Rede von
Max
Vehar
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach diesem Ausflug quer durch den Garten der Verkehrspolitik durch den Kollegen Ollesch möchte ich versuchen, hier einen Diskussionsbeitrag zu geben, der sich auf ein bestimmtes Problem konzentriert. Ich möchte über ein Gebiet sprechen, das nach meiner Auffassung zu den dringlichsten Gebieten im Rahmen der Verkehrspolitik insgesamt zählt, nämlich über das Problem der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden.
Herr Kollege Dr. Müller-Hermann hat schon heute morgen grundsätzlich die Auffassung der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Thema dargelegt, so daß ich mich darauf beschränken kann, hier einige zusätzliche Argumente vorzutragen, die die Dringlichkeit
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des Problems nach meiner Auffassung unterstreichen.
Heute ist von Kollegen aller Fraktionen viel über die Bedeutung des Problems der Verkehrssicherheit gesprochen worden. Dabei sollte man auch daran denken, daß die Verkehrssicherheit besonders dort gefährdet ist, wo sich die massierte Ansammlung von Autos zeigt. Das ist vor allem in unseren Städten, im Einzugsgebiet unserer Gemeinden der Fall. Wir wissen, daß die Verkehrsunfälle dort etwa 80 % aller Unfälle auf den Straßen ausmachen. Meine Damen und Herren, wir müssen damit rechnen, daß in diesem Jahre erstmals die Zahl von 18 000 Toten überschritten wird. Angesichts der ständig wachsenden Motorisierung ist zu befürchten, daß diese Zahl in den nächsten Jahren sogar noch steigen wird. Wir wollen es nicht hoffen, aber die Befürchtung hier auszusprechen halte ich in diesem Zusammenhang für meine Pflicht.
Ein ganz kurzes Wort zum Thema Verkehrssicherheit. Ich habe immer wieder, auch in den Ausschußberatungen, darauf hingewiesen, daß der Straßenbau, die Schaffung von Verkehrsanlagen, zwar ein Mittel ist, zur Hebung der Verkehrssicherheit beizutragen. Aber ebenso wichtig ist selbstverständlich Sicherheit im und am Auto. Das Wichtigste ist nach meiner Auffassung aber das menschliche Verhalten. Auch das ist heute schon dargelegt worden. Aber es bleibt dabei: eine Maßnahme zur Hebung der Verkehrssicherheit ist zweifellos der Ausbau der Straßen, insbesondere in den Städten und Gemeinden.
Ich darf ein zweites Argument vortragen, das auf die Dringlichkeit der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden hinweist. Es ist anerkannter Grundsatz, daß der Verkehr nicht nur eine wirtschaftliche Funktion hat, sondern daß er auch eine gesellschaftspolitische Funktion und eine Funktion auf dem Gebiete der Strukturpolitik hat. Ich möchte das so ausdrücken: wir können so viele Arbeitsplätze schaffen, wie wir wollen; wenn wir nicht gleichzeitig auch die Möglichkeit schaffen, diese Arbeitsplätze über gute Wege, sei es über Straßen, sei es in Großstädten über Schienenverkehre, zu erreichen, dann ist diese unsere Arbeit umsonst. Wir müssen also durch die Schaffung guter Verkehrswege die Mobilität der Arbeitnehmer fördern. Das gilt insbesondere auch für das flache Land. Ich habe heute morgen bei dem Vortrag des Herrn Bundesverkehrsministers und auch bei Ihren Ausführungen, Herr Kollege Dr. Apel, den Eindruck gehabt, daß Sie sich bei der Behandlung dieses Themas nur mit den sogenannten Verdichtungsräumen befassen. Im Verkehrsbericht ist in diesem Zusammenhang auch nur von Verdichtungsräumen die Rede. Wir sind uns aber wohl darin einig, daß diese Probleme auch auf dem flachen Land außerordentlich wichtig sind.
Ich darf das noch hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Funktion des Personenverkehrs ergänzen. Meine Damen und Herren, wir brauchen weitere Schulen, wir brauchen Universitäten, wir brauchen Sport- und Erholungsstätten. Sie nutzen uns
aber nichts, ihre Nutzung ist zumindest stark gefährdet, wenn wir nicht dafür sorgen, daß sie über gute Straßen oder, vor allem in Großstädten, über Schienenverkehr erreichbar sind.
Schon aus diesen Gründen ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, die Rangfolge der verkehrspolitischen Aufgaben zu überdenken und zu ändern. Der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden muß für die nächste Zukunft — denn vieles ist in den letzten Jahren versäumt worden — die gleiche Priorität zukommen wie der Deutschen Bundesbahn und dem Fernstraßenbau.
