Rede von
Alfred
Ollesch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Müller-Hermann von der CDU/CSU-Fraktion hat zu Beginn seiner Ausführungen seiner Enttäuschung über den Verkehrsbericht Ausdruck gegeben. Er hat ausgeführt, daß dieser Verkehrsbericht nicht konkret aussagt, wie die Probleme des Verkehrs in Zukunft gelöst werden sollen, und daß er nicht schon angedeutete gesetzliche Maßnahmen der Bundesregierung beinhaltet. Wir sind der Meinung, daß diese Kritik an dem vorliegenden Verkehrsbericht unbegründet ist, daß sie nicht zu halten ist; denn der Verkehrsbericht — mögen auch sehr viele Bürger unseres Landes etwas anderes erwartet haben — soll nach den Worten des Bundesverkehsministers kein neues verkehrspolitisches Programm sein, sondern ein Bericht über Maßnahmen, die im Rahmen des Verkehrspolitischen Programms der Bundesregierung für die Jahre 1968 bis 1972 eingeleitet wurden, eine Bestandsaufnahme darstellen und eine Vorausschau auf die zu erwartende, kommende Entwicklung geben.
Wir sind der Auffassung, daß dieser Verkehrsbericht 1970 eine Fülle von Informationsmaterial für die Abgeordneten des Hohen Hauses darstellt, daß er Prognosen aufstellt, die mir untermauert zu sein scheinen und die uns Gelegenheit geben werden, aus dem Hause heraus das Unsere zu tun, um die anstehenden Probleme zu lösen. Es ist sicherlich verständlich, daß der Bundesverkehrsminister versucht, zur Halbzeit seines damals im Auftrag der
Bundesregierung vorgelegten Verkehrspolitischen Programms die Erfolge darzustellen, die erreicht worden sind.
Nun, die Freien Demokraten haben diesem Verkehrspolitischem Proramm sehr zurückhaltend gegenübergestanden, und sie werten die eingetretenen Ergebnisse sicherlich nicht, jedenfalls nicht in vollem Umfang so, wie sie der Herr Bundesverkehrsminister wertet. Aber das liegt bei den verschiedenen Standpunkten sehr nahe. Nur, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben das Programm ja mit zu vertreten.
Herr Kollege Dr. Müller-Hermann, das mag in Ihren Augen ein Koalitionskompromiß gewesen sein, der Ihnen gar nicht behagt. Aber so sind nun einmal die Fakten. Sie haben es voll mit zu tragen.
Der Bundesverkehrsminister ist auf die Ergebnisse eingegangen, die eingetreten sind. Bei dieser Betrachtung nimmt natürlich der Komplex Bundesbahn einen erheblichen Raum ein. Er ist ja — das ist sehr leicht verständlich — unser wichtigster Verkehrsträger. Im Verkehrsbericht wird ausgeführt, daß es durch die Maßnahmen des Verkehrspolitischen Programms gelungen sei, im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung die Bundesbahn auf eine wirtschaftlichere Grundlage zu stellen und brachliegende Kapazitäten auszunutzen. Während früher von Waggonüberfluß, von leeren Waggons gesprochen worden sei, sei heute ein Waggonmangel festzustellen, der sogar so stark sei, daß Waggons aus dem Ausland angemietet werden müßten.
Es ist eigentlich schade, meine Damen und Herren, daß heute der Nachweis nicht mehr zu erbringen ist, daß die Umlenkungsmaßnahmen, die die damalige Regierung der Großen Koalition eingeleitet und gesetzlich untermauert hatte, wirklich in dem Umfang, der damals erwartet wurde, zu diesem Erfolg beigetragen haben. Wie so oft in der Politik ist die Beweisführung nachher nicht mehr anzutreten, weil inzwischen Fakten eingetreten sind, die eine klare Beurteilung nicht mehr möglich machen. Nehmen wir an, daß alle Maßnahmen und die Steigerung unserer Konjunktur zu diesem erfreulichen Ergebnis beigetragen haben!
Immerhin stimmt es betrüblich, daß trotz aller Anstrengung, die Bundesbahn nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu führen, sie, wenn auch nicht zu d e m , so doch zu einem der Verkehrsträger in der Bundesrepublik zu machen, die Maßnahmen immer wieder durch Kostensteigerungen in Frage gestellt werden, die auch mit dem größten Willen zur Rationalisierung nicht aufgefangen werden können. Ich brauche das Zahlenspiel gar nicht zu wiederholen, mit dem gezeigt werden kann, warum die Leistungen des Bundes für die Bundesbahn trotz ihrer größeren Effektivität immer noch ansteigen.
