Rede von
Horst
Seefeld
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schmitt aus Lockweiler hat soeben den Versuch unternommen, zu der Politik der Bundesregierung im Verkehrsbereich sehr kritische Anmerkungen zu machen. Er begann mit drei Punkten, auf die ich am Anfang gern zurückkommen möchte.
Zunächst haben Sie hier die Feststellung getroffen, die Bevölkerung habe kein Vertrauen zu dem, was von der Regierung im Verkehrsbereich komme. Dies weise ich ganz energisch zurück. Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Meinung nur aus den drei Zeitungen beziehen, die Sie hier zitiert haben, Herr Kollege. Ich muß Ihnen sagen, fest steht ohne Zweifel, daß der Bundesverkehrsminister Leber zu den populären
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Politikern in der Bundesregierung zählt, fest steht, daß der Bundesverkehrsminister mit seinem Verkehrspolitischen Programm sehr viel Zustimmung bei der Bevölkerung bekommen hat, und fest steht auch, daß von diesem Bundesverkehrsminister die Lösung der großen Verkehrsprobleme in Deutschland erwartet wird und, finde ich, nach dem, was wir bisher von ihm gesehen und gehört haben, auch erwartet werden kann. Das ist das erste.
Nun das zweite. Sie haben hier die Bemerkung gemacht, der Güterfernverkehr sei Herrn Lebers liebstes Kind, sprich: Prügelknabe gewesen. Nun, ich darf Ihnen sagen, Herr Leber hat kein liebstes Kind gehabt. Er hat, als er die Vaterschaft übernehmen mußte, nur liebe Kinder vorgefunden. Ich gebe zu, daß er das eine Kind sicher lieber gehabt hat als das andere. Das mag sein. Aber die Art und Weise, wie Herr Leber versucht hat, mit dem Güterfernverkehr zurechtzukommen, hat sich bewährt. Er war streng zu ihm, und Sie sehen, wie die strenge Erziehung genutzt hat. Heute besteht ein relativ gutes Verhältnis: Das Kind ist sehr brav und Herr Leber ist zufrieden.
Das dritte, was ich Ihnen sagen möchte: Herr Kollege Schmitt, Sie haben auf die Bundespressekonferenz 1967 abgehoben. Sie haben gesagt, daß Sie den Eindruck hatten, Herr Leber sei dort mit nichts hineingegangen. Ich sage Ihnen — auch wenn es zum wiederholten Male gesagt werden muß —: Dieser Plan wurde von den beiden großen Fraktionen dieses Hauses getragen. Zu diesem Plan — ich halte Sie alle für klug genug, das nicht zu bestreiten — haben Sie Ihre Zustimmung gegeben. Wie können Sie dann heute eigentlich sagen, daß Herr Leber damals mit nichts in eine Konferenz gegangen sei?! Was soll denn das? Sie werten sich doch selbst ab, wenn Sie heute sagen, damals sei nichts vorgetragen worden, und wenn Sie heute so tun, als hätten Sie daran keinen Anteil. Ganz im Gegenteil: Es gab nur wenige Anlässe — das werden Ihnen die Herren der Presse bestätigen —, bei denen auf Pressekonferenzen in Bonn die Journalisten in Beifall ausgebrochen sind, und das war auf dieser Pressekonferenz der Fall, Herr Schmitt. Ich muß Sie darauf hinweisen, daß Sie offensichtlich einer Fehlinformation unterlegen sind.
Nun möchte ich zu den Fragen der Sicherheit im Straßenverkehr, zu Fragen der Verkehrserziehung und zu Fragen der Unfallrettung Stellung nehmen.
Ich las dieser Tage eine Betrachtung mit der Überschrift „Freizeitklau auf unseren Straßen". Darin wurde mit Recht, wie ich meine, darauf hingewiesen, daß es im Laufe der Zeit insbesondere durch die Bemühungen der deutschen Arbeiterbewegung gelungen sei, mehr und mehr Freizeit zu erreichen. Millionen von Arbeitnehmern haben mehr Freizeit als früher. Sie haben jetzt mehr Zeit für ihre Familien, sie haben mehr Zeit zur Erholung. Die schwer errungene Freizeit wird aber andererseits durch große Zeitverluste im Verkehrsgeschehen wieder eingeengt.