Meine Damen und Herren, diesem Ziel dient auch ein Antrag unserer Fraktion, der Ihnen heute vorliegt und den ich im Rahmen dieses Diskussionsbeitrags auch ganz kurz begründen möchte. Die CDU/ CSU-Fraktion hat schon frühzeitig die Dringlichkeit der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden erkannt. Nach Einführung des Gemeindepfennigs im Jahre 1960 im Rahmen der Änderung des Straßenbaufinanzierungsgesetzes haben wir 1961 das Gesetz über eine Untersuchung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden eingebracht, das am 1. August 1961 vom Bundestag einstimmig verabschiedet wurde. Am 29. August 1964 wurde dieses Gutachten dem Bundestag vorgelegt, nachdem 23 namhafte Experten drei Jahre lang an ihm gearbeitet hatten. Auf 229 Seiten bringt das Gutachten eine exakte Analyse der Situation der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden und klare Aussagen zu allen Detailfragen sowie Verbesserungsvorschläge. Ziel unseres Antrags ist es, dieses Gutachten neu zu überarbeiten, es vor allem hinsichtlich des Zahlenmaterials auf den neuesten Stand zu bringen, und es dann dem Deutschen Bundestag wiederum vorzulegen. Ich darf vielleicht im Interesse der Zeitersparnis darauf verzichten, hier die Formulierungen aus dem Antrag wiederzugeben. Sie alle haben den Antrag ja vorliegen. Ich glaube aber, daß ein derart überarbeitetes Gutachten auch eine gute Grundlage abgeben könnte für eine langfristige Bedarfsplanung auf diesem Gebiet und für die politischen Entscheidungen, die notwendig sind, um diesen Bedarfsplan durch einen langfristigen Finanzierungsplan zu ergänzen. Ich möchte Sie schon an dieser Stelle bitten, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen.
Lassen Sie mich nun zu einigen konkreten Punkten des Verkehrsberichts Stellung nehmen, die dort im Zusammenhang mit der Verbesserung der Verhältnisse in den Gemeinden aufgeführt sind.
Der Bericht betont mit Recht — in Übereinstimmung mit der Gutachterkommission — die Bedeutung des öffentlichen Personennahverkehrs. Dieses Thema ist sehr komplex und unterschiedlich zu beurteilen, je nachdem, ob es sich um eine Großstadt, eine mittlere Stadt oder um das flache Land handelt. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang lediglich mit zwei in dem Verkehrsbericht angesprochenen Fragen befassen.
Da ist einmal das jahrelange Bemühen der Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs, von der Mineralölsteuer entlastet zu werden. Die Regie-
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rung sagt in ihrem Bericht lediglich eine erneute Prüfung zu. Der Sachverständigenbericht aus dem Jahre 1964, von dem ich soeben gesprochen habe, enthielt schon eine derartige Empfehlung. Die Gemeinden, die Länder und der Bund wurden aufgefordert, durch solche Maßnahmen den Nahverkehrsbetrieben in den Gemeinden zu helfen. Ich darf an den Herrn Bundesverkehrsminister die Frage richten: Wie lange wird die Bundesregierung noch prüfen, und wann wird sie sagen, wie sie zu dieser Forderung steht. In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, daß — ebenfalls auf Grund der Empfehlung des Gutachtens — a) die Länder bereits die Nahverkehrsunternehmen von der Kfz-Steuer befreit und b) die Städte weitgehend auf die Wegebenutzungsabgaben verzichtet haben. Eine Befreiung von der Mineralölsteuer würde auch einem Beschluß des gemeinsamen Ausschusses von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden entsprechen, den diese am 12. November 1968 gefaßt haben.
