Pkw auf der Zufahrtstraße zur Abflugebene fährt und wenig Zeit hat, setzt bestimmt der eine oder andere rechts von der Fahrbahn parkende Wagen zurück und blockiert damit den gesamten ankommenden Verkehr, und zwar einfach deswegen, weil die Fahrbahn zu schmal ist. Es ist zwar nicht immer richtig, — wie man sagt —, daß Zeit Geld ist; wer viel Zeit hat, für den ist Zeit durchaus nicht Geld. Aber, meine Damen und Herren, wer fliegen will, hat meistens wenig Zeit, und das sollte man bei der Konstruktion der Flughäfen berücksichtigen.
Ich will in diesem Zusammenhang gar nicht von den himmelblauen Sommermarkisen sprechen, die sich an den Autobushaltestellen befinden. Sie sind in tropischen Gebieten sicherlich außerordentlich zweckmäßig. Aber bei uns, wo es häufig regnet, wo es naßkalte Monate gibt, sind sie wirklich sehr unzweckmäßig. Das ist die Systemplanung im kleinen mit einigen Mängeln, die ich hier angedeutet habe.
Die internationale Systemplanung aber hat natürlich ein weit größeres Gewicht. In der Vergangenheit ist es stets so gewesen, daß der technische Fortschritt zur Entwicklung immer schnellerer und immer größerer Flugzeuge geführt hat. Das geschah in einem solchen Tempo, daß die in Betrieb befindlichen Flugzeuge durch modernere Flugzeuge ersetzt worden sind, obwohl sie noch durchaus verwendungsfähig waren. Es ist eben auch hier so, daß das Bessere das Gute verdrängt.
Dagegen wäre an sich nichts zu sagen, wenn das nicht gewisse Konsequenzen hätte. Die Anforderungen an die Infrastruktur, also an die Flughäfen, die Flugsicherung und den Flugwetterdienst, wurden durch die technische Entwicklung der Flugzeugindustrie mit ihren ganz erheblichen finanziellen Auswirkungen auf die Infrastruktur bestimmt. Ich meine, daß es in der Tat geboten ist, durch eine sinnvolle internationale Systemplanung zwischen Luftfahrtindustrie, Flughafengesellschaften, Luftverkehrsgesellschaften und Luftfahrtverwaltungen zu einer vernünftigen Lösung zu kommen, bevor es zu spät ist. Zu spät ist es schon für die erste Generation der Überschallflugzeuge, der sogenannten supersonics, aber für die nachfolgende zweite Generation sollte die Zeit genutzt werden, um eine vernünftige Koordinierung zu erreichen.
Im Verkehrsbericht der Bundesregierung ist —
das muß ich anerkennen, Herr Bundesverkehrsminister — zum Ausdruck gebracht worden, daß die Bundesregierung die Bestrebungen der ICAO, der International Civil Aviation Organization, in dieser Hinsicht unterstützt. Wir hoffen, daß Sie, Herr Bundesverkehrsminister, im Herbst nächsten Jahres nach der Vollversammlung der ICAO in der Lage sein werden, dem Verkehrsausschuß über echte Fortschritte zu berichten. Es ist ein außerordentlich wichtiges Problem.
Meine Damen und Herren, obwohl dem Verkehrsbericht manches fehlt, was in die Zukunft weist — hierfür ist die politische Führung des Ministeriums verantwortlich —, läßt er doch erkennen, daß der jetzige Bundesverkehrsminister Leber das Glück gehabt hat, vor genau vier Jahren von seinem bedeutenden Vorgänger Dr. Hans-Christoph Seebohm ein Ministerium mit einer großen Zahl ausgezeichneter Fachleute auf allen Gebieten, insbesondere auch auf dem Gebiet der Luftfahrt, zu übernehmen.
Deshalb, Herr Bundesverkehrsminister, habe ich es eigentlich immer bedauert, daß Sie im vergangenen Jahr, als das Reichs- bzw. Bundesverkehrsministerium sein 50jähriges Bestehen feierte, dieses Gedenktages in einem langen und ausführlichen Artikel unter Ihrem Namen im regierungsamtlichen Bulletin gedacht haben und dabei der Entwicklung und Geschichte des Reichs- bzw. Bundesverkehrsministeriums ebenso wie seiner Aufgabenstellung eingehende Ausführungen widmeten. Sie haben bei dieser Gelegenheit eine ganze Anzahl früherer Reichsverkehrsminister namentlich erwähnt, auch denjenigen, der dieses Amt im Dritten Reich innehatte. Nur denjenigen, der in diesen 50 Jahren dieses Ministerium mehr als ein Drittel der Zeit, nämlich über 17 Jahre — länger, als die Weimarer Republik bestanden hat —, geführt hat, haben Sie nicht einmal mit seinem Namen erwähnt, geschweige denn, daß Sie sein Werk gewürdigt hätten. Das ist nicht zu verstehen!
Ich glaube, die Zeit ist reif, Herr Bundesverkehrsminister, daß Sie hierzu ein klärendes Wort sagen,