Ich glaube, auf dem Wege der Kosteneinsparung durch Rationalisierung muß fortgefahren werden.
4556 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1970
Ollesch
Die Rationalisierung sollte vielleicht etwas forcierter durchgeführt werden, als sie jetzt anscheinend vorgenommen wird. Dennoch ist hier weder der Bundesregierung noch der Deutschen Bundesbahn ein Vorwurf zu machen. Der Vorwurf muß vielmehr, jedenfalls zum Teil, an die Mitglieder des Hauses gerichtet werden oder an die Länder und die Gemeinden, die immer wieder Zeter und Mordio schreien, wenn. im Zuge einer notwendigen Rationalisierung eine Dienststelle aufgelöst werden muß, die noch einem Organisationsstatus entspricht, der vor 80 Jahren einmal Gültigkeit gehabt haben mag, aber heute in einer Zeit — —
— Nein, nein. Herr Hemmrich, die Bundesbahndirektion Münster unterliegt ja auch dieser Auflösung auf Grund der Rationalisierung. Ich habe kein Wort dazu verlauten lassen, obwohl die Bundesbahndirektion Münster zu meinem Einflußbereich als Abgeordneter aus Recklinghausen gehört.
Ich meine, man kann nicht auf der einen Seite verlangen, daß der Bund endlich von dem Lasten-komplex der Bundesbahn befreit wird, auf der anderen Seite aber dann, wenn notwendige Maßnahmen durchgeführt werden sollen, dies wieder zu verhindern suchen.
Meine Damen und Herren, wie alle Verkehrsträger und wie alle in der Wirtschaft Tätigen ist auch die Bundesbahn darauf angewiesen, kostendeckende Erlöse zu erhalten. Dies hat der Herr Kollege Dr. Apel erwähnt, und auch der Herr Bundesverkehrsminister hat darauf hingewiesen. Sicherlich sind Frachten Kosten, die durchschlagen, bis zum letzten Verbraucher weitergeleitet werden und von ihm schmerzlich empfunden werden, wenn sie dort ankommen. Aber wir würden uns selbst etwas in die Tasche lügen, wenn wir hier versuchen wollten, eine notwendige Tarifanhebung unter Bezugnahme auf überwirtschaftliche Gegebenheiten immer wieder zu verzögern. Die Bundesbahn muß echt in den Stand versetzt werden, kostendeckende Erlöse zu erzielen.
Aber da wir bereit sind, die Rationalisierung trotz großer politischer Widerstände voranzutreiben, sollte die Bundesbahn selbst sich nicht in Gebiete begeben — Anzeichen dafür wurden hörbar —, in denen sie bisher nicht oder nicht in großem Umfang tätig war. Ich erwähne hier auch das Problem der Beschaffung von Lastzügen durch die Deutsche Bundesbahn, ein Problem, das Aufsehen erregt hat. Sicherlich, die Bundesbahn hat nach dem Gesetz die Möglichkeit, 3,5 % der Kontingente auszunutzen. Sie hat das im Sinne einer Funktionsordnung in unserem gesamten Verkehr dankenswerterweise nicht getan.
— Nein, das ist kein Problem. Aber das sind unter
Umständen die ersten Schritte. Zweifellos ist eine
Beunruhigung hervorgerufen worden, weil die Bundesbahn bisher trotz gegebener Möglichkeiten auf diesem Gebiet Zurückhaltung geübt hatte.
Ich will mich aber nicht bei der gegenwärtigen Situation aufhalten. Die mir noch verbleibenden Minuten will ich dazu verwenden, auf die Schwerpunkte einzugehen, die sich uns in der nächsten Zukunft stellen. Es ist sicherlich klar, daß bei knappen finanziellen Mitteln versucht werden soll, Prioritäten zu setzen. Aber, Herr Kollege Dr. Müller-Hermann, das ist im Verkehr gar nicht so einfach. Es gibt eine Reihe von sehr dringlichen Maßnahmen, die beachtet und in Angriff genommen werden müssen, sonst kann unsere Gesamtwirtschaft großen Schaden leiden. Der Neubau von Bundesfernstraßen genießt nach meiner Auffassung eine ebenso hohe Priorität wie die Regelung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Ebenso hohe Priorität genießen der Plan, die Bundesbahn in den Stand zu versetzen, ein modernes Verkehrsmittel zu sein, das auch seine Kosten trägt, und sogar auch die Fragen der Verkehrssicherheit. Von daher sollten alle Probleme bei der Behandlung der Aufgaben für die nächste Zeit beachtet werden. Wir haben einen Ausbauplan für Bundesfernstraßen für den Zeitraum der nächsten 15 Jahre bis 1985, einen Plan, der den Bedarf aufzeigt. Dieser Bedarf ergibt sich nicht nur aus den vorhandenen und den zu erwartenden Verkehrsströmen, sondern sicherlich auch aus der Verpflichtung, strukturschwache Gebiete mit Straßen aufzugliedern und ihre Struktur zu verbessern. Ein Verkehrsplaner, der für den Straßenbau nur von dem aus dem jetzigen Verkehrsstrom herzuleitenden Bedarf ausginge, würde seine Aufgabe verfehlen.