Der zweite Punkt ist der sogenannte Null-Tarif, der in letzter Zeit von verschiedenen Seiten gefordert worden ist. Ich teile die Auffassung der Bundesregierung, daß der Null-Tarif kein geeignetes Mittel ist, die Verkehrsprobleme der Gemeinden zu lösen. Ich darf wohl die Aussage von Herrn Dr. Apel so auffassen, daß das auch die Meinung der SPD-Fraktion ist. Ich hoffe aber, daß ich darüber hinaus die Aussage des Herrn Bundesministers und die Aussage von Herrn Dr. Apel als einen Appell an alle Verantwortlichen in diesem Lande ansehen darf, nun mit solchen Parolen Schluß zu machen, die, würden sie tatsächlich realisiert, nach den Aussagen der Bundesregierung die öffentliche Hand etwa 3,5 Milliarden DM kosten würde. Nach den Angaben, die mir zugegangen sind, würde sich, wenn man auch noch den Bahn- und Postverkehr einbezöge, dieser Ausfall auf fast 5 Milliarden DM erhöhen, und das ohne jegliche Garantie dafür, daß dann der Pkw-Fahrer auf die öffentlichen Verkehrsmittel umstiege. Wir kennen ja alle die Fälle, daß Angestellte der öffentlichen Verkehrsunternehmen ihre Freikarten nicht benutzen, sondern mit dem eigenen Pkw fahren. In diesem Zusammenhang ist die Haltung des Verbandes der öffentlichen Verkehrsunternehmen zu loben, der sich eindeutig von solchen Forderungen distanziert und sie mit Nachdruck abgelehnt hat. Wir müssen solche Vorstellungen auch deshalb ablehnen, weil sie immer wieder ein willkommenes Argument für Übereifrige sind, die gegen jegliche auch noch so maßvolle Anhebung von Tarifen mit mehr oder weniger demokratischen Mitteln demonstrieren und damit wesentlich dazu beitragen, die Verkehrssituation in den Gemeinden nicht zu verbessern, sondern zu verschlechtern.
Bedenklich wird natürlich die Situation, wenn sich auch Politiker in hohen Ämtern dazu hergeben, in solchen Aktionen mitzuwirken. Ich habe hier Zeitungsberichte vorliegen, nach denen der Ministerpräsident dieses Landes, Herr Kühn, und der Regierungspräsident von Düsseldorf sich mit sogenannten „Rote-Punkte-Aktionen" solidarisch erklärt haben. Besonders pikant ist ja der Fall des Regierungspräsidenten in Düsseldorf, der gegen eine von seinen Kollegen in Köln bereits genehmigte Tariferhöhung auf diese Weise protestiert hat.
Der Bericht nimmt auch zu dem umstrittenen Problem der Parkgebühren in den Stadtzentren Stellung und berührt damit eines der wichtigsten innerstädtischen Probleme, nämlich das des ruhenden Verkehrs. Ich habe leider heute morgen vermißt, Herr Minister, daß Sie dazu ein Wort gesagt haben. Leider wird auch in Ihrem Bericht lediglich eine Prüfung in Aussicht gestellt. Die Freigabe der Parkgebühren aber, d. h. eine liberalere Handhabe nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten wäre nach Überzeugung der Städte ein sofort wirksames und kostenloses Mittel zur besseren Steuerung des innerstädtischen Verkehrs, besonders in den Brennpunkten der Städte.
Ich habe es nicht verstanden, Herr Bundesminister, daß Sie vor einigen Wochen in geradezu schroffer Form das Ansuchen der Länder und der Städte abgelehnt haben, diese Parkgebühren zu erhöhen. Ich gehöre bestimmt nicht zu denen, die den Pfennig nicht ehren, aber in einer Zeit, wo kaum noch jemand in der Kirche einen Groschen auf den Kollektenteller legt, ist ein Groschen für das Parken in einer Großstadt — im wertvollsten Gebiet, im Kerngebiet der Großstadt — ganz einfach ein Trinkgeld und kein Ausgleich für das, was man in Anspruch nimmt.
Die Verkehrsdezernenten in den Städten, in Zusammenarbeit mit der Polizei, dem ADAC und der Verkehrswacht können nach meiner Überzeugung die jeweilige Situation in ihrer Stadt ganz sicher besser beurteilen, als das Ihre Mitarbeiter, Herr Bundesminister, hier in Bonn vom Grünen Tisch aus tun können. Wer das täglich erlebt, wie sich Hunderte, ja Tausende von Pkw-Fahrern wie in Prozessionen an den Parkuhren mitten in den Städten vorbeischleichen und versuchen, eine freie Parkuhr zu finden, der muß eine solche Lösung, wie sie heute ist, auch deshalb schon ablehnen, weil damit eine ganz erhebliche gesundheitliche Schädigung durch die Abgase in den Stadtzentren für alle verbunden ist, die sich dort befinden.
Ich komme zum Schluß. Ich bitte Sie, meinen Diskussionsbeitrag als einen von vielen hier und draußen so anzusehen, daß ich damit Sie alle sehr dringlich und herzlich bitten möchte, diesem Problem der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in unseren Gemeinden mehr Beachtung zu schenken, als das bis heute der Fall ist.