Diese Betrachtung ist sicherlich vor allem für diejenigen zutreffend, die zu den rund 14 Millionen
Besitzern eines Personenkraftwagens gehören und die mit ihren Familien vom Personenkraftwagen soviel wie möglich Gebrauch machen wollen. Die gewonnene Zeit geht aber auf dem Arbeitsweg, während des Wochenendausflugs und auch während der Urlaubszeit verloren. Es spielt heute zugegebenermaßen auch keine Rolle mehr, ob Sie auf einer Autobahn, einer Bundesfernstraße oder auf einer Landstraße unterwegs sind: die Verstopfungen sind allgegenwärtig.
Die im Verkehrsbericht der Bundesregierung genannten Zahlen weisen doch aus, daß inzwischen jeder vierte Einwohner der Bundesrepublik einen Pkw besitzt. Es wird erwartet, daß bis zum Jahre 1980 jeder Dritte seinen eigenen Wagen fahren wird. Zu den Personenkraftwagen, das wissen wir alle, kommen doch noch zahlreiche andere Kraftfahrzeuge hinzu. Kurzum: es steht fest — wie auch aus dem Verkehrsbericht hervorgeht —, daß im Jahre 1970 in der Bundesrepublik fast 17 Millionen Fahrzeuge registriert sind.
Mit der zunehmenden Zahl der Kraftfahrzeuge stieg leider auch die Zahl der Unfallopfer, und es stieg auch die Zahl der Verkehrstoten. Herr Kollege Schmitt, ich stimme mit Ihnen völlig überein, daß das für uns alle Veranlassung sein muß, uns ernsthafte Gedanken darüber zu machen, wie wir dieser Zahl zu Leibe rücken können.
Für uns alle, die wir doch die Verantwortung tragen, ergibt sich daraus die Frage: Haben wir denn tatsächlich alles getan, um zu verhindern, daß auch nur einer im Straßenverkehr umgekommen ist, den wir hätten retten können? Die Antwort — ich glaube, sie gilt für uns alle — kann doch eigentlich nur lauten: Wir haben nicht in genügendem Maße dafür gesorgt, daß den Unfallopfern auf unseren Straßen die Rettung zukommt, die wir eigentlich jedem zuteil werden lassen könnten. Das mag für uns alle eine harte Feststellung sein. Aber sie gilt für uns alle, und es kann sich niemand — weder das Parlament noch die Regierung noch die Bundesländer — dieser Kritik entziehen.
Ich weiß wie Sie alle, daß wir in der Bundesrepublik das Unfallrettungswesen bislang nicht einheitlich gestaltet haben und daß nicht der Bund, sondern die Länder für das Rettungswesen kompetent sind. Jedes einzelne Bundesland handelt seinen finanziellen Möglichkeiten und in manchen Fällen auch dem Druck, dem es ausgesetzt war, oder gar dem Interesse des jeweils zuständigen Beamten entsprechend.
Meine Damen und Herren, es ist wohl auch nicht notwendig, in dieser Debatte die Vorwürfe zu wiederholen, die in letzter Zeit aus weiten Kreisen der Bevölkerung, aus Verbänden, Organisationen und Institutionen gegen diese Uneinheitlichkeit im Unfallrettungswesen und wegen des Fehlens einer Koordination auf Bundesebene in so reichem Maße erhoben worden sind. Ich bin davon überzeugt, daß jede Kritik irgendwie berechtigt war und auch aus voller Verantwortung geübt wurde.
Ich möchte an dieser Stelle ganz besonders den Frauen und Männern danken, die in selbstlosem Einsatz Tag für Tag, Nach für Nacht und Wochen-
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ende für Wochenende auf unseren Straßen unterwegs sind, um dafür zu sorgen, daß die Zahl der Unfälle geringer und denjenigen, die in Unfälle verwickelt werden, auf allerschnellstem Wege geholfen wird. Ich meine damit sowohl die Polizeibeamten und die Feuerwehr als auch die Mitarbeiter in den verschiedenen Organisationen, wie z. B. in den einzelnen Automobilklubs. Vor allem meine ich natürlich die Arbeit der freiwilligen Hilfsorganisationen: das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter, die Malteser, die Arbeitersamariter und viele andere mehr. Ihnen allen möchte ich unseren ganz besonderen Dank für ihre aufopferungsvolle Tätigkeit aussprechen.