Wir wissen um die Finanzierungslücke, Herr Bundesverkehrsminister. Die Opposition hat sie uns ja seit einigen Monaten immer wieder vorgehalten, ohne daß sie bisher in der Lage war, einen Vorschlag zu unterbreiten,
wie diese Finanzierungslücke gedeckt werden könnte.
— Ich weiß, daß es immer etwas unpopulär ist, Belastungen für bestimmte Preise oder bestimmte Gruppen vorzuschlagen. Sie, Herr Bundesminister, haben das Problem offen angesprochen und drei Möglichkeiten aufgezeigt. Dafür sei Ihnen Dank. Sicherlich wird niemand von den Fraktionssprechern heute eine klare Antwort geben können, welcher dieser drei Wege mit Sicherheit gegangen werden kann.
— Oder vier.
Nur scheint mir der Blick auf den Kraftfahrer —
selbst wenn Umfragen bestätigen sollten, daß 80 % der Kraftfahrer bereit seien, im Interesse der Flüssigmachung des Verkehrs etwas mehr an Lasten auf sich zu nehmen — etwas zu simpel zu sein. Denn bei einer Finanzierungslücke von rund 50 Milliarden DM würde das bedeuten, daß wir ihm zehn Pfennig mehr pro Liter Kraftstoff abverlangen müßten. Ich
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1970 4557
Ollesch
bin nicht der Auffassung, daß der Kraftfahrer allein derjenige sein soll, der alle Lasten des Verkehrswegebaus zu tragen hat. Die Gemeinden denken bei dem Problem der Gemeindeverkehrswegefinanzierung ja auch schon wieder an den leichten Weg der Erhöhung der Mineralölsteuer und möchten gern statt drei nun fünf, sechs oder acht Pfennig erhoben haben. Zum anderen wird der Kraftfahrer in diesem und im kommenden Jahr durch eine saftige Erhöhung der Prämien für die Haftpflichtversicherung ohnehin zur Kasse gebeten. Das mag sehr begründet sein, aber er kann nicht unentwegt allein die Lasten tragen.
— Das wird immer wieder gefordert.
Das ist so leicht gesagt.
Wir wissen, daß es Prioritäten auch auf anderen Sektoren außerhalb des Verkehrs gibt. Bestenfalls könnte hier mit der Zeit Zug um Zug eine Erhöhung stattfinden. Aber auch damit werden wir die 50 Milliarden DM nicht decken können. Ich bin der Auffassung, da dieser Betrag auf einem Bedarfsplan basiert, sollten wir erst einmal mit den vorhandenen Mitteln unsere fertigen Planungen durchziehen. Wir werden gar nichts anderes machen können.
— Sagen Sie mir doch, was Sie machen wollen!
— Nein, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, wir werden die fertigen Planungen mit den vorhandenen Mitteln durchführen müssen, um dann in der Zeit, in der es notwendig sein wird, vielleicht mit besseren Erkenntnissen als bisher einen gangbaren Weg der Finanzierung zu finden. Dieser Weg kann im Mittel zwischen einem höheren Anteil und einer nochmaligen Belastung liegen. Aber man sollte sich hüten, schon Erklärungen in eine gewisse Richtung abzugeben und zu sagen: Das ist allein der Weg, auf dem die Finanzierung möglich sein kann.
Wir können uns darüber unterhalten. Der Herr Bundesminister hat ja erklärt, daß es keine Frage der Entscheidung des Jahres 1971 sein wird. Vielleicht sind wir in der Lage, gemeinsam möglicherweise ist auch Brüssel dann soweit — ein gerechtes System der Wegekostenanlastung zu finden, nach dem wir alle rufen, weil jeder für sich selbst eine Entlastung
vermutet, die unter dem Strich wahrscheinlich gar nicht herauskommen wird.