Meine Damen und Herren, der Verkehrsbericht der Bundesregierung sieht erfreulicherweise die Verbesserung der Unfallrettung vor, obgleich der Bundesminister für Verkehr hierfür eigentlich weniger zuständig ist als andere. Auch dafür ist ihm, glaube ich, zu danken; denn er übernimmt freiwillig eine Verantwortung und nimmt zusätzliche Vorwürfe der Öffentlichkeit in Kauf.
Wir begrüßen es sehr, daß nunmehr eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Gang gekommen ist. Bei der Durchsicht der Absichten der einzelnen Bundesländer ist allerdings schon erkennbar, daß trotz dieser begonnenen engeren Zusammenarbeit unterschiedliche Praktiken bestehen. Ich bin der Meinung, daß einheitliche Regelungen gut und dringend nötig sind. Es wäre jedoch sicher noch besser, wenn sich die Bundesregierung dazu entschließen könnte, ein Rahmengesetz vorzulegen. Dieses müßte den Ländern klare Auflagen machen; denn der deutsche Autofahrer hat ein Recht auf Rettung in Notsituationen. Er hat kein Verständnis dafür, daß seine Überlebenschancen von der Finanzkraft und vom guten Willen einzelner Bundesländer abhängen.
In gleicher Weise begrüßen wir es, daß nunmehr, nachdem die Zuständigkeit für den Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen in einem Bundesministerium zusammengefaßt ist, die Rufnummer 110 als einheitliche Notrufnummer Wirklichkeit werden soll. Meine besondere Bitte an Sie, Herr Bundesminister, lautet: Sorgen Sie dafür, daß an den Bundesfernstraßen bald überall Notrufmöglichkeiten eingerichtet werden. Sie haben ja mit Ihren Modellversuchen, wie z. B. mit Funkrufsäulen und mit drahtgebundenen Unfallmeldern, schon Bahnbrechendes geleistet.
Bei dem Bemühen um die Sicherheit im Straßenverkehr und um einen reibungslosen Ablauf auf unseren Straßen muß unbedingt auch die Arbeit der deutschen Rundfunkanstalten genannt werden. Wir haben heute schon bei vielen Sendestationen einen guten Informationsdienst, der jedem Autofahrer Hinweise darüber gibt, wie die jeweilige Verkehrslage beschaffen ist. Wenn ich sage: jedem Autofahrer, muß ich natürlich einschränkend hinzufügen: jedem Autofahrer, der über ein Autoradio verfügt. Ich möchte zugleich die Forderung erheben,
daß in Deutschland eigentlich kein Auto mehr ohne Radio sein sollte.
Ich teile nämlich die Meinung derer, die sagen, daß die Unterrichtung der Autofahrer über Funk in den nächsten Jahren sicherlich ein wichtiges, ja, ein unentbehrliches Instrument der Verkehrslenkung sein wird.
Mein Appell von dieser Stelle aus geht deshalb dahin, daß erstens alle Autos in der Bundesrepublik mit Radios ausgestattet werden sollten und daß zweitens die Anschaffung von Autoradios steuerlich begünstigt werden müßte.
— Verehrter Herr Lemmrich, würden Sie bitte erst noch meinen nächsten Satz anhören. Ich wollte Sie nämlich darauf aufmerksam machen, daß der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Reischl, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 15. April 1970 angekündigt hat, daß entsprechende Überlegungen bei der kommenden Steuerreform angestellt würden. Ich hoffe, daß er das nicht nur gesagt hat, sondern auch tun wird.
Als drittes wollte ich noch hinzufügen, daß die Bundesregierung meiner Meinung nach im kommenden Jahr alle Möglichkeiten nutzen muß, um die Wellenlängen zu bekommen, die notwendig sind, um eine weitere Sendekette, die ausschließlich dem Autofahrer gewidmet sein soll und die von der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands getragen würde, installieren zu helfen.
Meine sehr verehrten Kollegen! Weitere Punkte zum Thema „Unfallrettung und Verkehrssicherheit", die ich natürlich für ebenso wichtig wie die eben genannten halte, sind ja im Verkehrsausschuß schon angesprochen worden und werden, wie aus dem Bericht hervorgeht, bereits teilweise realisiert. Darüber hinaus versprechen wir uns von dem für das nächste Jahr beabsichtigten Hearing zum Unfallrettungsdienst eine Fülle wertvoller Gedanken, die uns die Praktiker bestimmt auch geben werden.